5 Die Messe Miteinander Leben Berlin 2018 eröffnet Wege zur Teilhabe - Zeitschrift der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. Heft 1/2018, 21 ...
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Zeitschrift der www.lv-selbsthilfe-berlin.de Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. Heft 1/2018, 21. Jahrgang Die Messe Miteinander Leben Berlin 2018 eröffnet Wege zur Teilhabe 5
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, oft sind es kleine Schritte, manch- mal mittelgroße, selten große Mei- lensteine, in denen wir unseren An- spruch auf vollumfängliche Teilhabe in allen Lebensbereichen durchset- zen können. LGBG und Landes- Antidiskriminierungsgesetz sind gro- ße Weichenstellungen, die vor uns liegen. Alltagsnah in die Breite der betroffenen Bevölkerung wirken bei- Gerlinde Bendzuck mit der Berliner spielsweise die Umsetzung der För- Landesbeauftragten für Menschen derrichtlinie für das Inklusionstaxi in mit Behinderung, Christine Braunert- diesem Herbst oder die Etablierung Rümenapf der 16 Beratungsstellen zur Ergän- Foto: Sebastian Marggraf zenden unabhängigen Teilhabebe- ratung (EUTB) in Berlin. Berichte zu zwei neuen EUTB-Beratungsstellen – NESSt und SPRECHRAUM – unserer Mitgliedsorganisationen finden Sie in dieser Ausgabe. Stephan Neumann beschreibt die Implementierung einer Inklu- sionsverwaltung im Roten Rathaus – dieser ersten Inklusionsvereinbarung fol- gen bald hoffentlich weitere Senatsverwaltungen. Nach mehrjähriger Bau- und Planungsphase eröffnet die Rheuma-Liga im Berliner Südwesten ein eigenes Therapiebad. Ein kleiner Beitrag der Selbsthilfe angesichts des berlinweiten Mangels an Bewegungsbädern, aber die Berliner Bäderbetriebe werden be- kanntlich erst nach 2025 mit zwei weiteren Bädern zu einer teilweisen Verbes- serung beitragen. Eine Meldung aus der Antidiskriminierungslandschaft: bisher haben Menschen mit Behinderungen keinen Anspruch darauf, Zeittickets für die Bäderbetriebe bei Bedarf etwas länger zu nutzen, wenn sie als Mensch mit Behinderung vielleicht länger zum Umziehen benötigen. Warum eigentlich nicht? Unsere Anfrage an die Bäderbetriebe dazu läuft. Deutlich wird hier, wie viel Ausdauer von uns allen jeden Tag abverlangt wird, inklusive fortgeschrittener Fähigkeiten des Projektmanagements, bei unseren politischen Projekten oder denen unserer Selbsthilfe-Organisationen. Die neu- en City-Toiletten werden ab 2019 in die Umsetzung gehen – es werden ein paar mehr als bisher, und dank der intensiv eingeforderten und gelebten Beteiligung der Betroffenen fallen Ergebnis und Übergangslösung wohl vergleichsweise in- 2 FLAGGSCHIFF
klusiv aus. Die LV hat z.B. im Berliner Toiletten-Forum, in der Toiletten-Jury und auch bei der öffentlichen Präsentation für die Betroffenenverbände behinde- rungsübergreifend Qualitätsanforderungen mitgestaltet. Wir konnten im Betei- ligungsprozess Handlungsspielräume ausweiten – meinte man anfangs doch, im Vergabeverfahren die Mitwirkung von betroffenen Expert*innen nur auf den Innenbereich beschränken zu können. Bis zuletzt hieß es wachsam sein, um z.B. bei der öffentlichen Beteiligung die Anforderungen an die Toiletten-App für Sehbehinderte oder die Piktogramme im Innenraum verständlich für Alle zu de- finieren. Breitenwirksam für Inklusion war auch die im zweijährigen Turnus stattfindende Messe Miteinander Leben. Auf dem „Marktplatz der Selbsthilfe“ waren 25 Mit- gliedsvereine und Kooperationspartner der LV Selbsthilfe mit ihren Beratungs- und Informationsangeboten präsent. Besonders begeistert haben mich die bei- den Tanz-Flashmobs des australischen Ballettmeisters Andrew Greenwood im Hof der Station Berlin, veranstaltet von der DMSG. Herr Greenwood arbeitet als Pionier der Tanzarbeit im Gesundheitsbereich z.B. mit Menschen mit Par- kinson, Multipler Sklerose oder Demenz. Selbsthilfe in Bewegung wurde hier voll inklusiv bei knackigen Beats und Ballettklassikern bis hin zu Schwanensee umgesetzt: Jede/r konnte mitmachen, unabhängig von den körperlichen Vor- aussetzungen. Was mich in diesem Moment so berührt hat: durch seine Spra- che und seine Bilder, die konsequente Anrede der rund 30 Teilnehmer*innen als „Tänzer“ (rund zwei Drittel waren Rollstuhlfahrer*innen oder schwer mobilitäts- eingeschränkt) waren wir alle nach spätestens zwei Minuten persönlich invol- viert und „dabei“. Wir achteten auf uns und unsere Möglichkeiten, und gingen doch über die Grenzen des uns Gewohnten. Anders als bei mir bekannten the- rapeutischen Bewegungsangeboten stand hier der Spaß an der gemeinsamen Bewegung, das in Bewegung kreativ Werden, im Vordergrund. Ich fühlte mich inspiriert und nicht in erster Linie therapiert, und habe bei 30 Grad im Schatten mit nur positiven Nachwirkungen mit viel Spaß neue Bewegungsmuster ge- testet. Vielleicht brauchen wir noch mehr Blick über den Tellerrand und derart „richtige“ Inspiration von außen, um für unsere eigene Inklusion noch besser voran zu kommen. In diesem Sinne: Kommen Sie gut durch die dunklen Tage in Herbst und Winter! Herzliche Grüße Gerlinde Bendzuck Vorsitzende der LV Selbsthilfe Berlin FLAGGSCHIFF 3
Inhalt Messe Miteinander Leben eröffnet Wege zur Teilhabe 5 Eröffnung des Generationenbades der Berliner Rheuma-Liga 9 Ehrenamtliche beim Paritätischen Jahresempfang ausgezeichnet! 14 Antidiskriminierungsberatung neu besetzt 15 Neue unabhängige Beratungsstellen für Menschen mit (drohender) Behinderung und ihre Angehörigen 17 SPRECHRAUM. Vom Alltag stotternder Menschen 18 Unheilbar optimistisch am Welt MS Tag 21 Selbsthilfeangebote von InterAktiv e.V. 23 Leichte Sprache ist erlernbar 24 Inklusion im Roten Rathaus 27 CED-Intranet 29 Projekt „Jobbrücke Inklusion“ 30 Empowerment-Projekt für Mädchen und Frauen mit Behinderung 31 Stiftung Anerkennung und Hilfe 33 Fair Mieten – Fair Wohnen 35 Wege zu einer perfekten Ernährung 38 Termine 39 Impressum 43 4 FLAGGSCHIFF
Inklusion für Alle: die Messe Miteinander Leben eröffnet Wege zur Teilhabe Hunderte Menschen zeigen, wie „Miteinander leben“ geht. Aus den Hallen am Gleisdreieck deren Vereinen und Verbänden, Pflege- an der Luckenwalder Straße pulst der spezialisten und den Behindertenbeauf- schiere Optimismus an diesem Don- tragten Berlins und Brandenburgs, zu nerstagmorgen Ende Mai. Aus allen dem Messebeirat, der mit der Expotec Ecken Berlins und aus vielen Teilen GmbH die dreitägige Veranstaltung aus- Deutschlands sind nahezu hundert richtet. Nicht nur Produkte werden ge- Aussteller und etliche hundert Ehren- zeigt, es gibt auch ein anspruchsvolles amtliche gekommen um zu zeigen, was Kongress- und Seminarprogramm. Die Menschen mit Behinderungen, Ein- Themen sind breit wie die Probleme, schränkungen und Krankheiten (fast) die es zu lösen gilt: Wer darf wann wie- aller Art das Leben leichter, schöner und viel Pflegegeld beanspruchen? Welche praktischer machen kann. Und das ist Hilfsmittel gibt es überhaupt? Die Mes- Vieles. Zwei Hallen des riesigen Mes- se zeigt so viel: Kommunikationshilfen segeländes „Station“ sind gesteckt voll für Menschen mit Locked-in-Syndrom, mit Exponaten, Ständen, Informations- Lesehilfen für Blinde, Exoskelette für material – und vor allem Experten. Es Gehbehinderte oder Roller für jene, summt wie in einem Bienenstock. Und deren Gleichgewichtssinn nicht für sch- der Grundton ist ein fröhliches Dur. male Trittbretter ausreicht. Ein Taxi, das E-Rollifahrer aufnimmt wie nix, Reise- Die Messe „Miteinander Leben Ber- programme für die entlegenen Winkel lin“ findet nun schon das fünfte Mal statt. dieser Welt – denn die, so viel kann man Sie ist die Nachfolgerin der „Reha Care“, abschätzen, bleibt auch für Menschen deren Titel den Veranstaltern längst zu mit Behinderungen, bunt. schwerfällig geworden ist – und der oh- nehin nie gestimmt hat. Zurecht, findet Die Eröffnung lässt sich die neue Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der Beauftragte des Landes Berlin für Men- Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin schen mit Behinderungen, Christine e.V. „Nicht jeder Mensch mit Behinde- Braunert-Rümenapf, nicht nehmen. Seit rung ist ein Pflegefall, und auch die so langem ist die Gleichstellung der Men- genannte Reha wird teilweise nur mit schen mit Behinderung ihr Thema – vor dem Fokus bewillligt, die Arbeitsfähig- allem den Arbeitsmarkt hat sie dabei in keit wieder herzustellen. Die Landes- den Blick genommen. Ausdrücklich for- vereinigung Selbsthilfe ist auch Trägerin dert sie jene, die Arbeit suchen, dazu der Antidiskriminierungsberatung Alter auf, eine eigene Nische ausfindig zu oder Behinderung. Sie gehört mit an- machen – und dann eine Qualifizierung FLAGGSCHIFF 5
für genau diesen Bereich einzufordern. Vielfalt: für Berlin als „Selbsthilfe-Haupt- Selbst die Initiative ergreifen, sich nicht stadt“ ist die Kooperation der Selbsthil- abwimmeln lassen, bloß nicht aufgeben, fe-Aktiven, auch mit Brandenburg, eine das ist die Botschaft der Landesbeauf- zunehmend wichtige Aufgabe. tragten, die sich später noch zu zahlrei- chen kurzen Einzelgesprächen über die Für einen munteren, lautstarken Messe führen lässt. Auftakt sorgt die Trommelgruppe der Deutschen Multiple Sklerose Gesell- Auch Steffen Helbing, der Vorsitzen- schaft, Landesverband Berlin, mit ihrem de des Landesverbandes der Gehörlo- Taktgeber und Musiktherapeuten Jür- sen Brandenburg e.V. meldet sich per gen Horvath. Die DMSG ist ohnehin mit Gebärdensprachdolmetscher zu Wort: zahlreichen Ehrenamtlichen und Aktio- Gemeinsam, sagt er, sollten sich die nen vertreten, weil sie den Messeauftritt Menschen mit Behinderungen auf den mit dem Welt MS Tag zusammenlegt Weg machen. „Abgehakt ist hier noch und ein breites Vortrags- und Unter- gar nichts!“ bedeutet er den Besuchern haltungsprogramm mitbringt an die Lu- in leidenschaftlichen Gesten. Daher vor ckenwalder Straße. allem sei eine solche Messe wichtig – eben um miteinander ins Gespräch zu Stefanie Schuster kommen, mehr übereinander zu lernen (Text und Fotos) – und zu verstehen. Gerlinde Bendzuck, die Vorsitzende der LV Selbsthilfe, be- schwor die Kraft der Inspiration durch Viele Besucher*innen informierten sich an drei Tagen Ende Mai in den Mes- sehallen der Station an der Luckenwalder Straße darüber, wie „Miteinander Leben“ geht – und wie Hilfsmittel dabei helfen können. 6 FLAGGSCHIFF
Mehr Inklusionstaxen als bisher durch Berlin rollen zu lassen, gehört zu den wich- tigsten Zielen der zahlreichen Behindertenverbände. Auch die LV Selbsthilfe hat sich auf die Fahnen geschrieben, den Senat zu einer nachdrücklichen Unterstützung zu ermuntern. Das Problem sind die Umbaukosten der Transportfahrzeuge. 250 Fahr- zeuge „für alle“ sollen es werden in den kommenden Jahren – fünf (!) sind es jetzt. Das Ehepaar Petra und Horst Rosenkranz berichtete von Weltreisen mit Handicap. Ihr Motto: Nichts ist unmöglich – wenn man weiß, wie´s geht. In ihrem Buch „Über- windung von Grenzen. Rollis on Tour“ (Norderstedt 2011) machen sie all denen Mut, die – wie sie – nicht in eine Pauschalreise passen. FLAGGSCHIFF 7
Steffen Helbing, der Vorsitzende des Landesverbandes der Gehörlosen Bran- denburg e.V., erinnerte die Gäste daran, dass eine Messe vor allem dazu gut ist, die Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Auf dem Marktplatz der Selbsthilfe stellten Mitglieder und Kooperationspartner der LV Selbsthilfe ihre Angebote vor. 8 FLAGGSCHIFF
Die Eröffnung des Generationenbades – die Berliner Rheuma-Liga schreibt Geschichte Als am 15. September 2018 das Inklusives Generationenbad Generationenbad der Berliner Rheuma- Liga eröffnet wurde, ging ein Novum an Wie sehr der von den gesetzlichen den Start. Es ist bundesweit das ers- Krankenkassen im Land Berlin finan- te Bad dieser Art unter dem Dach der zierte Workshop am 7. Juni 2018 zum Rheuma-Liga, das einer Selbsthilfe- Thema „Inklusives Generationenbad“ Organisation gehört. Das Generatio- zur Barrierefreiheit beitragen konnte, hat nenbad bietet nicht nur therapeutische sich in den bisherigen Umbaumaßnah- Bewegungsangebote und Behandlun- men bereits bewiesen. Über die Lan- gen für mehrere Generationen, es ist desvereinigung kam der entscheiden- auch als Vereinshaus im Einsatz – und de Hinweis für den richtigen Experten richtungsweisend. Die barrierefreie und beim Workshop: Als Sachverständigen inklusive Gestaltung des Bades konnte für barrierefreies Bauen konnte Tho- mit Hilfe eines Workshops aus dem Pro- mas Bantzhaff engagiert werden. Nicht jekt Selbsthilfe inklusiv der LV Selbsthil- nur als Fach-Experte, sondern auch als fe optimiert werden. selbst von einer chronischen Krankheit Betroffener hat er einen geschulten Viele der rund 11.000 Mitglieder der Blick auf alle baulichen Gegebenheiten. Berliner Rheuma-Liga haben bereits vor vielen Jahren auf eklatante Män- Nach einem Durchgang durch alle gel für die Versorgung rheumakranker Bereiche sprachen die Teilnehmer mit Menschen in Berlin hingewiesen: Zum dem Sachverständigen alle Bereiche einen fehlen genügend Rheumatolo- durch, im Detail von der Beschriftung der gen, zum anderen existieren zu wenig Türen bis zur Gestaltung von Glasflä- Therapie-Bäder. Zahlreiche Proteste chen. Dadurch konnte nach dem Work- und Demonstrationen folgten darauf- shop ein ausführliches Konzept ent- hin. Schließlich wurde die Idee geboren, stehen, mit genauen Angaben zu allen ein solches Bad selbst zu bauen. Heu- notwendigen Maßnahmen sowie deren te, kurz nach Fertigstellung des Bades Kostenschätzung. Thomas Bantzhaff werden jeden Tag weitere Bauabschnit- plädierte dabei immer für pragmatische te fertig gestellt. Eine letzte Bepflaste- Lösungen, die einfach umgesetzt wer- rung, Schilder, zwei Birnenbäume... Die den können. Nachrüstung auf eine komplett barriere- freie Umgebung erfolgt Stück für Stück Der stellvertretende Geschäftsfüh- auch nach der Eröffnung. rer der Rheuma-Liga, Malte Andersch, FLAGGSCHIFF 9
Die Workshop-Teilnehmer vor dem fast fertigen Generationenbad der Rheuma-Liga Foto: Deutsche Rheuma-Liga Berlin e.V. zeigt sich äußerst zufrieden über die Zu- öffnen, damit möglichst viele Betroffene sammenarbeit während und nach dem einen Blick auf dieses Vorhaben werfen Workshop: „Herr Bantzhaff hatte sehr können. gut verstanden, was wir brauchen und viele eigene Ideen für die praktische Manchmal sind die Probleme ganz Umsetzung. Als ehemaliger Bauverwal- banal. Für die eingesetzten Firmen ist tungsangestellter hatte er zudem hilfrei- eine Vorgabe wie „Barrierefreie Bekle- che Tipps, wer in der Verwaltung anzu- bung“ oft nicht leicht umsetzbar – ein- sprechen ist.“ fach, weil sie nicht wissen, was das ge- nau heißt. Viele Firmen haben schlicht Merkmale auf Augenhöhe: Praktische keine Erfahrungswerte in diesem Be- Beispiele für barrierefreies Bauen reich und reagieren dann mit der Aus- sage: „Das ist bestimmt etwas kompli- Ein barrierefreier Bau oder ein inklu- zierter.“ In Wahrheit stehen dahinter nur sives Gebäude sollte für Menschen mit konkrete Angaben, in welcher Höhe und verschiedensten Handicaps geeignet Art etwas angebracht werden muss. sein. Es ist der erklärte Anspruch der Rheuma-Liga, auch für die Nutzung des Weitere Merkmale für eine barriere- Generationenbades so gut wie möglich freie Gestaltung des Gebäudes: Star- alle Behinderungen abzudecken. So ke Kontraste, eine gute Beleuchtung, war der Ansatz, den Workshop für alle Bedienfelder auf Augenhöhe (die bei Mitgliedsverbände der LV Selbsthilfe zu einem Rollstuhlfahrer einfach nur tiefer 10 FLAGGSCHIFF
liegen), eine Folie auf Glasfolien (für Kryo-(Kälte-) Anwendungen für die ef- Sehbehinderte), Türschilder, die jeden fektive Behandlung mit kurzzeitiger ex- Raum konkret bezeichnen, in kontrast- tremer Kälte. reichem Schwarz, mit Braille-Schrift in weiterer Beschreibung für blinde Men- Solche Kryokabinen werden auch schen oder ein Hublift für Rollstuhlfahrer von Fußball-Stars wie Christiano Ronal- (für die Nutzung der Wassergymnastik). do zur Regeneration verwendet. Neben der Regenerierung beanspruchter Ge- lenke sind Kälteanwendungen unter an- derem auch gegen Depression hilfreich. Ein bis zwei Minuten in Bewegung bei minus 110 Grad regen den Stoffwech- sel an und das Immunsystem und sind hochwirksam gegen viele Beschwer- den. Bei Superstars oder ganz norma- len Berliner Bürger*innen. Für wen ist das Generationenbad? Rheuma ist keineswegs eine reine Bewegung und Begegnung – gelebtes Alterskrankheit ist, sondern betrifft alle Motto der Rheuma-Liga in Berlin. Generationen. So ist das (Mehr-) Gene- rationenbad auch für Kinder, Jugendli- che oder alte Menschen gedacht – eben ein Bad für alle. Seit Februar finden Was haben Christiano Ronaldo und einmal die Woche zwei Kurse für rheu- die Rheuma-Liga Berlin gemeinsam? makranke Kinder statt, die Angebote werden weiter ausgebaut. Bewegung und Begegnung - das ist nicht nur das Motto auf dem großen Das Bad ist ausgerichtet auf Men- Schild am Generationenbad, sondern schen mit rheumatischen Erkrankun- auch gelebtes Anliegen der Rheuma- gen, die für die Behandlungen vom Arzt Liga. Das Bad liegt direkt hinter der ein Rezept bekommen, allerdings nur Begegnungshalle des Vereins. Im Ge- für ein Funktionstraining von 15 Minu- nerationenbad finden verschiedenste ten. Die Wirksamkeit der Behandlung Bewegungsangebote statt: Heilsame steigert sich bei jeder längeren Anwen- Warmwassergymnastik im 31 Grad dung. Dieser Anteil muss dann von den warmen Wasser des Hauptbeckens Betroffenen selbst übernommen wer- (groß genug für eine Gruppe von 15 den. Als Mitglied bekommt man einen Personen), Trockengymnastik-Übungen rabattierten Selbstzahler-Betrag. sowie Infrarot-(Wärme-) Kabinen und FLAGGSCHIFF 11
Dringend benötigte Therapiebäder in Großer Bedarf und starke Finanzierung Berlin Die veranschlagten Baumaßnahmen Viele Berliner Krankenhäuser muss- sind fast alle umgesetzt worden, auch ten ihre Bäder in der Vergangenheit dank der Hilfe von großzügigen Spen- schließen, entweder lange, weil sie sa- den. Seit 2011 wurden für das Bad und nierungsbedürftig sind oder sie stellen das Projekt Spenden gesammelt. Wei- den Betrieb ganz ein. Dies geschieht terhin werden Spenden benötigt, um die meist, weil es schwierig geworden ist, Gesamtfinanzierung zu gewährleisten. sie wirtschaftlich zu betreiben, die Bäder Derzeit wird für die Außenanlage ge- sind schlicht nicht mehr in der Finanz- sammelt, die ebenfalls behindertenge- planung der Einrichtungen enthalten. recht angelegt werden soll. Rund eine Malte Andersch: „Das ist ein Riesen- halbe Million Euro sind noch reinzuho- problem für uns, weil schwer rheuma- len. tisch erkrankte Menschen nicht durch die ganze Stadt fahren sollten, um eine Mehr als die Hälfte der gesamten Therapiebehandlung zu erhalten. In den Baukosten von ca. 4,2 Millionen Euro meisten Bezirken gibt es zwar ein Bad, wurden allein durch die Lotto-Stiftung das reicht jedoch nicht aus, um den gan- eingenommen (2,2 Millionen), ein wei- zen Bedarf abzudecken.“ terer Großteil durch einen großzügigen Spender. Für eine Selbsthilfeorganisa- Und der Bedarf ist groß: Die Rheu- tion eine außerordentliche Summe, die ma-Liga bietet derzeit um die 600 nur durch das Engagement von Förde- Warmwasserkurse berlinweit an. Bis- rern realisiert werden konnte. Allein über lang wurden jeweils Kurszeiten in einem 700 kleinere Spenderinnen und Spen- Therapiebad angemietet und ein The- der haben mit insgesamt fast 985.000 rapeut engagiert. Jetzt kann der Verein Euro den Bau mitfinanziert. Im wahrsten dies in seinem eigenen Bad selbst be- Sinne des Wortes kann man jetzt von ei- treiben. Das ist neu, dass eine Selbsthil- nem Gemeinschaftshaus sprechen. fe-Organisation der Betreiber eines sol- chen Bades ist und die Struktur wie die Zum guten Gelingen des Bäderbe- Investitionen für den Betrieb umsetzt. triebes tragen rund 500 engagierte eh- „Viele Bäder sind in einem etwas älteren renamtliche Helfer bei, die Spenden ein- Zustand, hier ist ein schönes, modernes sammeln, beim Empfang mithelfen oder und neues Bad, das gefällt natürlich den im Betrieb neue Gäste einweisen. Dass betroffenen Besuchern.“ so Andersch. das Bad sehr gut angenommen wird, Der Andrang ist bereits jetzt beachtlich. hat eine Evaluation per Fragebogen bei Seit Februar läuft der Probebetrieb, in- den Mitgliedern festgestellt. Durch den zwischen finden fast jeden Tag Kurse Probebetrieb und den Workshop Inklusi- statt. Der Verband rechnet derzeit mit on gibt es nun zwei Quellen, die helfen, 400 Besuchern im Monat und an jedem das Konzept der Barrierefreiheit optimal Wochentag mit Betrieb. umzusetzen. 12 FLAGGSCHIFF
Selbsthilfe und ihre Möglichkeiten andere Verbände, solche Projekte an- zugehen. Die schnelle Behandlung von Der Präsident der Rheuma-Liga, rheumatischen Krankheiten sind auch sondern Dr. Helmut Sörensen, sprach für das Gesundheitssystem von Bedeu- bereits von einer „Zeitenwende“, die tung. dieses Generationenbad einläutet. Was bedeutet das? Durch den Eigenbetrieb Malte Andersch findet nur gute Wor- des Bades gibt es viel mehr Möglich- te über das Prinzip der Selbsthilfe. In der keiten als zuvor. Kurse können nun en Selbsthilfe geht es immer darum, dass bloc angeboten werden oder Angebote man sich gemeinsam austauscht, aber wie ein Selbsthilfe-Café geschaffen wer- immer einen individuellen Weg findet. In den, entweder selbstständig oder mit der Gemeinschaft findet man hilfreiche einer anderen Organisation zusammen. Tipps: wo es gute Rheumatologen gibt, Malte Andersch: „Dafür ist jetzt die Inf- was man in der Ernährung verbessern rastruktur vorhanden. Damit schafft die kann oder wo man schnell einen Arzt- Berliner Rheuma-Liga ein echtes No- termin bekommt. Durch den Austausch vum bundesweit: Das Funktionstraining in einer Selbsthilfegruppe gibt es viele im eigenen Bad.“ Anregungen für Verbesserungen der eigenen Situation, ergänzend zur medi- Eine weitere zukunftsweisende Idee zinischen Behandlung und über die Dia- ist, neue Kombinationen aus Funkti- gnose hinaus. Aufbringen muss dazu je- onstraining, Infrarot-Behandlungen und der nur eine gute Portion Eigeninitiative. Kältebehandlungen zu kombinieren Dann kann jeder etwas beitragen für die und diese wissenschaftlich zu evaluie- Verbesserung seiner Situation und die ren. Als bewiesene Präventionsmaß- anderer Betroffener. nahmen könnten neue Therapieformen eingeführt und von den Krankenkassen Adresse des Generationenbades: finanziert werden. Sind rheumatische Begegnungshalle der Deutschen Krankheiten frühzeitig und effektiv be- Rheuma-Liga Berlin e.V. handelbar, könnten Milliarden von Fol- Eingang: gekosten vermieden werden, teure Mariendorfer Damm 159/161a Hilfsmittel, starke Medikation und vor 12107 Berlin allem viele schmerzhafte Folgeerschei- nen der Krankheit ebenfalls. Sabine Schreiber Die Selbsthilfe ist dabei weiter ganz wichtig, sie soll aus dem Ehrenamt und dem Verein betrieben werden. Als Selbsthilfe-Verband will die Rheuma- Liga weiter konsequent auf Inklusion und Barrierefreiheit hinwirken. Damit will sie auch Vorreiterin sein und Vorbild für FLAGGSCHIFF 13
Zwei verdiente Ehrenamtliche beim Paritätischen Jahresempfang ausgezeichnet! Große Ehre für die Rheuma-Liga wesen. Im Rahmenprogramm fand ein Berlin: Beim Paritätischen Jahresemp- Publikumsgespräch zum Thema „Ich will fang am 30. Mai 2018 im Umweltforum kein Opfer mehr sein! Wie können Opfer in Friedrichshain wurden gleich zwei besser unterstützt werden?“ statt. Die verdiente Ehrenamtliche ausgezeich- vielfältigen Kulturbeiträge aus dem Krei- net. Detlef Schmidt erhielt die goldene se der Mitgliedsorganisationen rundeten Ehrennadel für sein jahrelanges Enga- das Programm ab. gement im Vorstand als Vizepräsident und insbesondere für seine Verdiens- Ehrenamt: te um das neue Generationenbad der Engagieren auch Sie sich im neuen Ge- Rheuma-Liga Berlin. Ilse Wuttke wurde nerationenbad oder bei einer anderen die silberne Ehrennadel verliehen. Die Aufgabe! Ehrungen wurden von Frau Prof. Bar- bara John, Vorstandsvorsitzende, und Kontakt: Frau Dr. Gabriele Schlimper, Geschäfts- Bertram Wittig führerin (beide Paritätischer Wohlfahrts- Tel.: 030 32290295 verband, Landesverband Berlin), vor- wittig@rheuma-liga-berlin.de genommen vor zahlreichen Vertretern aus Politik-, Sozial- und Gesundheits- Ausgezeichnet wurden Detlef Schmidt (5. v. l.) und Ilse Wuttke (2. v. r.). 14 FLAGGSCHIFF
Antidiskriminierungsberatung neu besetzt Agnieszka Witkowska (ADB), Gerlinde Bendzuck, Kathrin Blaha (ADB) und Daniel Fischer Seit dem 15. September 2018 ist die Freibad, beim Einkaufen oder Proble- Antidiskriminierungsberatung (ADB) men bei der Besichtigung des Berliner neu besetzt. Nun stehen Kathrin Blaha Fernsehturms zu berichten. und Agnieszka Witkowska Menschen, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Be- Ziel der Antidiskriminierungsberatung hinderungen Diskriminierung erfahren soll dabei auch weiterhin sein, dass dem haben, beratend zu Seite. Bereits in einzelnen Menschen „Recht geschieht“, den ersten Wochen ihrer Arbeit wen- wenn zum Beispiel Schadensersatzan- deten sich zahlreiche Betroffene an die sprüche, Entschuldigungen oder ande- Beratungsstelle, um z. B. über Diskrimi- re Wiedergutmachungen ausgehandelt nierungserfahrungen beim Zugang zu werden. Gleichzeitig stellt die ADB si- Dienstleistungen, wie einem Berliner cher, dass die Gegenseite sensibilisiert FLAGGSCHIFF 15
wird und bemüht sich, diskriminierende kriminierungsarbeit der ADB, eine gute gesellschaftliche Verhaltens- und Ver- Vernetzung mit den Kolleginnen aus fahrensweisen systematisch abzustel- der Antidiskriminierungsarbeit und ak- len. tive politische Einflussnahme wie beim anstehenden Landes-Antidiskriminie- Für diese Herausforderungen sind Frau rungsgesetz werden wichtige Aufgaben Kathrin Blaha und Frau Agnieszka Wit- der neuen Mitarbeiterinnen sein. In den kowska gut gerüstet: Frau Blaha ist kommenden FLAGGSCHIFF-Ausgaben Diplom-Sozialpädagogin (BA) und Mas- werden beide aus ihrer Arbeit berichten. ter of Social Work in Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession. Neben un- Wie bisher werden Beratung vor Ort in ter anderem einschlägigen Erfahrungen der Littenstr. 108 (am besten mit Ter- in der Arbeit mit Menschen mit Behinde- minvereinbarung), Beratung am Telefon rungen liegt ihr vor allem die Umsetzung und per E-Mail sowie auch aufsuchende der UN-Behindertenrechtskonvention Beratung und Begleitung angeboten. am Herzen. Der Schwerpunkt der Aus- bildung von Frau Witkowska liegt dane- Vorstand und Team der LV Selbsthilfe ben im Bereich Sozialrecht (Master of begrüßen die neuen Mitarbeiterinnen Laws Sozialrecht und Sozialwirtschaft und freuen sich auf eine gute Zusam- cand.). Die ADB wird zukünftig von ih- menarbeit! ren sozialrechtlichen Kenntnissen so- wie ihrem Verständnis rechtlicher sowie Antidiskriminierungsberatung Alter sozialpädagogischer Problemlösungs- oder Behinderung kompetenzen profitieren. Dies ist insbe- Littenstraße 108, 10179 Berlin sondere wichtig, da in den letzten Jah- Beratungen nach telefonischer Anmel- ren Diskriminierung seitens Ämter oder dung unter: Behörden eine besonders große Rolle Telefon: 030 / 27 59 25 27 einnahm. 030 / 27 87 56 91 Anfragen per E-Mail: Die Beratung von Menschen auf Grund- adb@lv-selbsthilfe-berlin.de lage des Allgemeinen Gleichbehand- www.lv-selbsthilfe.de lungsgesetztes (AGG) bietet ein wich- tiges Instrument auf dem Schritt zum Sollten wir einmal telefonisch nicht zu Genuss voller und gleicher Rechte für erreichen sein, hinterlassen Sie uns bit- alle Menschen. Frau Blaha und Frau te eine Nachricht. Wir rufen dann umge- Witkowska möchten mit ihrer Arbeit hend zurück. dazu beitragen, dieses Ziel weiter zu verwirklichen und zudem auch im Sin- Bitte beachten Sie: Aufgrund von um- ne der Landesvereinigung Selbsthilfe fangreichen Bauarbeiten sind LV Selbst- e.V. die Anliegen Betroffener gegenüber hilfe und Antidiskriminierungsberatung Politik und Gesellschaft voranbringen. derzeit nur über die Littenstr. (bzw. Vol- Noch mehr Öffentlichkeit für die Antidis- tairestr.) von Norden zu erreichen. 16 FLAGGSCHIFF
Neue unabhängige Beratungsstellen für Menschen mit (drohender) Behinderung und ihre Angehörigen Als eines von insge- führt. Sie wissen um die verschiedenen samt 16 Berliner Pro- Möglichkeiten bei dem Wunsch nach jekten bietet NESSt die Teilhabe und Rehabilitationsleistungen sogenannte Ergänzen- und kennen beispielsweise die Schwie- de Unabhängige Teil- rigkeiten in Antragsverfahren bei Kran- habeberatung (EUTB) ken- und Pflegekassen, dem Jugendamt im Rahmen des Peer Counseling an: die oder dem Träger der Eingliederungshil- Beratung zu den individuell möglichen fe aus eigener Erfahrung. Besonders im Rehabilitations- und Teilhabeleistungen Vorfeld der Beantragung von konkreten wird durch Menschen durchgeführt, Leistungen können sie eine notwendige die aufgrund einer Erkrankung oder Orientierungs-, Planungs- und Entschei- Behinderung oder als Angehörige glei- dungshilfe geben. che oder ähnliche Erfahrungen wie die Ratsuchenden selbst gemacht haben. NESSt – Niedrigschwellige Dabei sind sie nur den Ratsuchenden Eltern Service Stelle verpflichtet und sollen sie dabei unter- des Kinder Pflege Netzwerk e.V. stützen, ihre Rechte auf Selbstbestim- Gotenstr. 12, 10829 Berlin mung, eigenständige Lebensplanung Tel.: +49 30 21957579 und Teilhabe eigenverantwortlich einzu- E-Mail: fordern und durchzusetzen. nesst@kinderpflegenetzwerk.de Um die Unabhängigkeit in der Bera- Weitere Informationen unter: tung zu gewährleisten, werden die Be- www.nesst-berlin.de ratungsstellen durch das Bundesminis- terium für Arbeit und Soziales (BMAS) Einen Überblick über alle durch das gefördert. Die Grundlage dafür hat der BMAS geförderten Beratungsstellen Gesetzgeber mit dem Bundesteilhabe- bietet die Internetseite gesetz (BTHG) geschaffen, das in meh- www.teilhabeberatung.de reren Stufen in Kraft getreten ist bzw. noch tritt. Dort können die Angebote über eine Suchfunktion nach spezifischen Teilha- Seit dem 2. Juli 2018 ist NESSt in sei- bebeeinträchtigungen gefiltert werden. nen Beratungsräumen in der Gotenstr. 12, 10829 Berlin-Schöneberg erreich- Claudia Groth bar. Die Beratung wird durch Mütter von Kindern mit einer chronischen Erkran- kung und/oder Behinderung durchge- FLAGGSCHIFF 17
SPRECHRAUM. Vom Alltag stotternder Menschen, ... ... einem Förderantrag für Bundesmittel und der Neugründung einer Beratungs- stelle des Stottern & Selbsthilfe Landesverbands Ost e.V. Der Chef dreht sich beim Gehen etwas halbwegs Vernünftiges werden noch einmal um: „Übrigens wollte ich wollen, dann müssen Sie das mit dem ihnen noch sagen: Sie werden hier ab Sprechen in den Griff bekommen.“ – heute nicht mehr telefonieren.“ Sie ar- In Artikel 3 des Grundgesetzes für die beitet seit einer Woche im Sekretariat; Bundesrepublik Deutschland heißt es in ihre Probezeit beträgt 3 Monate. Sie Absatz 1: „Alle Menschen sind vor dem sitzt erstarrt da und fragt vorsichtig: „Wa- Gesetz gleich.“ Und der zweite Satz in rum?“ „Ein Kunde hat sich beschwert“, Absatz 3 lautet: „Niemand darf wegen sagt er und verschwindet in sein Büro. seiner Behinderung benachteiligt wer- „Mein verdammtes Stottern!“ denkt sie. den.“ – Die Details der kurzen Schilde- rungen sind erfunden. Aber die Ereig- In Artikel 5, Satz 1 der Behinderten- nisse, die ihnen zugrunde liegen, sind rechtskonvention der Vereinten Natio- es nicht. Sie verweisen auf eine Diskre- nen (UN-BRK) steht: „Die Vertragsstaa- panz zwischen im Alltag allgegenwärti- ten anerkennen, dass alle Menschen gen, allen Beteiligten bewussten Diskri- vor dem Gesetz gleich sind […].“ Und in minierungen von stotternden Menschen Satz 2 desselben Artikels heißt es: „Die und dem Wortlaut von grundlegenden Vertragsstaaten verbieten jede Diskrimi- Gesetzestexten, die Diskriminierungen nierung aufgrund von Behinderung und verhindern sollen. garantieren Menschen mit Behinderun- gen gleichen und wirksamen rechtlichen Wenn Menschen diskriminiert wer- Schutz vor Diskriminierung, gleichviel den, blockiert das ihre Teilhabe am aus welchen Gründen.“ schulischen, akademischen, beruflichen und sozialen Leben. Dem konkret ent- Es ist das jährliche Abschluss- und gegenwirken will in Deutschland das Ausblicksgespräch mit der Doktormut- Bundesteilhabegesetz (BTHG), das in ter, bei dem es darum geht, was er in seiner letzten 2016 angenommenen seiner Forschung im abgelaufenen Fassung wichtige Veränderungen im Jahr erreicht hat und bis zum Ende des Neunten Buch des Sozialgesetzbu- nächsten Jahres erreicht haben will. ches (SGB IX) bewirkte. Wichtig heißt Er versucht realistische Entwicklungs- in diesem Fall: Hier wurden gesetzliche schritte zu nennen. Die Professorin Voraussetzungen u.a. für ein neues An- schweigt erst und sagt dann völlig un- gebot zur Beratung geschaffen, der so- vermittelt: „Wenn Sie in Ihrem Leben genannten Ergänzenden unabhängigen 18 FLAGGSCHIFF
Teilhabeberatung (EUTB). Noch konkre- sagt er im Rückblick. Erst nach und ter bedeutet es, dass seit Anfang 2018 nach sei deutlich geworden, dass sich jährlich insgesamt 58 Millionen Euro für ein Antragsversuch tatsächlich lohnen diese Förderlinie bereitstehen. Und der könne. Zu diesem Zeitpunkt wurde Su- Stottern & Selbsthilfe Landesverband sanne Grebe-Deppe mit ‚ins Boot‘ ge- Ost e.V. hat erfolgreich Mittel aus die- holt, die mit ihrer Erfahrung maßgeblich sem Topf beantragt. Seit Februar dieses beim Formulieren des Antrags geholfen Jahres existiert daher der „Sprechraum. hat. „Wir haben manchmal zu verrückten Beratungsstelle bei Stottern und ande- Zeiten am Antrag gearbeitet“, beschreibt ren Kommunikationsbeeinträchtigungen Tobias die Situation, „früh morgens vor – von und für Betroffene“ in Berlin. Das unserer eigentlichen Arbeit haben wir ‚von und für Betroffene‘ im Namen be- telefoniert, um abends nach Feierabend zeichnet eine der wesentlichen Beson- weiter daran arbeiten zu können.“ Meh- derheiten aller EUTB Stellen: Sie sollen rere Wochen habe diese intensive Pha- nicht nur unabhängig von bestimmten se gedauert. Institutionen, Berufsgruppen und ihren Interessen, sondern auch möglichst niederschwellig sein, und zwar dadurch dass selbst Betroffene andere Betroffe- ne beraten (sogenanntes Peer-Counse- ling). Im Fall der Berliner Beratung sind zwei 75%-Stellen für einen Zeitraum von 3 Jahren geschaffen worden, die Tobias Haase und ich selbst als Berater übernommen haben. Der Weg dahin war allerdings zu Be- ginn geprägt von großer Unsicherheit und Unklarheit. Nachdem der Vorstand des Landesverbands Ost Anfang 2017 den Beschluss gefasst hatte, einen För- derantrag zu stellen, übernahm Tobias Tobias und Filippo. die Aufgabe, zu klären, ob sich in Hin- sicht auf Stottern überhaupt ein Projekt entwerfen ließe, das die Kriterien für die neue EUTB-Förderung erfüllt. „Als im späten Frühjahr 2017 die neue Förder- Es folgte eine lange Wartezeit. Über mittelrichtlinie herauskam, war das für Annahme oder Ablehnung des Antrags alle Neuland. Selbst die offiziellen Bera- sollte spätestens im November 2017 terInnen für die Antragstellung konnten informiert werden – der Bescheid kam uns bei Fragen oft nicht weiterhelfen“, Mitte Januar 2018. Und schon Anfang FLAGGSCHIFF 19
Februar begann Tobias mit der Grün- LehrerInnen. Die vielen wertvollen Erst- dung der SPRECHRAUM Beratungs- beratungen und hilfreichen Informati- stelle, Anfang März bin ich selbst dazu- onen unserer Mutterorganisation, der gekommen. Bundesvereinigung Stottern & Selbst- hilfe, möchten wir zukünftig gerne er- Seitdem machen wir Pionier- und gänzen. Denn durch die EUTB-Mittel Basisarbeit. Sämtliche Grundlagen für ist es jetzt erstmals möglich, als selbst das Funktionieren einer Beratungsstelle Betroffene andere stotternde Menschen mit 2 hauptamtlichen Mitarbeitern müs- über längere Zeiträume beratend zu be- sen wir erst selbst schaffen. Das beginnt gleiten sowie sie in Einzelfällen sogar bei vielen Kleinigkeiten, wie z.B. der zu Hause, d.h. aufsuchend zu beraten. Notwendigkeit, eine Betriebsnummer Zuständig sind wir dabei nicht nur für beim Arbeitsamt und die Mitgliedschaft Berlin, sondern auch für Brandenburg, bei der Berufsgenossenschaft zu bean- Sachsen und Sachsen-Anhalt. tragen, eine Lösung für die Lohnbuch- haltung und einen Büroraum zu suchen. Erfolg wünschen wir dem Landes- Anfangs gab es weder eine Internetsei- verband Hessen, bei dem, während ich te oder einen Telefonanschluss noch diesen Text schreibe, die Entscheidung Briefpapier, Werbematerial oder einen über die Bewilligung der Gründung einer Stempel. Schritt für Schritt arbeiten wir zweiten EUTB-Stelle für die Selbsthilfe aktuell, stets mit bereitwilliger Hilfe vom stotternder Menschen noch aussteht. Vorstand des Landesverbands Ost, wei- Die Ergänzung der vielen, oft schon seit ter an der Neugründung, um Betroffene Jahren in der Selbsthilfe engagierten eh- dabei zu unterstützen, alle Möglichkei- renamtlichen MitstreiterInnen durch die ten zur gesellschaftlichen Teilhabe in Arbeit von hauptamtlichen BeraterInnen Schule, Studium, Beruf und privatem wird sicher dazu beitragen, dass man in Umfeld nutzen und auszuschöpfen zu Fällen wie den eingangs geschilderten können. Um dieses Ziel zu erreichen, zusätzliche Handlungsmöglichkeiten bieten wir im SPRECHRAUM konkrete gewinnt: durch Information und beglei- Hilfen an, etwa die Klärung von Fra- tende Unterstützung. Gegen alltägliche gen zu den Rechten von Menschen Benachteiligungen und Diskriminierun- mit Kommunikationsbeeinträchtigun- gen können wir uns dadurch besser gen; Unterstützung bei Anträgen und wehren – gemeinsam und solidarisch. Behördenkontakten; Informationen zu Kommunikationsbeeinträchtigungen, Filippo Smerilli Therapiemöglichkeiten und Selbsthilfe; Moderation bzw. Begleitung von Ge- sprächen, z.B. in Fällen wie den oben Mehr Informationen über uns findet ihr geschilderten mit Vorgesetzten oder unter: auch mit anderen Personen wie Ärz- www.sprechraum-beratung.de tInnen, KollegInnen, PartnerInnen oder 20 FLAGGSCHIFF
Unheilbar optimistisch am Welt MS Tag Berliner Landesverband zeigt auf der Messe „Miteinander Leben“ was geht So ausführlich haben sie den Welt ihren Job zu kündigen und ihr Geld fort- MS Tag in Berlin noch nie gefeiert: Drei an mit einem Blog zum Thema MS zu ganze Tage, vom 24. bis zum 25. Mai, verdienen. Doch ihren Frieden fand sie standen Mitglieder und Mitarbeiter des erst auf den 600 Kilometern, die sie im Berliner Landesverbandes der DMSG vergangenen Jahr auf dem Jakobsweg auf der Messe „Miteinander Leben“ den zurücklegte und zu einem handlichen, Besuchern, Neugierigen und Betroffe- gut lesbaren, humorvollen Buch verar- nen Rede und Antwort - ganz dem Mot- beitete, das seit Januar im Handel ist. to verpflichtet: „Unheilbar optimistisch“. Eine berührende Geschichte, in der sie Wo sonst das bunte, internationale Mo- buchstäblich die Hosen runterlässt (um devolk in der Station Berlin an der Lu- sie zu waschen) und sie am anderen ckenwalder Straße die neuesten Trends Morgen nicht wiederfindet. Eine miss- sucht, hatten mehr als 100 Selbsthilfe- liche Lage – bis sie von einer anderen Vereine, Verbände, Unternehmen und Pilgerin eine Ersatzhose geschenkt be- Privatleute Stände aufgebaut, die sich kommt, denn die hat zwei dabei. Man allesamt mit dem Thema Gesund- muss nehmen, was das Leben geben heit, Leben mit Behinderung und eben will - unheilbar optimistisch ist Mousa. Selbsthilfe befassten. Gut besucht waren am Freitag die „Wir wollen zeigen, dass man auch beiden getanzten Flashmobs für Men- mit unheilbarer Krankheit unheimlich schen mit und ohne Behinderungen, viel machen kann“, kündigte der neue die, wie im vergangenen Jahr, der aus- Öffentlichkeitsarbeitschef des Berliner tralische Ballettmeister Andrew Green- Landesverbandes, Joachim Radünz, am wood leitete. Im sonnig-heißen Innenhof Donnerstag zur Messe-Eröffnung an. Hof der Messehallen ließ er die begeis- Und den Beweis blieb die DMSG nicht terten Fans sich dehnen, strecken und schuldig: Die MS-kranke Bloggerin Sa- die Herzen im gemeinsamen Takt schla- mira Mousa las vor aus ihrem im Selbst- gen. Wer wollte, konnte am Sonnabend verlag herausgebrachten Buch „Und gleich in zwei Workshops lernen, wie morgen Santiago: Auf dem Jakobsweg man quasi aus jedem Ausgangszustand zu mehr Zuversicht und Glück. Mit Multi- „Into Dance“ gelangt – so heißt die Art pler Sklerose“. „Eine Premiere“, strahlte des Tanzens, die Greenwood selbst für die 28jährige am Donnerstagnachmittag Menschen mit MS und Parkinson entwi- vor dem neugierigen Publikum. Vor fünf ckelt hat. Jahren erhielt die Veranstaltungskauf- frau die Diagnose MS und war danach Über neueste Erkenntnisse aus der wie paralysiert – bis sie sich entschloss, MS-Forschung sprachen am Freitag- FLAGGSCHIFF 21
morgen Wissenschaftler aus der Chari- Wer einnehme, was angeboten werde té. Professor Dr. Lutz Harms etwa hat – auch von mitunter dubiosen Interne- sich in den vergangenen Jahren auf den tanbietern – laufe stets Gefahr, Neben- Darm spezialisiert – und wie die nahezu und Wechselwirkungen hervorzurufen. unüberschaubare Vielfalt der dort leben- Sicher sei nur, dass üblicherweise der den Organismen das Immunsystem be- Vitamin-D-Spiegel in hiesigen Breiten einflusst. Seine Kollegin Dr. Anja Mähler an neun Monaten im Jahr zu niedrig sei. befasst sich bereits seit acht Jahren mit Eine halbe Stunde Sonnenbad am Tag dem Thema Ernährung bei MS – und – keine Sonnenbank! – sei daher eine empfiehlt eine vorwiegend vegetarische gute Sache. Ernährung nach mediterranem Vorbild, günstiger Weise kombiniert mit dem so Am Freitagnachmittag fasste der genannten „intermittierendem Fasten“ DMSG-Vorstandsvorsitzende, Priv.- (nach dem innerhalb von acht Stunden Doz. Dr. Karl Baum, den Stand der Dinge gegessen werden darf, 16 Stunden lang zusammen: „Steigende Zahlen bei MS jedoch nicht). Denn das gebe dem Kör- – Eine Herausforderung für die Gesell- per Gelegenheit, sich der Reparatur be- schaft“, so der Titel. Erfreulicherweise schädigter Zellen zu widmen – und hel- sei die Zahl der Therapie-Möglichkeiten fe, Übergewicht zu vermeiden, das die in den vergangenen Jahren rasant ge- MS-Symptome erfahrungsgemäß ver- stiegen, doch jüngste Krankenkassen- schlimmert. Auch die Salzzufuhr gelte Studien zeigten auch, dass die Zahl der es im Blick zu behalten – 6 Gramm am von MS Betroffenen weitaus höher liege Tag seien angeraten. Doch nicht selten als bislang angenommen. So sei man nähme man bis zu einem Drittel mehr bislang in Berlin von 6.000 Erkrankten auf. Fitness ist ebenfalls ein entschei- ausgegangen – tatsächlich seien es je- dender Faktor: Mähler empfiehlt, auf doch eher 10.000, in Brandenburg noch Nikotin zu verzichten und leichten Sport einmal 6.000 Menschen. „Eine Verdop- - etwa drei Mal in der Woche eine Stun- pelung der Fallzahlen in nur 15 Jahren“, de walken. Und zwar am besten in der stellte Baum fest. Deutschlandweit sei Sonne, riet Professor Dr. Friedemann die Quote in Schleswig-Holstein jedoch Paul, der in seinem Vortrag auf „Nut- noch höher; weltweit finde sich die MS zen und Schaden von Nahrungsergän- überall dort, „wohin jemals Europäer zungsmitteln“ bei MS einging. Von all ausgewandert sind“. Man müsse da- den Mitteln und Mittelchen, die derzeit mit rechnen, dass die Fallzahlen weiter als hilfreich beworben werden von einer steigen würden, auch, wenn „MS keine eifrig nach Gewinn strebenden Industrie Erbkrankheit“ sei. Die zunehmende Er- hält er wenig: „Es gibt keinen Beleg für krankungs- und Behinderungsrate wer- ihre Wirksamkeit“, fasst er zusammen. de die jeweiligen Gesundheitssysteme Derzeit liefen noch einige Studien zu Vi- merklich belasten, stellte der Spezialist, tamin D und Biotin, doch vor Ende 2019 Leiter des MS-Schwerpunktzentrums in sei mit keinen Ergebnissen zu rechnen. Hennigsdorf, fest. Daher sei es nötiger 22 FLAGGSCHIFF
denn je, frühzeitig eine Therapie zu be- lenden Begleitung durch Ehrenamtliche, ginnen, um Behinderungen so lange wie wie sie an den drei Messetagen so zahl- möglich herauszuschieben. reich vor Ort waren – gut kenntlich an schwarzen T-Shirts mir orangefarbener Genau deshalb, betonte die Ge- Aufschrift. Übrigens allesamt unheilbar schäftsführerin des DMSG-Landesver- optimistisch. bandes Berlin Karin May, sei es so wich- tig, die Öffentlichkeit so gründlich wie Stefanie Schuster möglich zu informieren, die Betroffenen aufzufangen mit professioneller Hilfe. Wichtig sei aber vor allem die mitfüh- Selbsthilfeangebote von InterAktiv e.V. für Menschen mit Migrationshintergrund/Flucht- geschichte & ihre Angehörigen gruppen, mehrsprachige oder simultan übersetzte Informationsveranstaltungen rund um die Themen Gesundheit und Teilhabe, Beratungsangebote, die sich an dem Grundsatz Hilfe zur Selbsthilfe orientieren, Geschwisterangebote so- wie die IMKL Veranstaltungsreihe für Familien „Entspannungstechniken aus Der InterAktiv e.V. wurde als Lan- aller Welt – für Alle“. desselbsthilfeorganisation für Men- schen mit Behinderung und mit Migra- Eine Auswahl von Terminen ist auf tionshintergrund/Fluchtgeschichte und der Terminseite in diesem Heft und auf ihre Angehörigen ins Leben gerufen. unserer Homepage zu finden. Seit seinem nunmehr siebenjährigen Bestehen hat der Verein die Gruppen- Weitere Informationen über Projekte angebote immer weiter ausgebaut und und Angebote von InterAktiv e.V.: Selbsthilfeformate entwickelt, die sich www.interaktiv-berlin.de an den kulturellen, sprachlichen und re- ligiösen Kontexten und der besonderen Text: Yasmina Ouakidi Lebenssituation von Migrant*innen oder Foto: Viviane Wild geflüchteten Menschen mit Behinde- rung und ihren Angehörigen orientieren. Dazu gehören begleitete Selbsthilfe- FLAGGSCHIFF 23
Leichte Sprache ist erlernbar Infoveranstaltung der Landesvereinigung Selbsthilfe e.V. zur sprachlichen Barrie- refreiheit Sprache ist in unserem Leben allge- Die Zielgruppe für die leicht verständ- genwärtig, die meisten Menschen be- liche Sprache ist größer als gemeinhin nutzen Sprache jeden Tag ganz selbst- angenommen. Nicht nur Menschen mit verständlich. Das Lesen und Verstehen Lernschwierigkeiten sind von „norma- von vielen Texten im Alltag gehört dazu, len“ Texten überfordert, es betrifft auch dieser miteingeschlossen. Doch für funktionale Analphabeten, Menschen manche Menschen ist diese Normali- mit Migrationshintergrund, ältere Men- tät schlicht unüberwindbar. Menschen schen mit Demenzerkrankungen, mit mit Lernschwierigkeiten oder geistigen Hörbehinderungen und Aphasie. Auch Beeinträchtigungen scheitern an der sozial ausgegrenzte Personen können Hürde von schwierigen Texten und dies dazu gezählt werden. Es gibt allein 13 schließt sie von der Teilhabe an vie- Millionen Menschen hierzulande, die len Bereichen des gesellschaftlichen Schwierigkeiten mit Lesen und Schrei- Lebens aus. Leichte Sprache bringt ben haben. hier Abhilfe und baut Brücken über scheinbar unüberwindbare Verständnis- Ursprung aus der Selbsthilfebe- schwierigkeiten. wegung Für die Landesvereinigung Selbst- In der Reihe „Selbsthilfe wird inklu- hilfe, die als Dachverband viele Selbst- siv“ hat die Landesvereinigung Selbst- hilfe-Verbände und -Vereine unter sich hilfe e. V. eine weitere Informationsver- weiß, passt das Konzept der Leichten anstaltung durchgeführt und diesmal Sprache ganz ursächlich. Die Leichte das Thema „Leichte Sprache“ in den Sprache ist in den 60er Jahren aus ei- Mittelpunkt gestellt. In den Räumen des ner Selbsthilfe-Bewegung in den USA Sozialverband Deutschland e. V. waren entstanden. Dort wurde die Bewegung am 5. April 2018 einige Interessierte aus im Einsatz für Selbstbestimmung und den Mitgliedsverbänden zusammen- Chancengleichheit von Menschen mit gekommen, um zwei Expertinnen zum Behinderung gegründet. Seit Ende der Thema zu hören: Nadine Rüstow und 60er ist die leichte Sprache in Finnland Anne Buder vom Büro Leichte Sprache und Schweden eingeführt worden, seit bei der AWO boten viele spannende In- den 90ern gibt es das Konzept auch in formationen rund um das Thema Leich- Deutschland. Die Inklusionsbewegung te Sprache sowie eine kleine Praxis- in Deutschland hat danach erste Richt- schulung. linien für leichte Lesbarkeit eingeführt. 24 FLAGGSCHIFF
Die gesetzlichen Grundlagen für die sind leicht geschriebene Texte immer gleichberechtigte Behandlung von Be- als ein Zusatzangebot zu sehen, das die hinderten wurden im Juli 2016 mit dem Ursprungstexte nicht ersetzt. Außerdem Behindertengleichstellungsgesetz über- ist sie nicht justiziabel, also rechtsgülti- arbeitet. Die sprachliche Barrierefreiheit ges Deutsch. (§ 11 BGG) tritt seit 1.1.2018 in Kraft. Auf Verlangen müssen ab diesem Jahr Beispiele auf der Wortebene: amtliche Schreiben auch in einfacher Die Wörter sollen möglichst einfach, Sprache ausgehändigt werden. Das ist bekannt und kurz sein. Bindestriche an ein zukunftsweisender Ansatz, denn vielen Stellen helfen das Wort zu er- bislang begegnet einem dieses Konzept kennen. Schwere Wörter sollten erklärt in der Praxis nicht wirklich oft in der Be- werden. hördenlandschaft 1) Allein das Wort Schulplaner in einem . Schulbrief kann für viele Menschen Definition der Leichten Sprache schon Probleme verursachen. Daraus Was genau ist nun Leichte Sprache? wird dann: Leichte Sprache ist ein innovatives Das ist ein Buch. Darin stehen Informati- Sprachkonzept der maximalen Verein- onen von der Schule für die Eltern. fachung. Oberstes Prinzip ist immer die 2) Aus dem Wort berufliche Rehabilita- Verständlichkeit, weswegen auch die tion wird: optische Darstellung und entsprechen- Herr Meier hatte einen schweren Unfall. de Bilder förderlich sind. Leichte Spra- Jetzt lernt er einen anderen Beruf. che ermöglicht gesellschaftliche Teilha- be. Beispiele auf der Satzebene: Auf der Satzebene sind die Regeln: Die wichtigsten Grundprinzipien: Kurze Sätze, jeder Satz hat nur eine • Systematische Reduzierung von Aussage und möglichst keine Nebensät- Satzbau und Wortschatz ze. Das Wichtigste kommt zuerst. Alles • Ausgeprägte Erklärungskultur ist Missverständliche sollte raus und alles notwendig möglichst eindeutig formuliert werden. • Leichte Sprache ist nicht unbedingt Aber trotzdem sollten alle Inhalte enthal- „schön“, aber auch kein falsches ten sein und mit übersetzt werden. Deutsch Aus „Heute ist die Wahl des Heim- • Keine Metaphern verwenden, son- Beirats durch die Wählerschaft“ wird dern konkret bleiben dann: „Sie wählen heute den Beirat. Der • Genetiv vermeiden und eine positive Beirat vertritt sie und spricht für sie.“ Sprache Das Regelwerk umfasst noch eini- Leichte Sprache ist zwar stark redu- ge andere Regeln, auch zu Zahlen und ziert, aber keine „Kinder-Sprache“, denn Zeitangaben. Auch die Darstellung des sie richtet sich an Erwachsene. Auch geschriebenen Textes sollte leicht ver- FLAGGSCHIFF 25
ständlich sein. Die Layout-Regeln für die Bereitschaft zur Umsetzung der Leichte Sprache beinhalten u.a. viele Leichten Sprache entscheidend. Auch Absätze machen, ausreichender Zei- die Leichte Sprache muss geübt wer- chenabstand, größeres Schriftbild und den. Die Haltung zugunsten mehr Ver- jeder Satz in einer neuen Zeile. ständlichkeit in der Kommunikation und für das Einbeziehen von Menschen mit Um die theoretischen Vorgaben Sprachschwierigkeiten geht dabei Hand auch ganz praktisch umzusetzen, ha- in Hand. ben die Teilnehmer vor Ort dann münd- liche und schriftliche Übungen mitei- Die deutsche Sprache ist eine schö- nander durchgeführt. Unter anderem ne Sprache, aber voll schwieriger Kon- ging es darum, Beispielsätze aus einem struktionen. Mit Hilfe der Leichten Spra- Schul-Elternbrief in leichte Sprache zu che wird sie verständlicher gemacht. Es übersetzen. Eine schöne Übung, die bleibt zu hoffen, dass durch die Einfüh- gezeigt hat, dass es immer leichter zu rung viel mehr beeinträchtige Menschen formulieren geht. einen Zugang zur deutschen Sprache bekommen – um zu verstehen und um Auch das Leicht sprechen wurde mitreden zu können. miteinander geübt, in einer Simulation eines Beratungsgespräches. Weitere Informationen: Landesvereinigung Selbsthilfe e.V.: FAZIT www.lv-selbsthilfe-berlin.de Durch die Veranstaltung ist den Teil- nehmern einiges klargeworden. Neben Büro Leichte Sprache / AWO: der Erlernung der Regeln ist vor allem www.awo-nemus.de Kontakt: leichtesprache@awo-nemus.de Sabine Schreiber LV Selbsthilfe e.V., April 2018 Nach dem Seminar wird ausgewertet: Evelyne Hohmann, Nadine Rüstow, Anne Buder und Gerlinde Bendzuck 26 FLAGGSCHIFF
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