Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review.
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Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörun- gen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review. Gerhard W. Lauth, Hanna Raven Universität zu Köln Momentan finden jedoch nur 9,7% der Zusammenfassung: Mit einer Prävalenz von 3 – 4% wird ADHS im Erwachsenenalter Erwachsen mit ADHS eine fachgerechte heute als ernstzunehmende Störung angesehen, die häufig mit weitreichenden Beein- Behandlung (Fayyad et al., 2007). Insofern trächtigungen in vielen Lebensbereichen sowie mit weiteren komorbiden Störungen stellt die Störung nicht zuletzt wegen ihrer einhergeht. Bisher liegen lediglich diagnostische Leitlinien vor, die sich auf die Kriterien Verbreitung eine neue und weitreichende im Kindesalter stützen. Da man von einem bio-psycho-sozialen Bedingungsmodell Herausforderung für das psychosoziale ausgeht, in dem Dysfunktionen im Bereich der Selbststeuerung eine zentrale Rolle Versorgungssystem dar. spielen, werden eigene diagnostische Kriterien für das Erwachsenenalter unter Berück- sichtigung dieser Dysfunktionen zunehmend von der Fachwelt gefordert. Kognitiv-ver- Während der Kindheit sind Jungen im Ver- haltenstherapeutische Interventionen, die zielbezogen und alltagsnah auf entstandene hältnis von 8 : 1 deutlich stärker als Mäd- Defizite eingehen haben sich ebenso wie die Pharmakotherapie als effektiv erwiesen. chen von ADHS betroffen. Mit steigendem Die derzeitige Diskussion wird zusammenfassend dargestellt. Lebensalter ändert sich diese Relation. Während bei den Jugendlichen die Jungen Epidemiologie aber häufig fehl behandelt und beispiels- noch im Verhältnis von etwa 5 : 1 domi- weise als Borderline-Störung missverstan- nieren; besteht bei den Erwachsenen eine Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstö- den. Beide Störungen weisen in ihrer Er- Relation von 2 : 1, Männer zu Frauen (Wi- rungen (ADHS) werden heute als eine ver- scheinungsweise zwar Überschneidungen lens, Biederman & Spencer, 2002; Fayyad breitete und ernst zu nehmende Störung auf (z. B. Instabilität, mangelnde Verhal- et al., 2007). Dieser Wandel wird darauf im Erwachsenenalter gesehen (Sobanski tenskonsistenz), sind aber differentialdia- zurückgeführt, dass die Störung bei Mäd- & Alm, 2004; Torgersen, Gjervan & Ras- gnostisch deutlich zu unterscheiden, weil chen während der Kindheit häufig nicht mussen, 2006). Sie sind bei etwa 3 bis bei einer Persönlichkeitsstörung „vom Bor- erkannt wird, weil sie weniger hyperaktiv 6% aller Erwachsenen anzutreffen (Vor- derline-Typus“ (ICD-10: F60.31) zusätz- und extravertiert auftreten. Deshalb zeigt stand der Bundesärztekammer, 2005). lich Störungen und Unsicherheit bezüglich sich die Störung oft erst dann, wenn sie Eine umfassende US-amerikanische Stu- Selbstbild, Zielen und „inneren Präferen- es im Erwachsenenalter mit schwierigeren die (N = 3199; Altersbereich von 18 – 44 zen“ (einschließlich sexueller Präferenzen) Anforderungen wie Studium, Beruf, oder Jahren) ermittelte eine Prävalenzrate von vorliegen. Dementsprechend gibt es zwar der Versorgung einer eigenen Familie zu 4,4% (Kessler et al., 2006). Auf Basis der auch gewisse Überschneidungen bei der tun haben. Gleichzeitig gibt es Hinweise DSM-IV-Kriterien wird in Deutschland eine Therapie, die für beide Störungsbereiche darauf, dass sich die Geschlechter mit zu- Häufigkeit von 3,1% festgestellt (Stichpro- indiziert ist (z. B. Motivierung, Ressour- nehmenden Alter in ihrer Störungssymp- be 621 Personen; Fayyad et al., 2007). cenaktivierung, Bewältigung von Alltags- tomatik unterscheiden (Krause, Gastpar & Weitere Untersuchungen, die beispiels- anforderungen), aber auch deutliche Davids, 2006): Männer weisen eher Sub- weise an Fahrschülern oder Studierenden Unterschiede (z. B. Behandlung von Bor- stanzmittelmissbrauch auf, während für durchgeführt wurden (Weyandt & DuPaul, derline-Störung mittels dialektisch Behavi- Frauen ein leicht höheres Risiko für zusätz- 2006; Heiligenstein, Conyers, Berns & oraler Therapie nach Linehan, 1996a, b; liche Ängste und Depression besteht (Res- Smith, 1998; DuPaul et al., 2001), bestäti- Transference Focused Psychotherapy nach nick, 2000). Frauen und Männer sind sich gen diese Daten (Prävalenzraten zwischen Clarkin, Yeomans und Kernberg, 1999). in ihren beruflichen, leistungsbezogenen 1 und 4%). Diesen Prävalezangaben zu Vom Standpunkt der einschlägigen ADHS und sozialen Schwierigkeiten zwar generell Folge gibt es in Deutschland etwa eine Mil- Therapie können beide Störungen bei der sehr ähnlich, allerdings zeigen sich tenden- lion behandlungsbedürftiger Erwachsener Behandlung nicht „über einen Kamm ge- ziell eher „weibliche“ bzw. eher „männli- mit ADHS. Zurzeit wird deren Problematik schoren werden“. che“ Lebensformen: Frauen mit ADHS sind Psychotherapeutenjournal 1/2009 17
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review. häufiger allein erziehend, Männer leben oft 18%, Cannabisabhängigkeit/-missbrauch: Sorgfaltsfehler, geringe Ausdauer), Über- auch im mittleren Erwachsenenalter noch etwa 14%, anderer Drogenmissbrauch: aktivität (etwa: fuchtelt mit Händen und bei ihren Eltern. etwa 5%, Asthma bzw. chronische Erkran- Füßen herum, läuft in unpassenden Situ- kungen: etwa 5%, gestörtes Sozialver- ationen herum) und Impulsivität (etwa: Erwachsene mit ADHS zeichnen sich vor halten/geringe Selbstbeherrschung: etwa platzt häufig mit der Antwort heraus, kann allem durch Vergesslichkeit, unzureichende 20%. Personen mit einem gemischten nicht warten, bis er/sie an der Reihe ist, Aufmerksamkeit, mangelnde Konzentrati- Typus (Hyperaktivität/Impulsivität und stört und unterbricht andere häufig). Diese on, hohe Ablenkbarkeit, geringe Ausdauer Unaufmerksamkeit) neigen am ehestes Verhaltensmerkmale müssen seit mindes- sowie durch fehlerhaftes und flüchtiges Ar- zu komorbiden Störungen (Sprafkin, Ga- tens sechs Monaten beobachtet worden beiten aus. Aufgaben, die Sorgfalt und Aus- dow, Weiss, Schneider & Nolan, 2007). sein. Die Verhaltensprobleme beginnen dauer erfordern, werden häufig wiederholte Zudem nehmen Menschen mit ADHS vor dem siebten Lebensjahr und müssen Male aufgeschoben. Hinzu kommt häufig deutlich häufiger psychosoziale Diens- gemessen am Alter und Entwicklungs- risikoreiches Verhalten sowie ein Hang zu te in Anspruch als unauffällige (Secnik, stand des Kindes deutlich unangemessen raschen und unbedachten Entscheidun- Swensen & Lage, 2005). ADHS geht au- und abweichend sein. Die Merkmale der gen. Auch starke Stimmungsschwankun- ßerdem mit einer geringeren sozialen An- Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität gen, eine geringe Frustrationstoleranz so- passungsfähigkeit einher (Kessler et al., müssen in mehr als nur einem Lebensbe- wie ein geringes Selbstwertgefühl gehen 2006; Fayyad et al., 2007) und die Be- reich registriert werden und darüber hinaus mit der ADHS-Symptomatik einher (Bark- troffenen nehmen seltener angemessene so beschaffen sein, dass sie ein deutliches ley, Murphy & Fischer, 2008). Die offene soziale Rollen ein bzw. besitzen eine ge- Leiden oder eine Beeinträchtigungen der Bewegungsunruhe, die in der Kindheit oft ringere Rollenproduktivität („Days out of sozialen, schulischen oder beruflichen beobachtet wird, ist jedoch meistens einer Role“). Sie sind seltener verheiratet, häufi- Funktionsfähigkeit verursachen. Eine Auf- inneren Unruhe und angespannten Nervo- ger arbeitslos und haben im Durchschnitt merksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstö- sität gewichen. ein geringeres Einkommen. rung ist hingegen auszuschließen, wenn anderweitige klinische Auffälligkeiten wie Häufig kommt es als Folge dieses Ver- Die Beschreibung des Erscheinungsbildes affektive Störungen (ICD-10: F30-F39), haltensstils zu beruflichen und sozialen der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivi- Angststörungen (ICD-10: F39.0-F41), Schwierigkeiten. Probleme am Arbeitsplatz tätsstörung (ADHS) wäre jedoch unvoll- Schizophrenie (ICD-10: F20) oder tief sowie in der Partnerschaft und finanzielle ständig, ließe man die ausgesprochenen greifende Entwicklungsstörungen (ICD-10: Schwierigkeiten stellen sich ein, was die Stärken der Betroffenen außer Acht: Sie F84) vorliegen. soziale Anpassung erschwert. Betroffene sind meist neugierig und Neuem gegen- brechen die Schule, Ausbildung oder das über sehr aufgeschlossen. Zudem entwi- Aufgrund der Tatsache, dass die oben Studium häufig ab und ihr Arbeitsverhält- ckeln sie oft eine beträchtliche Leistungs- genannten Kardinalsymptome der Unauf- nis wird öfter beendet (Weyandt & DuPaul, fähigkeit, gepaart mit Vitalität, Neugier und merksamkeit einerseits und der Hyper- 2006; Barkley, Murphy & Fischer, 2008). Innovationsfähigkeit. aktivität und Impulsivität andererseits un- abhängig voneinander auftreten können, Schätzungsweise bei einem Drittel der ergeben sich drei Subtypen der Störung: Betroffenen liegt neben ADHS noch eine Ein Mischtypus, bei dem sowohl Merkma- weitere psychische Störung vor, wobei Klassifikation und le der Unaufmerksamkeit als auch solche sich die Angaben zur Komorbidität in den Diagnostik der Hyperaktivität und Impulsivität vorlie- verschiedenen Studien jedoch beträcht- gen; ein vorherrschend unaufmerksamer lich unterscheiden (Wilens, Biederman Auch wenn diese von der Fachwelt gefor- Typus, bei dem nur die Merkmale der & Spencer, 2002; Laufkötter, Langguth, dert, liegen noch keine gesonderten Krite- Unaufmerksamkeit erfüllt sind, während Johann, Eichhammer & Hajak, 2005; Ohl- rien für das Vorliegen der Störung im Er- Hyperaktivität/Impulsivität fehlen und zu- meier et al., 2005). Nach den Untersu- wachsenenalter vor (American Psychiatric letzt ein vorwiegend hyperaktiv-impulsiver chungen von Ramsay und Rostain (2007), Assiciation, 2007; Davidson, 2008). Man Typ, bei dem ausschließlich die Merkmale Secnik, Swensen und Lage (2005), Kess- stützt sich deshalb (noch) auf die Diagno- von motorischer Unruhe und Impulsivität ler et al. (2006), Barkley, Murphy und Fi- sekriterien für Kinder und Jugendliche aus anzutreffen sind, nicht aber die der Unauf- scher (2008) sowie von Miller, Nigg und dem DSM-IV-TR (Saß, Wittchen, Zaudig & merksamkeit. Außerdem wird im DSM-IV- Faraone (2007) kann man von den fol- Houben, 2003), die ins Erwachsenenalter TR eine teilremittierte Form der Störung genden Komorbiditäten zwischen ADHS fortgeschrieben werden. Folglich wird die erfasst, bei der die oben genannten Stö- und weiteren psychischen Störungen Störung als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hy- rungsmerkmale nicht zur Gänze vorhan- ausgehen: Major Depression: etwa 9 bis peraktivitätsstörung (ADHS; Nr. 314) be- den sind, aber noch einzelne Symptome 19%, Dysthymia: etwa 5 bis 25%, bipola- zeichnet und anhand folgender Merkmale von Unaufmerksamkeit, Impulsivität und re Störung: etwa 2 bis 19%, Angststörun- erfasst: Charakteristische Verhaltensmerk- Hyperaktivität auszumachen sind. Dies ist gen: etwa 12 bis 16%, Zwangsstörungen: male für Unaufmerksamkeit (etwa: Unauf- besonders bei Jugendlichen und Erwach- etwa 2%, Alkoholmissbrauch: etwa 5 bis merksamkeit gegenüber Details, häufige senen zu finden. 18 Psychotherapeutenjournal 1/2009
G. W. Lauth, H. Raven Die diagnostischen Leitlinien für Erwach- 4. Überprüfung der aktuellen ADHS-Symp- 7. Mögliche organische Ursachen der Stö- sene sehen folgende Vorgehensweise vor tomatik mittels Selbstbeurteilungs- rung (z. B. Hirntumore oder Schilddrü- (Ebert, Krause & Roth-Sackenheim, 2003; fragebogen (z. B. Symptomliste nach senerkrankungen) sind bei Verdacht Lauth & Minsel, in Druck): DSM-IV-TR, Lauth & Minsel, in Druck; anhand einer internistischen oder neuro- ADHS-Selbstbeurteilungsbogen; ADHS- logischen Untersuchung auszuschließen. 1. Ein Screening-Test mit Selbstbeurtei- SB, Stieglitz & Rösler, 2006). Der Frage- 8. Ferner wird ein Interview mit den wich- lungs-Skala für Erwachsene V1.1 (ASRS- bogen führt die Verhaltenssymptome tigen Vertrauenspersonen des Betroffe- V1), der anhand von sechs Items klärt, des DSM-IV-TR für Unaufmerksamkeit nen empfohlen. ob ein Verdacht auf ADHS besteht sowie Hyperaktivität und Impulsivität (WHO, 2003). auf und ermöglicht eine differentialdi- Bei Erwachsenen wird eine Diagnose auf 2. Ein Interview mit dem Betroffenen agnostische Abgrenzung von Subtypen ADHS aber nur dann gestellt, wenn die dia- über seine derzeitige Lebenssituation der Aufmerksamkeitsstörung. gnostischen Kriterien sowohl aktuell erfüllt (z. B. strukturiertes klinisches Interview: 5. Die Feststellung möglicher komorbider sind als auch während der Kindheit erfüllt „Leitfaden: Verhaltensanalyse über die Störungen wie u. a. Depression, Angststö- waren: Die Problematik in der Kindheit wird Verhaltensschwierigkeiten junger Er- rungen, Sucht (z. B. mittels „Young-Adult- entweder durch eine bereits in der Vergan- wachsener mit ADHS“: Lauth & Minsel, Self-Report“, YASR, Achenbach, 1997). genheit erstellte Diagnose oder durch eine in Druck; Wender-Reimherr-Interview, rückblickende Befragung untermauert. 6. Eine testpsychologische Untersuchung, WIR: Rösler, Retz-Junginger, Retz, & die aus einem mehrdimensionalen In- Stieglitz, 2008). Ätiologie telligenztest (z. B. des Wechsler-Intel- 3. Die retrospektive Überprüfung einer ligenztests für Erwachsene; WIE) oder Es herrscht Einvernehmen darüber, dass ADHS in der Kindheit mittels Wender- einem speziellen Aufmerksamkeitstest ADHS bei Erwachsenen durch mangelnde Utah-Rating-Scale. Sie besteht in der (z. B. der Testbatterie zur Aufmerksam- Selbststeuerung zu erklären ist. Die Grün- Kurzform aus 21 Items, die fünfstufig keitsprüfung; TAP) und einem Leis- de dafür werden in einem multifaktoriellen beantwortet werden (WURS-K; Retz- tungsverfahren (z. B. Continuous Per- Bedingungsmodell zusammengefasst. Da- Junginger et al., 2002, 2003). formance Test, CPT) besteht. nach gibt es zwar eine biologische Grund- + 4% 4% $ %&' ! " 4% 4% ( ( 4% # ! ! " #$ %%% & ' ( )* ' + $ ),-.. & / -. '-."-. $0. . & 1'"0230 Psychotherapeutenjournal 1/2009 19
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review. Abbildung 1: Bedingungsmodell ADHS bei Erwachsenen lage, die Störung entwickelt sich aber erst unterliegen. Deshalb plädieren die oben aber jeweils für sich genommen nur ei- unter Beteiligung von sozialen und psycho- genannten Autoren für eine entwicklungs- nen vergleichsweise geringen Anteil der logischen Faktoren zur eigentlichen Störung bezogene Betrachtung der Störung und für Störung erklären (etwa 20% bei moleku- (Sonuga-Barke, 2005; Nigg, Goldsmith & eine sorgsame Gen-Umwelt-Analyse. larbiologischen Untersuchungen: Laucht Sachek, 2004; Thapar, Langley, Asherson et al., 2007; DeYoung et al., 2006). Im & Gill, 2007). Damit wird zugestanden, Allgemeinen werden die folgenden Bedin- Biologische Vulnerabilität dass Entstehung und Verlauf der Störung gungsfaktoren diskutiert: von mehreren Faktoren abhängen und Einzelne biologische Faktoren tragen zwar zugleich einer individuellen Schwankung zum Entstehen von ADHS bei, können 20 Psychotherapeutenjournal 1/2009
G. W. Lauth, H. Raven Mangelnde Aktivierungs- die Frontalhirnregion, teils aber auch auf man et al., 1998; Faraone & Biederman, steuerung die thalamischen und fronto-stratialen Ver- 1998). Dieser „Dopaminmangel“ wirkt bindungen des Gehirns, teilweise treten sich im Wesentlichen auf zwei Wegen aus: Seit Satterfield (1987) steht die These, dass auch ausgeprägte Aktivierungen in solchen Einerseits sinkt die Bereitschaft, auf lang- Menschen mit ADHS kortikal unteraktiviert Hirnregionen auf, die nur am Rande oder fristige Belohnungen zu warten und einen seien. Im Gegenzug wurde aber auch die gar nicht für die gestellte Aufgabe benötigt Belohnungsaufschub hinzunehmen. Statt- These formuliert, sie seien übererregt. Die werden (Smith, Taylor, Brammer, Toone & dessen drängt es die Betroffenen zur so- derzeitigen Befunde belegen, dass beide Rubia, 2006). Die genannten Aktivierungs- fortigen, unmittelbaren Bedürfnisbefriedi- Positionen zu einseitig sind. Denn Personen unterschiede fallen bei Kindern weit deut- gung. Andererseits werden die exekutiven mit ADHS zeichnen sich nicht durch stän- licher aus als bei Erwachsenen, dies lässt Funktionen in Mitleidenschaft gezogen, die dige Unter- oder Überaktivierung aus, son- sich möglicherweise damit erklären, dass im Handlungspläne entwerfen, überwachen dern durch eine unzureichende Steuerung Laufe der Entwicklung kompensatorische und prüfen. Weil es jetzt an der zustän- ihrer Aktivierung (Lauth, Naumann, Roggen- Strategien erlernt wurden. digen Vorausplanung und Kontrolle fehlt, kämper & Heine, 1996; Monastra, Lubar & kommt es nun weit öfter zu einem unbe- Linden, 2001). Solche Aktivierungsmängel Mängel bei der zentralnervösen dachten und risikoreichen Vorgehen. Die- werden auch in bildgebenden Verfahren Reizübertragung ser Erklärungsansatz überschneidet sich nachgewiesen, wenn die Versuchsperso- mit den Konzepten der mangelnden Inhi- nen beispielsweise Konzentrationsaufgaben Es gibt klare Belege für Defizite im dopa- bitionskontrolle, der unzureichenden Effort lösen. Das Frontalhirn ist bei ADHS-Patien- minergen Transmittersystem bei Personen Control und der mangelnden Belohnungs- ten weniger aktiv als bei Kontrollpersonen mit ADHS, was deutliche Auswirkungen wirkung, auf die im Folgenden genauer (Konrad & Gilsbach, 2007). Außerdem auf die Aktivierungssteuerung und Inhibi- eingegangen wird. korreliert die Aktivierung mit ihrer tatsäch- tionskontrolle hat. Ausschlaggebend dafür lichen Leistung. Allerdings findet sich über ist, dass präsynaptisch entweder zu wenig Mängel bei der zentralnervösen die verschiedenen Studien hinweg kein Dopamin bereitgestellt und ausgeschüttet Inhibitionskontrolle stabiles Muster für die mangelnde Aktivie- wird oder dass Dopamin zu rasch wieder rung bei ADHS: Teilweise bezieht sich die resorbiert wird und dadurch zu kurz im Menschen mit ADHS fällt es schwer, unge- mangelnde Aktivierung ausschließlich auf postsynaptischen Spalt verbleibt (Wald- eignete oder voreilige Handlungsimpulse #/1+"&#'0/$6."#.1+% DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR 7+!&#+ HYPNOSE UND HYPNOTHERAPIE e.V.(DGH) HYPNOTHERAPIEWEITERBILDUNG '%$ ! !# für .6$$+1+%/2#.+/0)01+% #1#+03'!()1+%#+'+"#./4!&,),%'# DiplompsychologInnen, ÄrztInnen $ '%$ KONSTANZ und WIESBADEN .6$$+1+%/2#.+/0)01+% Referent: Prof. Dr. Walter BONGARTZ /4!&'/!.1+%#+ #', '+%1.+,10 1+"#)/01+%#+*. #'0/-)05 www.hypnose-kikh.de Beginn des curriculums: Konstanz: 03.10.2009 Wiesbaden: 17.10.2009 ' Kursinformationen/ K.I.K.H. (Klingenberger Institut für .6$$+1+%/2#.+/0)01+% Anmeldung: Klinische Hypnose) !&3')) #.'!&(+++'!&0 ,)'0',+)#..'#.#+'+"#.&#.-'# Färberstr. 3A 78467 Konstanz Fon/Fax: 07531 - 6060350 & ' " bongartz@hypnose-kikh.de .6$$+1+%/2#.+/0)01+% ///06.1+%8'/0."'()#/*"#+(#+#.$,."#.)'!& Zusatzseminar: Archaische Muster der Selbstentwicklung in der Hypnotherapie KN: 18.-20.9.09 W: 1.-3.5.09 " '! .6$$+1+%/2#.+/0)01+% COESFELD /4!&,0&#.-#10'/!+"-/4!&,/,5')# #./,.%1+%2,+'%.+0#+ Referent: Dr. Helga HÜSKEN - JANSSEN www. dgh-hypnose.de '##/1+"&#'0/$6."#.1+%'/0#'+2,+ Beginn des curriculums: COESFELD: 09.10.2009 "#.4#.'/!&#+/4!&,0&#.-#10#+(**#. Kursinformationen/ Westfälisches Institut für ((.#"'0'#.0#.,.0 ')"1+%/2#.+/0)0#. Anmeldung: Hypnose und Hypnotherapie #/1+"&#'0/$6."#.1+%#/#))/!&$0* ,+0/)20/0.//# 9 7+!&#+ Druffelsweg 3 #) 9+"#.//,+'$0"# 48653 Coesfeld Fon: 02541 - 6500 333203,!&#"# 9333'$0%#/1+"&#'0"# HHueskenJanssen@aol.com Psychotherapeutenjournal 1/2009 21
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review. zurückzustellen. Neurobiologisch wird die- weise, dass das Dopamin-Transportergen wenig anleitend und wenig vorausschau- se Unfähigkeit mit Mängeln im zentralner- DAT1 (gemessen in fünf Varianten) auch end begegnet. Meist herrscht ein coersiver vösen Inhibitionssystem begründet, das in nicht näherungsweise ADHS erklären Erziehungsstil vor. Dies führt zwangsläufig den septo-hippokampalen Strukturen und kann: Erst in Verbindung mit widrigen so- zu vermehrtem Misserfolgserleben und deren Verbindung mit dem Frontalhirn ver- zialen Umständen in der Familie werden manchmal zu deutlichen Anpassungsstö- ortet wird. Es hat verschiedene Aufgaben, etwa 40% der Impulsivität und etwa 30% rungen, auf die die soziale Umwelt zuneh- an denen auch andere neuronale Schalt- der Hyperaktivität bei den Jugendlichen mend ablehnend und bestrafend reagiert. kreise beteiligt sind (Quay, 1997; Barkley, durch dieses Gen erklärt. Offensichtlich Daraus eröffnet sich ein Teufelskreis, der 1997a, b). Barkley, Murphy und Fischer wird durch die genetische Ausstattung des die unzureichende Selbststeuerungsfähig- (2008) heben in ihrer Analyse der ADHS DAT1 also eine Vulnerabilität definiert, die keit des Kindes bzw. Heranwachsenden bei Erwachsenen hervor, dass man Perso- im Zusammenspiel mit ungünstigen sozia- aufrechterhält. Längsschnittstudien (Lati- nen mit ADHS und Unauffällige am besten len Umständen zur Störung wird. Neuere mer et al., 2003) mit ADHS-Teenagern anhand der mangelnden Inhibitionskont- Studien bringen weitere Gene ins Spiel, die zeigen, dass die Anpassung des Jugendli- rolle unterscheiden kann – beispielsweise ebenfalls mit den dopaminergen Rezepto- chen (13 -17 Jahre) vom elterlichen Erzie- anhand ihrer leichten Ablenkbarkeit durch ren in Verbindung stehen (Schimmelmann hungsstil (u. a. Kommunikation, elterliche äußere Reize, ihrer impulsiven Entschei- et al., 2006): Darunter Dopaminrezep- Kontrolle, Verhaltenssteuerung durch die dungen, ihrer Schwierigkeiten, die eige- torgen 4, Dopaminrezeptorgen 5 sowie Eltern, Attribuierung) und den schulischen nen Aktivitäten oder das eigene Verhalten das Serotonerge Rezeptorgen HTRTB. Leistungen abhängt (Barkley, Murphy & Fi- zu stoppen oder anhand ihrer Neigung, Aufgrund dieser Genomuntersuchungen scher, 2008). Projekte zu beginnen oder mit Aufgaben wird der Anteil genetischer Faktoren an der anzufangen, ohne die Anweisung gelesen Entstehung der Störung auf 60 bis 80% Unzureichende positive oder sorgfältig zugehört zu haben. Diese geschätzt (Smidt et al., 2003). Dabei wer- Verstärkung Symptome sind nach dem derzeitigen Dis- den eine Reihe von Allelen als mögliche Die Lerntheorie zeigt eindrucksvoll, dass kussionstand auch für die Neuauflage des ätiologische Faktoren für ADHS betrachtet; sich Verhaltensweisen nur dann verfesti- DSM-V als Beschreibungsmerkmale bei Er- insbesondere das DRD4 7-Repeat-Allel gen, wenn sie belohnt werden. Aufgrund wachsenen mit ADHS vorgesehen (Ameri- soll das Risiko für eine ADHS um den Fak- ihres unaufmerksamen und impulsiven can Psychiatric Association, 2007). tor 1,34 erhöhen. Verhaltensstils werden Kinder mit ADHS Als Gründe für diese unzureichende Im- aber eher selten in ihrem Verhalten be- pulskontrolle werden ein unzureichendes stärkt. Häufig überwiegen Bestrafungen, neurokognitives Kontrollsystem (Barkley, Soziale Umwelt was eine Reihe von Folgeproblemen mit 1997b; Quay, 1997), ein unzureichendes sich bringt: Die betroffene Person hat eine Als ungünstige Umweltbedingungen, die negative Verstärkerbilanz und Belohnung neuronales Schaltsystem (z. B. geringe zur Entstehung einer ADHS beitragen, wird zur Ausnahme. Als Folge werden die Vernetzung von Frontalhirn, thalamischen stehen eine mangelnde Anleitung durch Anforderungsbereiche, die mit mangeln- Strukturen, Basalganglien und Nukleus Bezugspersonen, geringe soziale Anreize dem Erfolg verbunden sind, allmählich Caudatus; Sonuga-Barke, 2005) oder ei- sowie eine unzureichende positive Ver- gemieden. Mit der Zeit richtet sich sie be- ne unzureichende Dopaminausschüttung stärkung von regelhaftem Verhalten im troffene Person immer weniger nach den bzw. Dopaminresorbtion (Nieoullon & Vordergrund. Menschen mit ADHS unter- Wünschen und Erwartungen ihrer Bezugs- Coquerel, 2003; Levy & Swanson, 2001) liegen meist langjährigen Misserfolgserfah- personen, weil ihre Handlungen unbelohnt diskutiert. rungen und entsprechenden Zuschreibun- bleiben. Stattdessen setzt sie mehr auf die Genetische Besonderheiten gen. Ihr Verhalten wird überwiegend durch eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Dies Bestrafung in einem sogenannten coersi- fördert die soziale Isolierung und dabei ADHS hat eine genetische Komponente, ven Erziehungsstil gesteuert. Die bisheri- verringert sich die Belohnung durch an- was deutlich an der familiären Häufung gen Studien bescheinigen ihnen deshalb dere noch weiter. Selbstbewusstsein und abzulesen ist. Eltern und Geschwister von einen negativen Attributionsstil sowie eine Kontrollerwartungen verringern sich, weil Kindern mit ADHS haben etwa fünfmal externale Kontrolle (Rucklidge & Tannock, die Erfolge ausbleiben. häufiger solche Probleme als vergleichbare 2001). Verwandte in einer Kontrollpopulation ohne Langjährige Attribuierungs- ADHS (Oord, Boomsma & Verhulst, 1994). Mangelnde Anleitung, geringe prozesse Bei gemeinsam aufwachsenden eineiigen soziale Anreize Zwillingen beträgt die Konkordanzrate 55 Erwachsene mit ADHS erleben sich selbst bis 100% bzw. 50 bis 70% (Eltern- bzw. Erste Gründe für die Entstehung einer meist bereits seit der Grundschulzeit als Lehrerurteil). Allerdings wirken diese ge- ADHS im Kindesalter lassen sich in den schwierig, unangepasst oder nicht alters- netischen Besonderheiten hauptsächlich Anleitungssystemen von Eltern, Erziehern, angemessen in ihrem Handeln. Die bishe- in Interaktion mit sozialen Umständen. Lehrern und Gleichaltrigen finden. Kindern rigen Studien bescheinigen Erwachsenen Laucht et al. (2007) ermitteln beispiels- mit ADHS wird häufig wenig einfühlsam, mit ADHS einen negativen Attributions- 22 Psychotherapeutenjournal 1/2009
G. W. Lauth, H. Raven stil sowie eine externale Kontrolle, bei Die biologische Vulnerabilität hat den Er- vom Vorbild anderer profitieren zu können. der sie weniger auf ihre eigene Fähigkeit werb dieser Fähigkeiten erschwert (z. B. Die Metaanalyse von Hervey, Epstein und als vielmehr auf Hilfe von außen setzen aufgrund der unzureichenden neuronalen Curry (2004) gelangt zu dem Ergebnis, (Rucklidge & Tannock, 2001; Slomkowski, Informationsverarbeitung). dass sich ADHS-Patienten und unauffäl- Klein & Mannuzza, 1995). Für die Bedeu- lige Personen bezüglich der Ausbildung tung der langjährigen Erfahrungen spre- In der Vergangenheit fehlte es an einer an- der exekutiven Funktionen recht zuverläs- chen auch die Ergebnisse von Latimer gemessenen Anleitung und Schulung. sig voneinander unterscheiden. Personen et al. (2003). Sie zeigen in einer Längs- mit ADHS planen weniger gut und über- schnittstudie, dass die Anpassung von Anspruchsvollere Aufgaben, die nicht gut wachen ihre Handlungen weniger präzise. Jugendlichen mit ADHS (13-17 Jahre) beherrscht werden bzw. eher zu Misserfolg Infolgedessen machen sie eher Fehler vom elterlichen Erziehungsstil, u. a. von führten, wurden immer mehr gemieden und brauchen mehr Zeit oder erreichen Kommunikation, elterlicher Kontrolle, Ver- und die dazugehörigen Fähigkeiten nicht weniger gute Gesamtergebnisse. Die Un- haltenssteuerung durch die Eltern, Attribu- geschult. terschiede zwischen unauffälligen Perso- ierung sowie von schulischen Leistungen nen und solchen mit ADHS schwanken abhängt. Beide Bedingungen wirken eng Kompetenzdefizite treten hauptsächlich zwischen einer Effektstärke von 0,12 und zusammen und bestimmen das spätere im Bereich der exekutiven Funktionen, 1,41 (Mittelwert 0,45; etwa 67%). Bark- Ausmaß der ADHS. bei der Planung und Organisation, bei der ley, Murphy und Fischer (2008) zeigen, Steuerung der eigenen Emotionen, in den dass Personen mit ADHS und Unauffällige sozialen und kommunikativen Fähigkeiten anhand ihrer exekutiven Funktionen mit Resultierende Ausführungs- sowie in der Nutzung des Arbeitsgedächt- einer Treffsicherheit von 99% voneinan- fertigkeiten nisses auf. Barkley (1997a, 1999; Barkley, der unterschieden werden können. Aller- Murphy & Fischer, 2008) hat im Rahmen dings sind die exekutiven Funktionen bei Die genannten Umstände und Bedin- seines Hybrid-Modells auf diese Fähigkeits- Personen mit ADHS nicht grundsätzlich gungen bringen Erlebensweisen, Situ- einbußen hingewiesen. Seine Analysen beeinträchtigt. Schwierigkeiten werden erst ationswahrnehmungen, Verhaltensbe- zeigen, dass sowohl bei Kindern als auch mit zunehmender Aufgabenschwierigkeit reitschaften, Motivationsstrukturen und bei Erwachsenen vier Funktionsbereiche sichtbar, wenn also größere Flexibilität, ver- Überzeugungsmuster beim betroffenen beeinträchtigt sind: bale Vermittlung oder Vorausplanung ge- Menschen hervor, die hier als Kompetenz- fordert werden. Viele Forscher verweisen und Performanzdefizite zusammengefasst 1. Das nonverbalen Arbeitsgedächtnis. darauf, dass Kompetenzdefizite durch die werden. 2. Die Fähigkeit, sich mit Selbstanweisun- mangelnde Regulation der eigenen Emo- gen selbst zu lenken. tionen (Barkley, 1997a) sowie durch eine Kompetenzdefizite unzureichende Gedächtnisorganisation 3. Die Selbstregulation von Stimmung, gestützt werden. Im Falle eines Kompetenzdefizits sind die Aktivierung und Motivation. notwendigen Fähigkeiten nicht so sicher 4. Die Fähigkeit zur Rekonstitution. Performanzdefizite und so gut ausgebildet, wie es für den All- tag notwendig wäre. Dafür gibt es gleich Daraus entstehen typische Verhaltenswei- Viele Betroffene beherrschen Verhaltens- mehrere Gründe, die eng zusammenhän- sen wie das Vergessen von Aufgaben, Jäh- weisen wie Planen, Organisieren und gen: zorn, ein schlechtes Zeitgefühl oder nicht Strukturieren sehr wohl, setzen diese Fä- Bayerische Gesellschaft für Verhaltenstherapie, I Institut für Verhaltenstherapie Verhaltensmedizin und Sexuologie e.V. Nettelbeckstr. 14, 90491 Nürnberg V Verhaltensmedizin und www.ivs-nuernberg.de S - staatlich anerkannt - Sexuologie zertifiziert n. ISO 9001:2000 Ergänzungsqualifikation Verhaltenstherapie für Ärzte und Psychologen: 100 Std. in 6 Blöcken v. 18.04.09 - 22.11.09 Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen: Ergänzungsqualifikation für die fachliche Befähigung zur Abrechnung von VT bei Kindern u. Jugendlichen, ca. 200 Std. in 12 Blöcken, Beginn: November 2009 (in Planung) Promotionsstudium in Gesundheitswissenschaften (Dr. sc. hum.) in Koop. mit UMIT (Hall / Österreich) Fachtagung: Psychotherapie nach kritischen Lebensereignissen und Traumatisierungen, 27. Juni 2009 (in Planung) Weitere Angaben zu unseren Fort- und Weiterbildungen finden Sie auf unserer Homepage: www.ivs-nuernberg.de INFOS: Psychotherapeutische Ambulanz des IVS, Nürnberger Str. 22, 90762 Fürth, Tel. 0911-7872727, Fax: 0911-7872729 Psychotherapeutenjournal 1/2009 23
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review. higkeiten jedoch nur selten um. Hierfür thylphenidat (am bekanntesten unter dem wachsenen ADHS-Patienten durchgeführt. gibt es vor allem drei, sich ergänzende Handelsnamen Ritalin®); Noradrenalin- Die ADHS-Symptomatik wurde wiederum Gründe: Wiederaufnahmehemmer (Atomoxetin, von Ärzten erfasst, die die Verbesserung unter dem Handelsnamen Strattera®) und des Patienten im Abschlussinterview mit 1. Motivationale Gründe: Die an sich not- Amphetaminsulfat. Ihre Wirksamkeit beruht dem Patienten einschätzten. Die allgemei- wendige Handlung ist oft anstrengend, auf der Aktivierung zentralnervöser Prozes- ne Anpassung (sozial, familiär, beruflich) erfordert Einsatz und beinhaltet das se. Methylphenidat scheint besonders die wurde mittels Berichten der Patienten Risiko des Scheiterns. Ablenkende Tä- Dopaminaktivität anzuregen. Es ist anzu- bzw. naher Angehörigen erhoben. Aller- tigkeiten werden daher der eigentlichen nehmen, dass Frontalhirn- und Mittelhirn- dings verringerte sich die Symptomatik Aufgabe vorgezogen. regionen (Basalganganglien, limbische Re- auch unter Placebobehandlung, ebenso 2. Mangelnde Vorausplanung: Eine Situa- gion) durch die Medikation besser vernetzt die soziale Anpassung. Insgesamt wurden tion wird nicht ausreichend durchleuch- werden. Beispielsweise zeigen aufmerk- 165 negative Nebenwirkungen – soge- tet und kaum mit den erwartbaren Fol- samkeitsgestörte Kinder unter Medikation nannte Adverse Events – wie Kopfschmer- gen in Verbindung gebracht, was eng in bildgebenden Verfahren eine stärkere zen, verminderter Appetit, Schlaflosigkeit, mit der mangelnden exekutive Kontrol- Durchblutung im frontalen Kortex und in Mundtrockenheit oder Zittrigkeit registriert. le zusammenhängt. den Basalganglien, insbesondere im Stria- tum (Vaidya et al., 1998). Alternativ wird Bei einem größeren Teil der betroffenen 3. Vermeidungslernen: Viele Handlungen auch diskutiert, dass die Medikation die Erwachsenen mit ADHS haben sich aber sind anstrengend und risikoreich. Wenn zentrale Aktivierung und Wachheit besser bereits entwicklungsbedingte Probleme, die Chance besteht, diese Aufgaben auf- „kanalisiert“ und dadurch die Zielbezogen- soziale Anpassungsschwierigkeiten und zuschieben wird das mit dem Anfangen heit steigert, die Wirksamkeit von Beloh- weitere komorbide Störungen eingestellt, einhergehende Unbehagen erst einmal nungshinweisen erhöht, Selbstmotivierung die von der Medikation nicht grundlegend reduziert und ein mögliches Scheitern und exekutive Funktionen optimiert sowie verändert werden. Infolgedessen wird für wird zunächst ausgeschlossen. Es ergibt die Hemmung ungeeigneter Verhaltens- eine kognitiv-verhaltenstherapeutisch ori- sich also ein unmittelbarer Gewinn, eine weisen verbessert (DuPaul, Barkley & Con- entierte, multimodale Behandlung plädiert Art negative Verstärkung für das Aufschie- nor, 1998). (Ramsay & Rostain, 2007; Barkley, Murphy beverhalten. Dies wird zu einer systema- & Fischer, 2008; Lauth & Minsel, in Druck). tischen Strategie, die kurzfristig von Vor- Die bisherigen Wirksamkeitsstudien be- So untersuchten Gualtieri und Johnson teil ist, weil die notwendige Anstrengung legen eine befriedigende Wirkung. So (2008) an 177 Jugendlichen im Alter entfällt und der befürchtete Misserfolg kommen Faraone, Spencer, Aleardi, Paga- von 10 bis 18 Jahren den Einfluss von vermieden wird bzw. ein schlechteres no und Biederman (2004) im Vergleich Medikation (entweder Methylphenidat, Ergebnis durch den beim Aufschieben von sechs Studien, in denen insgesamt Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern entstandenen Zeitdruck erklärbar ist. 140 erwachsene ADHS-Patienten mit oder d-Amphetamine) auf das neuroko- Methylphenidat und 113 mit Placebo im gnitive Funktionsniveau. Sie zeigten, dass Beide Verhaltensmerkmale führen zu All- Doppelblindversuch behandelt worden Jugendliche mit ADHS selbst bei optimal tagsproblemen und weit reichenden An- waren zu dem Schluss, dass die Pharma- eingestellter Medikation noch Beeinträch- passungsstörungen, die die Störung weiter kobehandlung sich mit einer Effektstärke tigungen im Bereich der Reaktionszeit, der stabilisieren (Knouse et al., 2008). In der von 0,9 als wirksam erweist. Besonders kognitiven Flexibilität, gemessen in dem bisherigen Forschung wird vergleichswei- groß ist die Wirksamkeit, wenn höhere Vermögen zwischen zwei Aufgabenstellun- se gut belegt, dass sich die anfängliche Dosierungen zur Verwendung kommen gen zu wechseln und der Daueraufmerk- Verhaltensabweichung durch mangelnde und wenn der Behandlungserfolg durch samkeit im Vergleich zur unauffälligen schulische und berufliche Leistungen, ge- Ärzte beurteilt wurde (Effektstärke: 1,3). Kontrollstichprobe aufweisen. ringe soziale Einbettung und mangelnde In diesen Studien wurde die Wirkung der soziale Unterstützung verfestigt und zur Behandlung ausschließlich in der Reduzie- In der Abwägung zwischen Nutzen und ADHS verdichtet (Latimer et al., 2003; rung der ADHS-Symptomatik und teilwei- Beschränkung der Pharmakotherapie wird Mick et al., 2008; Togersen, Gjervan & Ras- se in der Einschätzung der allgemeinen deshalb in aller Regel eine Kombinati- mussen, 2006). Verbesserung erfasst. In einer neueren onsbehandlung aus Psychotherapie und Untersuchung bestätigen Spencer et al. Medikamenteneinnahme bevorzugt. Die (2007) in einer Doppelblindstudie mit Behandlung soll die Symptome der ADHS Interventionsstrategien Dexmethylphenidate diese Schlussfolge- verringern, den Betroffenen zu einem an- rung: Die Pharmakobehandlung ist einer gemessenen Umgang mit der Störung Psychostimulanzien gelten insbesondere Placebobehandlung überlegen und eine verhelfen, die emotionalen und funktio- im ärztlichen Bereich als erstes Mittel der höhere Dosierung ist wirksamer (Do- nellen Einschränkungen vermindern und Wahl (International Consens Statement sierungsstufen: 20 mg, 30 mg, 40 mg). ein möglichst angemessenes Verhalten im on ADHD, 2002). Am häufigsten werden Diese Studie wurde in insgesamt 18 Be- Alltag herbeiführen. Um das zu erreichen, die folgenden Wirkstoffe eingesetzt: Me- handlungszentren in den USA mit 221 er- werden bevorzugt kognitiv-verhaltensthe- 24 Psychotherapeutenjournal 1/2009
G. W. Lauth, H. Raven rapeutische Maßnahmen in Kombination tes Gruppentraining nach Lauth & Minsel mit Pharmakotherapie eingesetzt. (in Druck) erweitert. Es beruht auf einer umfangreichen Aufarbeitung der differen- tiellen Besonderheiten von Erwachsenen Institut für Integrative Gestalttherapie In den letzten Jahren wurden mehrere psy- Anerkannter Fortbildungsveranstalter chologische Interventionsstudien vorgelegt mit ADHS und umfasst drei eng aufein- Weiterbildung in Gestalttherapie (Wilens et al., 1999; Wiggins, Singh & Getz, ander abgestimmte Behandlungsmaßnah- Informations- und Auswahlseminare 2009 1999; Hesslinger et al., 2002; Stevenson, men: München 26.06.-27.06.2009 Whitmont, Bornholt, Livesey & Stevenson, Freiburg 08.05.-09.05.2009 2002; Stevenson, Stevenson & Whitmont, 1. In einem vorbereitenden Einzelge- Würzburg 15.05.-16.05.2009 Zürich 05.06.-06.06.2009 2003; Safren et al., 2005 a; Safren, Perl- spräch wird die bestehende Problema- man, Sprich & Otto, 2005b; Zylowska et al., tik erörtert. Es wird mit Hilfe des Scree- Fortbildungen: 2006; Solanto, Marks, Mitchell, Wasserstein ningfragebogens ASRS-V1 (WHO, 2003) Systemisches GestaltCoaching - 12-tägige Fort- & Kofman, 2008). Diese Arbeiten weisen und dem Selbstbeurteilungsfragebogen bildung für Berater, Trainer und Therapeuten. auf eine Evidenz für die Wirksamkeit ver- ADHS nach DSM-IV-TR (Lauth & Minsel, Gestalt Kinder- und Jugendlichentherapie – 16-tägige Fortbildung. haltenstherapeutischer Intervention bei Er- in Druck) die bestehende Symptomatik diagnostiziert. Die Kurzform der Wen- Kompakttraining in integrativer Gestalttherapie wachsenen mit ADHS hin. Die ADHS-Sym- vom 09. bis 21.08.2009 in Ellwangen ptomatik verringert sich in den genannten der-Utah-Rating-Scale (WURS-K) wird Untersuchungen mit mittlerer bis hoher für eine retrospektive Betrachtung der Tagung: Gestalt und Politik vom 06.11. bis 08.11.2009 in Würzburg Effektstärke (Cohens d zwischen 0,64 und ADHS-Symptome in der Kindheit hinzu- 2,6). Offensichtlich kann die Kernsympto- gezogen (Retz-Junginger et al., 2002). Anmeldungen und ausführliches Informations- matik der ADHS mittels Verhaltenstherapie Für die Spezifizierung des ADHS-ty- material erhalten Sie von pischen Problemverhaltens wird ein IGW Würzburg erfolgreich behandelt werden. Allerdings Theaterstraße 4 handelt es sich bei den genannten Studi- Fragebogen „Allgemeines Funktions- D-97070 Würzburg en um Prä-Post-Untersuchungen, die nur niveau“ eingesetzt (Lauth & Minsel, in Tel.: 0931/35 44 50, Fax: 0931/35 44 544 E-Mail: Monika.Uhlschmidt@igw-gestalttherapie.de unbehandelte Warte-Kontrollgruppen zum Druck), der das Gelingen von Verhal- Internet: www.igw-gestalttherapie.de Vergleich heranziehen. Die Ergebnisse be- tensweisen in bedeutsamen Alltagssitu- legen also den Therapiefortschritt, ohne ationen (z. B. „wenn viele Dinge gleich- diesen aber mit einer unspezifischen oder zeitig zu tun sind“, „wenn eine Aufgabe Alternativbehandlung verglichen zu haben. pünktlich und wie verabredet erledigt werden soll“, „wenn andere nicht mit Hervorzuheben ist die Studie von Safren et mir übereinstimmen“) erfragt. Um auch :HLWHUELOGXQJVVWXGLHQJlQJH al. (2005a), die die Effektivität einer Kom- komorbide Störungen und weitere Pro- 3V\FKRWKHUDSLH binationsbehandlung aus einem kognitiv- blembereiche wie soziale Anpassungs- behavioralen Therapieprogramms und probleme mit zu erheben, wird der umfassende Fragebogen Young-Adult- Medikation mit einer Kontrollgruppe, die Medikation allein erhielt, vergleicht. Es er- Self-Report (YASR) verwendet. Zudem wird ein umfassendes verhaltensanaly- geben sich für die varianzanalytisch ermit- telten Differenzen zwischen Interventions- tisches Interview durchgeführt. und Kontrollgruppe hohe Effektstärken 2. In einem kognitiv-verhaltenstherapeu- $XVELOGXQJ]XP (d = 1,2 bzw. 1,4) für die Verringerung der tisch orientierten Gruppentraining mit 3V\FKRORJLVFKHQ3V\FKRWKHUDSHXWHQ ADHS-Symptomatik sowie mittlere Effekt- bis zu zehn Teilnehmern werden in 6FKZHUSXQNWH stärken (d = 0,65) für die Verringerung der sechs Sitzungen die notwendigen All- 9HUKDOWHQVWKHUDSLH 7LHIHQSV\FKRORJLVFKIXQGLHUWH komorbiden Depressivität. Diese Ergebnis- tagsfähigkeiten vermittelt. Hierbei geht 3V\FKRWKHUDSLH se sprechen dafür, dass die Kombinations- es besonders um Zielbildung, Selbst- RGHUSV\FKRDQDO\WLVFKEHJUQGHWH 9HUIDKUHQ behandlung aus kognitiver Verhaltensthe- organisation, Zeitplanung und das Aus- rapie und Medikation der Medikation allein bilden und Pflegen sozialer Kontakte. $XVELOGXQJ]XP.LQGHU±XQG überlegen ist. Demzufolge gilt es auf den Die Teilnehmer werden angeleitet, ihre -XJHQGOLFKHQSV\FKRWKHUDSHXWHQ Einzelfall abgestimmte Behandlungskom- Schwierigkeiten eigenständig anzuge- 6FKZHUSXQNW binationen zu finden, die eine spezifische hen und möglichst selbstständig geeig- 9HUKDOWHQVWKHUDSLH ADHS Psychotherapie mit der Verbesse- nete Lösungsstrategien zu finden (sie- %HZHUEXQJXQG%HJLQQDEVRIRUWP|JOLFK rung funktioneller zentralnervöser Leis- he Kasten „Sitzung 2: Anfangen und %HJLQQGHUWKHRUHWLVFKHQ$XVELOGXQJ 2NWREHU tungsvoraussetzungen verbinden. Umsetzen“). Diese Fertigkeiten werden :HLWHUH,QIRUPDWLRQHQ anhand von therapeutischen Hausauf- 3URI'U+6FK|WWNH Die Möglichkeiten der psychotherapeuti- gaben, die zwischen den Sitzungen 7HO KHQQLQJVFKRHWWNH#XQLRVQDEUXHFNGH schen Einflussnahme werden durch ein zu erledigen sind, unmittelbar auf den ZZZSV\FKRWKHUDSLHXQLRVQDEUXHFNGH kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientier- Alltag übertragen. Bei der Umsetzung Psychotherapeutenjournal 1/2009 25
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review. Tabelle 1: Inhalte des Trainings für Erwach- Sitzung 1: Bestandsaufnahme Was soll sich ändern? Was kann so bleiben? Das eigene Belastungsprofil erkennen sene mit ADHS nach Lauth und Minsel (in Genaue Ziele für das Training bestimmen Druck) Wissen über die Störung Ansatzpunkte für Veränderung (Psychoeduka- tion) edukation über das Störungsbild aufgeklärt Sitzung 2: Anfangen und Umsetzen Innere Hemmnisse erkennen und für eine überzeugte Mitarbeit bei der (dysfunktionale innere Dialoge) Den Berg abtragen, Vorhaben umsetzen Behandlung gewonnen werden. Ziel-, Mit- Projekte und Arbeitsvorhaben einteilen tel- und Beziehungstransparenz werden aktiv hergestellt, um Compliance für die Sitzung 3: Gedächtnis, Konzentration und Co. Aufmerksamkeit und Teilleistungsschwäche Gedächtnisleistungen verbessern angestrebte Therapie zu erlangen. In der Komplexe Situationen meistern Therapie sollen angemessene Verhaltens- Inhalte entnehmen/Texte verstehen weisen erlernt werden, die bestehende „Was ich gut kann“ Alltagsschwierigkeiten vermindern und die Sitzung 4: Prioritäten setzen und einteilen Wichtiges und Unwichtiges unterscheiden Ausführungsbereitschaft erhöhen. Zur Re- Zeitfenster im Tagesablauf bilden duzierung der bestehenden Kompetenz- Projekte und Arbeitsvorhaben einteilen Umgang mit Geld defizite werden Fertigkeiten zur Selbststeu- erung, zum Selbstmanagement, bewusste Sitzung 5: Verstehen und verstanden werden Schwierigkeiten beim Kommunizieren: Andere Verstehen Verhaltensbereitschaft („Self Awareness“, Angemessenes Gesprächsverhalten einüben Achtsamkeit) vermittelt. In einigen Trai- (Umschreiben, Informieren, Advance Organizer) ningsprogrammen werden außerdem Die vier Gesprächsmittel kommunikative und soziale Fertigkeiten Sitzung 6: Auffrischungssitzung Analyse der Wochenaufgaben eingeübt. Aufgrund der oben dargestellten Trainingsziele erreicht? Diskrepanz zwischen Kompetenz und Per- Ist-Soll-Vergleich Was war hilfreich? formanz kommt der Umsetzung der in der Was soll fortgeführt werden? Therapie erarbeiteten Inhalte in den Alltag Ausblick: Mein Leben in drei Jahren eine besondere Bedeutung zu. unterstützen sich die TeilnehmerInnen ne Funktionsfähigkeit und erreichen durch im Gruppentraining gegenseitig im das Programm ihre selbst gesetzten Ziele Schlussfolgerung Sinne von „tutoriellen Beziehungen“ (Goal Attainment). In einer katamnesti- (Tandems), die während der ersten schen Befragung zur Zielerreichung gaben Erwachsene mit ADHS gelten als eine be- Gruppensitzung gebildet und sorgfäl- 20 Teilnehmer (12 Männer und 8 Frauen deutsame wiewohl derzeit deutlich unter- tig supervidiert werden. Hausaufgaben im Alter zwischen 22 und 44 Jahren (M = versorgte Patientengruppe, die zunehmen- und Tandems erweisen sich als äußerst 29,9) an, dass sie ihr erstes Ziel zu durch- de Beachtung in der Klinischen Psychologie praktikabel und erfolgsversprechend schnittlich 68,8% (S = 24,9), ihr zweites und Psychotherapie findet. Die derzeitigen hinsichtlich einer Verbesserung der all- Ziel zu 70,6% (S = 30) und ihr drittes Ziel Untersuchungen belegen, dass die Störung gemeinen Funktionsfähigkeit (Global zu 55,4% (S = 37,9) erreicht hatten. Dabei oft verkannt und selten fachgerecht be- Functioning Scale) sowie der Reduktion handelt es sich um weitreichende und all- handelt wird. Wichtige Grundlagen für die der ADHS-Symptomatik (vgl. Lauth & tagsrelevante Ziele, wie beispielsweise das psychotherapeutische Behandlung stellen Minsel, in Druck). Bestehen einer Prüfung, wichtige Renovie- die Alltagsbelastungen und die zumeist 3. In ergänzenden Einzeltherapien kön- rungsarbeiten am Haus oder das Pflegen unzureichende soziale Einbettung der Pa- nen die Kursteilnehmer bei Bedarf ihre von Kontakten im Bekanntenkreis. Dies tienten dar. Daraus ergibt sich als Thera- Schwierigkeiten zusätzlich besprechen. spricht für einen deutlichen Erfolg des Trai- pieziel, dass die Selbststeuerungsfähigkeit Dies ist hauptsächlich bei besonderen nings. Das Training wird fortlaufend weiter der Patienten gestärkt und ihre Alltagsbe- Problemen oder aktuellen Krisen (z. B. erprobt und weitere Ergebnisse werden im währung zu verbessern ist. Die bisherigen Trennung vom Partner, Krankheit) not- Sommer 2009 erwartet. Therapiestudien gehen davon aus, dass wendig. sich bei ADHS um eine langjährige Störung Die bisherigen Interventionsstudien ge- der Selbststeuerung handelt. Dementspre- Das Übungsprogramm wird von den Teil- ben also erste Hinweise darauf, welche chend zielt die Therapie vor allem darauf nehmerInnen geschätzt und bereitwil- Behandlungsmaßnahmen wirksam und ab, dass die Betroffenen kompensatori- lig angenommen. Es erweist sich in der indiziert sind. Auf der Basis eines kognitiv- sche Strategien zum Selbstmanagement Durchführung als äußerst praktikabel. Ein- behavioralen Vorgehens erweisen sich oder zur Selbstregulation lernen, um mit zelfallanalysen zeigen einen moderaten verschiedene Behandlungsmodule als ihrer ADHS-Symptomatik besser und an- Rückgang der erlebten Alltagsbelastung. erfolgsversprechend. Dazu gehört zuerst, gemessener im Alltag umzugehen. Bevor- Die Teilnehmer verbessern ihre allgemei- dass die Patienten im Sinne einer Psycho- zugt werden derzeit kognitiv-verhaltensthe- 26 Psychotherapeutenjournal 1/2009
G. W. Lauth, H. Raven „Anfangen und Umsetzen“ (2. Sitzung) Das Anfangen und Fertigstellen von wichtigen Aufgaben ist bei Erwachsenen Haupt- bestandteil der mit ADHS einhergehenden Alltagsschwierigkeiten. Im Gruppentraining wird erarbeitet, worin diese Schwierigkeiten begründet liegen. Zur Veranschaulichung wird ein Fallbeispiel herangezogen, das den Kreislauf aus Misser- folgserwartungen, Zögern, Zeitdruck und schlechten Ergebnissen beispielhaft veran- schaulicht. Die Teilnehmer beschreiben anschließend, welche Bedingungen bei ihnen Aufschub und Verzögern hervorrufen. Der Schwerpunkt wird in dieser Sitzung auf dysfunktionale innere Dialoge gelegt, das sogenannte „Kino im Kopf“. Die Teilnehmer beschreiben, was sie in einer Situation zu sich sagen, wenn es an das Erledigen einer wichtigen Aufgabe geht. Welche Dialoge führen sie mit sich selbst? Thematisieren sie ihr Scheitern? Heben sie die Anstrengung hervor? Blenden sie die Anforderung aus? Mit welchen konkreten Verhaltensweisen sind diese Selbstaussagen verbunden (z. B. Ablenkung suchen, müde werden). Und schließlich: Wie sind diese Selbstaussagen entstanden? Können sie durch positive Erfahrungen bzw. Stärken gekontert werden? Erfahrungen zeigen, dass sich die Teilnehmer mit diesem Modell der negativen Kogni- tionen und den damit einhergehenden Verhaltensweisen erfolgreich arbeiten können und wichtige Erkenntnisse darüber gewinnen, was sie vom Vollzug abhält bzw. was sie nun unternehmen können, um wirklich anzufangen und die Dinge wie gewünscht umzusetzen. Diese Erkenntnisse werden unmittelbar in alltagsnahe Lösungen umge- Aus dem Englischen übersetzt von Irmela münzt, die die Teilnehmer nun unmittelbar realisieren sollen. Erckenbrecht. 3., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2009. Diese Übung wird durch ein angemessenes Zeitmanagement ergänzt. Alltagsnahe 346 S., 32 farb. Abb., 68 s/w Abb., 1 Tab., Kt Übungen während des Trainings sowie selbst gesetzte Wochenaufgaben zwischen 34.95 / CHF 59.00 ISBN 978-3-456-84647-7 den einzelnen Trainingstagen sollen den Teilnehmern helfen, die erlernten Strategien in den Alltag zu integrieren. rapeutische Interventionen durchgeführt, trollgruppen könnten diese Ergebnisse in die zielbezogen und alltagsnah vorgehen. Zukunft weiter stützen. Die verbreitetste Therapie besteht aber in Das Genogramm ist eine praktische einer Pharmakobehandlung mittels Me- Literatur Methode, Fakten übersichtlich darzu- thylphenidat. Hier werden zumeist mittlere stellen, die in der Anfangsphase einer Achenbach, T. M. (1997). Manual for the bis hohe Effektstärken erreicht. Allerdings Familienberatung zu Tage treten: Young Adult Self-Report and Young zeigt sich auch, dass die Gesamtproblema- Informationen über den Patienten Adult Behavior Checklist. Burlington: und seine Beziehungen zu Verwand- tik selten durch Pharmakotherapie alleine University of Vermont Department of ten der eigenen, vorausgehender oder einzudämmen ist. Deshalb werden Kom- Psychiatry. nachkommender Generationen. binationstherapien gefordert. Auf Seiten American Psychiatric Association. (2007). der psychologischen Forschung fehlt es Externalizing Disorders Research Plan- noch an ausgearbeiteten Interventions- ning Conference. Mexico City, 14.-16. konzepten, an denen sich Anwender und Februar 2007. Verfügbar unter: http:// Therapeuten orientieren könnten. Erste www.psych.org/MainMenu/Research/ Verfahren wurden von Hesslinger, Phi- DSMIV/DSMV/DSMRevisionActivities/ lipsen und Richter (2004), Safren et al. ConferenceSummaries/ExternalizingDis- (2005b) sowie von Lauth und Minsel (in ordersofChildhood.aspx [28.01.2009]. Druck) entwickelt. Deren Manuale richten Barkley, R.A., Murphy, K.R. & Fischer, M. sich speziell an Psychotherapeuten, die (2008). ADHD in adults. What the sci- Therapien in der Einzelsituation (Hesslin- ence says. New York: Guilford Press. " ger, Philipsen & Richter, 2004; Safren et al., Barkley, R.A. (1997a). ADHD and the na- ! 2005b) oder in Gruppen (Lauth & Minsel, ture of self-control. New York: Guilford in Druck) durchführen. Press. Barkley, R.A. (1997b). Behavioral inhibiti- Kontrollierte Evaluationsstudien mit größe- on, sustained attention, and executive ren Stichproben und angemessenen Kon- Psychotherapeutenjournal 1/2009 27
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