Auf zu interreligiösen Ufern - Der neue aufbruch - Université de Fribourg

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Auf zu interreligiösen Ufern - Der neue aufbruch - Université de Fribourg
UNABHÄNGIGE ZEITSCHRIFT FÜR RELIGIONEN UND GESELLSCHAFT

Niloufar Banisadr                Seele sucht Sinn                  Unverhandelbare Zugehörigkeit
Wie die Fotokünstlerin mit zwei Warum sich Psychologie und         Warum multireligiöse Familen auf
Religionen und Kulturen arbeitet Religion heute besser verstehen   rutschigem Gelände leben

                                   Auf zu
                   interreligiösen Ufern
                                                         Der neue aufbruch

www.aufbruch.ch                                                               Nummer 248 | 3. Februar 2021 | Jahrgang 33
Auf zu interreligiösen Ufern - Der neue aufbruch - Université de Fribourg
6      Familie im Prisma der Religionen

           Generationenbeziehungen
           im Zeichen des Wandels
           Wie beeinflussen kultureller Hintergrund und religiöse Einstellungen das Verhältnis der Generationen und die Art,
           wie »Familie« gelebt wird – und dies vor dem Hintergrund eines rasanten Wandels der Weltgesellschaft?

                                                                                                                                                          FOTO: ZVG
           Mona Taha und
           ihr Sohn Ebnomer.
           Ihr Leben findet    Von Christian Urech
           zwischen dem

                               W
           Sudan und der                   enn man über das Verhältnis der Generatio-       zu Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins – jetzt eher
           Schweiz statt                   nen innerhalb der verschiedenen Religionen       auf dem »Mist« der Kultur oder der Religion gewachsen
                                           spricht, könnte man leicht aufs Glatteis gera-   und inwiefern beeinflussen sich die beiden Themenfel-
                               ten. Das Wichtigste deshalb gleich vorweg: Es gibt sie       der? Ganz zu trennen sind sie zweifellos nicht, ganz iden-
                               nicht, die Familie im Islam, im Christentum oder im          tisch sind sie aber sicherlich auch nicht. Auch nicht-reli-
                               Hinduismus oder in irgendeiner anderen Religion. Jede        giösen Menschen stellt sich die Frage, wie die grossen
                               Familie ist ein Einzelfall und das Verhältnis der Angehö-    Übergänge im Leben – Geburt, Abschluss der Pubertät,
                               rigen dieser Familien muss individuell betrachtet werden.    Heirat, Tod – begangen werden sollen; die entsprechen-
                               Zweitens: Es gibt die Religionen nicht als erratische Blö-   den Rituale haben fast immer einen religiösen Hinter-
                               cke, Christentum wird in Indien anders gelebt als in Gha-    grund. Grosse religiöse Feste wie Weihnachten, Divali,
                               na oder Italien. Des Weiteren ist das komplizierte und       Chanukka, Eid al-Fitr betreffen alle in den betreffenden
                               nicht immer aufzudröselnde Verhältnis zwischen Religi-       Gesellschaften – egal, wie religiös der oder die einzelne
                               on und Kultur zu bedenken: Ist Familie – das Verhältnis      sein mag.
aufbruch
 Nr. 248                       der Ehepartner, das Verhältnis zwischen Eltern, Grossel-        Überdies ist der Familienbegriff und sind Generatio-
   2021                        tern und Kindern und allenfalls auch noch die Beziehung      nenbeziehungen einem dynamischen Veränderungspro-
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Familie im Prisma der Religionen          7

zess unterworfen – durch Globalisierung und Digitali-                                                                    Satish Joshi
sierung, durch das Mobilitätsverhalten und die Ar-                                                                       ist Präsident des
beitsbedingungen. Und die Gesellschaft verändert sich                                                                    Schweizerischen
natürlich überall auf der Welt, nicht nur bei uns in der                                                                 Dachverbands für
Schweiz.                                                                                                                 Hinduismus und
   Wenn wir Familien betrachten, die einen Migrations-                                                                   vertritt damit die
hintergrund haben, weil ein Elternteil oder beide El-                                                                    drittgrösste Religi-
ternteile von zwei verschiedenen Kulturen geprägt wur-                                                                   onsgemeinschaft
den, nämlich ihrer Ursprungskultur und der Kultur ihrer                                                                  der Schweiz (ca.
neuen Heimat, wird die Sache noch einmal komplizier-                                                                     50 000 Menschen)
ter. Sind die Eltern Migranten der ersten oder zweiten                                                                   oder 0.6 Prozent
Generation, sind die Kinder vielleicht schon Angehöri-                                                                   der Schweizer
ge der dritten oder vierten Generation? Je weiter der                                                                    Bevölkerung).
Zeitpunkt der Migration zurückliegt, desto weniger be-
steht ein Unterschied zu den »Einheimischen«, die ja
auch alle irgendwann von irgendwoher eingewandert
sind.

Respekt und Fürsorge: die Werte der Hindus
Das zeigt sich am Beispiel der Familie Joshi. Der Inder
Satish Joshi ist Naturwissenschaftler und Kulturkom-
                                                             Die Bürde der Töchter
munikator für indische Kultur und die Weltreligion
Hinduismus. Der praktizierende Hindu lebt seit etwa          Selbstverständlich gibt es Unterschiede darin, wie die
50 Jahren in der Schweiz, ist mit einer Schweizerin          Generationen im traditionellen Sinn in den verschiede-
christlichen Glaubens verheiratet und Vater von zwei         nen Religionen miteinander umgehen und wie »Fami-
jungen Erwachsenen, einer Tochter und einem Sohn,            lie« gelebt wird. Aktueller als die Frage nach diesen Un-
die er augenzwinkernd als »moitié-moitié« bezeichnet.        terschieden ist die heute tatsächlich gelebte Realität.
  »Hier versucht man Religion und Kultur auseinan-           Die Situation von Frauen ist in eingewanderten Famili-
derzuhalten, aber in Indien, in Sri Lanka oder in Nepal      en hinsichtlich der Generationenfrage häufig besonders
sind sie sehr schwer zu trennen. Religion und Kultur         schwierig, weil die praktische Fürsorge für die alternden
überlappen sich. Bewusst oder unbewusst, direkt oder         Eltern oft traditionell an den Töchtern und Schwieger-
indirekt wird das Verhalten eines durchschnittlichen         töchtern festgemacht wird. Eltern, die aus einfachen
Hindus von seinen religiösen Wurzeln geprägt.« In In-        Verhältnissen stammen und in die Schweiz migrieren,
dien verstehe man sich nicht primär als eine einzelne in-    wollen ihren Söhnen und auch ihren Töchtern in der
dividualistische Einheit, wie es hier in der Schweiz der     »Fremde« in der Regel zu mehr Bildung und einem bes-
Fall sei. Man lebe mit und für die Familie. Die Eltern       seren Leben verhelfen. Dies kann zur Situation führen,
und ältere Verwandte seien Respektspersonen. Ihnen           dass die Töchter, wenn sie einmal Ärztinnen und Juris-
mit Hochachtung zu begegnen, sei für die meisten In-         tinnen geworden sind, sich nicht mehr im traditionellen
der*innen selbstverständlich. Er erläutert den Unter-        Sinn um die Eltern kümmern können. Probleme entste-
schied zu den hiesigen Verhältnissen an folgendem Bei-       hen dann zum Beispiel dadurch, dass Töchter den Spa-
spiel: »Wenn mich mein Vater oder mein Onkel                 gat zwischen den Anforderungen der Eltern, des Berufs,
besuchte, dann holte ich ihm sofort ein Glas Wasser.         ihrer Partnerschaften und der eigenen Kinder machen
Wenn ich es vergass, mahnte mein Vater: Satish, kannst       müssen, was zu Stress und sogar zur Überforderung füh-
du dem Onkel ein Glas Wasser bringen? Ich habe es in         ren kann. In einer globalisierten Arbeitswelt ist es zu-
meinem Leben aber bisher noch nicht gewagt, meinem           dem nicht unwahrscheinlich, dass die erwachsenen, gut
Sohn zu sagen: Du, kannst du für den Gast ein Glas           ausgebildeten Kinder eine Stelle im Ausland überneh-
Wasser holen? Weil ich Angst habe, dass er sagen wür-        men und die immigrierten Eltern, deren einziges Hei-
de: Hol es doch selber!« Und etwas resigniert fügt er bei:   matgefühl hier in der Fremde die Präsenz ihrer Kinder
»Dieser Unterschied ist nicht zu ändern. Meine Frau ist      war, sich plötzlich allein gelassen fühlen. Die Tatsache,
Zürcherin, beide Kinder wurden hier geboren, die sind        dass Autoritäten nicht mehr traditionell nach Alter zu-
genau wie jedes schweizerische Kind aufgewachsen.«           geteilt werden können, kann ebenfalls zu Streitigkeiten
  Dass seine beiden Kinder mit zwei verschiedenen            und Problemen führen.
Kulturen aufgewachsen sind, findet er dennoch »opti-            Fatima Boulahna kommt ursprünglich aus Marokko.
mal«. Und wegen der Job-Mobilität würden die traditi-        Sie ist da geboren, aber schon als Kleinkind in die
onellen hinduistischen oder indischen Werte auch in          Schweiz gekommen, sie hat ihre ganzen Schulzeit in der
Indien mehr und mehr in Frage gestellt. »Aber ich fin-       Schweiz absolviert und bezeichnet Schweizerdeutsch
de die alte indische Kultur und die alten hinduistischen     als ihre Muttersprache. Die 35-Jährige arbeitet seit drei
                                                                                                                                                aufbruch
Werte nach wie vor enorm gut und wichtig und ich bin         Jahren in der Offenen Jugendarbeit, seit 2017 absolviert                           Nr. 248
froh, dass es sie gibt.«                                     sie zudem ein Studium der Islamwissenschaften in Novi                              2021
8      Familie im Prisma der Religionen

                                Pazar, einer Universitätsstadt im südwestlichen Serbien.     Eine Atmosphäre der Nähe und Liebe
                                Spannungen innerhalb der Familie vor dem Hinter-
                                grund einer andersartigen Kultur hätten sich vor allem       Ebenfalls viel beschäftigt ist Ebnomer-Eltayeb Taha: Er
                                während der Pubertät von Fatima und ihren beiden             schreibt eine Masterarbeit an der Uni Zürich über isla-
                                Schwestern verschärft. Es gab Konfrontationen, Rei-          misch-philosophische Theologie in der Moderne, zu-
                                bungen und Ausgrenzungen. »Vor allem zwischen mir            dem ist er Geschäftsführer in einem Familienbetrieb,
                                und den Eltern verhärteten sich die Fronten, weil ich die    dem Green Marmot Capsule Hotel, dem erste Kapselho-
                                älteste war und das Eis brechen musste. Das ist relativ      tel im Herzen von Zürich, das nach einer Idee aus Japan
                                anstrengend. Wenn man es erst mal durchgestanden hat,        durchaus komfortable »Schlafboxen« anbietet. Überdies
                                fühlt es sich gut an, aber in der Kindheit ging der Pro-     engagiert er sich im Netzwerk Junger Schweizer Musli-
                                zess mit grosser Unsicherheit einher.« Man mache eine        me als Mitgründer und Präsident und ist auch noch
                                ganz andere Identitätsfindung durch als 90 Prozent der       muslimischer Seelsorger. In Saudi Arabien geboren,
                                Umgebung, befinde sich zwischen zwei verschiedenen           kam er einjährig 1989 in die Schweiz und machte spä-
                                Welten. Und man wisse eigentlich gar nicht, was die an-      ter in Karthoum, der Hauptstadt seines Heimatlands
                                deren von einem wollten, denn man verstehe weder die         Sudan, die Matura. Seine Muttersprache ist Arabisch, er
                                eine noch die andere Seite.                                  spricht aber auch fliessend Deutsch. Seine Mutter Mona
                                   Welche Spannungsfelder neben der Identitätsfindung        Taha lebt ebenfalls seit 1989 in der Schweiz, in Sankt
                                hat Fatima sonst noch erlebt? Sie erwähnt das Recht auf      Margrethen. Die ganze Familie umfasst zehn Personen:
                                Entscheidungsfreiheit – dass in der Schweiz Jugendli-        neben den Eltern vier Söhne und vier Töchter. Ebnomer
                                che ab einem gewissen Alter das Recht hätten, über vie-      ist der zweitälteste. Der Vater lebt momentan im Sudan,
                                le Dinge selber zu entscheiden – »was für mich persön-       und die ganze Familie pendelt zwischen der Schweiz
                                lich bis zu einem gewissen Alter oder bis zum Auszug         und dem Sudan hin und her, alle haben die C-Bewilli-
                                aus dem Elternhaus eher schwierig war«. Auch die Bil-        gung in der Schweiz. Ausser im Sudan haben sie auch
                                dung erzeuge ein Spannungsfeld, weil man sich mit zu-        Verwandte in Riad und in Jeddah.
                                nehmender Bildung in einem gewissen Sinn von der Fa-            Spielt Religion eine Rolle, wenn es um den Umgang
                                milie entferne.                                              der Familienmitglieder miteinander geht?

           »Viele Jugendliche interpretieren ihr Verhältnis zur Religion n
           Familie ist ein Ort unverhandelbarer Zugehörigkeit. Fragen an Islamwissenschafter Professor Amir Dziri

                          Amir Dziri ist Professor für     unterscheide ich zwischen Herkunftsfa-         in der Gesellschaft schwer, unterschiedli-
                          Islamische Studien am Schwei-    milie und der eigenen Familie. Diese           che Haltungen zu ertragen.
                          zerischen Zentrum für Islam      Umbruchsphasen treten in jeder Lebens-
                          und Gesellschaft in Fribourg.    biographie auf.                                Ist Religion im Blick auf den interreligiösen
                          Forschungsschwerpunkt ist u.a.                                                  Kontext eine Hilfe oder ein Hindernis?
                          der Islam in postsäkularen und   Hat Religion Einfluss auf die existenziellen   Sowohl als auch. Es gibt religiöse Ver-
                          pluralen Gesellschaften          Entscheidungen, wenn es vor dem Hinter-        ständnisse, die sich versteifen und die Reli-
                                                           grund solcher Umbruchsituationen um das        gion über die Familienbande heben. Sie
           aufbruch: Amir Dziri, ihre Familie stammt       Verhältnis der Generationen geht?              halten zum Beispiel daran fest, dass ein
           aus Tunesien, Sie sind im Rheinland aufge-      Existenzielle Fragen – Woher komme ich?        Muslim nicht in einer christlichen Familie
           wachsen und sozialisiert worden. Was sind       Wer bin ich? Wo will ich hin? – werden in      leben kann. Im muslimischen Kontext ist
           für Sie die Eckpfeiler einer muslimischen Fa-   der Familie als erstem Beziehungsort ver-      die Frage der bi-religiösen Ehe brennend.
           milie, wenn Sie den interreligiösen und in-     handelt. Dabei wird man bereits innerhalb      Viele haben die Haltung, dass es muslimi-
           terkulturellen Hintergrund betrachten?          der eignen Familie mit anderen Perspekti-      schen Frauen nicht gestattet sei, nicht-mus-
           Amir Dziri: Familie ist ein Symbol und          ven auf das Leben und auf ethische Fragen      limische Männer zu heiraten. Das ist ein
           Ort der Unverhandelbarkeit und Zuge-            konfrontiert. Zugleich ist dieser Findungs-    grosses Problem, das theologisch und sozi-
           hörigkeit. Für mich persönlich gehören          prozess ein Übungsfeld, mit unterschiedli-     al noch nicht gelöst ist.
           die Eltern, die Geschwister und die             chen Perspektiven und moralisch-ethi-
           Grosseltern dazu, zu denen aufgrund der         schen Haltungen umzugehen, und bereitet        Was verändert sich in der Familie, wenn man
           Migrationssituation leider nur sporadisch       Kinder auf die säkulare und plurale Gesell-    sich in einem Land mit einem ganz anderen
           Kontakt möglich war. Inzwischen gehört          schaft vor. Fällt die Familie als wichtiges    kulturellen Hintergrund befindet?
aufbruch
 Nr. 248
           auch meine eigene Familie, die noch in          Übungsfeld für unterschiedliche ethische       Es bildet sich eine Migrationsreligiosität
   2021    der Gründungsphase ist, dazu. Insofern          und religiöse Haltungen aus, wird es auch      heraus. Darunter verstehen wir eine Fami-
Familie im Prisma der Religionen         9

       »Für mich ja, weil mich die Religion verpflichtet, mich
    um die Verwandten zu kümmern und einen guten Kon-
    takt mit ihnen zu pflegen. Leider kann ich diese Bezie-
                                                                               »  Das Wichtigste ist eine
                                                                                gute Familienatmosphäre,
    hungen nicht so pflegen, wie ich es eigentlich möchte
    und sollte. Die Distanz spielt da erschwerend mit hin-
                                                                                   eine Athmosphäre der
    ein. Ein Kontakt per Skype oder Telefon ist natürlich                                Nähe und Liebe
    nicht das Gleiche wie ein Besuch.«
       Mona Taha, die Mutter, bestätigt, dass die Religion                                                      Mona Taha
    für die Familie eine wichtige Rolle spielt. »Es sind spe-
    zifische Werte und Verhaltensweisen, die man im Um-          den Gesellschaften vergleichen. Wenn ich hier Diskri-
    gang der Familie untereinander einüben kann. Das             minierung und Ausschluss erfahre, relativiert sich das
    Wichtigste ist eine gute Familienatmosphäre, eine At-        dadurch, dass ich gesehen habe: Diskriminierung und
    mosphäre der Nähe und Liebe, aber es geht nicht um ir-       Ausschluss finden auch in meiner eigenen Kultur statt.
    gendwelche Formalismen im Umgang miteinander,                Ich kann und will mich nicht die ganze Zeit als Opfer
    sondern um eine Haltung des Respekts, die von Herzen         oder als Aussenseiter sehen. Schlechte Menschen gibt es
    kommt. Respekt schafft eine Einheit innerhalb der Fa-        überall. Wenn man nur die Schweiz gesehen hat, dann
    milie«, sagt die Mutter. »Für meine Eltern wäre zum          weiss man nicht, wie das Familienleben im Herkunfts-
    Beispiel das Wunschstudium für mich ein Studium der          land aussieht, wie die Kultur dort gelebt wird, wie auch
    Medizin oder als Ingenieur gewesen, aber ich habe mich       dort Leute ausgeschlossen werden. Ich bin einfach
    für einen anderen Weg entschieden. Ich bin dankbar,          dankbar, dass ich in verschiedenen Ländern aufgewach-
    dass meine Eltern das respektieren«, ergänzt Ebnomer.        sen bin. Das hat mich reifer gemacht.«               u

       Er sagt, er könne problemlos in einer multikulturellen
    Gesellschaft leben, weil die arabischen Länder ebenfalls     Eine Langversion des Artikels, in dem auch die Schwei-
    eine Phase der Globalisierung und einer gewissen Libe-       zerin Isabel S., verheiratet mit einem muslimischen
    ralisierung durchliefen. »Da ich sowohl im Sudan als         Ägypter und Mutter zweier Töchter im Teenageralter,
    auch in der Schweiz aufgewachsen bin, kann ich die bei-      zu Wort kommt, finden Sie auf aufbruch.ch.

n neu«

    lienkultur, bei der die Familie in der Migra-   sich zurechtzufinden. Ich denke, es ist         muslimische Jugendliche all ihre Fragen
    tion verstärkt zu einem Rückzugsort wird,       wichtig, dass Familien in einer solchen         rund um Religion und Identität neu. Auf
    zu einer Art Schutzhafen, wo man sich ge-       Migrationssituation einen Übergang fin-         diesem Weg entstehen in solchen Peer-
    genseitiger Solidarität, manchmal auch ge-      den angesichts der neuen Lebenslage, die        groups interessante Transfermomente, die
    gen die Gesellschaft, vergewissern muss.        für sie keine Bedrohung mehr bedeutet,          eine spannende Dynamik in Gang bringen.
    Dieses soziologische Faktum ist aber nicht      sondern für die Kinder und auch für die         Dies läuft nicht mehr unbedingt über den
    spezifisch muslimisch, sondern allgemein        Elterngeneration neue Perspektiven bietet.      traditionellen Rahmen der Moschee, son-
    gültig. Diese Beobachtung ist auch kein län-                                                    dern häufig über soziale Medien oder
    der- oder kulturspezifisches Phänomen, son-     Was ändert sich für die Kinder                  spontane Treffen. Für die Elterngeneration
    dern trifft gleichermassen etwa auf Deutsche    und Jugendlichen konkret?                       ist es dann wichtig, loszulassen und in sol-
    zu, die nach Brasilien emigrieren und dort      Kinder der ersten und zweiten Generation        chen Situationen ihrem Nachwuchs zu
    eine deutsche Bäckerei gründen, weil sie        erleben sehr häufig, dass ihre Eltern Angst     vertrauen, dass sie ihre eigenen Lebensent-
    gern ihr gewohntes Brot essen wollen.           haben, dass ihre Kinder orientierungslos in     würfe in einer neuen gesellschaftlichen
                                                    ihr Leben starten. Solche Kinder müssen         Umgebung realisieren können. Damit än-
    Wie verändert sich das Verhältnis               lernen, zwischen diesen Polen zu jonglie-       dert sich die Rolle der Eltern vom Be-
    der Generationen?                               ren. Dabei konnten wir feststellen, dass vie-   schützer zum Begleiter ihrer Kinder, die
    Werden die Kinder der ersten Einwander-         le Jugendliche ihr Verhältnis zu ihrer Reli-    ehemalige Haltung der Obhut und Vor-
    generation durch die Schule in die Gesell-      gion und Identität im schweizerischen           sicht kann zum Erkennen neuer Möglich-
    schaft integriert, ergeben sich erste Span-     Kontext reinterpretieren. Dazu haben sie        keiten und Ressourcen führen. Darum sind
    nungen, weil sich die Funktion der Familie      sich zusammengetan und neue Organisati-         die inklusiven Kontaktmöglichkeiten, die
    als erster Bezugsort langsam auflöst. Die       onen wie zum Beispiel das Young Swiss           sich auch für die Elterngeneration über die
                                                                                                                                                    aufbruch
    Kinder lernen die Landessprache, lernen,        Muslim Network gegründet. In diesem             sozialen Institutionen der Kinder eröffnen,     Nr. 248
    wie die Gesellschaft funktioniert, lernen,      Rahmen diskutieren und durchdenken              sehr wichtig.  Interview: Wolf Südbeck- Baur   2021
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