Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review.

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Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörun-
gen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review.

Gerhard W. Lauth, Hanna Raven
Universität zu Köln

                                                                                                Momentan finden jedoch nur 9,7% der
 Zusammenfassung: Mit einer Prävalenz von 3 – 4% wird ADHS im Erwachsenenalter
                                                                                                Erwachsen mit ADHS eine fachgerechte
 heute als ernstzunehmende Störung angesehen, die häufig mit weitreichenden Beein-
                                                                                                Behandlung (Fayyad et al., 2007). Insofern
 trächtigungen in vielen Lebensbereichen sowie mit weiteren komorbiden Störungen
                                                                                                stellt die Störung nicht zuletzt wegen ihrer
 einhergeht. Bisher liegen lediglich diagnostische Leitlinien vor, die sich auf die Kriterien
                                                                                                Verbreitung eine neue und weitreichende
 im Kindesalter stützen. Da man von einem bio-psycho-sozialen Bedingungsmodell
                                                                                                Herausforderung für das psychosoziale
 ausgeht, in dem Dysfunktionen im Bereich der Selbststeuerung eine zentrale Rolle
                                                                                                Versorgungssystem dar.
 spielen, werden eigene diagnostische Kriterien für das Erwachsenenalter unter Berück-
 sichtigung dieser Dysfunktionen zunehmend von der Fachwelt gefordert. Kognitiv-ver-
                                                                                                Während der Kindheit sind Jungen im Ver-
 haltenstherapeutische Interventionen, die zielbezogen und alltagsnah auf entstandene
                                                                                                hältnis von 8 : 1 deutlich stärker als Mäd-
 Defizite eingehen haben sich ebenso wie die Pharmakotherapie als effektiv erwiesen.
                                                                                                chen von ADHS betroffen. Mit steigendem
 Die derzeitige Diskussion wird zusammenfassend dargestellt.
                                                                                                Lebensalter ändert sich diese Relation.
                                                                                                Während bei den Jugendlichen die Jungen
Epidemiologie                                    aber häufig fehl behandelt und beispiels-       noch im Verhältnis von etwa 5 : 1 domi-
                                                 weise als Borderline-Störung missverstan-      nieren; besteht bei den Erwachsenen eine
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstö-        den. Beide Störungen weisen in ihrer Er-       Relation von 2 : 1, Männer zu Frauen (Wi-
rungen (ADHS) werden heute als eine ver-         scheinungsweise zwar Überschneidungen          lens, Biederman & Spencer, 2002; Fayyad
breitete und ernst zu nehmende Störung           auf (z. B. Instabilität, mangelnde Verhal-     et al., 2007). Dieser Wandel wird darauf
im Erwachsenenalter gesehen (Sobanski            tenskonsistenz), sind aber differentialdia-    zurückgeführt, dass die Störung bei Mäd-
& Alm, 2004; Torgersen, Gjervan & Ras-           gnostisch deutlich zu unterscheiden, weil      chen während der Kindheit häufig nicht
mussen, 2006). Sie sind bei etwa 3 bis           bei einer Persönlichkeitsstörung „vom Bor-     erkannt wird, weil sie weniger hyperaktiv
6% aller Erwachsenen anzutreffen (Vor-           derline-Typus“ (ICD-10: F60.31) zusätz-        und extravertiert auftreten. Deshalb zeigt
stand der Bundesärztekammer, 2005).              lich Störungen und Unsicherheit bezüglich      sich die Störung oft erst dann, wenn sie
Eine umfassende US-amerikanische Stu-            Selbstbild, Zielen und „inneren Präferen-      es im Erwachsenenalter mit schwierigeren
die (N = 3199; Altersbereich von 18 – 44         zen“ (einschließlich sexueller Präferenzen)    Anforderungen wie Studium, Beruf, oder
Jahren) ermittelte eine Prävalenzrate von        vorliegen. Dementsprechend gibt es zwar        der Versorgung einer eigenen Familie zu
4,4% (Kessler et al., 2006). Auf Basis der       auch gewisse Überschneidungen bei der          tun haben. Gleichzeitig gibt es Hinweise
DSM-IV-Kriterien wird in Deutschland eine        Therapie, die für beide Störungsbereiche       darauf, dass sich die Geschlechter mit zu-
Häufigkeit von 3,1% festgestellt (Stichpro-       indiziert ist (z. B. Motivierung, Ressour-     nehmenden Alter in ihrer Störungssymp-
be 621 Personen; Fayyad et al., 2007).           cenaktivierung, Bewältigung von Alltags-       tomatik unterscheiden (Krause, Gastpar &
Weitere Untersuchungen, die beispiels-           anforderungen), aber auch deutliche            Davids, 2006): Männer weisen eher Sub-
weise an Fahrschülern oder Studierenden          Unterschiede (z. B. Behandlung von Bor-        stanzmittelmissbrauch auf, während für
durchgeführt wurden (Weyandt & DuPaul,           derline-Störung mittels dialektisch Behavi-    Frauen ein leicht höheres Risiko für zusätz-
2006; Heiligenstein, Conyers, Berns &            oraler Therapie nach Linehan, 1996a, b;        liche Ängste und Depression besteht (Res-
Smith, 1998; DuPaul et al., 2001), bestäti-      Transference Focused Psychotherapy nach        nick, 2000). Frauen und Männer sind sich
gen diese Daten (Prävalenzraten zwischen         Clarkin, Yeomans und Kernberg, 1999).          in ihren beruflichen, leistungsbezogenen
1 und 4%). Diesen Prävalezangaben zu             Vom Standpunkt der einschlägigen ADHS          und sozialen Schwierigkeiten zwar generell
Folge gibt es in Deutschland etwa eine Mil-      Therapie können beide Störungen bei der        sehr ähnlich, allerdings zeigen sich tenden-
lion behandlungsbedürftiger Erwachsener          Behandlung nicht „über einen Kamm ge-          ziell eher „weibliche“ bzw. eher „männli-
mit ADHS. Zurzeit wird deren Problematik         schoren werden“.                               che“ Lebensformen: Frauen mit ADHS sind

Psychotherapeutenjournal 1/2009                                                                                                         17
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review.

häufiger allein erziehend, Männer leben oft    18%, Cannabisabhängigkeit/-missbrauch:          Sorgfaltsfehler, geringe Ausdauer), Über-
auch im mittleren Erwachsenenalter noch       etwa 14%, anderer Drogenmissbrauch:             aktivität (etwa: fuchtelt mit Händen und
bei ihren Eltern.                             etwa 5%, Asthma bzw. chronische Erkran-         Füßen herum, läuft in unpassenden Situ-
                                              kungen: etwa 5%, gestörtes Sozialver-           ationen herum) und Impulsivität (etwa:
Erwachsene mit ADHS zeichnen sich vor         halten/geringe Selbstbeherrschung: etwa         platzt häufig mit der Antwort heraus, kann
allem durch Vergesslichkeit, unzureichende    20%. Personen mit einem gemischten              nicht warten, bis er/sie an der Reihe ist,
Aufmerksamkeit, mangelnde Konzentrati-        Typus (Hyperaktivität/Impulsivität und          stört und unterbricht andere häufig). Diese
on, hohe Ablenkbarkeit, geringe Ausdauer      Unaufmerksamkeit) neigen am ehestes             Verhaltensmerkmale müssen seit mindes-
sowie durch fehlerhaftes und flüchtiges Ar-    zu komorbiden Störungen (Sprafkin, Ga-          tens sechs Monaten beobachtet worden
beiten aus. Aufgaben, die Sorgfalt und Aus-   dow, Weiss, Schneider & Nolan, 2007).           sein. Die Verhaltensprobleme beginnen
dauer erfordern, werden häufig wiederholte     Zudem nehmen Menschen mit ADHS                  vor dem siebten Lebensjahr und müssen
Male aufgeschoben. Hinzu kommt häufig          deutlich häufiger psychosoziale Diens-           gemessen am Alter und Entwicklungs-
risikoreiches Verhalten sowie ein Hang zu     te in Anspruch als unauffällige (Secnik,        stand des Kindes deutlich unangemessen
raschen und unbedachten Entscheidun-          Swensen & Lage, 2005). ADHS geht au-            und abweichend sein. Die Merkmale der
gen. Auch starke Stimmungsschwankun-          ßerdem mit einer geringeren sozialen An-        Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität
gen, eine geringe Frustrationstoleranz so-    passungsfähigkeit einher (Kessler et al.,       müssen in mehr als nur einem Lebensbe-
wie ein geringes Selbstwertgefühl gehen       2006; Fayyad et al., 2007) und die Be-          reich registriert werden und darüber hinaus
mit der ADHS-Symptomatik einher (Bark-        troffenen nehmen seltener angemessene           so beschaffen sein, dass sie ein deutliches
ley, Murphy & Fischer, 2008). Die offene      soziale Rollen ein bzw. besitzen eine ge-       Leiden oder eine Beeinträchtigungen der
Bewegungsunruhe, die in der Kindheit oft      ringere Rollenproduktivität („Days out of       sozialen, schulischen oder beruflichen
beobachtet wird, ist jedoch meistens einer    Role“). Sie sind seltener verheiratet, häufi-    Funktionsfähigkeit verursachen. Eine Auf-
inneren Unruhe und angespannten Nervo-        ger arbeitslos und haben im Durchschnitt        merksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstö-
sität gewichen.                               ein geringeres Einkommen.                       rung ist hingegen auszuschließen, wenn
                                                                                              anderweitige klinische Auffälligkeiten wie
Häufig kommt es als Folge dieses Ver-          Die Beschreibung des Erscheinungsbildes         affektive Störungen (ICD-10: F30-F39),
haltensstils zu beruflichen und sozialen       der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivi-         Angststörungen (ICD-10: F39.0-F41),
Schwierigkeiten. Probleme am Arbeitsplatz     tätsstörung (ADHS) wäre jedoch unvoll-          Schizophrenie (ICD-10: F20) oder tief
sowie in der Partnerschaft und finanzielle     ständig, ließe man die ausgesprochenen          greifende Entwicklungsstörungen (ICD-10:
Schwierigkeiten stellen sich ein, was die     Stärken der Betroffenen außer Acht: Sie         F84) vorliegen.
soziale Anpassung erschwert. Betroffene       sind meist neugierig und Neuem gegen-
brechen die Schule, Ausbildung oder das       über sehr aufgeschlossen. Zudem entwi-          Aufgrund der Tatsache, dass die oben
Studium häufig ab und ihr Arbeitsverhält-      ckeln sie oft eine beträchtliche Leistungs-     genannten Kardinalsymptome der Unauf-
nis wird öfter beendet (Weyandt & DuPaul,     fähigkeit, gepaart mit Vitalität, Neugier und   merksamkeit einerseits und der Hyper-
2006; Barkley, Murphy & Fischer, 2008).       Innovationsfähigkeit.                           aktivität und Impulsivität andererseits un-
                                                                                              abhängig voneinander auftreten können,
Schätzungsweise bei einem Drittel der                                                         ergeben sich drei Subtypen der Störung:
Betroffenen liegt neben ADHS noch eine                                                        Ein Mischtypus, bei dem sowohl Merkma-
weitere psychische Störung vor, wobei         Klassifikation und                               le der Unaufmerksamkeit als auch solche
sich die Angaben zur Komorbidität in den      Diagnostik                                      der Hyperaktivität und Impulsivität vorlie-
verschiedenen Studien jedoch beträcht-                                                        gen; ein vorherrschend unaufmerksamer
lich unterscheiden (Wilens, Biederman         Auch wenn diese von der Fachwelt gefor-         Typus, bei dem nur die Merkmale der
& Spencer, 2002; Laufkötter, Langguth,        dert, liegen noch keine gesonderten Krite-      Unaufmerksamkeit erfüllt sind, während
Johann, Eichhammer & Hajak, 2005; Ohl-        rien für das Vorliegen der Störung im Er-       Hyperaktivität/Impulsivität fehlen und zu-
meier et al., 2005). Nach den Untersu-        wachsenenalter vor (American Psychiatric        letzt ein vorwiegend hyperaktiv-impulsiver
chungen von Ramsay und Rostain (2007),        Assiciation, 2007; Davidson, 2008). Man         Typ, bei dem ausschließlich die Merkmale
Secnik, Swensen und Lage (2005), Kess-        stützt sich deshalb (noch) auf die Diagno-      von motorischer Unruhe und Impulsivität
ler et al. (2006), Barkley, Murphy und Fi-    sekriterien für Kinder und Jugendliche aus      anzutreffen sind, nicht aber die der Unauf-
scher (2008) sowie von Miller, Nigg und       dem DSM-IV-TR (Saß, Wittchen, Zaudig &          merksamkeit. Außerdem wird im DSM-IV-
Faraone (2007) kann man von den fol-          Houben, 2003), die ins Erwachsenenalter         TR eine teilremittierte Form der Störung
genden Komorbiditäten zwischen ADHS           fortgeschrieben werden. Folglich wird die       erfasst, bei der die oben genannten Stö-
und weiteren psychischen Störungen            Störung als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hy-          rungsmerkmale nicht zur Gänze vorhan-
ausgehen: Major Depression: etwa 9 bis        peraktivitätsstörung (ADHS; Nr. 314) be-        den sind, aber noch einzelne Symptome
19%, Dysthymia: etwa 5 bis 25%, bipola-       zeichnet und anhand folgender Merkmale          von Unaufmerksamkeit, Impulsivität und
re Störung: etwa 2 bis 19%, Angststörun-      erfasst: Charakteristische Verhaltensmerk-      Hyperaktivität auszumachen sind. Dies ist
gen: etwa 12 bis 16%, Zwangsstörungen:        male für Unaufmerksamkeit (etwa: Unauf-         besonders bei Jugendlichen und Erwach-
etwa 2%, Alkoholmissbrauch: etwa 5 bis        merksamkeit gegenüber Details, häufige           senen zu finden.

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G. W. Lauth, H. Raven

Die diagnostischen Leitlinien für Erwach-        4. Überprüfung der aktuellen ADHS-Symp-                 7. Mögliche organische Ursachen der Stö-
sene sehen folgende Vorgehensweise vor              tomatik mittels Selbstbeurteilungs-                     rung (z. B. Hirntumore oder Schilddrü-
(Ebert, Krause & Roth-Sackenheim, 2003;             fragebogen (z. B. Symptomliste nach                     senerkrankungen) sind bei Verdacht
Lauth & Minsel, in Druck):                          DSM-IV-TR, Lauth & Minsel, in Druck;                    anhand einer internistischen oder neuro-
                                                    ADHS-Selbstbeurteilungsbogen; ADHS-                     logischen Untersuchung auszuschließen.
1. Ein Screening-Test mit Selbstbeurtei-            SB, Stieglitz & Rösler, 2006). Der Frage-            8. Ferner wird ein Interview mit den wich-
   lungs-Skala für Erwachsene V1.1 (ASRS-           bogen führt die Verhaltenssymptome                      tigen Vertrauenspersonen des Betroffe-
   V1), der anhand von sechs Items klärt,           des DSM-IV-TR für Unaufmerksamkeit                      nen empfohlen.
   ob ein Verdacht auf ADHS besteht                 sowie Hyperaktivität und Impulsivität
   (WHO, 2003).                                     auf und ermöglicht eine differentialdi-              Bei Erwachsenen wird eine Diagnose auf
2. Ein Interview mit dem Betroffenen                agnostische Abgrenzung von Subtypen                  ADHS aber nur dann gestellt, wenn die dia-
   über seine derzeitige Lebenssituation            der Aufmerksamkeitsstörung.                          gnostischen Kriterien sowohl aktuell erfüllt
   (z. B. strukturiertes klinisches Interview:   5. Die Feststellung möglicher komorbider                sind als auch während der Kindheit erfüllt
   „Leitfaden: Verhaltensanalyse über die           Störungen wie u. a. Depression, Angststö-            waren: Die Problematik in der Kindheit wird
   Verhaltensschwierigkeiten junger Er-             rungen, Sucht (z. B. mittels „Young-Adult-           entweder durch eine bereits in der Vergan-
   wachsener mit ADHS“: Lauth & Minsel,             Self-Report“, YASR, Achenbach, 1997).                genheit erstellte Diagnose oder durch eine
   in Druck; Wender-Reimherr-Interview,                                                                  rückblickende Befragung untermauert.
                                                 6. Eine testpsychologische Untersuchung,
   WIR: Rösler, Retz-Junginger, Retz, &             die aus einem mehrdimensionalen In-
   Stieglitz, 2008).                                                                                     Ätiologie
                                                    telligenztest (z. B. des Wechsler-Intel-
3. Die retrospektive Überprüfung einer              ligenztests für Erwachsene; WIE) oder                Es herrscht Einvernehmen darüber, dass
   ADHS in der Kindheit mittels Wender-             einem speziellen Aufmerksamkeitstest                 ADHS bei Erwachsenen durch mangelnde
   Utah-Rating-Scale. Sie besteht in der            (z. B. der Testbatterie zur Aufmerksam-              Selbststeuerung zu erklären ist. Die Grün-
   Kurzform aus 21 Items, die fünfstufig             keitsprüfung; TAP) und einem Leis-                   de dafür werden in einem multifaktoriellen
   beantwortet werden (WURS-K; Retz-                tungsverfahren (z. B. Continuous Per-                Bedingungsmodell zusammengefasst. Da-
   Junginger et al., 2002, 2003).                   formance Test, CPT) besteht.                         nach gibt es zwar eine biologische Grund-

                                                                                                                                  
                                                                                                 

                                                                                     
                                                                                  
                                                                                    
                                                                                +

                                                                                                 
                                                                                                 

                                                                                        4% 
                                                                                  

                                                                                                                              4% 
                                                                                      $  %&'             ! "   

                                                                                  4%                                          4% 
                                                                                 (  (                      

                                                                                                               4% 
                                                                                                     # !

                                                                                                                           !
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                                                                                                    ' (     )*   
                                                                                        ' +     $    ),-.. &   /  -.
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Psychotherapeutenjournal 1/2009                                                                                                                                    19
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review.

Abbildung 1: Bedingungsmodell ADHS bei Erwachsenen

lage, die Störung entwickelt sich aber erst   unterliegen. Deshalb plädieren die oben     aber jeweils für sich genommen nur ei-
unter Beteiligung von sozialen und psycho-    genannten Autoren für eine entwicklungs-    nen vergleichsweise geringen Anteil der
logischen Faktoren zur eigentlichen Störung   bezogene Betrachtung der Störung und für    Störung erklären (etwa 20% bei moleku-
(Sonuga-Barke, 2005; Nigg, Goldsmith &        eine sorgsame Gen-Umwelt-Analyse.           larbiologischen Untersuchungen: Laucht
Sachek, 2004; Thapar, Langley, Asherson                                                   et al., 2007; DeYoung et al., 2006). Im
& Gill, 2007). Damit wird zugestanden,                                                    Allgemeinen werden die folgenden Bedin-
                                              Biologische Vulnerabilität
dass Entstehung und Verlauf der Störung                                                   gungsfaktoren diskutiert:
von mehreren Faktoren abhängen und            Einzelne biologische Faktoren tragen zwar
zugleich einer individuellen Schwankung       zum Entstehen von ADHS bei, können

20                                                                                                    Psychotherapeutenjournal 1/2009
G. W. Lauth, H. Raven

Mangelnde Aktivierungs-                         die Frontalhirnregion, teils aber auch auf                              man et al., 1998; Faraone & Biederman,
steuerung                                       die thalamischen und fronto-stratialen Ver-                             1998). Dieser „Dopaminmangel“ wirkt
                                                bindungen des Gehirns, teilweise treten                                 sich im Wesentlichen auf zwei Wegen aus:
Seit Satterfield (1987) steht die These, dass
                                                auch ausgeprägte Aktivierungen in solchen                               Einerseits sinkt die Bereitschaft, auf lang-
Menschen mit ADHS kortikal unteraktiviert
                                                Hirnregionen auf, die nur am Rande oder                                 fristige Belohnungen zu warten und einen
seien. Im Gegenzug wurde aber auch die
                                                gar nicht für die gestellte Aufgabe benötigt                            Belohnungsaufschub hinzunehmen. Statt-
These formuliert, sie seien übererregt. Die
                                                werden (Smith, Taylor, Brammer, Toone &                                 dessen drängt es die Betroffenen zur so-
derzeitigen Befunde belegen, dass beide
                                                Rubia, 2006). Die genannten Aktivierungs-                               fortigen, unmittelbaren Bedürfnisbefriedi-
Positionen zu einseitig sind. Denn Personen
                                                unterschiede fallen bei Kindern weit deut-                              gung. Andererseits werden die exekutiven
mit ADHS zeichnen sich nicht durch stän-
                                                licher aus als bei Erwachsenen, dies lässt                              Funktionen in Mitleidenschaft gezogen, die
dige Unter- oder Überaktivierung aus, son-
                                                sich möglicherweise damit erklären, dass im                             Handlungspläne entwerfen, überwachen
dern durch eine unzureichende Steuerung
                                                Laufe der Entwicklung kompensatorische                                  und prüfen. Weil es jetzt an der zustän-
ihrer Aktivierung (Lauth, Naumann, Roggen-
                                                Strategien erlernt wurden.                                              digen Vorausplanung und Kontrolle fehlt,
kämper & Heine, 1996; Monastra, Lubar &
                                                                                                                        kommt es nun weit öfter zu einem unbe-
Linden, 2001). Solche Aktivierungsmängel
                                                Mängel bei der zentralnervösen                                          dachten und risikoreichen Vorgehen. Die-
werden auch in bildgebenden Verfahren
                                                Reizübertragung                                                         ser Erklärungsansatz überschneidet sich
nachgewiesen, wenn die Versuchsperso-
                                                                                                                        mit den Konzepten der mangelnden Inhi-
nen beispielsweise Konzentrationsaufgaben       Es gibt klare Belege für Defizite im dopa-
                                                                                                                        bitionskontrolle, der unzureichenden Effort
lösen. Das Frontalhirn ist bei ADHS-Patien-     minergen Transmittersystem bei Personen
                                                                                                                        Control und der mangelnden Belohnungs-
ten weniger aktiv als bei Kontrollpersonen      mit ADHS, was deutliche Auswirkungen
                                                                                                                        wirkung, auf die im Folgenden genauer
(Konrad & Gilsbach, 2007). Außerdem             auf die Aktivierungssteuerung und Inhibi-
                                                                                                                        eingegangen wird.
korreliert die Aktivierung mit ihrer tatsäch-   tionskontrolle hat. Ausschlaggebend dafür
lichen Leistung. Allerdings findet sich über     ist, dass präsynaptisch entweder zu wenig
                                                                                                                        Mängel bei der zentralnervösen
die verschiedenen Studien hinweg kein           Dopamin bereitgestellt und ausgeschüttet
                                                                                                                        Inhibitionskontrolle
stabiles Muster für die mangelnde Aktivie-      wird oder dass Dopamin zu rasch wieder
rung bei ADHS: Teilweise bezieht sich die       resorbiert wird und dadurch zu kurz im                                  Menschen mit ADHS fällt es schwer, unge-
mangelnde Aktivierung ausschließlich auf        postsynaptischen Spalt verbleibt (Wald-                                 eignete oder voreilige Handlungsimpulse

                                                                                                                         #/1+"&#'0/$6."#.1+%
 DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR                                                                                               7+!&#+
 HYPNOSE UND HYPNOTHERAPIE e.V.(DGH)

             HYPNOTHERAPIEWEITERBILDUNG                                                                                  
                                                                                                                         '%$
                                                                                         ! !#

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                                                                                                                         #1#+03'!()1+%#+'+"#./4!&,),%'#
              DiplompsychologInnen, ÄrztInnen
                                                                                                                         $
                                                                                                                         '%$
               KONSTANZ und WIESBADEN                                                                                    .6$$+1+%/2#.+/0)01+%
 Referent:               Prof. Dr. Walter BONGARTZ                                                                       /4!&'/!&#06.1+%#+ #', '+%1.+,10
                                                                                                                         1+"#)/01+%#+*. #'0/-)05
                         www.hypnose-kikh.de
 Beginn des curriculums: Konstanz: 03.10.2009
                                                                                                                            
                         Wiesbaden: 17.10.2009                                                                           '
 Kursinformationen/      K.I.K.H. (Klingenberger Institut für                                                            .6$$+1+%/2#.+/0)01+%
 Anmeldung:              Klinische Hypnose)                                                                              !&3')) #.'!&(+++'!&0 
                                                                                                                         ,)'0',+)#..'#.#+'+"#.&#.-'#
                         Färberstr. 3A
                         78467 Konstanz
                         Fon/Fax: 07531 - 6060350
                                                                                                                          &
                                                                                                                          ' "
                         bongartz@hypnose-kikh.de                                                                        .6$$+1+%/2#.+/0)01+%
                                                                                                                         ///06.1+%8'/0."'()#/*"#+(#+#.$,."#.)'!&
 Zusatzseminar: Archaische Muster der Selbstentwicklung in der
 Hypnotherapie KN: 18.-20.9.09 W: 1.-3.5.09                                                                               "
                                                                                                                         '!
                                                                                                                         .6$$+1+%/2#.+/0)01+%
                           COESFELD                                                                                      /4!&,0&#.-#10'/!&#1+"-/4!&,/,5')#
                                                                                                                         #./,.%1+%2,+'%.+0#+
 Referent:               Dr. Helga HÜSKEN - JANSSEN
                         www. dgh-hypnose.de
                                                                                                                         '##/1+"&#'0/$6."#.1+%'/0#'+2,+
 Beginn des curriculums: COESFELD: 09.10.2009                                                                            "#.4#.'/!&#+/4!&,0&#.-#10#+(**#.
 Kursinformationen/      Westfälisches Institut für                                                                      ((.#"'0'#.0#.,.0 ')"1+%/2#.+/0)0#.
 Anmeldung:              Hypnose und Hypnotherapie                                                                       #/1+"&#'0/$6."#.1+%#/#))/!&$0* 
                                                                                                                         ,+0/)20/0.//# 9   7+!&#+
                         Druffelsweg 3                                                                                   #)      9+"#.//,+'$0"#
                         48653 Coesfeld Fon: 02541 - 6500                                                                333203,!&#"# 9333'$0%#/1+"&#'0"#
                         HHueskenJanssen@aol.com

Psychotherapeutenjournal 1/2009                                                                                                                                              21
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review.

zurückzustellen. Neurobiologisch wird die-    weise, dass das Dopamin-Transportergen        wenig anleitend und wenig vorausschau-
se Unfähigkeit mit Mängeln im zentralner-     DAT1 (gemessen in fünf Varianten) auch        end begegnet. Meist herrscht ein coersiver
vösen Inhibitionssystem begründet, das in     nicht näherungsweise ADHS erklären            Erziehungsstil vor. Dies führt zwangsläufig
den septo-hippokampalen Strukturen und        kann: Erst in Verbindung mit widrigen so-     zu vermehrtem Misserfolgserleben und
deren Verbindung mit dem Frontalhirn ver-     zialen Umständen in der Familie werden        manchmal zu deutlichen Anpassungsstö-
ortet wird. Es hat verschiedene Aufgaben,     etwa 40% der Impulsivität und etwa 30%        rungen, auf die die soziale Umwelt zuneh-
an denen auch andere neuronale Schalt-        der Hyperaktivität bei den Jugendlichen       mend ablehnend und bestrafend reagiert.
kreise beteiligt sind (Quay, 1997; Barkley,   durch dieses Gen erklärt. Offensichtlich      Daraus eröffnet sich ein Teufelskreis, der
1997a, b). Barkley, Murphy und Fischer        wird durch die genetische Ausstattung des     die unzureichende Selbststeuerungsfähig-
(2008) heben in ihrer Analyse der ADHS        DAT1 also eine Vulnerabilität definiert, die   keit des Kindes bzw. Heranwachsenden
bei Erwachsenen hervor, dass man Perso-       im Zusammenspiel mit ungünstigen sozia-       aufrechterhält. Längsschnittstudien (Lati-
nen mit ADHS und Unauffällige am besten       len Umständen zur Störung wird. Neuere        mer et al., 2003) mit ADHS-Teenagern
anhand der mangelnden Inhibitionskont-        Studien bringen weitere Gene ins Spiel, die   zeigen, dass die Anpassung des Jugendli-
rolle unterscheiden kann – beispielsweise     ebenfalls mit den dopaminergen Rezepto-       chen (13 -17 Jahre) vom elterlichen Erzie-
anhand ihrer leichten Ablenkbarkeit durch     ren in Verbindung stehen (Schimmelmann        hungsstil (u. a. Kommunikation, elterliche
äußere Reize, ihrer impulsiven Entschei-      et al., 2006): Darunter Dopaminrezep-         Kontrolle, Verhaltenssteuerung durch die
dungen, ihrer Schwierigkeiten, die eige-      torgen 4, Dopaminrezeptorgen 5 sowie          Eltern, Attribuierung) und den schulischen
nen Aktivitäten oder das eigene Verhalten     das Serotonerge Rezeptorgen HTRTB.            Leistungen abhängt (Barkley, Murphy & Fi-
zu stoppen oder anhand ihrer Neigung,         Aufgrund dieser Genomuntersuchungen           scher, 2008).
Projekte zu beginnen oder mit Aufgaben        wird der Anteil genetischer Faktoren an der
anzufangen, ohne die Anweisung gelesen        Entstehung der Störung auf 60 bis 80%         Unzureichende positive
oder sorgfältig zugehört zu haben. Diese      geschätzt (Smidt et al., 2003). Dabei wer-    Verstärkung
Symptome sind nach dem derzeitigen Dis-       den eine Reihe von Allelen als mögliche
                                                                                            Die Lerntheorie zeigt eindrucksvoll, dass
kussionstand auch für die Neuauflage des       ätiologische Faktoren für ADHS betrachtet;
                                                                                            sich Verhaltensweisen nur dann verfesti-
DSM-V als Beschreibungsmerkmale bei Er-       insbesondere das DRD4 7-Repeat-Allel
                                                                                            gen, wenn sie belohnt werden. Aufgrund
wachsenen mit ADHS vorgesehen (Ameri-         soll das Risiko für eine ADHS um den Fak-
                                                                                            ihres unaufmerksamen und impulsiven
can Psychiatric Association, 2007).           tor 1,34 erhöhen.
                                                                                            Verhaltensstils werden Kinder mit ADHS
Als Gründe für diese unzureichende Im-                                                      aber eher selten in ihrem Verhalten be-
pulskontrolle werden ein unzureichendes                                                     stärkt. Häufig überwiegen Bestrafungen,
neurokognitives Kontrollsystem (Barkley,
                                              Soziale Umwelt                                was eine Reihe von Folgeproblemen mit
1997b; Quay, 1997), ein unzureichendes                                                      sich bringt: Die betroffene Person hat eine
                                              Als ungünstige Umweltbedingungen, die         negative Verstärkerbilanz und Belohnung
neuronales Schaltsystem (z. B. geringe
                                              zur Entstehung einer ADHS beitragen,          wird zur Ausnahme. Als Folge werden die
Vernetzung von Frontalhirn, thalamischen
                                              stehen eine mangelnde Anleitung durch         Anforderungsbereiche, die mit mangeln-
Strukturen, Basalganglien und Nukleus
                                              Bezugspersonen, geringe soziale Anreize       dem Erfolg verbunden sind, allmählich
Caudatus; Sonuga-Barke, 2005) oder ei-
                                              sowie eine unzureichende positive Ver-        gemieden. Mit der Zeit richtet sich sie be-
ne unzureichende Dopaminausschüttung
                                              stärkung von regelhaftem Verhalten im         troffene Person immer weniger nach den
bzw. Dopaminresorbtion (Nieoullon &
                                              Vordergrund. Menschen mit ADHS unter-         Wünschen und Erwartungen ihrer Bezugs-
Coquerel, 2003; Levy & Swanson, 2001)
                                              liegen meist langjährigen Misserfolgserfah-   personen, weil ihre Handlungen unbelohnt
diskutiert.
                                              rungen und entsprechenden Zuschreibun-        bleiben. Stattdessen setzt sie mehr auf die
Genetische Besonderheiten                     gen. Ihr Verhalten wird überwiegend durch     eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Dies
                                              Bestrafung in einem sogenannten coersi-       fördert die soziale Isolierung und dabei
ADHS hat eine genetische Komponente,          ven Erziehungsstil gesteuert. Die bisheri-    verringert sich die Belohnung durch an-
was deutlich an der familiären Häufung        gen Studien bescheinigen ihnen deshalb        dere noch weiter. Selbstbewusstsein und
abzulesen ist. Eltern und Geschwister von     einen negativen Attributionsstil sowie eine   Kontrollerwartungen verringern sich, weil
Kindern mit ADHS haben etwa fünfmal           externale Kontrolle (Rucklidge & Tannock,     die Erfolge ausbleiben.
häufiger solche Probleme als vergleichbare     2001).
Verwandte in einer Kontrollpopulation ohne
                                                                                            Langjährige Attribuierungs-
ADHS (Oord, Boomsma & Verhulst, 1994).        Mangelnde Anleitung, geringe                  prozesse
Bei gemeinsam aufwachsenden eineiigen         soziale Anreize
Zwillingen beträgt die Konkordanzrate 55                                                    Erwachsene mit ADHS erleben sich selbst
bis 100% bzw. 50 bis 70% (Eltern- bzw.        Erste Gründe für die Entstehung einer         meist bereits seit der Grundschulzeit als
Lehrerurteil). Allerdings wirken diese ge-    ADHS im Kindesalter lassen sich in den        schwierig, unangepasst oder nicht alters-
netischen Besonderheiten hauptsächlich        Anleitungssystemen von Eltern, Erziehern,     angemessen in ihrem Handeln. Die bishe-
in Interaktion mit sozialen Umständen.        Lehrern und Gleichaltrigen finden. Kindern     rigen Studien bescheinigen Erwachsenen
Laucht et al. (2007) ermitteln beispiels-     mit ADHS wird häufig wenig einfühlsam,         mit ADHS einen negativen Attributions-

22                                                                                                       Psychotherapeutenjournal 1/2009
G. W. Lauth, H. Raven

stil sowie eine externale Kontrolle, bei      Die biologische Vulnerabilität hat den Er-     vom Vorbild anderer profitieren zu können.
der sie weniger auf ihre eigene Fähigkeit     werb dieser Fähigkeiten erschwert (z. B.       Die Metaanalyse von Hervey, Epstein und
als vielmehr auf Hilfe von außen setzen       aufgrund der unzureichenden neuronalen         Curry (2004) gelangt zu dem Ergebnis,
(Rucklidge & Tannock, 2001; Slomkowski,       Informationsverarbeitung).                     dass sich ADHS-Patienten und unauffäl-
Klein & Mannuzza, 1995). Für die Bedeu-                                                      lige Personen bezüglich der Ausbildung
tung der langjährigen Erfahrungen spre-       In der Vergangenheit fehlte es an einer an-    der exekutiven Funktionen recht zuverläs-
chen auch die Ergebnisse von Latimer          gemessenen Anleitung und Schulung.             sig voneinander unterscheiden. Personen
et al. (2003). Sie zeigen in einer Längs-                                                    mit ADHS planen weniger gut und über-
schnittstudie, dass die Anpassung von         Anspruchsvollere Aufgaben, die nicht gut       wachen ihre Handlungen weniger präzise.
Jugendlichen mit ADHS (13-17 Jahre)           beherrscht werden bzw. eher zu Misserfolg      Infolgedessen machen sie eher Fehler
vom elterlichen Erziehungsstil, u. a. von     führten, wurden immer mehr gemieden            und brauchen mehr Zeit oder erreichen
Kommunikation, elterlicher Kontrolle, Ver-    und die dazugehörigen Fähigkeiten nicht        weniger gute Gesamtergebnisse. Die Un-
haltenssteuerung durch die Eltern, Attribu-   geschult.                                      terschiede zwischen unauffälligen Perso-
ierung sowie von schulischen Leistungen                                                      nen und solchen mit ADHS schwanken
abhängt. Beide Bedingungen wirken eng         Kompetenzdefizite treten hauptsächlich          zwischen einer Effektstärke von 0,12 und
zusammen und bestimmen das spätere            im Bereich der exekutiven Funktionen,          1,41 (Mittelwert 0,45; etwa 67%). Bark-
Ausmaß der ADHS.                              bei der Planung und Organisation, bei der      ley, Murphy und Fischer (2008) zeigen,
                                              Steuerung der eigenen Emotionen, in den        dass Personen mit ADHS und Unauffällige
                                              sozialen und kommunikativen Fähigkeiten        anhand ihrer exekutiven Funktionen mit
Resultierende Ausführungs-                    sowie in der Nutzung des Arbeitsgedächt-       einer Treffsicherheit von 99% voneinan-
fertigkeiten                                  nisses auf. Barkley (1997a, 1999; Barkley,     der unterschieden werden können. Aller-
                                              Murphy & Fischer, 2008) hat im Rahmen          dings sind die exekutiven Funktionen bei
Die genannten Umstände und Bedin-             seines Hybrid-Modells auf diese Fähigkeits-    Personen mit ADHS nicht grundsätzlich
gungen bringen Erlebensweisen, Situ-          einbußen hingewiesen. Seine Analysen           beeinträchtigt. Schwierigkeiten werden erst
ationswahrnehmungen,        Verhaltensbe-     zeigen, dass sowohl bei Kindern als auch       mit zunehmender Aufgabenschwierigkeit
reitschaften, Motivationsstrukturen und       bei Erwachsenen vier Funktionsbereiche         sichtbar, wenn also größere Flexibilität, ver-
Überzeugungsmuster beim betroffenen           beeinträchtigt sind:                           bale Vermittlung oder Vorausplanung ge-
Menschen hervor, die hier als Kompetenz-                                                     fordert werden. Viele Forscher verweisen
und Performanzdefizite zusammengefasst         1. Das nonverbalen Arbeitsgedächtnis.          darauf, dass Kompetenzdefizite durch die
werden.                                       2. Die Fähigkeit, sich mit Selbstanweisun-     mangelnde Regulation der eigenen Emo-
                                                 gen selbst zu lenken.                       tionen (Barkley, 1997a) sowie durch eine
Kompetenzdefizite                                                                             unzureichende      Gedächtnisorganisation
                                              3. Die Selbstregulation von Stimmung,
                                                                                             gestützt werden.
Im Falle eines Kompetenzdefizits sind die         Aktivierung und Motivation.
notwendigen Fähigkeiten nicht so sicher       4. Die Fähigkeit zur Rekonstitution.
                                                                                             Performanzdefizite
und so gut ausgebildet, wie es für den All-
tag notwendig wäre. Dafür gibt es gleich      Daraus entstehen typische Verhaltenswei-       Viele Betroffene beherrschen Verhaltens-
mehrere Gründe, die eng zusammenhän-          sen wie das Vergessen von Aufgaben, Jäh-       weisen wie Planen, Organisieren und
gen:                                          zorn, ein schlechtes Zeitgefühl oder nicht     Strukturieren sehr wohl, setzen diese Fä-

 Bayerische Gesellschaft für Verhaltenstherapie,                     I                         Institut für Verhaltenstherapie
 Verhaltensmedizin und Sexuologie e.V.
 Nettelbeckstr. 14, 90491 Nürnberg                                   V                                 Verhaltensmedizin und
 www.ivs-nuernberg.de                                                S                  - staatlich anerkannt -     Sexuologie
                                                        zertifiziert n. ISO 9001:2000
  Ergänzungsqualifikation Verhaltenstherapie für Ärzte und Psychologen: 100 Std. in 6 Blöcken v. 18.04.09 - 22.11.09
  Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen: Ergänzungsqualifikation für die fachliche Befähigung zur
    Abrechnung von VT bei Kindern u. Jugendlichen, ca. 200 Std. in 12 Blöcken, Beginn: November 2009 (in Planung)
  Promotionsstudium in Gesundheitswissenschaften (Dr. sc. hum.) in Koop. mit UMIT (Hall / Österreich)
  Fachtagung: Psychotherapie nach kritischen Lebensereignissen und Traumatisierungen, 27. Juni 2009 (in Planung)
     Weitere Angaben zu unseren Fort- und Weiterbildungen finden Sie auf unserer Homepage: www.ivs-nuernberg.de
   INFOS: Psychotherapeutische Ambulanz des IVS, Nürnberger Str. 22, 90762 Fürth, Tel. 0911-7872727, Fax: 0911-7872729

Psychotherapeutenjournal 1/2009                                                                                                        23
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review.

higkeiten jedoch nur selten um. Hierfür          thylphenidat (am bekanntesten unter dem       wachsenen ADHS-Patienten durchgeführt.
gibt es vor allem drei, sich ergänzende          Handelsnamen Ritalin®); Noradrenalin-         Die ADHS-Symptomatik wurde wiederum
Gründe:                                          Wiederaufnahmehemmer          (Atomoxetin,    von Ärzten erfasst, die die Verbesserung
                                                 unter dem Handelsnamen Strattera®) und        des Patienten im Abschlussinterview mit
1. Motivationale Gründe: Die an sich not-        Amphetaminsulfat. Ihre Wirksamkeit beruht     dem Patienten einschätzten. Die allgemei-
   wendige Handlung ist oft anstrengend,         auf der Aktivierung zentralnervöser Prozes-   ne Anpassung (sozial, familiär, beruflich)
   erfordert Einsatz und beinhaltet das          se. Methylphenidat scheint besonders die      wurde mittels Berichten der Patienten
   Risiko des Scheiterns. Ablenkende Tä-         Dopaminaktivität anzuregen. Es ist anzu-      bzw. naher Angehörigen erhoben. Aller-
   tigkeiten werden daher der eigentlichen       nehmen, dass Frontalhirn- und Mittelhirn-     dings verringerte sich die Symptomatik
   Aufgabe vorgezogen.                           regionen (Basalganganglien, limbische Re-     auch unter Placebobehandlung, ebenso
2. Mangelnde Vorausplanung: Eine Situa-          gion) durch die Medikation besser vernetzt    die soziale Anpassung. Insgesamt wurden
   tion wird nicht ausreichend durchleuch-       werden. Beispielsweise zeigen aufmerk-        165 negative Nebenwirkungen – soge-
   tet und kaum mit den erwartbaren Fol-         samkeitsgestörte Kinder unter Medikation      nannte Adverse Events – wie Kopfschmer-
   gen in Verbindung gebracht, was eng           in bildgebenden Verfahren eine stärkere       zen, verminderter Appetit, Schlaflosigkeit,
   mit der mangelnden exekutive Kontrol-         Durchblutung im frontalen Kortex und in       Mundtrockenheit oder Zittrigkeit registriert.
   le zusammenhängt.                             den Basalganglien, insbesondere im Stria-
                                                 tum (Vaidya et al., 1998). Alternativ wird    Bei einem größeren Teil der betroffenen
3. Vermeidungslernen: Viele Handlungen
                                                 auch diskutiert, dass die Medikation die      Erwachsenen mit ADHS haben sich aber
   sind anstrengend und risikoreich. Wenn
                                                 zentrale Aktivierung und Wachheit besser      bereits entwicklungsbedingte Probleme,
   die Chance besteht, diese Aufgaben auf-
                                                 „kanalisiert“ und dadurch die Zielbezogen-    soziale Anpassungsschwierigkeiten und
   zuschieben wird das mit dem Anfangen
                                                 heit steigert, die Wirksamkeit von Beloh-     weitere komorbide Störungen eingestellt,
   einhergehende Unbehagen erst einmal
                                                 nungshinweisen erhöht, Selbstmotivierung      die von der Medikation nicht grundlegend
   reduziert und ein mögliches Scheitern
                                                 und exekutive Funktionen optimiert sowie      verändert werden. Infolgedessen wird für
   wird zunächst ausgeschlossen. Es ergibt
                                                 die Hemmung ungeeigneter Verhaltens-          eine kognitiv-verhaltenstherapeutisch ori-
   sich also ein unmittelbarer Gewinn, eine
                                                 weisen verbessert (DuPaul, Barkley & Con-     entierte, multimodale Behandlung plädiert
   Art negative Verstärkung für das Aufschie-
                                                 nor, 1998).                                   (Ramsay & Rostain, 2007; Barkley, Murphy
   beverhalten. Dies wird zu einer systema-
                                                                                               & Fischer, 2008; Lauth & Minsel, in Druck).
   tischen Strategie, die kurzfristig von Vor-
                                                 Die bisherigen Wirksamkeitsstudien be-        So untersuchten Gualtieri und Johnson
   teil ist, weil die notwendige Anstrengung
                                                 legen eine befriedigende Wirkung. So          (2008) an 177 Jugendlichen im Alter
   entfällt und der befürchtete Misserfolg
                                                 kommen Faraone, Spencer, Aleardi, Paga-       von 10 bis 18 Jahren den Einfluss von
   vermieden wird bzw. ein schlechteres
                                                 no und Biederman (2004) im Vergleich          Medikation (entweder Methylphenidat,
   Ergebnis durch den beim Aufschieben
                                                 von sechs Studien, in denen insgesamt         Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern
   entstandenen Zeitdruck erklärbar ist.
                                                 140 erwachsene ADHS-Patienten mit             oder d-Amphetamine) auf das neuroko-
                                                 Methylphenidat und 113 mit Placebo im         gnitive Funktionsniveau. Sie zeigten, dass
Beide Verhaltensmerkmale führen zu All-
                                                 Doppelblindversuch behandelt worden           Jugendliche mit ADHS selbst bei optimal
tagsproblemen und weit reichenden An-
                                                 waren zu dem Schluss, dass die Pharma-        eingestellter Medikation noch Beeinträch-
passungsstörungen, die die Störung weiter
                                                 kobehandlung sich mit einer Effektstärke      tigungen im Bereich der Reaktionszeit, der
stabilisieren (Knouse et al., 2008). In der
                                                 von 0,9 als wirksam erweist. Besonders        kognitiven Flexibilität, gemessen in dem
bisherigen Forschung wird vergleichswei-
                                                 groß ist die Wirksamkeit, wenn höhere         Vermögen zwischen zwei Aufgabenstellun-
se gut belegt, dass sich die anfängliche
                                                 Dosierungen zur Verwendung kommen             gen zu wechseln und der Daueraufmerk-
Verhaltensabweichung durch mangelnde
                                                 und wenn der Behandlungserfolg durch          samkeit im Vergleich zur unauffälligen
schulische und berufliche Leistungen, ge-
                                                 Ärzte beurteilt wurde (Effektstärke: 1,3).    Kontrollstichprobe aufweisen.
ringe soziale Einbettung und mangelnde
                                                 In diesen Studien wurde die Wirkung der
soziale Unterstützung verfestigt und zur
                                                 Behandlung ausschließlich in der Reduzie-     In der Abwägung zwischen Nutzen und
ADHS verdichtet (Latimer et al., 2003;
                                                 rung der ADHS-Symptomatik und teilwei-        Beschränkung der Pharmakotherapie wird
Mick et al., 2008; Togersen, Gjervan & Ras-
                                                 se in der Einschätzung der allgemeinen        deshalb in aller Regel eine Kombinati-
mussen, 2006).
                                                 Verbesserung erfasst. In einer neueren        onsbehandlung aus Psychotherapie und
                                                 Untersuchung bestätigen Spencer et al.        Medikamenteneinnahme bevorzugt. Die
                                                 (2007) in einer Doppelblindstudie mit         Behandlung soll die Symptome der ADHS
Interventionsstrategien                          Dexmethylphenidate diese Schlussfolge-        verringern, den Betroffenen zu einem an-
                                                 rung: Die Pharmakobehandlung ist einer        gemessenen Umgang mit der Störung
Psychostimulanzien gelten insbesondere           Placebobehandlung überlegen und eine          verhelfen, die emotionalen und funktio-
im ärztlichen Bereich als erstes Mittel der      höhere Dosierung ist wirksamer (Do-           nellen Einschränkungen vermindern und
Wahl (International Consens Statement            sierungsstufen: 20 mg, 30 mg, 40 mg).         ein möglichst angemessenes Verhalten im
on ADHD, 2002). Am häufigsten werden              Diese Studie wurde in insgesamt 18 Be-        Alltag herbeiführen. Um das zu erreichen,
die folgenden Wirkstoffe eingesetzt: Me-         handlungszentren in den USA mit 221 er-       werden bevorzugt kognitiv-verhaltensthe-

24                                                                                                           Psychotherapeutenjournal 1/2009
G. W. Lauth, H. Raven

rapeutische Maßnahmen in Kombination            tes Gruppentraining nach Lauth & Minsel
mit Pharmakotherapie eingesetzt.                (in Druck) erweitert. Es beruht auf einer
                                                umfangreichen Aufarbeitung der differen-
                                                tiellen Besonderheiten von Erwachsenen          Institut für Integrative Gestalttherapie
In den letzten Jahren wurden mehrere psy-                                                       Anerkannter Fortbildungsveranstalter
chologische Interventionsstudien vorgelegt      mit ADHS und umfasst drei eng aufein-
                                                                                                Weiterbildung in Gestalttherapie
(Wilens et al., 1999; Wiggins, Singh & Getz,    ander abgestimmte Behandlungsmaßnah-            Informations- und Auswahlseminare 2009
1999; Hesslinger et al., 2002; Stevenson,       men:
                                                                                                München               26.06.-27.06.2009
Whitmont, Bornholt, Livesey & Stevenson,                                                        Freiburg              08.05.-09.05.2009
2002; Stevenson, Stevenson & Whitmont,          1. In einem vorbereitenden Einzelge-            Würzburg              15.05.-16.05.2009
                                                                                                Zürich                05.06.-06.06.2009
2003; Safren et al., 2005 a; Safren, Perl-         spräch wird die bestehende Problema-
man, Sprich & Otto, 2005b; Zylowska et al.,        tik erörtert. Es wird mit Hilfe des Scree-
                                                                                                Fortbildungen:
2006; Solanto, Marks, Mitchell, Wasserstein        ningfragebogens ASRS-V1 (WHO, 2003)          Systemisches GestaltCoaching - 12-tägige Fort-
& Kofman, 2008). Diese Arbeiten weisen             und dem Selbstbeurteilungsfragebogen         bildung für Berater, Trainer und Therapeuten.

auf eine Evidenz für die Wirksamkeit ver-          ADHS nach DSM-IV-TR (Lauth & Minsel,         Gestalt Kinder- und Jugendlichentherapie
                                                                                                – 16-tägige Fortbildung.
haltenstherapeutischer Intervention bei Er-        in Druck) die bestehende Symptomatik
                                                   diagnostiziert. Die Kurzform der Wen-        Kompakttraining in integrativer Gestalttherapie
wachsenen mit ADHS hin. Die ADHS-Sym-
                                                                                                vom 09. bis 21.08.2009 in Ellwangen
ptomatik verringert sich in den genannten          der-Utah-Rating-Scale (WURS-K) wird
Untersuchungen mit mittlerer bis hoher             für eine retrospektive Betrachtung der       Tagung: Gestalt und Politik
                                                                                                vom 06.11. bis 08.11.2009 in Würzburg
Effektstärke (Cohens d zwischen 0,64 und           ADHS-Symptome in der Kindheit hinzu-
2,6). Offensichtlich kann die Kernsympto-          gezogen (Retz-Junginger et al., 2002).
                                                                                                Anmeldungen und ausführliches Informations-
matik der ADHS mittels Verhaltenstherapie          Für die Spezifizierung des ADHS-ty-           material erhalten Sie von
                                                   pischen Problemverhaltens wird ein           IGW Würzburg
erfolgreich behandelt werden. Allerdings                                                        Theaterstraße 4
handelt es sich bei den genannten Studi-           Fragebogen „Allgemeines Funktions-           D-97070 Würzburg
en um Prä-Post-Untersuchungen, die nur             niveau“ eingesetzt (Lauth & Minsel, in       Tel.: 0931/35 44 50, Fax: 0931/35 44 544
                                                                                                E-Mail: Monika.Uhlschmidt@igw-gestalttherapie.de
unbehandelte Warte-Kontrollgruppen zum             Druck), der das Gelingen von Verhal-         Internet: www.igw-gestalttherapie.de
Vergleich heranziehen. Die Ergebnisse be-          tensweisen in bedeutsamen Alltagssitu-
legen also den Therapiefortschritt, ohne           ationen (z. B. „wenn viele Dinge gleich-
diesen aber mit einer unspezifischen oder           zeitig zu tun sind“, „wenn eine Aufgabe                                 
                                                                                                     
Alternativbehandlung verglichen zu haben.          pünktlich und wie verabredet erledigt             
                                                                                                     
                                                   werden soll“, „wenn andere nicht mit              
                                                                                                     
Hervorzuheben ist die Studie von Safren et         mir übereinstimmen“) erfragt. Um auch                     :HLWHUELOGXQJVVWXGLHQJlQJH
al. (2005a), die die Effektivität einer Kom-       komorbide Störungen und weitere Pro-                            3V\FKRWKHUDSLH
                                                                                                                          
binationsbehandlung aus einem kognitiv-            blembereiche wie soziale Anpassungs-
                                                                                                         
behavioralen Therapieprogramms und                 probleme mit zu erheben, wird der                     
                                                   umfassende Fragebogen Young-Adult-                    
Medikation mit einer Kontrollgruppe, die                                                                 
Medikation allein erhielt, vergleicht. Es er-      Self-Report (YASR) verwendet. Zudem                   
                                                   wird ein umfassendes verhaltensanaly-                 
geben sich für die varianzanalytisch ermit-                                                              
telten Differenzen zwischen Interventions-         tisches Interview durchgeführt.                       
und Kontrollgruppe hohe Effektstärken                                                            
                                                2. In einem kognitiv-verhaltenstherapeu-
                                                                                                 $XVELOGXQJ]XP
(d = 1,2 bzw. 1,4) für die Verringerung der        tisch orientierten Gruppentraining mit        3V\FKRORJLVFKHQ3V\FKRWKHUDSHXWHQ
ADHS-Symptomatik sowie mittlere Effekt-            bis zu zehn Teilnehmern werden in             6FKZHUSXQNWH
stärken (d = 0,65) für die Verringerung der        sechs Sitzungen die notwendigen All-          9HUKDOWHQVWKHUDSLH
                                                                                                 7LHIHQSV\FKRORJLVFKIXQGLHUWH
komorbiden Depressivität. Diese Ergebnis-          tagsfähigkeiten vermittelt. Hierbei geht      3V\FKRWKHUDSLH
se sprechen dafür, dass die Kombinations-          es besonders um Zielbildung, Selbst-          RGHUSV\FKRDQDO\WLVFKEHJUQGHWH
                                                                                                 9HUIDKUHQ
behandlung aus kognitiver Verhaltensthe-           organisation, Zeitplanung und das Aus-
                                                                                                 
rapie und Medikation der Medikation allein         bilden und Pflegen sozialer Kontakte.          $XVELOGXQJ]XP.LQGHU±XQG
überlegen ist. Demzufolge gilt es auf den          Die Teilnehmer werden angeleitet, ihre        -XJHQGOLFKHQSV\FKRWKHUDSHXWHQ
Einzelfall abgestimmte Behandlungskom-             Schwierigkeiten eigenständig anzuge-          6FKZHUSXQNW
binationen zu finden, die eine spezifische           hen und möglichst selbstständig geeig-        9HUKDOWHQVWKHUDSLH
                                                                                                 

ADHS Psychotherapie mit der Verbesse-              nete Lösungsstrategien zu finden (sie-         %HZHUEXQJXQG%HJLQQDEVRIRUWP|JOLFK
rung funktioneller zentralnervöser Leis-           he Kasten „Sitzung 2: Anfangen und            %HJLQQGHUWKHRUHWLVFKHQ$XVELOGXQJ
                                                                                                 2NWREHU
tungsvoraussetzungen verbinden.                    Umsetzen“). Diese Fertigkeiten werden         
                                                                                                 :HLWHUH,QIRUPDWLRQHQ
                                                   anhand von therapeutischen Hausauf-           3URI'U+6FK|WWNH
Die Möglichkeiten der psychotherapeuti-            gaben, die zwischen den Sitzungen             7HO
                                                                                                 KHQQLQJVFKRHWWNH#XQLRVQDEUXHFNGH
schen Einflussnahme werden durch ein                zu erledigen sind, unmittelbar auf den        ZZZSV\FKRWKHUDSLHXQLRVQDEUXHFNGH
kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientier-        Alltag übertragen. Bei der Umsetzung

Psychotherapeutenjournal 1/2009                                                                                                                    25
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Erwachsenenalter. Ein Review.

                                                                                                Tabelle 1: Inhalte des Trainings für Erwach-
Sitzung 1: Bestandsaufnahme                    Was soll sich ändern? Was kann so bleiben?
                                               Das eigene Belastungsprofil erkennen              sene mit ADHS nach Lauth und Minsel (in
                                               Genaue Ziele für das Training bestimmen          Druck)
                                               Wissen über die Störung
                                               Ansatzpunkte für Veränderung (Psychoeduka-
                                               tion)
                                                                                                edukation über das Störungsbild aufgeklärt
Sitzung 2: Anfangen und Umsetzen               Innere Hemmnisse erkennen                        und für eine überzeugte Mitarbeit bei der
                                               (dysfunktionale innere Dialoge)
                                               Den Berg abtragen, Vorhaben umsetzen             Behandlung gewonnen werden. Ziel-, Mit-
                                               Projekte und Arbeitsvorhaben einteilen           tel- und Beziehungstransparenz werden
                                                                                                aktiv hergestellt, um Compliance für die
Sitzung 3: Gedächtnis, Konzentration und Co.   Aufmerksamkeit und Teilleistungsschwäche
                                               Gedächtnisleistungen verbessern                  angestrebte Therapie zu erlangen. In der
                                               Komplexe Situationen meistern                    Therapie sollen angemessene Verhaltens-
                                               Inhalte entnehmen/Texte verstehen                weisen erlernt werden, die bestehende
                                               „Was ich gut kann“
                                                                                                Alltagsschwierigkeiten vermindern und die
Sitzung 4: Prioritäten setzen und einteilen    Wichtiges und Unwichtiges unterscheiden          Ausführungsbereitschaft erhöhen. Zur Re-
                                               Zeitfenster im Tagesablauf bilden
                                                                                                duzierung der bestehenden Kompetenz-
                                               Projekte und Arbeitsvorhaben einteilen
                                               Umgang mit Geld                                  defizite werden Fertigkeiten zur Selbststeu-
                                                                                                erung, zum Selbstmanagement, bewusste
Sitzung 5: Verstehen und verstanden werden     Schwierigkeiten beim Kommunizieren:
                                               Andere Verstehen                                 Verhaltensbereitschaft („Self Awareness“,
                                               Angemessenes Gesprächsverhalten einüben          Achtsamkeit) vermittelt. In einigen Trai-
                                               (Umschreiben, Informieren, Advance Organizer)    ningsprogrammen werden außerdem
                                               Die vier Gesprächsmittel
                                                                                                kommunikative und soziale Fertigkeiten
Sitzung 6: Auffrischungssitzung                Analyse der Wochenaufgaben                       eingeübt. Aufgrund der oben dargestellten
                                               Trainingsziele erreicht?                         Diskrepanz zwischen Kompetenz und Per-
                                               Ist-Soll-Vergleich
                                               Was war hilfreich?                               formanz kommt der Umsetzung der in der
                                               Was soll fortgeführt werden?                     Therapie erarbeiteten Inhalte in den Alltag
                                               Ausblick: Mein Leben in drei Jahren              eine besondere Bedeutung zu.

   unterstützen sich die TeilnehmerInnen        ne Funktionsfähigkeit und erreichen durch
   im Gruppentraining gegenseitig im            das Programm ihre selbst gesetzten Ziele        Schlussfolgerung
   Sinne von „tutoriellen Beziehungen“          (Goal Attainment). In einer katamnesti-
   (Tandems), die während der ersten            schen Befragung zur Zielerreichung gaben        Erwachsene mit ADHS gelten als eine be-
   Gruppensitzung gebildet und sorgfäl-         20 Teilnehmer (12 Männer und 8 Frauen           deutsame wiewohl derzeit deutlich unter-
   tig supervidiert werden. Hausaufgaben        im Alter zwischen 22 und 44 Jahren (M =         versorgte Patientengruppe, die zunehmen-
   und Tandems erweisen sich als äußerst        29,9) an, dass sie ihr erstes Ziel zu durch-    de Beachtung in der Klinischen Psychologie
   praktikabel und erfolgsversprechend          schnittlich 68,8% (S = 24,9), ihr zweites       und Psychotherapie findet. Die derzeitigen
   hinsichtlich einer Verbesserung der all-     Ziel zu 70,6% (S = 30) und ihr drittes Ziel     Untersuchungen belegen, dass die Störung
   gemeinen Funktionsfähigkeit (Global          zu 55,4% (S = 37,9) erreicht hatten. Dabei      oft verkannt und selten fachgerecht be-
   Functioning Scale) sowie der Reduktion       handelt es sich um weitreichende und all-       handelt wird. Wichtige Grundlagen für die
   der ADHS-Symptomatik (vgl. Lauth &           tagsrelevante Ziele, wie beispielsweise das     psychotherapeutische Behandlung stellen
   Minsel, in Druck).                           Bestehen einer Prüfung, wichtige Renovie-       die Alltagsbelastungen und die zumeist
3. In ergänzenden Einzeltherapien kön-          rungsarbeiten am Haus oder das Pflegen           unzureichende soziale Einbettung der Pa-
   nen die Kursteilnehmer bei Bedarf ihre       von Kontakten im Bekanntenkreis. Dies           tienten dar. Daraus ergibt sich als Thera-
   Schwierigkeiten zusätzlich besprechen.       spricht für einen deutlichen Erfolg des Trai-   pieziel, dass die Selbststeuerungsfähigkeit
   Dies ist hauptsächlich bei besonderen        nings. Das Training wird fortlaufend weiter     der Patienten gestärkt und ihre Alltagsbe-
   Problemen oder aktuellen Krisen (z. B.       erprobt und weitere Ergebnisse werden im        währung zu verbessern ist. Die bisherigen
   Trennung vom Partner, Krankheit) not-        Sommer 2009 erwartet.                           Therapiestudien gehen davon aus, dass
   wendig.                                                                                      sich bei ADHS um eine langjährige Störung
                                                Die bisherigen Interventionsstudien ge-         der Selbststeuerung handelt. Dementspre-
Das Übungsprogramm wird von den Teil-           ben also erste Hinweise darauf, welche          chend zielt die Therapie vor allem darauf
nehmerInnen geschätzt und bereitwil-            Behandlungsmaßnahmen wirksam und                ab, dass die Betroffenen kompensatori-
lig angenommen. Es erweist sich in der          indiziert sind. Auf der Basis eines kognitiv-   sche Strategien zum Selbstmanagement
Durchführung als äußerst praktikabel. Ein-      behavioralen Vorgehens erweisen sich            oder zur Selbstregulation lernen, um mit
zelfallanalysen zeigen einen moderaten          verschiedene Behandlungsmodule als              ihrer ADHS-Symptomatik besser und an-
Rückgang der erlebten Alltagsbelastung.         erfolgsversprechend. Dazu gehört zuerst,        gemessener im Alltag umzugehen. Bevor-
Die Teilnehmer verbessern ihre allgemei-        dass die Patienten im Sinne einer Psycho-       zugt werden derzeit kognitiv-verhaltensthe-

26                                                                                                            Psychotherapeutenjournal 1/2009
G. W. Lauth, H. Raven

 „Anfangen und Umsetzen“ (2. Sitzung)

 Das Anfangen und Fertigstellen von wichtigen Aufgaben ist bei Erwachsenen Haupt-
 bestandteil der mit ADHS einhergehenden Alltagsschwierigkeiten.                                    
 Im Gruppentraining wird erarbeitet, worin diese Schwierigkeiten begründet liegen. Zur
 Veranschaulichung wird ein Fallbeispiel herangezogen, das den Kreislauf aus Misser-
 folgserwartungen, Zögern, Zeitdruck und schlechten Ergebnissen beispielhaft veran-
                                                                                                   
 schaulicht. Die Teilnehmer beschreiben anschließend, welche Bedingungen bei ihnen
 Aufschub und Verzögern hervorrufen.

 Der Schwerpunkt wird in dieser Sitzung auf dysfunktionale innere Dialoge gelegt, das
 sogenannte „Kino im Kopf“. Die Teilnehmer beschreiben, was sie in einer Situation zu
 sich sagen, wenn es an das Erledigen einer wichtigen Aufgabe geht. Welche Dialoge
 führen sie mit sich selbst? Thematisieren sie ihr Scheitern? Heben sie die Anstrengung
 hervor? Blenden sie die Anforderung aus? Mit welchen konkreten Verhaltensweisen
 sind diese Selbstaussagen verbunden (z. B. Ablenkung suchen, müde werden). Und
 schließlich: Wie sind diese Selbstaussagen entstanden? Können sie durch positive
 Erfahrungen bzw. Stärken gekontert werden?

 Erfahrungen zeigen, dass sich die Teilnehmer mit diesem Modell der negativen Kogni-
 tionen und den damit einhergehenden Verhaltensweisen erfolgreich arbeiten können
 und wichtige Erkenntnisse darüber gewinnen, was sie vom Vollzug abhält bzw. was
 sie nun unternehmen können, um wirklich anzufangen und die Dinge wie gewünscht
 umzusetzen. Diese Erkenntnisse werden unmittelbar in alltagsnahe Lösungen umge-
                                                                                                   Aus dem Englischen übersetzt von Irmela
 münzt, die die Teilnehmer nun unmittelbar realisieren sollen.                                     Erckenbrecht.
                                                                                                   3., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2009.
 Diese Übung wird durch ein angemessenes Zeitmanagement ergänzt. Alltagsnahe                       346 S., 32 farb. Abb., 68 s/w Abb., 1 Tab., Kt
 Übungen während des Trainings sowie selbst gesetzte Wochenaufgaben zwischen                        34.95 / CHF 59.00
                                                                                                   ISBN 978-3-456-84647-7
 den einzelnen Trainingstagen sollen den Teilnehmern helfen, die erlernten Strategien
 in den Alltag zu integrieren.                                                                                     
                                                                                                     
rapeutische Interventionen durchgeführt,         trollgruppen könnten diese Ergebnisse in           
die zielbezogen und alltagsnah vorgehen.         Zukunft weiter stützen.                             
Die verbreitetste Therapie besteht aber in
                                                                                                   Das Genogramm ist eine praktische
einer Pharmakobehandlung mittels Me-             Literatur                                         Methode, Fakten übersichtlich darzu-
thylphenidat. Hier werden zumeist mittlere                                                         stellen, die in der Anfangsphase einer
                                                 Achenbach, T. M. (1997). Manual for the
bis hohe Effektstärken erreicht. Allerdings                                                        Familienberatung zu Tage treten:
                                                    Young Adult Self-Report and Young
zeigt sich auch, dass die Gesamtproblema-                                                          Informationen über den Patienten
                                                    Adult Behavior Checklist. Burlington:          und seine Beziehungen zu Verwand-
tik selten durch Pharmakotherapie alleine
                                                    University of Vermont Department of            ten der eigenen, vorausgehender oder
einzudämmen ist. Deshalb werden Kom-
                                                    Psychiatry.                                    nachkommender Generationen.
binationstherapien gefordert. Auf Seiten
                                                 American Psychiatric Association. (2007).
der psychologischen Forschung fehlt es
                                                    Externalizing Disorders Research Plan-
noch an ausgearbeiteten Interventions-
                                                    ning Conference. Mexico City, 14.-16.
konzepten, an denen sich Anwender und
                                                    Februar 2007. Verfügbar unter: http://
Therapeuten orientieren könnten. Erste
                                                    www.psych.org/MainMenu/Research/
Verfahren wurden von Hesslinger, Phi-
                                                    DSMIV/DSMV/DSMRevisionActivities/
lipsen und Richter (2004), Safren et al.
                                                    ConferenceSummaries/ExternalizingDis-
(2005b) sowie von Lauth und Minsel (in
                                                    ordersofChildhood.aspx [28.01.2009].
Druck) entwickelt. Deren Manuale richten
                                                 Barkley, R.A., Murphy, K.R. & Fischer, M.
sich speziell an Psychotherapeuten, die
                                                    (2008). ADHD in adults. What the sci-
Therapien in der Einzelsituation (Hesslin-
                                                    ence says. New York: Guilford Press.                                       "
ger, Philipsen & Richter, 2004; Safren et al.,                                                                    
                                                 Barkley, R.A. (1997a). ADHD and the na-       !
                                                                                                       
                                                                                                          
                                                                                                            
2005b) oder in Gruppen (Lauth & Minsel,                                                           
                                                    ture of self-control. New York: Guilford
in Druck) durchführen.
                                                    Press.
                                                 Barkley, R.A. (1997b). Behavioral inhibiti-
Kontrollierte Evaluationsstudien mit größe-
                                                    on, sustained attention, and executive
ren Stichproben und angemessenen Kon-

Psychotherapeutenjournal 1/2009                                                                                                                     27
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