Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST

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Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
HILF     DIR   SELBST
Journal der Schweriner Selbsthilfe
Ausgabe 1 | 18. Jahrgang | März • April • Mai 2020

                                                     Thema:
                                aufgeräumt
Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
Editorial

    HILF     DIR SELBST                                           Liebe Leserin,
    Journal der Schweriner Selbsthilfe
    Ausgabe 1 | 18. Jahrgang | März • April • Mai 2020            lieber Leser,
                                                                  nun also „aufgeräumt“. Das klingt so
                                                                  abgeschlossen und quasi als wäre es
                                                                  für immer. Doch kaum hat man auf-
                                                                  geräumt, beginnt die Unordnung
                                                                  schon wieder sich breit zu machen –
                                                                  ein scheinbar nicht enden wollender
                                                                  Kreislauf.
                                                         Thema:   Haben Sie heute schon aufgeräumt?

                                    aufgeräumt                    Je nach dem, was es ist, kann es mehr
                                                                  oder weniger anstrengend sein – oder
                                                                                                                                      Foto: Gudrun Schulze

                                                                  eben Gewohnheit. Für die einen ist der        SHG der Genussläufer*innen tun: mon-
                                                                  Sinn des Lebens schon erfüllt, wenn al-       tags und freitags, dienstags und don-
                                            Inhalt                les schön sauber und ordentlich ist, für      nerstags ist Treffpunkt 17:30 Uhr an der
                                                                  die anderen spielt das nun gerade die         Schleifmühle und dann geht´s einmal
Titelbild Henriette Fotografie���� 1                             kleinste Rolle, weil andere Tätigkeiten       um den faulen See.
Editorial Sabine Klemm�������� 2                                 wichtiger erscheinen. Aufräumen ist           Die größte Aufräum-Aufgabe ist das ei-
Gastkolumne Kirsten Jüttner (vdek) 3                             also eine Frage der Prioritätensetzung.       gene Leben. Der Transmann Patrick Fa-
Umfrage Wann räumen Sie auf?��� 4                                Unser Land (der Dichter und Denker) wird      low beschreibt seinen Weg von Frau zu
Erfahrung Meditation räumt Geist                                  von außen oft als „sauber, ordentlich und     Mann und die Herausforderungen, de-
und Körper auf�������������� 6
                                                                  diszipliniert“ gesehen und so sind hier       nen er sich dabei stellen musste. Bei
Thema Minimalistisch leben����� 7                                auch die „inneren Werte“. Jedem und Je-       Menschen mit Messie-Syndrom ist Auf-
Ratgeber Balsam aus der Natur��� 8                               der sollte doch zugestanden werden, den       räumen in komplexe Lebenszusam-
Erfahrung Ein Fall von Putzsucht� 10                             Grad der eigenen Ordnung selbst zu be-        menhänge eingebettet und erfordert
Erfahrung                                                         stimmen. Jeder kennt den alten Spruch         besonders viel Kraft. Anja Filips lässt uns
Ein langer Weg zum klaren Kopf?�� 11
                                                                  „Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Su-    teilhaben, wie sie zur Meditation kam
Erfahrung
Das Leben gründlich aufgeräumt� 12                               chen.“ Dabei hat sich oft schon herausge-     und Henriette Fotografie beschreibt ih-
Selbsthilfe
                                                                  stellt, dass gerade nach dem Aufräumen        ren Weg vom Beruf zur Berufung.
Chaos im Kopf������������� 13                                    nichts mehr zu finden ist.                    Insbesondere bei jüngeren Menschen
Erfahrung Auf der Suche nach dem                                  In dieser Ausgabe betrachten wir den          steht derzeit das Konzept des Minima-
richtigen Beruf������������� 14                                  „Frühjahrsputz“ von verschiedenen Sei-        lismus hoch im Kurs. 75 Jahre nach dem
Menschen                                                          ten. Gleich in der Gastkolumne von Kirs-      Krieg leben wir in einer Überflussgesell-
Räumen, bevor die Putzfrau kommt 15                              ten Jüttner erfahren wir, dass „aufge-        schaft, in der es sich lohnt, auf wirkliche
Thema Zero waste – Leben ohne                                     räumt“ im übertragenen Sinne auch             Werte zu schauen. In diese Richtung
Müll zu produzieren��������� 16                                  „gut gelaunt“ bedeutet. Das wird im All-      geht auch die Bewegung des Zero-Was-
Selbsthilfe Für manche                                            tag heute kaum noch so gebraucht, ist         te (Null Müll). Bleibt die Frage, wo in
eine Sisyphosaufgabe�������� 17
                                                                  aber sehr hübsch.                             Schwerin Lebensmittel unverpackt ab-
Menschen
Freiraum nun im Klöresgang���� 18
                                                                  Dass sich innere und äußere Ordnung           geholt werden können.
                                                                  spiegeln und vielleicht doch bedingen,        Im kommenden Jahr 2021 feiert die
Interview
Drei Fragen an Juliane Venohr, AOK 19                            zeigt sich im Ringen um die richtige Ba-      KISS ihr 30jähriges Jubiläum. Ein gu-
Service                                                           lance beim Aufräumen der Wohnung.             ter Grund, aufzuräumen, alles auf den
KISS unterwegs������������ 20                                    Einerseits möchte man nicht als spie-         neusten Stand zu bringen, Durchblick
Service Neue Selbsthilfegruppen� 21                              ßig gelten, andererseits auch nicht als       zu schaffen. Schließlich bedeutet aufge-
Zu guter Letzt/Förderer������ 22                                 schlampig. Dabei spielt offensichtlich        räumt sein auch, bereit zu sein für Neu-
So gesehen                                                        die Sozialisation eine Rolle. Aber das        es. In diesem Sinne: Kommen Sie gut
Ein ständiger Wegbegleiter����� 23                               Wichtigste ist das eigene Wohlfühlen.         gelaunt durch den Frühling!
Impressum��������������� 24                                      Aufräumen ist auch Bewegung. So
Die nächste Zeitschrift                                           kriegt man beim Pilgern durch Gehen           Ihre Sabine Klemm
erscheint Anfang Juni 2020 zum                                    den Kopf frei. Klingt einfach, nur die Zeit
Thema „sicher?!“.
                                                                  dafür muss man sich nehmen. Das kann
                                                                  man auch in Schwerin mit der neuen

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Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
Gastkolumne

                                    „aufgeräumt!“

    Das Thema ist gesetzt, einfach so,    unser Kleiderschrank, die Garage               helfen, ist aber nicht jedermanns Sa-
gerne auch ohne Bezug von Kranken-        oder im Büro der Posteingangssta-              che. Auch Spazierengehen im Grü-
kasse bzw. Ersatzkassenverband zu         pel, die stressen. Nur hier können wir         nen oder Tagträumen sollen unserem
KISS oder LAG Selbsthilfe oder Selbst-    eben versuchen, Ordnung sichtbar zu            Gehirn helfen die Verbindungen zwi-
hilfe allgemein. Ich habe zugesagt        machen.                                        schen seinen Zellen aufzubauen. Des-
und freue mich über die Möglichkeit.          Die meisten Informationen, die             halb liebe ich den Schlosspark und
Und es gibt doch einen Bezug zur          wir ordnen wollen, erreichen uns               öffentliche Verkehrsmittel, in denen
Selbsthilfe. „Aufgeräumt!“ gehört seit    heute über digitale Medien. Nicht un-          kann man ohne Ablenkung und ohne
kurzer Zeit zu diesen Selbstoptimie-      bedingt Social-Media, man braucht              etwas zu verpassen Löcher in die Luft
rungsdingern. Frei nach dem Motto,        nicht bei Facebook und Co. zu sein.            gucken. Auch bieten die Ersatzkassen
„in einem aufgeräumten Haus wohnt         Es reichen die Online-Ausgaben von             gute Präventionskurse an, autogenes
ein aufgeräumter Geist“ oder viel-        Zeitschriften oder der Tageszeitung            Training oder Meditieren und vieles
leicht auch eher „erstmal aufräumen,      und was einem sonst noch Push-                 mehr.
vielleicht sehe ich dann klarer.“         Nachrichten aufs Handy schickt. Mei-               Und wir haben auch richtig aufge-
    Tatsächlich fällt mir zu „aufge-      ne Kinder sind der Auffassung E-Mails          räumt. Wir haben zum Jahreswechsel
räumt“ zuerst ein kleines, fröhliches     sind out. Im normalen Verwaltungs-             ein ganzes Archiv reduziert. Auch un-
Männchen ein, so comicmäßig. Ich          handeln ist davon nichts zu spüren,            zählige Ordner „Selbsthilfe“ konnten
google daher. Wörterbuch sagt – „auf-     die Postfächer sind voll. Und alles for-       in die Tonne. Digitalisierung hat auch
geräumt“, Adjektiv, gut gelaunt; in ge-   dert erst einmal die gleiche Aufmerk-          ihre Vorteile. Wir sind zwar noch weit
löster, heiterer Stimmung. Passt! Da-     samkeit, denn die Wenigsten markie-            entfernt vom papierlosen Büro, aber
neben, die obligatorische Werbung,        ren ihre elektronische Nachricht mit           seit einigen Jahren legen wir vieles
zu allen denkbaren Ratgebern wie          „Wichtigkeit: Niedrig“.                        elektronisch ab und stellen es so auch
„Aufgeräumt leben“, “Aufräumen mit            Früher dachte ich, in Stresszeiten         unseren Mitgliedskassen zur Verfü-
Marie Kondo“ (die japanische Auf-         öfter mal was vergessen heißt, Fest-           gung. Aufgeräumt mit alten Gewohn-
räum- und Lebensberaterin). Und all       platte ist voll, zusätzliche Informatio-       heiten, diese Informationen müssen
diese Ratgeber versprechen Freiheit,      nen fallen runter, urlaubsreif. Stimmt         nicht auf Papier vorgehalten werden.
aber erst, wenn denn aufgeräumt ist.      nicht. Informationen werden nicht in
    Doch kennen Sie die Kinder, die       den Gehirnzellen gespeichert, son-
nach dem Aufräumen nicht mehr wis-        dern in den Verbindungen dazwi-
sen was sie spielen sollen? Der direkte   schen. Gehirne bauen diese Verbin-
Zugriff auf Dinge, die man tun möch-      dungen regelmäßig um, unwichtige
te oder tun muss ist nicht zu unter-      Verbindungen entfallen, wir fokussie-
schätzen. Heißt es also eher ab und       ren auf das Wichtige. Dauergestress-
                                                                                     Foto: Doreen Chittka, vdek

an entrümpeln, was übrigbleibt, ord-      te Gehirne bauen diese Verbindun-
net sich dann fast von selbst und ist     gen ab, sie räumen rigoros auf und
leicht zu finden?                         sind dabei leider auch etwas wahllos.
    Es ist nicht ganz von der Hand zu     Dass hier nicht aufgeräumt, sondern
weisen, Ordnung beruhigt, eine cha-       abgeräumt wurde, merken wir zuerst
otische Umgebung, die uns auffor-         nicht. Wir merken nur, dass etwa fehlt,
dert, gleichzeitig tausend Sachen zu      wir es vergessen haben, dass unsere
tun, stresst. Uns stehen heute zwan-      Möglichkeiten schwinden, wichtige
zig Mal mehr Informationen zur Ver-       Informationen zu speichern.                    Kirsten Jüttner
fügung als noch vor dreißig Jah-              Doch für viele von uns ist es gar          Leiterin der Landesvertretung Mecklen-
ren. Es ist in Wirklichkeit doch gar      nicht so einfach, es nicht soweit              burg-Vorpommern des Verbandes der
nicht unsere Krimskrams-Schublade,        kommen zulassen. Meditieren soll               Ersatzkassen e. V. (vdek)

                                                                                                                              3
Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
Umfrage

          „ a u f g e r ä u m t ”
                                                 in en ei n e Q  u al , für die anderen
                                nding, für die E                         chweriner, was
                                                                                        bei
               für Kinder ein U                    . W ir fr ag te n  S
                                 allerliebsten tun
               etwas,was sie am
                                mt“ ist.
                ihnen „aufgeräu

          Cindy Kröger, SHG HOPE – Frauen für Frauen:
          Beim Aufräumen mit der Vergangenheit und mit der Familie möchte ich auch an
          mich denken, nicht nur an die anderen.

          Udo Bernfeld, SHG Prostatakrebs Griese Gegend:
          Das Wichtigste beim Aufräumen für mich ist Ordnung schaffen.

          Christel Prüßner, SHG Prostatakrebs Griese Gegend:
          Was ist eigentlich aufräumen? Wenn bei mir jemand aufräumen würde, würde ich
          nichts mehr wiederfinden. Durchblick bekommen ist mir wichtig, dafür lohnt sich
          aufräumen.

          Silvia Sülflow Bezirksverein der Kehlkopfoperierten Schwerin e.V.:
          Aufgeräumt heißt für mich, alles ist an seinem richtigen Platz. Post z.B. hefte ich
          immer sofort ab.

          Detlef Müller Bezirksverein der Kehlkopfoperierten Schwerin e.V.:
          Wenn ich aus dem Haus gehe, muss grundsätzlich mein Bett gemacht sein. Zur-
          zeit sammle ich demonstrativ die Kippen vor unserem Haus, so, dass die Raucher
          das auch sehen – und jetzt wird es schon weniger.

          Petra Henckus:
          „Aufräumen ist mir sehr wichtig und ist in meinem Leben einfach selbstverständ-
          lich. Aufräumen gibt mir ein gutes Gefühl, Sicherheit und Geborgenheit. Ein
          schön aufgeräumtes Haus macht mich glücklich und gehört zu meiner Lebens-
          grundeinstellung, das habe ich von Kindheit an von meinen Eltern mitgegeben
          bekommen. Ein schöner bunter Blumenstrauß in jedem aufgeräumten Zimmer
          ist das I-Tüpfelchen.“

               Gabi Schulze, Rentnerin:
              Aufräumen bedeutet für mich, alles sauber zu halten. Ich habe eine große
              Wohnung. Da ist viel zu tun. Jeden Tag schwinge ich 3mal den Besen, um
              mich wohlzufühlen. Das geht natürlich nur seit ich Rentnerin bin und mehr
              Zeit zur Verfügung habe. An Tagen, an denen wir Schmuddelwetter haben,
             ist sogar noch mehr zu tun. Überall sind die Tapsen wegzuwischen. Allgemein
             kann ich sagen, dass ich sobald ich einen Krümel sehe den Besen schnappe.
             Da komme ich nicht mehr von ab. Es füllt meinen Tag den ich hauptsächlich
             allein verbringe.

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Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
Umfrage

                                                             Red, Lobo cerveza-hombre …Straßenmusiker:
                                                             Aufräumen bedeutet allgemein die Stube in Ordnung zu halten.
                                                             Ansonsten empfinde ich mich als aufgeräumt.

                                                             Martina Jäkel, Marktstand:
                                                             Für Martina Jäkel bedeutet aufräumen, dass an ihrem Stand alles geordnet und
                                                             übersichtlich an seinem Platz liegt. Die Kunden finden damit schnell, was sie su-
                                                             chen. Zwischen den Einkäufen häkelt sie, um innerlich aufzuräumen. Es ist Yoga
                                                             für die Seele, meint sie.

                                                             Coco Radsack, Das Kontor
                                                             Aufräumen? Wir wissen theoretisch was das ist… Wir lieben diese Kästen, Frau
                                                             Radsack zeigt uns lächelnd ein Exemplar. Dort kommen alle Kleinteile, die wir für
                                                             unsere künstlerische Arbeit benötigen sortiert hinein. So finden wir schnell, was
                                                             wir gerade brauchen. Denn die Zeit ist knapp bei der vielen Arbeit. Wenn wir auf-
                                                             räumen stellen wir die Kästen in die Kisten, aber nur bei guter Musik und Kaffee.

                                                             Wolfram Grafe, Grafikdesigner
                                                             Ich bin gerade am Aufräumen von Unterlagen und Papieren. Unter anderem
                                                             fand ich dabei einen 30 Jahre alten mit Schreibmaschine und Durchschlag-
                                                             papier geschriebenen Antrag, den ich damals an den Campingplatz schickte.
                                                             Wir wollten uns einen Wohnwagen anschaffen, um mit den Kindern in freier
                                                             Natur zu sein. Außerdem fanden wir eine ebenfalls sehr alte Examensarbeit
                                                             meiner Frau, die mit Schleifchen verziert war. Meine Frau und ich haben uns
                                                             köstlich amüsiert. Wir schwelgten in alten Erinnerungen. Das gab uns ein gu-
                                                             tes Gefühl und tolle Gespräche. Es stellte die empfohlene Methode in Fra-
                                                             ge, Dinge die 3 Jahre unangetastet im Schrank lagen, wegzuschmeißen. Ich
                                                             habe am Ende festgestellt, dass es für mich von Vorteil ist, themenorientiert
                                                             aufzuräumen.

                                                             Susann, Feinkoststand auf dem Markt:
                                                             Aufräumen ist ein wichtiges Thema. Im Moment räume ich meinen Hof auf.
                                                             Es wäre mir wichtig meinen Freundeskreis aufzuräumen. Manche passen nicht
                                                             mehr zu mir und andere sollten hinzukommen. Wenn ich das geschafft habe,
                                                             habe ich schon viel geschafft…hahaha
Fotos: Sabine Klemm, Kerstin Fischer, Henriette Fotografie

                                                             Mülltonne, Pfaffenteich
                                                             Fürs Aufräumen bin ich geboren. Ich lebe davon, dass Sie Ihren
                                                             Restmüll in mich werfen. Mein Problem ist meine Farbe. Das un-
                                                             scheinbare Dunkelgrau animiert augenscheinlich nicht zum Be-
                                                             nutzen. Das hilft auch das witzige Graffito nicht. Meine auf Papier
                                                             und Bio spezialisierten Kollegen haben es da leichter. Denn die
                                                             meisten von Ihnen lieben die Mülltrennung und nutzen meine
                                                             blauen und braunen Mitstreiter gern. Zu mir hingegen kom-
                                                             men Leute, die sich zwar auch von ihrem Müll trennen, aber di-
                                                             rekt an mir vorbei auf die Straße.

                                                                                                                                                       5
Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
Erfahrung

                          Das Heute heute leben

                                                                                                                            Foto: pixa
Der Mensch versucht ständig in ei-         nie so erholsam. Ich fragte auch nicht         Ich bin viel gereist, wollte schon
nen Zustand des Zufriedenseins zu          warum, ich war glücklich. Wichtig ist      immer alles wissen und erfahren, um
gelangen. Oder glaubt, in der Zu-          sich nicht zu sperren, sich nicht un-      auch diese Ganzheit von Körper und
kunft läge das jetzige Wohlbefin-          bewusste Grenzen mit eingefahre-           Gedanken für mich zu erforschen. Die
den. Wenn dies oder jenes anders           nen Glaubenssätzen zu setzen. Nur so       Reise zu mir selbst führte mich in den
wird, ist alles besser. Doch wie soll      wird man frei und kann sich einlassen.     letzten 15 Jahre über eine Sportakade-
in der Zukunft die Vergangenheit           Oder seinen Gedanken freien Lauf las-      mie zum ärztlich geprüften Sport- und
besser werden?                             sen. Mitten am Tag träumen? Sich ge-       Gesundheitstrainer mit Ernährungs-
                                           sund träumen, so empfand ich es an-        beratung, Tanz, Meditation, zur jahr-
Dabei trennt er unbewusst Körper und       fangs. Statt immer nur auf die Zukunft     tausendalten Heillehre der Tibeter und
Geist. Aber unsere Gedanken beein-         zu hoffen, stelle ich sie mir vor. Lebte   zum Ayurveda.
flussen unser gesamtes Leben, unse-        mein Morgen in der Meditation. Die-            Ich möchte weitergeben und ver-
re Stoffwechselvorgänge und unsere         ses Glücksgefühl, als ich merkte, es       mitteln, dass es sehr viel Schönes im
Gesundheit.                                verändert sich etwas oder ich fühlte       Heute gibt, auch wenn wir es gerade
    Vor vielen Jahren, in einer sehr       mich einfach nur wohl, das allein zählt.   nicht sehen, weil unsere Gedanken
schweren, dunklen Phase meines Le-         Für mich war allein diese Seminarer-       schon wieder in der Zukunft sind. Oft
bens, dachte ich: „Ich mache jetzt et-     fahrung ein kleines Wunder.                höre ich „ich kann nicht meditieren“
was, um zu mir zu finden.“                     Den Glücksmoment wollte ich nie        oder „das ist nichts für mich, ich brau-
    Mit meinem letzten Geld meldete        vergessen, für immer festhalten. Gera-     che Bewegung“. Muss man auch nicht.
ich mich zu einem Meditations- und         de, wenn es mir nicht so gut geht oder     Es gibt so viele verschiedene Wege,
Autosuggestionsseminar an, was die         Zweifel kommen, hilft es einen Mo-         auch bewegte Meditation. Jeder hat
folgenden Jahre mein Leben und mei-        ment innezuhalten, mich zu erinnern.       etwas, was er machen und dabei die
ne Persönlichkeit verändern sollte. Da-    Meinen Glücksmoment habe ich mir           Zeit vergessen kann. Dann ist er ganz
mals wusste ich nicht, was mich erwar-     bis heute bewahrt.                         bei sich. Das ist eine Art von Medita-
tet. Aber wer nur in seinen Vorurteilen        Natürlich gab es auch wieder Zei-      tion. Wenn man in seinem Blumen-
schwelgt, wird immer wieder ins glei-      ten, in denen ich keinen anderen Aus-      oder Gemüsegarten buddelt, in die-
che Muster fallen.                         weg mehr sah als eine Veränderung.         sem Moment in der Erde versinkt, ist
    Also setzte ich mich in mein Auto      Zwar auch schmerzlich, aber mein           es ein meditationsähnlicher Zustand.
und fuhr los. Ich sagte mir, der Mensch    Umgang mit Schmerz hat sich verän-         Man schaltet ab, ist nur im Hier und
hat immer eine Wahl. Und wenn dort         dert. Egal was passiert, ich kann mich     Jetzt, weil man an nichts anderes ge-
alle nackt im Kreis tanzen, könnte ich     auf mich verlassen. Das ist mein Urver-    dacht hat.
immer noch nach Hause fahren. Es wa-       trauen in mich, das mir mit den Jahren         Das zu erkennen ist ein Stück nä-
ren nur drei Tage, die mir so viel Erho-   immer bewusster wird. Mich von Din-        her zu sich kommen. Einfach nur mal
lung und Lebensmut schenkten, wie          gen, Menschen trennen, die mir nicht       innehalten, auf dem Lieblingsplatz mit
ich es vorher noch nie gespürt hat-        guttun. Nicht mehr machen, was mich        dem Lieblingstee die Augen schlie-
te. Auch andere Teilnehmer fühlten         unter Druck setzt. Ich räumte auf, in-     ßen, ohne an morgen zu denken, und
sich, als hätten sie drei Wochen Ur-       dem ich mein bisheriges Leben besser       mal „alle Fünfe gerade sein lassen“.
laub hinter sich. Selbst der war noch      verstehe und anzunehmen lernte.                                        Anja Filips

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Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
Kann weg!
Jeden Morgen stehe ich vor meinem

                                             Foto: Henriette Fotografie
Kleiderschrank und habe „nichts zum
Anziehen“. Wofür ich mich letztlich
entscheide, beschränkt sich in der Re-
gel auf einige ausgewählte Teile. Der
Rest bleibt jahrelang im Schrank ver-
staut. Auch sonst: dekorativ bis möhlig          nur mit materiellem Überfluss zu tun.        viel häufiger und intensiver, weil ich
kullern Gefäße, Zeitschriften, Kosme-            Auch unnötige Aufgaben, negative Be-         ihn zu schätzen weiß. Ich erfahre we-
tikartikel, Abgepacktes und „Dinge“              ziehungen und ungesunde Verhaltens-          niger Angst um den Verlust von Be-
überall in meiner Wohnung herum und              weisen lasten schwer auf der Seele. So-      sitz oder Status, weniger Stress und da-
bleiben ungenutzt. Schafft der über-             bald man mit dem Minimieren beginnt,         durch mehr Gesundheit. Nachhaltiges
flüssige Krempel eine gemütliche At-             geschieht Erstaunliches.                     Leben liegt nahe, wenn ich nicht kaufe,
mosphäre oder raubt er meinem Geist                                                           werden keine Ressourcen zur Herstel-
den Raum für Erholung, Motivation                         Weniger Stress, mehr                lung benötigt und Müll produziere ich
und Kreativität. Verspüren Sie auch ge-                    Ausgeglichenheit!                  auch keinen. Ich spare ganz klar Geld.
legentlich diese Aufräum-, Entrümpel-            Mein Opa kritisierte die Idee, als wir uns   In die Gesellschaft bin ich stärker einge-
und Verschenkelust wie ich?                      darüber unterhielten. Er wuchs nach          bunden, wenn ich Fahrgemeinschaften
                                                 dem zweiten Weltkrieg auf und erzähl-        bilde und mit meinem Nachbarn Ham-
       Weniger verstauen, mehr                   te mir vom „unfreiwilligen Minimalis-        mer gegen Harke tausche. Wenn ich
             verschenken!                        mus“ der die Mehrheit der Bürger be-         weniger besitze widme ich mich den
Erst letztens habe ich meine Freundin            lastete: es gab begrenzte Nahrung,           wichtigen Dingen. Für mich zählt zum
mit der guten Kamera eingeladen, die             Kleidung, Baumaterialien etc. Er fühlt       Beispiel meinen Partner lieben, mei-
Hälfte meiner ungetragenen Kleidung              sich vom Konzept des Minimalismus            ne Familie besuchen, mich in der Natur
abgelichtet und zu Flohmarktpreisen              verhöhnt, weil wir jungen Leute nicht        bewegen, kreativ sein, mich gesund er-
auf Secondhandwebseiten angeboten.               zu schätzen wüssten, woran wir seien.        nähren, meinen Hund trainieren.
Die andere Hälfte brachte ich zur Klei-          Wir hätten doch alles und sollten es ge-     Die Faustregel des Minimalismus: Las-
dersammlung, zum Secondhand- und                 nießen, sagte er.                            sen Sie so viele Dinge, Tätigkeiten und
zum Verschenkeladen.                                                                          Beziehungen los, damit nur noch übrig-
                                                        Weniger laut, mehr leise!             bleibt, was Ihnen persönlich am wich-
   Weniger Chaos, mehr Klarheit!                 Denke ich an jene, die mit wenig aus-        tigsten ist und was Sie glücklich macht.
Alles was ich seit einem Jahr nicht mehr         kommen MÜSSEN, die nicht die Wahl
anhatte, was mir nicht mehr gefällt und          haben minimalistisch leben zu wollen,         Weniger jammern, mehr anpacken!
was mich nicht glücklich macht – weg!            kann ich nachvollziehen worin mein Opa       Als Minimalisten werden wir geboren:
Ich muss zugeben, es fiel mir schwer             die Dekadenz des Minimalismus sieht.         bedürfen nur der Fürsorge unserer El-
mich von dem Gedanken „Wer weiß,                 Dann denke ich aber an das Zitat von         tern und der Erfüllung von Grundbe-
vielleicht brauche ich das eines Tages“          Jean Guéhenno und sehe, mein Opa hat         dürfnissen. Auch als Kinder häufen wir
zu trennen.                                      mich nicht vollends verstanden: „Arm ist     keine Besitztümer an, zumindest nicht
                                                 nicht der, der wenig hat, sondern der, der   aus Eigeninitiative, sondern spielen
    Weniger Angst, mehr Mumm!                    nicht genug bekommen kann.“                  mit Stock und Stein an den Pfützen im
Es gibt einen aktuellen Trend, der ei-                                                        Garten. Doch irgendwann erliegen wir
nen modernen Lebensstil beschreibt:                Weniger quasseln, mehr zuhören!            der Verlockung Konsum, wir sammeln
Minimalismus. Er sieht sich als Alterna-         Aber warum nicht den Überfluss genie-        mehr und mehr. Was denken Sie, ist das
tive zur heutigen konsumorientierten             ßen und konsumieren, was das Zeug            problematisch?
Überflussgesellschaft.                           hält? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht,     Kleines Experiment: Trenne Dich einen
                                                 aber wenn ich weniger besitze, muss          Monat lang jeden Tag von einer Sache.
    Weniger Neuware, mehr selber                 ich weniger putzen. Meine Freund-            Verschenke, Verkaufe, Entsorge. Wie
                machen!                          schaften erscheinen mir echter und           fühlst Du Dich dabei und wie verändert
Für mich bedeutet Minimalismus ohne              gründen nicht auf schicken Klamotten         sich Dein Gefühl?
                                                                                                                                       in.
Ballast zu leben. Dieser Ballast hat nicht       oder teuren Autos. Genuss erfahre ich        Loreen Christ                       r Se
                                                                                                                               Me h
                                                                                                                  aben –
                                                                                                        ige    rH                     7

                                                                                                    We n
Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
Ratgeber

       Frühjahrsputz für Körper und Seele
                                           Kleine „Aufräumer“ vorgestellt

Die meisten Menschen wissen, wie             es in sich haben – nämlich Vitamine,       Füßen ans Tageslicht. Das sind die Blü-
wohltuend es ist, mal wieder so richtig      Mineralstoffe, Spurenelemente und          ten des Huflattich (Tussilago farfa-
„ausgemistet“ zu haben. Es entsteht          mehr. Die Natur scheint zu wissen,         ra). Sie erfreuen unser Auge, die Lun-
Platz und Raum für Neues. Gegenstän-         was unser „vermülltes“ Gewebe, unse-       ge und die Bronchien. Die Blätter des
de, Kleidung, Haushaltsgeräte und            re Ausscheidungsorgane (Lunge, Le-         „Hustenvertreibers“ (lat. Tussilago) er-
manchmal auch Bücher füllen Schrän-          ber, Darm, Nieren, Haut) nach einem        scheinen erst, wenn die Blüten ihre Sa-
ke und Regale und scheinen uns zu            langen Winter brauchen. Sie schenkt        men an kleinen Fallschirmchen in alle
erdrücken. Aber auch Gedanken, Ge-           es uns großzügig. Auch unser Gemüt         Winde geschickt haben. Sie können
wohnheiten und negative Glaubens-            will sich der Dunkelheit des Winters       ebenfalls verwendet werden. Der Huf-
sätze wollen ab und zu aufgeräumt            entledigen und braucht einen Früh-         lattich ist eine sehr alte Heilpflanze für
werden. Wenn Platz geschaffen und            jahrsputz. Mit frischem Grün, bunten       die Lunge. Als Tee getrunken, früher
geputzt worden ist, stellt sich ein Ge-      Frühjahrsblühern, singenden Vögeln         auch bei Asthma geraucht, lindert er
fühl von Wohlbehagen ein. Wir sind           scheint Mutter Natur alles für unse-       den Hustenreiz, wirkt schleimlösend,

Brennnessel                                            Gänseblümchen                                             Huflattich

stolz auf das Geschaffte und können          re Sinne tun zu wollen. Unsere Augen       entkrampfend, geweberegenerierend,
uns auf Neues freuen.                        strahlen, die Nase saugt Düfte ein, die    entzündungswidrig, hustenlindernd
    Der Frühjahrsputz nach einem lan-        Ohren horchen gebannt auf Vogelkon-        und -heilend.
gen Winter mit Heizungsstaub und             zerte, die Haut erfreut sich erster Son-       Neben vielfältigen anderen Aufga-
Schmuddelwetter hat hier seine Be-           nenstrahlen, das Herz wird weit und        ben hat die Leber unser Blut zu entgif-
rechtigung. Unser Körper und unsere          Freude kann einziehen.                     ten z. B. von Alkohol, Medikamenten,
Seele freuen sich, wenn wir mal wieder           Unsere Lunge, die ständig CO2          Hormonen. Die kleinen zarten Blätter
aufräumen, uns einen Frühjahrsputz           ausatmet und dadurch den Körper            der Schafgarbe (Achillea millefolium)
genehmigen. Für den Körper ist es Zeit       vor Übersäuerung schützt, ist erfreut      sind auf der Wiese gut zu erkennen.
für eine Frühjahrskur. Sie aktiviert den     über Spaziergänge und tiefes Durch-        Die zwei- bis dreifach gefiederten Blät-
Stoffwechsel und erleichtert den Aus-        atmen. Sauerstoff kann getankt wer-        ter verhalfen ihr zu dem Namen Mil-
scheidungsorganen die Arbeit.                den und den Körper wie eine Dusche         lefolium, das heißt „die Tausendblätt-
    Als Heilpraktikerin und Kräuter-         durchfluten.                               rige“. Die Schafgarbe, übersetzt der
frau zeige ich in meiner Praxis und              Als wüsste Mutter Erde, dass wir im    Schafgesundmacher, bringt unsere Le-
meiner Kräuterschule die Möglichkei-         Winter oft unter Erkältungen, Husten,      ber mit ihren Bitterstoffen im Salat und
ten, die uns die Natur in jedem Früh-        Schnupfen und Grippe leiden, schickt       Tee so richtig in Schwung.
jahr ermöglicht. Sie deckt uns den           sie ganz zeitig im Frühling kleine Son-        Auch der Löwenzahn (Taraxa-
Tisch reichlich mit Wildkräutern, die        nenblüten auf rotbraun geschuppten         cum officinale) schickt uns seine

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Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
schmackhaften, im Frühjahr noch we-          auf das Blut und die Haut wirkt, ent-      die Nüsschen (auch Samen genannt).
nig bitteren „Salat“-Blätter als Auf-        säuert, den Zellen bei Auflösung und       Der Frühjahrsputz, das Aufräumen in
räumhilfe für Leber, Nieren, Magen,          Teilung hilft. Der nussige Geschmack       unserem Körper gelingt mit der Brenn-
Darm, Bauchspeicheldrüse und den             ihrer Blüten und Blätter macht sie be-     nessel auf jeden Fall. Sie entschlackt
gesamten Stoffwechsel.                       liebt für den Frühlingssalat, ebenso im    den gesamten Organismus und ihre
    „Was bitter dem Mund, ist dem Kör-       Frühlingstee, in Suppen, als Gemüse-       Inhaltsstoffe lassen uns die Fähigkei-
per gesund.“ teilt uns ein alter Spruch      beilage. Ein Gesichtswasser oder eine      ten der Natur staunend bewundern.
mit. Bereits das Schmecken der Bit-          Gesichtsmaske aus Gänseblümchen-           Vitamine (u.a. B, C, K) und Mineralstof-
terstoffe im Mund klingelt über das          blüten beleben die Haut und machen         fe u.a. Kieselsäure, Kalium) sowie ein
Nerventelefon die Verdauungsorgane           sie wunderbar zart.                        sehr hoher Eisenanteil im Frühling re-
wach und sogleich wird die Arbeit auf-           Der Giersch (Aegopodium podag-         gen den Stoffwechsel an, aktivieren
genommen. Eine gute Verdauung ist            raria) mit seinen vitalen Würzelchen       die Bauchspeicheldrüse, wirken blut-
eine wichtige Voraussetzung für unser        ärgert den Gärtner bei der Pflege sei-     bildend (Eisen), cholesterinsinkend,
Wohlergehen.                                 ner Gemüsebeete. Seine Vitalität al-       schleimlösend, harntreibend. Jede
    Taraxacum, das bedeutet „ich hei-        lerdings können wir uns zu Nutze ma-       Zelle wird sozusagen aufgeräumt und
le Entzündungen“, belebt und stärkt          chen. Das Zipperleinskraut (Zipperlein     munter gemacht. Brennnesselspinat
uns mit Blatt, Wurzel, Stengel und Blü-      = Gicht) löst Harnsäure und treibt sie     und co. gehören im Frühling unbe-
te im Salat oder Tee und als Gemüse-         mit dem Harn aus. Das hilft gichtkran-     dingt auf den Speiseplan.
beilage. Er reinigt das Blut und fördert     ken Gelenken. Mit seinem Potential an          Dies war eine kleine Auswahl der
zudem die Blutbildung. Mit seinen Vi-        sehr viel Vitamin C sowie Provitamin A,    Aufräumer unter den Wildkräutern. Bei
taminen, Mineralstoffen und auffal-          Eisen, Kupfer, Mangan und noch wei-        Kräuterwanderungen, Kursen, meiner
lend viel Kalium in den Blättern regt        teren hilfreichen Inhaltsstoffen ist er    Wildkräuterküche im Frühling ist noch

               Giersch                                                     Schafgarbe

er den Stoffwechsel an, die Leber wird       ein echter Muntermacher für unseren        vieles mehr zu erfahren und mit allen
gestärkt, ebenso Haut und Gewe-              Körper. Sein an Möhren und Petersilie      Sinnen zu erleben. Nicht jedes Kraut
be. Die Anregung der Niere und da-           erinnernder Geschmack verfeinert er        passt zu jedem Menschen, Kenntnisse
mit eine wasserausleitende Wirkung           viele Speisen. Man isst die jungen Blät-   über die Pflanze und gegebenenfalls
hat ihm den Volksnamen „Bettseicher“         ter am besten frisch. Die würzigen Blü-    auch die Dosierung sind zu beachten.
eingebracht.                                 ten und Samen können ebenfalls ge-
    Nach viel trockener Heizungsluft         gessen werden. Zudem wirkt Giersch         Informationen zu meinen Veranstal-
und wenig Wind, Wetter, Sonne auf            entzündungshemmend, verdauungs-            tungen sind unter
der Haut fühlt sich diese oft trocken        anregend und reinigend.                    www.heilpraktikerin-schwerin.de
und matt an. Das Gänseblümchen                   Eine Wohltat für den gesamten          zu finden. Auch per mail akschmie-
(Bellis perennis) mit seinen reinen wei-     Körper ist die Königin der Heilkräuter     dehaus@yahoo.de und per Telefon
ßen Blüten und der goldenen Mitte            – die Brennnessel (Urtica dioica). Dass    0173 7510515 bin ich zu erreichen.
blüht das ganze Jahr. Selbst unterm          die Brennende (Urtica) in zwei Häu-
Schnee ist es zu finden. Das Blümchen        sern (dioica) wohnt, bedeutet, es gibt         Naturheilpraxis und
hat deshalb sicher seinen Namen er-          weibliche und männliche Pflanzen.              Kräuterschule „Avila“
                                                                                            Anne-Katrin
halten, er bedeutet „schön das ganze         Dies ist für die Ernte des Krautes im          Schmiedehaus-Engel
Jahr“. Bellis ist eine sanfte Pflanze, die   Frühling ohne Bedeutung. Die weibli-           Goethestr. 88 • 19053 Schwerin
den Stoffwechsel anregt, reinigend           chen Pflanzen tragen im Spätsommer

                                                                                                                              9
Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
Erfahrung

Alles Swiffer oder was?
Aufräumen ist für mich so ein biss-         von vorheriger Generati-
chen wie essen, schlafen und ande-          on übernommen. Dabei
res, das man täglich so tut. Bewusst        wollte ich doch niiieeee so
oder unbewusst, ich räume jeden             sein. Meine Kinder trieben
Tag irgendetwas auf. Wenn es auch           mich mit ihrer Unordnung
nur die Spülmaschine ist. Aufräumen         so manches Mal schier in
verfolgt mich seit frühester Kindheit.      den Wahnsinn. Die Kon-
„Geh Dein Zimmer aufräumen! Räum            sequenz der Bestrafung
endlich mal auf! Wenn Du nicht end-         brachte ich nicht übers
lich aufräumst, dann…“ Ja, dann gab         Herz. Zumindest an dieser
es Stubenarrest, Fernsehverbot oder         Stelle durchbrach ich eine
was meiner Mutter, die solche Ansa-         Mauer. Stattdessen bekam
gen regelmäßig machte, so einfiel.          ich von meinen Kindern zu
Als Kind war diese Tätigkeit einfach        hören: „Das ist unser Zim-
nur blöd. Spielen, Freunde treffen,         mer, hier hast Du nichts
Rollschuhlaufen, das war wichtig.           zu suchen.“ Natürlich be-
                                            kam ich davon Schluckbe-
    Das Genie beherrscht das Chaos          schwerden. Meine Reakti-
und ich hatte meines bestens im Griff.      onen darauf waren dann
Etwas zu finden, was ich brauchte, wur-     auch nicht pädagogisch
de immer dann zum Problem, wenn             wertvoll. Für meine Kin-
ich wirklich aufgeräumt hatte. Der Er-      der war ihr Chaos ihre Ord-
ziehungsdrill rund um das Aufräumen         nung, nur ich hatte ver-
                                                                        Foto: Henriette Fotografie

entwickelte gegen meinen ausdrück-          gessen, wie ich mich als
lich erklärten Willen ein Eigenleben        Kind damit gefühlt hatte.
und bekam tatsächlich einen sehr lan-       Wir raubten uns letztend-
gen Arm. Jung erwachsen bezog ich           lich wertvolle gemeinsame
mein erstes Heim. Mit 20 war ich Mut-       Zeit und waren über lange
ter von Zwillingen und lebte mit mei-       Strecken schlecht aufein-
nem damaligen Mann in einer winzig          ander zu sprechen.                                       Bis heute sortiere ich mich. So habe
kleinen Wohnung. Ihm war akkurate               Ich näherte mich meinem 50sten                       ich für ein aufgeräumtes Berufsleben
Ordnung schnurz. Mir auf einmal aber        Geburtstag und damit einer neuen Er-                     mit 57 Jahren nochmal den Sprung in
nicht mehr. Na gut, akkurat kam ich         kenntnis in meinem „Ordnungsleben“.                      die Selbständigkeit gewagt. Sollte das
nicht hinterher. Doch Ordnung so, dass      Derweil war Aufräumen zum Ritual ge-                     nicht gut gehen, wird halt wieder auf-
jederzeit unangemeldet Besuch kom-          worden. Etwas Selbstverständliches,                      geräumt. „Wer suchet, der findet“ ist
men konnte. Niemals wollte ich mir die      über das ich gar nicht mehr nachdach-                    heute und nicht „Wer aufräumt, ist nur
Blöße geben, bei mir wäre es unordent-      te, stöhnte oder lamentierte. Es mach-                   zu faul zum Suchen“.
lich. Trotzdem kam manchmal mütterli-       te oft sogar Spaß. Stereotype Handlun-                       Mein Haus ist sauber genug, um
cherseits der Spruch: Bei Dir sieht es ja   gen, die kein großes Denken forderten                    gesund zu bleiben und ordentlich ge-
aus, wie bei Hempels unter dem Sofa!        und sogar entspannten. Äußerlich Ord-                    nug, um glücklich zu sein. Diese Ba-
Wer zum Teufel sind denn die Hem-           nung herzustellen war leicht geworden.                   lance, innerlich wie äußerlich, birgt
pels? Unter deren Sofa habe ich nie ge-     Die innere Ordnung in Schuss zu halten                   eine Balance, die mir viel Zufrieden-
schaut und ich glaube meiner Mutter         schon schwerer. Meinem Leben, das so                     heit und Freude schenkt. Anfälle von
auch nicht. Ordnung machen war im-          kunterbunt wie ein Bild von Hundert-                     Aufräum-Orgien, das Zelebrieren
mer noch blöd, aber schön war‘s auch,       wasser und von vielen Brüchen durch-                     von Ordnungswahn sind weggefeu-
wenn alles ordentlich gemütlich war.        zogen ist, immer wieder eine Ordnung                     delt und ausgekehrt. Dafür swiffer ich
    Meine Kinder wurden größer und          zu geben, war viel kräftezehrender als                   heute regelmäßig, da mich sonst die
ich tappte glatt in die „Sprüchefalle“      Geschirr wegräumen, Zeitungen ent-                       Hausstaubmilben atemlos machen.
meiner Mutter. Die hatte sie auch nur       sorgen oder Wäsche zusammenlegen.                                                  Evelyn Koch

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Erfahrung

    Laufen und tragen, tragen und laufen
                              Auf dem Jakobsweg den Kopf „aufgeräumt“

Als ich mir im Pilgerbüro von Santi-       über mich nachdenken. Aber das ging           von „normalen“ Spaniern. Von denen
ago de Compostela offiziell beschei-       gar nicht. Ständig verlangte der Kör-         wir übrigens so viele trafen, wie es in
nigen lassen wollte, dass ich 360 Ki-      per meine volle Aufmerksamkeit. Ir-           einem normalen Spanienurlaub nie
lometer zu Fuß bewältigt hatte,            gendetwas tat immer weh. Oder der             möglich ist.
musste ich ankreuzen, was mich auf         Rucksack drückte. Oder die Füße wa-               Der Alltag zu Hause lag Jahre hin-
den Weg gebracht hat: Waren es re-         ren wie Blei. Es brauchte vielleicht 100      ter mir. Meine Gedanken drehten sich
ligiöse, spirituelle oder touristisch-     Kilometer, dann dachte ich nicht mehr,        nur um das Hier und Jetzt. Als wir
sportliche Gründe? Ohne groß nach-         ließ zu, was der Weg mir abverlangte:         Santiago nach reichlich drei Wochen
zudenken entschied ich mich für die        Und das war: Gehen, tragen, tragen            zu Fuß erreichten, war nur noch ei-
spirituelle Variante.                      und gehen; mal mehr und mal weni-             tel Freude in mir, über die strahlen-
                                           ger schmerzlich; oft mit, manchmal            de Sonne, über Spaziergänge ohne
Das war mir aber noch nicht klar, als      ohne Frühstück. Allabendliche Beloh-          Rucksack, ja, auch über die Mittags-
ich gemeinsam mit einer Pilgerfreun-       nung waren ein Bett (egal, ob in einer        messe in der Kathedrale mit dem be-
din in Gijon, einer alten Stadt an der     Massenherberge oder in einer kleinen          rührenden Gesang der Nonne und
spanischen Atlantikküste, den Cami-        Pension), eine Dusche und eine Bar in         dem Weihrauchkessel, der zum Ab-
no del Norte betrat. Auf diesen Weg        der Nähe.                                     schluss durchs 100 Meter lange Quer-
mussten die Pilger in der Zeit der Mau-        Eine große Gelassenheit überkam           schiff fliegt. Natürlich reihte ich mich
renherrschaft ausweichen. Ich woll-        mich. Und Vertrauen in das Leben,             auch in die lange Pilgerschlange ein
te den Nordweg gehen, weil es dort         das mir am Abend immer ein Quar-              und umarmte den Jakobus auf dem
nicht so voll und so heiß ist, um... Ja,   tier bereitstellte, auch wenn ich es          goldenen Altar. Weniger den Heiligen
das Warum klärte sich bis zum Start        nicht mehr geglaubt hatte. Und Tole-          als den Menschen, der zu Lebzeiten
nicht. Also schnallte ich den Rucksack     ranz gegenüber rücksichtslosen Mit-           gerade einmal zwei Männer davon
auf, zog die Wanderklamotten an und        pilgern, von denen es mehr gibt, als          überzeugen konnte, ihm in seinem
ging los. Ganz ohne Motiv. Und dann        man glaubt. Und Dankbarkeit für die           Glauben zu folgen…
geschah, was viele Pilgerfreunde, die      Hilfe von anderen Pilgern, aber auch                                    Birgitt Hamm
wir unterwegs trafen, genauso berich-
teten: Der Camino entscheidet.
    Und der führte bergauf und -ab,
über matschige Wege, an vielbefah-
renen Straßen entlang, über Wiesen,
durch Wälder und Dörfer, vorbei an
idyllischen Buchten mit herrlichen
Stränden, hinein in pittoreske Städ-
te. Die größte Herausforderung wa-
ren nicht die acht Kilo Gepäck auf dem
Rücken, die schmerzenden Füße, die
Wettrennen mit Lastern, das unweg-
same Gelände, die Sonne oder der
Regen. Nein, ich musste mich zusam-
menreißen, nicht jede Begegnung, je-
des Ereignis, jede schöne Aussicht im
Kopf zu beschreiben – für die Familie
und Bekannte, für eine spätere Veröf-
fentlichung. Ich wollte, das war plötz-
lich glasklar, nur für mich gehen. Und
dabei in mich gehen. Ordnung in mei-
nen Kopf bringen, aufräumen und            Pilgern ist: im Gehen den Kopf aufräumen.                        Foto: Marion Kuhlmann

                                                                                                                              11
Erfahrung

                                             Situationen, an denen ich schwer zu                auf Verständnis und Anerkennung.
Der Seele Flügel                             tragen hatte und habe.                             Lange Zeit habe ich versucht den Er-
                                                 Ich bin transsexuell. Mein Ziel war            wartungen zu entsprechen und habe
verleihen                                    ein Leben als Frau zu beenden und als              mich dabei selbst verloren. Ich brauch-
                                             Mann weiterzuleben. Meinen Weg bin                 te die Anerkennung. Doch ich habe für
                                             ich gegangen und lebe jetzt als Mann.              mich erkannt, dass es nicht in meiner
Ich habe aufgeräumt in vieler                    Nicht alle alten Verhaltensmuster,             Macht ist, alles allen recht zu machen.
Hinsicht, bei mir und in mir.                welche mir einmal geholfen haben,                  Menschen, die mir nicht guttun, las-
                                             sind jetzt noch hilfreich. Dieses gilt es          se ich ziehen. Menschen, die mir sehr
Wir schreiben das Jahr 2020. Ein             zu erkennen, zu sortieren und auch                 wichtig sind, auch aus meiner Fami-
neues Jahr hat begonnen mit ei-              loszulassen. Es fällt nicht immer leicht.          lie, welche kein Verständnis für mich
nem neuen Jahrzehnt. Bald beginnt            Ich habe versucht, besonders männ-                 aufbringen können, versuche ich in
das Frühjahr und alles wird grünen,          lich zu wirken. Das brachte mir nur Un-            Liebe und mit Verständnis zu begeg-
wachsen und blühen. Für den Zau-             sicherheit. Mit diesem Vorurteil habe              nen. Leider gibt es auch im Familien-
ber des neuen Anfangs hat die Na-            ich aufgeräumt. Ich stehe jetzt zu mei-            verbund Situationen, in denen ich für
tur vorher in der stillen Zeit aufge-        nem Lebensabschnitt als Frau. Ich war,             mich Entscheidungen treffen muss,
räumt und alles vorbereitet.                 bin und bleibe Mutter. Ich bin stolz auf           um nicht unterzugehen. Manchmal
                                             meine Kinder, die mich weiterhin als               hilft eine Funkstille zum Selbstschutz,
    Auch für mich ist die Zeit gekom-        Mutter sehen und ansprechen. Nun                   auch wenn es ein schwerer Schritt ist.
men, etwas Neues zu beginnen und             stehe ich als Mann mit beiden Bei-                      Alte Verletzungen und Kränkun-
dem Zauber des Anfangs zu vertrau-           nen auf dem Boden (auch wenn ich                   gen versuche ich nach und nach los-
en. Da fallen mir die Worte ein: „Es reist   manchmal noch leicht schwanke). Ich                zulassen. Sie sind schwer wie Blei und
sich leichter mit leichtem Gepäck.“ So       bin noch dabei Erfahrungen in der                  ziehen uns runter. All dies sind Ener-
habe ich mich und mein Leben durch           Männerwelt zu sammeln.                             gieräuber. Mein Motto ist „Den Kopf
Aufräumen entlastet. Es gibt einige              Mit meinem Verhalten stoße ich                 befreien und die Seele bekommt wie-
Verhaltensmuster, Mitmenschen und            bei meinen Mitmenschen nicht immer                 der Flügel“         Liebe Grüße Patrick

                                             erkannt hat, wie
Weg mit falschen                             diese sogenann-
                                             ten „Freunde“ tat-
Freunden                                     sächlich      sind:
                                             Falsch, hinterhäl-
                                             tig, nur auf sich
    Aufräumen – das muss man immer           bedacht, dass sie
mal wieder, wenn man nicht irgend-           erwarten,     dass
wann zur Messie-Liga gehören möch-           man in der Not
te – und das wollen sicher die wenigs-       für sie da ist, es
                                                                   Foto: Henriette Fotografie

ten von uns. Also krempelt man immer         umgekehrt aber
mal wieder die Ärmel hoch und schafft        nicht so läuft. Je-
Ordnung. In der Wohnung, im Keller, in       dem von uns fällt
Haus, Hof und Garten, auf dem Dach-          dazu sicher eine
boden und, und, und…                         ganze Menge ein.
    Das ist meistens nur eine Fleißar-       Dann ist es nur
beit, die getan werden muss und ver-         konsequent, zu sagen, solche „Freun-               einen Neuanfang in puncto Freund-
langt längst nicht immer tiefgründi-         de“ möchte ich nicht. Ich räume auf,               schaft gibt, das muss man sicher von
ge Entscheidungen, höchstens dann,           indem ich mich von ihnen trenne. Kei-              Fall zu Fall entscheiden.
wenn es darum geht, was behalte ich          nen Kontakt mehr - in welcher Form                      Bei mir ist es jedenfalls so, dass
und was werfe ich weg, insbesonde-           auch immer - und sich konsequent                   es sehr lange dauert, ehe ich auf die-
re wenn es sich um einen Nachlass            aus dem Weg gehen, ist manchmal                    se Art aufräume. Aber wenn, dann
handelt.                                     ein ganz heilsamer Schritt, aber im                hat die Trennung Bestand, weil meine
    Mit falschen Freunden aufräu-            Alltag längst nicht immer umzuset-                 Verletzungen einfach zu tief sind und
men ist eine ähnlich tiefgründi-             zen. Wie man dann damit umgeht,                    es mir ohne solche „Freunde“ besser
ge Sache, wenn man erst einmal an            wenn man sich doch einmal trifft, ob               geht.
den Punkt gekommen ist, dass man             es vielleicht sogar eine Chance für                                Brunhilde Spickermann

12
Selbsthilfe

                 Chaos – im Innen und Außen
Dass das Leben manchmal plötzli-          Stauraum. Und endlich meine Bücher-         Kleiderschrank. Ein gutes Gefühl.
che Wendungen nehmen oder auch            regale, die hier beim Einzug vor Jahren         Mein Schreibtisch steht auch im
ganz vorbei sein kann, wurde mir so       ihren Platz fanden, entstauben und          Schlafzimmer. Hier stapeln sich links
richtig bewusst, als ich auf der In-      neu sortieren, gegebenenfalls eine          und rechts Haufen von Papier. Das Re-
tensivstation nach der Not-OP wie-        Verschenke-Kiste packen mit Büchern,        gal daneben ist voll mit Kisten, Ord-
der zu mir kam. Ich war komplett          von denen ich mich trennen kann. Ich        nern und losen Blattsammlungen. Bü-
verkabelt, hatte diverse Schläuche        kaufte vier stabile Umzugskartons, um       cher stapeln sich auf dem Nachttisch.
in meinem Körper und wurde beat-          eine Grundordnung meiner Bibliothek         Ich habe mir wirklich Mühe gegeben,
met. Aber ich lebte. Und in mir war       herstellen zu können. Und dann stand        da Ordnung rein zu bringen. Es ging
die Gewissheit, irgendwann wieder         ich vor meinen Büchern. Nahm eini-          nicht. Hier liegen überall halbgare
ein halbwegs normales Leben füh-          ge in die Hand, blätterte sie durch und     Ideen rum, die ich noch nicht umset-
ren zu können.                            stellte sie wieder ins Regal. Bei jedem     zen konnte. Das Chaos in meinem Kopf
                                          Buch wurde ich von Emotionen ver-           spiegelt sich auf meinem Schreibtisch.
Der Schreck saß mir tief in den Glie-     folgt, die eine Ordnung oder gar das            „Innere und äußere Ordnung“ –
dern. In den wenigen Wachphasen er-       „Ausmisten“ unmöglich machten. Ich          the Story of my life. Inzwischen habe
innerte ich mich daran, was ich gerne     hatte das Gefühl, mein ganzes Leben         ich es akzeptiert, dass ich nicht-emoti-
noch machen würde. Neben „ein Buch        spiegelt sich in diesen Regalen wider.      onale Dinge wie Mehltüten beseitigen
veröffentlichen“ und „mal
komplett mein Äußeres
zu ändern“, war da auch
der Punkt: innere und äu-
                                „Innere und äußere Ordnung“ – the Story of
ßere Ordnung. Ein Mam-
mut-Projekt, wie sich her-
                                my life. Inzwischen habe ich es akzeptiert, dass
ausstellen sollte.
    Durch die jahrzehnte-       ich nicht-emotionale Dinge wie Mehltüten
lange psychische Beein-
trächtigung gab es auf          beseitigen kann.
diesem Gebiet enormen
Nachholbedarf. Wieder
zu Hause schrieb ich Listen, gerade-      Ich konnte hier einfach nichts bewir-       kann. Und ich halte es aus, Aufgaben,
zu euphorisch. Ich sprach mit meinem      ken. Ja, es war eine weitere Baustelle      die emotionalisiert sind, Aufschub zu
Mann über mein Ziel, auch mit Freun-      auf meinem Lebensweg. Ich konnte es         gewähren.
den. Schwerpunkte kristallisierten sich   nur schwer akzeptieren, aber schließ-           Am Rande: Im Flur steht auch ein
heraus. Ich war mir so sicher, das al-    lich haben wir einfach um die Bücher-       alter Sekretär aus Holz. Darin fand ich
les in der nächsten Zeit erledigen zu     regale herum gemalert.                      eine Kiste mit Kindheitserinnerungen,
können.                                       Der nächste Einsatz galt dem            die mir meine Mutter mal übergab.
    Wir haben mit der Küche ange-         Schlafzimmer. Mein Kleiderschrank           Damals habe ich sie nur verstaut, weil
fangen. Hui, das war easy. Abgelaufe-     proppevoll mit Klamotten, die zum Teil      ich mich den Erinnerungen nicht stel-
ne Mehltüten entsorgen, Pfannen neu       über 20 Jahre alt waren. Ja, ich lebe       len wollte. Inzwischen war ich dazu
sortieren, Platz schaffen. Mein Wunsch    gern nachhaltig und trage Sachen,           bereit. Zwischen Schulheften und
nach einer Kücheninsel wurde dank         bis sie auseinanderfallen. Irgendwann       Spielen fand ich eine kleine Tasche
IKEA wahr. Und Farbe musste her! Ein      hatte ich den Überblick verloren. Es        mit einem K, der Anfangsbuchsta-
satt sonniges Gelborange wurde es         war wie ein Befreiungsschlag. Klei-         be meines Namens. Darin ein kleiner
schließlich. An der Wand weit inten-      dungsstücke, die mir nicht mehr pass-       Zinn-Elefant, damals mein Glücksbrin-
siver als gedacht, aber hey, ich wollte   ten, die im Laufe der Zeit ihre Elastizi-   ger. Die Tasche hängt nun an meiner
doch Veränderung!                         tät verloren hatten oder schon früher       Gürtelschlaufe, egal welche Hose ich
    Das nächste Ziel war der Flur. Ein    kaputt waren und die ich trotzdem           trage.
paar Möbelstücke sollten gerückt wer-     nicht entsorgen konnte. Alles hübsch
den, noch ein paar Wandregale für         in Müllsäcke verpackt. Freiraum im                                          Kirsten

                                                                                                                          13
Erfahrung

Vom Beruf zur Berufung durch „aufräumen“
Wer kennt das nicht: Die Verkäufe-          ich ratlos. Wie soll es weitergehen? Wo     verbesserte meine Englischkenntnis-
rin am Käsestand ist unfreundlich.          liegt mein Talent? Ich hatte keinen Plan.   se und lernte liebenswerte Menschen
„Sie hat wohl einen schlechten Tag,“        Bei einem anschließenden Kuraufent-         und ihre Sprache kennen.
denke ich. Doch beim nächsten und           halt stellte sich heraus, dass ich mehr         Zurück in Deutschland startete ge-
übernächsten Einkauf wird es nicht          wahrnehme, fokussieren mir schwer-          rade die „Flüchtlingswelle“. Ich bekam
besser.                                     fällt und ich schnell überreizt bin. Kein   Arbeit im Asylbewerberheim. Mei-
                                            Wunder also, dass das Callcenter Gift       ne Englischkenntnisse konnte ich hier
Es gibt viele, die, wie sie in ihrem Job    für mich war. Ich überlegte, wie ich die-   gut gebrauchen. Und siehe da, die Ar-
unzufrieden sind. Aus Angst, in die         se „Schwäche“ beruflich nutzen könnte.      beit mit Menschen machte nun über-
Hartz-IV-Falle zu tappen, schleppen sie          Ein Zufall brachte die zündende        raschend Freude! Ich bekam die Auf-
sich Jahr für Jahr zur Arbeit, die ihnen    Idee. Eine Bekannte bewunderte ei-          gabe das Heim mit meinen Fotos zu
keinen Spaß mehr macht. Das kann so         nes meiner Fotos und meinte, ich sol-       gestalten. Die positiven Rückmeldun-
weit gehen, dass diese Menschen er-         le mehr aus meinem Hobby, der Foto-         gen zu den Fotos erinnerten mich da-
kranken. Sie werden vom Schicksal in        grafie, machen. Ihre Worte gaben mir        ran, dass ich für die Fotografie bren-
die Knie gezwungen, ihr Berufsleben         Mut. „Prima, jetzt weiß ich, wo die „Rei-   ne. Es war an der Zeit, den Schritt in die
„aufzuräumen“.                              se“ hingeht.“ Ich begann um eine Aus-       Selbstständigkeit zu wagen. Seit 2016
    Ähnlich ging es                                                                                         bin ich selbststän-
mir. Meine berufli-                                                                                         dig. Zwar habe ich
che Laufbahn be-                                                                                            jetzt weniger Geld
gann als Techniker.                                                                                         in der Tasche, ar-
Ich war schüchtern.                                                                                         beite viel und habe
Eine Arbeit mit Men-                                                                                        auch Stress. Doch
schen kam für mich                                                                                          dieser ist positiv.
nicht in Frage. Mit                                                                                         Es ist mir ein Anlie-
der Wende wur-                                                                                              gen mit meiner Ge-
den weniger Techni-                                                                                         schichte anderen
ker gebraucht. Nach                                                                                         Mut zu machen, im
verschiedenen Ar-                                                                                           Berufsleben „aufzu-
beitsplatzwechseln                                                                                          räumen“, wenn die
innerhalb des Un-                                                                                           Zeit reif ist. Von den
                                                                                                        Foto: Josepha Merz

ternehmens lande-                                                                                           Zwischenstationen
te ich im Callcenter.                                                                                       Arbeitslosigkeit
„Oha, Kontakt mit                                                                                           oder Hartz IV, die
Menschen, wie gru-                                                                                          ich auch durchlief,
selig,“ dachte ich.                                                                                         sollte sich niemand
Was soll‘s, ich hat-                                                                                        abschrecken        las-
te als Alleinerziehende Verantwortung       bildung zur Fotografin zu kämpfen, die      sen. Jede Station des Berufslebens hat-
zu tragen. Jedoch nach drei Jahren Call-    ich 2013 abschloss. Doch dann fand ich      te ihre Berechtigung und verhalf mir zu
center begann mich eine schleichende        keinen Arbeitsplatz. Da waren sie wie-      den Qualitäten, die ich jetzt brauche.
Überlastung unzufrieden zu machen.          der, die Fragen. Und was kommt jetzt?       Selbst das anstrengende Callcenter…
Der Lärmpegel im 40-Personen-Büro           Was fange ich an? Ich erinnerte mich        Meine Scheu vor Menschen wandelte
nervte mich. Viele der Anrufer vergriffen   an den lang gehegten Wunsch einer           sich in pure Neugier. Wer weiß, was er
sich im Ton. Erfolgserlebnisse = Fehlan-    Reise. Super, mein Sohn ist erwachsen.      will und an seinem Ziel festhält, wird
zeige. Mein Körper meldete sich durch       Wenn nicht jetzt, wann dann? So star-       am Ende nicht unbedingt finanziell rei-
Schlafprobleme und Appetitlosigkeit.        tete ich in Richtung Niederlande. Die-      cher, aber mit „glücklich sein“ belohnt.
Ich funktionierte nur noch. Nach 10         se Reise, in der ich mich durch WWOO-       Fotografieren ist meine Berufung. Es
Jahren konnte ich nicht mehr. Ich ver-      fing (Arbeiten für Kost und Logis) über     erfüllt mich mit Freude. Wie lange, wird
ließ „freiwillig“ das Unternehmen. Mein     Wasser hielt, dauerte ein halbes Jahr.      sich zeigen. Zur Not räume ich wieder
Körper zwang mich dazu. Danach war          Was für eine tolle, aufregende Zeit! Ich    auf.               Henriette Fotografie

14
Menschen

Warum mache ich das eigentlich?                                                       Aktenstau

                                                                                      Den Urlaub gebucht vorm halben Jahr,
                                                                                      nur noch 2 Tage, dann wird es wahr.
                                                                                      Rein in den Flieger, ab in den Süden,
                                                                                      Telefon aus, am Strand willst du liegen.
„Niemals ist die Wohnung so                würde, möchte ich auch nicht, dass es      Du kommst ins Büro: A K T E N S T A U!
aufgeräumt wie an dem Tag, bevor           aussieht wie in einer 5er-WG, in der       Schaust auf den Schreibtisch,
die Putzfrau kommt.“ Ein kurioses,         sich keiner einen Schritt zu viel be-      Magen flau.
aber wahres Phänomen, dass wahr-           wegt. Aber das tut es in normalen          Zwei dicke Ordner, ´n Haufen Papier.
                                                                                      So viel Arbeit liegt noch vor dir.
scheinlich einige von Ihnen kennen.        Haushalten ja auch nicht. Also eher
Zumindest die, die ihre Wohnung            unwahrscheinlich, dass es wahnsinnig       Nun weißt du weder ein noch aus,
von einer Reinigungshilfe sauber           peinlich rüberkommt.                       am liebsten gingst du gleich nach Haus.
                                                                                      Doch angesichts der Urlaubssonne
halten lassen.                                 Manche halten es für billiger, wenn
                                                                                      schmeißt an die Arbeit dich mit Wonne.
                                           sie vorher selbst das Gröbste machen.
Bevor die Reinigungskraft kommt            Aber würde das wirklich so viel mehr       Geschwind die E-Mails aufgeschrieben,
und ihren Aufgaben nachgeht, fängt         kosten? Das kann ich mir eigentlich        die schon seit Wochen liegenblieben.
                                                                                      Vieles geht heut´ leicht von der Hand,
man plötzlich selbst an, Einiges auf-      nicht vorstellen, zumal die Leute, die     stellst du dir vor den Urlaubsstrand.
zuräumen und das Gröbste wegzu-            sich eine Putzkraft leisten, wahrschein-
machen. Man holt den Staubwedel            lich eh keine ernsten finanziellen Pro-    Ach, diese Akte ist ganz frisch?
                                                                                      Sie schwuppt auf den Kollegentisch.
raus und fängt an, sich dem Bücherre-      bleme haben. Ich denke, es wird auch
                                                                                      Ist der Arbeitstag vorbei,
gal zu widmen, um danach vielleicht        da die Peinlichkeit sein. Würde nur kei-   fühlst du dich nun frank und frei.
den Schreibtisch etwas ansehnlicher        ner zugeben.
zu gestalten. Natürlich darf auch nicht        So wichtig dieses Phänomen den         Fazit:
                                                                                      Denkst Du an die Urlaubssonne immer,
vergessen werden, die eine oder ande-      beteiligten Arbeitgebern auch ist,         hast Du nie mehr Aktenstau im Zimmer.
re dreckige Pfanne abzuwaschen oder        wichtiger ist es, ab und zu danke zu sa-
zumindest in die Spülmaschine zu le-       gen. Denn wer dies nicht tut, ist wirk-                     Claudia und Freundin
gen. Die Pflanzen werden gegossen,         lich peinlich.                      SU
damit sie nicht zu trocken aussehen
und zum Schluss wird noch schnell
der Müll runtergetragen. Aber warum?
                                           „Niemals ist die Wohnung so
Es ist doch total unsinnig. Ich gebe
schließlich Geld dafür aus, dass ich das
                                           aufgeräumt wie an dem Tag, bevor
eben nicht selber machen muss.
    Es darf einfach nicht aussehen
                                           die Putzfrau kommt.“
wie im Schweinestall, das ist peinlich.
Aber auch nicht zu aufgeräumt, das
ist zu auffällig und die Reinigungshil-
fe merkt, dass es wohl wie ein Schwei-
nestall aussah. Deswegen versucht
man, es wie die goldene Mitte erschei-
nen zu lassen. Ich gebe zu, ich mache
es auch so. Aber jetzt wo ich hier sit-
ze und diesen Text verfasse, frage ich
mich selbst, ob das nicht eigentlich to-
tal bescheuert ist.
    Natürlich sind wir alle Menschen
und keiner ist perfekt und wenn je-
mand sauber macht und den ei-
nen oder anderen Ort sieht, wo et-
was mehr übereinandergestapelt ist,
kommt das eigentlich nur realistisch
rüber. Aber wäre es wirklich peinlich
oder störend? Wenn ich selber irgend-
wo hingehen und dort sauber machen         Claudia Buchholz                                           Foto: Henriette Fotografie

                                                                                                                            15
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