Argentinien: Leben nach dem Currency Board?!
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EMERGING MARKETS INSIGHT Dienstag, 24. Juli 2001 Abteilung Volkswirtschaft + Information Argentinien: Leben nach dem Currency Board?! • Die Diskussion um eine Verbesserung der Perspektiven Argentiniens beinhaltet als einen zentralen Lösungsvorschlag die Aufgabe des „Currency Board“. Damit würde eine größe- re Flexibilität im außenwirtschaftlichen Sektor erreicht. • Was sind die Folgen der Aufgabe des Currency Board? Wenn sich der Wechselkurs ex- akt an der in den vergangenen Jahren erfahrenen realen Aufwertung gegenüber den wichtigsten Handelspartnern orientiert, so müsste eine Abwertung von etwa 25 % eintre- ten. Auf breiterer Basis ergibt sich ein Anpassungsbedarf von 20 %. • Gleichfalls müsste die argentinische Zentralbank aber eine ausgefeilte Geldpolitik entwi- ckeln, um ein gleichwertiges Substitut für das „Currency Board“ zu schaffen. Hier wäre mit einer Anpassungsfrist von mindestens einem Jahr zu rechnen. 1. Die argentinischen Exportunternehmen ächzen unter den Einschränkungen des „Cur- rency Board“, welches eine besonders strikte Form der Wechselkursbindung dar- stellt und den argentinischen Peso im Verhältnis 1:1 zum US-Dollar fixiert. Nach einer Beseitigung dieser strengen Regel und der daraufhin zu erwartenden Abwertung würden die Unternehmen eine unmittelbare Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Konkurrenten erfahren. Ob die Aufgabe des Currency Board wirklich das Ei des Kolumbus ist, bleibt fraglich: Die niedrige Außenhandelsquote (unter 10 %) und der hohe Grad an Dollarisierung der argentinischen Volkswirtschaft (v.a. Kredite von Privaten sind in US-Dollar denominiert) sind die prominentesten Gegenargumente (vgl. EMI vom 12.07.2001). Zudem bieten sich bisher wenig Beispiele, in welcher Form und mit welchen Folgen die Aufgabe eines Cur- rency Board erfolgen kann. Empirische Evidenz liefern lediglich Malaysia und Singa- pur, die 1973 eine Abkehr vom Currency Board vollzogen. Dabei muss aber berücksic h- tigt werden, dass diese Länder den Schritt aus einer Position der Stärke heraus voll- zogen und daher in Folge auch keine destabilisierende Entwicklung (bspw. Kapitalflucht) hinnehmen mussten. Die argentinische Regierung hingegen hat das Vertrauen von in- und ausländischen Investoren weitestgehend verspielt und lebte bisher allein von der Verbindlichkeit in der Wirtschaftspolitik, die durch das Currency Board erzeugt wurde. Alle Angaben wurden sorgfältig recherchiert und zusammengestellt. Eine Gewähr für ihre Richtigkeit kann aber nicht übernommen werden.
2 Trotz dieser widersprüchlichen Argumente soll die Option, das Currency Board auf- zugeben, en Detail diskutiert werden. Sowohl auf Druck der internationalen Finanzmärkte als auch im Zuge der stets innovativen Reformen von Wirtschaftsminister Cavallo er- scheint ein Aufgeben realistisch. Im Zuge dessen tritt dann auch die bisher kaum ge- stellte (und nie beantwortete) Frage auf, welche geldpolitische Strategie die argentinische Zentralbank in Zukunft verfolgen sollte, wenn nicht mehr die „einfache Regel“ Geldbasis = Währungsreserven gilt. Wechselkursentwicklung nach Aufgabe des Currency Board 2. Welche Abwertung würde der argentinische Peso verfolgen, wenn der Wechselkurs zum Jahresende freigegeben würde? Aus theoretischer Sicht bietet sich der Rückgriff auf die Kaufkraftparitätentheorie und die Berechnung des (bilateralen) realen Wechsel- kurses an. Dadurch wird die Veränderung des Wechselkurses auf Basis der Inflations- differenz zwischen den betrachteten Ländern erklärt. 1 Zieht man für Argentinien aber bspw. einen Vergleich zum US-Dollar, dann tritt genau das Dilemma wieder auf, welches Argentinien letztlich so große Probleme bereitet hat: Die USA sind nur der drittwichtigste Handelspartner Argentiniens, hinter Euroland und Brasilien. Somit würde die Handels- struktur des Landes vernachlässigt. Daher muss der reale effektive Wechselkurs berechnet werden. Bei diesem fließt die Handelsstruktur des betrachteten Landes in der Form ein, dass Wechselkursänderungen und Inflationsdifferenzen der Handelspartner je nach Anteil am Außenhandel gewichtet werden. Mit einer solchen Kennzahl ist also unmittelbar ersichtlich, wie hoch für Argenti- nien der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber einem „Universum“ an Handels- partnern durch die Inflexibilität des Wechselkurses ausgefallen ist. 3. Den realen Wechselkurs Argentiniens haben wir für zwei verschiedene Konstellati- onen berechnet. Im ersten Fall werden lediglich die drei wichtigsten Handelspartner (Eu- roland, Brasilien, USA) zur Berechnung herangezogen. So sind über 40 % des gesamten Außenhandels im realen Wechselkurs enthalten. Als Gegenstück weiten wir im zweiten Fall die Berechnungsbasis aus und berücksichtigen weitere 12 Länder. 2 Dadurch werden zwei Drittel der argentinischen Exporttätigkeit erfasst. Basis für beide Konstellationen ist das Szenario, dass die argentinische Regierung frühestens zum Jahresende den Wech- selkurs freigibt. Dies halten wir angesichts der ausstehenden Wahlen im Oktober für die realistischste Einschätzung. Als Basisjahr wählen wir 1997, da die gesamte reale Auf- 1 Mit diesem Konzept kann insbesondere bei festen Wechselkursen errechnet werden, wie sich die Preisunterschiede zwischen einzelnen Ländern auf die Wettbewerbsfähigkeit der betrachteten Volkswirtschaften auswirken. 2 Bei den Ländern handelt es sich um: Japan, Südafrika, VR China, Indien, Südkorea, Malaysia, Chile, Mexiko, Paraguay, Peru, Uruguay, Venezuela. Jede dieser Volkswirtschaften trägt mindestens 1 % zum argentinischen Außenhandel bei.
3 wertung unter dem Currency Board zwischen 1992 und 1997 nur etwa 2,5 % betrug und sich bis 1997 also ein stabiles Gleichgewicht eingestellt hatte (siehe Grafik). Verlauf des realen effektiven Wechselkurses in Argentinien 110 108 106 104 1995=100 102 100 98 96 94 92 90 1992 1993 1994 1995 1996 1997 Quelle: IIF 4. Die Ergebnisse aus der Entwicklung des realen effektiven Wechselkurses nach 1997 lassen sich wie folgt zusammenfassen: Sollte sich die Abwertung des argentinischen Peso weitestgehend an den drei Haupthandelspartnern orientieren, dann würde Ende 2001 eine Abwertung von 25,3 % notwendig sein, um ein auf Basis der Inflationsdifferen- zen fundamental gerechtfertigtes Gleichgewicht zu erreichen. Etwas moderater stellt sich die Situation dar, wenn der ausgeweitete Währungskorb verwendet würde: Dann müsste die Abwertung lediglich noch 20,1 % betragen. Tabelle: Jährliche reale Aufwertung des argentinischen Peso nach 1997, in % yoy 1998 1999 2000 2001P Reale Aufwertung gegenüber 2,2 13,1 3,1 5,2 Brasilien, Euroland und USA Reale Aufwertung gegenüber 3,6 8,8 1,6 4,8 15 Handelspartnern Quelle: DGZ DekaBank Emerging Markets Database, eigene Berechnungen 5. Die in der Tabelle angegebenen Werte geben selbstverständlich keine Garantie dafür, dass die Wechselkursentwicklung auch diesem Pfad folgen wird. Insbesondere in der Anpassungsphase nach einem Regimewechsel zeichnet sich die Wechselkursentwick- lung in einem Emerging Market-Land durch ein Überschiessen des Wechselkurses aus.3 Davon ist auch in Argentinien auszugehen. Sowohl In- wie auch Ausländer würden 3 Dies wird durch die Erfahrungen ostasiatischer Volkswirtschaften im Rahmen der Asienkrise belegt. Sowohl in Thailand als auch in Korea werteten die Währungen zunächst sehr stark ab. Die Rück-
4 versuchen, ihre liquiden Mittel in eine „stabile Währung“ zu tauschen. Ein stabilisierender Eingriff der Zentralbank steht ebenfalls nicht zu erwarten. Die 24,2 Mrd. USD an Wäh- rungsreserven sind nicht ausreichend, um bei einer Abwertungstendenz eine nachhalti- ge Beeinflussung der Preisbildung am Devisenmarkt zu erreichen. Die hier errechnete Abwertung von 20-25 % wird sich erst auf mittlere Sicht und auch nur dann einstellen, wenn es der Regierung gelingt, eine konsistente Geldpolitik zu entwickeln und die ge- samtwirtschaftliche Entwicklung zu stabilisieren. Hinzu kommt, dass auch andere wirt- schaftspolitische Entscheidungsträger (Politiker, Gewerkschaften) durch ihr Handeln das Vertrauen in- und ausländischer Investoren in das Potenzial der argentinischen Volks- wirtschaft stärken müssen. Zukunftsmusik Geldpolitik 6. Angesichts des Szenarios, wie die Wechselkursentwicklung bei Aufgabe des Currency Board verlaufen könnte, stellt sich auch die Frage, wie die zukünftige Geldpolitik konzi- piert sein sollte. Der große Vorteil eines Currency Board besteht in der geringen Verant- wortung für die Zentralbank. Diese hat lediglich die eher technische Regel einer Geldba- sisdeckung durch Währungsreserven zu verfolgen. Vom geldpolitischen Instrumenta- rium her ist die argentinische Zentralbank daher bisher mehr als dürftig ausgestattet. Das einzige schon vorhandene Instrument stellt die Mindestreservepflicht für Geschäfts- banken dar. Wenn die Wechselkursregel beseitigt (und der Wechselkurs freigegeben) wird, dann muss eine neue geldpolitische Konzeption entworfen werden. Als Option für eine geldpolitische Strategie bietet sich letztlich nur eine flexible Form der Wechselkurssteuerung an. Ein „Inflation targeting“ (Steuerung der Inflationsrate über die Inflationserwartungen) wäre zum Scheitern verurteilt, da diese Konzeption we- sentlich auf die Reputation der Zentralbank setzt. Die Erfahrungen aus Industrieländern (UK, Neuseeland) und anderen Emerging Markets zeigen, dass dazu ein längerer Zeit- raum und ein ausgefeilteres Instrumentarium benötigt werden. 7. Argentinien und Wechselkurssteuerung? Diese Konzeption dürfte derzeit schwer zu ver- kaufen sein, würden doch sofort wieder die negativen Erfahrungen mit dem Currency Board hochkommen. Daher bedarf es einer ausgefeilten Strategie, die sowohl Flexibi- lität, angemessene Instrumente als auch Unabhängigkeit der Notenbank garantiert. Flexibilität bedeutet, dass der Wechselkurs innerhalb einer größeren Bandbreite (+/- 15 %) gesteuert wird (die Vorteile dieses Verfahrens zeigen sich seit Mai 2001 in Un- garn). Zudem sollte ein ungefährer Abwertungspfad angedeutet werden, der sich an der Inflations- und Zinsdifferenz zwischen Argentinien und einem Währungskorb aus Euro (65 %) und US-Dollar (35 %) orientiert. Hierbei kann gleichzeitig die Wechsel- kehr zu einem mittelfristigen Gleichgewicht erfolgte erst nach 6 Monaten, danach konnte etwa ein Drittel der zuvor beobachteten Abwertung kompensiert werden.
5 kursentwicklung in Brasilien mit einbezogen werden, da dieses Land für Argentinien ebenfalls von großer Bedeutung ist. 4 Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass die Regierung keine expliziten Informationen über das genaue Wechselkursziel und potenzielle Devisenmarktinterventionen preisgibt, da andernfalls mit Gegenreak- tionen der Markteilnehmer zu rechnen ist (siehe die jüngsten Erfahrungen von Brasilien). Aus dieser Strategie würde sich für die argentinische Zentralbank der Vorteil ergeben, dass eine begrenzte Autonomie für eine an binnenwirtschaftlichen Belangen orientierte Geldpolitik verbleiben würde. Angemessene Instrumente bezieht sich auf das (noch aufzubauende) geldpolitische Instrumentarium der argentinischen Zentralbank. Ziel der Zentralbank sollte eine Zins- steuerung sein, um (auf Basis der ungesicherten Zinsparitätentheorie) eine angemesse- ne Anpassung der Zinsdifferenz zu den Ankerwährungsländern erreichen zu kön- nen. Sowohl die Geldpolitiker, der Staat als auch die Geschäftsbanken müssen die Ände- rungen im Geldangebotsprozess adaptieren. Notwendig sind vor allem Refinanzierungs- instrumente für die Geschäftsbanken, damit diese sich sowohl kurz- als auch mittelfristig Liquidität beschaffen können. Die Abwicklung kann in Form von Offenmarktgeschäften erfolgen, so dass die Zentralbank im Gegenzug für eine Finanzierung Anleihen als Si- cherheit erhalten würde. Neben der Finanzierung sollte die Zentralbank auch ein Instru- ment zur Absorption kurzfristiger Liquidität anbieten. Über eine Einlagenfazilität lässt sich überschüssige Liquidität absorbieren, was zur Stabilisierung der Geldmarktzinsen beiträgt. Die Mindestreserve sollte beibehalten werden. Über dieses Instrument kann ei- ne Stabilisierung des Liquiditätsbedarfs der Geschäftsbanken erreicht werden, so dass die Steuerungsmöglichkeit der Zentralbank erhalten bleibt. Die Unabhängigkeit der Zentralbank ist für die Gestaltung der Geldpolitik essentiell. Gerade in einem Land wie Argentinien ist ein Finanzierungsverbot von Staatsausga- ben über die Zentralbank notwendig. Andernfalls käme es im Falle einer inkonsistenten Fiskalpolitik, die über eine Ausweitung der Geldbasis und –menge finanziert würde, direkt zu einer monetären Destabilisierung der gesamten Volkswirtschaft. Um dies zu verhin- dern, müsste die in den Artikeln 20 und 33 des Notenbankgesetzes fixierte Erlaubnis zur Staatsfinanzierung beseitigt werden. Auch dürfen keine Weisungsbefugnisse von Poli- tikern an Zentralbankgouverneure vorliegen. Die Unabhängigkeit bezieht sich hierbei so- wohl auf ökonomische Aspekte (Zinspolitik, Kreditvergabe) als auch politische Elemente (Berufungsverfahren, Amtszeit, Gehälter). 8. Die hier nur vereinfacht wiedergegebene Diskussion lässt bereits erahnen, welche Her- ausforderungen für Argentinien bestehen und wie sorgfältig ein umfassender Schritt wie das Aufgeben des Currency Board geprüft werden muss. Sollte das Land sein 4 Utopisch erscheint derzeit hingegen die Bildung einer koordinierten Währungspolitik in Lateinamerika auf Basis von Mercosur und NAFTA. Dies kann wirklich nur als Zukunftsmusik mit einem Horizont von über 10 Jahren angesehen werden, da die dafür notwendige Integration auf Handels- und poli- tischer Ebene noch nicht annähernd erreicht ist.
6 Wechselkursregime tatsächlich aufgeben, dann ist mit mindestens einem verlorenen Jahr zu rechnen. Hier treten Parallelen zur Asienkrise 1997/98 auf, als selbst relativ entwi- ckelte Länder wie Südkorea massive Rückschläge hinnehmen mussten, von denen sie sich nur langsam erholen. Ein vollständiges Floaten des Wechselkurses als alternative Strategie hielten wir für nicht angemessen, denn kurzfristig auftretende Verzerrungen be- einträchtigen ebenfalls eine fundamental begründete außenwirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft. Argentinien: Makroökonomische Kennzahlen 1997 1998 1999 2000E 2001P 2002P BIP, real, Jahresdurchschnitt in % 8,1 3,9 -3,4 -0,5 0,5 2,4 CPI, Jahresdurchschnitt in % 0,5 0,9 -1,2 -0,9 0,0 1,0 M2, Jahresdurchschnitt in % 22,8 10,5 4,1 1,5 2,0 10,2 Budgetsaldo, in % des BIP -1,5 -1,4 -2,9 -3,5 -3,5 -2,3 Auslandsschuld, in % des BIP 42,7 47,0 51,7 52,6 54,5 57,4 Leistungsbilanzsaldo, in % des BIP -4,3 -4,9 -4,4 -3,3 -3,4 -4,4 Handelsbilanzsaldo, in % des BIP -1,4 -1,7 -0,8 0,3 0,3 -0,9 FDI, in % des BIP 1,9 1,5 3,9 2,2 1,8 2,2 Währungsreserven, in % des Imports 73,2 78,8 102,9 98,4 85,3 75,3 Wechselkurs ggü. USD, Jahresd. 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0 24. Jul 01 Quelle: DGZ Dekabank Emerging Markets Data Base; E - Eigene Schätzung; P - Eigene Prognose Nicolas Schlotthauer, Tel. 069/7147-3556 E-Mail: nicolas.schlotthauer@dgz-dekabank.de
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