AUF IN DIE GRÜNE STROMWELT! - Autorenpapier Wie 100 Prozent erneuerbare Energien machbar sind - AUF IN DIE GRÜNE STROMWELT!

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Autorenpapier

AUF IN DIE GRÜNE
STROMWELT!
Wie 100 Prozent erneuerbare Energien machbar sind

Dr. Anton Hofreiter, Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden,
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Chris Kühn,
Peter Meiwald und Sylvia Kotting-Uhl
IMPRESSUM
Herausgeberin                 Bündnis 90/Die Grünen
                              Bundestagsfraktion
                              Platz der Republik 1
                              11011 Berlin
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Verantwortlich                Dr Julia Verlinden MdB
                              Sprecherin für Energiepolitik
                              julia.verlinden@bundestag.de

Redaktion                     Georg P. Kössler, Referent für Energiepolitik

Bezug                         Bündnis 90/Die Grünen
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Schutzgebühr                  € 1,50

Redaktionsschluss             Februar 2016

2 | Autorenpapier Grüne Stromwelt | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 02/2016
AUTORENPAPIER:

AUF IN DIE GRÜNE STROMWELT!
WIE 100 PROZENT ERNEUERBARE ENERGIEN MACHBAR SIND

INHALT

 1.   Einleitung ................................................................................................. 4

 2.   Atomausstieg vollenden .............................................................................. 7

 3.   Kohleausstieg einleiten ............................................................................. 11

 4.   Das EEG weiterentwickeln .......................................................................... 14

 5.   Den Strommarkt neu ausrichten ................................................................. 21

 6.   Mit Flexibilität zum System der Zukunft ....................................................... 24

 7.   Energiesparen für die Energiewende ........................................................... 31

 8.   Zusammenfassung.................................................................................... 36

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1. EINLEITUNG

Die Dynamik erhalten und vorantreiben!
Der Stromsektor ist für ein Drittel der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich. Die Akteure
der Stromwirtschaft tragen daher eine besondere Verantwortung für den Klimaschutz und
den Wandel hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung. Gleichzeitig war der Stromsek-
tor dank des dynamischen Ausbaus der erneuerbaren Energien im vergangenen Jahrzehnt
der Treiber der Energiewende. So wird das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 mindestens
35 Prozent des Bruttostromverbrauches aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, wohl be-
reits 2016 erreicht. Als einziges der relevanten Energiewende-Ziele.
Doch der Motor ist ins Stocken geraten. Der schwarz-roten Bundesregierung fehlt der poli-
tische Wille zu mehr Klimaschutz: Sie deckelt den Ausbau Erneuerbarer Energien und
bremst damit die Energiewende aus. Außerdem traut sie sich nicht richtig ran, auch im
System des Strommarkts grundlegende Reformen anzupacken. Denn schon jetzt ist klar,
dass der auf Grenzkosten basierte Stromhandel nicht mehr wie bisher funktionieren kann,
wenn fast ein Drittel des Stromes aus Wind und Sonne erzeugt wird – mit Grenzkosten von
nahe Null. Doch eine komplett klimaneutrale Stromversorgung ist auch ein wichtiger Bei-
trag für die ökologische Modernisierung des Wärme- und Verkehrssektors. Deshalb gilt: der
Ausbau muss zügig vorangehen, damit etwa der Einstieg in die Elektromobilität gelingen
kann. Um vollständig auf erneuerbare Energien umstellen zu können, müssen wir jetzt kli-
maneutralen Strom ambitioniert ausbauen, den heutigen Stromsektor effizienter machen
und Einsparpotenziale bei der Nachfrage nach Energie nutzen.
Die Botschaft des Klimavertrages von Paris ist eindeutig: Raus aus den Fossilen, rein in die
Erneuerbaren. Der Kohleausstieg in Deutschland ist damit nur noch eine Frage des „Wie“
und „Wie schnell“ – nicht mehr des „Ob“. Doch die große Koalition verweigert sich dieser
Aufgabe und wirft der Kohleindustrie Milliarden-Subventionen hinterher. Statt auf 100
Prozent erneuerbare Energien umzusteigen, will sie bis 2030 gerade einmal die Hälfte des
Strombedarfs aus klimafreundlichen Energien decken. Wir sagen: Deutschland kann mehr!
Die Energiewende braucht Dynamik und politischen Willen. Unser Ziel ist ehrgeizig, aber
machbar: Nahezu 100 Prozent Strom aus Sonne, Wind und Wasser bis 2030. Dafür werden
wir kämpfen und wollen deshalb binnen zwei Jahrzehnten aus der Kohle aussteigen. Es
geht jetzt darum, auch Mobilität und Wärme ökologisch zu modernisieren und an den Er-
neuerbaren auszurichten. Nur so schaffen wir es bis Mitte des Jahrhunderts, Deutschland
weitgehend regenerativ zu versorgen.
Konventionelle Energien und ihre Gewinnung gehören zu den größten Naturzerstörern
weltweit. Und fossile Energieträger sind die Haupttreiber der Klimakrise, die unsere Le-
bensgrundlagen zerstört: mehr Wetterkatastrophen, trockene Böden, knappes Wasser. Auf
erneuerbare Energien umzusteigen ist die einzige Chance für einen erfolgreichen Klima-
und Naturschutz. Wir wollen eine dynamische Energiewende im Einklang mit der Natur. Der
erfolgreiche Ausbau Erneuerbarer Energien hat ein Spannungsfeld zwischen Energiewende
und Naturschutz geschaffen. Vor Ort wird beides z.T. gegeneinander ausgespielt. Dabei sind
sowohl Klimaschutz als auch der Schutz der Biodiversität Ziele von überragendem gesell-

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schaftlichem Interesse. Naturschutz und erneuerbare Energien müssen Hand in Hand ge-
hen, denn eine naturverträgliche Energiewende – auch im Stromsektor – ist das Ziel. Jen-
seits des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) muss Naturschutz vor Ort immer über die
naturschutzfachliche Planung und regionale Programme zur Raumordnung berücksichtigt
werden.

Energie von unten!
Die Energiewende wird weltweit in vielfältiger Art und Weise kopiert. Doch das von uns ini-
tiierte Original hat eine entscheidende Komponente: Bürgerinnen und Bürger können hier
die Energiewende selber machen. Mit der „Bürger-Energiewende“ legen wir die Macht ver-
stärkt in die Hände der Menschen. Auch weil über 1,4 Millionen „Prosumer“ in Deutschland
bereits ihren eigenen Strom produzieren und verbrauchen, sehen die großen Energiekon-
zerne nach zahlreichen strategischen Fehlern ihre Profitmargen sinken. Dennoch haben sie
noch eine gigantische Lobbymacht, die es aufzubrechen gilt.
Die hohe Aufmerksamkeit auf die Energiewende im Stromsektor gilt der enormen Dynamik
und zugleich dem erfolgreichen Instrument, sie zu finanzieren: dem Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz. Es wurde im Jahr 2000 von uns mit Rot-Grün geschaffen, hat Geschichte ge-
schrieben und wurde mittlerweile in über 60 Ländern übernommen. Seit 2005 haben die
Merkel-Regierungen mit immer üppigeren Ausnahmen für die Industrie und verschiedenen
EEG-Reformen dieses Gesetz – und damit auch die Energiewende – in eine immer stärkere
Schieflage gebracht. Zu Recht kritisieren Stromkundinnen und Stromkunden die Transpa-
renz der Kosten oder die ungerechte Lastenverteilung, die aufgrund der massiv ausgewei-
teten Industrieausnahmen entstanden ist. Das wollen wir als Grüne Bundestagsfraktion
anpacken. Denn nur wenn die Energiewende auch von breiten Schultern getragen wird,
kann sie erfolgreich sein.

Über das EEG hinaus
Das alte System gesicherter Einspeisevergütung für erneuerbare Energien wird derzeit bei-
nahe jährlich verändert. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich Planungssicherheit
für die junge und innovative Branche zu schaffen. Dabei sind gerade Wind-Onshore und
Photovoltaik in den vergangenen Jahren zu wahren Billigstrom-Lieferanten geworden. Sie
produzieren heutzutage günstiger Strom als neue Gas- oder Kohlekraftwerke! Diese Früchte
müssen jetzt geerntet werden. Wir wollen passgenaue Finanzierungsmodelle für die unter-
schiedlichen Technologien, welche ihrem jeweiligen Entwicklungsstand gerecht werden.
Die Energiewende lebt auch davon, dass Energie da entsteht, wo sie verbraucht wird: Des-
halb wollen wir den dezentralen Charakter der Energiewende fördern. Um Bürgerenergie zu
schützen, wollen wir Privatleuten und Genossenschaften auch weiterhin unbürokratisch
und planungssicher den Einstieg in die Energiewende ermöglichen.
In den vergangenen Jahren ging der deutsche CO2-Ausstoß nur minimal zurück. Der Ausbau
von Wind und PV allein ist nämlich nur die eine Seite der Medaille. Die Energiewende muss
mit dem schrittweisen Kohleausstieg gestützt werden, denn gerade der dreckige, aber bil-
lige Braunkohlestrom macht effizienteren Kraftwerken den Markt kaputt. Zugleich hat
Deutschland 2015 rund 60 Terawattstunden (TWh) (oder Milliarden Kilowattstunden) ins

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europäische Ausland exportiert. Diese Zahl entspricht fast dem Jahresstromverbrauch von
Österreich. Es gibt also zu viel Kohlestrom im Netz! Wir werden unsere ambitionierten Ziele
nur dann schaffen, wenn wir energieeffizienter werden und absolut Energie einsparen.
Dazu braucht die Bundesregierung politischen Willen und einen klaren Fahrplan – beides
ist nicht zu erkennen.
Die Infrastruktur in der Stromwelt muss sich grundlegend ändern, damit Sonne und Wind
in Zukunft die beiden Hauptsäulen der Versorgung sein können. Der Strommarkt muss sich
daher an den Zielen der Energiewende ausrichten: Mit einem Netzausbau, der mit den
Bürgerinnen und Bürgern erfolgt und einem ökologischen Flexibilitätsmarkt, der den Part-
nern der erneuerbaren Energien – Speichern und Lastmanagement – den Einstieg ins Sys-
tem ermöglicht.

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2. ATOMAUSSTIEG VOLLENDEN

Nach dem GAU von Fukushima hat der Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend beschlos-
sen, bis Ende 2022 alle deutschen Atomkraftwerke abzuschalten. Doch trotz des Beschlus-
ses gibt es viele offene Baustellen: In Deutschland sind immer noch Atomfabriken in Be-
trieb und die Sicherheit der laufenden AKWs entspricht nicht zweifelsfrei dem höchsten
Standard. Noch immer werden Steuermittel in die Erforschung atomarer Technologien ver-
senkt, obwohl der Atomausstieg beschlossene Sache ist. Der Neubau von Atomkraftwerken
in Europa oder die Risiken grenznaher Uralt-AKWs spielen für die Bundesregierung offenbar
keine Rolle. Die großen Energiekonzerne versuchen nun, sich mit Klagen oder der Aufspal-
tung ihrer Unternehmen vor der finanziellen Verantwortung für die Folgen der Atomstrom-
produktion zu drücken. Das ist kein glaubwürdiger Abschied von der Atomkraft. Die Bun-
desregierung muss sich endlich von ihren Widersprüchen lösen und den Atomausstieg kon-
sequent umsetzen. Er muss europäisch und global zum Gelingen einer erneuerbaren Ener-
giewende beitragen.

Sicherheit und Verantwortung
Nach Fukushima sollten für die deutschen Atomkraftwerke höchste Sicherheitsstandards
das Ziel sein. Die heutige Realität sieht anders aus: Seit über zwei Jahren ist bekannt, dass
Deutschlands größter Atommeiler, das AKW Gundremmingen, einem Erdbeben nicht mit
Sicherheit standhält. Trotzdem läuft es weiter. Die bayerische Atomaufsicht verschleppt die
Klärung dieses gravierenden Problems. Wir fordern, das AKW stillzulegen, bis die Erdbeben-
sicherheit nachgewiesen ist.
Bei keinem der noch laufenden AKWs darf es angesichts nahender Laufzeit-Enden Sicher-
heitsrabatte geben. Sollten nötige Nachrüstungen für den Betreiber zu teuer werden, müs-
sen die AKWs schneller vom Netz.
Die Atomenergie hat jahrzehntelang von den Milliardensubventionen des Steuerzahlers
profitiert und selbst Milliardengewinne gemacht. Und nun - am Ende der Nutzung der
Atomkraft - wollen die Konzerne die Kosten und Risiken auf die Allgemeinheit abwälzen.
Das können wir nur verhindern, wenn wir die Verantwortung der Betreiber nachhaltig
durchsetzen und sie für den Rückbau von AKWs und die Endlagerung des Atommülls zah-
len. Deshalb wollen wir einen öffentlich-rechtlichen Fonds schaffen, in den die Konzerne
unter Aufrechterhaltung einer Nachschusspflicht einzahlen.
Weiter fordern wir, die Brennelemente-Steuer auch über 2016 hinaus zu erheben, bis das
letzte AKW vom Netz geht. Sie ist ein wirksames Instrument, um die Stromkonzerne an den
gesellschaftlichen Kosten der Atomkraft zu beteiligen.

Grenznahe Schrottmeiler abschalten
Direkt an deutschen Grenzen stehen alte und marode Atomkraftwerke. Mehrere der grenz-
nahen AKWs sind in einem miserablen Zustand. Im lothringischen AKW Cattenom herrschen
zahlreiche Mängel: Es ist nur ungenügend gegen Überflutung und Erdbeben geschützt. Im

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elsässischen Fessenheim steht nicht nur das älteste Atomkraftwerk Frankreichs, sondern
auch ein besonders Störanfälliges. Das Pannen-AKW liegt einen Kilometer von der deut-
schen Grenze entfernt und auch hier: unzureichender Schutz gegen Erdbeben oder Über-
schwemmungen. In einem ausgewiesenen Erdbebengebiet ist diese Risikotechnologie eine
tickende Zeitbombe. 2012 wurden in den belgischen Atomkraftwerken Doel-3 und
Tihange-2 zahlreiche Risse im Grundmaterial der geschmiedeten Reaktordruckbehälter
(RDB) festgestellt.
Drei Jahre nach diesen Befunden wurden ähnliche Materialschäden auch im dienstältesten
AKW der Welt gefunden: Das Schweizer AKW Beznau liegt acht Kilometer hinter der deut-
schen Grenze. Der RDB ist das Herzstück eines Reaktors. Hier findet die nukleare Kettenre-
aktion statt. Risse im Reaktordruckbehälter sind ein massives Sicherheitsproblem. Doch die
Bundesregierung verweist in allen Anfragen auf die Souveränität der Nachbarstaaten. Dabei
birgt der Betrieb dieser unsicheren AKWs nicht nur für die Menschen in den jeweiligen Län-
dern unbeherrschbare Risiken, sondern auch für uns in Deutschland. Die Wolke macht
nicht an der Grenze halt! Nur wenn diese Risiko-AKWs umgehend abgeschaltet werden,
kann die Bevölkerung hier wie dort vor möglichen Gefahren schützen. Dafür muss sich die
Bundesregierung endlich einsetzen. Wir fordern ein neues Regelwerk auf europäischer
Ebene, das es Anrainerstaaten ermöglicht, Einfluss auf die Sicherheitsanforderungen für
grenznahe Atomkraftwerke nehmen zu können. Die Verantwortung für die Sicherheit auf
beiden Seiten der Grenze darf nicht nur bei dem Staat liegen, in dem das AKW betrieben
wird.

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Endlagersuche
Der Beschluss zum Atomausstieg nach Fukushima und der grüne Ministerpräsident Baden-
Württembergs schufen die Basis für einen Neuanfang in der Endlagersuche: Dass in ganz
Deutschland vergleichend und ergebnisoffen nach einem Endlager gesucht und die Spielre-
geln für das Verfahren vorher und im Konsens festgelegt werden. Seit Mai 2014 berät ein
gesamtgesellschaftliches Gremium, die Kommission für die Lagerung hoch radioaktiver Ab-
fallstoffe (Endlagersuchkommission), über ein neues Verfahren für die Endlagersuche. Das
Beibehalten des gesellschaftlich verbrannten Standorts Gorleben im Suchverfahren belastet
den Neuanfang, wurde aber von einigen Bundesländern aus Gründen der Gleichberechti-
gung eingefordert.
Es soll ein Suchverfahren entwickelt werden, das auf der Basis vorher festgelegter wissen-
schaftlicher Kriterien den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit in Deutschland her-
ausfindet. Sicherheit hat die erste Priorität. Die Bürgerinnen und Bürger müssen von Be-
ginn an in die Suche eingebunden werden. Das Endlager kann am Ende nicht gegen den
Willen der betroffenen Bevölkerung durchgedrückt werden. Das erfordert einen transpa-
renten und partizipativen Prozess, der auch Mitwirkung ermöglicht.
Menschen in den betroffenen Regionen, die sich beteiligen möchten, soll dies vom ersten
Tag der Suche an offenstehen. Beteiligungsverfahren, Nachprüfrechte im Sinn eines verfei-
nerten Vetorechts und Rechtsschutz müssen sich in einem praktikablen Verfahren ergän-
zen. Die Lehren aus Gorleben und der Asse müssen in die Gestaltung des Verfahrens ein-
fließen. Das neue Verfahren muss auf den Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit auf-
gebaut werden.
Das Suchverfahren muss Rücksprünge ermöglichen, falls neue wissenschaftliche Erkennt-
nisse vorliegen oder begründete Zweifel an einem Verfahrensschritt aufkommen. Es muss
möglich sein Atommüll aus einem bereits geschlossenen Endlager für einen Zeitraum von
einigen Jahrhunderten zurückzuholen. Um unserer Verantwortung gegenüber zukünftigen
Generationen und der Umwelt gerecht zu werden, muss das übergeordnete Ziel die passive
Sicherheit des Endlagers sein.

Atomfabriken in Gronau und Lingen schließen
Während in Deutschland der Atomausstieg beschlossen wurde, protegiert die Bundesregie-
rung weiterhin Atomfabriken im eigenen Land. So sorgt sie dafür, dass sich das weltweite
Atomkarussell weiterdrehen kann. Allein die Urananreicherungsanlage Urenco im westfäli-
schen Gronau hat im ersten Halbjahr 2015 knapp 587 Millionen Euro erwirtschaftet und ist
hinter dem russischen Unternehmen Tenex weltweit der zweitgrößte Exporteur von ange-
reichertem Uran. In der Anlage wird das Uran, das in seinem ursprünglichen Zustand, dem
sogenannten Yellow Cake, der noch nicht für den Betrieb von Reaktoren geeignet ist, ange-
reichert. Der Yellow Cake besitzt ca. 99,3 Prozent Uran-238 und nur ca. 0,7 Prozent Uran-
235. Dieser muss um 3-4 Prozent erhöht werden, erst danach kann es als Kernbrennstoff
genutzt werden. Problematisch ist zudem der große Müllberg, der bei der Anreicherung
entsteht. Das abgereicherte Uran lagert in riesigen Mengen und ohne zeitliche Begrenzung
unter freiem Himmel auf dem Gelände. Bei einem Feuer oder Flugzeugabsturz können die
Behälter bersten und sich zu hochgefährlicher und ätzender Flusssäure verbinden.

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Das angereicherte Uran kann im niedersächsischen Lingen direkt weiter verarbeitet wer-
den. In der Atomfabrik Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF) werden Brennelemente gefer-
tigt, die weltweit eingesetzt werden. Das Uran wird dort zu Pellets gepresst und in Kern-
brennstäbe eingesetzt. Erst dann ist die Grundlage für die Nutzung der Atomkraft über-
haupt geschaffen. Beide Anlagen dürfen nach derzeitiger Rechtslage auch über 2022 hin-
aus betrieben werden. 2011 hat die Grüne Bundestagsfraktion bereits in der Studie zu
Transporten radioaktiver Stoffe in der Bundesrepublik Deutschland festgestellt, dass das
größte Transportaufkommen von diesen beiden Atomanlagen verursacht wird. Die Anzahl
der gefährlichen Transporte muss reduziert und grundlegend sicherer gemacht werden. Zu
einem ehrlichen Atomausstieg gehört, diese Atomfabriken zu schließen!

Atomausstieg auch in der Energieforschung
Auch in der Energieforschung muss sich der Atomausstieg endlich vollziehen. Noch immer
wird die Forschung an Kernfusion, Transmutation und Reaktoren der IV. Generation mit
Steuergeldern unterstützt - Techniken, die den Wiedereinstieg in die Atomwirtschaft be-
deuten würden. Dabei ist die Fusionsforschung ein Milliardengrab ohne Aussicht auf nen-
nenswerte Erfolge. Das zeigt vor allem das Projekt ITER: ein Kernfusionsreaktor, der unter
Beteiligung von EU, USA, Russland, China, Indien, Japan und Südkorea im französischen Ca-
darache gebaut werden soll. Die Kostenschätzungen sind von 4,6 Milliarden Euro im Jahr
2001 auf mittlerweile über 17 Milliarden gestiegen. Zeitliche Verzögerungen, Missmanage-
ment und mangelnde Transparenz sind an der Tagesordnung. Wenn überhaupt, dann
würde diese Technologie frühestens im Jahr 2050 einsatzreif sein. Bis dahin werden wir
unsere Energieerzeugung längst vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt haben
müssen. Wind- und Sonnenstrom werden dann unschlagbar günstig sein. Die zentrale,
schlecht regelbare Großstromerzeugung von Fusionsreaktoren ist schon heute nicht mehr
zeitgemäß.
Auch die Erforschung von Aufspaltung und Umwandlung radioaktiver Abfälle – Partitionie-
rung und Transmutation – führt in die Irre. Selbst wenn es irgendwann gelänge, Radio-
nuklide mit langer Halbwertszeit in solche mit kurzer umzuwandeln, blieben große Mengen
hochradioaktiven Abfalls übrig. Und die müssten sicher endgelagert werden. Und: Trans-
mutation ist nur mit Wiederaufarbeitung und Brüter-Technologie zu haben. Das wäre das
Ende des Atomausstiegs.
Deshalb fordern wir, keine weiteren öffentlichen Gelder in Kernfusion, Partitionierung und
Transmutation zu stecken. Es gilt vielmehr, die Energieforschung konsequent am Atomaus-
stieg und dem Gelingen der Energiewende auszurichten.

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3. KOHLEAUSSTIEG EINLEITEN

Für uns Grüne im Bundestag ist klar, dass der Übergang in erneuerbaren Energien und eine
steigende Energieeffizienz ohne Ausstieg aus Kohle und Atom nicht zu haben ist. Angela
Merkel hat mehr als ein Jahrzehnt und einen GAU gebraucht, um den von uns im Jahr 2000
ausgehandelten Atomausstieg zu akzeptieren. Das darf sich bei der Kohle nicht wiederho-
len: Jetzt muss der schrittweise Kohleausstieg eingeleitet werden. Dementsprechend darf
es keine neuen Tagebaue mehr geben.
Dabei gilt es, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass dieser Ausstieg schrittweise er-
folgt und die ältesten, ineffizientesten und klimaschädlichsten Kraftwerke zuerst außer Be-
trieb gehen. Eine solche Stilllegung von alten Braun- und Steinkohlekraftwerken hilft ins-
besondere den Betreibern von modernen Anlagen wie z.B. GuD- oder KWK-Anlagen, da
ihre Margen am Strommarkt wieder steigen würden. Diese benötigen wir noch bis zum
Übergang zu einer Stromversorgung auf Basis von 100 Prozent erneuerbaren Energien. Auch
die EEG-Umlage, welche aus der Differenz von derzeit sehr niedrigem Börsenstrompreis
und dem garantierten Einspeisetarif besteht, würde somit sinken.
Der Ausstieg aus der Kohleverstromung lindert auch die Schadstoffbelastung und vermei-
det dadurch Gesundheits- und Umweltschäden. In Deutschland sind Kohlekraftwerke die
Quelle Nummer 1 des giftigen Schwermetalls Quecksilber. Der Ausstoß an Quecksilber aus
Kohlekraftwerken nimmt mit sieben Tonnen einen Anteil von jährlich 70 Prozent der ge-
samten deutschen Quecksilberemissionen ein. Insbesondere für Schwangere, Neugeborene
und Kleinkinder stellt eine erhöhte Aufnahme von Quecksilber ein großes Risiko dar. Zu
den Folgen gehören u.a. Seh- und Hörverlust, Krampfanfälle sowie Sprachstörungen und
Gedächtnisverlust.
Wir wollen deshalb die immissionsschutzrechtliche Privilegierung der Kohleverstromung
in der Bundesimmissionsschutzverordnung (13. BImSchV) aufheben. Die Konzerne sollen
strenge Grenzwerte zur Emission für krebserregende Stoffe einhalten. Wir wollen zudem ei-
nen Fahrplan zur Umsetzung der Minamata-Konvention vorlegen, um den Ausstoß von
Quecksilber einzudämmen.
Zum Kohleausstieg gehört auch, dass Deutschland den Bau von Kohleprojekten auf inter-
nationaler Ebene nicht mehr mit öffentlichen Mitteln fördert.
Wir setzen uns dafür ein, die zahlreichen Subventionen für die Kohle abzubauen. Diese lie-
gen aktuell im hohen dreistelligen Millionenbereich. So wird die Kohle etwa bei der Ener-
giesteuer begünstigt, auf Bodenschätze werden keine Abgaben erhoben und Tagebaue und
Kohlekraftwerke zahlen weniger EEG-Umlage beim Eigenstrom.

Von den Nachbarn lernen: CO2-Grenzwerte nutzen
Unternehmen und ihren Beschäftigten, aber auch den von Tagebau Betroffenen brauchen
eine sichere Planungsgrundlage. Um den Kohleausstieg schrittweise und berechenbar an-
zugehen, wollen wir für fossile Kraftwerke einen CO2-Grenzwert einführen. Das hat Groß-
britannien erfolgreich vorgemacht. Dieses feste Emissionsbudget orientiert sich an den Kli-
mazielen sowie der Jahresemission eines modernen Gaskraftwerks. Kraftwerksbetreiber

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haben so die betriebswirtschaftliche Flexibilität, ihre Kraftwerke bis zum Erreichen der Jah-
resobergrenze weiter zu betreiben oder sie stillzulegen. Neue Kohlekraftwerke werden so-
mit praktisch verhindert, auf Altanlagen wird mit zunehmendem Alter der Druck erhöht. Im
Gegensatz zu einem „Kohlekonsens“ mit festen Abschaltdaten oder einer teuren Reservelö-
sung wird somit ein marktwirtschaftliches Instrument genutzt. Es entstehen keine zusätzli-
chen Kosten für die Stromkundinnen und Stromkunden und das Klimaziel bis 2020 wird
noch erreicht.

Langfristig die richtigen Investitionssignale setzen
Emissionszertifikate werden aktuell zu extrem niedrigen Preisen gehandelt. Damit fällt der
europäische Emissionshandel (ETS) als Lenkungsinstrument für klimafreundliche Technolo-
gien und Innovationen auf absehbare Zeit aus. Deshalb müssen wir das Emissionshandels-
system zügig reformieren. Um den Überschuss von über zwei Milliarden Zertifikaten abzu-
bauen und damit den Preis zu stabilisieren, muss sich Deutschland in Brüssel dafür einset-
zen, dass dauerhaft Zertifikate aus dem Markt genommen werden („set-aside“). Zudem
sollte die Wirksamkeit der eingeführten Marktstabilitätsreserve, welche je nach Angebots-
menge einige Zertifikate vom Markt nimmt oder in diesen zurück gibt, überprüft und not-
falls verstärkt werden.
Bis der Preis für Kohle die ökologische Wahrheit sagt und die notwendigen Reformen des
Emissionshandels auf europäischer Ebene greifen, müssen wir sicherstellen, dass die exter-
nen Kosten auf nationaler Ebene internalisiert werden und so nötigen Investitionen in
Energieeffizienz und Erneuerbare schon heute ausgelöst werden. Deshalb wollen wir einen
nationalen CO2-Mindestpreis einführen. Dieser soll ab 2016 bei 16 Euro pro Tonne CO2
liegen und in der Folge jährlich um einen Euro je Tonne Kohlendioxidäquivalente anstei-
gen.
Indem Banken, Rentenfonds und Versicherungen Milliardenbeträge in Klimakiller stecken,
riskieren sie den Finanz-Crash. Deshalb verlangen wir ein aktives Divestment. Mit Transpa-
renzregeln, wie sie z.B. in Frankreich erlassen wurden, wären diese Akteure gezwungen,
genau darüber zu berichten, was sie für den Klimaschutz tun und wie ihre Anlagen und In-
vestitionen zum 2-Grad-Limit stehen. Die Bundesregierung muss dabei voran gehen und
klimaschädigende Anlagen innerhalb der Versorgungsrücklagen für die Staatsbediensteten
aus den Portfolios abziehen.

Raubbau durch Tagebaue beenden und den Strukturwandel einleiten
Neue Tagebaue sind weder klimapolitisch noch wirtschaftlich tragbar. Dem Beispiel Nord-
rhein-Westfalens, neuen Tagebauen eine Absage zu erteilen und sogar genehmigte Abbau-
felder zurückzunehmen, sollten Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt folgen. Inner-
halb einer Novelle des Bundesbergrechts müssen neue Braunkohletagebaue ausgeschlos-
sen werden.
Tagebaubetreiber haben noch immer Privilegien, welche ihnen angesichts der ökologischen
Kosten niemals hätten zugestanden werden dürfen. Beispielsweise müssen die Lausitzer
Tagebaue – im Gegensatz zu anderen Industriebetrieben – nicht für die Entnahme von

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Wasser aus den Flüssen bezahlen. Das wollen wir ebenso beenden wie ihre Befreiung von
der EEG-Umlage.
Der Ausstieg aus der Kohle bedeutet gleichermaßen Erhalt und Wandel für die betroffenen
Regionen. Während der Stopp neuer Tagebaue die Zerstörung weiter Landstriche und wert-

Tabelle 1: Direkt Beschäftigte d er Braunkohlereviere (Kraftwerke & Tagebaue) von 1980 – 2014
(DIW basierend auf Statistik der Kohlenwirtschaft (2015)

voller Natur verhindert und hunderten Menschen wieder Hoffnung geben kann, gehen im
Kohlesektor auch Arbeitsplätze und damit Kaufkraft in den Regionen verloren.
Noch immer fehlt es in den Konzernzentralen von RWE und Vattenfall an der Einsicht, dass
Klimaschutz und Kohle niemals zusammen passen werden. Mit einem Fahrplan für den
Kohleausstieg können die Braunkohleregionen Schritt für Schritt auf die Zeit nach dem
Kohleabbau vorbereitet werden. So gilt es, den erforderlichen und bereits schon stattfin-
denden Strukturwandel zu begleiten, um den Regionen über Innovation und alternative
Investitionen eine wirtschaftliche Perspektive zu geben. Hierzu gehören beispielweise eine
gezielte Wirtschaftsförderung und die Stärkung von wissenschaftlichen Einrichtungen und
Tourismus. Ggf. muss auch die Schaffung eines Fonds in Betracht gezogen werden, um die
Folgen des anstehenden Wandels zu begleiten und abzumildern.
Bereits seit Jahren werden in Tagebauen und Braunkohlekraftwerken Arbeitsplätze abge-
baut, mit entsprechenden Folgen für die Regionen. Es ist also schlicht falsch, die Heraus-
forderung des Strukturwandels nur auf die Klimapolitik zurückzuführen. Selbst die Landes-
regierung Brandenburg kalkuliert mit einem Rückgang der Arbeitsplätze im Kohlerevier:
von den direkten und indirekten Arbeitsplätzen wird 2030 höchstens jeder vierte übrig
bleiben. Die verbliebenen Beschäftigten dürfen nicht eines Tages – so sie dann nicht schon
in Rente sind – mit der sofortigen Entlassung durch ein dann vielleicht bankrottes Unter-
nehmen konfrontiert sein. Vielmehr müssen bereits heute Umschulungs- und Weiterbil-
dungsmaßnahmen angeboten werden. Zugleich finden zahlreiche Bergleute in der Tage-
bausanierung eine Weiterbeschäftigung. Klar ist in jedem Fall: Sowohl die Kohlekonzerne
als auch die Gewerkschaft IG BCE kommen derzeit ihrer Pflicht nicht nach, verantwortungs-
bewusst für ihre Beschäftigten zu sorgen.
Auch für die Zeit nach der Kohle müssen noch einige Fragen geklärt werden. Bislang wird
ein großer Teil der vom Braunkohleabbau verursachten Folgekosten von der Gesellschaft
getragen. Dazu gehören die Regulierung von Bergschäden und die Gewässernachsorge
ebenso wie Kosten für gesundheitliche Folgen. Hier setzen wir uns dafür ein, dass die Ver-
ursacher, d.h. die Energiekonzerne, stärker in die Verantwortung genommen werden.

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4. DAS EEG WEITERENTWICKELN

Das Erneuerbare-Energien–Gesetz (EEG) ist ein Erfolgsmodell. Es wurde mittlerweile in über
60 Ländern kopiert, denn es leitete in Deutschland den Umstieg in eine regenerative Ener-
gieversorgung im Stromsektor ein. Das EEG war dabei so erfolgreich, dass sogar unsere ei-
genen Ausbauziele deutlich überschritten wurden. Das ist gut für den Klimaschutz, hat
enorme internationale Strahlkraft und hat zudem die Struktur der alten Energiewelt sicht-
bar verändert. Inzwischen gibt es nicht mehr ein starres Oligopol mit vier großen Versor-
gern, sondern über eine Million Menschen in Deutschland haben eine eigene Photovoltaik-
Anlage, viele sind in Wind-Genossenschaften engagiert oder ernten ihre Energie selber. Das
EEG hat somit in der Phase der Systemintegration die Bürgerenergiewende eingeläutet und
die Energieversorgung demokratisiert. Es hat für Technologiesprünge gesorgt, die heute er-
neuerbare Energien weltweit zu konkurrenzfähigen Alternativen gemacht haben.
Einen Teil des Weges haben wir also schon zurückgelegt, weil wir heute rund ein Drittel
unseres Stromes aus erneuerbaren Energien gewinnen. Nun steht die nächste Stufe der
Energiewende bevor. Während wir die Dynamik des Ausbaus erhalten wollen, gilt es nun
auch die Phase der Systemdurchdringung, besser zu gestalten. Dafür müssen sowohl
marktseitig als auch auf die Erzeugerseite viele Dinge angepasst werden. Es liegt also auf
der Hand, dass wir auch im aktuellen EEG Modernisierungsbedarf sehen. Doch das EEG war
ohnehin immer als ein Gesetz in der Weiterentwicklung veranlagt. So war schon im ersten
EEG eine turnusgemäße Überprüfung des Gesetzes verankert.
Für uns ist klar: Auch mittelfristig brauchen wir ein verlässliches Finanzierungsinstrument
für die erneuerbaren Energien. Wir wollen mit unserem Vorschlag eines modernisierten Fi-
nanzierungssystems auch ein Alternativmodell zu den Ausschreibungen wie sie derzeit
von der schwarz-roten Koalition forciert werden, einbringen. Dabei wollen wir die folgen-
den Kriterien zugrunde legen:
    •    Damit das Klima wirksam geschützt wird, wollen wir erneuerbaren Energien aus-
         bauen statt deckeln.
    •    Wir wollen die Bürgerenergiewende mit ihren vielen Akteuren stärken.
    •    Damit erneuerbare Energie da entsteht, wo sie genutzt wird, wollen wir den de-
         zentralen Ausbau weiterhin voranbringen.
    •    Damit die Energiewende kosteneffizient und gerecht ist, wollen wir den Ausbau
         der günstigsten Erneuerbaren vorantreiben und die Kosten fairer verteilen.

Das EEG weiterentwickeln
Wir wollen, dass der Einspeisevorrang für die erneuerbaren Energien sowie die feste Ein-
speisevergütung weiter das Herzstück des EEG bleiben. Es gibt drei mögliche Arten der Fi-
nanzierung erneuerbaren Stroms: Einspeisevergütung, Ausschreibungen und Quotenmodel-
len. Davon ist die Einspeisevergütung nach wie vor der effizienteste und verlässlichste Fi-
nanzierungsweg. Sie unterstützt das Ziel, dass Bürgerinnen und Bürger weiterhin überall in
Deutschland Investitionen auslösen und so die Akteursvielfalt im Strommarkt insgesamt
weiter steigt. Außerdem bietet der Strommarkt derzeit keine alternative Form der Finanzie-
rung erneuerbarer Energien, welche unseren Kriterien entspricht.

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Wir kritisieren die generelle Umstellung auf Ausschreibungen, weil der bürokratische Auf-
wand die Beteiligung von Bürgern einschränkt und die Ausbaukosten steigen. Das zeigen
internationale Erfahrungen. Allerdings kann bei einzelnen Technologien auch eine Umstel-
lung auf Ausschreibungen sinnvoll sein, wenn damit gezielte Anreize für weitere Funktio-
nen im Strommarkt gesetzt werden (z.B. Flexibilitäten). Deshalb plädieren wir für techno-
logiespezifische Lösungen: Denn was die eine Technologie beflügelt, kann die andere
bremsen. Wind Onshore, Wind Offshore, Solar, Wasserkraft, Biomasse und Geothermie
brauchen jeweils eigene Finanzierungsmechanismen, um im Energiemarkt weiter wachsen
zu können. Dabei legen wir überall unsere grünen Kriterien an, denn Klimaschutz und Bür-
gerenergie stehen für uns an erster Stelle.
Nach unserer Einschätzung und auch nach der Einschätzung der Bundesregierung stellt die
Finanzierung von erneuerbaren Energien über das EEG keine Beihilfe dar, weshalb eine
vollständige Umstellung auf Ausschreibungen EU-rechtlich nicht geboten ist.

Wind- und Sonnenenergie als Rückgrat konsequent ausbauen
Wind- und Sonnenenergie werden in Zukunft das Rückgrat der Stromversorgung bilden.
Das liegt auch an dem großen Engagement der Bürgerinnen und Bürger, die in diese Tech-
nologien investiert haben. Wir wollen, dass das Bürgerengagement erhalten bleibt. Daher
wollen wir für Photovoltaik und Windenergie an Land die Einspeisevergütung erhalten.
Die Vergütungshöhe soll dabei nicht mehr vom Bundestag en Detail festgelegt werden,
sondern durch eine dynamische Degression, also eine flexible Anpassung ihrer ansonsten
automatischen schrittweisen Absenkung. Diese Degression wird zu Beginn anhand von
Zielkorridoren ermittelt werden. Diese Korridore werden entsprechend unserer Klima-
schutzziele festgelegt. Die Bundesregierung bleibt mit ihrem Ziel von maximal 45 Prozent
Erneuerbaren bis 2025 deutlich hinter den Potentialen und Notwendigkeiten zurück!

Bei der Photovoltaik wollen wir das Ausbauziel auf 5.000 Megawatt pro Jahr anheben, den
52 Gigawatt Deckel streichen und die dynamische Degression weiterentwickeln. Dabei soll
die Degression ausgesetzt werden, wenn das Ausbauziel nicht erreicht wird bzw. die Vergü-
tung soll bei starker Unterschreitung des Ausbauziels auch wieder angehoben werden. Aber
auch wir wollen die Degression erhöhen, also die Vergütung schneller senken, wenn das
Ausbauziel überschritten wird. Das bedeutet, wenn weniger neuen Anlagen errichtet wer-
den als geplant, sinkt die Vergütung nicht weiter ab und bei einer Überschreitung des Aus-
bauziels wird sie stärker gekürzt. Wir befürworten weiterhin eine Staffelung je nachdem
wie weit das Ausbauziel übertroffen wird. Das aktuelle System hat unserer Ansicht nach zu
wenig Einfluss auf den Ausbau. Denn im aktuellen Mechanismus sinkt die Degression bei
Unterschreiten des Ausbauziels nicht sofort auf null, sondern wird nur von 0,5 Prozent auf
0,25 Prozent gesenkt. (Das heißt, selbst bei Unterschreiten des Ausbauziels setzt die Bun-
desregierung die Vergütung weiter herab und bremst den Ausbau weiterhin kräftig.) Und
erst bei einer Unterschreitung von 900 MW sinkt die Degression der Bundesregierung auf 0
und bei 1400 MW steigt die Vergütung einmalig wieder um 1,5 Prozent. Es handelt sich bei
unserem Vorschlag also um eine Vereinfachung und Dynamisierung des bestehenden Sys-
tems. Die Sonnensteuer, also die EEG-Umlage auf selbstverbrauchten erneuerbaren und

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hocheffizienten KWK-Strom, wollen wir wieder abschaffen. Eigenstromverbrauch konventi-
oneller fossiler Kraftwerke hingegen wollen wir mit der vollen EEG-Umlage belasten.
Auch bei der Windenergie an Land wollen wir weiterhin bei der Einspeisevergütung blei-
ben. Auf Basis des Referenzertragsmodells muss der Ausbau in allen Regionen in Deutsch-
land weiter möglich sein. Eine Anpassung der dynamischen Degression ist allerdings auch
bei der Einspeisevergütung von Windenergieanlagen notwendig. Die Vergütung wurde im
EEG 2014 zu stark gesenkt. Sie führt in den Jahren 2016 und 2017 zu einer Degression von
bis zu zehn Prozent, welche nicht durch einen Preisverfall bei den Anlagen gerechtfertigt
ist. Der technologische Fortschritt ist zwar gewaltig, hielt hier aber nicht mit der Degression
mit. Daher plädieren wir dafür, dass die automatische Basisdegression etwas geringer sein
soll. Auch die Erhöhung der Degression bei Überschreiten des Ausbaukorridors wollen wir
abschwächen. Außerdem soll wie bei der Photovoltaik auch bei Unterschreiten des Korri-
dors direkt die Degression ausgesetzt bzw. im Falle eines Markteinbruches (bei sehr starker
Unterschreitung des Zielkorridors) die Vergütung einmalig erhöht werden. Wir wollen au-
ßerdem prüfen, ob wir die Basisdegression mit einem Faktor für die Zinshöhe koppeln kön-
nen. Denn auch das niedrige Zinsniveau hat den Ausbau der Windenergie an Land in den
vergangenen Jahren beflügelt. Eine Erhöhung des Zinsniveaus ohne Anpassung der Vergü-
tung würde den weiteren Ausbau stark abbremsen, denn dann würden Kredite und somit
Investitionen teurer werden.
Offshore-Windenergie ist im Vergleich zu Onshore-Windenergie und Photovoltaik deutlich
verfügbarer. Ihr großes Potential muss weiter erschlossen werden. Aufgrund der hohen In-
vestitionssummen und der langen Planungsvorläufe ist gerade hier möglichst große Pla-
nungssicherheit zu schaffen. Da die Kosten für den Ausbau der Offshore-Windenergie noch
relativ hoch sind, soll der Ausbau mit Augenmaß erfolgen. Es ist schon heute abzusehen,
dass die installierte Leistung von Offshore-Windenergieanlagen bis 2020 auf 7,7 Gigawatt
ansteigen wird. Durch die Offshore-Windenergie ist ein leichter Anstieg der EEG-Umlage
nicht mehr zu vermeiden, insbesondere, wenn die Börsenstrompreise weiterhin so niedrig
bleiben und damit die Differenz zur Erneuerbaren-Vergütung hoch ist. Das liegt am Stau-
chungsmodell welches den Anlagen in den ersten acht Jahren eine relative hohe Vergütung
gewährt, diese aber danach stark absenkt. In den 2020er Jahren wollen wir den Ausbau-
pfad je nach Kostensenkung der Technik anpassen. Das heißt, wenn die Kosten für den Bau
neuer Wind Offshore-Anlagen aufgrund der Technologie-Weiterentwicklung schnell sinken,
wollen wir neue Wind-Offshore-Anlagen bauen, um bis 2030 möglichst mehr als 15 Giga-
watt installierter Leistung zu erreichen. Für uns ist zudem klar, auch über 2030 hinaus
wollen wir die Offshore Windenergie weiter ausbauen. Je mehr Dynamik im Markt, desto
besser können Kosten gesenkt werden. Diese Potenziale bestehen auch bei der Netzanbin-
dung, so könnten Kabel auf den Meeresboden statt unter dem Grund gelegt werden und
bei den Standorten, dort wo es vertretbar ist, könnten Anlagen beispielsweise näher an
der Küste geplante werden. Eine Umstellung auf Ausschreibungen und Projektplanung der
Flächen durch eine staatliche Stelle halten wir bei der Offshore-Windenergie angesichts der
großen Projekt-Dimensionen für sinnvoll. Bei der Umstellung auf Ausschreibungen von
Windparks wollen wir sicherstellen, dass sowohl die Nord- als auch die Ostsee genutzt
werden. Wichtig ist auch, dass Projekte bei bereits entwickelten Gebieten gebaut werden
können. Sollte es zu solch einer Umstellung kommen, ist es wichtig, dass Betreiber nicht

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enteignet werden, da andernfalls eine Klagewelle droht, welche den Ausbau verzögern o-
der stoppen könnte. Ein klares politisches Signal hinsichtlich Planungs- und Rechtssicher-
heit bezüglich der hohen bereits investierten Summen ist notwendig.

Bei Bioenergie das Ganze im Blick behalten
Bioenergie ist flexibel. Im Energiemix der Zukunft kann sie ihren Beitrag dazu leisten, das
Netz zu stabilisieren und den fluktuierenden Strom aus Sonne und Wind auszugleichen.
Doch der Ausbau stagniert und ältere Biogasanlagen fallen demnächst aus der EEG-Finan-
zierung. Seit 2014 ist der Ausbau auf jährlich 100 Megawatt brutto gedeckelt. Damit hat
die Bundesregierung die Bioenergienutzung in Deutschland und die technologische Ent-
wicklung praktisch zum Erliegen gebracht. Schon jetzt sind die Auswirkungen verheerend,
in den nächsten Jahren werden sie sich noch potenzieren: Es ist zu erwarten, dass keine
weiteren Anlagen gebaut werden und der Anlagenbestand ohne Ersatz nach und nach still-
gelegt wird. Die Zeit drängt, um eine Anschlussfinanzierung für diese Anlagen zu gewähr-
leisten. Dabei verfolgen wir drei Ziele: Erstens wollen wir die aktuelle durch Bioenergie er-
zeugte Strommenge von 50 Mrd. Kilowattstunden jährlich erhalten. Zurzeit wird der Strom
fast durchgehend zu jeder Stunde über das ganze Jahr erzeugt. Um den Vorteil der Bio-
energie zu nutzen und so die fluktuierenden erneuerbaren Energien auszugleichen, wollen
wir zweitens den Zeitpunkt der Erzeugung flexibilisieren. Das heißt, dass wir die Leistung
der Biomasseanlagen erhöhen wollen, diese werden aber nur noch dann laufen, wenn
wenig Wind- und Sonnenenergie eingespeist werden. Drittens wollen wir die Biomassean-
lagen an ökologischen Kriterien ausrichten. Neben der Ausweitung der Massentierhaltung,
hat auch der Biogasboom zwischen 2009 und 2011 hat zu einem übermäßigen Maisanbau
in Deutschland geführt. Wir wollen weg vom Mais als Energiepflanze Nummer Eins und eine
höhere Vielfalt auf den Äckern. Die Bioenergie-Branche arbeitet an Konzepten für Aus-
schreibungen. Diesen Vorschlägen stehen wir offen gegenüber. Wir meinen: Ausschreibun-
gen bieten hier eine Chance, wirtschaftliche Perspektiven sowohl für Neu- als auch Be-
standsanlagen zu schaffen und diese zu einer flexiblen Einspeisung ins Stromnetz zu brin-
gen.

Weitere erneuerbare Energien vorantreiben
Die Geothermie hat ihr Potenzial bisher nicht entfalten können. Neben der Biomasse und
der Wasserkraft hat Geothermie das Potential fossile Kapazitäten zu ersetzen, die zu jeder
Tageszeit Energie produzieren können. Ihr Potential zur Stromerzeugung wird auf 50 Tera-
wattstunden geschätzt, bei der Wärmeerzeugung ist es noch weitaus größer. Damit kann
und muss die Geothermie zu einem wichtigen Baustein der Energiewende werden. Wir
wollen die Geothermie weiterhin in der Einspeisevergütung halten. Damit haben die Ent-
wickler von Geothermieprojekten, welche schon viel Geld in die Forschung investiert ha-
ben, mehr Planungssicherheit. Aufgrund der langen Bauzeiten von Geothermieanlagen
wollen wir die genaue Einspeisevergütung für die jeweilige Anlage auf den Tag festlegen,
an dem die bergrechtliche Genehmigung vorliegt.

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Die Wasserkraft ist nach wie vor die günstigste erneuerbare Energien Technologie. Die Aus-
baupotenziale sind jedoch eng begrenzt, weshalb für eine Mengensteuerung über eine dy-
namische Degression kein Anlass besteht. Wir wollen deshalb auch bei der Wasserkraft bei
der Einspeisevergütung bleiben.

Die Bürgerenergiewende voranbringen
Nach dem Aus für das Grünstromprivileg im EEG 2014 wollen wir eine neue Möglichkeit
schaffen, Ökostrom aus deutschen Erneuerbaren-Anlagen als Ökostrom zu vermarkten.
Dazu wollen wir ein Ökostrommarktmodell einführen. Der Bundesrat hat zuletzt auf Initia-
tive Nordrhein-Westfalens die Bundesregierung aufgefordert, endlich ein eigenes
Ökostrommarktmodell vorzulegen. Passiert ist bislang nichts: Hier muss die Bundesregie-
rung endlich aktiv werden. Wir wollen MieterInnen, die nicht selbst Anlagen auf ihren
Häusern errichten können, über Mieterstrommodelle an der Energiewende teilhaben und
profitieren lassen. Dafür müssen aber regulatorische Hemmnisse sowie unsinnige Abgabe-
lasten beseitigt werden. Aber auch das Strommarktdesign hat Auswirkungen auf den
Ökostromausbau und dessen Finanzierung. Wir wollen einen Mechanismus mit dem die Re-
gionen, in denen erneuerbare Energien ausgebaut werden, vom Ausbau profitieren. Eine
Beteiligungsoption von Anwohnerinnen und Anwohner um die Windenergieanlagen – wie
in Dänemark seit Jahren vorgeschrieben oder in Mecklenburg-Vorpommern geplant – wol-
len wir prüfen. Auch soll weiterhin der deutlich höhere Anteil der Gewerbesteuer in der
Standortgemeinde verbleiben. Wir können uns eine Erhöhung des Anteils von 70 auf 90
Prozent vorstellen, der Rest fließt dorthin, wo der Betreiber seinen Geschäftssitz hat. Dabei
soll die Gewerbesteuer auch dann noch in den Standortgemeinden gezahlt werden, wenn
die Anlageninvestition abgeschrieben ist.
Der Eigenverbrauch von Strom aus (PV- oder Kleinwind-)Anlagen kann die Stabilität des
Stromnetzes erhöhen. Hausstromspeicher wollen wir deshalb ausbauen und weiter fördern
– das soll auch für bestehende Anlagen gelten. Die EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch
(„Sonnensteuer“) konterkariert dieses Ziel und bestraft diejenigen, die die Stromnetze ent-
lasten. Wir wollen die Sonnersteuer deshalb wieder abschaffen und die Kosten im Rahmen
einer Reform der Netzentgelte fair verteilen.

18 | Autorenpapier Grüne Stromwelt | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 02/2016
Die Neue Stromwelt
Um unsere Klimaschutz- und
Energiewendeziele im Stromsek-
tor zu erreichen brauchen wir
weiterhin einen dynamischen
Ausbau bei allen erneuerbaren
Energien Technologien. Die Stu-
die „Die neue Stromwelt“1, der
Agentur für Erneuerbare Ener-
gien zeigt: 100 Prozent erneuer-
barer Strom sind möglich! Für
eine vollständig regenerative
Stromerzeugung sind Kapazitä-
ten von 290 Gigawatt erneuer-
baren Energien Anlagen nötig,
um etwa 600 TWh im Jahr zu er-
                                     Abbildung 1
zeugen (siehe Abbildung 1 und
Tabelle 1). Das ist in etwa die-
selbe Strommenge, wie wir sie heute verbrau-
chen. Allerdings rechnen wir damit, dass wir
einerseits Strom effizienter nutzen und ande-
rerseits weitere Verbraucher im Wärme- und
Verkehrssektor dazukommen. Der Schwerpunkt
sollte dabei auf der Photovoltaik und der
Windenergie an Land liegen. Doch alle erneu-
erbaren Energien haben ihre wichtige Funk-
tion im Strommix.
Tabelle 1 zeigt im Vergleich, wie viel Leistung     Tabelle 2
der einzelnen erneuerbaren Energien Techniken bis Ende 2014 bereits in Deutschland in-
stalliert waren. Um dieses Ziel möglichst schnell zu erreichen ergeben sich daraus Zubau-
Ziele für die einzelnen erneuerbaren Energien Technologien (vgl. Tabelle 2).

1
  Agentur für Erneuerbare Energien (2015): „Die Neue Stromwelt“, Studie im Auftrag der Grünen Bundestags-
fraktion, Link: https://www.gruene-bundestag.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/18-28-Die_neue_Strom-
welt-ONLINE.pdf

                             02/2016 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Autorenpapier Grüne Stromwelt | 19
Tabelle 3

20 | Autorenpapier Grüne Stromwelt | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 02/2016
5. DEN STROMMARKT NEU AUSRICHTEN

Der Strommarkt der Zukunft schützt das Klima: Er macht es möglich, dass immer weniger
fossile Kraftwerke für das System nötig sind. Gleichzeitig werden immer mehr Menschen
verlässlich mit günstiger Energie aus Sonne, Wind und Wasser versorgt werden. Dieser
Markt muss aber aktiv vorangetrieben werden, denn alte und neue Stromwelt passen nicht
zueinander.
In der alten Stromwelt werden die schmutzigen und gefährlichen Brennstoffe Kohle, Gas, Öl
und Uran in großen Kraftwerken verfeuert. Darauf ist der bisherige Strommarkt ausgerich-
tet. Man handelt dort Strommengen in Kilowattstunden und nur dafür gibt es einen Preis.
In der neuen Stromwelt versorgen uns vor allem Wind und Sonne mit Strom. Doch ihr Strom
ist fluktuierend und darauf müssen wir unsere gesamte Stromversorgung ausrichten. Des-
halb muss die Flexibilität des Systems im Mittelpunkt stehen und nicht die Fähigkeit, mög-
lichst viele Stunden im Jahr einen Brennstoff zu verfeuern. Wir dürfen daher nicht nur die
Strommengen in Kilowattstunden handeln, sondern müssen entsprechende Rahmenbedin-
gungen für die verlässliche und flexible Bereitstellung von Leistung schaffen.
Auf dem Weg in die neue Stromwelt werden hochflexible Gaskraftwerke, die deutlich weni-
ger CO2 ausstoßen als Kohlemeiler, eine Brückenfunktion haben. Wind- und Sonnenstrom
kann zudem in Speichern zwischengelagert werden, oder (industrielle) Stromverbraucher
animiert werden, zu bestimmten Zeiten weniger Strom zu verbrauchen und ihre Nachfrage
auf Zeiten mit mehr Wind und Sonne zu verschieben. Für manche Stromkunden ist es egal,
wann genau sie ihre Energie abrufen. Ihrer Bereitschaft, das zeitlich zu steuern (Lastma-
nagement), kann man einen Preis geben, der auf dem neuen Strommarkt gehandelt wird.
Ziel dieses neuen Strommarktes ist es, eine komplett saubere und klimafreundliche
Energieversorgung zu ermöglichen und Versorgungssicherheit zu garantieren. Doch mit
kleinen Reparaturen die sich an fossilen Grundlastkraftwerken orientieren wird das ganz
sicher nicht erreicht. Der momentane Kraftwerkspark in Deutschland ist zu alt, zu klima-
schädlich, zu unflexibel und zu ungleich innerhalb Deutschlands verteilt. Die momentane
Flickschusterei der Bundesregierung – etwa durch die Reservekraftwerks-Verordnung, Re-
dispatch-Vereinbarung, Lastabschalt-Verordnung, Winterreserve, Netzreserve und der
neuen Kapazitäts- und Kohlereserve – führt nicht zu einem Strommarkt, der die Strompro-
duktion durch erneuerbare Energien in den Mittelpunkt stellt.

Beweglich und erneuerbar – Der ökologische Flexibilitätsmark
Die große Koalition hat sich gegen Kapazitätsmärkte entschieden. Mit einer Kapazitäts-
und Kohlereserve parkt sie die Dreckschleudern von Gestern im Heute. Alte, unflexible Koh-
lekraftwerke erhalten eine Vorhalteprämie, während Speicher, verstetigte Erneuerbare und
Laststeuerungsmaßnahmen weiter nicht in den Markt kommen. Mit dieser Entscheidung
setzt die Bundesregierung die völlig falschen Impulse. Kohlekraft bekommt Vorfahrt, wäh-
rend Klimaschutz und die dringend benötigte Flexibilität aufs Abstellgleis geraten.

                        02/2016 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Autorenpapier Grüne Stromwelt | 21
Statt eines energiepolitischen Stillstands muss die Bundesregierung sich endlich trauen,
das Strommarktdesign zu optimieren und bestehende Ineffizienzen beseitigen. Für uns ist
klar: Es darf keine Subventionen für Kohlekraftwerke geben. Anders als in der Vergangen-
heit muss sich der Strommarkt künftig stärker an den Erneuerbaren ausrichten. Dafür stel-
len wir alle Ausnahmen und Subventionen konstant auf den Prüfstand, denn es braucht
Flexibilität zu möglichst geringen CO2-Emissionen. Wir wollen, dass hochflexible und kli-
mafreundliche Backup-Kapazitäten wie Biomasse, Gas oder ein Nachfrageaufschub durch
die Stromverbrauer einspringen, wenn die Sonne mal nicht scheint oder der Wind vorüber-
gehend nicht weht. Dazu bedarf es der schrittweisen Stilllegung von Kohlekraftwerken über
die Einführung eines CO2-Grenzwerts und einer wirksamen Reform des EU-Emissionshan-
dels. Sollten diese Schritte nicht ausreichen, um die erforderlichen Investitionen anzure-
gen, brauchen wir weitergehende Maßnahmen.
Deshalb schlagen wir Grüne den ökologischen Flexibilitätsmarkt vor. Dieser stellt eine
Weiterentwicklung des Strommarktes dar und ist gerade auch für neue, kleine und klima-
freundliche Marktakteure eine Chance. Wir wollen einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb
um die flexibelsten und klimafreundlichsten Kapazitäten. Damit machen wir einen Vor-
schlag, der pragmatisch, gut steuerbar und kalkulierbar den Herausforderungen hin zu ei-
ner sicheren Versorgung und wirksamem Klimaschutz begegnet. Und sich von Ideen verab-
schiedet, die im Gestern liegen.
Kühlhäuser von großen Supermarktketten etwa oder Unternehmen mit Rechenzentren kön-
nen dann gegen eine Prämie in Teilen vorübergehend vom Netz gehen, wenn der Strom
knapp ist. Durch einen solchen ökologischen Flexibilitätsmarkt sind Versorgungsengpässe
so gut wie ausgeschlossen.
Beim ökologischen Flexibilitätsmarkt schätzt z.B. die Bundesnetzagentur wie groß eine zu
erwartende Versorgungslücke ist, und schreibt die entsprechende Menge an zusätzlich be-
nötigten Kapazitäten aus. Im Rahmen einer Auktion bestimmt dann der kostengünstigste
Bieter anhand von festgelegten Kriterien die Höhe des zu zahlenden Preises, um die benö-
tigten Kapazitäten verlässlich bereitzustellen. Grundlage der Entscheidung für einen Bieter
müssen in jedem Fall folgende Kriterien sein: Effizienz, Emissionsintensität, Flexibilität,
Verfügbarkeit und Regionalität. Nur so kann sichergestellt sein, dass volkswirtschaftlich
effiziente, das Klima schonende, den fluktuierenden erneuerbaren Energien angemessene
und wirklich sicher abrufbare Kapazitäten eine Vergütung erhalten – und zwar dort, wo
auch der Bedarf entsteht.

22 | Autorenpapier Grüne Stromwelt | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 02/2016
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