Aufschwung verzögert Wirtschaftliche Lage und Aussichten, Ende 2021 2022 - Wirtschaftspolitik
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Dezember 2021 Nr. 03 VER.DI BUNDESVORSTAND | BEREICH WIRTSCHAFTSPOLITIK | WIRTSCHAFTSPOLITIK@VERDI.DE | WWW.WIPO.VERDI.DE Aufschwung verzögert Wirtschaftliche Lage und Aussichten, Ende 2021 – 2022 Weltwirtschaft im Inhaltsübersicht Aufschwung Weltwirtschaft im Aufschwung ......1 Die Weltwirtschaft befindet sich im Aufschwung. Die Wirtschaftsleistung des Globus wird 2021 um Verzögerter Aufschwung in voraussichtlich sechs Prozent wachsen. Für das Deutschland .......................................3 nächste Jahr erwarten die Wirtschaftsexpertin- nen und –experten vom Institut für Makroökono- Erholung am Arbeitsmarkt .............4 mie und Konjunkturforschung (IMK) ein weltwei- tes Plus von 4,8 Prozent. Damit ist die Wirt- Inflation erhöht .................................5 schaftskrise überwunden, obwohl die Pandemie noch nicht beendet ist. Das Tempo der wirt- Öffentliche Finanzen: schaftlichen Erholung fällt jedoch regional sehr Möglichkeiten nutzen! .....................7 unterschiedlich aus. Der starke weltweite Aufschwung hat den Welt- handel belebt. Die Warenströme werden 2021 um voraussichtlich 11 Prozent zunehmen. Für das nächste Jahr erwarten die Prognosen ein weite- res Handelswachstum von fast 10 Prozent. Die grenzüberschreitende Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen hat die Energie- und Roh- stoffpreise kräftig anziehen lassen. Der Rohöl- preis liegt über 80 US-Dollar.
VER.DI BUNDESVORSTAND | BEREICH WIRTSCHAFTSPOLITIK | 03/2021 | Nr.03 Seite 2 In den letzten Monaten zogen aber dunkle Wol- ben der europäischen Nationalstaaten und die lo- ken am Konjunkturhimmel auf. Lieferengpässe ckere EZB-Geldpolitik. Die gute Wirtschaftslage bei Vorprodukten und Rohstoffen haben die In- wirkt sich aber kaum auf die europäischen Ar- dustrieproduktion weltweit gedrosselt. Der Man- beitsmärkte aus. Die EU-Erwerbslosenquote liegt gel an Halbleitern trifft besonders die internatio- bei hohen sieben Prozent. nale Automobilindustrie. Zudem belastet ein glo- baler Anstieg der Infektionszahlen – vierte Welle Die Preise steigen deutlich. In der Eurozone rech- – erneut die Volkswirtschaften. Zum wiederhol- nen die Experten für das laufende Jahr mit einer ten Mal könnten im Winter 2021 gesundheitspo- Inflation von 2,3 Prozent (EU). Für 2022 wird ein litische Eindämmungsmaßnahmen notwendig Preisanstieg von 1,8 Prozent erwartet. werden. Noch können wir aber davon ausgehen, Frankreich, Italien und Spanien sind die Konjunk- dass die Erholung der Weltwirtschaft dadurch turlokomotiven der Eurozone – auch, weil sie nicht stark beeinträchtigt wird. ihre Staatsausgaben in der Krise diesmal nicht zu- Die US-Wirtschaft treibt den weltweiten Auf- sammengestrichen haben. Das Bruttoinlandspro- schwung an. Das IMK rechnet 2021 mit einem US- dukt dieser Länder wird 2021 vermutlich zwi- Wachstum von fast sieben Prozent. Damit haben schen sechs und sieben Prozent zunehmen. Diese die USA wirtschaftlich wieder das Vorkrisenni- Ländergruppe konnte aber den starken pande- veau erreicht. Im nächsten Jahr wird ein Plus von miebedingten Einbruch ihrer Wirtschaftsleistung fast vier Prozent erwartet. Wichtiger Treiber des noch nicht wieder wettmachen. Dafür müsste US-Wachstums sind die steigenden privaten Kon- sich die gute wirtschaftliche Entwicklung weiter sumausgaben. Zudem schiebt Joe Bidens milliar- fortsetzen. Eine notwendige Reform des Stabili- denschweres öffentliches Infrastrukturprogramm täts- und Wachstumspakts und die Finanzmittel die US-Wirtschaft kräftig an. Die Arbeitslosen- des europäischen Wiederaufbaufonds können quote fiel auf rund fünf Prozent. Zwischen dazu beitragen. Washington und Los Angeles gibt es aber noch Die chinesische Wirtschaft wächst im internatio- immer mehr Arbeitslose als vor der Pandemie. nalen Vergleich besonders kräftig. Im laufenden Der kräftige Aufschwung lässt die Verbraucher- Jahr wird das chinesische Bruttoinlandsprodukt preise steigen. Im Vergleich zum Vorjahr klettern um voraussichtlich 8,7 Prozent zunehmen. Für die US-Preise um voraussichtlich 3,7 Prozent. Die- 2022 rechnen die Konjunkturexperten mit einem ser deutliche Preisanstieg ist jedoch maßgeblich Wachstum von 5,6 Prozent. Der private Ver- auf die Öl-, Gas- und Benzinpreise zurückzufüh- brauch, die Investitionen und der Außenhandel ren und somit zeitlich begrenzt. schieben Pekings Wirtschaft an. Europa ist ebenfalls auf Erholungskurs. Das IMK Die Schwellenländer – Brasilien, Mexiko, Russ- schätzt für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum land, Indien, Südkorea, Türkei – wachsen 2021 in der EU von 5,4 Prozent. Im Euroraum rechnen zwischen fünf und sieben Prozent. Sie profitieren die Wirtschaftsexperten mit einem Plus von 5,2 von der steigenden Rohstoffnachfrage, leiden Prozent. Im nächsten Jahr könnte sich der starke aber am unzureichenden Impfschutz. europäische Aufschwung – plus fünf Prozent – fortsetzen. Treiber der guten Konjunktur sind der private Verbrauch, die gestiegenen Staatsausga-
VER.DI BUNDESVORSTAND | BEREICH WIRTSCHAFTSPOLITIK | 03/2021 | Nr.03 Seite 3 Verzögerter Aufschwung trägt der Mangel an Rohstoffen und Vorproduk- ten stark zu den seit einigen Monaten höheren in Deutschland Inflationsraten bei. Für Industrie, Handwerk und Bauwirtschaft in Deutschland haben Liefer- Die von den Instituten zunächst prognostizierte schwierigkeiten und steigende Preise zur Folge, und erwartete Erholung der deutschen Wirt- dass die Unternehmen trotz voller Auftragsbü- schaft in 2021 ist nur eingeschränkt eingetreten. cher und trotz Expansion der Weltwirtschaft nur Im Jahresverlauf mussten sie ihre Prognosen wie- eingeschränkt produzieren konnten und können. derholt nach unten korrigieren. Das Institut für Besonders schwer betroffen war und ist die Auto- Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) industrie: Aufgrund des Chipmangels brach ihre in der Hans-Böckler-Stiftung etwa geht in seiner Produktion in den ersten sieben Monaten 2021 September-Prognose noch von einem Wachstum um beinahe 23 Prozent ein. Jedes dritte Auto in 2021 von 2,6 Prozent aus. kann in diesem Jahr nicht gebaut werden. Die Die wichtigsten Gründe für die Korrektur nach ebenfalls von Lieferschwierigkeiten betroffene unten waren die erneut heftige Corona-Welle im Bauwirtschaft wurde zu Beginn des Jahres zu- ersten Halbjahr – einschließlich erneuter Lock- sätzlich durch schlechte Witterungsverhältnisse downs in vielen Ländern – sowie anschließend belastet. Hingegen konnte sich die Produktion in Lieferschwierigkeiten bei vielen Rohstoffen und den von der Pandemie besonders betroffenen Vorprodukten. Zusammen mit einer nur verhalte- Dienstleistungsbranchen in 2021 überwiegend nen Ausweitung der Produktion von Erdöl und wieder erholen, so etwa im Gastgewerbe und im Gas bei wieder steigender Energienachfrage Einzelhandel. Voraussetzung hierfür waren das
VER.DI BUNDESVORSTAND | BEREICH WIRTSCHAFTSPOLITIK | 03/2021 | Nr.03 Seite 4 rückläufige Infektionsgeschehen ab dem Früh- sommer, das Kontakte wieder zuließ, sowie ein Erholung am Arbeitsmarkt deutlicher Anstieg des privaten Konsums. Die Corona-Krise führte wiederholt zu Einbrü- Die Institute erwarten in ihren Prognosen ein chen bei der Beschäftigung und zu einem An- Ende der Lieferengpässe erst im Sommer 2022, stieg der Arbeitslosigkeit. Diese stieg innerhalb sodass die industrielle Produktion auch in der ers- eines Jahres von 2,4 Mio. Personen Anfang 2020 ten Hälfte des kommenden Jahres noch von auf den Höchstwert im Zuge der Corona-Krise Schwierigkeiten geprägt sein dürfte. Entspre- von 2,9 Mio. Personen im Februar 2021. Seitdem chend dürften auch die Exporte erst gegen Mitte ist sie im Trend rückläufig. Spiegelbildlich nah- oder Ende 2022 wieder anziehen. men Erwerbstätigkeit (seit März 2021) und sozial- versicherungspflichtige Beschäftigung wieder zu. Dennoch dürfte die Erholung der Wirtschaft im Jahr 2022 insgesamt weitergehen. Die Institute Der Anstieg der Arbeitslosigkeit war angesichts erwarten ein Wachstum von etwa 4,5 bis 5,0 Pro- der Tragweite der Krise erfreulich gering. Verant- zent, das IMK schätzt 5,1 Prozent. Getragen wird wortlich dafür ist insbesondere die Kurzarbeit, es ganz wesentlich von der Inlandsnachfrage, ohne die dieser Anstieg deutlich stärker ausgefal- wobei hier nur der private Konsum expansiv aus- len wäre. Dieses Instrument zielt darauf, in Kri- fällt. Der Staatskonsum hingegen geht angesichts senzeiten die Arbeitszeit sozialversicherungs- der in Teilen voraussichtlich wegfallenden pflichtig Beschäftigter um bis zu 100 Prozent zu Corona-bedingten Mehrausgaben zurück. Beim reduzieren und hierdurch Arbeitsplätze zu si- expandierenden privaten Konsum spielen nach- chern. Im Februar 2021 waren 3,4 Mio. Personen holende Ausgaben eine wichtige Rolle – die in Kurzarbeit, dies war der höchste Wert des Jah- Haushalte bauen Ersparnisse der letzten Monate res. Im April 2020 befanden sich sogar sechs Mio. ab. Beschäftigte in Kurzarbeit. Bremsen dürften allerdings die aktuell und ab- Zur Erholung von Arbeitsmarkt und Wirtschaft im sehbar wieder ansteigenden Infektionszahlen Laufe des Jahres 2021 trugen sehr wesentlich die bzw. die damit einhergehenden politischen Maß- steigenden Impfzahlen bei. Dennoch ist ange- nahmen – einmal mehr sind hier die kontaktin- sichts der derzeit steigenden Infektionszahlen in tensiven Dienstleistungsbranchen besonders be- den kommenden Monaten mit vermehrten Kon- troffen. Allerdings dürfte das Ausmaß dessen an- taktbeschränkungen zu rechnen, was – wie auch gesichts der zwischenzeitlich erreichten Impffort- die oben erwähnten Lieferengpässe – den Ar- schritte hinter den Auswirkungen der bisherigen beitsmarkt vorübergehend erneut belasten Corona-Wellen zurückbleiben. könnte. Der Abbau der Kurzarbeit dürfte parallel dazu stagnieren. Im Gesamtjahr 2022 aber sollte Die Finanzierungsbedingungen der Unterneh- die allgemeine Erholung der Wirtschaft auch zu men sind angesichts des aktuellen Niedrigzinsum- einer weiteren Erholung am Arbeitsmarkt und zu felds günstig. Da die derzeit höheren Inflations- einem weiteren Abbau der Kurzarbeit führen. zahlen vorübergehend sein dürften und sie ins- Das IMK rechnet im kommenden Jahr mit einer besondere keine volle Auslastung der Kapazitä- Zunahme der Erwerbstätigkeit um 1,2 Prozent so- ten anzeigen, ist ein geldpolitischer Kurswechsel wie der sozialversicherungspflichtigen Beschäfti- der Europäischen Zentralbank in Richtung höhe- gung um 1,4 Prozent bei einem Rückgang der Ar- rer Zinsen weder angezeigt noch zu erwarten. beitslosenquote von 5,7 Prozent auf 5,1 Prozent.
VER.DI BUNDESVORSTAND | BEREICH WIRTSCHAFTSPOLITIK | 03/2021 | Nr.03 Seite 5 Inflation erhöht Schwankungen unterliegen; aktuell verzerren zu- sätzlich zahlreiche Corona-bedingte Sonderef- fekte die Werte. Der Sachverständigenrat Wirt- Seit einigen Monaten steigt die Inflationsrate im schaft der Bundesregierung erwartet für 2021 Vergleich zum jeweiligen Vorjahresmonat erheb- eine Jahresrate des Verbraucherpreisindexes von lich. Ein kontinuierlicher Anstieg der Verbrau- 3,1 Prozent in Deutschland und 2,4 Prozent im cherpreise ist seit Jahresbeginn zu beobachten. Euroraum. Unter anderem Heizöl, Kraftstoffe und Nah- rungsmittel sind teurer geworden. Es ist nicht davon auszugehen, dass wir dauerhaft höhere Inflationsraten sehen werden. Dafür spre- Die Inflationsrate zeigt die durchschnittliche pro- chen zahlreiche Gründe: zentuale Preisveränderung aller Waren und Dienstleistungen im Vergleich mit einem Basis- Welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf die jahr bzw. einem Basismonat. Der Verbraucher- Preisentwicklung hat, wird in der nachfolgenden preisindex misst die Preisentwicklung eines für Grafik zu den Verbraucherpreisindizes deutlich. Verbraucher typischen, repräsentativen Waren- Der Index (die Linie) zeigt das jeweilige Preisni- korbes. Demnach stiegen die Verbraucherpreise veau, wobei das des Jahres 2015 als 100 gesetzt im Oktober 2021 im Vergleich zum Vorjahresmo- ist. Die Veränderungsraten zum Vorjahresmonat nat um 4,5 Prozent. Das mag erschreckend hoch (die Säulen) zeigen den Rückgang der Preise (da- erscheinen, allerdings sind Jahresraten um eini- her negative Werte) in der zweiten Jahreshälfte ges aussagekräftiger als der Vergleich mit Vorjah- 2020 auf. In einer Art Ausgleichsbewegung dazu resmonaten. Denn Monatsdaten können starken springen sie in 2021 auf ein relativ hohes Niveau.
VER.DI BUNDESVORSTAND | BEREICH WIRTSCHAFTSPOLITIK | 03/2021 | Nr.03 Seite 6 Dabei spielte auch die befristete Senkung der Computerchips und manchen Rohstoffen), ver- Mehrwertsteuer eine Rolle. Die Bundesregierung einzelte Hafenschließungen in China und regio- hatte sie im zweiten Halbjahr 2020 gesenkt, um nal einen Mangel an Containern zur Ursache. Unternehmen und Haushalte zu entlasten. In 2021 wirkt die Rücknahme dieser Maßnahme Die Preise mineralölbasierter Energieträger sind preissteigernd – ein statistischer Sondereffekt, aktuell ein besonders starker Treiber der Inflati- der mehr als einen halben Prozentpunkt der In- onsrate. Auch dies liegt an einer sehr hohen flationsrate ausmacht. Nachfrage bei gleichzeitig geringerem Angebot. Zwischen Juli 2020 und Juli 2021 wurden vor al- Auch nachholender Konsum lässt momentan die lem Heizöl (+53,6 Prozent) und Kraftstoffe (+24,7 Nachfrage stark steigen. Die Haushalte geben Prozent) teurer. Auch die Preise für Erdgas (+4,7 Geld aus, das sie im Zuge der Corona-Krise nicht Prozent) und Strom (+1,6 Prozent) erhöhten sich. ausgeben konnten. Gleichzeitig können die Un- Dieser Anstieg wird aber in 2022 voraussichtlich ternehmen diese zusätzliche Nachfrage nur ein- zu einem Ende kommen und sich teilweise wie- geschränkt bedienen. Dies führt vorübergehend der umkehren. zu steigenden Preisen. Gründe für die verzögerte Anpassung des Angebots sind unter anderem Die Preise für fossile Energieträger steigen zu- nach wie vor gegebene Corona-Beschränkungen dem durch die mit Jahresbeginn 2021 einge- und Lieferschwierigkeiten bei vielen Rohstoffen führte CO2-Bepreisung. Dies macht etwa 0,3 Pro- und Vorprodukten. Letztere haben insbesondere zentpunkte der Inflationsrate aus. Diese CO2-Be- global ausgelastete Produktionskapazitäten (bei preisung soll in den kommenden Jahren planvoll weiter steigen. Diese klimapolitisch sinnvolle 112 4,5% Veränderung zum Vorjahresmonat (rechte Skala) 111 4,0% Verbraucherpreisindex (linke Skala) 110 3,5% 109 3,0% 108 2,5% 107 2,0% 106 1,5% 105 1,0% 104 0,5% 103 0,0% 102 -0,5% Jan Mai Jan Mai Jan Mai Sep Sep Sep Nov März Juli März Juli Nov März Juli 2019 2020 2021
VER.DI BUNDESVORSTAND | BEREICH WIRTSCHAFTSPOLITIK | 03/2021 | Nr.03 Seite 7 Maßnahme belastet Haushalte mit geringen und dann auf noch etwa zwei Prozent und 2023 mittleren Einkommen allerdings überdurch- knapp ein Prozent des BIP zurückgehen. schnittlich stark. Um die Lasten fair zu verteilen, fordert ver.di daher ein staatliches Energiegeld, Die so genannte Staatsquote – die Ausgaben von von dem vor allem Haushalte mit geringen und Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversiche- mittleren Einkommen profitieren sollen. Außer- rungen im Verhältnis im BIP – stieg auf etwa 51 dem fordern die Gewerkschaften die Umstellung Prozent in 2020 und 2021. In den Jahren zuvor der Entfernungspauschale, die bisher Beschäf- lag sie knapp unter 45 Prozent. Ursächlich dafür tigte mit höheren Einkommen überproportional sind einerseits höhere Ausgaben für Sozialleis- entlastet, zu einem Mobilitätsgeld, bei dem allen tungen, Gesundheitsausgaben und Unterneh- Beschäftigten der gleiche Betrag je Kilometer menshilfen, andererseits das in der Krise gesun- Entfernung zum Arbeitsplatz erstattet wird. kene BIP. In den kommenden Jahren wird die Staatsquote wieder unter 47 Prozent sinken. Die EZB verfolgt das Ziel einer mittelfristigen In- flation von 2 Prozent, um Preisstabilität zu ge- Auf der anderen Seite sanken die Steuereinnah- währleisten. Auch wenn die aktuellen Inflations- men 2020 um fast 60 Milliarden Euro und bleiben zahlen über diesem Ziel liegen, besteht momen- auch in 2021 und in den folgenden Jahren um tan weder Grund noch Anlass zu einer Abkehr zweistellige Milliardenbeträge hinter den Prog- vom derzeitigen geldpolitischen Pfad. Insbeson- nosen und der darauf aufbauenden Haushalts- dere eine Erhöhung der Zinsen würde anste- planung von vor der Krise zurück. Die neue Steu- hende und notwendige Investitionen hemmen erschätzung vom November 2021 prognostiziert und den wirtschaftlichen Aufschwung ausbrem- allerdings für die nächsten Jahre deutlich höhere sen, ohne den Gründen für die aktuell höhere Steuereinnahmen, als in den letzten Schätzungen Preisentwicklung entgegenzuwirken. Dies gilt erwartet worden war. umso mehr, als die beschriebenen Treiber der In- Die Antikrisenpolitik hat die Staatsverschuldung flation keine langfristigen Phänomene sind. deutlich ansteigen lassen. Die Schuldenstands- quote des Gesamtstaates – Verschuldung im Ver- Öffentliche Finanzen: hältnis zum BIP – stieg in der Krise von unter 60 auf etwa 70 Prozent. Voraussichtlich wird sie be- Möglichkeiten nutzen! reits 2022 und dann weiter in den folgenden Jah- ren wieder sinken. Diese Verschuldung ist im in- Die Pandemie und die Krise haben tiefe Löcher in ternationalen Vergleich gering und auch deshalb die öffentlichen Haushalte in Deutschland geris- unproblematisch, weil die Zinsbelastung der öf- sen. Nachdem sie durch Mindereinnahmen und fentlichen Haushalte in den letzten 20 Jahren Mehrausgaben für Sozialleistungen und Unter- von 14 Prozent auf in 2021 nur noch 2,4 Prozent nehmenshilfen im Jahr 2020 ein Defizit von 145 der Steuereinnahmen gesunken ist und weiter Mrd. Euro aufwiesen, werden es in 2021 voraus- sinken wird. Aktuell verdient der Bund sogar an sichtlich 174 Mrd. Euro sein. Das entspricht 4,9 seiner Kreditaufnahme: Für 1000 Euro Schulden, Prozent der Wirtschaftsleistung, des Bruttoin- für die er null Zinsen zahlt, muss er in 10 Jahren landsprodukts (BIP). 2022 dürften nach gegen- nur 973 Euro zurückzahlen (in der Regel wird wärtigen Schätzungen der Institute die Defizite dazu dann eine neue Anleihe aufgenommen).
VER.DI BUNDESVORSTAND | BEREICH WIRTSCHAFTSPOLITIK | 03/2021 | Nr.03 Seite 8 ver.di fordert, dass die Schuldenbremse abge- Leistungen (Rente, Grundsicherung, Arbeits- schafft oder zumindest mittels längerer Tilgungs- marktpolitik usw.), die aus Steuern und Sozialbei- fristen und einer „goldenen Regel“ (Möglichkeit trägen zu decken sind. der Kreditfinanzierung öffentlicher Investitionen) gelockert wird. Denn es gibt massive zusätzliche ver.di fordert dazu auch weiterhin eine umvertei- öffentliche Investitions- und Ausgabenbedarfe, lende und gerechte Steuerpolitik, die den priva- die das gewerkschaftsnahe IMK und das arbeit- ten Reichtum stärker besteuert, um notwendige gebernahe IW in einer gemeinsamen Studie auf öffentliche und soziale Leistungen zu finanzie- mindestens etwa 45 Mrd. Euro pro Jahr über ren. Darüber hinaus müssen übermäßige Alt- zehn Jahre beziffert haben. schulden finanzschwacher Kommunen durch ei- nen Altschuldenfonds von Bund und Ländern Dazu kommen noch dort nicht erfasste Investiti- übernommen werden. Das Steuerkonzept der ons- und Personalbedarfe in den Bereichen Ge- DGB-Gewerkschaften erbrächte dazu Mehrein- sundheit und Altenpflege und weitere Personal- nahmen von etwa 60 Milliarden Euro im Jahr. bedarfe in öffentlichen und sozialen Diensten so- Dieses wurde im Koalitionsvertrag leider nicht wie Finanzbedarfe für die Verbesserung sozialer aufgegriffen. ___________________________________________________________________________________________________________________________________ Impressum Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bundesvorstand, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin – Ressort 1, Frank Werneke Bereich Wirtschaftspolitik: Dr. Dierk Hirschel, Ralf Krämer, Dr. Patrick Schreiner, Anita Weber. Dezember 2021. Kontakt: wirtschaftspolitik@verdi.de
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