Das scheinbare Versprechen der Heimarbeit - Fünf vor acht / Homeoffice

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Homeoffice: Das scheinbare Versprechen der Heimarbeit | ZEIT ONLINE              https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-04/homeoffice-pandemie-unternehmen-usa-in...

                    Fünf vor acht / Homeoffice

                    Das scheinbare Versprechen der Heimarbeit
                    E i n e K o l u m n e v o n H e i k e B u c h t e r [ h t t p s : // w w w . z e i t . d e /a u t o r e n
                    / B / H e i k e _ B u c h t e r/ i n d e x . x m l ]

                    Das Homeoffice wird die Pandemie überleben, doch es hat nicht nur Vorteile
                    für Angestellte: Sie sind vom Flurfunk abgeschnitten und mancherorts drohen
                    Gehaltskürzungen.
                    19. April 2021, 7:34 Uhr / 606 Kommentare /

                    Das Homeoffice wird das Büro ablösen, wenn die Pandemie eines Tages vorbei ist
                    – da sind sich viele Manager, Unternehmensberater und Immobilienmakler sicher.
                    Die Überzeugung hat dazu geführt, dass wohlhabende Heimarbeiter in New York
                    und anderen US-Metropolen sich größere Anwesen in den Vororten oder
                    Feriengegenden kaufen, die Platz genug bieten, die eigene Chefsuite dort zu
                    rekreieren.

                    In Manhattans Bürotürmen verstauben Schreibtische
                    Derweil sorgen sich die Eigentümer der verlassenen Bürotürme in Manhattan, wo
                    Schreibtische verstauben und Kammerjäger Mäuse in Schach halten, was aus
                    ihren bis vor Kurzem so wertvollen Vermögenswerten werden wird. New Yorker
                    Bürogebäude haben bis zu einem Viertel ihres Wertes verloren
                    [https://therealdeal.com/2021/04/08/manhattan-office-markets-25-drop-is-
                    ominous-sign-for-landlords/], lauten die Schätzungen. New Yorks Gouverneur
                    Andrew Cuomo spielte sogar schon öffentlich mit der Idee, die angeblich bald
                    obsoleten Flächen in dringend benötigten Wohnraum umzuwidmen
                    [https://www.fastcompany.com/90593504/new-york-gov-cuomo-empty-offices-
                    should-become-housing]. Nie mehr würden er und seine Mitarbeiter zur täglichen
                    Büroroutine zurückkehren, sagte kürzlich der Gründer einer Wall-Street-
                    Investmentfirma beim gemeinsamen Dinner mit Branzino und Tomahawk-Steak.
                    "Und meine Sekretärin ist weit produktiver, wenn sie allein dort arbeitet."

                    Facebook-CEO Mark Zuckerberg kündigte vergangenes Jahr an, der Social-Media-
                    Konzern mit seinen 60.000 Mitarbeitenden weltweit werde "das fortschrittlichste

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                    Unternehmen in Sachen Fernarbeit in dieser Dimension sein". Bis in fünf Jahren
                    soll die Hälfte aller Facebook-Mitarbeiter am Schreibtisch zu Hause sitzen, sagte er
                    der Technologiewebsite The Verge [https://www.theverge.com/2020/5
                    /21/21265780/facebook-remote-work-mark-zuckerberg-interview-wfh]. Ähnliche
                    Bekenntnisse gab die Techprominenz von Google, Amazon, Twitter, Shopify,
                    Salesforce und PayPal ab.

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                          [https://www.zeit.de/arbeit/2021-02/homeoffice-pandemie-lockdown-produktivitaet-arbeitgeber-studie]

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                                "Irgendwann kam die Leistung nicht mehr, die ich erwartet habe"
                                 [https://www.zeit.de/2019/40/homeoffice-arbeitsplatz-einsamkeit-psyche-monika-rieger]

                                                                  Homeoffice
                                                          So bleibt der Geist im Team
                           [https://www.zeit.de/arbeit/2020-11/homeoffice-team-kreativitaet-zufriedenheit-moral-kollegen-tipps]

                    Doch gehört dem Homeoffice wirklich die Zukunft? Und wäre es wirklich eine
                    Errungenschaft für Schreibtischarbeiter? Viele würden das bestimmt so sehen. Die
                    vergangenen Monate bescherten ehemaligen Pendlerinnen und Pendlern viele
                    Extrastunden, die sie sonst im Auto oder in der Bahn verbringen mussten. Zeit, in
                    der man Sport treiben, den Kindern was vorlesen oder neue Rezepte ausprobieren
                    kann. Endlich können Mitarbeiterinnen ihren Tagesablauf ihren Bedürfnissen
                    anpassen, ohne kritische Blicke von Chefinnen oder Kollegen fürchten zu müssen.
                    In Umfragen gaben viele an, zu Hause effizienter und produktiver zu sein
                    [https://www.apollotechnical.com/working-from-home-productivity-statistics/].

                    Doch nicht in allen Chefetagen teilt man diese Einschätzung. Er sehe keinerlei
                    Vorteile, sagte etwa Reed Hastings, Co-CEO von Netflix [https://www.wsj.com
                    /articles/what-ceos-really-think-about-remote-work-11600853405], dem Wall
                    Street Journal. "Nicht in der Lage zu sein, sich persönlich zu treffen, vor allem
                    international, ist nur negativ." Ähnlich fiel das Urteil von Jamie Dimon aus, Chef
                    von JPMorgan Chase, dem größten US-Finanzkonzern. Die Bank habe
                    Produktivitätseinbußen und wachsende Entfremdung [https://www.youtube.com
                    /watch?v=LK4IcY4Wl9A] bei den Heimarbeitern festgestellt, sagte er dem

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                    Börsensender CNBC.

                    Der Einzelne mag sein Pensum zu Hause tatsächlich konzentrierter und
                    zielbewusster bewältigen. Für das gesamte Unternehmen ergeben sich durch die
                    dezentralen Standorte jedoch Reibungsverluste. Abgesehen von technischen
                    Problemen leiden soziale Aspekte. Interaktionen zwischen Mitarbeitern müssen
                    aufwendiger koordiniert werden, statt dass man einfach kurz am Schreibtisch des
                    Kollegen vorbeischaut. Informelle Begegnungen – der kurze Plausch in der
                    Teeküche, in der Kantine, am Aufzug –, bei denen oft wichtige Informationen
                    ausgetauscht werden, finden nicht statt. Konferenzen, bei denen die Teilnehmer
                    tatsächlich um einen Tisch herumsitzen, mögen unbeliebt sein, aber sie schaffen
                    doch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das ein Zoom-Treffen nicht erzeugt.

                    Auch für Heimarbeiterinnen gibt es Nachteile, die deutlicher werden, wenn die
                    Unternehmen den aktuellen Schockzustand der Pandemie überwinden und
                    wieder mehr Routine eintritt. Außendienstmitarbeiter – und
                    Auslandskorrespondenten – kennen das Gefühl, vom Flurfunk abgeschnitten zu
                    sein. Die Kollegen in der Ferne entwickelten eine gewisse Paranoia, dass wichtige
                    Entwicklungen im Hauptquartier an ihnen vorbeigingen, beschrieb es einmal
                    zugespitzt einer meiner Vorgesetzten. Und auch die Flexibilität des Homeoffice hat
                    eine unschöne Kehrseite: Der Übergang zwischen Arbeit und Freizeit wird noch
                    fließender, als er es dank Smartphone und Internet bereits ist.

                       L E S E R K O M M E N TA R     [https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-04/homeoffice-
                       pandemie-unternehmen-usa-interaktionen-
                       gehaltskuerzungen?cid=56783003#cid-56783003]

                       »Bei uns sind die Mitarbeitenden angehalten, sich mit den Kollegen, die
                       man sonst nur in der Kaffeeküche trifft, auf einen Videokaffee zu
                       verabreden. Um genau diese Kommunikatikon aufrecht zu halten. Es
                       fühlt sich am Anfang komisch an - aber es geht. Und ein »wie ist es Dir
                       inzwischen ergangen« bringt auch immer schnell ein Gespräch
                       zustande. Ich persönlich vermisse meine Kolleginnen und Kollegen sehr
                       - aber in der Firma sind sie ja auch nicht, also muss ich auch nicht öfter
                       hinfahren.«

                       ansv [https://profile.zeit.de/2840089] vor 1 Tag
                       Mitdiskutieren [https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-04/homeoffice-pandemie-
                       unternehmen-usa-interaktionen-gehaltskuerzungen#comments]

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                    Firmen kürzen Gehälter, wenn Mitarbeiter umziehen
                    Am liebsten wäre vielen Schreibtischarbeiterinnen ein goldener Mittelweg: einige
                    Tage ins Büro, andere zu Hause. Weil das entsprechender Verwaltungssysteme
                    und Technologie bedarf, bedeutet das höhere Kosten für den Arbeitgeber. Aber
                    dafür kommt das Unternehmen mit weniger teurer Bürofläche aus. Das ist der
                    Punkt, an dem Finanzchefs interessiert aufhorchen. Und wenn es schon ums
                    Sparen geht, dann richtig. Was Zuckerberg bei seinem Homeoffice-Versprechen
                    hinzufügte, ging in der Berichterstattung fast unter. Wer aus dem Silicon Valley in
                    eine bezahlbarere Gegend umziehe, müsse dies Facebook melden. Entsprechend
                    werde ihr oder ihm das Gehalt gekürzt. Heimarbeit öffne neue Möglichkeiten für
                    Techunternehmen, billiger an "Talent" zu kommen, wie die in der Branche
                    gefragten Fachleute genannt werden, berichtet Forbes [https://www.forbes.com
                    /sites/jackkelly/2020/09/15/the-dark-downside-of-the-work-from-home-
                    trend/?sh=54f61b54ebf6].

                    Der Softwareentwickler VMware zum Beispiel strich Mitarbeiterinnen, die etwa
                    aus Palo Alto in Kalifornien ins weniger teure Denver umzogen, gleich 18 Prozent
                    der Vergütung, berichtete die Finanznachrichtenagentur Bloomberg
                    [https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-09-11/vmware-twitter-cut-pay-
                    for-remote-workers-fleeing-bay-area]. Nicht nur Techkonzerne haben solche
                    Ideen. Die Deutsche Bank etwa erwog, von Bankern einen Abschlag von fünf
                    Prozent der Bezüge für das Privileg zu verlangen, in den eigenen vier Wänden zu
                    sitzen. Davon ist die Bank wieder abgekommen, jetzt darf jeder Mitarbeiter, der es
                    will, bis zu zwei Tage zu Hause arbeiten.

                    Selten gab es einen Zeitpunkt, an dem das Wie und Wo des Arbeitens sich so
                    schnell und so radikal ändern ließe. Während wir uns im Schlafanzug am
                    Küchentisch durch unsere Inboxen arbeiten, sollten wir aufpassen, dass die
                    Jahrhundertumwälzung nicht auf unsere Kosten passiert.

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                       Rainer Hank, "Die Revolution der Arbeitswelt", Frankfurter Allgemeine Zeitung
                       [https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/die-revolution-der-arbeitswelt-17297196.html]

                       Josephine Hoffmann, "Büro Ferienhaus", taz [https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft
                       /die-revolution-der-arbeitswelt-17297196.html]

                       Noam Scheiber, "Remote work could widen disparities in the labor force", New York
                       Times [https://www.nytimes.com/2020/07/27/business/remote-work-could-widen-
                       disparities-in-the-labor-force.html]

                       Jerusalem Demsas, "Remote work is overrated. America's supercities are coming
                       back", vox.com [https://www.vox.com/22352360/remote-work-cities-housing-prices-
                       work-from-home]

                       STARTS EI T E    ›    [https://www.zeit.de/index]

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