STADTBAUKULTUR NRW 2001-2011

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STADTBAUKULTUR NRW 2001-2011
StadtBauKultur NRW
          2001-2011
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STADTBAUKULTUR NRW 2001-2011
StadtBauKultur NRW   Reflexionen über Baukultur
2001-2011
STADTBAUKULTUR NRW 2001-2011
Inhaltsverzeichnis

Baukultur in Nordrhein-Westfalen           Lebens- und liebenswerte                      Bewusster Umgang mit baulichen              Baukultur anstiften
                                           Städte und Gemeinden                          Zeugnissen der Geschichte
Für ein lebenswertes und              10                                                                                             Baukultur eine Plattform schaffen         78
vielseitiges Nordrhein-Westfalen           Die lebenswerte Stadt                    16   10 Jahre StadtBauKultur NRW            50   Ulrike Rose und Frauke Burgdorff
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft        Kommentar von Walter Siebel                   Hartmut Miksch und Heinrich Bökamp          im Gespräch
                                                                                         im Gespräch
Baukultur ist eine Haltung            12   Mehr als Schönheit und Effizienz         20                                               Baukultur und Kultur: zwei Schwestern?    82
Minister Harry K. Voigtsberger             Reflexion von Martin Halfmann                 Statt aufgeben: Baukultur bewahren     54   Kommentar von Anselm Weber
                                                                                         Kommentar von Markus Harzenetter            und Sabine Reich
                                           Baukultur = Herausforderung für          24
                                           Kommunen? Achim Dahlheimer und                Bewahren. Verstehen. Gestalten.        58   Baukultur lernen, verstehen, planen       86
                                           Michael von der Mühlen im Gespräch            Baukultur im Ausstellungsformat             Reflexion von Christa Reicher
                                                                                         Reflexion von Ursula Kleefisch-Jobst
                                           Gewinnspiel                              28
                                           Kommentar von Martin Heller
                                                                                         Interdisziplinarität                        An Overview of 10 Years’ Struggling,      90
                                                                                                                                     Demonstrating, Discussing and
                                           Mehr Qualität im Planen und Bauen             Türen öffnen und das Fremde zulassen   64   Negotiating for More Baukultur
                                                                                         Reflexion von Kurt Wettengl                 english summary by Anne Kraft
                                           Quergedachtes und Überraschendes –       34
                                           Wettbewerbe und die Kultur des Planens        Querdenken – Umdenken                  68
                                           Reflexion von Rudolf Scheuvens                modulorbeat im Gespräch
                                                                                                                                     Projekte                                  92
                                           Freiraumkultur – was ist das?            38   Der Einzelne und die Stadt             72
                                           Kommentar von Peter Davids                    Kommentar von Rebekka Reich                 Autoren                                  162

                                           Initiative Baukultur – Was war? Wohin?   42                                               Dank                                     168
                                           Reflexion von Karl Ganser
                                                                                                                                     Bildnachweis                             170

                                                                                                                                     Impressum                                172
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    Baukultur in
    Nordrhein-Westfalen
STADTBAUKULTUR NRW 2001-2011
10   Baukultur in NRW                                                                                                              Baukultur in NRW   11

                        Ministerpräsidentin Hannelore Kraft

                        Für ein lebenswertes und
                        vielseitiges Nordrhein-Westfalen

                        Die Lebensqualität in Nordrhein-Westfalen ist uns ein     und Nachbarschaft möglichst zusammenzubringen,
                        wichtiges Anliegen. Sie hängt ab von der Qualität         statt in die Fläche zu gehen.
                        unserer gebauten Umwelt. Vor diesem Hintergrund
                        stehen unsere Städte und Gemeinden vor großen             Nähe und Identifikation der Bürgerinnen und Bürger
                        Aufgaben: Es gilt die Zukunft unserer Städte und          mit ihrer Stadt ist nur durch einen behutsamen
                        ihrer Menschen gemeinsam zu gestalten. Dabei ist          Umgang mit der städtischen Architektur zu erreichen.
                        das Niveau unserer Baukultur ein Zeichen unseres          Die Menschen sind nicht für harte Brüche im Stadtbild
                        Wertesystems, die Kultur des Bauens ein Spiegel           zu haben. Wir brauchen die Balance von Erhalt und
                        unserer Gesellschaft.                                     Erneuerung. Dörfer, Stadtquartiere und Regionen
                                                                                  müssen die Chance haben, ihre Eigenart zu bewah-
                        Das große Einmaleins der Baukultur gilt es bei der        ren. Es ist verständlich, dass sich viele Menschen
                        Gestaltung unserer Städte zu beachten: sehen lernen,      zunehmend gegen die globale Standardisierung im
                        Zusammenhänge begreifen, Wertmaßstäbe entwickeln.         Städtebau wehren.

                        Zur Anziehungskraft unserer Städte gehört ein leben-      Ihre Ansprüche an Architektur und regionale Baukul-
                        diges, kulturelles und tolerantes Profil. Die Städte in   tur müssen künftig stärker im Vordergrund stehen.
                        Nordrhein-Westfalen haben hohe Standortqualitäten,        Deshalb wird die Landesregierung die Baukultur auch
                        die wir sichern müssen. Das bedeutet auch, zu einer       weiterhin im Fokus ihrer Aufgaben haben.
                        Neudefinition von Städten zu gelangen. Wir müssen
                        neue Stadtprofile entwickeln, die zeitgemäß sind.

                        Die Geschichte der Stadt ist stetige Veränderung, nie
                        Stillstand. Unsere Städte müssen wieder kompakter
                        werden. Nichtindustrielle Arbeit, umweltverträgliches     Hannelore Kraft
                        Gewerbe und attraktives Wohnen lassen sich                Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen
                        miteinander vereinbaren und verringern den inner-
                        städtischen Verkehr. Es geht heute darum, Funktionen
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12   Baukultur in NRW                                                                                                                Baukultur in NRW   13

                        Minister Harry K. Voigtsberger

                        Baukultur ist eine Haltung

                        StadtBauKultur NRW startete im Jahr 2001, um ein           dem Dach der Landesinitiative StadtBauKultur NRW
                        deutlich sichtbares Zeichen für lebens- und liebens-       eine positive Entwicklung in Gang gesetzt. Mittler­
                        werte Städte und Gemeinden, für einen bewussteren          weile ist Baukultur keine Luxusdebatte mehr.
                        Umgang mit den baulichen Zeugnissen der Geschich-          Dafür danke ich allen Partnern der Landesinitiative
                        te und für mehr Qualität beim Bauen und Planen zu          StadtBauKultur NRW sehr herzlich!
                        setzen.
                                                                                   Wir wollen auch künftig mit diesem aktiven Netzwerk
                        Die Fragen und Ziele einer Initiative für Baukultur        weiterarbeiten – und noch viele weitere Interessierte
                        sind aktuell geblieben: Wie erreichen wir mehr             dazugewinnen.
                        zivilgesellschaftliche Verantwortung für die gebaute       Unser Traum: Baukultur wird in Nordrhein-Westfalen
                        Umwelt und mehr bürgerschaftliches Engagement?             zu einer großen Bürgerbewegung. Denn Baukultur ist
                        Wie gelingt es uns, eingefahrene Einstellungen und         mehr als die Gestaltung unserer Umwelt: Baukultur
                        Verhaltensweisen zu verändern und Zukunftsvisionen         ist die Befähigung zur Mitsprache. Baukultur ist eine
                        für unsere Städte und Gemeinden unter verschärften         Frage des Bewusstseins. Baukultur ist eine Haltung.
                        klimapolitischen und demografischen Bedingungen zu
                        entwickeln?                                                Gemeinsam mit Ihnen bringen wir unsere Gesellschaft
                                                                                   voran und übernehmen Verantwortung für die
                        Vieles haben wir schon erreicht in den vergangenen         gebaute Umwelt.
                        zehn Jahren. Gemeinsam mit mehr als 500 Partnern
                        in ganz Nordrhein-Westfalen wurden 112 Projekte
                        unterschiedlichster Art und rund 100 Publikationen
                        zu aktuel­len Fragen realisiert. Architekten und
                        Ingenieure, Stadt- und Freiraumplaner, Künstler
                        und Ver­waltung, Wohnungswirtschaft und Kultur­
                        institutionen, Kommunen wie auch viele Bürger haben        Harry K. Voigtsberger
                        inspirierende Ideen und Vorschläge in die Initiative, in   Minister für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und
                        die Diskussion über Baukultur, eingebracht. An bereits     Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen
                        aufgegebenen Orten haben die Akupunkturen unter
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     Lebens- und liebenswerte
     Städte und Gemeinden

                                „Zehn Jahre lang hat Nordrhein-Westfalen über eine spezifische
                                Form von Heimat diskutiert. Viele Menschen haben darüber
                                nachgedacht, wie die bauliche und landschaftliche Schönheit
                                des Landes in historischer Verantwortung weitergegeben werden
                                kann. Es entstanden Meinungen und Haltungen, die weit über
                                diese zehn Jahre hinausreichen. Und jeder, der wie ich Teil dieses
                                Prozesses war, hat gute Erfahrungen gemacht: des sensiblen
                                Umgangs mit dem baulichen Erbe, der Bewusstmachung der
                                eigenen Umwelt und des gemeinsamen Handelns.“
                                Ulrich Hatzfeld
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                                   Kommentar von Walter Siebel
                                   Die lebenswerte Stadt

                                   Der Titel verleitet, Wunschzettel zu verfassen: die gerechte
                                   Stadt, die schöne Stadt, die Stadt als vertraute Heimat, die Stadt
                                   als Abenteuer. Karl Kraus hatte sich von der lebenswerten Stadt
                                   „Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung und Warm-
                                   wasserleitung“ gewünscht. Gemütlich, meinte Kraus, sei er selbst
                                   – die Stadt als Maschine. Man könnte auch Adorno bemühen: die
                                   lebenswerte Stadt ist ein Ort, an dem man „ohne Angst verschieden
                                   sein kann“ 1 – die Stadt als Ort der Integration ohne Vernichtung
                                   von Differenz. Die Liste der Wunschbilder ließe sich verlängern.
                                   Ich will auf ein schlichtes, aber schwer zu erfüllendes Kriterium
                                   aufmerksam machen und dazu mit einer unangenehmen, aber nicht
                                   unüblichen Geschichte beginnen.

                                   Im November 2010 war ich zu einer Tagung über europäische und süd-
                                   amerikanische Städte in Santiago de Chile. Gerade zwei Stunden in
                                   der Stadt, wurde meiner Frau ihre Kette ziemlich schmerzhaft vom
                                   Hals gerissen. Sie hat sich danach nicht mehr allein auf die Stra-
                                   ßen getraut. Dabei gilt Santiago noch als vergleichsweise sicher.
                                   In Mexico City, so wurde berichtet, hält man an roten Ampeln nicht
                                   an, aus Furcht, überfallen zu werden. Es ist ein seltener werden-
                                   des Privileg, sorglos aus dem Haus gehen zu können. Das aber ist
                                   die grundlegende Voraussetzung für eine wesentliche Qualität der
                                   europäischen Stadt, nämlich für ihre öffentlichen Räume. Straßen,

Projekt: Liebe deine Stadt, Köln
STADTBAUKULTUR NRW 2001-2011
18   Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden                                                                              Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden   19

             auf denen man sich nur in ständiger Angst vor Überfällen bewegt,     Gesellschaften nicht mehr von der Höhe des gesellschaftlichen
             sind keine öffentlichen Räume. Aber auch formelle und informelle     Reichtums, sondern von seiner gerechten Verteilung abhängt: 2 je
             Kontrollen bedrohen die Öffentlichkeit städtischer Räume. Zugleich   geringer die Einkommensungleichheit, desto höher die Zufrieden-
             sind selbst die dichtesten Kontrollen nur ein Kurieren an Symp-      heit, desto besser die psychische und physische Gesundheit, die
             tomen, noch dazu ein wenig effektives. Meine Frau wurde am hellen    sozialen Beziehungen und die Bildung, desto niedriger die Mord­
             Tag auf der belebtesten Straße Santiagos und 30 Meter entfernt       rate, die Angst vor Kriminalität, der Drogenkonsum – und das gilt
             vom nächsten Polizisten beraubt, 30 Meter entfernt vom nächsten      für alle Schichten!
             Polizisten. Kriminalität ist auch ein Reflex extremer sozialer
             Ungleichheit, also muss diese bekämpft werden. Europäische und       Die immer tiefere Spaltung der Gesellschaft und deren Folgen
             nordamerikanische Städte sind noch weit entfernt von südamerika­     für das alltägliche Leben in den Städten mit moralischen Appel­
             nischen Verhältnissen, aber sie sind auf dem Weg dorthin. Zwischen   len aufhalten zu wollen, scheint wenig aussichtsreich. Aber
             1978 und 2007 hat das reichste 1 % der Einkommensbezieher seinen     vielleicht verhilft ja das eigene Interesse den wohlsituierten
             Anteil am Volkseinkommen der USA von 10 auf 25 % mehr als verdop-    Bürgern zur Einsicht in die Notwendigkeit einer Politik für mehr
             pelt, während die Arbeitseinkommen stagnierten. Das heißt, der       soziale Gerechtigkeit. „Die besitzenden Klassen müssen aus ihrem
             gesamte in diesen 30 Jahren zusätzlich geschaffene Reichtum wurde    Schlummer aufgerüttelt werden, sie müssen endlich einsehen, dass,
             von diesem 1 % absorbiert. Seit 20 Jahren öffnet sich auch in        selbst wenn sie große Opfer bringen, dies nur … eine bescheidene
             Deutschland die Einkommensschere. Die Folgen werden auch für die     Versicherungs­
                                                                                               summe ist, mit der sie sich schützen gegen die Epi-
             Begüterten das Leben in der Stadt nicht mehr lebenswert machen.      demien und gegen die sozialen Revolutionen, die kommen müssen“. 3
                                                                                  Dieser Apell des Staatsrechtlers Schmoller stammt von 1890 und ist
             Ein weißer Arzt in Johannesburg berichtete von seinem Tagesablauf:   heute wieder aktuell, auch wenn er an den verzweifelten Wunsch der
             Morgens verlässt er sein zur Festung ausgebautes Haus im Auto,       Oma Meume im Lied von Wolf Biermann erinnert: „Oh Gott, laß Du den
             fährt in eine bewachte Tiefgarage, von wo ihn ein Aufzug ins         Sozialismus siegen“.
             Fitnessstudio trägt. Dort rennt er eine halbe Stunde auf einem
             Laufband, fährt runter in die Tiefgarage, mit dem Auto weiter in
             die bewachte Tiefgarage seiner Klinik, mit dem Aufzug hoch an
             seinen Arbeitsplatz und abends auf denselben Wegen wieder zurück
             in sein Haus. Das Haus liegt in der schönsten Landschaft, aber er    1 Adorno, Theodor W.: Minima Moralia, Frankfurt/M 1964
                                                                                  2 Wilkinson, Richard¸ Pickett, Kate: Gleichheit ist Glück. Berlin 2009
             wagt nicht, dort zu joggen. Wilkinson und Pickett weisen empirisch   3 Schmoller, Gustav von: Ein Mahnruf in der Wohnungsfrage 1890. In: Frank, H.;
             nach, dass die Lebensqualität in den westlichen, entwickelten          Schubert, D. (Hg): Lesebuch zur Wohnungsfrage. Köln 2009, S.159-174
20   Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden                                                                                        Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden   21

                                                     Martin Halfmann

                                                     Mehr als Schönheit
                                                     und Effizienz

                                                     Baukultur und Nachhaltigkeit sind wohl die beiden          interdisziplinäre Zusammenarbeit, die mangels gegen-
                                                     meiststrapazierten Vokabeln der Architekturszene.          seitigen Verständnisses immer noch viel zu selten ist.
                                                     Und das, obwohl sie kaum übersetzbar sind. Tau-            Die – auch hochschulpolitisch bedingten – Gräben
                                                     sende von Büchern tragen die Worte „Baukultur“             zwischen Ingenieuren und Architekten lassen sich
                                                     oder „Nachhaltigkeit“ im Titel. Da liegt der Schluss       nicht ohne weiteres überbrücken.
                                                     nahe, dass hierzu alles gesagt und geschrieben
                                                     wurde. Verwirrend und mitunter wenig zielführend           Nachhaltigkeit lässt sich aber nicht auf Effizienz redu-
                                                     ist aber der Blickwinkel, unter dem diese Begriffe         zieren. Sie muss als Mindestforderung die dauerhafte
                                                     im Allgemeinen betrachtet werden. Meist wird die           Erträglichkeit von Gebäuden sicherstellen. Diese Ak-
                                                     Baukultur auf Fragen der Ästhetik reduziert und die        zeptanz beinhaltet natürlich auch technische Parame-
                                                     Nachhaltigkeit auf Aspekte von Energieeffizienz und        ter wie klimatische und akustische Raum­bedingungen
                                                     Ressourcenschonung. Schönheit und Effizienz meinen         und die Bezahlbarkeit des hierfür benötigten Energie-
                                                     nicht das Gleiche, und so erscheinen Baukultur und         verbrauchs. Sie erstreckt sich aber insbesondere auch
                                                     Nachhaltigkeit viel zu oft als Gegensatzpaar. Dabei        auf Fragen von Architektur und Gestaltung. Mit der
                                                     sind sie – sinnvoll betrachtet – nur gemeinsam ein         Nutzungsdauer unserer Gebäude steigt automatisch
                                                     solides Fundament unserer gebauten Umwelt.                 ihre Nachhaltigkeit. Die Nutzungsdauer steht aber
                                                                                                                in direktem Verhältnis zu Flexibiliät und Akzeptanz.
                                                     Energieeffizienz und Ressourcenschonung sind               Und deshalb sind auch die funktio­nalen und ästhe­
                                                     ganz wesentliche Voraussetzungen nachhaltiger              tischen Aspekte elementare Bestandteile nachhaltiger
                                                     Architektur. Sie sind aber auch nicht viel mehr als ihre   Projektentwicklung.
                                                     technische Komponente. Es ist bedenklich genug,
                                                     dass wir Architekten auf die damit verbundenen             Und die Baukultur? Sie ist weit mehr als Gestalt­
                                                     Herausforderungen nur ungenügend vorbereitet sind.         qualität. Sie ist Ausdruck einer gesellschaftlichen
                                                     Diese Defizite lassen sich nur durch Bildung, Wissen       Übereinkunft darüber, wie wir mit unseren Städten
                                                     oder Erfahrung minimieren – und durch intensive            und Gebäuden umgehen wollen. Vereinfacht gesagt:
22   Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden                                                                                  Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden   23

                Baukultur ist die Summe aller Umstände, die gute          vielen beschworen und von wenigen gelebt wird. Es
                Architektur und Stadtplanung entstehen lassen. Sie        scheint unendlich schwierig zu sein, der Gesellschaft
                dient Gesellschaft, Bauherren, Nutzern und Archi-         klar zu machen, was die Baukultur für jeden Einzelnen
                tekten gleichermaßen und verlangt von allen ein           leisten kann. Dazu gehört ein öffentliches Bewusstsein
                Bekenntnis zu hoher Qualität. Damit wird Baukultur        für Architektur und Städtebau und ein Mindestmaß
                zu einer öffentlichen Angelegenheit, zu einem             an kultureller Bildung. Sehen lernen, Zusammenhänge
                Prozess, der uns alle betrifft. Sie braucht eine breite   begreifen, Wertmaßstäbe entwickeln – das ist das
                gesellschaftliche Basis und setzt qualitätsorientierte    große Einmaleins der Baukultur. Es wird vermittelt
                Bedingungen bei der Vergabe von Bauaufträgen              von Verbänden, Kammern und Stiftungen mit einer
                ebenso voraus wie einen fairen Umgang der Beteilig-       Vielzahl von Veranstaltungsreihen und Programmen.
                ten miteinander und ihre angemessene Honorierung.         Diese sind damit in gewisser Hinsicht Volkshoch­
                                                                          schulen für Gestaltung.
                Baukultur ist der sichtbare Ausdruck für die Wert-
                schätzung, die wir unseren Städten und Gebäuden           Der Landesinitiative hilft diese breite Basis aller
                entgegenbringen. Sie definiert Parameter, die mit­        wesentlichen Akteure der nordrhein-westfälischen
                entscheiden über so schwer zu fassende und doch so        Bauwelt, deren Beiträge sie richten, koordinieren und
                wesentliche Dinge wie Wohlbefinden, Zufriedenheit         bündeln kann. Ganz wesentlich hierfür ist ihr Einfluss
                und Glück – in einem Wort: Lebensqualität. Unter die-     auf die Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung, die
                sem Aspekt ist es leicht zu vermitteln, dass Baukultur    ministerielle Verankerung und die damit verbundene
                kein Luxus ist, sondern Notwendigkeit. Akzeptierte        Möglichkeit politischer Einflussnahme auf die öffent­
                Gebäude, in denen sich Menschen langfristig wohl-         lichen Bauherren. In dieser breiten Basis liegt die
                fühlen, werden immer zugleich nachhaltige Gebäude         große Chance der Initiative: Sie kann Öffentlichkeit
                sein und Bestandteil der Baukultur. Damit liegen          herstellen, Wissensdefizite abbauen, Verständnis
                beide Aspekte auch im Interesse einer Bauindustrie,       verbessern und dadurch einen wesentlichen Beitrag
                die sich bei der Beauftragung und Honorierung von         zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Baukultur leisten.
                Architekten und der Anerkennung ihrer kulturellen
                und gesellschaftlichen Leistung oftmals mit einem         Von großer Bedeutung ist auch die regionale Veranke-
                Qualitätsbekenntnis schwertut. Baukultur und              rung als Landesinitiative. Baukultur und Nachhaltigkeit
                Nachhaltigkeit begründen gemeinsam die Identität          sind ohne örtlichen Bezug schwer vorstellbar. Das
                unserer Städte und Gebäude, sie prägen die Ästhetik       betrifft Ressourcen und kulturelle Identität gleicher-
                unserer Umwelt und fördern die Identifikation der         maßen, wie das Beispiel Vorarlberg beweist. In einem
                Gesellschaft mit einer gestalteten Umgebung, in der       wachsenden Europa ist der regionale Bezug wichtiger
                sich Anspruch und Selbstverständnis unserer Zeit          denn je. Ein gesundes Europa ist also ein Europa der
                dokumentieren.                                            Regionen. Und Regionalismus ist keine Diskriminie-
                                                                          rung, sondern die Chance zur Identifikation, die die
                Das Problem der Baukultur besteht darin, dass sie von     Wertschätzung der gebauten Umwelt mit einschließt.
24   Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden                                                                                                                                25

                                                                                               über die reine Funktionalität hinaus.     merationsräume des Wiederaufbaus,
                                                                                               Dieses „darüber hinaus“ kann dann         der ersten Bergbaukrise und der
                                                                                               zum Diskurs zwischen Verwaltung           großen Ölkrise in den 1970er Jahren
                                                                                               und Politik, zwischen Verwaltung          wurde ab Mitte der 1980er Jahre
                                                                                               und Bürgerschaft führen. Wir brau-        der bisherige technische wie öko-
                                                                                               chen nicht nur einen Kindergarten,        nomische Fortschrittsbegriff hinter-
                                                                                               sondern wir brauchen einen guten          fragt und man wandte sich hin zum
                                                                                               Kindergarten. Wir brauchen nicht nur      Lebensraum Stadt, ihren Quartieren
                                                                                               eine Schule, wir brauchen eine Schu-      und ihrer Geschichtlichkeit. Ende
                                                                                               le, die flexibel für die Veränderungen    der 1990er Jahre war der Zeitpunkt
                                                                                               in unserer Gesellschaft ist, die sich     für ein erneutes Innehalten, für eine
                                                                                               in unseren Stadtzusammenhang ein-         grundsätzliche Beschäftigung mit der
                                                                                               fügt. Baukultur entsteht, wenn diese      Frage, wie sich Planungskultur und
     Achim Dahlheimer und Michael von der Mühlen                                               Fragestellungen nicht als Zusatz, son-    die Kultur unserer Städte über den
     im Gespräch mit Ulrike Rose

     Baukultur =
                                                                                               dern als Bestandteil der alltäglichsten   schlichten Funktionsbegriff hinaus
                                                                                               Bauaufgaben angesehen werden.             – den man neu definieren musste

     Herausforderung für
                                                                                               Dazu braucht es positive Erfahrun-        – entwickeln sollten. Die Baukultur-
                                                                                               gen. Ich brauche Referenzprojekte.        Initiativen sind letztlich ein Versuch

     Kommunen?
                                                                                               Und die Erfahrung, dass die Projekte      eines Dialogs darüber, wie eine
                                                                                               gefallen, dass sie als bedeutsam und      schöne und attraktive Stadt über ihre
                                                                                               wichtig empfunden werden. Diese           reine Funktiona­lität hinaus aussehen
                                                                                               positiven Erfahrungen aus Wettbe-         könnte.
                                                                                               werbsverfahren, Diskussionen über         Das Land Nordrhein-Westfalen kann
                                                                                               Ausschreibungsbedingungen, aus            auf zwei Ebenen zu mehr Baukultur
                                                                                               Bürgerbeteilung, aus Bürgerakti-          beitragen:
     Wie kann man sicherstellen, dass                auf ein Bedürfnis nach Klärung und        vierung muss ich verstetigen, um          1. Mit dem guten Beispiel, indem es
     Baukultur im kommunalen Alltag                  Selbstvergewisserung verweist, für        Baukultur zu etablieren.                  selbst qualitativ hochwertig baut. Mit
     nicht untergeht? Wie kann das Land              das wir einen gesellschaftlichen                                                    Unterstützung von Wettbewerbsver-
     (mehr) Hilfestellungen geben?                   Diskurs benötigen. Daraus erge-           Dahlheimer: Ich versuche die An-          fahren, um nicht nur kostengünstig,
                                                     ben sich folgende Fragen: Gibt es         nährung an das Thema aus einem            sondern um kostengünstig und gut
     von der Mühlen: Interessant ist,                diesen Diskurs in der kommunalen          etwas anderen Blickwinkel. Die            zu bauen.
     unter welchen gesellschaftlichen                Alltagsarbeit? Und auf welche Art         Baukultur-Initiativen sind Anfang des     2. Es kann Impulse und ­Anregungen
     Bedingungen der Begriff Baukultur               und Weise wird dieser geführt? Eine       21. Jahrhunderts aus einer Defizit-       für einen anderen Umgang in der
     relevant wird. In absolutistischen              Kommune, die unter dem Diktat der         empfindung heraus entstanden:             Planung geben und Netzwerke
     Zeiten, also unter Ludwig XIV. oder             Ökonomie, der Wirtschaftlichkeit,         Unsere Städte sollen attraktiv, schön     anstiften, welche die tägliche Aus­
     in Zeiten des antiken Roms, wurde               der Ressourceneffizienz steht, stellt     und funktional sein. Aber offensicht-     einandersetzung über das „Wie“
     vermutlich nie über Baukultur philo-            sich in erster Linie die Frage, was die   lich klappt dies in der Wahrnehmung       guten Bauens forcieren.
     sophiert. Vermutlich gab es in diesen           funktionalen Anforderungen einer          vieler Akteure oft nicht. Nach den        Baukultur zu wollen ist das eine,
     Zeiten den Begriff nicht. Wenn wir              Bauaufgabe sind und wie man diese         ersten kritischen Diskussionen in den     Baukultur zu „können“ das andere.
     heute den Begriff Baukultur ver-                mit einem Minimum an Kostenauf-           1960er Jahren über das ungeordnete        Baukultur hängt nicht nur an einem
     wenden, dann ist das ein Indiz, das             wand erreicht. Baukultur geht aber        Wuchern und Explodieren der Agglo-        Mindestmaß an Bildung, sondern
26   Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden                                                                                                                                                                                                                27

     auch an einem Mindestmaß an                     ist und so in den Planungs- und          Dahlheimer: Wenn wir von Bau-
     Finanzen. Baukultur gibt es, ähnlich            Bauausschüssen, den Räten und auf        kultur-Initiativen sprechen, dann
     wie Hochkultur, nicht kostenlos.                öffentlichen Veranstaltungen Teil der    verstehe ich diese als Verkettung
                                                     kommunalen Projekte wird.                von Interventionen. Es gibt ein
     von der Mühlen: Nun, das ist eine                                                        Mikroklima von Baukultur und ein
     Frage der Betrachtung. Betrachte                Dahlheimer: Mehr Baukultur, attrak-      Makroklima. Das Mikroklima ist lokal
     ich die niedrigste Anfangsinvestition           tive Gebäude und Quartiere setzen        und regional stark beeinflussbar,
     oder aber einen komplexen Lebens-               eine qualifizierte Ausbildung voraus.    auch von Einzelpersönlichkeiten. Das
     lauf? Eine höhere Anfangsinvestition            Doch mit einer qualifizierten Ausbil-    Makroklima setzt sich logischerweise
     kann sich im Laufe des Lebenszyklus             dung von Architekten und Ingenieu­       aus viel mehr zusammen. Baukultur-
     durchaus als wirtschaftlicher heraus-           ren schaffe ich nicht automatisch        Initiativen können über ein System
     stellen.                                        mehr Baukultur. Es gibt dort mehr        öffentlicher Anregungen, im Sinne
                                                     Baukultur, wo es einen regionalen        von Akupunkturen, also gezielten
     Werden die Mitarbeiter der                      oder lokalen Konsens gibt, der das       Einzelinterventionen, das Gesamt­
     ­Kommunen auf baukulturelle                     schlecht empfundene Bauen stigma-        klima ein wenig verändern. Ob sie
      Herausforderungen ausreichend                  tisiert. Die Kraft des schlechten Bei-   das Klima langfristig verändern
      vorbereitet?                                   spiels ist mindestens genauso groß,      können, hängt davon ab, ob man           Dialog über angemessene Planung          ständnis wir für diskursive Verfahren      Dahlheimer: Auf welchem Niveau
                                                     wie die Kraft des guten Beispiels. Das   diese Akupunkturen als auf Dauer         und gutes Bauen unterstützt.             finden, um so schneller nähern wir         man sich über das „Wie“ des Bauens
     von der Mühlen: Das ist zum einen               bedeutet für eine Kommune, dass          angelegte Behandlungsmethode                                                      uns einem Verständigungsprozess für        verständigt, macht den Kern von
     eine Frage der Ausbildung an den                Baukultur im Kleinen beginnen kann.      begreift. Baukultur braucht – wie die    Dahlheimer: Eine Initiative für          mehr Baukultur. Und diese Prozesse         Baukultur aus. Das Level war bislang
     Hochschulen: Baukultur in die Aus-              Durch den öffentlichen Diskurs in        Sicherung von Hochkultur – einen         Baukultur kann Impulse geben, sich       sind im Übrigen das, was wir am            oft zu niedrig. Deswegen brauchen
     bildungsinstitutionen hineinzutragen            einer Stadtgesellschaft, einer Region,   langen Atem.                             diskursiven Verfahren zu öffnen. Der     besten durch Baukultur-Initiativen         wir Initiativen für Baukultur. Die
     ist fundamental und bedeutet, den               kann sich herausbilden, was wir uns                                               Baukultur tut man einen großen Ge-       beeinflussen können: Wir können            Diskussion darüber, was Baukultur
     Tunnelblick auf die je eigene Pro-              baulich leisten wollen.                  von der Mühlen: Die Auseinander-         fallen, wenn Architekten und Stadt-      Menschen überzeugen.                       ist und was Baukultur sein ­könnte,
     fession zu vermeiden. Plattformen                                                        setzung über Baukultur findet vor        planer die Politik – unter Beteiligung                                              ­welche Stadt wir wollen – mit
     und Netzwerke, Fort- und Weiter-                Den bisherigen Äußerungen nach           Ort statt, also in den Städten. Wer      von Bürgerschaft – in das Ringen um      von der Mühlen: Diskutieren                 welchen Funktionen, für wen, in
     bildungsmaßnahmen zu schaffen                   ist Baukultur in erster Linie Diskurs,   als Stadtbaurat nicht einen seiner       die beste Lösung einbeziehen, so         über Baukultur bedeutet deutlich            welcher ­Ästhetik – beinhaltet die
     ist wichtig. Dafür braucht es aber              also eine Kommunikationsleistung         beruflichen Schwerpunkte auf             dass Politik und Öffentlichkeit Optio­   zu ­machen, dass das scheinbar              Grund­fragen der Baukultur.
     auch die entsprechenden finanziel­              vieler. Ist Baukultur nicht auch eine    Gestaltqualität legt, der hat für mich   nen zur Verfügung gestellt werden        ­individuelle Bauen immer auch eine
     len Rahmenbedingungen. Diese                    Haltungssache? Wo und wie kann           den Job verfehlt. Aber natürlich kann    und sie sich dann untereinander über      öffentliche Seite hat, für die es einer   Europäisches Haus der Stadtkultur |
     werden akzeptiert, wenn Baukultur               eine Landesinitiative für Baukultur      eine Landesinitiative die Arbeit vor     die Maßstäbe zur Beurteilung dieser       Verständigung bedarf.                     Gelsenkirchen | 09.02.2011
     Teil des gesellschaftlichen Diskurses           Hilfestellungen geben?                   Ort unterstützen, in dem sie den         Optionen verständigen. Je mehr Ver-
28   Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden                                 29

             Kommentar von Martin Heller
             Gewinnspiel

             StadtBauKultur ist ein schönes Wortspiel. Behauptung und Ziel
             werden darin als selbstverständlich gesetzt. Wer so einen Namen
             führt, verpflichtet sich für das Ganze, in NRW oder anderswo. Der
             Zusammenhang ist überall der gleiche: Stadt und Bauen und Kultur
             sind untrennbar – als Zustand wie als Horizont. Allerdings läuft
             damit jedes noch so flammende Plädoyer für Baukultur als solches
             ins Leere. Denn eigentlich verhält es sich mit Baukultur wie mit
             Kultur überhaupt. Es geht nicht darum, ob man sie hat oder nicht.
             Kultur ist immer schon da, als Grundbedingung unseres Lebens und
             Handelns. Entscheidend ist bloß, mit welcher Kultur wir rechnen
             dürfen und rechnen wollen. Und wie wir versuchen, die Qualitäten
             dieser Kultur zu bestimmen und zu entwickeln, um damit jene Stadt
             zu ermöglichen, an die wir glauben. Viele dieser Kulturen scheuen
             jedes Risiko. Sie wollen nicht mehr, als mit überschaubarem Auf-
             wand zu haben ist und verkaufen ihre Mutlosigkeit als Pragmatis-
             mus.

             Es gibt, zum Beispiel, eine Baukultur der soliden Pflicht­
                                                                      erfüllung.
             Sie weiß, was sie zu tun hat. Ihre Stadt muss funktionieren. Zum
             Wohl der Bürgerinnen und Bürger, und als Antwort auf die viel-
30                                        Lebens- und liebenswerte Städte und Gemeinden   31

     fältigen Erwartungen, die in deren Alltag zum Ausdruck kommen.
     Schließlich lehrt die Erfahrung, dass solcher Vielfalt nie wirk-
     lich beizukommen ist und es darum angebracht scheint, sie zu dis-
     ziplinieren. Also garantiert die gebaute Stadt eine Grundversor-
     gung mit dem, was absehbar nötig ist. Nicht mehr, aber auch nicht
     weniger.

     Weitere Beispiele? Die Stadtbaukultur der sicheren Werte. Die der
     fröhlichen Schaumschlägerei. Oder die des vermeintlich gesunden
     Menschenverstands. Was das im Einzelnen bedeutet und wie die je-
     weiligen Städte aussehen, mögen Sie sich gerne selbst ausmalen.
     Aber natürlich kann dies unseren Hoffnungen auf die Stadt als
     Labor sozialer Widersprüchlichkeiten, als Brutstätte der Innova­
     ­
     tion, als Garantin von Zukunftslösungen nicht genügen. ­Vieles gibt
     es, das derartigen Ansprüchen entgegensteht: verkommene Industrie­
     quartiere, gesichtslose Vor- und Zwischenstädte, hilflose Behüb-
     schungsversuche und die Walzen der Kommerzialisierung. Aber: Wirk-
     liche Urbanität rechnet mit den Chancen, die einer Stadt auch
     daraus erwachsen. Darum sind wir gehalten, den Qualitäten dieser
     Stadt ständig von neuem nachzuspüren. Durch genaues Hinsehen,
     durch Aufzeigen und Debattieren, durch produktives Streiten über
     Theorie und Praxis. Nie als Selbstzweck, sondern im Dienste des
     Ganzen – der jeden Tag überraschend neu gelebten und erfahrenen
     Stadt und ihrer Entwicklung zu einem Standort.

     Vor diesem Hintergrund war die Arbeit der Landesinitiative Stadt-
     BauKultur NRW unverzichtbar wichtig. Sie leistete das, was uns
     Einzelnen zwangsläufig immer wieder entgleitet und stellte die oft
     unüberschaubar vielen Fragen in einen größeren, übergreifenden,
     oft nationalen und internationalen Zusammenhang. Am allerwichtigs-
     ten jedoch ist, dass hier ein zutiefst politischer Auftrag nicht
     nur erfüllt, sondern mit Kompetenz, Leidenschaft und Haltung zu
     Wirkung und Ausstrahlung gebracht wurde.

     Kurzum: Stadtbaukultur ist nicht einfach zu haben.
     Aber zu gewinnen.
32                                                                                  33

                                                                 Mehr Qualität im
                                                                 Planen und Bauen

     „Aufenthaltsqualität in den Städten ist den Menschen
     ein hohes Gut, wie aktuelle Untersuchungen zeigen.
     Eine qualitätsvolle Stadtentwicklung basiert auf einer
     Planungs- und Baukultur, die geprägt ist von einer
     reichen Diskussionslandschaft und Akteuren, die die
     Schönheit eines Ortes aufspüren, vorhandene Qualitäten
     erkennen und für den Menschen sensibel weiterentwickeln.“
     Magdalena Leyser-Droste
34                                                                                                                                                                                                                        Mehr Qualität im Planen und Bauen   35

        Rudolf Scheuvens

        Quergedachtes und
        Überraschendes –
        Wettbewerbe und
        die Kultur des Planens                                                                                        Pro jekt: Temporäre Stadt an besonderen Orten, Mönchengladbach

     Ohne Wettbewerbe keine Baukultur.                        Mehr Wettbewerbe – mehr Baukultur.                                Bauen zu unterstützen. Zurück liegen zehn Jahre        Wettbewerbe fördern das Querdenken.
     Auf diese einfache Formel lässt sich ein zentraler       Der Anspruch der IBA wird erweitert. Das Einbringen               voller ungewöhnlicher und überraschender Aktionen,     Die Auseinandersetzung um die Zukunft von Stadt
     Anspruch der Internationalen Bauausstellung Emscher      von Ideen von außen, der kreative Wettstreit um                   Workshops, Kampagnen, Wettbewerbe und Insze-           und städtischem Leben benötigt ständige Impulse
     Park zurückführen. Innovationen im Planungsprozess       Lösungsansätze sowie vielfältige interdisziplinär ge-             nierungen, denen eines gemeinsam war: die stete        und Anregungen, benötigt die Reibung an querge-
     sollten erprobt und Prozesse organisiert werden,         prägte Formen der Ideenfindung stehen mittler­weile               Auseinandersetzung mit der gebauten Qualität von       dachten, überraschenden Ideen und Planungsvor-
     in denen ein neues Denken und ungewöhnliche              für einen enormen verfahrensbezogenen Reichtum                    Stadt und Freiraum und die konsequente Förderung       stellungen. Dies erfordert die Bereitschaft zu neuen,
     Denkansätze freigesetzt werden. Für die Planungsver-     der Planungskultur in Nordrhein-Westfalen, der sich               der Qualität beim Planen und Bauen.                    durchaus auch experimentellen Wegen – auch in Fra-
     fahren der IBA Emscher Park galt daher prinzipiell die   unmittelbar auch auf die Qualität konkreter Vorhaben                                                                     gen der Durchführung von Wettbewerben. Nicht nur
     Bewährung in der Konkurrenz und damit der Wett-          auswirkt. Dazu beigetragen hat auch die Landes­                   Warum konnten sich Wettbewerbe in den vielfälti-       Bilder möglicher Zukünfte sind gefragt, sondern auch
     bewerb, ohne den es auch kaum möglich gewesen            initiative StadtBauKultur NRW, die 2001 mit dem Ziel              gen Planungsverfahren so durchsetzen? Der Versuch      Ideen dahingehend, wie Prozesse gestaltet, Menschen
     wäre, Monopole und eingefahrene Vergabepraktiken         gegründet wurde, den Strukturwandel in Nordrhein-                 einiger Erklärungen:                                   zu Teilhabe und Mitwirkung angestiftet und baukul-
     aufzubrechen.                                            Westfalen durch ein Programm für gutes Planen und                                                                        turelle Prozesse angestoßen und begleitet werden
36   Mehr Qualität im Planen und Bauen                                                                                                                                                                                                                          37

                 können. Dies war Gegenstand des Landeswettbe-           teiligten wäre ein solche Installation und Perspektive
                 werbs Stadt macht Platz – NRW macht Plätze, bei         kaum möglich gewesen.
                 dem es vor allem um die Verknüpfung gestalterischer
                 Anforderungen mit jenen des bürgerschaftlichen          Wettbewerbe fördern Innovationen.
                 Engagements in der Entwicklung öffentlicher Räume       Das Geheimnis innovativer Produktentwicklung be-
                 ging. Es sollte wesentlich mehr solcher Wettbewerbe     ruht zumeist auf der Bereitschaft, anders und quer zu
                 geben. Aber dies nur am Rande.                          denken, zu forschen und zu entwickeln. Sie erfordert
                                                                         den Mut, die Risikofreude und die Begeisterung der
                 Wettbewerbe überraschen.                                Produktentwickler. Auch die Kultur der Wettbewerbe
                 Es waren sicherlich die ungewöhnlichsten und            ist immer eine Kultur des Querdenkens, der neuen
                 gleicher­maßen auch erfrischendsten Wettbewerbe,        Zugänge und der Innovationen. Beispielsweise in der
                 die im Rahmen der Landesinitiative durchgeführt wur-    Verknüpfung baukultureller Anforderungen mit jenen
                 den. Der studentische Wettbewerb Temporäre Stadt        des Klimaschutzes, so wie dies Gegenstand des Wett-
                 an besonderen Orten nahm die Frage des baukultu-        bewerbs für den Neubau des Fachbereichsgebäudes
                 rellen Wertes temporärer Events und Inszenierungen      der Geowissenschaften der Westfälischen-Wilhelms-
                 zu einer lebendigen europäischen Stadtbaukultur in      Universität in Münster war. Die Auszeichnung des
                 den Fokus. Frei nach Marcel Prousts Postulat „Der       Preisträgerentwurfes mit dem Vorzertifikat in Silber                                                                                                            Projekt: SEHEN LERNEN, Essen
                 Vorgang der Entdeckung besteht nicht darin, Neuland     der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
                 zu suchen, sondern das Vorhandene mit anderen           unterstreicht den innovativen Anspruch und den Vor-
                 Augen zu sehen.“ entwarfen die Studierenden urbane      bildcharakter des Bauvorhabens. Glückwunsch!
                 Situationen und temporäre Installationen, die den
                 Menschen vor Ort zu neuen, mitunter auch über­          Wettbewerbe sensibilisieren.
                 raschenden Blicken auf die eigene Stadt provozierten.   Dass Wettbewerbe auch Spaß machen und motivie-           auf­gegriffen und vorbildliche Projekte in Nordrhein-   zesses aller Beteiligten aus (Fach-)Öffentlichkeit, Politik
                 Großartig! Vor allem wenn ich mich an das Projekt       ren können, zeigte der Wettbewerb Türme für Pisa,        Westfalen gewürdigt und publiziert.                     und Verwaltung. Auch weiterhin wird die Entwicklung
                 stAIRWAYs erinnere, bei dem mittels einer temporären    über den Schüler auf spielerische Weise mit bautech-                                                             der Stadt den Dialog, den Mut zu Visionen, das Rin-
                 Treppen-Brücken-Konstruktion eine ehemals geplante,     nischen Fragen und Gesetzmäßigkeiten konfrontiert        Wettbewerbe sind Lernprozesse.                          gen um Qualität und die Auseinandersetzung um das
                 aber nie realisierte, historische Wegeverbindung über   und an baukulturelle Fragestellungen herangeführt        Über die Kampagnen, Wettbewerbe und Ausstel-            benötigen, was Stadt und Urbanität, was die Kultur
                 die Dächer zweier Häuserblocks in Mönchengladbach       wurden. Wunderbar! Zudem tragen W     ­ ettbewerbe       lungen der Landesinitiative wurden unglaublich viele    der Stadt und des städtischen Lebens prägt. Es ist der
                 entworfen und letztlich auch für die Dauer von drei     dazu bei, baukulturelle Qualitäten einer breiten         Menschen erreicht, die in unterschiedlichen Funktio-    neuen Landesinitiative zu wünschen, dass sie diese
                 Wochen realisiert wurde. Über 3.000 Mönchenglad-        Öffentlichkeit zu vermitteln. Über die Themenwett­       nen mit baukulturellen Fragestellungen und Heraus-      Debatte um die Förderung der Baukultur, letztlich
                 bacherInnen nutzten diese Luftpassage und erhielten     bewerbe zum Neuen Wohnen im Alter oder                   forderungen konfrontiert wurden. Jede Aktion wurde      auch über das Medium der Wettbewerbe, weiterhin
                 einen neuen Blick auf die ihnen doch so bekannte        zum Innovations­preis Wohnungsbau des L­ andes           so zum Impuls einer öffentlichen baukulturellen De-     so erfrischend anregt und mit Leben füllt.
                 Stadt. Ohne das Engagement und den Mut der Be-          Nordrhein-Westfalen wurden aktuelle Bauthemen            batte und eines breit angelegten Qualifizierungspro-
38   Mehr Qualität im Planen und Bauen                                            39

             Kommentar von Peter Davids
             Freiraumkultur – was
             ist das?

             Freiraum ist dynamisch, verändert sich mit Tages- und Jahres-
             zeiten oder Wetterbedingungen. Die persönliche Stimmungslage,
             das ­
                 individuelle Lebensalter lassen Freiraum unterschiedlich er-
             scheinen. Moden, Vorlieben, Trends lassen Freiräume aufblühen und
             unter­
                  gehen. Guter Freiraum muss sich darauf einstellen, die Viel-
             zahl von unbekannten und bekannten Variablen unter einen Hut zu
             bringen. Freiraum erfüllt gesellschaftliche Aufgaben: Übungs- und
             Erprobungsraum für motorisches, sensorisches und soziales Lernen.
             Philosophischer Reflexionsraum über das Woher und Wohin. Regenera-
             tionsraum, Ruhezone in der Hektik des Tages oder sportlicher Aus-
             gleich nach der Kopfarbeit. Spielraum ohne Zweck, aber mit Nutzen.
             Geist und Körper in Balance.

             Freiraum ist Umweltressource. Wir kommen aus der Natur und wer-
             den immer abhängig von ihr bleiben – Klima, Wasser, Boden, Luft,
             Nahrung. Der Ressourcenschutz ist mittlerweile in den Köpfen an-
             gelangt: Klimawandel auf der einen und politisch vorausschauende
             Informationsarbeit auf der anderen Seite schärfen zunehmend das
             Bewusstsein für die produktive Seite von Umwelt und Freiraum.
40                                                  Mehr Qualität im Planen und Bauen   41

     Freiraum ist ein Raum-Zeit-Gefüge, ein offenes System, das k­eine
     starren Grenzen verträgt, aber ein flexibles Gerüst braucht –
     Aneignungs­
               fähigkeit und Nutzungsoffenheit in einem umweltpolitisch
     nachhaltigen Rahmen. Die Form kommt danach, und Freiraum ist nicht
     immer grün.

     Doch selten geht es darum, dass Freiräume neu geschaffen oder
     weiter­
           entwickelt werden. Die zukünftige Aufgabe ist, Freiraum
     sinnlich zu begreifen und eine Freiraumideologie zu entwickeln,
     die den Umgang mit Freiraum intelligent, innovativ und nachhaltig
     kultiviert. Das wäre Freiraumkultur.

     Die Aufgabe der Politik, der Planer und der Bürger ist es,
     zukünftig viel stärker unsere (mindestens) fünf Sinne zu aktivie-
     ­
     ren und zu hören, zu riechen, zu schmecken und zu tasten, um dann
     miteinander zu denken und zu sprechen. Damit wir uns alle einen
     gemeinsamen Begriff davon machen, welche Bedeutung und Trag­weite
     Freiraum für unsere Natur und Kultur hat. Freiraum darf w­eder
     aus kurzfristigen finanziellen Engpässen heraus vernachlässigt und
     als nebensächliches Luxusthema behandelt werden, noch darf er
     zum Spielball von Halbwissen und zum Austragungsplatz von Macht­
     gerangel werden.

     Ebenso wichtig wie das Denken und Sprechen über Freiraum muss das
     sinnliche Fühlen sein. Gerade Freiraum nehmen wir mit allen Sin-
     nen auf. Parks, Gärten, Brachen, Äcker, Wiesen, Straßen, Plätze
     riechen, schmecken, summen, säuseln, sind farbig, bringen Wind,
     ­
     Regen und Sonne auf die Haut, weichen oder harten Boden unter
     die Füße. Die psycho-physio-sozialen Aspekte, die uns zu gesun-
     den ­
         Individuen und aufgeklärten Bürgern machen, rücken in den
     gesellschaft­
                 lichen Diskursen der breiten Öffentlichkeit zunehmend
     in den Hinter­grund. Akteure wie die Landesinitiative NRW für Bau-
     kultur haben diesbezüglich noch eine gewaltige Aufklärungs- und
     Animations­
               arbeit zu leisten.
42                                                                                                                                                                                                                Mehr Qualität im Planen und Bauen   43

                                                                                                                    „ihren“ Frank O. Gehry. In keiner Epoche wurden in so      Das war von Beginn an so und gilt auch im Rückblick
                                                                                                                    kurzer Zeit so viele Museen für Kunst und Geschichte       nach zehn Jahren.
                                                                                                                    herbeigezaubert. Sie dienten weniger den Künsten
                                                                                                                    und mehr dem Bauwerk als Signal.                           Für die Beschreibung und für eine Bewertung der
                                                                                                                                                                               Bemühungen um mehr Baukultur in Nordrhein-
                                                                                                                    In dieser Stimmungslage entstanden die Initiativen für     Westfalen sind zwei Linien zu betrachten:
                                                                                                                    Baukultur – ohne den zwingenden Zwischenschritt            • Die beredenden und animierenden Aktionen; das
                                                                                                                    einer sorgfältigen Analyse der realen Situation und             ist im Kern die Initiative StadtBauKultur NRW.
                                                                                                                    der Ursachen von Fehlentwicklungen. Es wurden              • Die Programme im Städtebau und im Denkmal-
                                                                                                                    umstandslos Aktivitäten aneinandergereiht. Archi-               schutz, die reale Situationen gestalten.
     Karl Ganser

     Initiative Baukultur –
                                                                                                                    tektur und Baukultur gerieten als Wortpaar zum             Obwohl beide Stränge in einem Ministerium zu Hause
                                                                                                                    nicht hinterfragten Tandem. Und scheinbar wider-           sind und sogar in der gleichen Abteilung, hatten

     Was war? Wohin?
                                                                                                                    spruchsfrei sollten die daraus destillierten Initiativen   sie nur wenig Bezug zueinander. Dabei sind die real
                                                                                                                    den Export „deutscher Architektur“ einerseits und die      wirksamen Programme die eigentlich bedeutenden.
                                                                                                                    Bauwirtschaft andererseits voranbringen. Vorbilder         Demgegenüber sind die medialen Aktivitäten der
                                                                                                                    der Architekturförderung aus den Niederlanden, aus         ­Initiative StadtBauKultur – im Wesentlichen Reden,
                                                                                                                    Skandinavien oder aus Frankreich wurden in zahl­            Schriften und Installationen – nur Mittel zum Zweck.
                                                                                                                    reichen Kongressen angepriesen. Auch die Bauwerke
                                                                                                                    der Ingenieure sollten einbezogen sein. Die Denk­male      Zu den Realprogrammen zählen vor allem die
                                                                                                                    seien zu schützen und nachhaltig müsse alles sein.         Regionalen, die im Gefolge der IBA Emscher Park
                                                                                                                    Nur von Städtebau und der öffentlichen Planung als         ab 2000 alle zwei Jahre eine Region des Landes
     Am Beginn des neuen Jahrtausends entstanden Initia­    de Meuron … erregten damals mit ihren exaltierten       Basis von Baukultur war so gut wie nicht die Rede.         unter Vorgaben verändern. Das Ziel: Besser bauen,
     tiven für Baukultur. Im Rückblick nach zehn Jahren     Formen Aufsehen über den engeren Kreis der an           Das war kurz skizziert die Ausgangslage anno 2000.         Landschaft gestalten, Wirtschaft einbeziehen und so
     fällt die Antwort auf die Fragen nach dem Anlass       Architektur Interessierten hinaus. Und kein deutscher                                                              einen nachhaltigen regionalen Impuls hinterlassen.
     verschwommen aus. Es war wohl die Reaktion der         Architekt war dabei! Eine Schande für die große         Nordrhein-Westfalen startete mit seiner Initiative noch    Diese Regionalen sind einmalig. In keinem anderen
     Baupolitiker und der Funktionäre in den Architekten-   Nation der Architektur.                                 vor dem Bund. Die dortige Initiative wurde unter dem       Bundesland gibt es ein ähnliches Programm. Und sie
     verbänden auf eine widersprüchliche Stimmungslage:                                                             damaligen Kurzzeit-Bauminister Klimt aus dem Saar-         sind ein Erfolg mit mehr oder weniger Abstrichen von
     Sie waren leicht erschrocken über die Unkultur des     Die global agierenden Unternehmen mit ihren             land, eben abgewählter Ministerpräsident, propagiert       Fall zu Fall. Nicht im Rampenlicht von „Initiativen“
     „Wendewachstums“ auf den vielen neuen Gewerbe-         Produktmarken und der zugehörigen Corporate             und ein runder Tisch der planenden und bauenden            steht leider die segensreiche Alltagswirkung der noch
     flächen und den zahlreichen Konversionsgebieten.       Identity haben die Zeichen-Architektur als höchst       Verbände eingerichtet. Auch in Nordrhein-Westfalen         immer beispielhaft konzipierten Städtebauförderung
     Gleichzeitig wollte man teilhaben an der medien-       werbewirksam entdeckt. In der Folge bemühten sich       fanden die Beratungen vorzugsweise im Kreise von           des Landes – auch und gerade in Verbindung mit
     wirksamen Zeichen-Architektur aus den Büros der        kommunale Gebietskörperschaften im Wettbewerb           Architekten und Architektenverbänden statt. Im             der Denkmalpflege und dem Grundstücksfonds für
     globalen Stars: Coop Himmelb(l)au, Frank O. Gehry,     der Standorte um Bauwerke aus den Werkstätten der       Vergleich mit den anderen Bundesländern war die            ausgesteuerte Industrieareale. Gerade deshalb sollen
     Daniel Libeskind, Zaha Hadid, Norman Foster, Renzo     Architektur-Götter. So bekamen z.B. neben Düsseldorf    Initiative StadtBauKultur in Nordrhein-Westfalen die       sie hier im Rahmen einer zehnjährigen Bilanz erwähnt
     Piano, Jean Nouvel, Santiago Calatrava, Herzog &       auch Minden und Herford einen oder genauer gesagt       kräftigste und auch die mit der größten Bedeutung.         werden.
44   Mehr Qualität im Planen und Bauen                                                                                                                                                                                                          45

                 Die Initiative StadtBauKultur NRW begann am 30. Au-         • Andererseits entstehen Architektur-Highlights mit
                 gust 2000 mit einer Regierungserklärung von Minister­         internationalem Renommee.
                 präsident Clement. Eben erst war der Wechsel von            • Als Begleiterscheinung der zunehmenden Media­
                 Johannes Rau zu Wolfgang Clement erfolgt. Das war             lisierung … verliert das Bauen mehr und mehr von
                 auch ein Wechsel des Regierungsstils. Die Inszenierung        seiner regionalen Prägung.
                 wurde wichtiger als die reale Steuerung. Das passte         • Der öffentliche Raum wird vielerorts vernachlässigt.
                 zum Zeitgeist der aufschäumenden „IT-Gesellschaft“.           Er wird privatisiert oder „festivalisiert”.
                 Der neue Ministerpräsident verließ die alte, eher           • Technische ... Infrastrukturbauwerke erfüllen häufig
                 bescheidene Staatskanzlei und zog in das „Stadttor“           nicht die minimalsten Gestaltungsansprüche.
                 – als Mieter in eine Investoren-Immobilie. Vor diesem       • Denkmalschutz und Denkmalpflege ... stehen oft
                 Hintergrund nehmen sich die Formulierungen im                 zu Unrecht in der öffentlichen Kritik und werden
                 Memorandum der Initiative StadtBauKultur NRW vom              pauschal als rückwärtsgewandt, zu aufwändig und
                 März 2002 im positiven Sinn „konservativ“ aus:                zu bürokratisch diffamiert.
                 „Mehr Baukultur … gelingt nur, wenn sich Menschen           • Qualifizierungsverfahren in Architektur und Städte-
                 dafür engagieren. Baukultur muss Menschen bewe-               bau (Ausschreibungen, Wettbewerbe etc.) finden
                 gen, und Menschen müssen Baukultur in Bewegung                … immer weniger Akzeptanz.
                 setzen. Baukultur soll in Nordrhein-Westfalen eine          • Wünsche, Auffassungen und Wertmaßstäbe der
                 große Bürgerinitiative werden. Ziel ist mehr zivilgesell-     Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger entfernen             Die Aktivitäten dieser Einrichtung in den vergangenen   Wohin sollte sich das Verständnis verändern?
                 schaftliche Verantwortung für die gebaute Umwelt              sich zunehmend von der „professionellen Diskus-           zehn Jahren sind in dieser Dokumentation aufgelistet    • Real oder medial?
                 und mehr bürgerschaftliches Engagement.“ 1                    sion“. Bürgerbeteiligung und -mitwirkung werden           und die Liste ist lang. Eine Evaluierung der Wirkung    • Dauerhaft oder flüchtig?
                                                                               häufig nur noch als „Pflichtverfahren“ verstanden.        war bislang nicht angelegt. So fällt eine Bewertung     • Original oder Kopie?
                 Auch die Defizit-Analyse in diesem Memorandum ist           • Bau- und Planungsaufgaben werden zu wenig als             schwer. Der Output ist ohne Zweifel beachtlich und in   • Nachhaltig oder verschwenderisch?
                 kompetent und deshalb mutig. Sie liefert die Maß­             Teile eines Prozesses verstanden. Jede der Fach­          der Qualität auf der Höhe der Zeit. Insbesondere die    • Historisch oder ahistorisch?
                 stäbe für die Bewertung der Erfolge der Initiative nach       disziplinen betreibt die isolierte Perfektionierung.“ 2   Installation Sehen lernen gehört zu den bemerkens­      • Maßstab achtend oder Maßstab sprengend?
                 zehn Jahren:                                                                                                            werten Experimenten. Aber wer weiß, ob sich durch       • Geordnet oder chaotisch?
                 • „An vielen Orten entstehen einseitig ökonomisch           Für die Steuerung der Initiative StadtBauKultur NRW         die breit angelegten Aktivitäten das Verständnis        • Stadträumlich gebunden oder isoliert?
                    optimierte „Investorenprojekte“ … Eine zentrale          wurde das Europäische Haus der Stadtkultur ent­             für Baukultur in den Köpfen der Menschen, in den        • Regional oder global uniform?
                    Rolle spielt die abnehmende Verantwortlichkeit der       wickelt. Es erhielt den Auftrag „Ort für Diskussionen,      Medien und vor allen Dingen bei den Agierenden in
                    Bauherren ...                                            Kontroversen und Präsentationen“ zu sein. 3                 Politik und Bauinvestment verändert hat?
46                                                                                                                                                                                                                          Mehr Qualität im Planen und Bauen   47

                                                                                                                        und den Ersatz derselben durch Un-Kultur zu verhin-      gegenwärtige Kürzung der Städtebauförderung des
                                                                                                                        dern. Es gab in den letzten Jahren mehrere hundert       Bundes zeigt im Übrigen, wie wenig die bisherigen
                                                                                                                        Bürgerentscheide. Die meisten hatten mit Bauen           Aktivitäten der Initiativen bewirkt haben. Staat und
                                                                                                                        zu tun und meistens haben die Bürger gewonnen.           Kommunen sollten sich bei konkreten Projekten nicht
                                                                                                                        Die fachlich kompetenten Wegweiser waren dabei           länger einseitig den „Investoren“ verpflichtet fühlen.
                                                                                                                        nicht die Initiativen Baukultur. Es waren unabhängige    Mit solcher Abhängigkeit lassen sich die Belange
                                                                                                                        Persönlichkeiten mit ausgereiften Maßstäben.             der Baukultur nicht gerecht mit anderen Belangen
                                                                                                                                                                                 abwägen.
                                                                                                                        Während die Konflikte an strittigen Fällen real ausge-
                                                                                                                        tragen wurden, verharrten die Baukultur-Initiativen      Staat und Kommunen sollten bürgerschaftliche Pro-
                                                                                                                        in wohlmeinenden Forderungen, gesprochen im              zesse und zivilgesellschaftliche Verantwortung nicht
                                                                                                                        Saal und gedruckt im Buch. Der Begriff „Wutbürger“       länger behindern und in strittigen Vorhaben von sich
                                                                                                                        beschreibt, wie die Menschen in ihrer Ohnmacht           aus den Bürgerentscheid suchen. Nach einer Epoche
                                                                                                                        anfangen, Macht zu entfalten. Das relativiert eine gut   der neoliberalen Demontage der Stadtplanung als
                                                                                                                        gemeinte „Initiative von Staats wegen“. Das macht        Wahrung und Gestaltung der öffentlichen Anliegen ist
                                                                                                                        eine solche Initiative nicht wert- oder wirkungslos.     eine Reorganisation derselben notwendig: eleganter,
                                                                                                                        Aber Wirkung ist nur zu erzielen, wenn Position          weniger schwerfällig, weniger bürokratisch, aber
                                                                                                                        bezogen wird und das bedeutet Partei ergreifen.          bissiger. Unterhalb dieser grundlegenden Ausrichtung
                                                                                                                                                                                 kann und soll es sehr wohl eine medial werbende
                                                                                                                        Der Impuls, der anno 2000 zur Initiative für mehr        „Initiative Baukultur“ geben. Diese aber sollte sich
                                                                                                                        Baukultur führte, ist nun wohl verflogen. Soll es        mit konkreten Projekten gerade in konfliktbeladenen
     Auf welcher Seite soll Baukultur stehen?                  So muss man nach zehn Jahren Baukultur-Initiative        weitergehen? Und wie? Ja, aber nicht so.                 Situationen verbinden. Sie sollte „am Fall“ aufzeigen,
     Der Eindruck ist wohl nicht falsch, dass im Rahmen        feststellen: Mutig waren die Initiativen nicht und                                                                dass es meist einen besseren Weg gibt.
     der Initiative Festlegungen vermieden wurden und          gefürchtet schon gleich gar nicht. Es gab viel „Salon“   Der Staat sollte sich auf seine ureigenen Aufgaben
     klare Positionen auch. Um die baukulturelle Misere        und wenig „Straße“!                                      besinnen und sich nicht darin gefallen, nur zu           Die schärfere Ausformung einer neuen Initiative
     zu verbessern, wurde aus Fachkreisen heraus immer                                                                  moderieren oder gar zu parlieren. Im Sinne von mehr      Baukultur in Nordrhein-Westfalen sollte dazu führen,
     wieder die Forderung gestellt, die baukulturelle          Wie stand doch im Memorandum von 2002 ge-                Baukultur gilt es, den städtebaulichen Rahmen zu         dass nicht weiterhin viel von vorhandener Baukultur
     Bildung der „breiten Massen“ anzugehen, sozusagen         schrieben: „Mehr Baukultur … gelingt nur, wenn           pflegen als eine vornehmlich öffentliche Aufgabe.        verloren geht. Zumeist ist gerade die Abwehr der
     von der Vorschule an. Schaden kann das nicht. Aber        sich Menschen dafür engagieren … Baukultur muss          Die modisch gewordenen PPP-Projekte und die              schlechten Neuerung die Voraussetzung für die
     die Hinlenkung des Blicks auf das „ungebildete Volk“      Menschen bewegen, und Menschen müssen Baukul-            zugehörigen städtebaulichen Verträge verwischen          bessere Lösung und das vernünftigere Projekt.
     vernebelt die wahre Situation: Was alle Initiativen für   tur in Bewegung setzen. Baukultur soll in Nordrhein-     die Verantwortlichkeiten. Sie gründen auf der irrigen
     Baukultur, so auch die in Nordrhein-Westfalen, unter-     Westfalen eine große Bürgerinitiative werden. Ziel ist   Annahme, dass alle am Prozess Beteiligten gutwillig
     lassen haben, das ist eine unbestechliche Analyse der     mehr zivilgesellschaftliche Verantwortung ...“ 4         im Sinne von Baukultur agieren. Deshalb muss             1   Memorandum zur Initiative StadtBauKultur NRW 03/2002, S. 4
                                                                                                                                                                                 2   Memorandum zur Initiative StadtBauKultur NRW 03/2002, S. 11/12
     Prozesse und der Interessen, die zu mehr oder meist       Immer mehr Menschen haben sich in Bewegung               auch der finanzielle Rahmen für die Förderung des        3   Memorandum zur Initiative StadtBauKultur NRW 03/2002, S. 20/21
     zu weniger Baukultur führen.                              gesetzt, um für den Erhalt von Kultur einzutreten        Städtebaus um ein Vielfaches vermehrt werden. Die        4   Memorandum zur Initiative StadtBauKultur NRW 03/2002, S. 4
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