AUFKLÄRUNG IN DER POSTFAKTO-KALYPSE - Bernd Harder

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Initiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V.

    Bernd Harder
    AUFKLÄRUNG IN DER                                         POSTFAKTO-KALYPSE
    Wie man Verschwörungstheorien und „gefühltes Wissen“ entlarvt

    Eigentlich scheint die Sache ganz einfach zu sein: „An einer Verschwörungstheorie ist so lange
    nichts auszusetzen, so lange sie als solche gekennzeichnet und der Überprüfung und möglichen
    Widerlegung zugänglich gemacht wird“, sagt der Religionswissenschaftler Michael Blume 1.
    Allerdings gibt es keinen Verschwörungstheoretiker, der sein Gedankenkonstrukt selbst als
    Verschwörungstheorie bezeichnen würde.

    Auch andere Skeptiker meinen2, einem Verschwörungstheoretiker mit den Werkzeugen der
    Wissenschaftstheorie begegnen zu können und fordern von ihm, zu zeigen, „wie seine Theorie sich
    in die Realität einfügt“, des Weiteren „Zahlen und Fakten, Reliabilität, Validität und Objektivität“
    sowie einen Falsifikationsvorbehalt: „Eine Theorie muss widerlegbar sein, sonst ist sie nur noch
    eine Geschichte ohne jeglichen Wahrheitsanspruch.“ Das ist integer gedacht – geht aber
    weitgehend an der Realität vorbei. Denn eine Verschwörungstheorie genügt weder strukturell dem
    Anspruch, der an eine wissenschaftliche Theorie gestellt wird, noch ist sie falsifizierbar, denn
    Verschwörungstheoretiker lassen nur konforme „Erkenntnisse“ zu und werten jeden Widerspruch
    als Bestätigung der aktiven Gegenwehr der Verschwörer.

    Keine klassische Theorieprüfung möglich
    Dass Techniken wie Falsifizierbarkeit keine zuverlässigen Methoden sind, um kritisch-vernünftiges
    Denken von abstrusem Verschwörungsglauben zu differenzieren, vertreten auch die Psychologen
    Marius Raab und Claus-Christian Carbon und die Wahrnehmungsforscherin Claudia Muth von der
    Universität Bamberg. Gleich drei gängige Forschungsprinzipien werden von ihnen verworfen 3:

     Ockhams Rasiermesser, auch Sparsamkeitsprinzip genannt, welches besagt, dass von mehreren
    möglichen Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt die einfachste Theorie allen anderen
    vorzuziehen sei:

    „Sobald Menschen an einem Vorgang beteiligt sind, ist die einfachste Erklärung oft nicht die beste.
    Das sehen wir an vielen Entscheidungsprozessen in Kommunalparlamenten. Die Formel einfach =
    gut ist also zu einfach.“

     Die Falsifizierungsmöglichkeit:

     „Widerlegen kann man nur Allaussagen. Zum Beispiel: Alle Schwäne sind weiß. Wir können diese
    Behauptung niemals beweisen, denn dazu müssten wir alle Schwäne in allen Zeiten anschauen,
    also auch in Vergangenheit und Zukunft. Wir können die Behauptung aber widerlegen, wenn wir
    einen nichtweißen Schwan finden. Bei Existenzaussagen, also bei Es-gibt-Aussagen, ist es
    umgekehrt. Die können wir niemals widerlegen (denn dazu müssten wir alle existierenden Dinge
    überhaupt anschauen). Wir können sie aber beweisen, indem wir ein einziges der behaupteten
    Dinge finden […] Die Behauptung, dass die US-Regierung selbst 9/11 geplant hat, ist eine
    Existenzbehauptung. Sie besagt, dass es eine Verschwörung gibt. Sie ist damit unwiderlegbar, das
    macht sie aber natürlich nicht automatisch zu einer wahren Theorie. Alles, was man tun kann, ist,
    die Theorie auf Widersprüche, logische Sprünge und die Wahrscheinlichkeit der zugrundeliegenden
    Vorannahmen zu prüfen oder Belege zu finden, die dafürsprechen oder dagegen. Eine empirische
    Widerlegung im strengen Sinn der Wissenschaft ist aber unmöglich, wenigstens bezogen auf die

1
 Blume, Michael: Angstgetrieben – Warum Verschwörungstheorien heute so populär sind. In: Herder-Korrespondenz 7/2016
2
  https://perspektiefe.privatsprache.de/tag/david-hume/
3
  Raab, Marius/Carbon, Claus-Christian/Muth, Claudia: Am Anfang war die Verschwörungstheorien. Springer, Heidelberg 2017
                  ã Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., München
                                           c/o Udo Schuster, Plieningenweg 18, 84036 Landshut
                                                  (V.i.S.d.P. Willi Röder 1. Vorsitzender)
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       Grundaussage viele Verschwörungstheorien. Maximal einzelne Fragmente können widerlegt
       werden, die Details einzelner Begebenheiten.“

        Das Immer-wieder-die-alte-Leier-Prinzip, das von den amerikanischen Politologen Joseph E.
       Uscinski and Joseph M. Parent in ihrem Buch „American Conspiracy Theories“ (2014) vertreten
       wird und darauf basiert, dass Verschwörungstheoretiker die immer gleichen Pseudoerklärungen für
       historische Großereignisse wie Französische Revolution, Zweiter Weltkrieg etc. parat haben: Juden,
       Illuminaten, Freimaurer.

       „Nicht jedes wiederkehrende Thema verweist auf eine unglaubwürdige Erklärung. Ohne kritische
       Journalisten und Whistleblower wie Edward Snowden wären viele Skandale im Verborgenen
       geblieben […] Die Entscheidung auf Grundlage von Ockhams Rasiermesser, der
       Falsifizierungsmöglichkeit und dem Immer- wieder-die-alte-Leier-Prinzip kann dazu führen, dass
       wir bei wichtigen Geschehnissen zu schnell bei der Hand sind mit der Kategorisierung als
       ungerechtfertigte Verschwörungstheorie und im schlimmsten Fall tatsächliche Verschwörungen
       fälschlicherweise abtun.“

       Raab/Carbon/Muth plädieren stattdessen für eine fallweise Betrachtung und stellen in Form einer
       fünfstufigen „Faustregel zur Einzelfallanalyse“ eine Methode zur Diskussion, die als Rüstzeug
       dienen könne, um die vermittelten Werte und die präsentierten Informationen einer
       Verschwörungstheorie kritisch einzuordnen: „Prüfen Sie Verschwörungstheorien auf
       Vorbedingungen, Relevanz, Folgen und Widersprüche, schätzen Sie Wahrscheinlichkeiten und
       suchen Sie nach Hinweisen für und gegen die Annahme.“

       Gibt es eine Krebs-Verschwörung der Pharmaindustrie?
       Wenden wir die vorgeschlagene Einzelfallanalyse exemplarisch auf die weit verbreitete
       Verschwörungstheorie an, es gebe schon längst ein Heilmittel gegen Krebs 4.

       1. Der erste Schritt: Bringen Sie die Theorie auf einen zentralen Satz (oder mehrere zentrale
       Sätze).
       Die Pharmaindustrie hält seit Jahren absichtlich ein günstiges und wirksames Krebsmedikament
       zurück, um mehr Geld mit anderen Therapien zu verdienen, die nur die Symptome behandeln.

       2. Prüfen Sie die Relevanz: Was würde es bedeuten, wenn die Theorie wahr wäre, aber
       unerkannt bliebe? Und was, wenn die Theorie falsch ist, aber weiterhin geglaubt wird? (Es
       geht darum, herauszufinden, ob die Behauptung einen persönlichen oder gesellschaftlichen
       Stellenwert hat und eine weitere Beschäftigung damit sich überhaupt lohnt.)
       a) 2017 sind in der EU schätzungsweise mehr als 1,3 Millionen Menschen an Krebs gestorben, in
       Deutschland zirka 224 000 Frauen und Männer. Die Pharmaindustrie nähme also bewusst ein
       Massensterben von heilbar erkrankten Menschen in Kauf, verbunden mit dem Leid der
       Angehörigen sowie dem immensen volkswirtschaftlichen Schaden durch eine kostspielige, aber
       von vorneherein wirkungslose Behandlung.

       b) Der Glaube an eine „Big Pharma“-Verschwörung unterminiert das Vertrauen in die
       evidenzbasierte Medizin und in wirksame Medikamente, die Leiden lindern und Leben retten.
       Patienten unterlassen aussichtsreiche Therapien und wenden sich „alternativen
       Behandlungsmethoden“ zu, hinter denen sich Pseudomedizin und gefährliche Scharlatanerie
       verbirgt. Pharmaskepsis ist zudem die entscheidende Triebfeder der Impfgegner-Bewegung, deren
       Aktivitäten zum Beispiel die Ausrottung von impfpräventablen Krankheiten wie Masern
       verhindern und immer wieder zu Krankheitsausbrüchen führen.

4
    https://blog.gwup.net/2015/07/08/zehn-grunde-warum-es-keine-krebs-verschworung-gibt/
                    ã Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., München
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   3. Welche Vorannahmen sind notwendig, damit die behauptete Kernannahme wahr sein
   kann?

   An der Krebsforschung müssten ausschließlich profitorientierte Unternehmen beteiligt sein.
   Pharmaforscher müssten einzig und allein monetär getrieben und ihnen selbst sowie ihren
   Firmenchefs müsste egal sein, dass auch sie an Krebs erkranken können. Es müsste einen
   eindeutigen Profiteur der Verschwörung und keinen Gegenspieler geben. Alle pharmazeutisch
   tätigen Unternehmen müssten sich zu einer kongruenten „Pharmamafia“ zusammenschließen,
   dabei auf hohe Profite verzichten und zahllose interne Mitwisser ruhigstellen.

   4. Prüfen Sie die Vorannahmen auf Widerspruchsfreiheit.
   Auch Universitäten, medizinische Fachgesellschaften und gemeinnützige Organisationen
   beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Krebs. Therapiemeilensteine und Durchbrüche in der
   Forschung kommen gerade von solchen Initiativen. Und niemand kann und wird sie dabei
   aufhalten oder einschränken. Jüngstes Beispiel ist die – wenn auch äußerst umstrittene –
   Methadon-Forschung einer Chemikerin am Institut für Rechtsmedizin der Universität Ulm.

   Ein offenkundiges Manko der Pharmaverschwörung besteht in der unrealistischen Annahme, dass
   Medizinwissenschaftler den Profit ihrer Firma und der Aktionäre über ihr eigenes Leben zu stellen
   bereit sind. Dies würde voraussetzen, dass es sich bei Wissenschaftlern und Forschern ausnahmslos
   um misanthropische Drohnen ohne jedes Eigeninteresse handelt. Außerdem: Mit jedem Jahr wird
   die Liste von reichen, mächtigen und einflussreichen Personen, die an Krebs gestorben sind, länger.
   Wie realistisch ist da die Vorstellung, dass wirksame Krebsheilmittel unterdrückt werden? Es ist
   zumindest wenig vernünftig, zu glauben, dass diese persönlich Betroffenen nicht ihr ganzes
   Vermögen hergegeben hätten, um länger zu leben.

   Forscher wetteifern nicht ausschließlich um Gehälter und Prämien. Ein Wissenschaftler, der ein
   Heilmittel gegen Krebs entdeckt, wäre weltberühmt, würde in die Annalen der Medizin eingehen
   und in den Lehrbüchern verewigt werden. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Forscher darauf
   verzichten würde, um stattdessen Teil einer finsteren, geheimen Verschwörung zu sein.

   Die Krebsverschwörung geht häufig von der Annahme einer geheimen Absprache zwischen
   kommerziellen Pharmaunternehmen und ihren Regierungen aus. Allerdings gibt es auch Länder mit
   einem staatlichen Gesundheitswesen, die durch eine solche Verschwörung viel Geld verlieren
   würden, weil sie die Behandlungskosten krebskranker Menschen tragen müssen. Es erscheint
   plausibler, dass solche Staaten ganz im Gegenteil ein Krebsmedikament sofort einsetzen würden,
   um die freiwerdenden Mittel anderweitig zu investieren.

   Und dann gibt es auch noch Krankenkassen und Versicherungen. Warum sollten diese großen
   Player auf dem Gesundheitsmarkt ein Heilmittel gegen Krebs unterdrücken?
   Versicherungskonzerne würden kaum seelenruhig zusehen, wie die Pharmabranche auf ihre Kosten
   viel Geld mit teuren Krebsbehandlungen verdient, wenn es schon längst ein kostengünstiges
   Heilmittel gäbe. Dass Krankenkassen und Versicherungen nichts davon erfahren würden, ist
   Nonsens – schließlich sieht sich jeder Hobby-Konspirologe mit einem Internetanschluss dazu in
   der Lage.

   Warum sollte ein Pharmaunternehmen auf Milliardengewinne verzichten? Ein Krebsheilmittel wäre
   ein Mega-Blockbuster unter den Medikamenten. Und das gilt auch für nicht patentierbare
   Wirkstoffe, denn auch mit Generika und sogar mit OTC-Produkten kann man sehr viel Geld
   verdienen. Außerdem ist es leicht, auch Naturstoffe patentieren zu lassen. Dafür ist nicht mehr
   erforderlich, als eine geringfügige Modifikation, welche die Funktionalität nicht stört, aber den
   Patentschutz sichert. Und warum sollte ein Pharmaunternehmen überhaupt etwas zurückhalten?
   Warum hat die Pharmaindustrie nicht Antibiotika und Impfstoffe unterdrückt? Aus welchem Grund
   gibt es Tuberkulose-Medikamente, obwohl man an der Krankheit selbst – also der reinen
   Symptomlinderung – viel mehr Geld verdienen könnte? Warum also ausgerechnet eine Krebs-
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   Verschwörung? Nach welchen Kriterien legt die Pharmaindustrie fest, welche Arzneimittel gegen
   welche Erkrankungen sie unterdrückt und welche nicht?

   Das Hauptargument der Verschwörungstheoretiker zielt darauf ab, dass die Pharmaindustrie ein
   Krebsheilmittel unterdrückt, um die Gewinne nicht zu gefährden, die sie mit den derzeitigen
   Krebstherapien erzielt. Aber warum sollte sie das tun? Wer von Krebs geheilt wird, lebt länger und
   bekommt mit recht hoher Wahrscheinlichkeit weitere Krankheiten, an denen Big Pharma prächtig
   verdienen kann – Alzheimer, Diabetes, eine andere Krebsart. Den Tod von Krebspatienten billigend
   in Kauf zu nehmen, wäre also keine sehr kluge Strategie.

   Darüber hinaus gibt es nicht die Pharmaindustrie, sondern zahllose Pharmafirmen, die in einem
   harten Wettbewerb miteinander stehen. Mit einem Krebsheilmittel könnte ein Pharmaunternehmen
   alle Konkurrenten aus dem Feld schlagen. Es bräuchte dafür nur den Preis für das neue
   Medikament knapp unterhalb des Kostenniveaus der Standardtherapie anzusetzen, um tonnenweise
   Geld zu machen. Und auch dann, wenn ein Pharmaunternehmen selbst kein Krebsheilmittel in
   Petto hat, aber davon Wind bekommt, dass ein Mitbewerber eine solche Neuentwicklung
   verheimlicht: Keine profitorientierte Firma mit einer cleveren PR-Abteilung würde zögern, diesen
   Konkurrenten bei den Medien und in der Öffentlichkeit anzuschwärzen, um sich selbst als
   Aufklärer und Fortschrittsmotor zu profilieren.

   Die Entwicklungskosten für ein neues Krebsmedikament liegen bei 500 bis 600 Millionen Euro.
   Warum sollte eine Firma ein Krebsheilmittel zur Marktreife bringen und es dann im Panzerschrank
   verschwinden lassen? Mehr noch: Alle Mitarbeiter, externen Studienlabore, Probanden – viele
   Tausend Menschen – müssten bestochen oder sonst irgendwie wie zum Schweigen gebracht
   werden. Dafür wäre ein Riesenapparat notwendig, der die Mittel und Möglichkeiten auch der
   größten Verschwörerbande bei weitem übersteigt. Der kanadische Mathematiker David Robert
   Grimes, der in der Krebsforschung der Universität Oxford arbeitet, hat (ausgehend von der
   Grundannahme, dass mehr als 700 000 Menschen bei den acht größten Pharmaunternehmen
   beschäftigt sind), mit einem rudimentären Modell sehr vage geschätzt, dass es aller
   Wahrscheinlichkeit nach höchstens drei Jahre und drei Monate dauern dürfte, bis ein Mitarbeiter
   auspackt.

   5. Wie wahrscheinlich ist es, dass die einzelnen Vorannahmen zutreffen?
   Sehr wenig wahrscheinlich.

   Und damit kann man guten Gewissens die Verschwörungstheorie vom unterdrückten Heilmittel
   gegen Krebs als in sich widersprüchliche und zudem sehr unwahrscheinliche Behauptung abhaken.
   Sollte dieses Faustregelverfahren zu der Einschätzung führen, dass eine Verschwörungstheorie
   relevant und zutreffend sein kann, dann sollte man sich auf Detailebene damit auseinandersetzen,
   schlagen Raab/Carbon/Muth vor.

   Allerdings berichteten 2017 die Medien von einer echten „Pharma-Verschwörung“ (tag24 am 26.
   Oktober). Ein Bottroper Apotheker hatte mehr als 60 000 Krebsrezepturen gepanscht und an den
   weit unterdosierten Medikamenten Millionen Euro verdient. Mehreren Tausend Patienten nahm er
   damit die Möglichkeit, das Fortschreiten ihrer Krebserkrankung aufzuhalten oder zumindest zu
   verlangsamen. Ein Whistleblower, der in dieser Apotheke als kaufmännischer Leiter arbeitete und
   seinen Chef im September 2016 anzeigte, gilt in der Pharma-Brache als Verräter und findet dort
   keinen adäquaten Job mehr. Gegen das Enthüllungsbuch „Die Krebsmafia. Kriminelle
   Milliardengeschäfte und das skrupellose Spiel mit dem Leben von Patienten“ zweier Journalisten
   wurde im Januar 2018 ein Verkaufsstopp verhängt. Schon davor hatten aber verschiedene
   Publikationen wie der Stern über „krumme Deals, Korruption und Bestechung in der
   Krebsbranche“ berichtet.

   Es ist nicht zuletzt dieser wahre Kern, der es Verschwörungstheorien leichtmacht, sich in den
   Köpfen festzusetzen. Machenschaften wie der Zytostatika-Skandal offenbaren aber auch das
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       Paradoxon des Themas: Echte Verschwörungen sind ein angemessener Grund, nicht alle
       Verschwörungstheorien pauschal zurückzuweisen. Echte Verschwörungen zeigen aber auch, dass
       Verschwörungstheorien die Welt zumeist nicht korrekt abbilden. „In der realen Welt sind die
       Verschwörungen eher klein und begrenzt, etwa um ein Verbrechen zu vertuschen oder eine
       Versicherung zu betrügen“, sagt der US-Psychologe Rob Brotherton 5. „In der Welt der
       Verschwörungstheorien hingegen gibt es diese großen, ausgeklügelten Plots, um globale Ereignisse
       anzustoßen oder uns alle zu versklaven. Diese großen Pläne werden nahezu perfekt ausgeführt,
       aber sie hinterlassen trotzdem gerade genug Spuren, dass Verschwörungstheoretiker ihnen auf die
       Schliche kommen können.“

       Die Prioritäten einer Verschwörungstheorie
       Neben der vorgestellten Faustregel zur Einzelfallanalyse kann man daher auch auf charakteristische
       Merkmale achten, um eingebildete Verschwörungstheorien von solchen, denen tatsächlich eine
       Verschwörung zugrunde liegen könnte, zu unterscheiden. Der amerikanische Historiker Daniel
       Pipes6 rät dazu, insbesondere die Eigenarten ihrer Manier der Beweisführung zu betrachten, um
       konspiratistische Überzeugen zu durchschauen:

        die Obskurität: Von der Voraussetzung ausgehend, dass der äußere Anschein trügt, lehnen
       Verschwörungstheoretiker das gewöhnliche Wissen ab und suchen exotische und wenig bekannte
       Varianten. Eine Vorliebe für das Unwahrscheinliche und das Okkulte verleiht ihren Daten eine
       typische und erkennbare Qualität.

       Beispiel: Die Entschärfung tonnenschwerer Fliegerbomben mit Rekord-Evakuierungen – etwa in
       Augsburg 2016 und Frankfurt 2017 – veranlasste Verschwörungstheoretiker dazu, in einschlägigen
       Online-Foren darüber zu sinnieren, dass der ganze Aufwand nur dazu diene, um heimlich
       „Orgonite“ (meist pyramidenförmige Deko-Produkte aus Harzen und Kristallen, die „negative
       Energien“ von „Chemtrails“, „Elektrosmog“ etc. neutralisieren sollen) zu beseitigen:

       In Zeiten, in denen immer mehr Menschen Orgonite an Mobilfunkmasten vergraben, tauchen auf
       einmal bundesweit angebliche Fliegerbomben auf. Dafür war ja von 1945 bis zum heutigen Tag
       keine Zeit. Als ob man die nicht schon vorher entdeckt hätte. Häusersiedlungen, sogar
       Krankenhäuser werden komplett evakuiert, Hubschrauber kreisen im Umkreis umher (es existiert
       ein Militärradar, mit dem man die Orgonenergie sichtbar machen kann), es dauerte einen ganzen
       Tag, um die vermeintliche Fliegerbombe im Frankfurter Westend „unschädlich zu machen“.
       Wie lange soll das jetzt bitte so weitergehen? Wollt ihr jetzt alle Gebiete, in denen Orgonite
       vergraben wurden, mit „Fliegerbomben“ bestücken oder wie? Seid bitte nicht so naiv, ihr
       geisteskranken Logenbrüder, Geheimdienstler und Co., als ob diese Gebiete mit der Zeit nicht
       wieder beschenkt werden würden. Aber genial durchdacht, muss ich schon zugeben. So bedanken
       sich die verstrahlten, vergifteten Menschen auch noch brav bei euch, anstatt das Ganze kritisch zu
       hinterfragen. Wobei man mit Anwohnern, die sich weigern, ihre Wohnungen zu verlassen, nicht
       gerade zimperlich umgeht und mit Strafen gedroht hat. Es ist wahrlich beachtlich, welch Aufwand
       betrieben wird, um die Lebensenergie zu bekämpfen.

        die Abneigung, das vorgebliche Wissen preiszugeben: Dieses zeigt sich gewöhnlich in Form
       von passiven Verben und vagen Pronomen („sie“).

       Beispiele finden sich in Facebook-Gruppen wie „Globale Vergiftung durch Chemtrails & HAARP“
       täglich, etwa

       Die gesamte Erde ist viel länger in den Händen der Kabale, als uns vorzustellen unser Mut
       gestattet.
5
    www.heise.de/newsticker/meldung/Wir-alle-sind-potenzielle-Verschwoerungstheoretiker-3924883.html
6
    Daniel Pipes: Verschwörung – Macht und Faszination des Geheimen. Gerling Akademie Verlag, München 1998
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   Mich packt so die Wut grade. Herrgott, die vergiften uns und entziehen uns die Sonne, machen alle
   krank.

   Sie beginnen meistens abends - sprühen dann die Nacht durch und über der bereits geschlossenen
   Wolkendecke geht‘s den ganzen Tag weiter.

   Die Regierungen der Welt und die königliche Elite sind nicht hier, um sich um Sie zu kümmern. Sie
   sind hier, um dich zu töten, Sie versuchen nicht unbewusst, dich zu töten. Sie versuchen absichtlich,
   dich zu töten.

   Sie vergiften unser Essen, Trinken und sogar die Luft, was ja schon krass genug ist. Sie werden
   alles dafür tun, so weiterzumachen und ihr System aufrechtzuerhalten. Die nehmen uns ja
   regelrecht auseinander.

    das Stützen auf Fälschungen: Fälschungen als Beweismittel spielen hier eine überdimensionale
   Rolle. Das bedeutendste Fälschungsdokument waren die sogenannten „Protokolle der Weisen von
   Zion“.

    die Widersprüchlichkeiten: Verschwörungstheoretiker bringen mit leichten Abwandlungen und
   aufschlussreichen Widersprüchen immer die gleichen Kernthesen in Umlauf. Zu den
   aufschlussreichen Widersprüchen zum Beispiel der Chemtrail-Gläubigen zählen:

   Wie schützen sich eigentlich „die“ (wer immer das auch sein mag) und ihre Familien vor den
   todbringenden Auswirkungen der angeblichen globalen Vergiftung? Dazu kursiert eine Vielzahl
   von konträren Erklärungen, etwa:

   Die 1%, also die absolute Elite, denken, sie seien Gott höchstpersönlich. Also die machen sich
   deswegen überhaupt keine Sorgen.

   Soweit ich mitbekommen habe, denken die, es sei zwingend notwendig.

   Psychopathen sind nicht imstande, die Folgen ihrer Handlungen abzuschätzen, nicht einmal für ihr
   eigenes Leben.

   Weil die gesagt bekommen, dass es nicht giftig ist.

   Die Piloten dürften zum erheblichen Teil Militärangehörige sein und werden für ihren
   lebensverachtenden Auftrag sicher gut entlohnt.

   Ich kann mir vorstellen, dass dieser Personenkreis eine Art Schutzimpfung hat und/oder Luftfilter.

   Unter anderem mit der Apherese (eine moderne Blutwäsche). Kostenpunkt über 2000 Euro pro
   Anwendung. Meistens werden zwei durchgeführt und dann wird geschaut, ob noch weitere nötig
   sind. Bis zu sechs sind möglich.

   Angeblich soll reiner Tabak dagegen helfen.

   – Wie verträgt sich der Glaube an Chemtrails zur Klimamanipulation mit dem Glauben an die
   „Klima-Lüge“? In Communitys wie Globale Vergiftung durch Chemtrails & HAARP wird unter
   stets großer Zustimmung die Erderwärmung geleugnet („Die ganze Klimalüge wurde erdacht, um
   das Volk auszurauben und zu versklaven“) – und zugleich beklagt, dass „die uns die Sonne
   entziehen“ beziehungsweise „die Sonne in Deutschland kaum noch durch den Dreckschleier am

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   Himmel durchkommt“. Solche angeblichen Maßnahmen zum Herunterkühlen der Erde wären indes
   überhaupt nicht notwendig, wenn es den Klimawandel gar nicht gäbe.

   Und jeder Versuch, diesen Widerspruch aufzulösen, führt nur zu weiteren Widersprüchen innerhalb
   der Szene: Angenommen, die „Klimalüge“ (= es gibt eine globale Erwärmung) sei nur der
   Vorwand, um Chemtrails (= Geoengineering zur Beeinflussung des Klimas) versprühen zu können
   – was aber ist dann der „wahre“ Sinn und Zweck von Chemtrails? Auch hierzu reichen die
   Vermutungen der Chemtrail-Gläubigen einander widersprechend von „Zwangsimpfungen“ über
   „Bevölkerungsreduktion“ bis hin zu „Gedankenkontrolle“ und „Ruhigstellung der Bevölkerung“.

   – Der größte Widerspruch jedweder Verschwörungstheorie ist zugleich der augenfälligste: Wieso
   sind praktisch allmächtige Verschwörer, die sämtliche sozialen und wirtschaftlichen Prozesse
   weltweit vollkommen kontrollieren können, nicht in der Lage, diejenigen auszuschalten (oder
   zumindest ihre Youtube-Filmchen zu löschen), die die Verschwörung aufdecken und der Welt
   mitteilen?

    Unmengen von gelehrter Scheinfaktizität und pedantischen Verweisen:
   Verschwörungstheoretiker scheinen es darauf abgesehen zu haben, Skeptiker mit Namen, Daten
   und Fakten zu bombardieren.

   Ein typischer „Reichsbürger“-Kommentar im GWUP-Blog liest sich beispielsweise so:

   Denkfehler oder Denkabsicht? Kritiker werden zunehmend als Reichsbürger bezeichnet und damit
   politisch verfolgt. Der Reichsbürger war nach dem „Reichsbürgergesetz“ des 3. Reiches
   sinngemäß nur derjenige, der das Recht hatte, bevorzugt zu werden, weil er Systemtreue bewiesen
   hatte. Die anderen Bürger waren Staatsbürger und hatten weniger Rechte. Die Bezeichnung
   „Reichsbürger“ wird gern verwendet gegen Bürger, die Machtmissbrauch nicht ertragen können
   oder um Bürgerrechtler politisch verfolgen zu können, die z.B. Rechtsbeugung anprangern. Der
   Reichsbürger ist im „Reichsbürgergesetz“ des 3. Reiches definiert. Das Gesetz beendete die
   staatsrechtliche Gleichheit der deutschen Bürger, indem es zwei neue Kategorien schuf: den
   „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ sowie den „Reichsbürger“, dem durch
   sein Verhalten allein die vollen politischen Rechte zustanden. Die 11. Verordnung zum
   „Reichsbürgergesetz“ entzog den Juden die deutsche Staatsangehörigkeit sowie ihre Vermögen.
   Weiteres im Internet. Nach der Politik gäbe es noch den „Reichsbürger“. Er wäre (entsprechend
   dem Reichsbürgergesetz) Neonazi, antisemitisch, demokratiefeindlich, Holocaustleugner usw.
   Diese politische Verdächtigung verstößt gegen Artikel 1 Grundgesetz (Menschenwürde) und ist
   nach § 241a StGB (politische Verdächtigung) sowie nach 187 StGB (Verleumdung) strafbar, aber
   das wird unter Missachtung des Artikel 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) einfach ignoriert.

   Alles klar?

    das  Aufeinandertürmen       von    Verschwörungstheorien:     Die     Lücke      in                         einer
   Verschwörungstheorie wird wiederum durch eine weitere Verschwörungstheorie erklärt.

   Beispiel: Die Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlichte 2009 mehr als 500 000
   Textnachrichten, die Mitarbeiter von US-Behörden am 11. September 2001 über
   Funkmeldeempfänger versandt hatten. Sie enthielten keinerlei Hinweise auf einen „Inside Job“.
   WikiLeaks-Gründer Julian Assange erklärte sogar, 9/11-Verschwörungstheorien lenkten von realen
   Verschwörungen für Krieg und Korruption ab, die es überall gebe und die Wikileaks aufgedeckt
   habe. Für 9/11-Truther ist WikiLeaks damit selbst Teil einer Verschwörung, um von wahren
   Verbrechen der US-Geheimdienste abzulenken.

    die unkritische Akzeptanz jedweden Arguments, das auf eine Verschwörung hindeutet:
   Bezeichnend für diesen Punkt ist die kuriose Tatsache, dass in den Foren und Online-Communitys
             ã Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., München
                                      c/o Udo Schuster, Plieningenweg 18, 84036 Landshut
                                             (V.i.S.d.P. Willi Röder 1. Vorsitzender)
Initiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V.

    von Verschwörungstheoretikern immer wieder Jux-Meldungen von Satireseiten wie Der Postillion
    als Beweise geteilt werden, wie zum Beispiel: „Zu teuer und ineffizient: Regierung stellt
    umstrittenes Chemtrail-Programm ein“ oder „Regierung versprüht ab sofort unsichtbare
    Chemtrails, um Verschwörungstheoretikern das Leben schwerzumachen“.
     Vorteilgewinn verrät Kontrolle: Wer aus einem Ereignis Gewinn zieht, muss es verursacht
    haben.
    Dieses „Cui bono?“-Pseudoargument wird von dem Blogger und Spiegel-Online-Kolumnisten
    Sascha Lobo7 völlig zu Recht als das „dümmste Nullargument, das Arschgeweih der
    Verschwörungstheorie, mit dem die üblichen Verdächtigen bemüht und umgehend beschuldigt
    werden“, bezeichnet.
     Leichtfertiger Umgang mit Fakten: Anfang 2018 veröffentlichte die bayerische Kabarettistin
    Lisa Fitz im Youtube-Kanal eines bekannten Verschwörungstheoretikers ihren Song „Ich sehe was,
    was du nicht siehst“. Darin schwadroniert sie über „den Schattenstaat“ und „die Puppenspieler“
    hinter den Kulissen des Weltgeschehens und nennt an erster Stelle der „Schurkenbanken und
    Gierkonzerne“ die Rothschilds. Nun gehört das Bankhaus Rothschild (beziehungsweise drei
    Finanzgruppen, die von unterschiedlichen Familienzweigen der Rothschilds kontrolliert werden)
    nicht einmal annäherungsweise zu den weltweit zehn größten Banken, weder nach
    Marktkapitalisierung noch nach Bilanzsumme. Dafür gilt der Name „Rothschilds“ als
    antisemitischer Code8, mit dem man des globalen diabolischen Übels Kern auf das
    „Finanzjudentum“ herunterbrechen kann.
     Es gibt keine Zufälle und Torheiten: Der Zufall spielt keinerlei Rolle. Was immer in der
    Gesellschaft geschieht, ist für den Verschwörungstheoretiker das Resultat direkten Planens von
    einigen wenigen, mächtigen Einzelpersonen oder Gruppen.
     Der äußere Anschein trügt: Für einen vernünftigen Menschen bedeutet ein Mangel ein
    Beweisen, dass es eben keine Verschwörung gibt. Für einen Verschwörungstheoretiker hingegen
    besteht der beste Beweis darin, dass es gar keinen Beweis gibt. Denn um erfolgreich zu sein, muss
    eine Verschwörung sich und ihre wahren Ziele tarnen und als Gegenteil dessen ausgeben, was sie in
    Wahrheit ist.

    Die Plausibilitätsprüfung und die Methodenkritik, wie Pipes und Raab/Carbon/Muth sie
    vorschlagen, können zur Identifizierung von Verschwörungsdenken beitragen, indem sie deutlich
    machen, dass die allermeisten Konspirationstheorien wirklichkeitsfrei sind und von Übertreibung,
    Verdächtigung und maßloser Fantasie leben. Statt eines analytischen Blickes wird ein feststehender
    Erklärungsansatz auf alles angewendet und, wenn nötig, passend zurechtgebogen. Insofern
    unterscheiden sich reale Verschwörungen erkennbar von den imaginären der
    Verschwörungstheoretiker, erklärt auch der Tübinger Kulturhistoriker Michael Butter 9:

     Denn diese entwerfen erstens fast immer Szenarien, an denen dutzende oder mehr Verschwörer
    beteiligt gewesen sein müssen – man denke nur an die Anschläge des 11. September 2001. Reale
    Verschwörungen dagegen umfassen zumeist eine überschaubare Anzahl an Personen.
     Zweitens behaupten Verschwörungstheorien fast ausnahmslos, dass die Verschwörer über einen
    längeren Zeitraum aktiv sind. Sie nehmen reale oder imaginäre Gruppen wie Juden, Kommunisten,
    Illuminaten oder Aliens in den Blick und schreiben ihnen nicht nur eine Untat zu, sondern eine

7
  www.spiegel.de/netzwelt/web/germanwings-absturz-sascha-lobo-ueber-die-medienreaktionen-a-1025466.html
8
  www.fr.de/politik/meinung/kolumnen/antisemitismus-lisa-fitz-und-die-drachenreiter-der-rothschilds-a-1438304
9
  Michael Butter: Dunkle Komplotte – Zur Geschichte und Funktion von Verschwörungstheorien. In: Politikum Nr. 3/2017

                  ã Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., München
                                           c/o Udo Schuster, Plieningenweg 18, 84036 Landshut
                                                  (V.i.S.d.P. Willi Röder 1. Vorsitzender)
Initiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V.

       ganze Reihe von Verbrechen. Erwiesene Verschwörungen dagegen beschränken sich fast immer auf
       ein klar eingrenzbares Ereignis wie ein Attentat oder einen Staatsstreich.
        Entsprechend verstehen drittens Verschwörungstheoretiker Geschichte als eine Abfolge von
       Komplotten. Sie schreiben den Verschwörern die Fähigkeit zu, über Jahre, manchmal sogar über
       Jahrzehnte hinweg den Lauf der Dinge zu bestimmen. Die Erfahrung realer Verschwörungen aber
       zeigt, dass Geschichte mittel- oder gar langfristig nicht planbar ist. CIA und MI6 haben 1953 im
       Zuge der „Operation Ajax“ den iranischen Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh gestürzt;
       die iranische Revolution, die 1979 indirekt daraus folgte, wollten sie aber bestimmt nicht auslösen.

       Unabhängig von solch umfangreichen Betrachtungen der Beweiskraft und Schemata von
       Verschwörungstheorien kann auch eine Heuristik weiterhelfen, um authentische Kritik von Bullshit
       zu unterscheiden: Zeigt derjenige die Bereitschaft, einzusehen, dass er auch falsch liegen könnte?
       Oder geht es ihm primär um emotionale Befriedigung? Mit anderen Worten: Es ist auch darauf
       achten, wie Vertreter der Theorie mit Kritik umgehen.

       Fazit: Bekannt gewordene echte Verschwörungen unterscheiden sich signifikant von imaginären
       Verschwörungen, wie sie in den allermeisten Verschwörungstheorien gezeichnet werden. Denn
       wirkliche Verschwörungen haben mit Problemen aus der realen Welt zu kämpfen. Schon
       Machiavelli wusste, dass eine erfolgversprechende Verschwörung nicht lange dauern darf und nur
       wenige Personen daran beteiligt sein dürfen. In unserer multikausalen Realität haben wir es mit
       hochkomplexen Systemen zu tun, in denen sich eine Vielzahl von Akteuren mit zum Teil
       widerstrebenden Interessen, Zielen und Absichten tummeln. Auch Verschwörer sind normale
       Menschen mit Schwächen und Unvollkommenheiten, die die Folgen einer Handlung oder eines
       Plans kaum im Voraus abschätzen können. Je stärker die angeblichen Akteure in einer
       Verschwörungstheorie dämonisiert werden, umso mehr kann man davon ausgehen, dass die
       Verschwörungstheorie ein reines Phantasieprodukt ist.
       Zudem handelt es sich bei einem Verschwörungstheoretiker nicht einfach um jemanden, der die
       Tatsache akzeptiert, dass es echte Verschwörungen gibt. Sondern Verschwörungstheoretiker legen
       ihren Annahmen eine ganz spezielle methodologische Herangehensweise sowie bestimmte
       Prioritäten zugrunde, die darauf abzielen, konkrete, sinistere Täter zu identifizieren. An die Stelle
       von systematischen Strategien zur Bestätigung oder Widerlegung von Hypothesen treten dabei
       Glaubenssätze, gegen die jeder Einwand zwecklos ist.
       Als Faustregel, um ohne vertieftes Wissen die Plausibilität einer Verschwörungstheorie
       einzuschätzen, bieten sich drei Punkte an: Ist das, was behauptet wird, noch überprüfbar? Verstößt
       die Begründung der Verschwörungstheorie gegen Grundsätze der Vernunft (Widersprüche,
       Argumentationslücken etc.)? Reagieren die Vertreter der Verschwörungstheorie auf Kritiker, indem
       sie diese persönlich angreifen?

Literatur:

       Harder, Bernd: Verschwörungstheorien. Ursachen – Gefahren – Strategien. Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2018   Bernd Harder

       AUFKLÄRUNG IN DER POSTFAKTO-KALYPSE
       Wie man Verschwörungstheorien und „gefühltes Wissen“ entlarvt

       Eigentlich scheint die Sache ganz einfach zu sein: „An einer Verschwörungstheorie ist so lange
       nichts auszusetzen, so lange sie als solche gekennzeichnet und der Überprüfung und möglichen
       Widerlegung zugänglich gemacht wird“, sagt der Religionswissenschaftler Michael Blume 10.
       Allerdings gibt es keinen Verschwörungstheoretiker, der sein Gedankenkonstrukt selbst als
       Verschwörungstheorie bezeichnen würde.

10
     Blume, Michael: Angstgetrieben – Warum Verschwörungstheorien heute so populär sind. In: Herder-Korrespondenz 7/2016
                     ã Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., München
                                              c/o Udo Schuster, Plieningenweg 18, 84036 Landshut
                                                     (V.i.S.d.P. Willi Röder 1. Vorsitzender)
Initiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V.

       Auch andere Skeptiker meinen11, einem Verschwörungstheoretiker mit den Werkzeugen der
       Wissenschaftstheorie begegnen zu können und fordern von ihm, zu zeigen, „wie seine Theorie sich
       in die Realität einfügt“, des Weiteren „Zahlen und Fakten, Reliabilität, Validität und Objektivität“
       sowie einen Falsifikationsvorbehalt: „Eine Theorie muss widerlegbar sein, sonst ist sie nur noch
       eine Geschichte ohne jeglichen Wahrheitsanspruch.“ Das ist integer gedacht – geht aber
       weitgehend an der Realität vorbei. Denn eine Verschwörungstheorie genügt weder strukturell dem
       Anspruch, der an eine wissenschaftliche Theorie gestellt wird, noch ist sie falsifizierbar, denn
       Verschwörungstheoretiker lassen nur konforme „Erkenntnisse“ zu und werten jeden Widerspruch
       als Bestätigung der aktiven Gegenwehr der Verschwörer.

       Keine klassische Theorieprüfung möglich
       Dass Techniken wie Falsifizierbarkeit keine zuverlässigen Methoden sind, um kritisch-vernünftiges
       Denken von abstrusem Verschwörungsglauben zu differenzieren, vertreten auch die Psychologen
       Marius Raab und Claus-Christian Carbon und die Wahrnehmungsforscherin Claudia Muth von der
       Universität Bamberg. Gleich drei gängige Forschungsprinzipien werden von ihnen verworfen 12:

        Ockhams Rasiermesser, auch Sparsamkeitsprinzip genannt, welches besagt, dass von mehreren
       möglichen Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt die einfachste Theorie allen anderen
       vorzuziehen sei:

       „Sobald Menschen an einem Vorgang beteiligt sind, ist die einfachste Erklärung oft nicht die beste.
       Das sehen wir an vielen Entscheidungsprozessen in Kommunalparlamenten. Die Formel einfach =
       gut ist also zu einfach.“

        Die Falsifizierungsmöglichkeit:

        „Widerlegen kann man nur Allaussagen. Zum Beispiel: Alle Schwäne sind weiß. Wir können diese
       Behauptung niemals beweisen, denn dazu müssten wir alle Schwäne in allen Zeiten anschauen,
       also auch in Vergangenheit und Zukunft. Wir können die Behauptung aber widerlegen, wenn wir
       einen nichtweißen Schwan finden. Bei Existenzaussagen, also bei Es-gibt-Aussagen, ist es
       umgekehrt. Die können wir niemals widerlegen (denn dazu müssten wir alle existierenden Dinge
       überhaupt anschauen). Wir können sie aber beweisen, indem wir ein einziges der behaupteten
       Dinge finden […] Die Behauptung, dass die US-Regierung selbst 9/11 geplant hat, ist eine
       Existenzbehauptung. Sie besagt, dass es eine Verschwörung gibt. Sie ist damit unwiderlegbar, das
       macht sie aber natürlich nicht automatisch zu einer wahren Theorie. Alles, was man tun kann, ist,
       die Theorie auf Widersprüche, logische Sprünge und die Wahrscheinlichkeit der zugrundeliegenden
       Vorannahmen zu prüfen oder Belege zu finden, die dafürsprechen oder dagegen. Eine empirische
       Widerlegung im strengen Sinn der Wissenschaft ist aber unmöglich, wenigstens bezogen auf die
       Grundaussage viele Verschwörungstheorien. Maximal einzelne Fragmente können widerlegt
       werden, die Details einzelner Begebenheiten.“

        Das Immer-wieder-die-alte-Leier-Prinzip, das von den amerikanischen Politologen Joseph E.
       Uscinski and Joseph M. Parent in ihrem Buch „American Conspiracy Theories“ (2014) vertreten
       wird und darauf basiert, dass Verschwörungstheoretiker die immer gleichen Pseudoerklärungen für
       historische Großereignisse wie Französische Revolution, Zweiter Weltkrieg etc. parat haben: Juden,
       Illuminaten, Freimaurer.

       „Nicht jedes wiederkehrende Thema verweist auf eine unglaubwürdige Erklärung. Ohne kritische
       Journalisten und Whistleblower wie Edward Snowden wären viele Skandale im Verborgenen
       geblieben […] Die Entscheidung auf Grundlage von Ockhams Rasiermesser, der
       Falsifizierungsmöglichkeit und dem Immer- wieder-die-alte-Leier-Prinzip kann dazu führen, dass
11
     https://perspektiefe.privatsprache.de/tag/david-hume/
12
     Raab, Marius/Carbon, Claus-Christian/Muth, Claudia: Am Anfang war die Verschwörungstheorien. Springer, Heidelberg 2017
                      ã Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., München
                                               c/o Udo Schuster, Plieningenweg 18, 84036 Landshut
                                                      (V.i.S.d.P. Willi Röder 1. Vorsitzender)
Initiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V.

       wir bei wichtigen Geschehnissen zu schnell bei der Hand sind mit der Kategorisierung als
       ungerechtfertigte Verschwörungstheorie und im schlimmsten Fall tatsächliche Verschwörungen
       fälschlicherweise abtun.“

       Raab/Carbon/Muth plädieren stattdessen für eine fallweise Betrachtung und stellen in Form einer
       fünfstufigen „Faustregel zur Einzelfallanalyse“ eine Methode zur Diskussion, die als Rüstzeug
       dienen könne, um die vermittelten Werte und die präsentierten Informationen einer
       Verschwörungstheorie kritisch einzuordnen: „Prüfen Sie Verschwörungstheorien auf
       Vorbedingungen, Relevanz, Folgen und Widersprüche, schätzen Sie Wahrscheinlichkeiten und
       suchen Sie nach Hinweisen für und gegen die Annahme.“

       Gibt es eine Krebs-Verschwörung der Pharmaindustrie?
       Wenden wir die vorgeschlagene Einzelfallanalyse exemplarisch auf die weit verbreitete
       Verschwörungstheorie an, es gebe schon längst ein Heilmittel gegen Krebs 13.

       1. Der erste Schritt: Bringen Sie die Theorie auf einen zentralen Satz (oder mehrere zentrale
       Sätze).
       Die Pharmaindustrie hält seit Jahren absichtlich ein günstiges und wirksames Krebsmedikament
       zurück, um mehr Geld mit anderen Therapien zu verdienen, die nur die Symptome behandeln.

       2. Prüfen Sie die Relevanz: Was würde es bedeuten, wenn die Theorie wahr wäre, aber
       unerkannt bliebe? Und was, wenn die Theorie falsch ist, aber weiterhin geglaubt wird? (Es
       geht darum, herauszufinden, ob die Behauptung einen persönlichen oder gesellschaftlichen
       Stellenwert hat und eine weitere Beschäftigung damit sich überhaupt lohnt.)
       a) 2017 sind in der EU schätzungsweise mehr als 1,3 Millionen Menschen an Krebs gestorben, in
       Deutschland zirka 224 000 Frauen und Männer. Die Pharmaindustrie nähme also bewusst ein
       Massensterben von heilbar erkrankten Menschen in Kauf, verbunden mit dem Leid der
       Angehörigen sowie dem immensen volkswirtschaftlichen Schaden durch eine kostspielige, aber
       von vorneherein wirkungslose Behandlung.

       b) Der Glaube an eine „Big Pharma“-Verschwörung unterminiert das Vertrauen in die
       evidenzbasierte Medizin und in wirksame Medikamente, die Leiden lindern und Leben retten.
       Patienten unterlassen aussichtsreiche Therapien und wenden sich „alternativen
       Behandlungsmethoden“ zu, hinter denen sich Pseudomedizin und gefährliche Scharlatanerie
       verbirgt. Pharmaskepsis ist zudem die entscheidende Triebfeder der Impfgegner-Bewegung, deren
       Aktivitäten zum Beispiel die Ausrottung von impfpräventablen Krankheiten wie Masern
       verhindern und immer wieder zu Krankheitsausbrüchen führen.

       3. Welche Vorannahmen sind notwendig, damit die behauptete Kernannahme wahr sein
       kann?

       An der Krebsforschung müssten ausschließlich profitorientierte Unternehmen beteiligt sein.
       Pharmaforscher müssten einzig und allein monetär getrieben und ihnen selbst sowie ihren
       Firmenchefs müsste egal sein, dass auch sie an Krebs erkranken können. Es müsste einen
       eindeutigen Profiteur der Verschwörung und keinen Gegenspieler geben. Alle pharmazeutisch
       tätigen Unternehmen müssten sich zu einer kongruenten „Pharmamafia“ zusammenschließen,
       dabei auf hohe Profite verzichten und zahllose interne Mitwisser ruhigstellen.

       4. Prüfen Sie die Vorannahmen auf Widerspruchsfreiheit.
       Auch Universitäten, medizinische Fachgesellschaften und gemeinnützige Organisationen
       beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Krebs. Therapiemeilensteine und Durchbrüche in der

13
     https://blog.gwup.net/2015/07/08/zehn-grunde-warum-es-keine-krebs-verschworung-gibt/
                     ã Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., München
                                              c/o Udo Schuster, Plieningenweg 18, 84036 Landshut
                                                     (V.i.S.d.P. Willi Röder 1. Vorsitzender)
Initiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V.

   Forschung kommen gerade von solchen Initiativen. Und niemand kann und wird sie dabei
   aufhalten oder einschränken. Jüngstes Beispiel ist die – wenn auch äußerst umstrittene –
   Methadon-Forschung einer Chemikerin am Institut für Rechtsmedizin der Universität Ulm.

   Ein offenkundiges Manko der Pharmaverschwörung besteht in der unrealistischen Annahme, dass
   Medizinwissenschaftler den Profit ihrer Firma und der Aktionäre über ihr eigenes Leben zu stellen
   bereit sind. Dies würde voraussetzen, dass es sich bei Wissenschaftlern und Forschern ausnahmslos
   um misanthropische Drohnen ohne jedes Eigeninteresse handelt. Außerdem: Mit jedem Jahr wird
   die Liste von reichen, mächtigen und einflussreichen Personen, die an Krebs gestorben sind, länger.
   Wie realistisch ist da die Vorstellung, dass wirksame Krebsheilmittel unterdrückt werden? Es ist
   zumindest wenig vernünftig, zu glauben, dass diese persönlich Betroffenen nicht ihr ganzes
   Vermögen hergegeben hätten, um länger zu leben.

   Forscher wetteifern nicht ausschließlich um Gehälter und Prämien. Ein Wissenschaftler, der ein
   Heilmittel gegen Krebs entdeckt, wäre weltberühmt, würde in die Annalen der Medizin eingehen
   und in den Lehrbüchern verewigt werden. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Forscher darauf
   verzichten würde, um stattdessen Teil einer finsteren, geheimen Verschwörung zu sein.

   Die Krebsverschwörung geht häufig von der Annahme einer geheimen Absprache zwischen
   kommerziellen Pharmaunternehmen und ihren Regierungen aus. Allerdings gibt es auch Länder mit
   einem staatlichen Gesundheitswesen, die durch eine solche Verschwörung viel Geld verlieren
   würden, weil sie die Behandlungskosten krebskranker Menschen tragen müssen. Es erscheint
   plausibler, dass solche Staaten ganz im Gegenteil ein Krebsmedikament sofort einsetzen würden,
   um die freiwerdenden Mittel anderweitig zu investieren.

   Und dann gibt es auch noch Krankenkassen und Versicherungen. Warum sollten diese großen
   Player auf dem Gesundheitsmarkt ein Heilmittel gegen Krebs unterdrücken?
   Versicherungskonzerne würden kaum seelenruhig zusehen, wie die Pharmabranche auf ihre Kosten
   viel Geld mit teuren Krebsbehandlungen verdient, wenn es schon längst ein kostengünstiges
   Heilmittel gäbe. Dass Krankenkassen und Versicherungen nichts davon erfahren würden, ist
   Nonsens – schließlich sieht sich jeder Hobby-Konspirologe mit einem Internetanschluss dazu in
   der Lage.

   Warum sollte ein Pharmaunternehmen auf Milliardengewinne verzichten? Ein Krebsheilmittel wäre
   ein Mega-Blockbuster unter den Medikamenten. Und das gilt auch für nicht patentierbare
   Wirkstoffe, denn auch mit Generika und sogar mit OTC-Produkten kann man sehr viel Geld
   verdienen. Außerdem ist es leicht, auch Naturstoffe patentieren zu lassen. Dafür ist nicht mehr
   erforderlich, als eine geringfügige Modifikation, welche die Funktionalität nicht stört, aber den
   Patentschutz sichert. Und warum sollte ein Pharmaunternehmen überhaupt etwas zurückhalten?
   Warum hat die Pharmaindustrie nicht Antibiotika und Impfstoffe unterdrückt? Aus welchem Grund
   gibt es Tuberkulose-Medikamente, obwohl man an der Krankheit selbst – also der reinen
   Symptomlinderung – viel mehr Geld verdienen könnte? Warum also ausgerechnet eine Krebs-
   Verschwörung? Nach welchen Kriterien legt die Pharmaindustrie fest, welche Arzneimittel gegen
   welche Erkrankungen sie unterdrückt und welche nicht?

   Das Hauptargument der Verschwörungstheoretiker zielt darauf ab, dass die Pharmaindustrie ein
   Krebsheilmittel unterdrückt, um die Gewinne nicht zu gefährden, die sie mit den derzeitigen
   Krebstherapien erzielt. Aber warum sollte sie das tun? Wer von Krebs geheilt wird, lebt länger und
   bekommt mit recht hoher Wahrscheinlichkeit weitere Krankheiten, an denen Big Pharma prächtig
   verdienen kann – Alzheimer, Diabetes, eine andere Krebsart. Den Tod von Krebspatienten billigend
   in Kauf zu nehmen, wäre also keine sehr kluge Strategie.

   Darüber hinaus gibt es nicht die Pharmaindustrie, sondern zahllose Pharmafirmen, die in einem
   harten Wettbewerb miteinander stehen. Mit einem Krebsheilmittel könnte ein Pharmaunternehmen
   alle Konkurrenten aus dem Feld schlagen. Es bräuchte dafür nur den Preis für das neue
             ã Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., München
                                      c/o Udo Schuster, Plieningenweg 18, 84036 Landshut
                                             (V.i.S.d.P. Willi Röder 1. Vorsitzender)
Initiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V.

       Medikament knapp unterhalb des Kostenniveaus der Standardtherapie anzusetzen, um tonnenweise
       Geld zu machen. Und auch dann, wenn ein Pharmaunternehmen selbst kein Krebsheilmittel in
       Petto hat, aber davon Wind bekommt, dass ein Mitbewerber eine solche Neuentwicklung
       verheimlicht: Keine profitorientierte Firma mit einer cleveren PR-Abteilung würde zögern, diesen
       Konkurrenten bei den Medien und in der Öffentlichkeit anzuschwärzen, um sich selbst als
       Aufklärer und Fortschrittsmotor zu profilieren.

       Die Entwicklungskosten für ein neues Krebsmedikament liegen bei 500 bis 600 Millionen Euro.
       Warum sollte eine Firma ein Krebsheilmittel zur Marktreife bringen und es dann im Panzerschrank
       verschwinden lassen? Mehr noch: Alle Mitarbeiter, externen Studienlabore, Probanden – viele
       Tausend Menschen – müssten bestochen oder sonst irgendwie wie zum Schweigen gebracht
       werden. Dafür wäre ein Riesenapparat notwendig, der die Mittel und Möglichkeiten auch der
       größten Verschwörerbande bei weitem übersteigt. Der kanadische Mathematiker David Robert
       Grimes, der in der Krebsforschung der Universität Oxford arbeitet, hat (ausgehend von der
       Grundannahme, dass mehr als 700 000 Menschen bei den acht größten Pharmaunternehmen
       beschäftigt sind), mit einem rudimentären Modell sehr vage geschätzt, dass es aller
       Wahrscheinlichkeit nach höchstens drei Jahre und drei Monate dauern dürfte, bis ein Mitarbeiter
       auspackt.

       5. Wie wahrscheinlich ist es, dass die einzelnen Vorannahmen zutreffen?
       Sehr wenig wahrscheinlich.

       Und damit kann man guten Gewissens die Verschwörungstheorie vom unterdrückten Heilmittel
       gegen Krebs als in sich widersprüchliche und zudem sehr unwahrscheinliche Behauptung abhaken.
       Sollte dieses Faustregelverfahren zu der Einschätzung führen, dass eine Verschwörungstheorie
       relevant und zutreffend sein kann, dann sollte man sich auf Detailebene damit auseinandersetzen,
       schlagen Raab/Carbon/Muth vor.

       Allerdings berichteten 2017 die Medien von einer echten „Pharma-Verschwörung“ (tag24 am 26.
       Oktober). Ein Bottroper Apotheker hatte mehr als 60 000 Krebsrezepturen gepanscht und an den
       weit unterdosierten Medikamenten Millionen Euro verdient. Mehreren Tausend Patienten nahm er
       damit die Möglichkeit, das Fortschreiten ihrer Krebserkrankung aufzuhalten oder zumindest zu
       verlangsamen. Ein Whistleblower, der in dieser Apotheke als kaufmännischer Leiter arbeitete und
       seinen Chef im September 2016 anzeigte, gilt in der Pharma-Brache als Verräter und findet dort
       keinen adäquaten Job mehr. Gegen das Enthüllungsbuch „Die Krebsmafia. Kriminelle
       Milliardengeschäfte und das skrupellose Spiel mit dem Leben von Patienten“ zweier Journalisten
       wurde im Januar 2018 ein Verkaufsstopp verhängt. Schon davor hatten aber verschiedene
       Publikationen wie der Stern über „krumme Deals, Korruption und Bestechung in der
       Krebsbranche“ berichtet.

       Es ist nicht zuletzt dieser wahre Kern, der es Verschwörungstheorien leichtmacht, sich in den
       Köpfen festzusetzen. Machenschaften wie der Zytostatika-Skandal offenbaren aber auch das
       Paradoxon des Themas: Echte Verschwörungen sind ein angemessener Grund, nicht alle
       Verschwörungstheorien pauschal zurückzuweisen. Echte Verschwörungen zeigen aber auch, dass
       Verschwörungstheorien die Welt zumeist nicht korrekt abbilden. „In der realen Welt sind die
       Verschwörungen eher klein und begrenzt, etwa um ein Verbrechen zu vertuschen oder eine
       Versicherung zu betrügen“, sagt der US-Psychologe Rob Brotherton 14. „In der Welt der
       Verschwörungstheorien hingegen gibt es diese großen, ausgeklügelten Plots, um globale Ereignisse
       anzustoßen oder uns alle zu versklaven. Diese großen Pläne werden nahezu perfekt ausgeführt,
       aber sie hinterlassen trotzdem gerade genug Spuren, dass Verschwörungstheoretiker ihnen auf die
       Schliche kommen können.“

14
     www.heise.de/newsticker/meldung/Wir-alle-sind-potenzielle-Verschwoerungstheoretiker-3924883.html
                     ã Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V., München
                                              c/o Udo Schuster, Plieningenweg 18, 84036 Landshut
                                                     (V.i.S.d.P. Willi Röder 1. Vorsitzender)
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