AUS DER GESCHICHTE LERNEN - "Spanische Grippe", Corona und die Kunst der Verdrängung: Historische Betrachtungen und ethische Anmerkungen ...

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TAGUNGEN UND KONGRESSE

AUS DER GESCHICHTE LERNEN
„Spanische Grippe“, Corona und die Kunst der Verdrängung:
Historische Betrachtungen und ethische Anmerkungen
Ralf Vollmuth a, André Müllerschön b

In der veröffentlichten Meinung und der öffentlichen                    Spanischen Grippe und der Corona-Pandemie heraus-
Wahrnehmung zur gegenwärtigen Corona-Krise ist im-                      gearbeitet und drittens einige ethische – nicht nur medi-
mer wieder von der „Einzigartigkeit“ dieser Pandemie die                zinethische – Aspekte angerissen werden.
Rede, von „Beispiellosigkeit“ und von „noch nie da ge-
wesenen Herausforderungen“. In unserer multimedialen                    Die Spanische Grippe
Welt überschlugen sich gerade in der Hochphase der
Neuinfektionen die Superlative, entstand ein wahrer                     Ursprung und Ausbreitung der Spanischen Grippe
Überbietungswettkampf reißerischer Schlagzeilen.                        Bis heute ist der Ausgangspunkt dieser verheerenden
Der Blick in die Geschichte der Medizin zeigt indessen,                 Influenzaform nicht definitiv bekannt, allerdings sind sich
dass auch Pandemien dieses Ausmaßes leider keine                        Historiker wie Virologen einig, dass das Ursprungsgebiet
Einzelfälle sind, sondern in den letzten Jahrzehnten trotz              auf den Mittleren Westen der USA zu verorten ist. Ver-
aller medizinischen Fortschritte mehr verdrängt als wirk-               mutlich sprang das Virus im Frühjahr 1918 von Haus-
lich bewältigt wurden. Im Kontext der Corona-Pandemie                   schweinen oder domestiziertem Zuchtgeflügel auf den
besonders interessant ist der Blick auf die Spanische                   Menschen über. Nachdem drei offensichtlich infizierte
Grippe der Jahre 1918 bis 1920, teilweise auch etwas                    Einwohner des Haskell County im Februar des gleichen
darüber hinaus.                                                         Jahres in das Armeeausbildungslager Camp Funston
Im vorliegenden Beitrag sollen deshalb die Entstehung,                  (Kansas) eingezogen wurden, kam es bereits Anfang
die Ausbreitung und der Verlauf dieser Seuche wie auch                  März zu ersten Massenerkrankungen mit ungewöhnli-
die daraus resultierenden Folgen beleuchtet, alsdann                    chen Todesfällen.
einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der                    Nach der Kriegserklärung der Vereinigten Staaten von
a Zentrum
                                                                        Amerika am 6. April 1917 und dem Eintritt in den Ersten
           für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundes-
  wehr Potsdam
                                                                        Weltkrieg wurden die US-amerikanischen Streitkräfte in
b Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg                                  Europa kontinuierlich verstärkt, was eine Verbreitung des

                                                                                                       Abb. 1: Militärkrankenhaus in
                                                                                                       Kansas während der Spanischen
                                                                                                       Grippe (Bildquelle: commons.
                                                                                                       wikimedia.org/wiki/File:Spanish_
                                                                                                       flu_hospital.png)

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Virus beziehungsweise der Grippe begünstigte. Durch            Gewebe eines Influenzaopfers vom Herbst 1918. Durch
die Verlegung infizierter Militärangehöriger sowie den         die Analyse des für den Ausbruch der Spanischen Grippe
Transport von Kriegsgefangenen in weit hinter der Front        verantwortlichen Influenza-Virus A-H1N1 sollte es schließ-
errichtete Lager breitete sie sich zunächst rasch auf          lich möglich sein, den Infektionsablauf sowie die Reaktio-
Europa und kurze Zeit später weltweit aus.                     nen des menschlichen Organismus zu untersuchen und
                                                               ein Erklärungsmodell zu liefern, warum so viele gesunde
Warum, wird man fragen, sprechen wir aber von der „Spa-        Menschen mit einem guten Immunsystem erkrankten:
nischen“ Grippe? Während in fast allen kriegsführenden         Nach Unterdrückung der Immunantwort zu Beginn der
Ländern entsprechende Berichte erst deutlich nach dem          Infektion folgte demnach eine überschießende Antwort
Auftreten der ersten Erkrankungswelle veröffentlicht wur-      der körpereigenen Abwehr, in deren Folge es zu massi-
den, thematisierte die aufgrund der Neutralität Spaniens       ven Schädigungen und Zerstörungen des Lungengewe-
nicht der Kriegszensur unterliegende spanische Presse          bes der Patienten kam. Gerade die verzögerte Reaktion
die Erkrankungen offen. Sie berichtete über den Gesund-        des Immunsystems, das bei jungen Erwachsenen ge-
heitszustand ihrer Königin, die an einer in Madrid auf-        wöhnlich am leistungsfähigsten ist, wirkte sich fatal aus
getretenen „merkwürdigen Krankheit mit epidemischem            und führte letztlich zu den letal verlaufenden Lungenent-
Charakter“ erkrankt war, deren Verlauf überwiegend als         zündungen. Typisch für die Verstorbenen war eine tief-
mild zu charakterisieren sei, was die Nachrichtenagentur       blaue bis schwarze Verfärbung von Haut und Schleim-
Reuters am 27. Mai 1918 aufgriff und international ver-        häuten. In einer zeitgenössischen Publikation wurde
breitete. Durch diese und andere Berichterstattungen           berichtet, dass die Kranken durch Blut- und Wasseran-
entstand schließlich der Eindruck, die Krankheit habe in       sammlungen „gleichsam innerlich ertrinken“.
Spanien ihren Ursprung genommen, was letztlich zur Be-
zeichnung Spanische Grippe führte.                             Die drei Wellen der Spanischen Grippe
                                                               Die Spanische Grippe trat in drei Wellen auf, die sich
Virulenz des Erregers und Letalität der Erkrankung             teilweise überlagerten. Die vergleichsweise harmlose
Schon im 19. Jahrhundert waren pandemische Influenza-          „Frühjahrswelle“ des Jahres 1918 breitete sich mit Trup-
ausbrüche keine Seltenheit, wie etwa die Pandemien des         pentransportern, Handelsschiffen und Kriegsgefangenen
Jahres 1847/48 sowie der Grippeausbruch in Russland            von Nordamerika nach Europa, Südamerika, auf den
1899 zeigen, in dessen Folge allein im Deutschen Reich         indischen Subkontinent sowie nach Asien und Afrika aus.
etwa 60 000 Tote zu beklagen waren.                            Die ersten erkrankten Angehörigen der amerikanischen
Die Ursache der Grippe war lange Zeit unklar. Als der          Expeditionsstreitkräfte wurden Anfang April im französi-
Mikrobiologe Richard Pfeiffer, „Vorsteher der wissen-          schen Brest und kurze Zeit später in einem Militärlager
schaftlichen Abteilung“ des von Robert Koch geleiteten         bei Bordeaux registriert. Schon Mitte des Monats be-
„Instituts für Infektionskrankheiten“, 1892 ein „blutlieben-   richteten Militärärzte über infizierte Soldaten der franzö-
des Bakterium“ entdeckte, war der – vermeintliche – Er-        sischen Armee an der Front. Auf deutscher Seite erreich-
reger gefunden: Das nach seinem Entdecker benannte             te diese erste Welle im Juli ihren Höhepunkt.
„Pfeiffer-Bakterium“ wurde unter dem Namen „Influenza-         In den meisten europäischen Ländern gingen die Zahlen
bazillus“ schnell in der Fachwelt bekannt, später setzte       der Neuinfektionen wieder zurück, jedoch brach in Folge
sich die Bezeichnung „Haemophilus influenzae“ durch.           einer Mutation eine schwerere und meist in Kombination
Der Irrglaube an eine bakterielle Infektion als Auslöser       mit Bronchopneumonien auftretende Grippe-Pandemie
der Grippe konnte erst 1933 mit dem Nachweis des In-           als zweite Welle aus: Erste Erkrankungen traten fast zeit-
fluenza-Virus beseitigt werden.                                gleich in Frankreich und Spanien sowie in Afrika, Indien
                                                               und den USA auf. Im Deutschen Reich registrierten die
Beim Vergleich der Verläufe der Grippeausbrüche des 19.        Gesundheitsämter die höchste Zahl der Neuerkrankun-
Jahrhunderts mit der Spanischen Grippe fallen als we-          gen vom 10. Oktober bis zum 15. November 1918.
sentliche Unterschiede eine hohe Sterblichkeitsrate sowie      Mit dem Jahreswechsel 1918/19 begann die dritte und
ein verschobener Peak der Todesopfer in der Altersver-         letzte Welle, die von sehr unterschiedlichen Krankheits-
teilung auf. Lag die Letalität einer herkömmlichen Grippe-     bildern und Verläufen geprägt war. Im Frühjahr 1919
Pandemie bei etwa 0,1 %, so wies die Spanische Grippe          waren in den meisten Ländern rückläufige Krankheits-
eine Mortalitätsrate von 2,5 % auf. Zusätzlich lag eine        zahlen feststellbar, wobei es bis Mitte der 1920er Jahre
Häufung von Opfern im Alter zwischen 15 und 40 Jahren          immer wieder zu Neuinfektionen kam. Die Mortalität der
vor, wohingegen zuvor bei den saisonalen Influenzaaus-         dritten Welle war in den meisten Regionen deutlich ge-
brüchen besonders Säuglinge und alte Menschen ge-              ringer als bei den vorangegangenen Wellen. Ursächlich
fährdet waren. Lange konnte für dieses Phänomen keine          hierfür wird vielfach eine erworbene Immunität von Über-
Erklärung gefunden werden. Einem amerikanischen For-           lebenden der vorherigen Wellen diskutiert. Als weitere
scherteam um Jeffery Taubenberger gelang 2005 die              Möglichkeit wird ein Virulenzverlust des Virus im Laufe
Entschlüsselung des Virusgenoms aus konserviertem              der Zeit in Betracht gezogen.

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  Opferzahlen und Sterblichkeit in Deutschland                 die Ausfälle mit Soldaten aus Übersee stetig aufgefüllt
  Exakte Angaben zu den Opferzahlen der Spanischen             werden konnten. Entscheidend für die Niederlage des
  Grippe sind nicht möglich. Anfang der 1920er Jahre spra-     deutschen Kaiserreiches war aber nicht die Grippe, son-
  chen französische Wissenschaftler von weltweit 20 Mil-       dern das Versagen der Obersten Heeresleitung.
  lionen Todesopfern – andere Mediziner gingen allein von      Die Zivilbevölkerung litt vor allem unter der zweiten und
  15 Millionen Toten in Asien aus. Bedingt durch fehlende      dritten Welle, wobei es auch hier regionale Unterschiede
  Dokumentationen aus dem Bereich des Gesundheits-             gab. Die Krankheit verbreitete sich in dicht besiedelten
  wesens vieler Länder wurden die Opferzahlen oft hoch-        Industriezentren deutlich stärker als im ländlichen Be-
  gerechnet bzw. auf andere Regionen übertragen. In den        reich, während in Dörfern und kleineren Städten die
  letzten Jahrzehnten wurden diese Angaben immer wie-          Sterblichkeit weit über der der Ballungszentren lag. Durch
  der nach oben korrigiert und aktuelle Berechnungen ge-       die enorme Zahl an Infektionen kam das öffentliche Le-
  hen von fast 50 Millionen Verstorbenen aus.                  ben in vielen Städten zum Erliegen. Der öffentliche Nah-
  Für die Schätzung der Erkrankungszahlen sowie der            verkehr konnte ebenso wie Fernverkehrsverbindungen
  Sterblichkeitsrate in Deutschland werden die Zahlen des      kaum aufrechterhalten werden, die Post stellte den Be-
  Landes Preußen zugrunde gelegt, die einen Vergleich          trieb teilweise komplett ein. Aus Angst vor einer weiteren
  mit saisonalen Grippeausbrüchen ermöglichen. Während         Ausbreitung der Seuche blieben im letzten Quartal 1918
  der jahreszeitlichen Influenza-Epidemien im Zeitraum         viele Schulen in Deutschland dauerhaft geschlossen –
  1909 bis 1917 starben im Jahresdurchschnitt in den Al-       ein Phänomen, das als „Grippeferien“ in die Geschichte
  tersbereichen der 15- bis 40-Jährigen 299 Menschen,          eingegangen ist. Der krankheitsbedingte Personalausfall
  während die Zahl der über 60-Jährigen bei 2 591 lag. Von     in Bergwerken, Fabriken und der Landwirtschaft resul-
den Toten der Influenza-Epidemien des Jahres 1918              tierte in einer empfindlichen Störung bei der Herstellung
­waren 51 627 zwischen 15 und 40 Jahre alt, wohingegen         von Produkten des täglichen Bedarfs und Nahrungsmit-
 lediglich 19 026 älter als 60 waren (Übersicht siehe          teln.
 ­Abbildung 2). Diese Umkehrung der Altersverteilung als
  Charakteristikum der Spanischen Grippe wird im Übrigen       Weitere Entwicklung und internationale Zusammen-
  durch Zahlen von europäischen Lebensversicherungs-           arbeit
  gesellschaften bestätigt.                                    Die Influenzaforschung der Zwischenkriegsjahre erfolgte
                                                               überwiegend in Großbritannien und den USA. Gerade
                                                               letztere befürchteten, bedingt durch die Erfahrungen des
                                                               Ersten Weltkrieges, eine erneute Grippe-Pandemie in
                                                               einem zukünftigen Krieg und gründeten nach Ausbruch
                                                               des Zweiten Weltkrieges die „Commission on Influenza“,
                                                               deren vorrangiges Ziel die Entwicklung eines Impfstoffes
                                                               war. Mit Gründung der WHO im Jahre 1947 wurden die
                                                               Bemühungen um eine zentrale Registrierung und Über-
                                                               wachung von Grippe-Epidemien verstärkt, was schließ-
                                                               lich zur Etablierung des „Welt-Influenza-Zentrums“ Ende
                                                               der 1940er Jahre führte.

Abb. 2: Die Zahl der Grippetoten in Preußen

Militärische und zivile Auswirkungen
Die Krankheit wirkte sich in unterschiedlicher Intensität
auf die Einsatzbereitschaft und Kampfkraft aller am Ers-
ten Weltkrieg beteiligten Streitkräfte aus. Ein Einfluss der
Spanischen Grippe auf den Verlauf des Krieges ist si-
cherlich vorhanden, darf allerdings nicht überbewertet
werden. Die hohen Ausfallzahlen sowie die verringerte
körperliche Belastbarkeit der Kranken und Rekonvales-
zenten waren zwar für die an der Westfront eingesetzten
deutschen Truppen von großer Bedeutung und erschwe-            Abb. 3: Zeitgenössische Zeitungsberichte zu Einschränkungen des
rend kam hinzu, dass beim militärischen Gegner die             Eisenbahnverkehrs und Schulschließungen aufgrund der Grippe-
                                                               Pandemie 1918 (links: „Vorwärts“ vom 29. Oktober 1918; rechts:
Krankheitszahlen zum Zeitpunkt der letzten deutschen           „Reutlinger General-Anzeiger“ vom 01. November 1918)
Offensive bereits wieder deutlich rückläufig waren und

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Abb. 4: Ausgewählte Grippeausbrüche aus der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts

In den folgenden Jahrzehnten wurde das weltweite Netz-
                                                                     Abb. 5: Zeitgenössische Karikatur aus der Zeitung „El Fígaro“,
werk zur Überwachung der Grippeausbrüche und zur                     Spanien, 25. September 1918, oben mit der Inschrift „Letzte Stunde“,
Koordinierung der Impfstoffproduktion weiter ausgebaut.              unten die Bemerkung „Sie [die Grippe] zeigt sich weiterhin gutartig.
Bewährungsproben waren beispielsweise die 1957 aus-                  Friedhöfe fehlen.“ (Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Ulti-
                                                                     ma_hora.tif)
gebrochene und auf die Kombination eines Human- mit
einem Geflügelpestvirus zurückgehende Asiatische Grip-
pe (deren Opferzahlen schätzungsweise bis zu 2 Millio-               ten und die Schließung von Gaststätten – also Maßnah-
nen betrugen), ferner die auf den gleichen Influenza-Sub-            men, die zum Alltag der Corona-Pandemie gehören
typ wie die Spanische Grippe zurückzuführende                        – wurden hingegen nicht ergriffen.
Russische Grippe 1977/78 mit knapp 750 000 Toten so-                 Summa summarum ist festzustellen, dass man der Spa-
wie die Hongkong-Grippe, die zwischen 1968 und 1970                  nischen Grippe anfangs eher hilflos gegenüberstand,
rund eine Million Opfer forderte (siehe Abbildung 4).                während bei der heutigen Corona-Pandemie fast weltweit
Mittlerweile melden über 100 nationale Influenzazentren              sehr schnell und konsequent Schritte unternommen wur-
sowie mehrere „WHO Collaborating Centres for Influen-                den, um das Infektionsgeschehen einzudämmen.
za“ die Ergebnisse ihrer Untersuchungen und tragen mit               Parallelen finden sich aber nicht nur im Bereich des
ihrer Arbeit jedes Jahr zur Entwicklung einer wirksamen              ­Faktischen, sondern auch in den Empfindungen und
Impfung gegen die saisonale Grippe bei.                               Wahrnehmungen der Bevölkerung: So führte die Unfass-
                                                                      barkeit der Vorgänge bei beiden Pandemien zu Speku-
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der                         lationen und Verschwörungstheorien über die Herkunft
Spanischen Grippe und der Corona-Pandemie                             und den Ursprung der jeweiligen Viren. Wie dargestellt
                                                                      sollte die zweite Welle der Spanischen Grippe, die so-
Viele der Gemeinsamkeiten sind offensichtlich:                        genannte „Herbstwelle“, das öffentliche und gesellschaft-
Vor mehr als 100 Jahren (also lange vor unserer moder-                liche Leben massiv beeinträchtigen, teils gar zum Erlie-
nen Globalisierung) wie auch heute gelang einem Virus                 gen bringen. Die Reaktionen waren damals uneinheitlich:
die weltweite Verbreitung. Damals wie heute wurde das                 Zwar kam es in Teilen der Bevölkerung zur Beunruhi-
Virus von Tieren auf den Menschen übertragen und da-                  gung, zu Angst und geradezu panischen Reaktionen – in
mals wie heute dominierte und lähmte die Pandemie das                 weiten Bevölkerungsteilen herrschte indessen eher
öffentliche Leben in zahlreichen Ländern auf der ganzen               Gleichgültigkeit. Angesichts der Entbehrungen des Krie-
Welt. Die Spanische Grippe verlief über einen Zeitraum                ges und der Kriegsniederlage war die Grippe-Pandemie
von etwa zwei bis drei Jahren in drei Wellen, wie wir uns             nicht das alles beherrschende Thema, zumal Seuchen
auch heute in einer zweiten Welle befinden.                           generell nicht so ungewöhnlich waren wie in unserem
Zu Beginn der Spanischen Grippe wirkten die Handlungs-                heutigen Bewusstsein.
empfehlungen und Maßnahmen in Deutschland sehr                        Deutliche Unterschiede zeigen sich hingegen in der
unkoordiniert und lagen zum Großteil in der Kompetenz                 ­Zusammensetzung der betroffenen Bevölkerungsgrup-
der Lokalverwaltungen. – Gewisse Parallelen zum Ver-                   pen und den Antworten der Medizin auf die jeweiligen
ordnungswirrwarr in den 16 Bundesländern sind also                     Seuchen:
unübersehbar. – Es kam im Zuge der zweiten Welle zur                   Im Gegensatz zu der von dem Corona-Virus SARS-
Schließung von Schulen; die Bevölkerung wurde über                     CoV-2 ausgelösten Krankheit Covid-19, die zunächst
die Pandemie informiert, teils wurden Theater und Kinos                vornehmlich für alte Menschen oder Menschen mit Vor-
geschlossen. Weitergehende Einschnitte wie ein gene-                   erkrankungen lebensbedrohlich war, starben aufgrund
relles Versammlungsverbot, das Verbot von Gottesdiens-                 eines anderen Krankheitsmechanismus an der Spani-

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AUS DER GESCHICHTE LERNEN - "Spanische Grippe", Corona und die Kunst der Verdrängung: Historische Betrachtungen und ethische Anmerkungen ...
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schen Grippe vor allem junge Menschen im Altersband         Ethische Anmerkungen zur Corona-Krise
zwischen 15 und 40 Jahren.
Ein weiterer, gravierender Unterschied besteht darin,       Die Corona-Pandemie stellt nicht nur die Medizin und die
dass wir heute über bessere und effektivere Möglich-        Wissenschaft in Deutschland, Europa und weltweit vor
keiten in Diagnostik, Therapie und Prävention verfügen:     enorme Herausforderungen, sondern betrifft alle Berei-
So beschränkten sich zur Zeit der Spanischen Grippe die     che unseres gesellschaftlichen, sozialen, politischen und
therapeutischen Möglichkeiten auf eine rein symptoma-       kulturellen Lebens und ausnahmslos alle Bevölkerungs-
tische Behandlung. Kausale Behandlungsmöglichkeiten,        gruppen und -schichten. Hieraus ergeben sich auch zahl-
also Therapien durch Virostatika oder Antibiotika, stan-    reiche ethische Fragestellungen, Konflikte und Dilemma-
den damals noch nicht zur Verfügung, zumal man bei der      situationen. Das inhaltliche Spektrum ist dabei derart
Grippe lange Zeit an eine bakterielle Infektion glaubte.    breit, dass wir diesen ebenso vielfältigen wie vielschich-
Intensivmedizinische Möglichkeiten, wie wir sie heute       tigen Themenkomplex letztlich nur anreißen und proble-
kennen, gab es damals noch nicht und man darf auch          matisieren können:
nicht vergessen, dass sich die meisten Ärzte im Krieg
befanden und die medizinische Versorgung der Zivilbe-       Medizinethische Dilemmata
völkerung in großen Teilen brach lag.                       Zum einen entstanden und entstehen konkrete medizin-
                                                            ethische Dilemmata, beispielsweise im Hinblick auf die
Zwar ist bei der Entwicklung spezifischer Medikamente       Verteilungsgerechtigkeit von medizinischen Ressourcen,
auch heute der Durchbruch noch nicht gelungen und die       wenn etwa zu wenige Intensivbetten, Beatmungskapazi-
symptomatische Therapie steht im Vordergrund, jedoch        täten oder Testmöglichkeiten für die Patienten zur Ver-
gingen die Anstrengungen in Klinik und Forschung sehr       fügung stehen oder wenn – auch dies ein konkretes
schnell in die Richtung der Impfstoffentwicklung und kau-   Problem in den ersten Wochen und Monaten der Pan-
saler Behandlungsansätze – immer mehr Impfstoffe be-        demie – zu wenig Schutzkleidung, Hygieneartikel und
finden sich in der Zulassung. Dabei konnte in den be-       Desinfektionsmittel zum Schutz des medizinischen Per-
treffenden Fächern auf eine fundierte Wissensbasis          sonals verfügbar waren.
zurückgegriffen werden, die extrem schnell medizinische
Fortschritte ermöglichte. Und wir haben in Deutschland      Die meisten dieser ethischen Dilemmata, also Situatio-
ein hervorragendes Gesundheitssystem, eine leistungs-       nen, in denen der Arzt zwischen zwei konkurrierenden,
fähige sowie auch zahlenmäßig gut ausgebaute und            nicht miteinander zu vereinbarenden Handlungsoptionen
weiter ausbaufähige Intensivmedizin.                        zu entscheiden oder den Patienten zu beraten hat, lassen
                                                            sich mit den Instrumenten der Medizinethik, etwa der
Wenn zu Beginn des Beitrags die „Beispiellosigkeit“ der     Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress, lösen
Corona-Pandemie in Abrede gestellt wurde, dann betrifft     (siehe Abbildung 6).
dies nicht das Tempo im Bereich der Forschung und des
Erkenntnisgewinns, sowohl im Hinblick auf die Erkran-       Auch wenn die meisten dieser Probleme aufgrund einer
kung Covid-19 als auch deren Erreger. Paradoxerweise        Überwindung der Versorgungsengpässe derzeit in den
resultiert(e) aber gerade auch durch diesen enormen         Hintergrund getreten sind, lassen sich entsprechende
wissenschaftlichen Fortschritt ein Teil der Verunsiche-     Dilemmata, beispielsweise bei der Priorisierung von Imp-
rung in der Bevölkerung. Wenn das, was gestern richtig      fungen bei beschränkten Kapazitäten, auch in der Zu-
war, heute falsch ist und umgekehrt, dann entsteht für      kunft absehen.
viele Laien zuweilen ein Bild der Zerrissenheit, der Ein-
druck inkonsequenten oder widersprüchlichen Handelns.
Dieses Bild ist aber die Konsequenz daraus, dass der
Sachstand nicht statisch ist, sondern sich der Kenntnis-
stand bezüglich des Corona-Virus, seiner Verbreitung
und der Krankheit Covid-19 aufgrund fieberhafter For-
schungen sowohl in Deutschland als auch im internatio-
nalen Bereich permanent verändert.

Ähnlich zu bewerten sind im Übrigen manche Meinungs-
verschiedenheiten zwischen den im Fokus stehenden
Experten, die oft medienwirksam als Streitigkeiten oder
gar persönliche Kontrahagen hochstilisiert wurden, sich
aber bei genauerem Hinsehen als Ausdruck eines wis-         Abb. 6: Die Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress basiert
senschaftlichen Diskurses entpuppten, ohne den Fort-        auf vier Prinzipien, die gegeneinander abgewogen werden.
schritt nicht möglich ist.

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Einschränkungen der persönlichen Freiheiten                    Zahl der Verkehrsopfer in Deutschland lag 2019 bei et-
Kommen wir zu einem anderen Themenfeld: So haben               was über 3 000 und ließe sich sicherlich noch weiter ver-
auch die im Rahmen des sogenannten Lockdown ver-               ringern, wenn man den Straßenverkehr oder die gesam-
fügten Einschränkungen der persönlichen Freiheiten und         te Mobilität der Bevölkerung erheblich einschränkt. Die
Rechte nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine ethi-      Sterblichkeit an bestimmten Tumorarten ließe sich durch
sche Dimension. Es stellen sich Fragen, wie stark zu-          konsequente Rauchverbote oder das Verbot von Alkohol
gunsten des Gemeinwohls die individuellen Rechte be-           und andere Maßnahmen drastisch reduzieren. Und mehr
schnitten werden dürfen, ob das Recht auf Leben sowohl         als 10 000 Menschen sterben jährlich in Deutschland an
aus rechtlicher als auch aus ethischer Sicht so stark zu       den Folgen häuslicher Unfälle. – Allein diese Beispiele
gewichten ist, dass dem alle anderen Persönlichkeits-          zeigen, dass ein maximaler Schutz des Lebens nicht
und Freiheitsrechte unterzuordnen sind.                        möglich ist, sondern dass vielmehr – hier besteht bei sehr
Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass das Ver-            vielen Ethikern wie auch Staatsrechtlern Konsens – ein
halten – aber auch das Fehlverhalten – jedes Einzelnen         Leben in Würde das Maß der Dinge darstellt. Nicht um-
wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Pandemie hat.        sonst ist gleich im ersten Absatz unseres Grundgesetzes,
Dementsprechend wurden und werden immer wieder                 noch vor den Forderungen auf das angesprochene Recht
verbindliche Handlungsanweisungen und „Corona-Re-              auf Leben und körperliche Unversehrtheit, formuliert:
geln“ erlassen, um das Infektionsgeschehen möglichst
einzudämmen. Während diese Maßnahmen die Zustim-                (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
mung des überwiegenden Teils der Bevölkerung fanden,            achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat-
sah und sieht ein kleiner – allerdings sehr lauter – Teil       lichen Gewalt.
der Bevölkerung seine eigenen Freiheiten und Selbst-
bestimmungsrechte in einem inakzeptablen Ausmaß ein-           In einem umfassenden Beitrag mit dem Titel „Das höchs-
geschränkt. In dieser Frage gehen unseres Erachtens            te Gut“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 1.
Recht und Ethik Hand in Hand.                                  April 2020 behandelte der Frankfurter Ordinarius für Öf-
Die freie Entfaltung der Persönlichkeit und Selbstbestim-      fentliches Recht und Rechtsphilosophie Uwe Volkmann
mung des Einzelnen ist sowohl in rechtlicher wie auch in       diesen Themenbereich und schrieb unter anderem:
ethischer Hinsicht eines der höchsten und schützens-
wertesten Güter. Das ist auch im Grundgesetz der Bun-           Andererseits ist der Staat moralisch, politisch und
desrepublik Deutschland kodifiziert – jedoch nicht ab-          rechtlich verpflichtet, das Leben zu schützen, und
solut und bedingungslos. In Art. 2 des Grundgesetzes            kann dazu weitgehende Maßnahmen ergreifen. Diese
heißt es:                                                       unterliegen aber ihrerseits Bindungen; eine Verpflich-
                                                                tung zum Schutz des Lebens um jeden Preis gibt es
 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner        nicht.
 Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer ver-
 letzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung           Und er fährt an anderer Stelle fort:
 oder das Sittengesetz verstößt.
 (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche              Ist man bis hierher vorgedrungen, erkennt man viel-
 Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletz-         leicht besser, was das höchste Gut ist, auf das sich
 lich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Geset-          diese politische Gemeinschaft verpflichtet hat. Es ist,
 zes eingegriffen werden.                                       in einem Satz, nicht das Leben als solches, sondern
                                                                das Leben in Würde.
Die eigene Selbstbestimmung, sei es in Form äußerer
Verhaltensweisen, aber auch im Hinblick auf die Patien-        Um hier nicht missverstanden zu werden: Wir halten die
tenautonomie, endet also dort, wo sie in die Rechte an-        ergriffenen Maßnahmen im Großen und Ganzen auf-
derer Personen eingreift, die ebenso vom Grundgesetz           grund der zunächst unkalkulierbaren Gefahren dieser
geschützt werden. Dies bedeutet, dass auch für diejeni-        vollkommen neuen Erkrankung für absolut gerechtfertigt
gen, die selbst nicht gefährdet erscheinen oder für sich       und notwendig – ebenso notwendig ist es aber, die me-
die Entscheidung treffen, zugunsten ihres Lebensstils          dizinischen und infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen
gesundheitliche Risiken einzugehen, die Sorge und              in einer ständigen ethischen und staatsrechtlichen Wer-
Rücksichtnahme vor allem für die Risikogruppen gelten          tediskussion, auch darüber, was wir unter einem Leben
muss, bei denen eine Infektion schwere Krankheitsver-          in Würde verstehen, zu begleiten.
läufe, möglicherweise gar bis hin zum Tod, nach sich
ziehen kann.                                                   Verantwortung in der Krise
Muss das aber im Umkehrschluss bedeuten – oder an-             Zum Dritten ist zu fragen, wie ethisch oder unethisch der
ders gefragt: wie realistisch es ist –, jedes einzelne Leben   Umgang mit der Corona-Krise und Informationen sowohl
maximal zu schützen? Um ein Beispiel zu geben: Die             seitens der Medien, in Politik und Wissenschaft sowie

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von möglichen weiteren Interessengruppen zu bewerten        1778) im Zeitalter der Aufklärung die Presse als „vierte
ist, wie groß die Gefahr der Instrumentalisierung von       Säule“ im Staat bezeichnet. Diese Sichtweise impliziert
Ängsten und tatsächlichen wie vermeintlichen Bedro-         jedoch nicht nur Rechte, sondern auch eine hohe ethi-
hungslagen ist.                                             sche Verpflichtung im Hinblick auf Art und Inhalt der Be-
Ein Beispiel für die politische Instrumentalisierung der    richterstattung, der nicht alle Medien gerecht werden:
Corona-Pandemie mit ethischer Dimension bildet die          Beispielsweise wurde in aller Regelmäßigkeit von neuen
Weigerung des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuz-        Höchstständen bei den Infektionszahlen und der Zahl
berg, bei drastisch steigenden Zahlen an Neuinfektionen     der Todesopfer berichtet. Nicht immer handelt es sich
bei der Kontaktnachverfolgung die Hilfe der Bundeswehr      aber dabei um eine neue Höchstzahl bei den Neuinfek-
anzunehmen. So heißt es in einem Beschluss der Partei       tionen oder den neu hinzugekommenen Todesfällen,
„Die Linke“ (veröffentlicht am 11. August 2020):            sondern um die absoluten Zahlen seit Beginn der Pan-
                                                            demie – was heißt, dass natürlich auch bei nur einer
 Die Partei DIE LINKE steht in der Tradition des Anti-      einzigen Neuinfektion und mit jedem neuen Todesfall ein
 militarismus. Sie setzt sich daher auf Landesebene         neuer Höchststand erreicht ist.
 dafür ein, dass die im Zuge der Corona-Maßnahmen           Und auch die mittelalterlichen Schreckgespenster wer-
 in den Gesundheitsämtern der Bezirke eingesetzten          den wieder bemüht, um Angst und Panik zu verbreiten:
 Bundeswehrsoldaten sofort abgezogen werden. Dass           Mit der reißerischen Schlagzeile „Kleinkind in China mit
 die Gesundheitsämter ihrer Arbeit auch ohne Militär        Pest infiziert – Behörden verhängen Quarantäne“ wurde
 nachkommen können, zeigt der Bezirk Friedrichshain-        im September 2020 über einen Pestausbruch in China
 Kreuzberg, der einen Einsatz der Bundeswehr zu             berichtet, um dann am Ende des Berichts lapidar festzu-
 Recht ablehnt. Wo das nicht der Fall ist, sind die Ge-     stellen:
 sundheitsämter, vor allem angesichts der jahrelangen
 Einsparungen im öffentlichen Dienst, umgehend dazu             In China kommt es immer wieder zu lokalen Ausbrü-
 in die Lage zu versetzen.                                      chen der Pest, die in Europa im 14. Jahrhundert für
 Eine schleichende Vermischung ziviler und militäri-            Millionen Tote gesorgt hatte. Mittlerweile gibt es einen
 scher Kompetenzen ist aus Gründen der Bewahrung                Impfstoff gegen den Erreger. Auch bereits Infizierte
 der Demokratie und vor dem historischen Hintergrund            können mit Medikamenten behandelt und so wieder
 der Erfahrungen mit dem deutschen Militarismus ein-            gesund werden.1
 deutig abzulehnen.
                                                            Schlussbemerkung
Man muss wohl keine Ethik-Theorien bemühen oder phi-
losophische Herleitungen anstrengen, um die ethische        Soviel zu unseren historischen Anmerkungen, verglei-
Dimension zu erkennen: Wenn ideologische Standpunk-         chenden Betrachtungen und ethisch-rechtlichen Denk-
te oder weltanschauliche Konstrukte jedweder Art über       anstößen. Auch wenn das Corona-Virus uns in vielerlei
das Wohl und die körperliche Unversehrtheit der Bevöl-      Hinsicht Verzicht auferlegt, haben wir gerade in Deutsch-
kerung gestellt werden und durch dieses Handeln eine        land gute Erfolge zu verzeichnen und können hoffentlich
weitere Ausbreitung der Infektion und im schlimmsten        auch langfristig dem Virus seinerseits den Spaß verder-
Fall hierdurch bedingt weitere Todesfälle in Kauf genom-    ben.
men werden, ist dies moralisch in keiner Weise zu recht-
fertigen.                                                       Manuskriptdaten
Ganz ohne Polemik wäre es spannend zu wissen, wie
                                                                Zitierweise
ein Unterzeichner dieses Beschlusses handeln würde,             Vollmuth R, Müllerschön A: „Spanische Grippe“, Corona und die Kunst
wenn er selbst oder einer seiner nächsten Angehörigen           der Verdrängung: Historische Betrachtungen und ethische Anmerkun-
beispielsweise auf ein Beatmungsgerät oder andere me-           gen. WMM 2021; 65(1): 23-29.

dizinische Ressourcen der Bundeswehr angewiesen
                                                                Für die Verfasser
wäre.
                                                                Oberstarzt Prof. Dr. med. dent. Ralf Vollmuth
                                                                Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundes-
Als weiteres Beispiel für den Umgang mit Informationen,         wehr
                                                                Zeppelinstr. 127/128, 14471 Potsdam
die Verfolgung eigener Interessen und das Spiel mit den
                                                                E-Mail: ralf1vollmuth@bundeswehr.org
Ängsten der Bevölkerung möchten wir den Umgang man-
cher Medien mit der Corona-Pandemie aufgreifen.                 Vortrag auf dem 51. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Wehr-
Gerne definieren sich die Medien als „Vierte Gewalt“, die       medizin und Wehrpharmazie e. V. am 23. Oktober 2020 in Rostock-
                                                                Warnemünde
in unserem demokratischen System der Gewaltenteilung
neben Exekutive, Legislative und Judikative eine weitere    1   https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_88658892/pest-in-china-
Säule der Demokratie darstellt – übrigens kein neues            ausgebrochen-kleinkind-infiziert-und-in-quarantaene.html (Aufruf: 25. No-
Bild, hat doch bereits Jean-Jacques Rousseau (1712-             vember 2020)

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