Aufgeräumt Thema: HILF DIR SELBST
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HILF DIR SELBST Journal der Schweriner Selbsthilfe Ausgabe 1 | 18. Jahrgang | März • April • Mai 2020 Thema: aufgeräumt
Editorial HILF DIR SELBST Liebe Leserin, Journal der Schweriner Selbsthilfe Ausgabe 1 | 18. Jahrgang | März • April • Mai 2020 lieber Leser, nun also „aufgeräumt“. Das klingt so abgeschlossen und quasi als wäre es für immer. Doch kaum hat man auf- geräumt, beginnt die Unordnung schon wieder sich breit zu machen – ein scheinbar nicht enden wollender Kreislauf. Thema: Haben Sie heute schon aufgeräumt? aufgeräumt Je nach dem, was es ist, kann es mehr oder weniger anstrengend sein – oder Foto: Gudrun Schulze eben Gewohnheit. Für die einen ist der SHG der Genussläufer*innen tun: mon- Sinn des Lebens schon erfüllt, wenn al- tags und freitags, dienstags und don- Inhalt les schön sauber und ordentlich ist, für nerstags ist Treffpunkt 17:30 Uhr an der die anderen spielt das nun gerade die Schleifmühle und dann geht´s einmal Titelbild Henriette Fotografie���� 1 kleinste Rolle, weil andere Tätigkeiten um den faulen See. Editorial Sabine Klemm�������� 2 wichtiger erscheinen. Aufräumen ist Die größte Aufräum-Aufgabe ist das ei- Gastkolumne Kirsten Jüttner (vdek) 3 also eine Frage der Prioritätensetzung. gene Leben. Der Transmann Patrick Fa- Umfrage Wann räumen Sie auf?��� 4 Unser Land (der Dichter und Denker) wird low beschreibt seinen Weg von Frau zu Erfahrung Meditation räumt Geist von außen oft als „sauber, ordentlich und Mann und die Herausforderungen, de- und Körper auf�������������� 6 diszipliniert“ gesehen und so sind hier nen er sich dabei stellen musste. Bei Thema Minimalistisch leben����� 7 auch die „inneren Werte“. Jedem und Je- Menschen mit Messie-Syndrom ist Auf- Ratgeber Balsam aus der Natur��� 8 der sollte doch zugestanden werden, den räumen in komplexe Lebenszusam- Erfahrung Ein Fall von Putzsucht� 10 Grad der eigenen Ordnung selbst zu be- menhänge eingebettet und erfordert Erfahrung stimmen. Jeder kennt den alten Spruch besonders viel Kraft. Anja Filips lässt uns Ein langer Weg zum klaren Kopf?�� 11 „Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Su- teilhaben, wie sie zur Meditation kam Erfahrung Das Leben gründlich aufgeräumt� 12 chen.“ Dabei hat sich oft schon herausge- und Henriette Fotografie beschreibt ih- Selbsthilfe stellt, dass gerade nach dem Aufräumen ren Weg vom Beruf zur Berufung. Chaos im Kopf������������� 13 nichts mehr zu finden ist. Insbesondere bei jüngeren Menschen Erfahrung Auf der Suche nach dem In dieser Ausgabe betrachten wir den steht derzeit das Konzept des Minima- richtigen Beruf������������� 14 „Frühjahrsputz“ von verschiedenen Sei- lismus hoch im Kurs. 75 Jahre nach dem Menschen ten. Gleich in der Gastkolumne von Kirs- Krieg leben wir in einer Überflussgesell- Räumen, bevor die Putzfrau kommt 15 ten Jüttner erfahren wir, dass „aufge- schaft, in der es sich lohnt, auf wirkliche Thema Zero waste – Leben ohne räumt“ im übertragenen Sinne auch Werte zu schauen. In diese Richtung Müll zu produzieren��������� 16 „gut gelaunt“ bedeutet. Das wird im All- geht auch die Bewegung des Zero-Was- Selbsthilfe Für manche tag heute kaum noch so gebraucht, ist te (Null Müll). Bleibt die Frage, wo in eine Sisyphosaufgabe�������� 17 aber sehr hübsch. Schwerin Lebensmittel unverpackt ab- Menschen Freiraum nun im Klöresgang���� 18 Dass sich innere und äußere Ordnung geholt werden können. spiegeln und vielleicht doch bedingen, Im kommenden Jahr 2021 feiert die Interview Drei Fragen an Juliane Venohr, AOK 19 zeigt sich im Ringen um die richtige Ba- KISS ihr 30jähriges Jubiläum. Ein gu- Service lance beim Aufräumen der Wohnung. ter Grund, aufzuräumen, alles auf den KISS unterwegs������������ 20 Einerseits möchte man nicht als spie- neusten Stand zu bringen, Durchblick Service Neue Selbsthilfegruppen� 21 ßig gelten, andererseits auch nicht als zu schaffen. Schließlich bedeutet aufge- Zu guter Letzt/Förderer������ 22 schlampig. Dabei spielt offensichtlich räumt sein auch, bereit zu sein für Neu- So gesehen die Sozialisation eine Rolle. Aber das es. In diesem Sinne: Kommen Sie gut Ein ständiger Wegbegleiter����� 23 Wichtigste ist das eigene Wohlfühlen. gelaunt durch den Frühling! Impressum��������������� 24 Aufräumen ist auch Bewegung. So Die nächste Zeitschrift kriegt man beim Pilgern durch Gehen Ihre Sabine Klemm erscheint Anfang Juni 2020 zum den Kopf frei. Klingt einfach, nur die Zeit Thema „sicher?!“. dafür muss man sich nehmen. Das kann man auch in Schwerin mit der neuen 2
Gastkolumne „aufgeräumt!“ Das Thema ist gesetzt, einfach so, unser Kleiderschrank, die Garage helfen, ist aber nicht jedermanns Sa- gerne auch ohne Bezug von Kranken- oder im Büro der Posteingangssta- che. Auch Spazierengehen im Grü- kasse bzw. Ersatzkassenverband zu pel, die stressen. Nur hier können wir nen oder Tagträumen sollen unserem KISS oder LAG Selbsthilfe oder Selbst- eben versuchen, Ordnung sichtbar zu Gehirn helfen die Verbindungen zwi- hilfe allgemein. Ich habe zugesagt machen. schen seinen Zellen aufzubauen. Des- und freue mich über die Möglichkeit. Die meisten Informationen, die halb liebe ich den Schlosspark und Und es gibt doch einen Bezug zur wir ordnen wollen, erreichen uns öffentliche Verkehrsmittel, in denen Selbsthilfe. „Aufgeräumt!“ gehört seit heute über digitale Medien. Nicht un- kann man ohne Ablenkung und ohne kurzer Zeit zu diesen Selbstoptimie- bedingt Social-Media, man braucht etwas zu verpassen Löcher in die Luft rungsdingern. Frei nach dem Motto, nicht bei Facebook und Co. zu sein. gucken. Auch bieten die Ersatzkassen „in einem aufgeräumten Haus wohnt Es reichen die Online-Ausgaben von gute Präventionskurse an, autogenes ein aufgeräumter Geist“ oder viel- Zeitschriften oder der Tageszeitung Training oder Meditieren und vieles leicht auch eher „erstmal aufräumen, und was einem sonst noch Push- mehr. vielleicht sehe ich dann klarer.“ Nachrichten aufs Handy schickt. Mei- Und wir haben auch richtig aufge- Tatsächlich fällt mir zu „aufge- ne Kinder sind der Auffassung E-Mails räumt. Wir haben zum Jahreswechsel räumt“ zuerst ein kleines, fröhliches sind out. Im normalen Verwaltungs- ein ganzes Archiv reduziert. Auch un- Männchen ein, so comicmäßig. Ich handeln ist davon nichts zu spüren, zählige Ordner „Selbsthilfe“ konnten google daher. Wörterbuch sagt – „auf- die Postfächer sind voll. Und alles for- in die Tonne. Digitalisierung hat auch geräumt“, Adjektiv, gut gelaunt; in ge- dert erst einmal die gleiche Aufmerk- ihre Vorteile. Wir sind zwar noch weit löster, heiterer Stimmung. Passt! Da- samkeit, denn die Wenigsten markie- entfernt vom papierlosen Büro, aber neben, die obligatorische Werbung, ren ihre elektronische Nachricht mit seit einigen Jahren legen wir vieles zu allen denkbaren Ratgebern wie „Wichtigkeit: Niedrig“. elektronisch ab und stellen es so auch „Aufgeräumt leben“, “Aufräumen mit Früher dachte ich, in Stresszeiten unseren Mitgliedskassen zur Verfü- Marie Kondo“ (die japanische Auf- öfter mal was vergessen heißt, Fest- gung. Aufgeräumt mit alten Gewohn- räum- und Lebensberaterin). Und all platte ist voll, zusätzliche Informatio- heiten, diese Informationen müssen diese Ratgeber versprechen Freiheit, nen fallen runter, urlaubsreif. Stimmt nicht auf Papier vorgehalten werden. aber erst, wenn denn aufgeräumt ist. nicht. Informationen werden nicht in Doch kennen Sie die Kinder, die den Gehirnzellen gespeichert, son- nach dem Aufräumen nicht mehr wis- dern in den Verbindungen dazwi- sen was sie spielen sollen? Der direkte schen. Gehirne bauen diese Verbin- Zugriff auf Dinge, die man tun möch- dungen regelmäßig um, unwichtige te oder tun muss ist nicht zu unter- Verbindungen entfallen, wir fokussie- schätzen. Heißt es also eher ab und ren auf das Wichtige. Dauergestress- Foto: Doreen Chittka, vdek an entrümpeln, was übrigbleibt, ord- te Gehirne bauen diese Verbindun- net sich dann fast von selbst und ist gen ab, sie räumen rigoros auf und leicht zu finden? sind dabei leider auch etwas wahllos. Es ist nicht ganz von der Hand zu Dass hier nicht aufgeräumt, sondern weisen, Ordnung beruhigt, eine cha- abgeräumt wurde, merken wir zuerst otische Umgebung, die uns auffor- nicht. Wir merken nur, dass etwa fehlt, dert, gleichzeitig tausend Sachen zu wir es vergessen haben, dass unsere tun, stresst. Uns stehen heute zwan- Möglichkeiten schwinden, wichtige zig Mal mehr Informationen zur Ver- Informationen zu speichern. Kirsten Jüttner fügung als noch vor dreißig Jah- Doch für viele von uns ist es gar Leiterin der Landesvertretung Mecklen- ren. Es ist in Wirklichkeit doch gar nicht so einfach, es nicht soweit burg-Vorpommern des Verbandes der nicht unsere Krimskrams-Schublade, kommen zulassen. Meditieren soll Ersatzkassen e. V. (vdek) 3
Umfrage „ a u f g e r ä u m t ” in en ei n e Q u al , für die anderen nding, für die E chweriner, was bei für Kinder ein U . W ir fr ag te n S allerliebsten tun etwas,was sie am mt“ ist. ihnen „aufgeräu Cindy Kröger, SHG HOPE – Frauen für Frauen: Beim Aufräumen mit der Vergangenheit und mit der Familie möchte ich auch an mich denken, nicht nur an die anderen. Udo Bernfeld, SHG Prostatakrebs Griese Gegend: Das Wichtigste beim Aufräumen für mich ist Ordnung schaffen. Christel Prüßner, SHG Prostatakrebs Griese Gegend: Was ist eigentlich aufräumen? Wenn bei mir jemand aufräumen würde, würde ich nichts mehr wiederfinden. Durchblick bekommen ist mir wichtig, dafür lohnt sich aufräumen. Silvia Sülflow Bezirksverein der Kehlkopfoperierten Schwerin e.V.: Aufgeräumt heißt für mich, alles ist an seinem richtigen Platz. Post z.B. hefte ich immer sofort ab. Detlef Müller Bezirksverein der Kehlkopfoperierten Schwerin e.V.: Wenn ich aus dem Haus gehe, muss grundsätzlich mein Bett gemacht sein. Zur- zeit sammle ich demonstrativ die Kippen vor unserem Haus, so, dass die Raucher das auch sehen – und jetzt wird es schon weniger. Petra Henckus: „Aufräumen ist mir sehr wichtig und ist in meinem Leben einfach selbstverständ- lich. Aufräumen gibt mir ein gutes Gefühl, Sicherheit und Geborgenheit. Ein schön aufgeräumtes Haus macht mich glücklich und gehört zu meiner Lebens- grundeinstellung, das habe ich von Kindheit an von meinen Eltern mitgegeben bekommen. Ein schöner bunter Blumenstrauß in jedem aufgeräumten Zimmer ist das I-Tüpfelchen.“ Gabi Schulze, Rentnerin: Aufräumen bedeutet für mich, alles sauber zu halten. Ich habe eine große Wohnung. Da ist viel zu tun. Jeden Tag schwinge ich 3mal den Besen, um mich wohlzufühlen. Das geht natürlich nur seit ich Rentnerin bin und mehr Zeit zur Verfügung habe. An Tagen, an denen wir Schmuddelwetter haben, ist sogar noch mehr zu tun. Überall sind die Tapsen wegzuwischen. Allgemein kann ich sagen, dass ich sobald ich einen Krümel sehe den Besen schnappe. Da komme ich nicht mehr von ab. Es füllt meinen Tag den ich hauptsächlich allein verbringe. 4
Umfrage Red, Lobo cerveza-hombre …Straßenmusiker: Aufräumen bedeutet allgemein die Stube in Ordnung zu halten. Ansonsten empfinde ich mich als aufgeräumt. Martina Jäkel, Marktstand: Für Martina Jäkel bedeutet aufräumen, dass an ihrem Stand alles geordnet und übersichtlich an seinem Platz liegt. Die Kunden finden damit schnell, was sie su- chen. Zwischen den Einkäufen häkelt sie, um innerlich aufzuräumen. Es ist Yoga für die Seele, meint sie. Coco Radsack, Das Kontor Aufräumen? Wir wissen theoretisch was das ist… Wir lieben diese Kästen, Frau Radsack zeigt uns lächelnd ein Exemplar. Dort kommen alle Kleinteile, die wir für unsere künstlerische Arbeit benötigen sortiert hinein. So finden wir schnell, was wir gerade brauchen. Denn die Zeit ist knapp bei der vielen Arbeit. Wenn wir auf- räumen stellen wir die Kästen in die Kisten, aber nur bei guter Musik und Kaffee. Wolfram Grafe, Grafikdesigner Ich bin gerade am Aufräumen von Unterlagen und Papieren. Unter anderem fand ich dabei einen 30 Jahre alten mit Schreibmaschine und Durchschlag- papier geschriebenen Antrag, den ich damals an den Campingplatz schickte. Wir wollten uns einen Wohnwagen anschaffen, um mit den Kindern in freier Natur zu sein. Außerdem fanden wir eine ebenfalls sehr alte Examensarbeit meiner Frau, die mit Schleifchen verziert war. Meine Frau und ich haben uns köstlich amüsiert. Wir schwelgten in alten Erinnerungen. Das gab uns ein gu- tes Gefühl und tolle Gespräche. Es stellte die empfohlene Methode in Fra- ge, Dinge die 3 Jahre unangetastet im Schrank lagen, wegzuschmeißen. Ich habe am Ende festgestellt, dass es für mich von Vorteil ist, themenorientiert aufzuräumen. Susann, Feinkoststand auf dem Markt: Aufräumen ist ein wichtiges Thema. Im Moment räume ich meinen Hof auf. Es wäre mir wichtig meinen Freundeskreis aufzuräumen. Manche passen nicht mehr zu mir und andere sollten hinzukommen. Wenn ich das geschafft habe, habe ich schon viel geschafft…hahaha Fotos: Sabine Klemm, Kerstin Fischer, Henriette Fotografie Mülltonne, Pfaffenteich Fürs Aufräumen bin ich geboren. Ich lebe davon, dass Sie Ihren Restmüll in mich werfen. Mein Problem ist meine Farbe. Das un- scheinbare Dunkelgrau animiert augenscheinlich nicht zum Be- nutzen. Das hilft auch das witzige Graffito nicht. Meine auf Papier und Bio spezialisierten Kollegen haben es da leichter. Denn die meisten von Ihnen lieben die Mülltrennung und nutzen meine blauen und braunen Mitstreiter gern. Zu mir hingegen kom- men Leute, die sich zwar auch von ihrem Müll trennen, aber di- rekt an mir vorbei auf die Straße. 5
Erfahrung Das Heute heute leben Foto: pixa Der Mensch versucht ständig in ei- nie so erholsam. Ich fragte auch nicht Ich bin viel gereist, wollte schon nen Zustand des Zufriedenseins zu warum, ich war glücklich. Wichtig ist immer alles wissen und erfahren, um gelangen. Oder glaubt, in der Zu- sich nicht zu sperren, sich nicht un- auch diese Ganzheit von Körper und kunft läge das jetzige Wohlbefin- bewusste Grenzen mit eingefahre- Gedanken für mich zu erforschen. Die den. Wenn dies oder jenes anders nen Glaubenssätzen zu setzen. Nur so Reise zu mir selbst führte mich in den wird, ist alles besser. Doch wie soll wird man frei und kann sich einlassen. letzten 15 Jahre über eine Sportakade- in der Zukunft die Vergangenheit Oder seinen Gedanken freien Lauf las- mie zum ärztlich geprüften Sport- und besser werden? sen. Mitten am Tag träumen? Sich ge- Gesundheitstrainer mit Ernährungs- sund träumen, so empfand ich es an- beratung, Tanz, Meditation, zur jahr- Dabei trennt er unbewusst Körper und fangs. Statt immer nur auf die Zukunft tausendalten Heillehre der Tibeter und Geist. Aber unsere Gedanken beein- zu hoffen, stelle ich sie mir vor. Lebte zum Ayurveda. flussen unser gesamtes Leben, unse- mein Morgen in der Meditation. Die- Ich möchte weitergeben und ver- re Stoffwechselvorgänge und unsere ses Glücksgefühl, als ich merkte, es mitteln, dass es sehr viel Schönes im Gesundheit. verändert sich etwas oder ich fühlte Heute gibt, auch wenn wir es gerade Vor vielen Jahren, in einer sehr mich einfach nur wohl, das allein zählt. nicht sehen, weil unsere Gedanken schweren, dunklen Phase meines Le- Für mich war allein diese Seminarer- schon wieder in der Zukunft sind. Oft bens, dachte ich: „Ich mache jetzt et- fahrung ein kleines Wunder. höre ich „ich kann nicht meditieren“ was, um zu mir zu finden.“ Den Glücksmoment wollte ich nie oder „das ist nichts für mich, ich brau- Mit meinem letzten Geld meldete vergessen, für immer festhalten. Gera- che Bewegung“. Muss man auch nicht. ich mich zu einem Meditations- und de, wenn es mir nicht so gut geht oder Es gibt so viele verschiedene Wege, Autosuggestionsseminar an, was die Zweifel kommen, hilft es einen Mo- auch bewegte Meditation. Jeder hat folgenden Jahre mein Leben und mei- ment innezuhalten, mich zu erinnern. etwas, was er machen und dabei die ne Persönlichkeit verändern sollte. Da- Meinen Glücksmoment habe ich mir Zeit vergessen kann. Dann ist er ganz mals wusste ich nicht, was mich erwar- bis heute bewahrt. bei sich. Das ist eine Art von Medita- tet. Aber wer nur in seinen Vorurteilen Natürlich gab es auch wieder Zei- tion. Wenn man in seinem Blumen- schwelgt, wird immer wieder ins glei- ten, in denen ich keinen anderen Aus- oder Gemüsegarten buddelt, in die- che Muster fallen. weg mehr sah als eine Veränderung. sem Moment in der Erde versinkt, ist Also setzte ich mich in mein Auto Zwar auch schmerzlich, aber mein es ein meditationsähnlicher Zustand. und fuhr los. Ich sagte mir, der Mensch Umgang mit Schmerz hat sich verän- Man schaltet ab, ist nur im Hier und hat immer eine Wahl. Und wenn dort dert. Egal was passiert, ich kann mich Jetzt, weil man an nichts anderes ge- alle nackt im Kreis tanzen, könnte ich auf mich verlassen. Das ist mein Urver- dacht hat. immer noch nach Hause fahren. Es wa- trauen in mich, das mir mit den Jahren Das zu erkennen ist ein Stück nä- ren nur drei Tage, die mir so viel Erho- immer bewusster wird. Mich von Din- her zu sich kommen. Einfach nur mal lung und Lebensmut schenkten, wie gen, Menschen trennen, die mir nicht innehalten, auf dem Lieblingsplatz mit ich es vorher noch nie gespürt hat- guttun. Nicht mehr machen, was mich dem Lieblingstee die Augen schlie- te. Auch andere Teilnehmer fühlten unter Druck setzt. Ich räumte auf, in- ßen, ohne an morgen zu denken, und sich, als hätten sie drei Wochen Ur- dem ich mein bisheriges Leben besser mal „alle Fünfe gerade sein lassen“. laub hinter sich. Selbst der war noch verstehe und anzunehmen lernte. Anja Filips 6
Kann weg! Jeden Morgen stehe ich vor meinem Foto: Henriette Fotografie Kleiderschrank und habe „nichts zum Anziehen“. Wofür ich mich letztlich entscheide, beschränkt sich in der Re- gel auf einige ausgewählte Teile. Der Rest bleibt jahrelang im Schrank ver- staut. Auch sonst: dekorativ bis möhlig nur mit materiellem Überfluss zu tun. viel häufiger und intensiver, weil ich kullern Gefäße, Zeitschriften, Kosme- Auch unnötige Aufgaben, negative Be- ihn zu schätzen weiß. Ich erfahre we- tikartikel, Abgepacktes und „Dinge“ ziehungen und ungesunde Verhaltens- niger Angst um den Verlust von Be- überall in meiner Wohnung herum und weisen lasten schwer auf der Seele. So- sitz oder Status, weniger Stress und da- bleiben ungenutzt. Schafft der über- bald man mit dem Minimieren beginnt, durch mehr Gesundheit. Nachhaltiges flüssige Krempel eine gemütliche At- geschieht Erstaunliches. Leben liegt nahe, wenn ich nicht kaufe, mosphäre oder raubt er meinem Geist werden keine Ressourcen zur Herstel- den Raum für Erholung, Motivation Weniger Stress, mehr lung benötigt und Müll produziere ich und Kreativität. Verspüren Sie auch ge- Ausgeglichenheit! auch keinen. Ich spare ganz klar Geld. legentlich diese Aufräum-, Entrümpel- Mein Opa kritisierte die Idee, als wir uns In die Gesellschaft bin ich stärker einge- und Verschenkelust wie ich? darüber unterhielten. Er wuchs nach bunden, wenn ich Fahrgemeinschaften dem zweiten Weltkrieg auf und erzähl- bilde und mit meinem Nachbarn Ham- Weniger verstauen, mehr te mir vom „unfreiwilligen Minimalis- mer gegen Harke tausche. Wenn ich verschenken! mus“ der die Mehrheit der Bürger be- weniger besitze widme ich mich den Erst letztens habe ich meine Freundin lastete: es gab begrenzte Nahrung, wichtigen Dingen. Für mich zählt zum mit der guten Kamera eingeladen, die Kleidung, Baumaterialien etc. Er fühlt Beispiel meinen Partner lieben, mei- Hälfte meiner ungetragenen Kleidung sich vom Konzept des Minimalismus ne Familie besuchen, mich in der Natur abgelichtet und zu Flohmarktpreisen verhöhnt, weil wir jungen Leute nicht bewegen, kreativ sein, mich gesund er- auf Secondhandwebseiten angeboten. zu schätzen wüssten, woran wir seien. nähren, meinen Hund trainieren. Die andere Hälfte brachte ich zur Klei- Wir hätten doch alles und sollten es ge- Die Faustregel des Minimalismus: Las- dersammlung, zum Secondhand- und nießen, sagte er. sen Sie so viele Dinge, Tätigkeiten und zum Verschenkeladen. Beziehungen los, damit nur noch übrig- Weniger laut, mehr leise! bleibt, was Ihnen persönlich am wich- Weniger Chaos, mehr Klarheit! Denke ich an jene, die mit wenig aus- tigsten ist und was Sie glücklich macht. Alles was ich seit einem Jahr nicht mehr kommen MÜSSEN, die nicht die Wahl anhatte, was mir nicht mehr gefällt und haben minimalistisch leben zu wollen, Weniger jammern, mehr anpacken! was mich nicht glücklich macht – weg! kann ich nachvollziehen worin mein Opa Als Minimalisten werden wir geboren: Ich muss zugeben, es fiel mir schwer die Dekadenz des Minimalismus sieht. bedürfen nur der Fürsorge unserer El- mich von dem Gedanken „Wer weiß, Dann denke ich aber an das Zitat von tern und der Erfüllung von Grundbe- vielleicht brauche ich das eines Tages“ Jean Guéhenno und sehe, mein Opa hat dürfnissen. Auch als Kinder häufen wir zu trennen. mich nicht vollends verstanden: „Arm ist keine Besitztümer an, zumindest nicht nicht der, der wenig hat, sondern der, der aus Eigeninitiative, sondern spielen Weniger Angst, mehr Mumm! nicht genug bekommen kann.“ mit Stock und Stein an den Pfützen im Es gibt einen aktuellen Trend, der ei- Garten. Doch irgendwann erliegen wir nen modernen Lebensstil beschreibt: Weniger quasseln, mehr zuhören! der Verlockung Konsum, wir sammeln Minimalismus. Er sieht sich als Alterna- Aber warum nicht den Überfluss genie- mehr und mehr. Was denken Sie, ist das tive zur heutigen konsumorientierten ßen und konsumieren, was das Zeug problematisch? Überflussgesellschaft. hält? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, Kleines Experiment: Trenne Dich einen aber wenn ich weniger besitze, muss Monat lang jeden Tag von einer Sache. Weniger Neuware, mehr selber ich weniger putzen. Meine Freund- Verschenke, Verkaufe, Entsorge. Wie machen! schaften erscheinen mir echter und fühlst Du Dich dabei und wie verändert Für mich bedeutet Minimalismus ohne gründen nicht auf schicken Klamotten sich Dein Gefühl? in. Ballast zu leben. Dieser Ballast hat nicht oder teuren Autos. Genuss erfahre ich Loreen Christ r Se Me h aben – ige rH 7 We n
Ratgeber Frühjahrsputz für Körper und Seele Kleine „Aufräumer“ vorgestellt Die meisten Menschen wissen, wie es in sich haben – nämlich Vitamine, Füßen ans Tageslicht. Das sind die Blü- wohltuend es ist, mal wieder so richtig Mineralstoffe, Spurenelemente und ten des Huflattich (Tussilago farfa- „ausgemistet“ zu haben. Es entsteht mehr. Die Natur scheint zu wissen, ra). Sie erfreuen unser Auge, die Lun- Platz und Raum für Neues. Gegenstän- was unser „vermülltes“ Gewebe, unse- ge und die Bronchien. Die Blätter des de, Kleidung, Haushaltsgeräte und re Ausscheidungsorgane (Lunge, Le- „Hustenvertreibers“ (lat. Tussilago) er- manchmal auch Bücher füllen Schrän- ber, Darm, Nieren, Haut) nach einem scheinen erst, wenn die Blüten ihre Sa- ke und Regale und scheinen uns zu langen Winter brauchen. Sie schenkt men an kleinen Fallschirmchen in alle erdrücken. Aber auch Gedanken, Ge- es uns großzügig. Auch unser Gemüt Winde geschickt haben. Sie können wohnheiten und negative Glaubens- will sich der Dunkelheit des Winters ebenfalls verwendet werden. Der Huf- sätze wollen ab und zu aufgeräumt entledigen und braucht einen Früh- lattich ist eine sehr alte Heilpflanze für werden. Wenn Platz geschaffen und jahrsputz. Mit frischem Grün, bunten die Lunge. Als Tee getrunken, früher geputzt worden ist, stellt sich ein Ge- Frühjahrsblühern, singenden Vögeln auch bei Asthma geraucht, lindert er fühl von Wohlbehagen ein. Wir sind scheint Mutter Natur alles für unse- den Hustenreiz, wirkt schleimlösend, Brennnessel Gänseblümchen Huflattich stolz auf das Geschaffte und können re Sinne tun zu wollen. Unsere Augen entkrampfend, geweberegenerierend, uns auf Neues freuen. strahlen, die Nase saugt Düfte ein, die entzündungswidrig, hustenlindernd Der Frühjahrsputz nach einem lan- Ohren horchen gebannt auf Vogelkon- und -heilend. gen Winter mit Heizungsstaub und zerte, die Haut erfreut sich erster Son- Neben vielfältigen anderen Aufga- Schmuddelwetter hat hier seine Be- nenstrahlen, das Herz wird weit und ben hat die Leber unser Blut zu entgif- rechtigung. Unser Körper und unsere Freude kann einziehen. ten z. B. von Alkohol, Medikamenten, Seele freuen sich, wenn wir mal wieder Unsere Lunge, die ständig CO2 Hormonen. Die kleinen zarten Blätter aufräumen, uns einen Frühjahrsputz ausatmet und dadurch den Körper der Schafgarbe (Achillea millefolium) genehmigen. Für den Körper ist es Zeit vor Übersäuerung schützt, ist erfreut sind auf der Wiese gut zu erkennen. für eine Frühjahrskur. Sie aktiviert den über Spaziergänge und tiefes Durch- Die zwei- bis dreifach gefiederten Blät- Stoffwechsel und erleichtert den Aus- atmen. Sauerstoff kann getankt wer- ter verhalfen ihr zu dem Namen Mil- scheidungsorganen die Arbeit. den und den Körper wie eine Dusche lefolium, das heißt „die Tausendblätt- Als Heilpraktikerin und Kräuter- durchfluten. rige“. Die Schafgarbe, übersetzt der frau zeige ich in meiner Praxis und Als wüsste Mutter Erde, dass wir im Schafgesundmacher, bringt unsere Le- meiner Kräuterschule die Möglichkei- Winter oft unter Erkältungen, Husten, ber mit ihren Bitterstoffen im Salat und ten, die uns die Natur in jedem Früh- Schnupfen und Grippe leiden, schickt Tee so richtig in Schwung. jahr ermöglicht. Sie deckt uns den sie ganz zeitig im Frühling kleine Son- Auch der Löwenzahn (Taraxa- Tisch reichlich mit Wildkräutern, die nenblüten auf rotbraun geschuppten cum officinale) schickt uns seine 8
schmackhaften, im Frühjahr noch we- auf das Blut und die Haut wirkt, ent- die Nüsschen (auch Samen genannt). nig bitteren „Salat“-Blätter als Auf- säuert, den Zellen bei Auflösung und Der Frühjahrsputz, das Aufräumen in räumhilfe für Leber, Nieren, Magen, Teilung hilft. Der nussige Geschmack unserem Körper gelingt mit der Brenn- Darm, Bauchspeicheldrüse und den ihrer Blüten und Blätter macht sie be- nessel auf jeden Fall. Sie entschlackt gesamten Stoffwechsel. liebt für den Frühlingssalat, ebenso im den gesamten Organismus und ihre „Was bitter dem Mund, ist dem Kör- Frühlingstee, in Suppen, als Gemüse- Inhaltsstoffe lassen uns die Fähigkei- per gesund.“ teilt uns ein alter Spruch beilage. Ein Gesichtswasser oder eine ten der Natur staunend bewundern. mit. Bereits das Schmecken der Bit- Gesichtsmaske aus Gänseblümchen- Vitamine (u.a. B, C, K) und Mineralstof- terstoffe im Mund klingelt über das blüten beleben die Haut und machen fe u.a. Kieselsäure, Kalium) sowie ein Nerventelefon die Verdauungsorgane sie wunderbar zart. sehr hoher Eisenanteil im Frühling re- wach und sogleich wird die Arbeit auf- Der Giersch (Aegopodium podag- gen den Stoffwechsel an, aktivieren genommen. Eine gute Verdauung ist raria) mit seinen vitalen Würzelchen die Bauchspeicheldrüse, wirken blut- eine wichtige Voraussetzung für unser ärgert den Gärtner bei der Pflege sei- bildend (Eisen), cholesterinsinkend, Wohlergehen. ner Gemüsebeete. Seine Vitalität al- schleimlösend, harntreibend. Jede Taraxacum, das bedeutet „ich hei- lerdings können wir uns zu Nutze ma- Zelle wird sozusagen aufgeräumt und le Entzündungen“, belebt und stärkt chen. Das Zipperleinskraut (Zipperlein munter gemacht. Brennnesselspinat uns mit Blatt, Wurzel, Stengel und Blü- = Gicht) löst Harnsäure und treibt sie und co. gehören im Frühling unbe- te im Salat oder Tee und als Gemüse- mit dem Harn aus. Das hilft gichtkran- dingt auf den Speiseplan. beilage. Er reinigt das Blut und fördert ken Gelenken. Mit seinem Potential an Dies war eine kleine Auswahl der zudem die Blutbildung. Mit seinen Vi- sehr viel Vitamin C sowie Provitamin A, Aufräumer unter den Wildkräutern. Bei taminen, Mineralstoffen und auffal- Eisen, Kupfer, Mangan und noch wei- Kräuterwanderungen, Kursen, meiner lend viel Kalium in den Blättern regt teren hilfreichen Inhaltsstoffen ist er Wildkräuterküche im Frühling ist noch Giersch Schafgarbe er den Stoffwechsel an, die Leber wird ein echter Muntermacher für unseren vieles mehr zu erfahren und mit allen gestärkt, ebenso Haut und Gewe- Körper. Sein an Möhren und Petersilie Sinnen zu erleben. Nicht jedes Kraut be. Die Anregung der Niere und da- erinnernder Geschmack verfeinert er passt zu jedem Menschen, Kenntnisse mit eine wasserausleitende Wirkung viele Speisen. Man isst die jungen Blät- über die Pflanze und gegebenenfalls hat ihm den Volksnamen „Bettseicher“ ter am besten frisch. Die würzigen Blü- auch die Dosierung sind zu beachten. eingebracht. ten und Samen können ebenfalls ge- Nach viel trockener Heizungsluft gessen werden. Zudem wirkt Giersch Informationen zu meinen Veranstal- und wenig Wind, Wetter, Sonne auf entzündungshemmend, verdauungs- tungen sind unter der Haut fühlt sich diese oft trocken anregend und reinigend. www.heilpraktikerin-schwerin.de und matt an. Das Gänseblümchen Eine Wohltat für den gesamten zu finden. Auch per mail akschmie- (Bellis perennis) mit seinen reinen wei- Körper ist die Königin der Heilkräuter dehaus@yahoo.de und per Telefon ßen Blüten und der goldenen Mitte – die Brennnessel (Urtica dioica). Dass 0173 7510515 bin ich zu erreichen. blüht das ganze Jahr. Selbst unterm die Brennende (Urtica) in zwei Häu- Schnee ist es zu finden. Das Blümchen sern (dioica) wohnt, bedeutet, es gibt Naturheilpraxis und hat deshalb sicher seinen Namen er- weibliche und männliche Pflanzen. Kräuterschule „Avila“ Anne-Katrin halten, er bedeutet „schön das ganze Dies ist für die Ernte des Krautes im Schmiedehaus-Engel Jahr“. Bellis ist eine sanfte Pflanze, die Frühling ohne Bedeutung. Die weibli- Goethestr. 88 • 19053 Schwerin den Stoffwechsel anregt, reinigend chen Pflanzen tragen im Spätsommer 9
Erfahrung Alles Swiffer oder was? Aufräumen ist für mich so ein biss- von vorheriger Generati- chen wie essen, schlafen und ande- on übernommen. Dabei res, das man täglich so tut. Bewusst wollte ich doch niiieeee so oder unbewusst, ich räume jeden sein. Meine Kinder trieben Tag irgendetwas auf. Wenn es auch mich mit ihrer Unordnung nur die Spülmaschine ist. Aufräumen so manches Mal schier in verfolgt mich seit frühester Kindheit. den Wahnsinn. Die Kon- „Geh Dein Zimmer aufräumen! Räum sequenz der Bestrafung endlich mal auf! Wenn Du nicht end- brachte ich nicht übers lich aufräumst, dann…“ Ja, dann gab Herz. Zumindest an dieser es Stubenarrest, Fernsehverbot oder Stelle durchbrach ich eine was meiner Mutter, die solche Ansa- Mauer. Stattdessen bekam gen regelmäßig machte, so einfiel. ich von meinen Kindern zu Als Kind war diese Tätigkeit einfach hören: „Das ist unser Zim- nur blöd. Spielen, Freunde treffen, mer, hier hast Du nichts Rollschuhlaufen, das war wichtig. zu suchen.“ Natürlich be- kam ich davon Schluckbe- Das Genie beherrscht das Chaos schwerden. Meine Reakti- und ich hatte meines bestens im Griff. onen darauf waren dann Etwas zu finden, was ich brauchte, wur- auch nicht pädagogisch de immer dann zum Problem, wenn wertvoll. Für meine Kin- ich wirklich aufgeräumt hatte. Der Er- der war ihr Chaos ihre Ord- ziehungsdrill rund um das Aufräumen nung, nur ich hatte ver- Foto: Henriette Fotografie entwickelte gegen meinen ausdrück- gessen, wie ich mich als lich erklärten Willen ein Eigenleben Kind damit gefühlt hatte. und bekam tatsächlich einen sehr lan- Wir raubten uns letztend- gen Arm. Jung erwachsen bezog ich lich wertvolle gemeinsame mein erstes Heim. Mit 20 war ich Mut- Zeit und waren über lange ter von Zwillingen und lebte mit mei- Strecken schlecht aufein- nem damaligen Mann in einer winzig ander zu sprechen. Bis heute sortiere ich mich. So habe kleinen Wohnung. Ihm war akkurate Ich näherte mich meinem 50sten ich für ein aufgeräumtes Berufsleben Ordnung schnurz. Mir auf einmal aber Geburtstag und damit einer neuen Er- mit 57 Jahren nochmal den Sprung in nicht mehr. Na gut, akkurat kam ich kenntnis in meinem „Ordnungsleben“. die Selbständigkeit gewagt. Sollte das nicht hinterher. Doch Ordnung so, dass Derweil war Aufräumen zum Ritual ge- nicht gut gehen, wird halt wieder auf- jederzeit unangemeldet Besuch kom- worden. Etwas Selbstverständliches, geräumt. „Wer suchet, der findet“ ist men konnte. Niemals wollte ich mir die über das ich gar nicht mehr nachdach- heute und nicht „Wer aufräumt, ist nur Blöße geben, bei mir wäre es unordent- te, stöhnte oder lamentierte. Es mach- zu faul zum Suchen“. lich. Trotzdem kam manchmal mütterli- te oft sogar Spaß. Stereotype Handlun- Mein Haus ist sauber genug, um cherseits der Spruch: Bei Dir sieht es ja gen, die kein großes Denken forderten gesund zu bleiben und ordentlich ge- aus, wie bei Hempels unter dem Sofa! und sogar entspannten. Äußerlich Ord- nug, um glücklich zu sein. Diese Ba- Wer zum Teufel sind denn die Hem- nung herzustellen war leicht geworden. lance, innerlich wie äußerlich, birgt pels? Unter deren Sofa habe ich nie ge- Die innere Ordnung in Schuss zu halten eine Balance, die mir viel Zufrieden- schaut und ich glaube meiner Mutter schon schwerer. Meinem Leben, das so heit und Freude schenkt. Anfälle von auch nicht. Ordnung machen war im- kunterbunt wie ein Bild von Hundert- Aufräum-Orgien, das Zelebrieren mer noch blöd, aber schön war‘s auch, wasser und von vielen Brüchen durch- von Ordnungswahn sind weggefeu- wenn alles ordentlich gemütlich war. zogen ist, immer wieder eine Ordnung delt und ausgekehrt. Dafür swiffer ich Meine Kinder wurden größer und zu geben, war viel kräftezehrender als heute regelmäßig, da mich sonst die ich tappte glatt in die „Sprüchefalle“ Geschirr wegräumen, Zeitungen ent- Hausstaubmilben atemlos machen. meiner Mutter. Die hatte sie auch nur sorgen oder Wäsche zusammenlegen. Evelyn Koch 10
Erfahrung Laufen und tragen, tragen und laufen Auf dem Jakobsweg den Kopf „aufgeräumt“ Als ich mir im Pilgerbüro von Santi- über mich nachdenken. Aber das ging von „normalen“ Spaniern. Von denen ago de Compostela offiziell beschei- gar nicht. Ständig verlangte der Kör- wir übrigens so viele trafen, wie es in nigen lassen wollte, dass ich 360 Ki- per meine volle Aufmerksamkeit. Ir- einem normalen Spanienurlaub nie lometer zu Fuß bewältigt hatte, gendetwas tat immer weh. Oder der möglich ist. musste ich ankreuzen, was mich auf Rucksack drückte. Oder die Füße wa- Der Alltag zu Hause lag Jahre hin- den Weg gebracht hat: Waren es re- ren wie Blei. Es brauchte vielleicht 100 ter mir. Meine Gedanken drehten sich ligiöse, spirituelle oder touristisch- Kilometer, dann dachte ich nicht mehr, nur um das Hier und Jetzt. Als wir sportliche Gründe? Ohne groß nach- ließ zu, was der Weg mir abverlangte: Santiago nach reichlich drei Wochen zudenken entschied ich mich für die Und das war: Gehen, tragen, tragen zu Fuß erreichten, war nur noch ei- spirituelle Variante. und gehen; mal mehr und mal weni- tel Freude in mir, über die strahlen- ger schmerzlich; oft mit, manchmal de Sonne, über Spaziergänge ohne Das war mir aber noch nicht klar, als ohne Frühstück. Allabendliche Beloh- Rucksack, ja, auch über die Mittags- ich gemeinsam mit einer Pilgerfreun- nung waren ein Bett (egal, ob in einer messe in der Kathedrale mit dem be- din in Gijon, einer alten Stadt an der Massenherberge oder in einer kleinen rührenden Gesang der Nonne und spanischen Atlantikküste, den Cami- Pension), eine Dusche und eine Bar in dem Weihrauchkessel, der zum Ab- no del Norte betrat. Auf diesen Weg der Nähe. schluss durchs 100 Meter lange Quer- mussten die Pilger in der Zeit der Mau- Eine große Gelassenheit überkam schiff fliegt. Natürlich reihte ich mich renherrschaft ausweichen. Ich woll- mich. Und Vertrauen in das Leben, auch in die lange Pilgerschlange ein te den Nordweg gehen, weil es dort das mir am Abend immer ein Quar- und umarmte den Jakobus auf dem nicht so voll und so heiß ist, um... Ja, tier bereitstellte, auch wenn ich es goldenen Altar. Weniger den Heiligen das Warum klärte sich bis zum Start nicht mehr geglaubt hatte. Und Tole- als den Menschen, der zu Lebzeiten nicht. Also schnallte ich den Rucksack ranz gegenüber rücksichtslosen Mit- gerade einmal zwei Männer davon auf, zog die Wanderklamotten an und pilgern, von denen es mehr gibt, als überzeugen konnte, ihm in seinem ging los. Ganz ohne Motiv. Und dann man glaubt. Und Dankbarkeit für die Glauben zu folgen… geschah, was viele Pilgerfreunde, die Hilfe von anderen Pilgern, aber auch Birgitt Hamm wir unterwegs trafen, genauso berich- teten: Der Camino entscheidet. Und der führte bergauf und -ab, über matschige Wege, an vielbefah- renen Straßen entlang, über Wiesen, durch Wälder und Dörfer, vorbei an idyllischen Buchten mit herrlichen Stränden, hinein in pittoreske Städ- te. Die größte Herausforderung wa- ren nicht die acht Kilo Gepäck auf dem Rücken, die schmerzenden Füße, die Wettrennen mit Lastern, das unweg- same Gelände, die Sonne oder der Regen. Nein, ich musste mich zusam- menreißen, nicht jede Begegnung, je- des Ereignis, jede schöne Aussicht im Kopf zu beschreiben – für die Familie und Bekannte, für eine spätere Veröf- fentlichung. Ich wollte, das war plötz- lich glasklar, nur für mich gehen. Und dabei in mich gehen. Ordnung in mei- nen Kopf bringen, aufräumen und Pilgern ist: im Gehen den Kopf aufräumen. Foto: Marion Kuhlmann 11
Erfahrung Situationen, an denen ich schwer zu auf Verständnis und Anerkennung. Der Seele Flügel tragen hatte und habe. Lange Zeit habe ich versucht den Er- Ich bin transsexuell. Mein Ziel war wartungen zu entsprechen und habe verleihen ein Leben als Frau zu beenden und als mich dabei selbst verloren. Ich brauch- Mann weiterzuleben. Meinen Weg bin te die Anerkennung. Doch ich habe für ich gegangen und lebe jetzt als Mann. mich erkannt, dass es nicht in meiner Ich habe aufgeräumt in vieler Nicht alle alten Verhaltensmuster, Macht ist, alles allen recht zu machen. Hinsicht, bei mir und in mir. welche mir einmal geholfen haben, Menschen, die mir nicht guttun, las- sind jetzt noch hilfreich. Dieses gilt es se ich ziehen. Menschen, die mir sehr Wir schreiben das Jahr 2020. Ein zu erkennen, zu sortieren und auch wichtig sind, auch aus meiner Fami- neues Jahr hat begonnen mit ei- loszulassen. Es fällt nicht immer leicht. lie, welche kein Verständnis für mich nem neuen Jahrzehnt. Bald beginnt Ich habe versucht, besonders männ- aufbringen können, versuche ich in das Frühjahr und alles wird grünen, lich zu wirken. Das brachte mir nur Un- Liebe und mit Verständnis zu begeg- wachsen und blühen. Für den Zau- sicherheit. Mit diesem Vorurteil habe nen. Leider gibt es auch im Familien- ber des neuen Anfangs hat die Na- ich aufgeräumt. Ich stehe jetzt zu mei- verbund Situationen, in denen ich für tur vorher in der stillen Zeit aufge- nem Lebensabschnitt als Frau. Ich war, mich Entscheidungen treffen muss, räumt und alles vorbereitet. bin und bleibe Mutter. Ich bin stolz auf um nicht unterzugehen. Manchmal meine Kinder, die mich weiterhin als hilft eine Funkstille zum Selbstschutz, Auch für mich ist die Zeit gekom- Mutter sehen und ansprechen. Nun auch wenn es ein schwerer Schritt ist. men, etwas Neues zu beginnen und stehe ich als Mann mit beiden Bei- Alte Verletzungen und Kränkun- dem Zauber des Anfangs zu vertrau- nen auf dem Boden (auch wenn ich gen versuche ich nach und nach los- en. Da fallen mir die Worte ein: „Es reist manchmal noch leicht schwanke). Ich zulassen. Sie sind schwer wie Blei und sich leichter mit leichtem Gepäck.“ So bin noch dabei Erfahrungen in der ziehen uns runter. All dies sind Ener- habe ich mich und mein Leben durch Männerwelt zu sammeln. gieräuber. Mein Motto ist „Den Kopf Aufräumen entlastet. Es gibt einige Mit meinem Verhalten stoße ich befreien und die Seele bekommt wie- Verhaltensmuster, Mitmenschen und bei meinen Mitmenschen nicht immer der Flügel“ Liebe Grüße Patrick erkannt hat, wie Weg mit falschen diese sogenann- ten „Freunde“ tat- Freunden sächlich sind: Falsch, hinterhäl- tig, nur auf sich Aufräumen – das muss man immer bedacht, dass sie mal wieder, wenn man nicht irgend- erwarten, dass wann zur Messie-Liga gehören möch- man in der Not te – und das wollen sicher die wenigs- für sie da ist, es Foto: Henriette Fotografie ten von uns. Also krempelt man immer umgekehrt aber mal wieder die Ärmel hoch und schafft nicht so läuft. Je- Ordnung. In der Wohnung, im Keller, in dem von uns fällt Haus, Hof und Garten, auf dem Dach- dazu sicher eine boden und, und, und… ganze Menge ein. Das ist meistens nur eine Fleißar- Dann ist es nur beit, die getan werden muss und ver- konsequent, zu sagen, solche „Freun- einen Neuanfang in puncto Freund- langt längst nicht immer tiefgründi- de“ möchte ich nicht. Ich räume auf, schaft gibt, das muss man sicher von ge Entscheidungen, höchstens dann, indem ich mich von ihnen trenne. Kei- Fall zu Fall entscheiden. wenn es darum geht, was behalte ich nen Kontakt mehr - in welcher Form Bei mir ist es jedenfalls so, dass und was werfe ich weg, insbesonde- auch immer - und sich konsequent es sehr lange dauert, ehe ich auf die- re wenn es sich um einen Nachlass aus dem Weg gehen, ist manchmal se Art aufräume. Aber wenn, dann handelt. ein ganz heilsamer Schritt, aber im hat die Trennung Bestand, weil meine Mit falschen Freunden aufräu- Alltag längst nicht immer umzuset- Verletzungen einfach zu tief sind und men ist eine ähnlich tiefgründi- zen. Wie man dann damit umgeht, es mir ohne solche „Freunde“ besser ge Sache, wenn man erst einmal an wenn man sich doch einmal trifft, ob geht. den Punkt gekommen ist, dass man es vielleicht sogar eine Chance für Brunhilde Spickermann 12
Selbsthilfe Chaos – im Innen und Außen Dass das Leben manchmal plötzli- Stauraum. Und endlich meine Bücher- Kleiderschrank. Ein gutes Gefühl. che Wendungen nehmen oder auch regale, die hier beim Einzug vor Jahren Mein Schreibtisch steht auch im ganz vorbei sein kann, wurde mir so ihren Platz fanden, entstauben und Schlafzimmer. Hier stapeln sich links richtig bewusst, als ich auf der In- neu sortieren, gegebenenfalls eine und rechts Haufen von Papier. Das Re- tensivstation nach der Not-OP wie- Verschenke-Kiste packen mit Büchern, gal daneben ist voll mit Kisten, Ord- der zu mir kam. Ich war komplett von denen ich mich trennen kann. Ich nern und losen Blattsammlungen. Bü- verkabelt, hatte diverse Schläuche kaufte vier stabile Umzugskartons, um cher stapeln sich auf dem Nachttisch. in meinem Körper und wurde beat- eine Grundordnung meiner Bibliothek Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, met. Aber ich lebte. Und in mir war herstellen zu können. Und dann stand da Ordnung rein zu bringen. Es ging die Gewissheit, irgendwann wieder ich vor meinen Büchern. Nahm eini- nicht. Hier liegen überall halbgare ein halbwegs normales Leben füh- ge in die Hand, blätterte sie durch und Ideen rum, die ich noch nicht umset- ren zu können. stellte sie wieder ins Regal. Bei jedem zen konnte. Das Chaos in meinem Kopf Buch wurde ich von Emotionen ver- spiegelt sich auf meinem Schreibtisch. Der Schreck saß mir tief in den Glie- folgt, die eine Ordnung oder gar das „Innere und äußere Ordnung“ – dern. In den wenigen Wachphasen er- „Ausmisten“ unmöglich machten. Ich the Story of my life. Inzwischen habe innerte ich mich daran, was ich gerne hatte das Gefühl, mein ganzes Leben ich es akzeptiert, dass ich nicht-emoti- noch machen würde. Neben „ein Buch spiegelt sich in diesen Regalen wider. onale Dinge wie Mehltüten beseitigen veröffentlichen“ und „mal komplett mein Äußeres zu ändern“, war da auch der Punkt: innere und äu- „Innere und äußere Ordnung“ – the Story of ßere Ordnung. Ein Mam- mut-Projekt, wie sich her- my life. Inzwischen habe ich es akzeptiert, dass ausstellen sollte. Durch die jahrzehnte- ich nicht-emotionale Dinge wie Mehltüten lange psychische Beein- trächtigung gab es auf beseitigen kann. diesem Gebiet enormen Nachholbedarf. Wieder zu Hause schrieb ich Listen, gerade- Ich konnte hier einfach nichts bewir- kann. Und ich halte es aus, Aufgaben, zu euphorisch. Ich sprach mit meinem ken. Ja, es war eine weitere Baustelle die emotionalisiert sind, Aufschub zu Mann über mein Ziel, auch mit Freun- auf meinem Lebensweg. Ich konnte es gewähren. den. Schwerpunkte kristallisierten sich nur schwer akzeptieren, aber schließ- Am Rande: Im Flur steht auch ein heraus. Ich war mir so sicher, das al- lich haben wir einfach um die Bücher- alter Sekretär aus Holz. Darin fand ich les in der nächsten Zeit erledigen zu regale herum gemalert. eine Kiste mit Kindheitserinnerungen, können. Der nächste Einsatz galt dem die mir meine Mutter mal übergab. Wir haben mit der Küche ange- Schlafzimmer. Mein Kleiderschrank Damals habe ich sie nur verstaut, weil fangen. Hui, das war easy. Abgelaufe- proppevoll mit Klamotten, die zum Teil ich mich den Erinnerungen nicht stel- ne Mehltüten entsorgen, Pfannen neu über 20 Jahre alt waren. Ja, ich lebe len wollte. Inzwischen war ich dazu sortieren, Platz schaffen. Mein Wunsch gern nachhaltig und trage Sachen, bereit. Zwischen Schulheften und nach einer Kücheninsel wurde dank bis sie auseinanderfallen. Irgendwann Spielen fand ich eine kleine Tasche IKEA wahr. Und Farbe musste her! Ein hatte ich den Überblick verloren. Es mit einem K, der Anfangsbuchsta- satt sonniges Gelborange wurde es war wie ein Befreiungsschlag. Klei- be meines Namens. Darin ein kleiner schließlich. An der Wand weit inten- dungsstücke, die mir nicht mehr pass- Zinn-Elefant, damals mein Glücksbrin- siver als gedacht, aber hey, ich wollte ten, die im Laufe der Zeit ihre Elastizi- ger. Die Tasche hängt nun an meiner doch Veränderung! tät verloren hatten oder schon früher Gürtelschlaufe, egal welche Hose ich Das nächste Ziel war der Flur. Ein kaputt waren und die ich trotzdem trage. paar Möbelstücke sollten gerückt wer- nicht entsorgen konnte. Alles hübsch den, noch ein paar Wandregale für in Müllsäcke verpackt. Freiraum im Kirsten 13
Erfahrung Vom Beruf zur Berufung durch „aufräumen“ Wer kennt das nicht: Die Verkäufe- ich ratlos. Wie soll es weitergehen? Wo verbesserte meine Englischkenntnis- rin am Käsestand ist unfreundlich. liegt mein Talent? Ich hatte keinen Plan. se und lernte liebenswerte Menschen „Sie hat wohl einen schlechten Tag,“ Bei einem anschließenden Kuraufent- und ihre Sprache kennen. denke ich. Doch beim nächsten und halt stellte sich heraus, dass ich mehr Zurück in Deutschland startete ge- übernächsten Einkauf wird es nicht wahrnehme, fokussieren mir schwer- rade die „Flüchtlingswelle“. Ich bekam besser. fällt und ich schnell überreizt bin. Kein Arbeit im Asylbewerberheim. Mei- Wunder also, dass das Callcenter Gift ne Englischkenntnisse konnte ich hier Es gibt viele, die, wie sie in ihrem Job für mich war. Ich überlegte, wie ich die- gut gebrauchen. Und siehe da, die Ar- unzufrieden sind. Aus Angst, in die se „Schwäche“ beruflich nutzen könnte. beit mit Menschen machte nun über- Hartz-IV-Falle zu tappen, schleppen sie Ein Zufall brachte die zündende raschend Freude! Ich bekam die Auf- sich Jahr für Jahr zur Arbeit, die ihnen Idee. Eine Bekannte bewunderte ei- gabe das Heim mit meinen Fotos zu keinen Spaß mehr macht. Das kann so nes meiner Fotos und meinte, ich sol- gestalten. Die positiven Rückmeldun- weit gehen, dass diese Menschen er- le mehr aus meinem Hobby, der Foto- gen zu den Fotos erinnerten mich da- kranken. Sie werden vom Schicksal in grafie, machen. Ihre Worte gaben mir ran, dass ich für die Fotografie bren- die Knie gezwungen, ihr Berufsleben Mut. „Prima, jetzt weiß ich, wo die „Rei- ne. Es war an der Zeit, den Schritt in die „aufzuräumen“. se“ hingeht.“ Ich begann um eine Aus- Selbstständigkeit zu wagen. Seit 2016 Ähnlich ging es bin ich selbststän- mir. Meine berufli- dig. Zwar habe ich che Laufbahn be- jetzt weniger Geld gann als Techniker. in der Tasche, ar- Ich war schüchtern. beite viel und habe Eine Arbeit mit Men- auch Stress. Doch schen kam für mich dieser ist positiv. nicht in Frage. Mit Es ist mir ein Anlie- der Wende wur- gen mit meiner Ge- den weniger Techni- schichte anderen ker gebraucht. Nach Mut zu machen, im verschiedenen Ar- Berufsleben „aufzu- beitsplatzwechseln räumen“, wenn die innerhalb des Un- Zeit reif ist. Von den Foto: Josepha Merz ternehmens lande- Zwischenstationen te ich im Callcenter. Arbeitslosigkeit „Oha, Kontakt mit oder Hartz IV, die Menschen, wie gru- ich auch durchlief, selig,“ dachte ich. sollte sich niemand Was soll‘s, ich hat- abschrecken las- te als Alleinerziehende Verantwortung bildung zur Fotografin zu kämpfen, die sen. Jede Station des Berufslebens hat- zu tragen. Jedoch nach drei Jahren Call- ich 2013 abschloss. Doch dann fand ich te ihre Berechtigung und verhalf mir zu center begann mich eine schleichende keinen Arbeitsplatz. Da waren sie wie- den Qualitäten, die ich jetzt brauche. Überlastung unzufrieden zu machen. der, die Fragen. Und was kommt jetzt? Selbst das anstrengende Callcenter… Der Lärmpegel im 40-Personen-Büro Was fange ich an? Ich erinnerte mich Meine Scheu vor Menschen wandelte nervte mich. Viele der Anrufer vergriffen an den lang gehegten Wunsch einer sich in pure Neugier. Wer weiß, was er sich im Ton. Erfolgserlebnisse = Fehlan- Reise. Super, mein Sohn ist erwachsen. will und an seinem Ziel festhält, wird zeige. Mein Körper meldete sich durch Wenn nicht jetzt, wann dann? So star- am Ende nicht unbedingt finanziell rei- Schlafprobleme und Appetitlosigkeit. tete ich in Richtung Niederlande. Die- cher, aber mit „glücklich sein“ belohnt. Ich funktionierte nur noch. Nach 10 se Reise, in der ich mich durch WWOO- Fotografieren ist meine Berufung. Es Jahren konnte ich nicht mehr. Ich ver- fing (Arbeiten für Kost und Logis) über erfüllt mich mit Freude. Wie lange, wird ließ „freiwillig“ das Unternehmen. Mein Wasser hielt, dauerte ein halbes Jahr. sich zeigen. Zur Not räume ich wieder Körper zwang mich dazu. Danach war Was für eine tolle, aufregende Zeit! Ich auf. Henriette Fotografie 14
Menschen Warum mache ich das eigentlich? Aktenstau Den Urlaub gebucht vorm halben Jahr, nur noch 2 Tage, dann wird es wahr. Rein in den Flieger, ab in den Süden, Telefon aus, am Strand willst du liegen. „Niemals ist die Wohnung so würde, möchte ich auch nicht, dass es Du kommst ins Büro: A K T E N S T A U! aufgeräumt wie an dem Tag, bevor aussieht wie in einer 5er-WG, in der Schaust auf den Schreibtisch, die Putzfrau kommt.“ Ein kurioses, sich keiner einen Schritt zu viel be- Magen flau. aber wahres Phänomen, dass wahr- wegt. Aber das tut es in normalen Zwei dicke Ordner, ´n Haufen Papier. So viel Arbeit liegt noch vor dir. scheinlich einige von Ihnen kennen. Haushalten ja auch nicht. Also eher Zumindest die, die ihre Wohnung unwahrscheinlich, dass es wahnsinnig Nun weißt du weder ein noch aus, von einer Reinigungshilfe sauber peinlich rüberkommt. am liebsten gingst du gleich nach Haus. Doch angesichts der Urlaubssonne halten lassen. Manche halten es für billiger, wenn schmeißt an die Arbeit dich mit Wonne. sie vorher selbst das Gröbste machen. Bevor die Reinigungskraft kommt Aber würde das wirklich so viel mehr Geschwind die E-Mails aufgeschrieben, und ihren Aufgaben nachgeht, fängt kosten? Das kann ich mir eigentlich die schon seit Wochen liegenblieben. Vieles geht heut´ leicht von der Hand, man plötzlich selbst an, Einiges auf- nicht vorstellen, zumal die Leute, die stellst du dir vor den Urlaubsstrand. zuräumen und das Gröbste wegzu- sich eine Putzkraft leisten, wahrschein- machen. Man holt den Staubwedel lich eh keine ernsten finanziellen Pro- Ach, diese Akte ist ganz frisch? Sie schwuppt auf den Kollegentisch. raus und fängt an, sich dem Bücherre- bleme haben. Ich denke, es wird auch Ist der Arbeitstag vorbei, gal zu widmen, um danach vielleicht da die Peinlichkeit sein. Würde nur kei- fühlst du dich nun frank und frei. den Schreibtisch etwas ansehnlicher ner zugeben. zu gestalten. Natürlich darf auch nicht So wichtig dieses Phänomen den Fazit: Denkst Du an die Urlaubssonne immer, vergessen werden, die eine oder ande- beteiligten Arbeitgebern auch ist, hast Du nie mehr Aktenstau im Zimmer. re dreckige Pfanne abzuwaschen oder wichtiger ist es, ab und zu danke zu sa- zumindest in die Spülmaschine zu le- gen. Denn wer dies nicht tut, ist wirk- Claudia und Freundin gen. Die Pflanzen werden gegossen, lich peinlich. SU damit sie nicht zu trocken aussehen und zum Schluss wird noch schnell der Müll runtergetragen. Aber warum? „Niemals ist die Wohnung so Es ist doch total unsinnig. Ich gebe schließlich Geld dafür aus, dass ich das aufgeräumt wie an dem Tag, bevor eben nicht selber machen muss. Es darf einfach nicht aussehen die Putzfrau kommt.“ wie im Schweinestall, das ist peinlich. Aber auch nicht zu aufgeräumt, das ist zu auffällig und die Reinigungshil- fe merkt, dass es wohl wie ein Schwei- nestall aussah. Deswegen versucht man, es wie die goldene Mitte erschei- nen zu lassen. Ich gebe zu, ich mache es auch so. Aber jetzt wo ich hier sit- ze und diesen Text verfasse, frage ich mich selbst, ob das nicht eigentlich to- tal bescheuert ist. Natürlich sind wir alle Menschen und keiner ist perfekt und wenn je- mand sauber macht und den ei- nen oder anderen Ort sieht, wo et- was mehr übereinandergestapelt ist, kommt das eigentlich nur realistisch rüber. Aber wäre es wirklich peinlich oder störend? Wenn ich selber irgend- wo hingehen und dort sauber machen Claudia Buchholz Foto: Henriette Fotografie 15
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