Ausbildung zur Lerntherapeutin IFLW www.iflw.de ADHS bei Kindern - Abschlussarbeit - vorgelegt von Claudia Bartels

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             ADHS bei Kindern

                 Abschlussarbeit

vorgelegt von Claudia Bartels
claudia.bartels@comcare.de

                                       1
Einleitung

ADHS ist eine der am häufigsten diagnostizierten Verhaltensstörungen im Kindes- und
Jugendalter. Trotz wachsender Aufklärung durch die Medien, Diskussion in der Öffent-
lichkeit, einer Fülle von Fachliteratur und Ratgebern wird diese Störung oft nicht erkannt
oder als Modekrankheit abgetan. Die Folge ist, dass ADHS oft gar nicht oder zu vorschnell
diagnostiziert wird.
Dabei ist ADHS eine Störung, die die Entwicklung und den Lebenslauf des betroffenen
Kindes nachhaltig und gravierend beeinflussen kann. Für Eltern und Lehrer ist das Zu-
sammenleben und der Umgang mit diesen Kindern eine große Herausforderung, die über
die Maßen belastend sein kann. Sie bedarf besonderer Unterstützung und Begleitung durch
Experten und spezieller Handlungs- und Verhaltensstrategien von Seiten der Bezugsperso-
nen. Obwohl es mittlerweile eine Vielzahl von erprobten Therapiemethoden gibt, werden
gegenwärtig bevorzugt Psychopharmaka in der Therapie von ADHS eingesetzt. Aus mei-
ner Sicht bedarf es aber mehr als nur Medikamente. Neben einer psychologisch-
therapeutischen Behandlung und Begleitung dieser Kinder und ihrer Familien ist ebenso
professionelles Wissen über die Hintergründe und den Umgang mit der Störung in Schule
und Kindergarten wichtig. Besonders in der Schule stoßen Kinder mit ADHS immer noch
auf Strukturen, die für sie keine adäquaten Fördermaßnahmen vorsehen, sondern sie eher
etikettieren und ausgrenzen. Kinder mit ADHS machen überwiegend Sozialerfahrungen,
die geprägt sind von Ablehnung und schulischem Misserfolg, welche sie trotz immer wie-
derkehrenden Bemühungen nicht allein verändern können. Dies führt zu einem negativen
Selbstbild, zu Motivationslosigkeit, fehlendem Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und
Resignation.
In meiner Abschlussarbeit, die ich als theoretische Grundlage zur anschließenden Falldo-
kumentation sehe, stelle ich den gegenwärtigen Kenntnisstand über die Übersachen, Auf-
treten und Erscheinungsformen von ADHS dar, sowie deren Einfluss auf Familie, Schule
und Lernen. In dem Kapitel Therapie bei ADHS habe ich mich in der Darstellung der In-
terventionen auf jene Verfahren beschränkt, für die eine Wirksamkeit nachgewiesen wurde
und von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -
psychotherapie empfohlen werden. Mir war dies besonders wichtig, da es auf dem Thera-
piemarkt viele sogenannte Alternativmethoden gibt, die nicht nur sehr teuer sein können
und    bestenfalls     nicht   wirken,   sondern    sogar    schädlich    sein    können.

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1      Begriffsbestimmung und Geschichte der ADHS-Forschung ........................................ 5
2      Symptome von ADHS ................................................................................................... 6
  2.1    Aufmerksamkeitsstörungen ................................................................................... 6
  2.2    Impulsivität............................................................................................................ 7
  2.3    Hyperaktivität ........................................................................................................ 7
3    Prävalenz ....................................................................................................................... 8
  3.1      Geschlecht und Lebensalter................................................................................... 8
  3.2      Altersvariable Ausprägung .................................................................................... 8
     3.2.1      Säuglingsalter ................................................................................................ 9
     3.2.2      Kleinkindalter ................................................................................................ 9
     3.2.3      Schulalter ....................................................................................................... 9
     3.2.4      Jugendalter und Pubertät ............................................................................... 9
     3.2.5      Erwachsenenalter......................................................................................... 10
4   Positive Seiten und Stärken bei ADHS ....................................................................... 11
5      Ursachen von ADHS ................................................................................................... 12
  5.1   Neurobiologische Faktoren.................................................................................. 12
  5.2   Genetische Faktoren ............................................................................................ 13
  5.3   Weitere Ursachen ................................................................................................ 13
  5.4   Soziale Faktoren .................................................................................................. 14
  5.5   Integrative Modelle der Verursachung und Aufrechterhaltung von ADHS........ 14
  5.6   Das Auftreten komorbider Störungen.................................................................. 15
6    ADHS und familiäre Beziehungen .............................................................................. 16
  6.1   Belastung der Eltern ............................................................................................ 16
  6.2   Geschwister ......................................................................................................... 17
  6.3   Konfliktbereiche .................................................................................................. 17
  6.4   Erziehungsverhalten der Eltern ........................................................................... 18
7    ADHS und Lernen ....................................................................................................... 18
  7.1    Lernvoraussetzungen bei ADHS ......................................................................... 21
  7.2    Charakteristika von ADHS in der Schule............................................................ 22
  7.3    Soziale Integration in die Klasse ......................................................................... 23
  7.4    Lehrer-Schüler-Beziehung................................................................................... 24
8    Diagnostik bei ADHS.................................................................................................. 24
  8.1      Diagnostische Kriterien ....................................................................................... 25
     8.1.1     Verhaltenssymptome ................................................................................... 25
     8.1.2     Unterschiede zwischen ICD 10 und DSM IV ............................................. 27
  8.2      Medizinische Diagnostik ..................................................................................... 28
  8.3      Psychologische Diagnostik.................................................................................. 28
9    Therapie von ADHS .................................................................................................... 30
    9.1      Aufklärung, Beratung und Instruktion der wichtigsten Bezugspersonen............ 31
    9.2      Kindzentrierte Therapieverfahren........................................................................ 31
    9.3      Familienzentrierte Interventionen........................................................................ 34
       9.3.1     Familienzentrierte Verfahren im THOP ...................................................... 35
       9.3.2     Elterntraining als Begleitung zum Training für aufmerksamkeitsgestörte
       Kinder nach Lauth / Schlottke ..................................................................................... 36

                                                                                                                                      3
10     Schulische Interventionen............................................................................................ 37
  10.1 Allgemeine Prinzipien ......................................................................................... 37
  10.2 Verhaltensmodifikation im Unterricht ................................................................ 39
11 Medikamentöse Therapie ............................................................................................ 41
  11.1 Stimulanzien erster Wahl..................................................................................... 41
  11.2 Weitere Medikamente.......................................................................................... 42
  11.3 Indikationen und Kontraindikationen, Nebenwirkungen .................................... 42
12 Weitere Therapie-Maßnahmen .................................................................................... 43
Schlussbemerkungen und eigene Erfahrungen.................................................................... 44
Literatur ............................................................................................................................... 46

                                                                                                                                          4
1   Begriffsbestimmung und Geschichte der ADHS-Forschung
Unter der Bezeichnung ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) wird
eine Gruppe von auffälligen Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen zusammen-
gefasst, die nach dem Diagnoseschlüssel DSM IV (Diagnostisches und Statistisches Manu-
al psychischer Störungen, Saß, Wittchen, Zandig, 2000) unter Aufmerksamkeitsstörungen,
auffälliger Unruhe oder hyperaktivem Verhalten und mangelnder Impulskontrolle leiden.

Die in der Kindheit beginnende Verhaltens- und Lernstörung wurde vermutlich erstmals
1844 von dem Frankfurter Psychiater H. Hoffman in seinem Buch „Der Struwelpeter“ als
der „Zappelphilipp“ geschildert, bei dem es sich um ein unruhiges, impulsives Kind han-
delt, das nie stillsitzen konnte. Zum ersten Mal wissenschaftlich ausgearbeitet wurde dieses
Phänomen dann vom englischen Kinderarzt Still im Jahre 1902. Er war der Ansicht, dass
hyperaktives Verhalten von Kindern nicht auf die schlechte Erziehung des Kindes oder
ungünstige Umweltbedingungen zurückgeführt werden können, sondern es sich um eine
angeborene Veranlagung handelt. Diese führe zu einer Unfähigkeit des Kindes, das eigene
Verhalten zu steuern (Skrodzki, 2000). In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckte
der Psychiater C. Bradley dann zufällig, dass ein Stimulanzienpräparat paradoxerweise
Kinder mit Verhaltensstörungen beruhigte. In den 50er Jahren erschienen in den USA erste
Veröffentlichungen zur „minimal brain disorder“, der in den 60er Jahren als Begriff für die
ADHS Störung in Deutschland übernommen wurde. Erst in den 70er Jahren richteten ame-
rikanische Forscher ihr Augenmerk verstärkt nicht mehr nur auf das auffällige hyperaktive
Verhalten, sondern untersuchten auch darüber hinaus gehende Probleme der Ablenkbarkeit
und Impulsivität. Mit Erfolg wurden Medikamente eingesetzt, die die Produktion und den
Verbrauch von Neurotransmitterstoffen, wie Dopamin und Serotonin, im Gehirn, positiv
beeinflussten. In den 80er Jahren entdeckte man, dass ADHS möglicherweise mit Dys-
funktionen im Vorderhirn der betroffenen Personen zu tun haben könnte. 1987 erhält die
Störung durch den amerikanischen Psychiaterverband ihre heute noch gültige Bezeichnung
ADHD (attention-deficit-hyperactivity-disorder). Die Defizite der Aufmerksamkeit und
impulsiven Motorik wurden dabei zu einer Diagnosekategorie zusammengefasst. Wichtige
Erkenntnisse, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die wirklichen Ursachen von ADHS
verweisen, wurden jedoch erst durch neurowissenschaftliche Forschungen in den 90er Jah-
ren gemacht. Nach diesen Forschungen liegt mit großer Wahrscheinlichkeit der Störung

                                                                                          5
ein Ungleichgewicht der Transmitterstoffe im Gehirn zugrunde, wodurch die Informati-
onsweiterleitung zwischen den Nervenzellen nicht hinreichend gewährleistet ist. Diese
neurobiologische Sicht der Ätiologie von ADHS wird auch gegenwärtig noch als Hauptur-
sache angesehen (Brandau, 2004).

Neben der Bezeichnung ADHS existieren weitere Begriffe, die zum Teil auch heute noch
verwendet werden:

      •   Hyperkinetisches Syndrom (HKS)
      •   Psychoorganisches Syndrom (POS)
          Dieser Begriff wird häufig noch in der Schweiz verwendet.
      •   Aufmerksamkeitsstörung mit und ohne Hyperaktivität

International sind die Bezeichnungen „Attention Deficit Disorder“ (ADD) bzw. „Attention
Deficit / Hyperactivity / Disorder (ADHD) üblich.
Da das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit und ohne Hyperaktivität auftreten kann,
wird es im Deutschen entsprechend als ADS oder ADHS bezeichnet

2     Symptome von ADHS
Charakteristisch für AHDS sind Beeinträchtigungen in der Aufmerksamkeitsfokussierung
und Konzentration, der Impulskontrolle und der Aktivität der Betroffenen.

2.1       Aufmerksamkeitsstörungen
Beeinträchtigungen in der Aufmerksamkeit beschreiben Lauth / Schlottke (2002) als einen
Mangel in der Aufmerksamkeitsorientierung und der Zielgerichtetheit im Verhalten des
Betroffenen. In der Schule, zu Hause, beim Spielen und bei den Hausaufgaben fallen
ADHS-Kinder durch eine hohe Ablenkbarkeit und Sprunghaftigkeit im Denken und Han-
deln auf. Es fällt ihnen schwer, sich über einen längeren Zeitraum mit bestimmten Aufga-
ben zu beschäftigen und diese zu Ende zu bringen. Stattdessen verlieren sie schnell das
Interesse an der Arbeit und wenden sich anderen Dingen zu, die ihnen interessanter er-
scheinen. Da sich ADHS-Kinder nur für sehr kurze Zeit konzentrieren können, behalten sie
Gelerntes nur unvollständig, was in der Schule zu Wissenslücken und schlechten Zensuren

                                                                                      6
führt. Es gibt jedoch auch Situationen, in denen die Aufmerksamkeit nur gering oder gar
nicht beeinträchtigt ist. Dies sind Momente, in denen die Kinder mit neuen oder für sie
interessanten anregenden Inhalten konfrontiert werden.

Darüber hinaus fällt es den Kindern schwer, Aufgaben und Aktivitäten selbständig zu
strukturieren und zu organisieren. Oft sind sie auf äußere Hilfe durch einen Erwachsenen,
Eltern oder Lehrer, angewiesen, der ihnen mehrfach sagen muss, was sie zu tun haben,
worauf sie achten müssen, da sie vieles vergessen, verlieren oder übersehen. Die Kinder
wirken deshalb auf andere Menschen chaotisch und zerstreut.

2.2       Impulsivität
ADHS zeigt sich auch in einem überdurchschnittlich impulsiven Verhalten des Kindes.
Das Kind hat eine mangelnde Fähigkeit, die eigenen Impulse zurückzuhalten und zu steu-
ern. Es gelingt ihm nicht, seine erste spontane Reaktion in verschiedenen Situationen zu
unterdrücken und zunächst nachzudenken, bevor es handelt.
Impulsivität zeigt sich in verschiedenen Verhaltensweisen, z. B.: (Lauth / Schlottke, 2002)

      •   nicht abwarten können, bis man an der Reihe ist
      •   im Unterricht unaufgefordert dazwischenrufen
      •   Dinge in die Tat umsetzen, die gerade einfallen, ohne auf den Kontext der Situation
          zu achten, in der man sich gerade befindet und das Verhalten situationsgerecht an-
          zupassen
      •   selbstgefährdendes und unbedachtes Verhalten, welches häufig Unfälle und Verlet-
          zungen nach sich zieht

2.3       Hyperaktivität
Hyperaktivität zeigt sich darin, dass das Kind sehr unruhig ist. Es bewegt die Hände oder
Füße permanent, kann nicht stillsitzen und sich ruhig beschäftigen. Diese zum Teil sehr
starke motorische Unruhe der Kinder und ihr übermäßiger Bewegungsdrang sind die auf-
fälligsten und stärksten Symptome von ADHS (Lauth / Schlottke, 2002). Die Kinder laufen
hin und her und wirken auf andere getrieben, rastlos und wie „unter Strom“. Dieses Ver-
halten wirkt sich ebenso wie die anderen Verhaltensweisen eines ADHS-Kindes negativ

                                                                                           7
auf das soziale Umfeld aus, denn die ständige Unruhe, die das Kind verbreitet, kann sehr
störend sein.

Zusammen mit diesen Kernsymptomen können auch noch andere Auffälligkeiten auftreten,
z. B.: Stimmungslabilität, Erschöpfung, Lustlosigkeit und Selbstzweifel (Neuy-Bartmann,
2006).

Aufmerksamkeitsstörungen zeigen sich nicht bei jedem Kind in gleicher Art und Ausprä-
gung. Bei manchen Betroffenen stehen die Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperakti-
vität und Impulsivität im Vordergrund. Bei anderen Kindern beobachtet man eine ausge-
prägte Unaufmerksamkeit, während impulsives und hyperaktives Verhalten selten auftre-
ten. Ebenso gibt es Kinder, die hauptsächlich impulsiv und hyperaktiv reagieren, während
Aufmerksamkeitsprobleme im Hintergrund stehen (s. Kapitel Diagnostik).

3     Prävalenz

3.1 Geschlecht und Lebensalter
ADHS / ADS tritt abhängig von Geschlecht und Lebensalter auf. Je nach zugrunde liegen-
den Diagnosekriterien (DSM IV / ICD 10), Alter, den Erhebungsmethoden und den befrag-
ten Bezugspersonen sind 7 - 17 % der Jungen betroffen, 3 - 6 % der Mädchen (Döpfner,
2000, S. 5). Internationale Daten, die in der allgemeinen Bevölkerung erhoben wurden,
ergaben eine Häufigkeit von 9,2 % (5,8 - 13,6 %) für Jungen und 2,9 % (1,9 - 4,5 %) für
Mädchen (Leitlinie der AG ADHS der Kinder- und Jugendärzte).

Neuere deutsche Erhebungen zeigen, dass bei 6 % der 6 - 10 Jahre alten Kinder Symptome
von ADHS (Leitlinien Sozialpädiatrie) auftreten. Nach früheren deutschen Untersuchun-
gen sind Jungen 5-mal häufiger von hyperaktiv-impulsiven Störungen betroffen als Mäd-
chen. Die Mädchen hingegen zeigen doppelt so oft vorherrschend unaufmerksame Sym-
ptome als die Jungen (Baumgaertl et al, 1995; Leitlinien AG / ADHS).

3.2      Altersvariable Ausprägung
Im Gegensatz zu anderen Verhaltensstörungen im Kindesalter, die als vorüber gehende
Probleme auftreten (z.B. Daumenlutschen) und zeitlich begrenzt sind, handelt es sich bei

                                                                                      8
ADHS um eine länger andauernde und verschiedene Altersphasen überdauernde Störung,
die altersvariabel auftritt.

3.2.1 Säuglingsalter
Kinder mit AHDS fallen in dieser Phase durch lang anhaltendes Schreien auf. Sie sind un-
ruhig, neigen zu Koliken und lassen sich nur mit Schwierigkeiten füttern. Auch reagieren
sie sehr empfindlich und reizbar auf ihre Umwelt. In dieser Phase können Schlafstörungen
auftreten und der Körperkontakt mit den Eltern wird abgelehnt (Neuy-Bartmann, 2006).

3.2.2 Kleinkindalter
ADHS-Kinder im Kleinkindalter sind geprägt von einem starken Bewegungsdrang und
motorischer Unruhe. Da die Kinder Frustrationen kaum ertragen, kommt es zu heftigen
Wutanfällen und übermäßigem Trotzverhalten. Im Kindergarten und in der Vorschule fal-
len sie durch destruktives Spielverhalten auf. Sie integrieren sich nur mit Schwierigkeiten
und zeigen bei Einzel- und Gruppenspielen wenig Ausdauer (Barkley, 2005).

3.2.3 Schulalter
Wenn das Kind in die Schule kommt, zeigt sich das Ausmaß der Probleme mit ADHS. Die
Kinder können nicht ruhig sitzen, laufen im Unterricht im Klassenraum umher und können
sich nicht auf den Unterricht und die Aufgaben konzentrieren. Sie stören durch Zwischen-
rufe. Auch kann man bei ihnen ein chaotisches unstrukturiertes Arbeitsverhalten und Wis-
sensdefizite feststellen (Neuy-Bartmann, 2006).

3.2.4 Jugendalter und Pubertät
Auch in der Jugend und in der Pubertät bestehen weiterhin Probleme. Bei 70 - 80 % der
Jugendlichen bleiben die Kernsymptome von ADHS weiterhin bestehen (Barkley, 2005, S.
153). Die Zeit der Pubertät ist für Jugendliche mit ADHS besonders schwierig. Sie haben
nicht nur mit den Problemen zu kämpfen, die durch die Störung auftreten, sondern müssen
sich zusätzlich mit den Schwierigkeiten auseinandersetzen, welche diese neue Entwick-
lungsphase mit sich bringt (Knölker, 2005):

    •   körperliche Veränderungen

                                                                                         9
•   Identitätsfindung
   •   die Rolle in der Peergroup
   •   Selbstverantwortung
   •   Frustrationstoleranz
   •   Konfliktbewältigung

Schon für „normale“ gleichaltrige Jugendliche ist diese Entwicklungsphase eine Heraus-
forderung und mit Konflikten verbunden.

Im Gegensatz zu ihren Altersgenossen verläuft die Entwicklung von Jugendlichen mit
ADHS ungünstiger. Wie eine Untersuchung von Secnik et al (i. Knölker, 2005, S. 32)
zeigt, haben die Jugendlichen

   •   einen geringeren formalen Bildungsgrad
   •   mehr Probleme am Arbeitsplatz
   •   höhere Risiken bei der Teilnahme am Straßenverkehr
   •   ein vermehrtes Risikoverhalten im Umgang mit der Sexualität
   •   häufigere Konflikte mit dem Gesetz .

3.2.5 Erwachsenenalter
Während die motorische Unruhe in fortschreitendem Alter zurückgeht, bleiben Probleme
wie Ablenkbarkeit, Beeinträchtigungen in der Verhaltenskontrolle, im Leistungsvermögen
und der Organisation des alltäglichen Lebens im Erwachsenenalter weiterhin bestehen.
Im Unterschied zur Kinder- und Jugendzeit sind die Auswirkungen der Symptome in die-
ser Altersstufe gravierender und weit reichender. Die Aufgaben dieser Lebensspanne ges-
talten sich komplexer und anspruchsvoller. Überdurchschnittlich häufig treten Schwierig-
keiten im Beruf, in der Beziehung mit dem Partner und im Freundeskreis auf, denn das
Leben des von ADHS Betroffenen ist entscheidend geprägt von Hektik, Chaos, Ge-
fühlsausbrüchen, Stimmungsschwankungen und Unzuverlässigkeit. Termine werden ver-
gessen sowie Verabredungen und Aufträge (Neuy-Bartmann, 2006). Was wichtige Ent-
scheidungen in der Lebensplanung betrifft, fehlt häufig das antizipatorische Handeln und
eine strukturierte Verhaltensorganisation.

                                                                                       10
Zusammenfassend kann festgestellt werden: (Döpfner, 2000, S. 19) „Insgesamt ist also die
hyperkinetische Störung als ein chronisches, von der frühkindlichen Entwicklung bis in das
Erwachsenenalter hinreichend persistierendes Störungsbild zu betrachten. Entsprechend
besteht die Notwendigkeit bereits früh erkennbare Risikofaktoren zu identifizieren, die mit
einem erhöhten Risiko zu einer Chronifizierung der Störung einhergehen.“ ADHS ist somit
als eine seelische Erkrankung zu betrachten, die die Betroffenen während der gesamten
Lebensspanne begleitet und eine positive Entwicklung in Familie, Schule, Ausbildung,
Beruf und Freundeskreis verhindert. Sie zieht weitere Probleme und Folgesymptome nach
sich, insbesondere dann, wenn sie unbehandelt bleibt.

4   Positive Seiten und Stärken bei ADHS
Kinder und Jugendliche mit ADHS bestehen nicht nur aus „Defekten“ und „Defiziten“, sie
haben auch viele positive Seiten, die im alltäglichen Umgang mit ihnen in der Schule und
der Therapie zum Vorteil ihrer Person eingesetzt werden sollten.

Beispiele für positive Eigenschaften findet man u. a. bei Neuhaus (2002):

    •   Hilfsbereitschaft und fürsorgliches Verhalten gegenüber Schwächeren und Hilfsbe-
        dürftigen,
    •   ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, auch gegenüber anderen
    •   Liebe zu Natur und Tieren
    •   Empathie und Gutmütigkeit
    •   nicht nachtragend, vergibt Fehler
    •   phantasievoll und kreativ
    •   intuitiv im Handeln
    •   schnell im Denken und der Erfassung von Situationen
    •   großes Energiepotential
    •   Zähigkeit, „Stehaufmännchen“, versucht nicht aufzugeben
    •   Begeisterungsfähigkeit
    •   hohe Konzentrationsfähigkeit (Hyperfokussieren), insbesondere bei Dingen, die in-
        teressant sind und Spaß machen
    •   anhänglich, wenn erst einmal Vertrauen zu einer Person gefasst wird

                                                                                        11
•   auffallend gutes Gedächtnis für „Kleinigkeiten“, die andere nicht wahrnehmen.
Gelingt es den Betroffenen, Struktur und Durchhaltevermögen zu entwickeln, so können
auch sie ihre positiven und kreativen Potentiale nutzen.

5     Ursachen von ADHS
Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass es verschiedene Faktoren gibt, die das Auftre-
ten von ADHS begünstigen. Es sind zum einen biologische Voraussetzungen, die die Stö-
rung verursachen, jedoch können auch Bedingungen in der Familie, im Kindergarten, in
der Schule den Verlauf und die Ausprägung von ADHS mit beeinflussen.

5.1       Neurobiologische Faktoren
Man nimmt an, dass die Verhaltensstörungen der betroffenen Kinder durch eine neurobio-
logische Funktionsstörung im Gehirn, speziell im Frontalhirn, verursacht wird. In Gehirn-
arealen, die für Konzentration, Wahrnehmung und Impulskontrolle zuständig sind, ist das
notwendige Gleichgewicht wichtiger Neurotransmitter, wie Dopamin, Noradrenalin und
Serotonin, gestört. Insbesondere dem dopaminergen Stoffwechsel kommt dabei eine zent-
rale Rolle zu. Es wird angenommen, dass der Transmitterstoff Dopamin nicht in ausrei-
chendem Maß zur Verfügung steht und es dadurch zu einer gestörten Weiterleitung von
Informationen zwischen den Nervenzellen kommt. Von außen kommende Reize werden
deshalb nur unzureichend und unkontrolliert gefiltert und weitergegeben. Die Folgen des
verminderten Hirnstoffwechsels führen nach Barkley (2005) zu Störungen in der Verhal-
tenshemmung, der Impulskontrolle, der Reizwahrnehmung und -verarbeitung, der Selbst-
steuerung und der emotionalen Regulation. Seiner Ansicht nach liegen bei der ADHS Be-
einträchtigungen im Bereich der exekutiven Funktionen vor. Damit sind grundlegende,
mentale Prozesse höherer Ordnung gemeint, die u. a. für die Regulation und Aktivierung
von Aufmerksamkeit, das Planen von Handlungen, das Zeitgefühl, das Initiieren und die
Hemmung von Impulsen und Handlungen, die Handlungskontrolle, die Informationsanaly-
se und -verarbeitung, das Problemlösen, Wachheit sowie anderer kognitiver Funktionen
verantwortlich sind (Döpfner, 2000).

                                                                                          12
5.2       Genetische Faktoren
Die oben beschriebenen neurochemischen Veränderungen im Gehirn der Betroffenen sind,
wie man aus Untersuchungen weiß, sehr wahrscheinlich genetisch bedingt. „Genauer ge-
sagt, handelt es sich um eine Erbkrankheit, bei der fehlerhafte Funktionsabläufe des Ge-
hirns weitervererbt werden.“ (Wender, 2002, S. 37). Grund zu dieser Annahme war die
Beobachtung, dass in manchen Familien ADHS gehäuft auftritt, laut Döpfner bei 10 - 30 %
der von ADHS Betroffenen (2000, S. 11). Es fiel in Untersuchungen weiterhin auf, dass
Geschwister von Kindern mit ADHS häufiger die gleichen Symptome aufwiesen als Ge-
schwister von gesunden Kindern. Väter und Verwandte berichteten, die gleichen Sympto-
me in ihrer Kindheit gehabt zu haben wie ihre Kinder (Wender, 2002, S. 37). Ergänzende
Studien wurden außerdem an eineiigen und zweieiigen Zwillingen und mit Adoptivkindern
durchgeführt. Danach zeigte sich bei eineiigen Zwillingen ein häufigeres Auftreten als bei
zweieiigen Zwillingen. Döpfner berichtet von einer Konkordanzrate von 81 % bei eineii-
gen Zwillingen und 29 % bei zweieiigen Zwillingen (Döpfner, 2000, S. 11). Die Befunde
der Zwillingsforschung konnten untermauert werden durch Adoptivstudien und Untersu-
chungen an Kindern, die in einer Pflegefamilie aufwuchsen. Diese Art der Untersuchungen
erlauben es, den Einfluss von Genen und Umwelt zu differenzieren (Wender, 2002, S. 37).
Die Ergebnisse zeigten:

      •   leibliche Geschwister von Kindern mit ADHS erkrankten doppelt so oft wie Halb-
          geschwister
      •   die leiblichen Eltern der adoptierten Kinder mit ADHS waren häufiger selbst be-
          troffen als die leiblichen Eltern adoptierter Kinder ohne ADHS

Auch wenn diese Untersuchungen zeigen, dass es genetische Risikofaktoren in einer Fami-
lie gibt, so führen diese nicht zwangsläufig zum Auftreten von ADHS bei den Kindern.

5.3       Weitere Ursachen
Zu weiteren Risikofaktoren, die zu ADHS führen können, werden Schädigungen während
der Schwangerschaft, insbesondere Nikotin- und Alkoholmissbrauch, ein geringes Ge-
burtsgewicht und neurologische Schädigungen gezählt. Eine Verursachung von ADHS
durch Nahrungsbestandteile wie Zucker oder Lebensmittelzusätze konnten nicht nachge-
wiesen werden (Barkley, 2005).

                                                                                       13
5.4    Soziale Faktoren
Nach dem gegenwärtigen Wissensstand sind psychosoziale Faktoren keine primäre Ursa-
che von ADHS, sie tragen aber entscheidend zum Verlauf und der Ausprägung der Störung
bei. So können bei gleicher genetischer Ausstattung unterschiedliche Umweltbedingungen
dazu beitragen, dass es zu unterschiedlichen Ausprägungen der Symptome und des Verhal-
tens kommt (Steinhausen, 2000). Ungünstige Bedingungen, wie Lärm und Hektik, fehlen-
de oder nicht durchschaubare Strukturen, restriktives oder inkonsequentes Erziehungsver-
halten, ein von ADHS selbst betroffener Elternteil und beengte Wohnverhältnisse können
den Ausbruch und ungünstigen Verlauf der Störung beeinflussen. Ebenso können schuli-
sche Gegebenheiten, wie hoher Leistungsdruck und große Klassen, Einflussfaktoren sein.
Auch ungünstige soziale Bedingungen in der Freizeit, wie übermäßiges Fernsehen, häufi-
ges Computer- oder Gameboy-Spielen und wenig Bewegung, können die Probleme von
Kindern mit ADHS verstärken. In vielen Fällen bewirken die hyperkinetischen Symptome
eine Zunahme an negativen Interaktionen in der Familie, mit den Bezugspersonen, in der
Schule und mit Gleichaltrigen (Barkley, 2005).

5.5    Integrative Modelle der Verursachung und Aufrechterhaltung von
       ADHS
Integrative Modelle zur Ätiologie von ADHS berücksichtigen den Einfluss mehrerer unter-
schiedlicher Faktoren auf die Störung (Döpfner, Lauth & Schlottke, Knölker). Im Folgen-
den soll das biopsychosoziale Modell der Entstehung und Aufrechterhaltung von Aufmerk-
samkeitsstörungen von Döpfner dargestellt werden. Es berücksichtigt alle weitgehend ge-
sicherten Befunde zu den ätiologischen Faktoren von ADHS (Döpfner, 2000).

Nach diesem Modell liegen die primären Ursachen von ADHS in genetischen Dispositio-
nen, die eine Beeinträchtigung des Neurotransmitterstoffwechsels, insbesondere des Do-
paminstoffwechsels, bewirken. Dies führt zur Einschränkung der Selbstregulationsfähig-
keiten des Kindes, da die Hemmung von Impulsen nur noch mangelhaft gelingt. Die Be-
einträchtigung der Selbstregulation betrifft das Arbeitsgedächtnis und die Regulation der
Affekte, der Motivation und der Aufmerksamkeit. Diese Beeinträchtigungen manifestieren
sich auf der Symptomebene in Form der klassischen Symptome Aufmerksamkeitsschwä-
che, Impulsivität und Hyperaktivität. Die Symptome bewirken wiederum eine Zunahme an
negativer Interaktion des Kindes mit seinen Bezugspersonen in der Familie, Schule, mit

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Gleichaltrigen, Lehrern und Erziehern. In Verbindung mit ungünstigen Bedingungen in der
Familie, in der Schule und im Freizeitbereich kann es zur Entwicklung weiterer Symptome
wie aggressivem und oppositionellem Verhalten, emotionalen Störungen und Leistungsde-
fiziten kommen. Im weiteren Verlauf ist es möglich, dass sich die Symptome weiter ver-
schärfen, wenn der Teufelskreis, in dem sich das Kind dann mittlerweile befindet, nicht
durch entsprechende medizinische, psychologische oder pädagogische Interventionen un-
terbrochen wird.

5.6       Das Auftreten komorbider Störungen
Unter komorbiden Störungen werden alle weiteren psychischen Erkrankungen gezählt, die
zusätzlich zu einer Primärerkrankung, in diesem Fall ADHS, auftreten können. Dabei ist
bisher noch nicht eindeutig geklärt, ob die Begleiterkrankungen unmittelbar aus ADHS
heraus zusätzlich entstehen oder ob sie daraus resultieren, dass die Betroffenen aufgrund
ihres Verhaltens, das zu Ablehnung und Misserfolg führt, weitere Symptome ausbilden
(Neuy-Bartmann, 2006).
Von komorbiden Störungen sind bis zu zwei Drittel aller Kinder mit ADHS betroffen. Sie
stellen ein zusätzliches Risiko für die weitere Entwicklung der Kinder dar. In einer Zu-
sammenfassung verschiedener klinischer Studien stellt Döpfner (2000, S. 7) die Höhe ver-
schiedener Komorbiditätsraten bei Kindern mit hyperkinetischem Verhalten vor. Danach
tritt zusätzlich auf:

      •   bei 50 % oppositionelle Störung des Sozialverhaltens
      •   bei 30 - 50 % Störung des Sozialverhaltens (ohne oppositionelle Verhaltensstörung)
      •   bei 10 - 40 % eine affektive, vor allem depressive Störung
      •   bei 20 % Angststörungen
      •   bei 10 - 25 % Lernstörungen, Teilleistungsschwächen
      •   bei 30 % Tic-Störungen oder Tourette-Syndrom

Weitere mögliche Begleiterkrankungen von ADHS können Entwicklungsstörungen mit
einer psychomotorischen und sprachlichen Entwicklungsverzögerung, Lern- und Teilleis-
tungsstörungen (LRS, Dyskalkulie) sein, aber auch Sucht und zwanghaftes Verhalten. E-
benso kann eine hohe Unfallrate bei ADHS-Kindern beobachtet werden, die Folge der Un-
aufmerksamkeit und Impulsivität dieser Kinder ist.

                                                                                         15
Komorbide Störungen müssen in der Diagnostik von ADHS differenzialdiagnostisch abge-
grenzt und in der Therapie gesondert behandelt werden.

6     ADHS und familiäre Beziehungen
Kinder mit ADHS leben in verschiedenen sozialen Bezugssystemen, die ihr Verhalten be-
einflussen und in denen ihre Schwierigkeiten auftreten können. Für das Verständnis der
Störung, ihre Ausprägung, Weiterentwicklung und die therapeutischen Interventionen ist
es wichtig, diese Bezugssysteme mit einzubeziehen. Der wohl wichtigste Bezugsrahmen
für das Kind mit ADHS ist die Familie. Probleme, die hier aufgrund der Störung auftreten,
betreffen das Erziehungsverhalten der Eltern und die emotionalen Beziehungen aller Fami-
lienmitglieder.

6.1     Belastung der Eltern
Die Eltern von Kindern mit ADHS sind deutlich belasteter und müssen wesentlich mehr
Bemühungen aufbringen als Eltern mit Kindern ohne ADHS. Ihr Kind benötigt wesentlich
mehr Anleitung, Unterstützung und Beaufsichtigung.
Studien, die sich mit der Belastung durch ADHS befassen, kamen zu dem Ergebnis, dass
vor allem die Mütter aufgrund des Verhaltens des ADHS-Kindes gefordert und belastet
sind. Es zeigte sich, dass die Beziehung zwischen den Müttern und Kindern mit ADHS
durch eine hohe Intensität in den Interaktionen geprägt ist. Im Kontakt mit ihren Müttern
forderten diese Kinder mehr Aufmerksamkeit, verbale Kommunikation und Hilfen. Die
Mütter selbst nahmen mehr Einfluss auf die Selbststeuerung des Kindes und kontrollierten
deren Verhalten stärker (Campell, 1975, i. Barkley, 2005, S. 174). Die Kinder wiederum
reagierten viel weniger auf die Anweisungen der Mütter, sie waren weniger ausdauernd in
der Beschäftigung mit einer Aufgabe. Die Mütter verhielten sich daraufhin den Kindern
gegenüber negativ und gaben ihnen mehr Befehle (Barkley, 2005, S. 174).

Im Gegensatz dazu steht die Beziehung zwischen Vater und Kind. Hier zeigte sich, dass
der Kontakt weniger negativ verlief und störendes Verhalten der Kinder weniger häufig
auftrat. Die Väter nahmen das Problemverhalten der Kinder scheinbar auch weniger wahr
(Barkley, 2005, S. 174). Der Grund für diese unterschiedlichen Interaktionsmuster liegt
wahrscheinlich darin, dass die Mütter auch heute noch den Hauptteil der Erziehung und

                                                                                      16
Versorgung des Kindes übernehmen müssen und permanent mit schwierigen Erziehungs-
aufgaben konfrontiert sind, die ADHS mit sich bringt und dadurch im Laufe der Zeit nega-
tiver auf das Kind reagieren. Durch die häufigere Abwesenheit der Väter ist ihr Verhältnis
zum Kind wahrscheinlich nicht so stark belastet wie das zwischen Mutter und Kind (Lauth
/ Schlottke, 2002).

Die hohe Belastung durch ein Kind mit ADHS kann sowohl die Beziehung der Eltern über
die Maßen strapazieren als auch gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. Es ist daher
wichtig, dass die Mütter in der Erziehung durch die Väter entlastet werden und Erholungs-
pausen einlegen können.

6.2      Geschwister
Geschwister von Kindern mit ADHS leiden ebenfalls unter dem impulsiven und unauf-
merksamen Verhalten des Kindes. Es ist für sie anstrengend, mit einem „Störenfried“ zu-
sammenzuleben, auf den sie Rücksicht nehmen müssen, der, obwohl er für viele Probleme
sorgt, mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung von den Eltern erhält (z. B. bei der Bewäl-
tigung alltäglicher Aufgaben).

6.3      Konfliktbereiche
Kindern mit ADHS fällt es schwer, Aufgaben, die man ihnen überträgt, auszuführen und
zu Ende zu bringen (z.B. ihr Zimmer aufräumen, Hausaufgaben erledigen). Sie gehen mit
den Anweisungen und Verboten ihrer Eltern sturer um und ignorieren Regeln, die von ih-
nen in bestimmten Situationen erwartet werden.
Innerhalb der Familie gibt es typische Problemsituationen, die zu Konflikten führen: z. B.
bei den Hausaufgaben, beim Zubettgehen, wenn Besuch kommt, Aufträge erledigt werden
sollen, Verhalten bei den Mahlzeiten, in der Öffentlichkeit usw. Es sind Situationen, die so
strukturiert sind, dass feste Handlungsabläufe und Regeln eingehalten werden müssen.
Gerade dieses aber fällt dem Kind mit ADHS schwer. Die Eltern empfinden das auffällige
Verhalten des Kindes in diesen Situationen als besonders belastend (Lauth / Schlottke,
2002).

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6.4       Erziehungsverhalten der Eltern
Kinder mit ADHS stellen durch ihr unstrukturiertes, impulsives und unruhiges Verhalten
große Anforderungen an das Erziehungsverhalten ihrer Eltern, da sie nicht wie verhalten-
sunauffällige Kinder durch Hinweise und Ermahnungen zu steuern sind. Eltern reagieren
darauf zunächst mit wiederholten Ermahnungen und Anweisungen, verändern aber ihr
Verhalten im Laufe der Zeit zu Ungunsten eines zunehmend restriktiveren Erziehungsstils.
Durch Androhung von Strafe oder durch negative Rückmeldungen versuchen sie, ihre An-
weisungen durchzusetzen. Im Gegenzug versucht das Kind nun seinerseits, die eigenen
Ziele durchzusetzen (z. B. etwas anderes lieber tun), worauf die Eltern wiederum mit aver-
siverem Verhalten reagieren usw. Durch dieses Erziehungsverhalten werden aufmerksam-
keitsgestörte Kinder eher bestraft als belohnt, da positive Verhaltensansätze kaum noch
wahrgenommen, belohnt und unterstützt werden. Die Verhaltensauffälligkeiten verfestigen
sich so. „Bei einem eher aversiv-kontrollierenden und verhärtenden Erziehungsverhalten
besteht das Risiko, dass sich die Erziehungsprobleme mit dem Kind ausweiten und auch
außerhalb der Familie auftreten“ (Lauth / Schlottke, 2002, S. 56).
Grundvoraussetzung für eine gute Erziehung ist, dass die Eltern in einem emotional stabi-
len Zustand sind und ihrem Kind liebevoll und konsequent gegenüberstehen unter Beibe-
haltung von Autorität und der Einhaltung von Grenzen.
In Elterntrainings können Eltern lernen, durch förderliches Verhalten auf die Störungen
ihrer Kinder Einfluss zu nehmen.

7     ADHS und Lernen
Effektives und störungsfreies Lernen setzt ein funktionierendes Gehirn voraus, das Infor-
mationen aufnimmt, sie strukturiert verarbeitet, einordnet und dauerhaft abspeichert. Ler-
nen wird aber auch noch von anderen Faktoren bestimmt (Stark-Städele, 2005):

      •   der Sinneswahrnehmung
      •   der Aufmerksamkeit und Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu fokussieren, d. h. die Kon-
          zentration über einen längeren Zeitraum auf eine bestimmte Aufgabe zu richten
      •   der individuellen Motivation, den Emotionen und bisherigen Erfahrungen mit dem
          Lernen
      •   den Lernbedingungen im sozialen Umfeld

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Kinder mit ADHS bringen, wie noch dargestellt werden wird, andere Lernvoraussetzungen
mit, die das Lernen erschweren.
Zunächst sollen einige grundlegende Prozesse des Lernens vorgestellt werden, wie sie im
„Normalfall“ ablaufen.

Die Fähigkeit zu lernen ist schon im frühen Kindesalter vorhanden. Durch Sinneseindrü-
cke, Sinnesreize und Empfindungen lernt das Gehirn des Kleinkindes. Es ist in der Lage,
alle Reize genau wahrzunehmen, wenn diese „geordnet“ und „organisiert“ ins Gehirn ge-
langen und nicht durch Wahrnehmungsprobleme, wie sie bei ADHS bestehen können, ver-
ändert oder reduziert aufgenommen werden. Durch sich wiederholende Erfahrung und
Wahrnehmung der gleichen Eindrücke werden dabei Lernprozesse ausgelöst und Verhal-
tensweisen ausgebildet (Stark-Städele, 2005).

Was nun passiert beim Lernen genau im Gehirn?
Zur Erklärung der Arbeitsweise des Gehirns kann dazu das 3-Speichermodell herangezo-
gen (Born / Oehler, 2004) werden. Es unterscheidet drei verschiedene Systeme der Infor-
mationsaufnahme und Verarbeitung:

   •   den sensorischen Speicher
       (das Ultrakurzzeitgedächtnis, UKZG)
   •   den Kurzzeitspeicher
       (das Arbeitsgedächtnis, KZG)
   •   den Langzeitspeicher
       (das Langzeitgedächtnis, LZG)

Alle drei Speichersysteme arbeiten in gegenseitiger Wechselwirkung miteinander. Über die
Sinneskanäle (taktil, visuell, auditiv, olfaktorisch, gustatorisch) gelangen ununterbrochen
große Mengen von Informationen in das menschliche Gehirn. Diese erreichen zuerst den
sensorischen Speicher. Reize, die für die Person von Bedeutung sind oder denen sie sich
bewusst zuwendet, haben die Chance, den ersten Filter zwischen UKZG und KZG zu ü-
berwinden. Wenn jedoch für diese Reize „keine Aufmerksamkeit vorhanden ist oder wenn
sie sich nicht an bereits bekannten Gedankenverbindungen aufhängen lassen, dann gehen
diese Wahrnehmungen an uns vorbei wie Straßengeräusche oder wie die Laute einer frem-

                                                                                        19
den Sprache“ (Vester, 2006, S. 62). Im Kurzzeitspeicher bleiben die Informationen ca. 20
Minuten. Es kann ca. 7 ± 2 Elemente speichern, jedoch, abhängig vom Vorwissen der Per-
son und ihren Integrationsmöglichkeiten, auch mehr.
Das KZG spielt beim Lernen eine wichtige Rolle. „Es ist eine Funktion, die einige wenige
Inhalte unmittelbar aktiviert hält und es erlaubt, mit diesen Inhalten im Geist zu hantieren“
(Spitzer, 2007, S. 5). Es verknüpft und ordnet neue aktuelle Informationen mit dem Wissen
und den Erfahrungen, die im LZG bereits gespeichert sind.
Informationen und Inhalte, die das Langzeitgedächtnis erreichen und die abgespeichert
werden sollen, müssen „Spuren“ im Gedächtnis hinterlassen, sie müssen wiederholt wer-
den, damit sie behalten werden.
Abspeicher- und Behaltensprozesse sind von der modernen Gehirnforschung umfangreich
untersucht worden. Danach vollzieht sich Lernen über den Aufbau von Neuronenverbin-
dungen zu umfangreichen neuronalen Netzwerken (Born / Oehler, 2004). Dabei werden
zunächst einzelne Verbindungen gestärkt (z. B. durch Wiederholung des Stoffes beim Ler-
nen). Je länger und intensiver man sich aber mit bestimmten Inhalten beschäftigt, desto
eher hinterlassen sie Spuren im Gedächtnis. „Ein bestimmter Inhalt wird [jedoch] nicht von
einem Kasten zum nächsten weitergereicht, sondern im Kopf bearbeitet, von verschiedenen
Arealen des Gehirns zugleich und interaktiv begleitet, es wird mit ihm geistig hantiert. Je
mehr, je öfter, je tiefer, desto besser für das Behalten“ (Spitzer, 2007, S. 6).
Lern- und Behaltensprozesse vollziehen sich leichter, wenn sie durch Interesse motiviert
sind und mit positiven Gefühlen einhergehen. So gelingt der Zugang zum Lernstoff leich-
ter und das Gelernte wird besser behalten. Wird unter Angst und Furcht gelernt, so kann
dies zwar kurzfristig das Einspeichern neuer Inhalte fördern, führt jedoch langfristig zu
negativen Effekten wie Denkblockaden, mangelnder Fähigkeit Probleme zu lösen oder
Erschöpfung (Spitzer, 2007).
Das Lernen wird von unserem Körper durch ein gehirneigenes Belohnungssystem unter-
stützt, das unmittelbar mit den Lernprozessen verbunden ist und bei Aktivitäten, die Spaß
machen, Dopamin aktiviert. Dopamin wiederum verursacht die Freisetzung von körperei-
genen Stoffen, die positive Gefühle auslösen. Wird dieses System aktiviert, so klappt die
Übertragung ins Gedächtnis gut und entsprechende Informationen werden besonders gut
abgespeichert und sind besser abrufbar (Stark-Städele, 2005).
Lernen mit positiven Gefühlen und Spaß setzt positive Sozialkontakte voraus und ein Um-
feld, in dem das Kind angstfrei lernen kann, es ausreichend Unterstützung und Anerken-
nung erhält.

                                                                                          20
7.1      Lernvoraussetzungen bei ADHS
Aufgrund von spezifischen neurobiologischen und neuropsychologischen Gegebenheiten
haben Kinder mit ADHS andere Lernvoraussetzungen als gleichaltrige Kinder ohne
ADHS. Durch Abweichungen im Gehirnstoffwechsel sind Gedächtnisleistung und Lern-
prozesse beeinträchtigt und funktionieren nicht reibungslos.
Im Einzelnen betroffen ist die Wahrnehmungsweise, die Wahrnehmungsselektion, Auf-
merksamkeitsspanne und die Abspeicherung im Langzeitgedächtnis (Stark-Städele, 2005).
Aufgrund vorhandener Wahrnehmungsstörungen werden Reize und Informationen nur
lückenhaft und zum Teil auch falsch aufgenommen. Ebenso ist es dem Kind mit ADHS
nur schwer möglich, seine Aufmerksamkeit länger und gezielt auf bestimmte Reize zu fo-
kussieren und dabei unwichtige Reize auszublenden.
Bedingt durch eine Filterschwäche in der Wahrnehmung gelangen zu viele Reize, bedeut-
same und unbedeutsame, gleichzeitig ins Kurzzeitgedächtnis. Da die Kapazität dieses
Speichersystems bei ADHS geringer ist als bei anderen Menschen (5 Einheiten), wird die-
ses noch zusätzlich mit weniger relevanten Reizen überlastet.
Ein weiteres Handicap bei der Informationsverarbeitung im Gehirn besteht in der Verweil-
dauer aufgenommener Reize im Kurzzeitgedächtnis. Sie ist bei Kindern mit ADHS kürzer
als bei nicht betroffenen Kindern. Die Arbeitsvorgänge im Kurzzeitgedächtnis setzen je-
doch eine gewisse Zeit voraus, damit Informationen wach gehalten, vorgeordnet und wie-
derholt werden können. So wird z. B. neuer Lernstoff bei ADHS während des Einpräge-
prozesses schon wieder vergessen oder nur bruchstückhaft aufgenommen (Born / Oehler,
2004).
Das Kind mit ADHS hat ebenso beim Zuordnen und Speichern von Informationen ins
Langzeitgedächtnis Probleme. Es kann im Gegensatz zu anderen Kindern nicht auf ein
beständiges und strukturiertes Raster im Langzeitgedächtnis zurückgreifen, mit dem es
vorhandenes Wissen und Erfahrungen mit neuen Informationen abgleichen und einordnen
kann. Strukturiertes Abspeichern setzt jedoch von Anfang an eine funktionierende selekti-
ve Aufmerksamkeit und gut angelegte „Schubladen“ im Langzeitgedächtnis voraus. Die
dauerhafte Abspeicherung und Automatisierung von Lernstoff gelingt nur durch gründli-
ches, systematisches Lernen mit vielen Wiederholungen und ausreichend Zeit. Hier gibt es
bei Kindern mit ADHS Motivationsprobleme. Aufgrund von vielen Misserfolgen, die diese
Kinder beim Lernen erlebt haben, sind die Anstrengungsbereitschaft und das Durchhalte-
vermögen gering. Außerdem funktioniert das gehirneigene Belohnungssystem nicht so wie

                                                                                      21
bei unauffälligen Kindern. Kinder mit AHDS benötigen stärkere Reize, damit Dopamin
ausgeschüttet und ein positives Gefühl bewirkt wird. Trotz des großen Zeitaufwandes beim
Lernen behalten die Kinder nur wenig (Knölker, 2005, Born / Oehler, 2004). Hinzu
kommt, dass Kinder mit Aufmerksamkeitsproblemen „keine Zeit“ zum Lernen haben. Al-
les muss schnell gehen und sollte möglichst immer wieder spannend und neu sein, da sonst
das Interesse nachlässt. Will man diesen Kindern mit ihren besonderen Voraussetzungen
das Lernen erleichtern, so sollte man eine reizarme Umgebung mit möglichst wenigen Ab-
lenkungsmöglichkeiten schaffen, sie durch positiv-verstärkende und strukturierte Beglei-
tung zum Lernen motivieren, das Lernen in kleinen Portionen durchführen und durch re-
gelmäßige Wiederholungen sichern (Neuhaus, 2002).

7.2       Charakteristika von ADHS in der Schule
Aufmerksamkeitsstörungen zeigen sich in der Schule in ihrer ganzen Tragweite. Hier wird
von dem Kind ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, Konzentration und Selbstkontrolle er-
wartet.
Eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, Fehlen von Selbststrukturierung, Selbstorientierung
und -steuerung erschwert den von ADHS betroffenen Kindern das Lernen in der Schule
erheblich.
Im Vergleich zu ihren Mitschülern erbringen diese Kinder schlechtere Leistungen und
werden auch deutlich schlechter benotet. Sie erreichen zumeist auch einen schlechteren
Schul- und Ausbildungsabschluss (Lauth / Schlottke, 2002). Eine amerikanische Untersu-
chung (Born / Oehler, 2004, S. 12) ergab:

      •   56 % der Schüler mit ADHS benötigen zusätzlich Nachhilfeunterricht
      •   etwa 30 % müssen eine Klasse wiederholen
      •   30 - 40 % nehmen an speziellen Förderungen oder Erziehungsprogrammen teil
      •   46 % der ADHS-Kinder wurden schon mindestens einmal vom Unterricht suspen-
          diert
      •   10 - 35 % können keinen High-School-Abschluss machen

Die Auswirkungen der Kernsymptome von ADHS zeigen sich im Unterricht sehr deutlich:

                                                                                      22
Unaufmerksamkeit
Es fällt dem Kind schwer, sich länger mit einer Aufgabe zu beschäftigen. Es ist leicht ab-
lenkbar und verliert nach kurzer Zeit den Faden. Es hat ebenso Probleme, den Anweisun-
gen und Ausführungen des Lehrers aufmerksam über einen längeren Zeitraum zu folgen,
wodurch es wichtigen Unterrichtsstoff nicht mitbekommt und Aufgaben nicht richtig aus-
führt. In seinem Arbeitsverhalten zeigt das Kind, bedingt durch den beeinträchtigten Ge-
hirnstoffwechsel, Schwankungen. Es verliert ganz plötzlich die Lust oder liefert Arbeitser-
gebnisse, die manchmal gut, manchmal schlecht ausfallen.

Impulsives Verhalten
Im Unterricht zeigt sich impulsives Verhalten in Form von mangelhafter Verhaltenskon-
trolle und -steuerung. Das Kind beginnt mit der Aufgabe, bevor der Lehrer sie zu Ende
erklärt und es diese verstanden hat. Es geht in der Bearbeitung schnell und unüberlegt vor,
so dass es viele Flüchtigkeitsfehler macht oder keine richtigen Ergebnisse zustande kom-
men. Insbesondere bei komplexen Aufgaben, die eine strategische Planung und Zeit benö-
tigen, sind die Kinder schnell ungeduldig, demotiviert und entmutigt. Im Unterricht fallen
sie auch dadurch auf, dass sie Antworten oder Fragen unaufgefordert in die Klasse rufen
(Imhof, 2003).

Hyperaktivität
Das Kind zappelt, bleibt nicht auf seinem Stuhl sitzen, läuft in der Klasse umher und stört
damit den Unterricht. Besonders in stark unstrukturierten Situationen haben Schüler mit
ADHS Probleme, ihr Verhalten und ihre Aufmerksamkeit zu steuern. Dies kann im Unter-
richt sein, beim Arbeiten in einer offenen Unterrichtsform (Einzel-, Frei- und Gruppenar-
beit), aber auch in Situationen außerhalb des Unterrichts wie in der Pause, auf dem Nach-
hauseweg, bei Schulausflügen (Imhof, 2003).

7.3    Soziale Integration in die Klasse
Zunächst ist das hyperaktive Kind noch in die Klassengemeinschaft integriert. Es wird von
seinen Mitschülern bewundert, weil es kontaktfreudig und mutig ist. Im Laufe der Zeit
jedoch ziehen sich seine Mitschüler von ihm zurück und entwickeln eine ablehnende Hal-
tung. Die Zurückweisung durch die Gleichaltrigen ist eher Folge als Ursache, denn das
Kind mit ADHS verhält sich zunehmend egoistisch, möchte immer der Chef sein und hält

                                                                                        23
sich nicht an Regeln (z. B. beim Spielen). Weiterhin kann es in seinen Stimmungen sehr
schwankend sein, so dass es die anderen Kinder nicht einschätzen können (Imhof, 2003).

7.4     Lehrer-Schüler-Beziehung
Lehrer wissen oft nur wenig über die Hintergründe von ADHS und glauben, die Kinder
wollen sie mit ihrem Verhalten provozieren und verhalten sich bewusst impulsiv, hyper-
motorisch oder unaufmerksam. Sie lösen bei Lehrern Stress aus und veranlassen die Lehr-
kraft zu negativen Reaktionen, wie verbaler Aggression, Strafen, Notendruck und Ignorie-
ren positiver Verhaltensweisen (Krowatschek, 1996, S. 6). Zunehmender Druck auf das
Kind kann wiederum weitere auffällige Verhaltensweisen auslösen, so dass es immer stär-
ker in die Außenseiterrolle gerät, zunehmend leistungsschwächer und entmutigter sein
kann.

8     Diagnostik bei ADHS
Die Diagnose von Aufmerksamkeitsstörungen muss sehr sorgfältig durchgeführt werden
und verschiedene Faktoren mit einbeziehen. Neben einer fundierten Erhebung der Vorge-
schichte, die aus der Anamnese des Kindes, seiner Familie und des sozialen Umfeldes be-
steht, ist eine körperlich-neurologische und internistische Untersuchung angezeigt, um
eventuelle somatische Faktoren, die für das Verhalten des Kindes ursächlich sein könnten,
auszuschließen. In einer testpsychologischen Untersuchung wird die Intelligenz, der Ent-
wicklungsstand des Kindes, die schulische Leistungsfähigkeit, Aufmerksamkeitsleistung
etc. festgestellt und durch Verhaltensbeobachtungen ergänzt. Ebenso wird differenzialdia-
gnostisch abgeklärt, ob eine andere Störung vorliegt, die zu ähnlichen Symptomen wie
ADHS führt und ob komorbide Störungen bestehen. Es empfiehlt sich, die Diagnostik von
Kinder- und Jugendpsychiatern oder spezialisierten Kinder- und Jugendpsychologen
durchführen zu lassen, wobei die Kriterien der Aufmerksamkeitsstörung wie sie in ICD 10
oder DSM IV zu finden sind, mit den Ergebnissen der o. g. Untersuchungen überprüft
werden.

                                                                                      24
8.1       Diagnostische Kriterien

8.1.1 Verhaltenssymptome
Zur Überprüfung der geschilderten und beobachteten Auffälligkeiten stehen zwei Krite-
rienkataloge zur Verfügung:

      •   ICD 10 - Internationales Klassifikationssystem für psychische Störungen der WHO
      •   DSM IV - das Diagnoseschema der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie

Beide Klassifikationssysteme haben sowohl gemeinsame als auch unterschiedliche Krite-
rien, die zur Diagnose ADHS führen. Weitgehend übereinstimmend legen ICD 10 und
DSM IV fest (Knölker, 2005, S. 16):

      •   die Symptome einer Aufmerksamkeitsstörung müssen seit mindestens sechs Mona-
          ten konstant bestehen und in einem für den Entwicklungsstand des Betroffenen un-
          typischen Ausmaß auftreten
      •   die gesamte Störung oder Symptome der Störung müssen vor dem Alter von sieben
          Jahren bestanden haben und in zwei oder mehreren verschiedenen Lebensbereichen
          (z. B. zu Hause und in der Schule) auftreten und sich auswirken
      •   die Symptome müssen zu deutlichen und klinisch relevanten Beeinträchtigungen in
          verschiedenen Lebensbereichen führen.
      •   die Symptome treten nicht ausschließlich im Verlauf einer tiefgreifenden Entwick-
          lungsstörung, einer Schizophrenie oder anderer psychotischer Erkrankungen auf
          und können nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden.

Weiterhin werden für die formelle Diagnose auch weitgehend gemeinsame Symptome
zugrunde gelegt, wie sie in DSM IV beschrieben sind (Döpfner, 2000, S. 2)

Sie beinhalten verschiedene Verhaltensmerkmale, die sich auf den Bereich der Unauf-
merksamkeit, der Hyperaktivität und der Impulsivität beziehen. Aus jedem Bereich müssen
mindestens sechs oder mehr Symptome vorhanden sein, die von Eltern und Lehrern bestä-
tigt werden sollen.

Verhaltenssymptome zu Unaufmerksamkeit:

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