STADTBAUKULTUR NRW 2001-2011
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Inhaltsverzeichnis Baukultur in Nordrhein-Westfalen Lebens- und liebenswerte Bewusster Umgang mit baulichen Baukultur anstiften Städte und Gemeinden Zeugnissen der Geschichte Für ein lebenswertes und 10 Baukultur eine Plattform schaffen 78 vielseitiges Nordrhein-Westfalen Die lebenswerte Stadt 16 10 Jahre StadtBauKultur NRW 50 Ulrike Rose und Frauke Burgdorff Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Kommentar von Walter Siebel Hartmut Miksch und Heinrich Bökamp im Gespräch im Gespräch Baukultur ist eine Haltung 12 Mehr als Schönheit und Effizienz 20 Baukultur und Kultur: zwei Schwestern? 82 Minister Harry K. Voigtsberger Reflexion von Martin Halfmann Statt aufgeben: Baukultur bewahren 54 Kommentar von Anselm Weber Kommentar von Markus Harzenetter und Sabine Reich Baukultur = Herausforderung für 24 Kommunen? Achim Dahlheimer und Bewahren. Verstehen. Gestalten. 58 Baukultur lernen, verstehen, planen 86 Michael von der Mühlen im Gespräch Baukultur im Ausstellungsformat Reflexion von Christa Reicher Reflexion von Ursula Kleefisch-Jobst Gewinnspiel 28 Kommentar von Martin Heller Interdisziplinarität An Overview of 10 Years’ Struggling, 90 Demonstrating, Discussing and Mehr Qualität im Planen und Bauen Türen öffnen und das Fremde zulassen 64 Negotiating for More Baukultur Reflexion von Kurt Wettengl english summary by Anne Kraft Quergedachtes und Überraschendes – 34 Wettbewerbe und die Kultur des Planens Querdenken – Umdenken 68 Reflexion von Rudolf Scheuvens modulorbeat im Gespräch Projekte 92 Freiraumkultur – was ist das? 38 Der Einzelne und die Stadt 72 Kommentar von Peter Davids Kommentar von Rebekka Reich Autoren 162 Initiative Baukultur – Was war? Wohin? 42 Dank 168 Reflexion von Karl Ganser Bildnachweis 170 Impressum 172
10 Baukultur in NRW Baukultur in NRW 11 Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Für ein lebenswertes und vielseitiges Nordrhein-Westfalen Die Lebensqualität in Nordrhein-Westfalen ist uns ein und Nachbarschaft möglichst zusammenzubringen, wichtiges Anliegen. Sie hängt ab von der Qualität statt in die Fläche zu gehen. unserer gebauten Umwelt. Vor diesem Hintergrund stehen unsere Städte und Gemeinden vor großen Nähe und Identifikation der Bürgerinnen und Bürger Aufgaben: Es gilt die Zukunft unserer Städte und mit ihrer Stadt ist nur durch einen behutsamen ihrer Menschen gemeinsam zu gestalten. Dabei ist Umgang mit der städtischen Architektur zu erreichen. das Niveau unserer Baukultur ein Zeichen unseres Die Menschen sind nicht für harte Brüche im Stadtbild Wertesystems, die Kultur des Bauens ein Spiegel zu haben. Wir brauchen die Balance von Erhalt und unserer Gesellschaft. Erneuerung. Dörfer, Stadtquartiere und Regionen müssen die Chance haben, ihre Eigenart zu bewah- Das große Einmaleins der Baukultur gilt es bei der ren. Es ist verständlich, dass sich viele Menschen Gestaltung unserer Städte zu beachten: sehen lernen, zunehmend gegen die globale Standardisierung im Zusammenhänge begreifen, Wertmaßstäbe entwickeln. Städtebau wehren. Zur Anziehungskraft unserer Städte gehört ein leben- Ihre Ansprüche an Architektur und regionale Baukul- diges, kulturelles und tolerantes Profil. Die Städte in tur müssen künftig stärker im Vordergrund stehen. Nordrhein-Westfalen haben hohe Standortqualitäten, Deshalb wird die Landesregierung die Baukultur auch die wir sichern müssen. Das bedeutet auch, zu einer weiterhin im Fokus ihrer Aufgaben haben. Neudefinition von Städten zu gelangen. Wir müssen neue Stadtprofile entwickeln, die zeitgemäß sind. Die Geschichte der Stadt ist stetige Veränderung, nie Stillstand. Unsere Städte müssen wieder kompakter werden. Nichtindustrielle Arbeit, umweltverträgliches Hannelore Kraft Gewerbe und attraktives Wohnen lassen sich Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen miteinander vereinbaren und verringern den inner- städtischen Verkehr. Es geht heute darum, Funktionen
12 Baukultur in NRW Baukultur in NRW 13 Minister Harry K. Voigtsberger Baukultur ist eine Haltung StadtBauKultur NRW startete im Jahr 2001, um ein dem Dach der Landesinitiative StadtBauKultur NRW deutlich sichtbares Zeichen für lebens- und liebens- eine positive Entwicklung in Gang gesetzt. Mittler werte Städte und Gemeinden, für einen bewussteren weile ist Baukultur keine Luxusdebatte mehr. Umgang mit den baulichen Zeugnissen der Geschich- Dafür danke ich allen Partnern der Landesinitiative te und für mehr Qualität beim Bauen und Planen zu StadtBauKultur NRW sehr herzlich! setzen. Wir wollen auch künftig mit diesem aktiven Netzwerk Die Fragen und Ziele einer Initiative für Baukultur weiterarbeiten – und noch viele weitere Interessierte sind aktuell geblieben: Wie erreichen wir mehr dazugewinnen. zivilgesellschaftliche Verantwortung für die gebaute Unser Traum: Baukultur wird in Nordrhein-Westfalen Umwelt und mehr bürgerschaftliches Engagement? zu einer großen Bürgerbewegung. Denn Baukultur ist Wie gelingt es uns, eingefahrene Einstellungen und mehr als die Gestaltung unserer Umwelt: Baukultur Verhaltensweisen zu verändern und Zukunftsvisionen ist die Befähigung zur Mitsprache. Baukultur ist eine für unsere Städte und Gemeinden unter verschärften Frage des Bewusstseins. Baukultur ist eine Haltung. klimapolitischen und demografischen Bedingungen zu entwickeln? Gemeinsam mit Ihnen bringen wir unsere Gesellschaft voran und übernehmen Verantwortung für die Vieles haben wir schon erreicht in den vergangenen gebaute Umwelt. zehn Jahren. Gemeinsam mit mehr als 500 Partnern in ganz Nordrhein-Westfalen wurden 112 Projekte unterschiedlichster Art und rund 100 Publikationen zu aktuellen Fragen realisiert. Architekten und Ingenieure, Stadt- und Freiraumplaner, Künstler und Verwaltung, Wohnungswirtschaft und Kultur institutionen, Kommunen wie auch viele Bürger haben Harry K. Voigtsberger inspirierende Ideen und Vorschläge in die Initiative, in Minister für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und die Diskussion über Baukultur, eingebracht. An bereits Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen aufgegebenen Orten haben die Akupunkturen unter
14 15 Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden „Zehn Jahre lang hat Nordrhein-Westfalen über eine spezifische Form von Heimat diskutiert. Viele Menschen haben darüber nachgedacht, wie die bauliche und landschaftliche Schönheit des Landes in historischer Verantwortung weitergegeben werden kann. Es entstanden Meinungen und Haltungen, die weit über diese zehn Jahre hinausreichen. Und jeder, der wie ich Teil dieses Prozesses war, hat gute Erfahrungen gemacht: des sensiblen Umgangs mit dem baulichen Erbe, der Bewusstmachung der eigenen Umwelt und des gemeinsamen Handelns.“ Ulrich Hatzfeld
16 Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden 17 Kommentar von Walter Siebel Die lebenswerte Stadt Der Titel verleitet, Wunschzettel zu verfassen: die gerechte Stadt, die schöne Stadt, die Stadt als vertraute Heimat, die Stadt als Abenteuer. Karl Kraus hatte sich von der lebenswerten Stadt „Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung und Warm- wasserleitung“ gewünscht. Gemütlich, meinte Kraus, sei er selbst – die Stadt als Maschine. Man könnte auch Adorno bemühen: die lebenswerte Stadt ist ein Ort, an dem man „ohne Angst verschieden sein kann“ 1 – die Stadt als Ort der Integration ohne Vernichtung von Differenz. Die Liste der Wunschbilder ließe sich verlängern. Ich will auf ein schlichtes, aber schwer zu erfüllendes Kriterium aufmerksam machen und dazu mit einer unangenehmen, aber nicht unüblichen Geschichte beginnen. Im November 2010 war ich zu einer Tagung über europäische und süd- amerikanische Städte in Santiago de Chile. Gerade zwei Stunden in der Stadt, wurde meiner Frau ihre Kette ziemlich schmerzhaft vom Hals gerissen. Sie hat sich danach nicht mehr allein auf die Stra- ßen getraut. Dabei gilt Santiago noch als vergleichsweise sicher. In Mexico City, so wurde berichtet, hält man an roten Ampeln nicht an, aus Furcht, überfallen zu werden. Es ist ein seltener werden- des Privileg, sorglos aus dem Haus gehen zu können. Das aber ist die grundlegende Voraussetzung für eine wesentliche Qualität der europäischen Stadt, nämlich für ihre öffentlichen Räume. Straßen, Projekt: Liebe deine Stadt, Köln
18 Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden 19 auf denen man sich nur in ständiger Angst vor Überfällen bewegt, Gesellschaften nicht mehr von der Höhe des gesellschaftlichen sind keine öffentlichen Räume. Aber auch formelle und informelle Reichtums, sondern von seiner gerechten Verteilung abhängt: 2 je Kontrollen bedrohen die Öffentlichkeit städtischer Räume. Zugleich geringer die Einkommensungleichheit, desto höher die Zufrieden- sind selbst die dichtesten Kontrollen nur ein Kurieren an Symp- heit, desto besser die psychische und physische Gesundheit, die tomen, noch dazu ein wenig effektives. Meine Frau wurde am hellen sozialen Beziehungen und die Bildung, desto niedriger die Mord Tag auf der belebtesten Straße Santiagos und 30 Meter entfernt rate, die Angst vor Kriminalität, der Drogenkonsum – und das gilt vom nächsten Polizisten beraubt, 30 Meter entfernt vom nächsten für alle Schichten! Polizisten. Kriminalität ist auch ein Reflex extremer sozialer Ungleichheit, also muss diese bekämpft werden. Europäische und Die immer tiefere Spaltung der Gesellschaft und deren Folgen nordamerikanische Städte sind noch weit entfernt von südamerika für das alltägliche Leben in den Städten mit moralischen Appel nischen Verhältnissen, aber sie sind auf dem Weg dorthin. Zwischen len aufhalten zu wollen, scheint wenig aussichtsreich. Aber 1978 und 2007 hat das reichste 1 % der Einkommensbezieher seinen vielleicht verhilft ja das eigene Interesse den wohlsituierten Anteil am Volkseinkommen der USA von 10 auf 25 % mehr als verdop- Bürgern zur Einsicht in die Notwendigkeit einer Politik für mehr pelt, während die Arbeitseinkommen stagnierten. Das heißt, der soziale Gerechtigkeit. „Die besitzenden Klassen müssen aus ihrem gesamte in diesen 30 Jahren zusätzlich geschaffene Reichtum wurde Schlummer aufgerüttelt werden, sie müssen endlich einsehen, dass, von diesem 1 % absorbiert. Seit 20 Jahren öffnet sich auch in selbst wenn sie große Opfer bringen, dies nur … eine bescheidene Deutschland die Einkommensschere. Die Folgen werden auch für die Versicherungs summe ist, mit der sie sich schützen gegen die Epi- Begüterten das Leben in der Stadt nicht mehr lebenswert machen. demien und gegen die sozialen Revolutionen, die kommen müssen“. 3 Dieser Apell des Staatsrechtlers Schmoller stammt von 1890 und ist Ein weißer Arzt in Johannesburg berichtete von seinem Tagesablauf: heute wieder aktuell, auch wenn er an den verzweifelten Wunsch der Morgens verlässt er sein zur Festung ausgebautes Haus im Auto, Oma Meume im Lied von Wolf Biermann erinnert: „Oh Gott, laß Du den fährt in eine bewachte Tiefgarage, von wo ihn ein Aufzug ins Sozialismus siegen“. Fitnessstudio trägt. Dort rennt er eine halbe Stunde auf einem Laufband, fährt runter in die Tiefgarage, mit dem Auto weiter in die bewachte Tiefgarage seiner Klinik, mit dem Aufzug hoch an seinen Arbeitsplatz und abends auf denselben Wegen wieder zurück in sein Haus. Das Haus liegt in der schönsten Landschaft, aber er 1 Adorno, Theodor W.: Minima Moralia, Frankfurt/M 1964 2 Wilkinson, Richard¸ Pickett, Kate: Gleichheit ist Glück. Berlin 2009 wagt nicht, dort zu joggen. Wilkinson und Pickett weisen empirisch 3 Schmoller, Gustav von: Ein Mahnruf in der Wohnungsfrage 1890. In: Frank, H.; nach, dass die Lebensqualität in den westlichen, entwickelten Schubert, D. (Hg): Lesebuch zur Wohnungsfrage. Köln 2009, S.159-174
20 Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden 21 Martin Halfmann Mehr als Schönheit und Effizienz Baukultur und Nachhaltigkeit sind wohl die beiden interdisziplinäre Zusammenarbeit, die mangels gegen- meiststrapazierten Vokabeln der Architekturszene. seitigen Verständnisses immer noch viel zu selten ist. Und das, obwohl sie kaum übersetzbar sind. Tau- Die – auch hochschulpolitisch bedingten – Gräben sende von Büchern tragen die Worte „Baukultur“ zwischen Ingenieuren und Architekten lassen sich oder „Nachhaltigkeit“ im Titel. Da liegt der Schluss nicht ohne weiteres überbrücken. nahe, dass hierzu alles gesagt und geschrieben wurde. Verwirrend und mitunter wenig zielführend Nachhaltigkeit lässt sich aber nicht auf Effizienz redu- ist aber der Blickwinkel, unter dem diese Begriffe zieren. Sie muss als Mindestforderung die dauerhafte im Allgemeinen betrachtet werden. Meist wird die Erträglichkeit von Gebäuden sicherstellen. Diese Ak- Baukultur auf Fragen der Ästhetik reduziert und die zeptanz beinhaltet natürlich auch technische Parame- Nachhaltigkeit auf Aspekte von Energieeffizienz und ter wie klimatische und akustische Raumbedingungen Ressourcenschonung. Schönheit und Effizienz meinen und die Bezahlbarkeit des hierfür benötigten Energie- nicht das Gleiche, und so erscheinen Baukultur und verbrauchs. Sie erstreckt sich aber insbesondere auch Nachhaltigkeit viel zu oft als Gegensatzpaar. Dabei auf Fragen von Architektur und Gestaltung. Mit der sind sie – sinnvoll betrachtet – nur gemeinsam ein Nutzungsdauer unserer Gebäude steigt automatisch solides Fundament unserer gebauten Umwelt. ihre Nachhaltigkeit. Die Nutzungsdauer steht aber in direktem Verhältnis zu Flexibiliät und Akzeptanz. Energieeffizienz und Ressourcenschonung sind Und deshalb sind auch die funktionalen und ästhe ganz wesentliche Voraussetzungen nachhaltiger tischen Aspekte elementare Bestandteile nachhaltiger Architektur. Sie sind aber auch nicht viel mehr als ihre Projektentwicklung. technische Komponente. Es ist bedenklich genug, dass wir Architekten auf die damit verbundenen Und die Baukultur? Sie ist weit mehr als Gestalt Herausforderungen nur ungenügend vorbereitet sind. qualität. Sie ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Diese Defizite lassen sich nur durch Bildung, Wissen Übereinkunft darüber, wie wir mit unseren Städten oder Erfahrung minimieren – und durch intensive und Gebäuden umgehen wollen. Vereinfacht gesagt:
22 Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden 23 Baukultur ist die Summe aller Umstände, die gute vielen beschworen und von wenigen gelebt wird. Es Architektur und Stadtplanung entstehen lassen. Sie scheint unendlich schwierig zu sein, der Gesellschaft dient Gesellschaft, Bauherren, Nutzern und Archi- klar zu machen, was die Baukultur für jeden Einzelnen tekten gleichermaßen und verlangt von allen ein leisten kann. Dazu gehört ein öffentliches Bewusstsein Bekenntnis zu hoher Qualität. Damit wird Baukultur für Architektur und Städtebau und ein Mindestmaß zu einer öffentlichen Angelegenheit, zu einem an kultureller Bildung. Sehen lernen, Zusammenhänge Prozess, der uns alle betrifft. Sie braucht eine breite begreifen, Wertmaßstäbe entwickeln – das ist das gesellschaftliche Basis und setzt qualitätsorientierte große Einmaleins der Baukultur. Es wird vermittelt Bedingungen bei der Vergabe von Bauaufträgen von Verbänden, Kammern und Stiftungen mit einer ebenso voraus wie einen fairen Umgang der Beteilig- Vielzahl von Veranstaltungsreihen und Programmen. ten miteinander und ihre angemessene Honorierung. Diese sind damit in gewisser Hinsicht Volkshoch schulen für Gestaltung. Baukultur ist der sichtbare Ausdruck für die Wert- schätzung, die wir unseren Städten und Gebäuden Der Landesinitiative hilft diese breite Basis aller entgegenbringen. Sie definiert Parameter, die mit wesentlichen Akteure der nordrhein-westfälischen entscheiden über so schwer zu fassende und doch so Bauwelt, deren Beiträge sie richten, koordinieren und wesentliche Dinge wie Wohlbefinden, Zufriedenheit bündeln kann. Ganz wesentlich hierfür ist ihr Einfluss und Glück – in einem Wort: Lebensqualität. Unter die- auf die Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung, die sem Aspekt ist es leicht zu vermitteln, dass Baukultur ministerielle Verankerung und die damit verbundene kein Luxus ist, sondern Notwendigkeit. Akzeptierte Möglichkeit politischer Einflussnahme auf die öffent Gebäude, in denen sich Menschen langfristig wohl- lichen Bauherren. In dieser breiten Basis liegt die fühlen, werden immer zugleich nachhaltige Gebäude große Chance der Initiative: Sie kann Öffentlichkeit sein und Bestandteil der Baukultur. Damit liegen herstellen, Wissensdefizite abbauen, Verständnis beide Aspekte auch im Interesse einer Bauindustrie, verbessern und dadurch einen wesentlichen Beitrag die sich bei der Beauftragung und Honorierung von zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Baukultur leisten. Architekten und der Anerkennung ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Leistung oftmals mit einem Von großer Bedeutung ist auch die regionale Veranke- Qualitätsbekenntnis schwertut. Baukultur und rung als Landesinitiative. Baukultur und Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit begründen gemeinsam die Identität sind ohne örtlichen Bezug schwer vorstellbar. Das unserer Städte und Gebäude, sie prägen die Ästhetik betrifft Ressourcen und kulturelle Identität gleicher- unserer Umwelt und fördern die Identifikation der maßen, wie das Beispiel Vorarlberg beweist. In einem Gesellschaft mit einer gestalteten Umgebung, in der wachsenden Europa ist der regionale Bezug wichtiger sich Anspruch und Selbstverständnis unserer Zeit denn je. Ein gesundes Europa ist also ein Europa der dokumentieren. Regionen. Und Regionalismus ist keine Diskriminie- rung, sondern die Chance zur Identifikation, die die Das Problem der Baukultur besteht darin, dass sie von Wertschätzung der gebauten Umwelt mit einschließt.
24 Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden 25 über die reine Funktionalität hinaus. merationsräume des Wiederaufbaus, Dieses „darüber hinaus“ kann dann der ersten Bergbaukrise und der zum Diskurs zwischen Verwaltung großen Ölkrise in den 1970er Jahren und Politik, zwischen Verwaltung wurde ab Mitte der 1980er Jahre und Bürgerschaft führen. Wir brau- der bisherige technische wie öko- chen nicht nur einen Kindergarten, nomische Fortschrittsbegriff hinter- sondern wir brauchen einen guten fragt und man wandte sich hin zum Kindergarten. Wir brauchen nicht nur Lebensraum Stadt, ihren Quartieren eine Schule, wir brauchen eine Schu- und ihrer Geschichtlichkeit. Ende le, die flexibel für die Veränderungen der 1990er Jahre war der Zeitpunkt in unserer Gesellschaft ist, die sich für ein erneutes Innehalten, für eine in unseren Stadtzusammenhang ein- grundsätzliche Beschäftigung mit der fügt. Baukultur entsteht, wenn diese Frage, wie sich Planungskultur und Achim Dahlheimer und Michael von der Mühlen Fragestellungen nicht als Zusatz, son- die Kultur unserer Städte über den im Gespräch mit Ulrike Rose Baukultur = dern als Bestandteil der alltäglichsten schlichten Funktionsbegriff hinaus Bauaufgaben angesehen werden. – den man neu definieren musste Herausforderung für Dazu braucht es positive Erfahrun- – entwickeln sollten. Die Baukultur- gen. Ich brauche Referenzprojekte. Initiativen sind letztlich ein Versuch Kommunen? Und die Erfahrung, dass die Projekte eines Dialogs darüber, wie eine gefallen, dass sie als bedeutsam und schöne und attraktive Stadt über ihre wichtig empfunden werden. Diese reine Funktionalität hinaus aussehen positiven Erfahrungen aus Wettbe- könnte. werbsverfahren, Diskussionen über Das Land Nordrhein-Westfalen kann Ausschreibungsbedingungen, aus auf zwei Ebenen zu mehr Baukultur Bürgerbeteilung, aus Bürgerakti- beitragen: Wie kann man sicherstellen, dass auf ein Bedürfnis nach Klärung und vierung muss ich verstetigen, um 1. Mit dem guten Beispiel, indem es Baukultur im kommunalen Alltag Selbstvergewisserung verweist, für Baukultur zu etablieren. selbst qualitativ hochwertig baut. Mit nicht untergeht? Wie kann das Land das wir einen gesellschaftlichen Unterstützung von Wettbewerbsver- (mehr) Hilfestellungen geben? Diskurs benötigen. Daraus erge- Dahlheimer: Ich versuche die An- fahren, um nicht nur kostengünstig, ben sich folgende Fragen: Gibt es nährung an das Thema aus einem sondern um kostengünstig und gut von der Mühlen: Interessant ist, diesen Diskurs in der kommunalen etwas anderen Blickwinkel. Die zu bauen. unter welchen gesellschaftlichen Alltagsarbeit? Und auf welche Art Baukultur-Initiativen sind Anfang des 2. Es kann Impulse und Anregungen Bedingungen der Begriff Baukultur und Weise wird dieser geführt? Eine 21. Jahrhunderts aus einer Defizit- für einen anderen Umgang in der relevant wird. In absolutistischen Kommune, die unter dem Diktat der empfindung heraus entstanden: Planung geben und Netzwerke Zeiten, also unter Ludwig XIV. oder Ökonomie, der Wirtschaftlichkeit, Unsere Städte sollen attraktiv, schön anstiften, welche die tägliche Aus in Zeiten des antiken Roms, wurde der Ressourceneffizienz steht, stellt und funktional sein. Aber offensicht- einandersetzung über das „Wie“ vermutlich nie über Baukultur philo- sich in erster Linie die Frage, was die lich klappt dies in der Wahrnehmung guten Bauens forcieren. sophiert. Vermutlich gab es in diesen funktionalen Anforderungen einer vieler Akteure oft nicht. Nach den Baukultur zu wollen ist das eine, Zeiten den Begriff nicht. Wenn wir Bauaufgabe sind und wie man diese ersten kritischen Diskussionen in den Baukultur zu „können“ das andere. heute den Begriff Baukultur ver- mit einem Minimum an Kostenauf- 1960er Jahren über das ungeordnete Baukultur hängt nicht nur an einem wenden, dann ist das ein Indiz, das wand erreicht. Baukultur geht aber Wuchern und Explodieren der Agglo- Mindestmaß an Bildung, sondern
26 Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden 27 auch an einem Mindestmaß an ist und so in den Planungs- und Dahlheimer: Wenn wir von Bau- Finanzen. Baukultur gibt es, ähnlich Bauausschüssen, den Räten und auf kultur-Initiativen sprechen, dann wie Hochkultur, nicht kostenlos. öffentlichen Veranstaltungen Teil der verstehe ich diese als Verkettung kommunalen Projekte wird. von Interventionen. Es gibt ein von der Mühlen: Nun, das ist eine Mikroklima von Baukultur und ein Frage der Betrachtung. Betrachte Dahlheimer: Mehr Baukultur, attrak- Makroklima. Das Mikroklima ist lokal ich die niedrigste Anfangsinvestition tive Gebäude und Quartiere setzen und regional stark beeinflussbar, oder aber einen komplexen Lebens- eine qualifizierte Ausbildung voraus. auch von Einzelpersönlichkeiten. Das lauf? Eine höhere Anfangsinvestition Doch mit einer qualifizierten Ausbil- Makroklima setzt sich logischerweise kann sich im Laufe des Lebenszyklus dung von Architekten und Ingenieu aus viel mehr zusammen. Baukultur- durchaus als wirtschaftlicher heraus- ren schaffe ich nicht automatisch Initiativen können über ein System stellen. mehr Baukultur. Es gibt dort mehr öffentlicher Anregungen, im Sinne Baukultur, wo es einen regionalen von Akupunkturen, also gezielten Werden die Mitarbeiter der oder lokalen Konsens gibt, der das Einzelinterventionen, das Gesamt Kommunen auf baukulturelle schlecht empfundene Bauen stigma- klima ein wenig verändern. Ob sie Herausforderungen ausreichend tisiert. Die Kraft des schlechten Bei- das Klima langfristig verändern vorbereitet? spiels ist mindestens genauso groß, können, hängt davon ab, ob man Dialog über angemessene Planung ständnis wir für diskursive Verfahren Dahlheimer: Auf welchem Niveau wie die Kraft des guten Beispiels. Das diese Akupunkturen als auf Dauer und gutes Bauen unterstützt. finden, um so schneller nähern wir man sich über das „Wie“ des Bauens von der Mühlen: Das ist zum einen bedeutet für eine Kommune, dass angelegte Behandlungsmethode uns einem Verständigungsprozess für verständigt, macht den Kern von eine Frage der Ausbildung an den Baukultur im Kleinen beginnen kann. begreift. Baukultur braucht – wie die Dahlheimer: Eine Initiative für mehr Baukultur. Und diese Prozesse Baukultur aus. Das Level war bislang Hochschulen: Baukultur in die Aus- Durch den öffentlichen Diskurs in Sicherung von Hochkultur – einen Baukultur kann Impulse geben, sich sind im Übrigen das, was wir am oft zu niedrig. Deswegen brauchen bildungsinstitutionen hineinzutragen einer Stadtgesellschaft, einer Region, langen Atem. diskursiven Verfahren zu öffnen. Der besten durch Baukultur-Initiativen wir Initiativen für Baukultur. Die ist fundamental und bedeutet, den kann sich herausbilden, was wir uns Baukultur tut man einen großen Ge- beeinflussen können: Wir können Diskussion darüber, was Baukultur Tunnelblick auf die je eigene Pro- baulich leisten wollen. von der Mühlen: Die Auseinander- fallen, wenn Architekten und Stadt- Menschen überzeugen. ist und was Baukultur sein könnte, fession zu vermeiden. Plattformen setzung über Baukultur findet vor planer die Politik – unter Beteiligung welche Stadt wir wollen – mit und Netzwerke, Fort- und Weiter- Den bisherigen Äußerungen nach Ort statt, also in den Städten. Wer von Bürgerschaft – in das Ringen um von der Mühlen: Diskutieren welchen Funktionen, für wen, in bildungsmaßnahmen zu schaffen ist Baukultur in erster Linie Diskurs, als Stadtbaurat nicht einen seiner die beste Lösung einbeziehen, so über Baukultur bedeutet deutlich welcher Ästhetik – beinhaltet die ist wichtig. Dafür braucht es aber also eine Kommunikationsleistung beruflichen Schwerpunkte auf dass Politik und Öffentlichkeit Optio zu machen, dass das scheinbar Grundfragen der Baukultur. auch die entsprechenden finanziel vieler. Ist Baukultur nicht auch eine Gestaltqualität legt, der hat für mich nen zur Verfügung gestellt werden individuelle Bauen immer auch eine len Rahmenbedingungen. Diese Haltungssache? Wo und wie kann den Job verfehlt. Aber natürlich kann und sie sich dann untereinander über öffentliche Seite hat, für die es einer Europäisches Haus der Stadtkultur | werden akzeptiert, wenn Baukultur eine Landesinitiative für Baukultur eine Landesinitiative die Arbeit vor die Maßstäbe zur Beurteilung dieser Verständigung bedarf. Gelsenkirchen | 09.02.2011 Teil des gesellschaftlichen Diskurses Hilfestellungen geben? Ort unterstützen, in dem sie den Optionen verständigen. Je mehr Ver-
28 Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden 29 Kommentar von Martin Heller Gewinnspiel StadtBauKultur ist ein schönes Wortspiel. Behauptung und Ziel werden darin als selbstverständlich gesetzt. Wer so einen Namen führt, verpflichtet sich für das Ganze, in NRW oder anderswo. Der Zusammenhang ist überall der gleiche: Stadt und Bauen und Kultur sind untrennbar – als Zustand wie als Horizont. Allerdings läuft damit jedes noch so flammende Plädoyer für Baukultur als solches ins Leere. Denn eigentlich verhält es sich mit Baukultur wie mit Kultur überhaupt. Es geht nicht darum, ob man sie hat oder nicht. Kultur ist immer schon da, als Grundbedingung unseres Lebens und Handelns. Entscheidend ist bloß, mit welcher Kultur wir rechnen dürfen und rechnen wollen. Und wie wir versuchen, die Qualitäten dieser Kultur zu bestimmen und zu entwickeln, um damit jene Stadt zu ermöglichen, an die wir glauben. Viele dieser Kulturen scheuen jedes Risiko. Sie wollen nicht mehr, als mit überschaubarem Auf- wand zu haben ist und verkaufen ihre Mutlosigkeit als Pragmatis- mus. Es gibt, zum Beispiel, eine Baukultur der soliden Pflicht erfüllung. Sie weiß, was sie zu tun hat. Ihre Stadt muss funktionieren. Zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger, und als Antwort auf die viel-
30 Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden 31 fältigen Erwartungen, die in deren Alltag zum Ausdruck kommen. Schließlich lehrt die Erfahrung, dass solcher Vielfalt nie wirk- lich beizukommen ist und es darum angebracht scheint, sie zu dis- ziplinieren. Also garantiert die gebaute Stadt eine Grundversor- gung mit dem, was absehbar nötig ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Weitere Beispiele? Die Stadtbaukultur der sicheren Werte. Die der fröhlichen Schaumschlägerei. Oder die des vermeintlich gesunden Menschenverstands. Was das im Einzelnen bedeutet und wie die je- weiligen Städte aussehen, mögen Sie sich gerne selbst ausmalen. Aber natürlich kann dies unseren Hoffnungen auf die Stadt als Labor sozialer Widersprüchlichkeiten, als Brutstätte der Innova tion, als Garantin von Zukunftslösungen nicht genügen. Vieles gibt es, das derartigen Ansprüchen entgegensteht: verkommene Industrie quartiere, gesichtslose Vor- und Zwischenstädte, hilflose Behüb- schungsversuche und die Walzen der Kommerzialisierung. Aber: Wirk- liche Urbanität rechnet mit den Chancen, die einer Stadt auch daraus erwachsen. Darum sind wir gehalten, den Qualitäten dieser Stadt ständig von neuem nachzuspüren. Durch genaues Hinsehen, durch Aufzeigen und Debattieren, durch produktives Streiten über Theorie und Praxis. Nie als Selbstzweck, sondern im Dienste des Ganzen – der jeden Tag überraschend neu gelebten und erfahrenen Stadt und ihrer Entwicklung zu einem Standort. Vor diesem Hintergrund war die Arbeit der Landesinitiative Stadt- BauKultur NRW unverzichtbar wichtig. Sie leistete das, was uns Einzelnen zwangsläufig immer wieder entgleitet und stellte die oft unüberschaubar vielen Fragen in einen größeren, übergreifenden, oft nationalen und internationalen Zusammenhang. Am allerwichtigs- ten jedoch ist, dass hier ein zutiefst politischer Auftrag nicht nur erfüllt, sondern mit Kompetenz, Leidenschaft und Haltung zu Wirkung und Ausstrahlung gebracht wurde. Kurzum: Stadtbaukultur ist nicht einfach zu haben. Aber zu gewinnen.
32 33 Mehr Qualität im Planen und Bauen „Aufenthaltsqualität in den Städten ist den Menschen ein hohes Gut, wie aktuelle Untersuchungen zeigen. Eine qualitätsvolle Stadtentwicklung basiert auf einer Planungs- und Baukultur, die geprägt ist von einer reichen Diskussionslandschaft und Akteuren, die die Schönheit eines Ortes aufspüren, vorhandene Qualitäten erkennen und für den Menschen sensibel weiterentwickeln.“ Magdalena Leyser-Droste
34 Mehr Qualität im Planen und Bauen 35 Rudolf Scheuvens Quergedachtes und Überraschendes – Wettbewerbe und die Kultur des Planens Pro jekt: Temporäre Stadt an besonderen Orten, Mönchengladbach Ohne Wettbewerbe keine Baukultur. Mehr Wettbewerbe – mehr Baukultur. Bauen zu unterstützen. Zurück liegen zehn Jahre Wettbewerbe fördern das Querdenken. Auf diese einfache Formel lässt sich ein zentraler Der Anspruch der IBA wird erweitert. Das Einbringen voller ungewöhnlicher und überraschender Aktionen, Die Auseinandersetzung um die Zukunft von Stadt Anspruch der Internationalen Bauausstellung Emscher von Ideen von außen, der kreative Wettstreit um Workshops, Kampagnen, Wettbewerbe und Insze- und städtischem Leben benötigt ständige Impulse Park zurückführen. Innovationen im Planungsprozess Lösungsansätze sowie vielfältige interdisziplinär ge- nierungen, denen eines gemeinsam war: die stete und Anregungen, benötigt die Reibung an querge- sollten erprobt und Prozesse organisiert werden, prägte Formen der Ideenfindung stehen mittlerweile Auseinandersetzung mit der gebauten Qualität von dachten, überraschenden Ideen und Planungsvor- in denen ein neues Denken und ungewöhnliche für einen enormen verfahrensbezogenen Reichtum Stadt und Freiraum und die konsequente Förderung stellungen. Dies erfordert die Bereitschaft zu neuen, Denkansätze freigesetzt werden. Für die Planungsver- der Planungskultur in Nordrhein-Westfalen, der sich der Qualität beim Planen und Bauen. durchaus auch experimentellen Wegen – auch in Fra- fahren der IBA Emscher Park galt daher prinzipiell die unmittelbar auch auf die Qualität konkreter Vorhaben gen der Durchführung von Wettbewerben. Nicht nur Bewährung in der Konkurrenz und damit der Wett- auswirkt. Dazu beigetragen hat auch die Landes Warum konnten sich Wettbewerbe in den vielfälti- Bilder möglicher Zukünfte sind gefragt, sondern auch bewerb, ohne den es auch kaum möglich gewesen initiative StadtBauKultur NRW, die 2001 mit dem Ziel gen Planungsverfahren so durchsetzen? Der Versuch Ideen dahingehend, wie Prozesse gestaltet, Menschen wäre, Monopole und eingefahrene Vergabepraktiken gegründet wurde, den Strukturwandel in Nordrhein- einiger Erklärungen: zu Teilhabe und Mitwirkung angestiftet und baukul- aufzubrechen. Westfalen durch ein Programm für gutes Planen und turelle Prozesse angestoßen und begleitet werden
36 Mehr Qualität im Planen und Bauen 37 können. Dies war Gegenstand des Landeswettbe- teiligten wäre ein solche Installation und Perspektive werbs Stadt macht Platz – NRW macht Plätze, bei kaum möglich gewesen. dem es vor allem um die Verknüpfung gestalterischer Anforderungen mit jenen des bürgerschaftlichen Wettbewerbe fördern Innovationen. Engagements in der Entwicklung öffentlicher Räume Das Geheimnis innovativer Produktentwicklung be- ging. Es sollte wesentlich mehr solcher Wettbewerbe ruht zumeist auf der Bereitschaft, anders und quer zu geben. Aber dies nur am Rande. denken, zu forschen und zu entwickeln. Sie erfordert den Mut, die Risikofreude und die Begeisterung der Wettbewerbe überraschen. Produktentwickler. Auch die Kultur der Wettbewerbe Es waren sicherlich die ungewöhnlichsten und ist immer eine Kultur des Querdenkens, der neuen gleichermaßen auch erfrischendsten Wettbewerbe, Zugänge und der Innovationen. Beispielsweise in der die im Rahmen der Landesinitiative durchgeführt wur- Verknüpfung baukultureller Anforderungen mit jenen den. Der studentische Wettbewerb Temporäre Stadt des Klimaschutzes, so wie dies Gegenstand des Wett- an besonderen Orten nahm die Frage des baukultu- bewerbs für den Neubau des Fachbereichsgebäudes rellen Wertes temporärer Events und Inszenierungen der Geowissenschaften der Westfälischen-Wilhelms- zu einer lebendigen europäischen Stadtbaukultur in Universität in Münster war. Die Auszeichnung des den Fokus. Frei nach Marcel Prousts Postulat „Der Preisträgerentwurfes mit dem Vorzertifikat in Silber Projekt: SEHEN LERNEN, Essen Vorgang der Entdeckung besteht nicht darin, Neuland der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen zu suchen, sondern das Vorhandene mit anderen unterstreicht den innovativen Anspruch und den Vor- Augen zu sehen.“ entwarfen die Studierenden urbane bildcharakter des Bauvorhabens. Glückwunsch! Situationen und temporäre Installationen, die den Menschen vor Ort zu neuen, mitunter auch über Wettbewerbe sensibilisieren. raschenden Blicken auf die eigene Stadt provozierten. Dass Wettbewerbe auch Spaß machen und motivie- aufgegriffen und vorbildliche Projekte in Nordrhein- zesses aller Beteiligten aus (Fach-)Öffentlichkeit, Politik Großartig! Vor allem wenn ich mich an das Projekt ren können, zeigte der Wettbewerb Türme für Pisa, Westfalen gewürdigt und publiziert. und Verwaltung. Auch weiterhin wird die Entwicklung stAIRWAYs erinnere, bei dem mittels einer temporären über den Schüler auf spielerische Weise mit bautech- der Stadt den Dialog, den Mut zu Visionen, das Rin- Treppen-Brücken-Konstruktion eine ehemals geplante, nischen Fragen und Gesetzmäßigkeiten konfrontiert Wettbewerbe sind Lernprozesse. gen um Qualität und die Auseinandersetzung um das aber nie realisierte, historische Wegeverbindung über und an baukulturelle Fragestellungen herangeführt Über die Kampagnen, Wettbewerbe und Ausstel- benötigen, was Stadt und Urbanität, was die Kultur die Dächer zweier Häuserblocks in Mönchengladbach wurden. Wunderbar! Zudem tragen W ettbewerbe lungen der Landesinitiative wurden unglaublich viele der Stadt und des städtischen Lebens prägt. Es ist der entworfen und letztlich auch für die Dauer von drei dazu bei, baukulturelle Qualitäten einer breiten Menschen erreicht, die in unterschiedlichen Funktio- neuen Landesinitiative zu wünschen, dass sie diese Wochen realisiert wurde. Über 3.000 Mönchenglad- Öffentlichkeit zu vermitteln. Über die Themenwett nen mit baukulturellen Fragestellungen und Heraus- Debatte um die Förderung der Baukultur, letztlich bacherInnen nutzten diese Luftpassage und erhielten bewerbe zum Neuen Wohnen im Alter oder forderungen konfrontiert wurden. Jede Aktion wurde auch über das Medium der Wettbewerbe, weiterhin einen neuen Blick auf die ihnen doch so bekannte zum Innovationspreis Wohnungsbau des L andes so zum Impuls einer öffentlichen baukulturellen De- so erfrischend anregt und mit Leben füllt. Stadt. Ohne das Engagement und den Mut der Be- Nordrhein-Westfalen wurden aktuelle Bauthemen batte und eines breit angelegten Qualifizierungspro-
38 Mehr Qualität im Planen und Bauen 39 Kommentar von Peter Davids Freiraumkultur – was ist das? Freiraum ist dynamisch, verändert sich mit Tages- und Jahres- zeiten oder Wetterbedingungen. Die persönliche Stimmungslage, das individuelle Lebensalter lassen Freiraum unterschiedlich er- scheinen. Moden, Vorlieben, Trends lassen Freiräume aufblühen und unter gehen. Guter Freiraum muss sich darauf einstellen, die Viel- zahl von unbekannten und bekannten Variablen unter einen Hut zu bringen. Freiraum erfüllt gesellschaftliche Aufgaben: Übungs- und Erprobungsraum für motorisches, sensorisches und soziales Lernen. Philosophischer Reflexionsraum über das Woher und Wohin. Regenera- tionsraum, Ruhezone in der Hektik des Tages oder sportlicher Aus- gleich nach der Kopfarbeit. Spielraum ohne Zweck, aber mit Nutzen. Geist und Körper in Balance. Freiraum ist Umweltressource. Wir kommen aus der Natur und wer- den immer abhängig von ihr bleiben – Klima, Wasser, Boden, Luft, Nahrung. Der Ressourcenschutz ist mittlerweile in den Köpfen an- gelangt: Klimawandel auf der einen und politisch vorausschauende Informationsarbeit auf der anderen Seite schärfen zunehmend das Bewusstsein für die produktive Seite von Umwelt und Freiraum.
40 Mehr Qualität im Planen und Bauen 41 Freiraum ist ein Raum-Zeit-Gefüge, ein offenes System, das keine starren Grenzen verträgt, aber ein flexibles Gerüst braucht – Aneignungs fähigkeit und Nutzungsoffenheit in einem umweltpolitisch nachhaltigen Rahmen. Die Form kommt danach, und Freiraum ist nicht immer grün. Doch selten geht es darum, dass Freiräume neu geschaffen oder weiter entwickelt werden. Die zukünftige Aufgabe ist, Freiraum sinnlich zu begreifen und eine Freiraumideologie zu entwickeln, die den Umgang mit Freiraum intelligent, innovativ und nachhaltig kultiviert. Das wäre Freiraumkultur. Die Aufgabe der Politik, der Planer und der Bürger ist es, zukünftig viel stärker unsere (mindestens) fünf Sinne zu aktivie- ren und zu hören, zu riechen, zu schmecken und zu tasten, um dann miteinander zu denken und zu sprechen. Damit wir uns alle einen gemeinsamen Begriff davon machen, welche Bedeutung und Tragweite Freiraum für unsere Natur und Kultur hat. Freiraum darf weder aus kurzfristigen finanziellen Engpässen heraus vernachlässigt und als nebensächliches Luxusthema behandelt werden, noch darf er zum Spielball von Halbwissen und zum Austragungsplatz von Macht gerangel werden. Ebenso wichtig wie das Denken und Sprechen über Freiraum muss das sinnliche Fühlen sein. Gerade Freiraum nehmen wir mit allen Sin- nen auf. Parks, Gärten, Brachen, Äcker, Wiesen, Straßen, Plätze riechen, schmecken, summen, säuseln, sind farbig, bringen Wind, Regen und Sonne auf die Haut, weichen oder harten Boden unter die Füße. Die psycho-physio-sozialen Aspekte, die uns zu gesun- den Individuen und aufgeklärten Bürgern machen, rücken in den gesellschaft lichen Diskursen der breiten Öffentlichkeit zunehmend in den Hintergrund. Akteure wie die Landesinitiative NRW für Bau- kultur haben diesbezüglich noch eine gewaltige Aufklärungs- und Animations arbeit zu leisten.
42 Mehr Qualität im Planen und Bauen 43 „ihren“ Frank O. Gehry. In keiner Epoche wurden in so Das war von Beginn an so und gilt auch im Rückblick kurzer Zeit so viele Museen für Kunst und Geschichte nach zehn Jahren. herbeigezaubert. Sie dienten weniger den Künsten und mehr dem Bauwerk als Signal. Für die Beschreibung und für eine Bewertung der Bemühungen um mehr Baukultur in Nordrhein- In dieser Stimmungslage entstanden die Initiativen für Westfalen sind zwei Linien zu betrachten: Baukultur – ohne den zwingenden Zwischenschritt • Die beredenden und animierenden Aktionen; das einer sorgfältigen Analyse der realen Situation und ist im Kern die Initiative StadtBauKultur NRW. der Ursachen von Fehlentwicklungen. Es wurden • Die Programme im Städtebau und im Denkmal- umstandslos Aktivitäten aneinandergereiht. Archi- schutz, die reale Situationen gestalten. Karl Ganser Initiative Baukultur – tektur und Baukultur gerieten als Wortpaar zum Obwohl beide Stränge in einem Ministerium zu Hause nicht hinterfragten Tandem. Und scheinbar wider- sind und sogar in der gleichen Abteilung, hatten Was war? Wohin? spruchsfrei sollten die daraus destillierten Initiativen sie nur wenig Bezug zueinander. Dabei sind die real den Export „deutscher Architektur“ einerseits und die wirksamen Programme die eigentlich bedeutenden. Bauwirtschaft andererseits voranbringen. Vorbilder Demgegenüber sind die medialen Aktivitäten der der Architekturförderung aus den Niederlanden, aus Initiative StadtBauKultur – im Wesentlichen Reden, Skandinavien oder aus Frankreich wurden in zahl Schriften und Installationen – nur Mittel zum Zweck. reichen Kongressen angepriesen. Auch die Bauwerke der Ingenieure sollten einbezogen sein. Die Denkmale Zu den Realprogrammen zählen vor allem die seien zu schützen und nachhaltig müsse alles sein. Regionalen, die im Gefolge der IBA Emscher Park Nur von Städtebau und der öffentlichen Planung als ab 2000 alle zwei Jahre eine Region des Landes Am Beginn des neuen Jahrtausends entstanden Initia de Meuron … erregten damals mit ihren exaltierten Basis von Baukultur war so gut wie nicht die Rede. unter Vorgaben verändern. Das Ziel: Besser bauen, tiven für Baukultur. Im Rückblick nach zehn Jahren Formen Aufsehen über den engeren Kreis der an Das war kurz skizziert die Ausgangslage anno 2000. Landschaft gestalten, Wirtschaft einbeziehen und so fällt die Antwort auf die Fragen nach dem Anlass Architektur Interessierten hinaus. Und kein deutscher einen nachhaltigen regionalen Impuls hinterlassen. verschwommen aus. Es war wohl die Reaktion der Architekt war dabei! Eine Schande für die große Nordrhein-Westfalen startete mit seiner Initiative noch Diese Regionalen sind einmalig. In keinem anderen Baupolitiker und der Funktionäre in den Architekten- Nation der Architektur. vor dem Bund. Die dortige Initiative wurde unter dem Bundesland gibt es ein ähnliches Programm. Und sie verbänden auf eine widersprüchliche Stimmungslage: damaligen Kurzzeit-Bauminister Klimt aus dem Saar- sind ein Erfolg mit mehr oder weniger Abstrichen von Sie waren leicht erschrocken über die Unkultur des Die global agierenden Unternehmen mit ihren land, eben abgewählter Ministerpräsident, propagiert Fall zu Fall. Nicht im Rampenlicht von „Initiativen“ „Wendewachstums“ auf den vielen neuen Gewerbe- Produktmarken und der zugehörigen Corporate und ein runder Tisch der planenden und bauenden steht leider die segensreiche Alltagswirkung der noch flächen und den zahlreichen Konversionsgebieten. Identity haben die Zeichen-Architektur als höchst Verbände eingerichtet. Auch in Nordrhein-Westfalen immer beispielhaft konzipierten Städtebauförderung Gleichzeitig wollte man teilhaben an der medien- werbewirksam entdeckt. In der Folge bemühten sich fanden die Beratungen vorzugsweise im Kreise von des Landes – auch und gerade in Verbindung mit wirksamen Zeichen-Architektur aus den Büros der kommunale Gebietskörperschaften im Wettbewerb Architekten und Architektenverbänden statt. Im der Denkmalpflege und dem Grundstücksfonds für globalen Stars: Coop Himmelb(l)au, Frank O. Gehry, der Standorte um Bauwerke aus den Werkstätten der Vergleich mit den anderen Bundesländern war die ausgesteuerte Industrieareale. Gerade deshalb sollen Daniel Libeskind, Zaha Hadid, Norman Foster, Renzo Architektur-Götter. So bekamen z.B. neben Düsseldorf Initiative StadtBauKultur in Nordrhein-Westfalen die sie hier im Rahmen einer zehnjährigen Bilanz erwähnt Piano, Jean Nouvel, Santiago Calatrava, Herzog & auch Minden und Herford einen oder genauer gesagt kräftigste und auch die mit der größten Bedeutung. werden.
44 Mehr Qualität im Planen und Bauen 45 Die Initiative StadtBauKultur NRW begann am 30. Au- • Andererseits entstehen Architektur-Highlights mit gust 2000 mit einer Regierungserklärung von Minister internationalem Renommee. präsident Clement. Eben erst war der Wechsel von • Als Begleiterscheinung der zunehmenden Media Johannes Rau zu Wolfgang Clement erfolgt. Das war lisierung … verliert das Bauen mehr und mehr von auch ein Wechsel des Regierungsstils. Die Inszenierung seiner regionalen Prägung. wurde wichtiger als die reale Steuerung. Das passte • Der öffentliche Raum wird vielerorts vernachlässigt. zum Zeitgeist der aufschäumenden „IT-Gesellschaft“. Er wird privatisiert oder „festivalisiert”. Der neue Ministerpräsident verließ die alte, eher • Technische ... Infrastrukturbauwerke erfüllen häufig bescheidene Staatskanzlei und zog in das „Stadttor“ nicht die minimalsten Gestaltungsansprüche. – als Mieter in eine Investoren-Immobilie. Vor diesem • Denkmalschutz und Denkmalpflege ... stehen oft Hintergrund nehmen sich die Formulierungen im zu Unrecht in der öffentlichen Kritik und werden Memorandum der Initiative StadtBauKultur NRW vom pauschal als rückwärtsgewandt, zu aufwändig und März 2002 im positiven Sinn „konservativ“ aus: zu bürokratisch diffamiert. „Mehr Baukultur … gelingt nur, wenn sich Menschen • Qualifizierungsverfahren in Architektur und Städte- dafür engagieren. Baukultur muss Menschen bewe- bau (Ausschreibungen, Wettbewerbe etc.) finden gen, und Menschen müssen Baukultur in Bewegung … immer weniger Akzeptanz. setzen. Baukultur soll in Nordrhein-Westfalen eine • Wünsche, Auffassungen und Wertmaßstäbe der große Bürgerinitiative werden. Ziel ist mehr zivilgesell- Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger entfernen Die Aktivitäten dieser Einrichtung in den vergangenen Wohin sollte sich das Verständnis verändern? schaftliche Verantwortung für die gebaute Umwelt sich zunehmend von der „professionellen Diskus- zehn Jahren sind in dieser Dokumentation aufgelistet • Real oder medial? und mehr bürgerschaftliches Engagement.“ 1 sion“. Bürgerbeteiligung und -mitwirkung werden und die Liste ist lang. Eine Evaluierung der Wirkung • Dauerhaft oder flüchtig? häufig nur noch als „Pflichtverfahren“ verstanden. war bislang nicht angelegt. So fällt eine Bewertung • Original oder Kopie? Auch die Defizit-Analyse in diesem Memorandum ist • Bau- und Planungsaufgaben werden zu wenig als schwer. Der Output ist ohne Zweifel beachtlich und in • Nachhaltig oder verschwenderisch? kompetent und deshalb mutig. Sie liefert die Maß Teile eines Prozesses verstanden. Jede der Fach der Qualität auf der Höhe der Zeit. Insbesondere die • Historisch oder ahistorisch? stäbe für die Bewertung der Erfolge der Initiative nach disziplinen betreibt die isolierte Perfektionierung.“ 2 Installation Sehen lernen gehört zu den bemerkens • Maßstab achtend oder Maßstab sprengend? zehn Jahren: werten Experimenten. Aber wer weiß, ob sich durch • Geordnet oder chaotisch? • „An vielen Orten entstehen einseitig ökonomisch Für die Steuerung der Initiative StadtBauKultur NRW die breit angelegten Aktivitäten das Verständnis • Stadträumlich gebunden oder isoliert? optimierte „Investorenprojekte“ … Eine zentrale wurde das Europäische Haus der Stadtkultur ent für Baukultur in den Köpfen der Menschen, in den • Regional oder global uniform? Rolle spielt die abnehmende Verantwortlichkeit der wickelt. Es erhielt den Auftrag „Ort für Diskussionen, Medien und vor allen Dingen bei den Agierenden in Bauherren ... Kontroversen und Präsentationen“ zu sein. 3 Politik und Bauinvestment verändert hat?
46 Mehr Qualität im Planen und Bauen 47 und den Ersatz derselben durch Un-Kultur zu verhin- gegenwärtige Kürzung der Städtebauförderung des dern. Es gab in den letzten Jahren mehrere hundert Bundes zeigt im Übrigen, wie wenig die bisherigen Bürgerentscheide. Die meisten hatten mit Bauen Aktivitäten der Initiativen bewirkt haben. Staat und zu tun und meistens haben die Bürger gewonnen. Kommunen sollten sich bei konkreten Projekten nicht Die fachlich kompetenten Wegweiser waren dabei länger einseitig den „Investoren“ verpflichtet fühlen. nicht die Initiativen Baukultur. Es waren unabhängige Mit solcher Abhängigkeit lassen sich die Belange Persönlichkeiten mit ausgereiften Maßstäben. der Baukultur nicht gerecht mit anderen Belangen abwägen. Während die Konflikte an strittigen Fällen real ausge- tragen wurden, verharrten die Baukultur-Initiativen Staat und Kommunen sollten bürgerschaftliche Pro- in wohlmeinenden Forderungen, gesprochen im zesse und zivilgesellschaftliche Verantwortung nicht Saal und gedruckt im Buch. Der Begriff „Wutbürger“ länger behindern und in strittigen Vorhaben von sich beschreibt, wie die Menschen in ihrer Ohnmacht aus den Bürgerentscheid suchen. Nach einer Epoche anfangen, Macht zu entfalten. Das relativiert eine gut der neoliberalen Demontage der Stadtplanung als gemeinte „Initiative von Staats wegen“. Das macht Wahrung und Gestaltung der öffentlichen Anliegen ist eine solche Initiative nicht wert- oder wirkungslos. eine Reorganisation derselben notwendig: eleganter, Aber Wirkung ist nur zu erzielen, wenn Position weniger schwerfällig, weniger bürokratisch, aber bezogen wird und das bedeutet Partei ergreifen. bissiger. Unterhalb dieser grundlegenden Ausrichtung kann und soll es sehr wohl eine medial werbende Der Impuls, der anno 2000 zur Initiative für mehr „Initiative Baukultur“ geben. Diese aber sollte sich Baukultur führte, ist nun wohl verflogen. Soll es mit konkreten Projekten gerade in konfliktbeladenen Auf welcher Seite soll Baukultur stehen? So muss man nach zehn Jahren Baukultur-Initiative weitergehen? Und wie? Ja, aber nicht so. Situationen verbinden. Sie sollte „am Fall“ aufzeigen, Der Eindruck ist wohl nicht falsch, dass im Rahmen feststellen: Mutig waren die Initiativen nicht und dass es meist einen besseren Weg gibt. der Initiative Festlegungen vermieden wurden und gefürchtet schon gleich gar nicht. Es gab viel „Salon“ Der Staat sollte sich auf seine ureigenen Aufgaben klare Positionen auch. Um die baukulturelle Misere und wenig „Straße“! besinnen und sich nicht darin gefallen, nur zu Die schärfere Ausformung einer neuen Initiative zu verbessern, wurde aus Fachkreisen heraus immer moderieren oder gar zu parlieren. Im Sinne von mehr Baukultur in Nordrhein-Westfalen sollte dazu führen, wieder die Forderung gestellt, die baukulturelle Wie stand doch im Memorandum von 2002 ge- Baukultur gilt es, den städtebaulichen Rahmen zu dass nicht weiterhin viel von vorhandener Baukultur Bildung der „breiten Massen“ anzugehen, sozusagen schrieben: „Mehr Baukultur … gelingt nur, wenn pflegen als eine vornehmlich öffentliche Aufgabe. verloren geht. Zumeist ist gerade die Abwehr der von der Vorschule an. Schaden kann das nicht. Aber sich Menschen dafür engagieren … Baukultur muss Die modisch gewordenen PPP-Projekte und die schlechten Neuerung die Voraussetzung für die die Hinlenkung des Blicks auf das „ungebildete Volk“ Menschen bewegen, und Menschen müssen Baukul- zugehörigen städtebaulichen Verträge verwischen bessere Lösung und das vernünftigere Projekt. vernebelt die wahre Situation: Was alle Initiativen für tur in Bewegung setzen. Baukultur soll in Nordrhein- die Verantwortlichkeiten. Sie gründen auf der irrigen Baukultur, so auch die in Nordrhein-Westfalen, unter- Westfalen eine große Bürgerinitiative werden. Ziel ist Annahme, dass alle am Prozess Beteiligten gutwillig lassen haben, das ist eine unbestechliche Analyse der mehr zivilgesellschaftliche Verantwortung ...“ 4 im Sinne von Baukultur agieren. Deshalb muss 1 Memorandum zur Initiative StadtBauKultur NRW 03/2002, S. 4 2 Memorandum zur Initiative StadtBauKultur NRW 03/2002, S. 11/12 Prozesse und der Interessen, die zu mehr oder meist Immer mehr Menschen haben sich in Bewegung auch der finanzielle Rahmen für die Förderung des 3 Memorandum zur Initiative StadtBauKultur NRW 03/2002, S. 20/21 zu weniger Baukultur führen. gesetzt, um für den Erhalt von Kultur einzutreten Städtebaus um ein Vielfaches vermehrt werden. Die 4 Memorandum zur Initiative StadtBauKultur NRW 03/2002, S. 4
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