Aus der Krise in die Zukunft - Transformation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft - Initiative Kultur- und ...

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Aus der Krise in die Zukunft - Transformation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft - Initiative Kultur- und ...
Initiative
                                          Kultur- & Kreativwirtschaft
                                          der Bundesregierung

Aus der Krise
in die Zukunft
Transformation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft

                                                bmwi.de
Aus der Krise in die Zukunft - Transformation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft - Initiative Kultur- und ...
Impressum

Herausgeber
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi)
Öffentlichkeitsarbeit
11019 Berlin
www.bmwi.de

Redaktion
Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, Berlin

Stand
März 2021

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Gestaltung
PRpetuum GmbH, 80801 München

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AdobeStock / pronoia /S. 45
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Christian Krinninger / S. 53
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klingklangklong / S. 55
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21 – 23, 32 – 33
Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes /
Max Bachmaier / S. 29
Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes /
Mina Gerngross / Titel, S. 2 – 3, 6 – 7, 10, 14 – 15, 24 – 25, 34 – 35, 39, 48 – 49,
60, 61
Martin Kaelble / S. 43
More than shelters (MTS) 2016 / S. 41
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Aus der Krise in die Zukunft - Transformation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft - Initiative Kultur- und ...
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Inhalt
Intro              ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................   3
Aus der Krise in die Zukunft..............................................................................................................................................................................................................................................................................4
Zusammen mit der Kultur- und Kreativ­wirtschaft eine lebenswerte Zukunft schaffen:
über das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes....................................................................................5

Die Kultur- und Kreativwirtschaft und die Corona-Pandemie                                                                                                                                                                                                                                      ................................................................................................   7
Zur Betroffenheit der Kultur- und Kreativwirtschaft durch die
Folgen der Corona-Pandemie.......................................................................................................................................................................................................................................................................8
Eine Branche in der Krise..........................................................................................................................................................................................................................................................................................9
Gute Ideen in der Pandemie....................................................................................................................................................................................................................................................................... 12

(Trotzdem) weitermachen: analoge und digitale Welt verbinden                                                                                                                                                                                                                                                .............................................................................   15
Ein Workshop in den virtuellen Alpen................................................................................................................................................................................................................................ 16
Wie funktioniert Kooperation im digitalen Raum?
Sechs Learnings aus dem Innovation Camp Sprungkraft................................................................................................................................................. 20

Was kommt dann? Wie die Kreativwirtschaft eine Post-Corona-Welt entwirft 25                                                                                                                                                                                                                                                                                                     .........

SCHRITT 1: Zukünfte entwickeln................................................................................................................................................................................................................................................. 26
SCHRITT 2: Einen (pandemiesicheren) digitalen Innovationsort ins Leben rufen.
Erkenntnisse aus dem Aufbau des Creative Lab COVID-19....................................................................................................................................... 30

Das Werteverständnis für eine zukunftsfähige Wirtschaft                                                                                                                                                                                                                       ..........................................................................................................    35
Aufbruch zu neuen Werten: eine Annäherung an den Transformationsbegriff......................................................... 36
Auf dem Weg zu einem „neuen Normal“................................................................................................................................................................................................................... 39
Beispiele für werteorientiertes Unternehmer-/innentum.............................................................................................................................................. 41
Eine feine Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Werten................................................................................................................................... 43
Future Mindset & Impact Investment................................................................................................................................................................................................................................ 44

Auf halber Strecke: Entwicklungen erkennen und voranbringen                                                                                                                                                                                                                                                .............................................................................    49
Trendmonitoring in der Kultur- und Kreativwirtschaft mithilfe von Big Data.............................................................. 50
„Wenn es um KI geht, kann Deutschland wirklich gut mithalten!“......................................................................................................... 51
Wo Künstliche Intelligenz und Kreativwirtschaft aufeinandertreffen.............................................................................................. 55
Diversität in Unternehmensstrukturen verankern............................................................................................................................................................................... 57

Wie geht es weiter?                                                                      ...............................................................................................................................................................................................................................................................................................    61

Anhang                          .........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................   64
Aus der Krise in die Zukunft - Transformation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft - Initiative Kultur- und ...
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Intro
Aus der Krise in die Zukunft - Transformation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft - Initiative Kultur- und ...
4     INTRO

Aus der Krise in die Zukunft                            den Folgen der Pandemie am stärksten betroffenen
von Wiebke Müller, Kompetenzzentrum Kultur- und         Branchen. Die Rückschläge zeigen sich nicht nur in
Kreativwirtschaft des Bundes, Berlin                    Analysen, sondern haben eine lebhafte Debatte um
                                                        den Stellenwert kultur- und kreativwirtschaftlicher
                                                        Angebote ausgelöst.
Erinnern Sie sich noch an den Moment, in dem
Ihnen klar wurde, dass das Thema COVID-19               Diese Publikation wirft daher zunächst einen
wahrscheinlich nicht nur für ein paar Wochen die        genaueren Blick auf die Branche in der Krise, bevor
Titelseiten zieren, sondern einschneidende Auswir-      sich der Fokus auf die Zukunft richtet und Fragen
kungen mit sich bringen wird? Bei mir war es der        geklärt werden wie: Wie lassen sich kooperative
10. März 2020: als angekündigt wurde, dass bis          Projekte in den digitalen Raum übersetzen? Wie
Ostern keine Theatervorstellungen und Konzerte          entstehen Zukunftsvisionen (und wieso sind sie
mehr stattfinden dürften. Bis dahin war ich ver-        überhaupt notwendig)? Wo finden sich in Trans-
wöhnt vom kulturellen Angebot Berlins und fand          formationsprozessen Ansatzpunkte für die Kultur-
den Gedanken befremdlich, dass Theater und Kon-         und Kreativwirtschaft? Und schließlich: Welche
zertsäle nun für ganze sechs Wochen schließen           Zukunftsthemen spielen konkret eine Rolle?
sollten.
                                                        Sie werden beim Lesen immer wieder Verweise auf
Seitdem hat sich viel verändert. Wir hantieren          das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirt-
selbstverständlich mit neuen Begrifflichkeiten wie      schaft des Bundes finden. Als Teil des Kompetenz-
„Inzidenz“ und „Lockdown“, gestalten unser sozia-       zentrums-Teams kann ich sagen: Auch für uns ging
les Leben nach Anzahl der Kontakte und Möglich-         es nach Beginn der Pandemie keineswegs wie
keiten des Abstandhaltens, haben sogar neue             gewohnt weiter. Doch aus der Entwicklung digitaler
Begrüßungsrituale. Schnell wurden Schwächen im          Veranstaltungsformate und dem Kontakt mit zahl-
Gesundheits- und Bildungssystem sichtbar; gleich-       reichen inspirierenden Personen haben wir viele
zeitig normalisierte sich die Nutzung digitaler Räu­    Erkenntnisse gezogen, die wir mit Ihnen teilen
me für den Austausch und macht sie auch zukünf-         möchten. Haben Sie Gedanken zu den angespro-
tig als umweltverträglichere Alternative zum            chenen Themen? Dann schreiben Sie uns:
Fliegen attraktiv. Kurz gesagt: Während das öffent-     presse@kreativ-bund.de.
liche Leben an vielen Stellen brachlag, wurde der
Bedarf für Veränderungen und ein Umdenken               Machen wir uns auf den Weg!
umso offensichtlicher. Aus dem Krisenmodus her-
aus die Welt so zu formen, dass wir nicht nur resili-
enter gegenüber unvorhersehbaren Ereignissen
werden, sondern vielen Menschen eine lebens-
werte Zukunft ermöglicht wird, ist allerdings eine
enorme Herausforderung.

Der Titel „Aus der Krise in die Zukunft“ gilt dem-
nach für Wirtschaft und Gesellschaft im Ganzen,
aber auch für die Kultur- und Kreativwirtschaft im
Speziellen. Während sie in der Vergangenheit mit
ihren Methoden und Ansätzen bereits viele Impulse
bei Innovations- und Transformationsprozessen
einbringen konnte – Impulse, die momentan drin-
gend gebraucht werden –, gehört sie zu den von
Aus der Krise in die Zukunft - Transformation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft - Initiative Kultur- und ...
INTRO      5

Zusammen mit der Kultur- und Kreativ­    Vernetzung & Plattform
                                                     VERNETZUNG
wirtschaft eine lebenswerte Zukunft                  & PLATTFORM
schaffen: über das Kompetenzzentrum
Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes
                                                      Mit einer Vielzahl von Projekten und Veranstaltun-
Wir befinden uns in einer Zeit der Transformation.    gen – vom Kongress bis zur Roadshow – gibt das
Themen wie Digitalisierung, Struktur- und Klima-      Kompetenzzentrum Akteurinnen und Akteuren
wandel fordern Wirtschaft und Gesellschaft heraus.    aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft die Mög-
Zusätzlich sorgt die Pandemie für viel Unsicherheit   lichkeit, die vielfältigen Herangehensweisen der
und Veränderung.                                      Kultur- und Kreativwirtschaft kennenzulernen und
                                                      gemeinsame Fragestellungen miteinander zu dis-
Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen neue Wege         kutieren.
gegangen werden. Das erfordert kreative Heran­
gehens- und innovative Denkweisen. Genau darin
liegen die Potenziale der Kultur- und Kreativwirt-                   ANALYSE
schaft. Deshalb ist es das Ziel des Kompetenzzent-    Analyse        & TRENDS
                                                                & Trends
rums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes,
Chancen für Kooperationen aufzuzeigen und Syn-        Das Kompetenzzentrum stellt wichtige Daten und
ergieeffekte im Zusammenspiel der Kultur- und         Fakten zur Kultur- und Kreativwirtschaft zur Ver-
Kreativwirtschaft mit anderen Branchen und            fügung und informiert über die neusten Entwick-
Bereichen nutzbarer zu machen.                        lungen der Branche. In wissenschaftlichen Analysen
                                                      werden zukunftsweisende Themen der Kultur- und
Mit der Entwicklung von neuen Konzepten und           Kreativwirtschaft unter die Lupe genommen und
Impulsen, der Initiierung von Projekten und For-      ihre Verbindung zu anderen Bereichen in Wirt-
maten sowie fortlaufenden Analysen stärkt es die      schaft und Gesellschaft aufgezeigt.
Branche langfristig und bereitet einen nachhalti-
gen und fruchtbaren Boden für die Zukunftsgestal-     Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirt-
tung mit der Kultur- und Kreativwirtschaft.           schaft des Bundes ist Teil der Initiative Kultur- und
                                                      Kreativwirtschaft der Bundesregierung.
Das Angebotsspektrum des Kompetenzzentrums
gliedert sich in drei Bereiche:

Entwicklung &ENTWICKLUNG
              Innovation
              & INNOVATION

Das Kompetenzzentrum arbeitet selbst mit Metho-
den aus der Kultur- und Kreativwirtschaft, um Neues
voranzutreiben. Regelmäßig bringt es Akteurinnen
und Akteure aus verschiedenen Branchen zusam-
men, um diese Ansätze zu nutzen und innerhalb
kurzer Zeit innovative Lösungen zu konkreten
Herausforderungen zu generieren.
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Die Kultur- und
Kreativwirtschaft und die
Corona-Pandemie
Aus der Krise in die Zukunft - Transformation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft - Initiative Kultur- und ...
8     D I E K U LT U R - U N D K R E AT I V W I RT S C H A F T U N D D I E CO R O N A- PA N D E M I E

Zur Betroffenheit der Kultur- und                                               und Journalisten sowie Fotografinnen und Foto-
Kreativwirtschaft durch die Folgen der                                          grafen des Pressemarkts und der Rundfunkwirt-
Corona-Pandemie                                                                 schaft mit Fokus auf der Veranstaltungsberichter-
von Antonia Koch, Kompetenzzentrum Kultur- und                                  stattung zählen hier zu den Betroffenen ebenso
Kreativwirtschaft des Bundes, Berlin                                            wie der auf Veranstaltungen konzentrierte Werbe-
                                                                                markt. Darüber hinaus ziehen Produktionsstopps,
                                                                                Einzelhandelsschließungen und gestiegene Hygie-
Die Pandemie hat die deutsche Kultur- und Krea-                                 neauflagen wirtschaftliche Folgen nach sich.
tivwirtschaft im vergangenen Jahr stark getroffen.
Umsatzverluste von insgesamt 22,4 Mrd. Euro im                                  Durch viele nicht standardisierte Schaffens- und
Jahr 2020 markieren den größten Rückschlag für                                  Produktionsprozesse innerhalb der Kultur- und
die Branche seit Beginn des Monitorings.                                        Kreativwirtschaft führen bereits einzelne Ausfälle
                                                                                und Unsicherheiten in der Auftrags- und Logistik-
Die Auswirkungen der Krise betreffen die verschie-                              kette zu einer Unterbrechung in der gesamten Ver-
denen Teilmärkte unterschiedlich stark, was erneut                              gütungspraxis entlang der Wertschöpfungskette.
die strukturelle Heterogenität der Kultur- und Kre-                             Vor allem Solo-Selbstständige und Freiberuflerin-
ativwirtschaft widerspiegelt. Vordergründig treffen                             nen und Freiberufler treffen die Folgen in beson­
Veranstaltungsausfälle vor allem den Live- und                                  derem Maße. Für einen Großteil dieser Beschäfti-
Bühnenbereich in der Musikwirtschaft sowie die                                  gungsgruppen haben die massiven Umsatzeinbußen
darstellenden Künste, die Kinos und die Filmwirt-                               weitreichende Konsequenzen für die Sicherung
schaft. Aber auch selbstständige Journalistinnen                                ihres persönlichen Lebensunterhalts.

Abbildung 1: Der Werbemarkt liegt beim geschätzten Umsatz 2020 (25,4 Mrd. Euro) auf dem Niveau von 2013.
Die Größe der Kugel gibt den Anteil am Gesamtumsatz der KKW an. Umsatzrückgänge werden gerundet ausgewiesen.
D I E K U LT U R - U N D K R E AT I V W I RT S C H A F T U N D D I E CO R O N A- PA N D E M I E   9

Es steht fest, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft            Eine Branche in der Krise
auch 2021 mit extremen Herausforderungen                         von Johannes Tomm, Kompetenzzentrum Kultur-
umgehen muss. Neben strengen Hygieneauflagen                     und Kreativwirtschaft des Bundes, Berlin
und einer nur langsamen und schrittweisen Öff-
nung der Wirtschaft muss sich die Branche auch
„alten“ Aufgaben stellen, die durch die Pandemie                 Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben
eine zusätzliche Dynamik bekommen haben. Das                     die Gesamtwirtschaft Deutschlands im vergange-
betrifft den verschärften Preiswettbewerb auf digi-              nen Jahr hart getroffen. Besonders starke Umsatz-
talen Märkten ebenso wie die Machtkonzentration                  einbrüche hatte die Kultur- und Kreativwirtschaft
in der Plattformökonomie oder wirtschaftsgeogra-                 zu verzeichnen: Der Rückgang hat einzelne Teil-
fische Herausforderungen wie die Verödung von                    branchen auf das Umsatzniveau von vor 2003
Innenstädten.                                                    zurückgeworfen. Diese erschreckenden Ergebnisse
                                                                 spiegeln die spezifische Situation von Kreativen
An diesen Stellen zeigt die Branche aber auch ihr                und Kulturschaffenden im wirtschaftspolitischen
Innovationspotenzial. Die Neugestaltung von                      Kontext der Corona-Krise wider.
Strukturen und Prozessen ist ein integraler
Bestandteil der Kultur- und Kreativwirtschaft. Mit-              Die Pandemie wird die Branche in ihrer Struktur
hilfe ihres kreativen Werkzeugkastens verschiebt                 nachhaltig verändern. Auch wenn wir 2021 wieder
sie ständig ihre eigenen Grenzen und zeigt neue                  zu einem „neuen Normal“ zurückkehren können,
Möglichkeiten für andere Wirtschafts- und Gesell-                werden uns die Auswirkungen in den kommenden
schaftsbereiche auf – ob neue, hybride Veranstal-                Jahren beschäftigen. Szenarien, die das Kompetenz-
tungsformate, spielerische und digitale Lösungen                 zentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes
im Bildungsbereich oder ein neues Instrumenta-                   für 2021 erstellt hat, machen deutlich, dass die
rium für die digitale Arbeitswelt.                               Branche auf das Umsatzniveau von 2015 zurückfal-
                                                                 len wird, selbst wenn sie sich in diesem Jahr wieder
                                                                 positiv entwickelt.
   INFO
                                                                 Die Post-Corona-Phase wird durch unterschiedlich
   Im Bereich Analyse & Trends informiert das                    gelagerte Problemstellungen und Herausforderun-
   Kompetenzzentrum der Kultur- und Kreativwirt-                 gen begleitet werden, die die wirtschaftliche, gesell-
   schaft des Bundes seit April 2020 fortlaufend zur             schaftliche und strukturelle Erholung der Branche
   Betroffenheit der Kultur- und Kreativwirtschaft               maßgeblich bestimmen. Der Umsatzrückgang ist
   durch die Folgen der Corona-Pandemie. Die hier                dabei nur ein Aspekt. Viel entscheidender wird
   genannten Zahlen beziehen sich auf das Betrof-                sein, welche Akteurinnen und Akteure ihre Selbst-
   fenheitspaper vom Februar 2021. Mehr Infos                    ständigkeit aufgeben und in andere Tätigkeitsfelder
   finden Sie auf der Website des Kompetenzzen­                  wechseln, welche Angestellten ihren Beruf nicht
   trums.                                                        mehr ausüben können, welche Häuser und Unter-
                                                                 nehmen ihre Tore schließen und wie viele Menschen
                                                                 aufgrund der Situation nicht den Schritt in die
                                                                 Kreativbranche wagen. Die Kultur- und Kreativ-
                                                                 wirtschaft gilt als vielfältige und heterogene Bran-
                                                                 che – dementsprechend sind diese Entwicklungen
                                                                 im kreativen und kulturellen Ökosystem mit gro-
                                                                 ßer Sorge zu betrachten.
10     KO P F Z E I L E

Johannes Tomm, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, Berlin

Der Gestaltungswille ist geblieben                                 Auch wenn sie den massiven, plötzlichen Einbruch
                                                                   der Existenzgrundlage vieler Akteurinnen und
Trotz eigener Betroffenheit sind viele Akteurinnen                 Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft keines-
und Akteure der Branche mit neuen Ideen, innova-                   wegs kompensieren konnten, so haben diese
tiven Herangehensweisen und digitalen Geschäfts-                   Ansätze dennoch ein weiteres Mal das Innovati-
modellen der Krise entgegengetreten. Sie haben                     onspotenzial der Branche und ihren Willen zum
das getan, was ihre originäre Tätigkeit ausmacht:                  Gestalten gezeigt. Doch ab einem gewissen Punkt
als Gestalterinnen und Gestalter des Neuen der                     leiden auch Kreativität und Durchhaltevermögen
Unsicherheit begegnen. Sie haben Angebote ge­­                     angesichts von Existenzangst und Insolvenz. Die
macht, Lösungen präsentiert, Analoges mit Digita-                  gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Rele-
lem kombiniert und damit der Gesellschaft ein                      vanz dieser Branche muss daher mit spezifischen
Stück weit durch die Krise geholfen: gemeinsam                     Unterstützungsmaßnahmen weiter gestärkt wer-
tanzen mit UNITED WE STREAM, persönliche                           den. Wenn wir irgendwann die Corona-Krise über-
musikalische Begegnungen mit 1:1 Concerts, eine                    standen haben sollten, sind wir auf die Vielfalt von
neue Meetingkultur mit „Wonder“ und neue For-                      kreativen Impulsen angewiesen. Denn genau ge­­
men der digitalen Vernetzung mit Journee, Theater­                 nom­­men stecken wir mitten in einer Reihe von
vorstellungen und Bildungsangebote im Live­stream,                 Krisen – und zwischen Klimaschutz und Nachhal-
VR- & AR-Anwendungen in unterschiedlichsten                        tigkeitszielen ist die Kultur- und Kreativwirtschaft
Kontexten – die Liste ist lang. Die entstandenen                   eine Branche, die schon heute wichtige Lösungen
Angebote wurden mit neuen und neu-kombinier-                       für eine gemeinsame Zukunft entwirft und in
ten Monetarisierungsmodellen verknüpft.                            Geschäftsmodelle übersetzt.
D I E K U LT U R - U N D K R E AT I V W I RT S C H A F T U N D D I E CO R O N A- PA N D E M I E   11

Was für den Re-Start benötigt wird                            ten Herausforderungen zu fördern. Der Staat ist
                                                              demnach als kreativer Vorreiter und aktiver
Nach dem Ende der Einschränkungen beginnt die                 Ermöglicher von Innovationen in der Kultur- und
Phase des „Wiederhochfahrens“, in vielen Fällen               Kreativwirtschaft gefragt.
sogar des kompletten Re-Starts. Sie wird zeigen, ob
sich die Branche erholen kann und der Umsatz-                 Bezogen auf die aktuelle Situation bedeutet das
rückgang aufzufangen oder gar umzudrehen ist. Es              konkret, dass Akteurinnen und Akteure der Bran-
gilt in dieser Phase, neue Strukturen zu entwickeln,          che sich von staatlicher Seite schnellstmöglich Pla-
weitere Unterstützungs- und Investitionsprogram­me            nungssicherheit und Perspektiven für die kulturel-
zu lancieren und die Kultur- und Kreativwirtschaft            len und kreativen Bereiche wünschen. Das hieße
als attraktives Berufsfeld mit vielen Perspektiven            zum Beispiel, dass Szenarien der Öffnung und des
zu etablieren.                                                „Wiederhochfahrens“ länderübergreifend entwor-
                                                              fen und vermittelt werden würden. Intensivierte
Dabei sollten insbesondere die Klein- und Kleinst-            Aktivitäten zur Stimulierung von Unternehmens-
unternehmen, Solo-Selbstständigen und Freiberuf-              gründungen und -wachstum könnten die Über-
lerinnen und Freiberufler in den Fokus genommen               windung der entstandenen Abwärtsdynamik und
werden. Sie machen über 97 Prozent aller Unter-               der damit verbundenen Unsicherheiten bedeuten,
nehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft aus (vgl.            neue Investitionsprogramme würden die Resilienz
Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft               und Zukunftsfähigkeit bestehender Unternehmun-
2019) und sind maßgeblich von den pandemiebe-                 gen stärken und das vielfältige Ökosystem der Kul-
dingten Einschränkungen betroffen. Sie sind die               tur- und Kreativwirtschaft stabilisieren. Um den
(Innovations-)Treibenden der Branche, die Wirt-               aufgezeigten Herausforderungen und Problemen
schaft und Gesellschaft gestalten, Neues ausprobie-           zu begegnen, benötigt es neue Geschäftsmodelle,
ren, Schnittstellen zu anderen Branchen und Berei-            Produkte und Dienstleistungen – Angebote, die alte
chen erkennen und bespielen, Inspiration und                  und neue Nachfragen bedienen. Geht der Staat hier
Innovation zwischen Wirtschaft und Kultur voran-              als Akteur voraus, sollte er neben dem Erhalt und
treiben und vorleben. Diese gilt es gerade jetzt in           der Stabilisierung der Wirtschaft in neuen Pro-
ihrer unternehmerischen Freiheit zu stärken und               grammen ebenfalls anstreben, notwendige Mög-
flexible und regional angepasste Lösungen zu för-             lichkeitsräume für Innovationen und gesellschaft-
dern, die neue wirtschaftliche Aktivitäten schaffen           liche Zukunftsszenarien zu bieten.
und öffentliches Leben ermöglichen.
                                                              Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist viel mehr als
Darüber hinaus bedarf es einer Neupositionierung              vermeintlich verzichtbare Unterhaltung. Sie kann
des Staates in seiner Rolle zwischen Krisenhelfer             eine zentrale Rolle einnehmen, damit Wirtschaft
und Zukunftsgestalter. Die US-amerikanische Öko-              und Gesellschaft verändert, besser und nachhalti-
nomin Mariana Mazzucato hat das Konzept des                   ger als zuvor aus der Krise heraustreten. Dement-
„unternehmerisch tätigen Staates“ (Mariana Maz-               sprechend wichtig ist es, in der nächsten Zeit
zucato, The Entrepreneurial State, 2013) entworfen,           besonderen Aufwand zu betreiben, um das Inno­
in dem der Staat durch Investitionen in Innovation            vationspotenzial und die Vielfalt der Kultur- und
eine dominante Rolle bei der Schaffung und Gestal­            Kreativwirtschaft zu bewahren.
tung von Märkten einnimmt. Sie fordert, dass die
Regierung vielfältige Netzwerke von Akteurinnen
und Akteuren unterschiedlicher Spezialisierung
und unterschiedlichen technischen Verständnisses
zusammenbringt – mit dem Ziel, die Entwicklung
neuer, origineller Ansätze zur Lösung der wichtigs-
12    D I E K U LT U R - U N D K R E AT I V W I RT S C H A F T U N D D I E CO R O N A- PA N D E M I E

Gute Ideen in der Pandemie                                                      Mit digitalen Wissenslandkarten durch die
von Wiebke Müller, Kompetenzzentrum Kultur- und                                 Corona-Informationsflut navigieren: Kontextlab
Kreativwirtschaft des Bundes, Berlin                                            / Der Kontext

                                                                                Die Flut an Informationen zur Corona-Pandemie
Während die Leitlinien zur Eindämmung der Aus-                                  geht damit einher, dass es zunehmend schwerfällt,
breitung von COVID-19 zu gravierenden Verände-                                  sie in einen objektiven Gesamtkontext einzuord-
rungen in nahezu allen Lebens- und Wirtschafts­                                 nen. Dort setzt das Kontextlab an, das digitale Wis-
bereichen geführt haben, sind inmitten dieser                                   sensmaps technisch und inhaltlich aufbereitet. Ihre
Einschränkungen auch neue Projekte entstanden.                                  Wissensmap zur Corona-Pandemie liefert Hinter-
Im Rahmen der Kompetenzzentrums-Gesprächs-                                      gründe und Zusammenhänge aus den Bereichen
reihe „Die gute Idee“ erzählten Gäste von ihren                                 Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft, Geschichte
Erfahrungen und dem, was durch die Krise ent-                                   und Politik.
standen ist. Hier sind einige der „guten Ideen“:                                https://www.kontextlab.com

Persönliche Konzerte im allerkleinsten Rahmen:                                  Ein kooperatives Spiel über den alltäglichen
1:1 Concerts                                                                    Ausnahmezustand: machina eX

Mit dem Projekt 1:1 Concerts haben Franziska Rit-                               In der kriseninspirierten Spontanproduktion
ter und ihre Teamkolleginnen und Teamkollegen                                   LOCKDOWN des Game-Theater-Kollektivs
eine Möglichkeit für ein reales Konzerterlebnis                                 machina eX schlüpft das Publikum in die Rolle von
geschaffen, das unter Berücksichtigung aller gel-                               Tess’ WG-Mitgliedern. Das Smartphone wird zum
tenden Corona-Schutzmaßnahmen durchführbar                                      Theatersaal und das Sofa zur Bühne. In Chats und
ist und das Bedürfnis nach echten persönlichen                                  Anrufen, an bekannten und unbekannten Orten
Kontakten und unmittelbar geteilten musikali-                                   des Internets, entfaltet sich eine Geschichte, die die
schen Erlebnissen stillt: 1 Musiker/-in, 1 Zuhörer/-                            Spielenden aus ihren Wohnzimmern maßgeblich
in, 2 Meter Abstand – die 1:1 CONCERTS trotzen                                  mitbestimmen können. Ein Spiel über den alltägli-
der Corona-Krise, schaffen künstlerische Kraftorte                              chen Ausnahmezustand und das Zusammensein in
und erspielen Spendenbeiträge für die solidarische                              der Zeit der Isolation.
Unterstützung in Not geratener Musikschaffender.                                https://www.machinaex.com
https://1to1concerts.de
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                                                       Eine virtuelle Expedition in die Welt der
                                                       Wissenschaft: Museum für Naturkunde Berlin
                                                       (MfN)

                                                       Egal, ob es darum geht, die Stadtnatur auf Spazier-
                                                       gängen mit einer App ganz neu zu erkunden, mit
                                                       einer Animal-Beatbox experimentelle Stücke zu
Ein Festival zur Unterstützung der Kulturszene,        komponieren oder mit INSIDE TUMUCUMAQUE
zu dem #keinerkommt: Gute Leude Fabrik                 dank Virtual Reality in das Naturschutzgebiet im
                                                       Nordwesten Brasiliens einzutauchen: Das Museum
Es war das Nicht-Festival des Jahres, das am 12. Mai   für Naturkunde Berlin bietet Interessierten mit
2020 in Hamburg stattfand: Keiner kommt, alle          #fürNatur digital zahlreiche Wege, um außerhalb
machen mit. Angekündigt waren Größen von den           des physischen Museumsbesuchs Natur zu erleben
Beatles über Billie Eilish bis zu Ed Sheeran und       und dabei Wissenswertes zu erfahren.
Deichkind – keine der Bands und Künstlerinnen          https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/
und Künstler trat jedoch beim #keinerkommt-            museum/fuernatur-digital
Festival auf einer Bühne auf. Der Erlös der Tickets
kam der Hamburger Kulturszene zugute. Lars             Den größten digitalen Club in heimische
Meier, Initiator des #keinerkommt-Festivals: „Ver-     Wohnzimmer bringen: Clubcommission Berlin
rückte Zeiten brauchen verrückte Ideen, um die
Krise erträglicher zu machen, und daher bewerben       „Save Berlin’s Club Culture in Quarantine“ steht
wir ein Festival, das es nicht gibt, mit Künstlerin-   groß auf der Webseite von UNITED WE STREAM,
nen und Künstlern, die nicht kommen, um Spen-          einem Projekt der Berliner Clubcommission, das
den zu sammeln mit Kreativität und Humor.“             Livestreams aus bekannten (während des Shut-
https://keinerkommt.de                                 downs leeren) Clubs auf diversen Online-Kanälen
                                                       und dem Kultursender ARTE kostenfrei zur Verfü-
Ein Hackathon gegen das Virus: 4Germany                gung stellt und damit international Aufmerksam-
                                                       keit erhält.
Mehr als 28.000 Teilnehmende + 48 Stunden Zeit =       https://unitedwestream.berlin
1.500 Lösungen zur Bewältigung der Corona-Krise:
Der Hackathon #WirVsVirus der Bundesregierung
hat gezeigt, was entsteht, wenn passende Rahmen
geschaffen werden, in denen die Zivilgesellschaft
koordiniert und interdisziplinär zusammenarbei-
ten kann.
https://wirvsvirus.org
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15

(Trotzdem) weiter-
machen: analoge und
digitale Welt verbinden
Mit Beginn der Pandemie wurde der Digitalisierung, insbesondere virtuellen
Räumen, eine neue Bedeutung zugeschrieben. Für die Kultur- und Kreativwirt-
schaft hat diese Entwicklung zwei große Auswirkungen: Zum einen mussten viele
(Kultur-)Veranstaltungen in den virtuellen Raum ausweichen, zum anderen
wurden dort auch neue digitale Geschäftsmodelle entdeckt. Nicht zuletzt mussten
neue Wege gefunden werden, kollaborative Projekte und das vernetzte Denken
in eine digitale Welt zu überführen, die dennoch Platz für analoge Erfahrungen
lässt – ein signifikanter Wandel hin zu hybriden Veranstaltungen, die auch nach
der Pandemie relevant bleiben werden.
16    ( T R OT Z D E M ) W E I T E R M A C H E N : A N A LO G E U N D D I G I TA L E W E LT V E R B I N D E N

Ein Workshop in den virtuellen Alpen                                               basierten virtuellen Arbeitsräumen und -land-
von Andreas Molitor, freier Journalist, Berlin                                     schaften ausgeschrieben hat. Die Aufforderung:
                                                                                   „Traumwelten kreieren und die Grenze des
                                                                                   Gewohnten durchbrechen“. Die acht Gewinner-
Virtuelle Arbeitswelten sind schon seit Länge-                                     Entwürfe wurden mittlerweile frei zugänglich auf
rem eine adäquate Alternative zu Meetings,                                         der XR-Spaces-Plattform zum Ausprobieren aufge-
Kongressen und Dienstreisen. Die Corona-Krise                                      stellt.
hat der Idee zusätzlichen Auftrieb verliehen.
Zu den Vorreitenden in Deutschland zählt                                           Wer sich die Zeit für eine Entdeckungsreise nimmt,
XR HUB Bavaria, mit denen das Kompetenz-                                           mag so bald nicht mehr aus der Virtualität auftau-
zentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des                                          chen. „Man ist global unterwegs, Ländergrenzen
Bundes im Rahmen des Creative Labs koope-                                          werden obsolet“, beschreibt Silke Schmidt, Leiterin
riert.                                                                             von XR HUB Bavaria Munich, die Faszination für
                                                                                   Meetings im Cyberspace. Man kann sich mit Kolle-
Wo soll der nächste Kreativ-Workshop stattfinden?                                  ginnen und Kollegen, Geschäftspartnerinnen und
Vielleicht in einer chilligen Bar, designt in poppi-                               Geschäftspartnern oder Konferenzteilnehmerin-
gen Hippie-Farben? Die Bilanz-Pressekonferenz in                                   nen und Konferenzteilnehmern aus der ganzen
einer toskanischen Renaissance-Villa mit zypres-                                   Welt „zeitgleich in einem virtuellen Raum treffen,
sengesäumtem Garten? Die Vernissage in einer                                       den man sich vorher ausgesucht hat, wie früher
experimentellen Übersetzung von Goyas Radie-                                       um ein Lagerfeuer herum“, erklärt sie. „Und man
rung „Der Schlaf der Vernunft bringt Monster her-                                  hat dabei das Gefühl, tatsächlich mit diesen Leuten
vor“? Oder vielleicht doch lieber in den Poren eines                               an dem betreffenden Ort zu sein – das ist etwas
riesigen rosafarbenen Meeresschwamms? Und all                                      völlig anderes als eine Zoom-Konferenz, wo jeder
dies auch noch ohne lange und beschwerliche An-                                    hinter seiner Videokachel klebt.“
und Abreise mit gigantischem ökologischen Fuß-
abdruck, ganz bequem vom Home Office aus.                                          Die Arbeitsumgebungen des Ideenwettbewerbs von
                                                                                   XR HUB wurden allesamt in Mozilla Hubs einge-
Für die Menschen hinter dem Namen XR HUB                                           richtet, einer der gängigsten Plattformen für VR-
Bavaria zählt die Arbeit an solchen exotisch anmu-                                 Treffen, die komplett im Browser läuft. Mozilla
tenden Locations fast schon zur täglichen Routine.                                 Hubs bietet den Vorteil, dass der Zugang nicht nur
Das Münchner Team der vom Freistaat geförderten                                    mit VR-Equipment möglich ist, sondern auch
Initiative zur Stärkung des Medien- und Wirt-                                      unkompliziert via PC, Tablet oder Smartphone.
schaftsstandorts Bayern (mit weiteren Standorten                                   „Diese leichte Zugänglichkeit über alle Devices ist
in Nürnberg und Würzburg) arbeitet mit Hoch-                                       uns wichtig, da eben noch nicht jeder eine VR-
druck an der Entwicklung virtueller Arbeitswelten,                                 Brille zu Hause hat – auch wenn das Erlebnis mit
die in puncto Erlebnis und Zusammenarbeit weit                                     VR-Brille in 3D nochmal ungleich großartiger ist“,
über das nüchterne Kachelerlebnis von Zoom und                                     so Silke Schmidt.
ähnlichen Tools für Video-Konferenzen hinausge-
hen.                                                                               Meetings sind nur der Anfang

XR HUB Bavaria war Partner des auf neue Lösun-                                     Zwar stolpern die meisten, die zum ersten Mal vir-
gen für die Zeit nach der Corona-Krise fokussierten                                tuelle Locations testen, anfangs noch recht unbe-
Creative Lab COVID-19 des Kompetenzzentrums                                        holfen durch die Räume und Landschaften. Aber
Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Dazu                                     die wenigen notwendigen Tastaturbefehle lernt
passt auch ganz gut, dass der Hub mitten im Shut-                                  jede-/r erstaunlich schnell: wie man miteinander
down einen Ideenwettbewerb zu open-source-                                         kommuniziert, sich mit ein paar Klicks zu einer
( T R OT Z D E M ) W E I T E R M A C H E N : A N A LO G E U N D D I G I TA L E W E LT V E R B I N D E N   17

Der virtuelle Veranstaltungsraum des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes wurde ebenfalls in Mozilla Hubs gebaut

Gruppe anderer Avatare gesellt, die gerade in einer                       ren“, vermeldete ein Prototypen-Tester. Die Ein-
Ecke zusammenstehen; wie man sich wieder ent-                             satzmöglichkeiten virtueller Locations seien fast
fernt (wobei dann die Lautstärke des Gesprächs der                        unerschöpflich, so Silke Schmidt, auch jenseits von
Gruppe abnimmt) und mit Avatar-Kolleginnen und                            Business-Meetings. Egal ob Präsentationen neuer
Kollegen zum vertraulichen Gespräch an die Kaffee­                        Fashion-Kollektionen, Kunstgalerien, Bühnenbil-
bar zurückzieht. Fast alles, was erprobte Meeting-                        der für Theater oder Rathaussäle, in denen ein Bür-
Teilnehmerinnen und Meeting-Teilnehmer aus der                            germeister-Avatar einer Gruppe von Schüler/-
Welt des physischen Beisammenseins kennen,                                innen-Avataren Wissen über Kommunalpolitik
Videovorführungen etwa oder PowerPoint-Präsen-                            vermittelt – vieles lasse sich ins Cyberspace verle-
tationen, ist auch in digitalen Arbeitswelten prob-                       gen.
lemlos möglich und noch viel mehr: 3D-Objekte
können während eines Meetings in den Raum                                 Zu den bislang konsequentesten Pionierinnen und
geholt werden, die Teilnehmenden verteilen sich                           Pionieren der kommerziellen Nutzung virtueller
um das Objekt herum und können es von allen                               Arbeitsumgebungen zählt die US-Immobilienmakler­
Seiten betrachten. Begehbare 360-Grad-Videos                              firma eXp Realty. Sie verzichtet auf teure Büroge-
werden zum Erlebnis. Und in Sekundenschnelle                              bäude aus Beton und Glas und hat ihre Unterneh-
lassen sich auch Expertinnen und Experten zu                              menszentrale komplett in die Cloud ausgelagert.
einer Podiumsdiskussion herbeiholen. Im Flieger                           Dies hat dem Unternehmen nach eigenen Angaben
sitzen sie nicht so schnell.                                              schon vor Corona eine Wachstumsgeschwindigkeit
                                                                          ermöglicht, die mit physischen Standorten niemals
Die bisherigen Feedbackrunden verliefen vielver-                          auch nur annähernd zu verwirklichen gewesen
sprechend. „Es hat einen Riesenspaß gemacht,                              wäre.
unsere Workshop-Gruppe in die ‚Alpen‘ zu entfüh-
18    ( T R OT Z D E M ) W E I T E R M A C H E N : A N A LO G E U N D D I G I TA L E W E LT V E R B I N D E N

Das Öko-Argument zog nicht richtig                                                 für eine Welt, die schlicht nicht mehr existiert.“
                                                                                   Auch bei Dienstreisen scheint der durch Corona
Die ersten Experimente mit virtuellen Arbeitsum-                                   ausgelöste Trend unumkehrbar. Eine bereits Ende
gebungen liegen bereits einige Jahre zurück.                                       Juli 2020 veröffentlichte branchenübergreifende
Anfangs stand das Argument im Vordergrund, dass                                    dpa-Umfrage unter deutschen Konzernen ergab,
Flüge und Fahrten zu Kongressen und Meetings die                                   dass die Unternehmen viele Treffen auch in
Umwelt unnötig belasten. Doch solange schran-                                      Zukunft virtuell abhalten wollen. „Die Pandemie
kenloses Reisen noch problemlos möglich war und                                    hat als Katalysator fungiert und der virtuellen
die Budgets bewilligt wurden, fehlte der Idee virtu-                               Zusammenarbeit einen weiteren Schub gegeben“,
eller Arbeitsräume die Wucht. Der Durchbruch                                       so eine Sprecherin der Deutschen Post.
blieb aus.
                                                                                   Initiativen wie diese könnten ein wichtiges – und
Die Corona-Krise, erzählt Silke Schmidt, hat das                                   dringend benötigtes – Signal in Richtung der Kul-
Konzept jetzt auf eine höhere Umlaufbahn kata-                                     tur- und Kreativwirtschaft aussenden. Ein Großteil
pultiert. Durch Corona wurde plötzlich ein riesiger                                der Branche ist nach wie vor stark von den Auswir-
Markt für Treffen ohne physische Präsenz geschaf-                                  kungen der Corona-Pandemie betroffen. Spricht
fen; das Wort „Reisefreiheit“ bekommt eine neue                                    man mit Verbands-Vertreterinnen und Verbands-
Bedeutung. Die hippe Idee virtueller Arbeitswelten                                 Vertretern aus der Kultur- und Kreativwirtschaft,
verwandelte sich quasi über Nacht zu einem                                         ist die Verunsicherung, wie einzelne Akteurinnen
Geschäftsmodell. Eine Rückkehr zum normalen                                        und Akteure die nächsten Monate ökonomisch
Kongress-, Meeting-, Messe- und Ausstellungsbusi-                                  überstehen können, vielerorts geradezu greifbar.
ness der Vor-Corona-Zeit wird es vermutlich auf                                    „Wir stehen noch vor vielen Monaten, wo sich gar
längere Sicht nicht geben. „Das gesamte Geschäfts-                                 nichts tut“, resümierte Klaus Wollny, Vorstand des
modell von Konferenzen“, urteilt der amerikani-                                    Bundesverbandes der Konzert- und Veranstal-
sche VR-Pionier Charlie Fink, „wurde entworfen                                     tungswirtschaft e. V.
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Zehntausende Unternehmerinnen und Unterneh-                       Virtuelle Arbeitswelten könnten ein solches
mer aus der Kreativ- und Kulturbranche, Betrei-                   Zukunftsprojekt, ein Anknüpfungspunkt für eine
bende von Kinos, Clubs, Theatern und Galerien,                    Symbiose zwischen Kulturunternehmerinnen und
Veranstalterinnen und Veranstalter von Live-Kon-                  Kulturunternehmern und „Tekkies“ sein. Menschen
zerten und Events fiebern dem Tag entgegen, an                    wollen und müssen zusammenkommen, um Krea-
dem die Corona-Beschränkungen fallen und sie                      tivität zu generieren. Videokonferenzen sind nicht
wieder zum „Normalbetrieb“ zurückkehren können.                   die ideale Ideen-Brutstätte. „An bereits laufenden
Die Hoffnung könnte sich jedoch als trügerisch                    Projekten zu arbeiten, ist die eine Sache“, erklärte
erweisen: Abstands- und Hygieneregeln etwa, die                   Facebook-Chef Mark Zuckerberg kürzlich in einem
uns vermutlich noch längere Zeit erhalten bleiben                 Interview den entscheidenden Unterschied, „aber
werden, drohen so manches Geschäftsmodell zu                      neue Ideen zu entwickeln, das ist etwas völlig
zerstören.                                                        anderes.“

Kein Zurück zur alten Welt                                        Mit Beginn der Pandemie erhielten Menschen in
                                                                  vielen Teilen der Welt einen Vorgeschmack auf das
Angesichts solch enormer Unwägbarkeiten halten                    Potenzial virtueller Locations. Im Juni etwa wurden
viele eine Rückkehr zur heilen Welt der Zeit vor                  600.000 Zuschauerinnen und Zuschauer Zeuge, als
der Epidemie für illusorisch. Andreas Heinecke                    der französische Elektropop-Pionier Jean-Michel
etwa, Erfinder der Hamburger Ausstellung „Dialog                  Jarre als Avatar in einem virtuellen Live-Konzert
im Dunkeln“, in der blinde Guides die Besucherin-                 auftrat. Er stand mit VR-Helm in seinem Studio in
nen und Besucher über einen lichtlosen Parcours                   der Nähe von Paris, wo seine Bewegungen aufge-
mit normalen Alltagssituationen führen, eine Art                  zeichnet und in eine virtuelle Veranstaltungshalle
Hybrid aus Kultur- und Sozialentrepreneur, hält                   übertragen wurden.
den „Versuch, zu erhalten und zu retten, was zu ret-
ten ist“, für völlig naiv – und möglicherweise für                Direkt nach Beginn der Pandemie wurde sogar
schlimmer als die Katastrophe selbst. „Denken wir                 eine komplette internationale Konferenz zu Virtual
groß, weit und tief“, appelliert Heinecke an sich, an             Reality, die IEEE VR 2020, coronabedingt von
sein Team und an die gesamte Kultur- und Kreativ-                 Atlanta ins Cyberspace verlagert. „Emotionale Prä-
wirtschaft.                                                       senz ohne körperliche Anwesenheit herzustellen,
                                                                  das ist ein harter Brocken“, lautete das nicht völlig
Sein Appell scheint auf fruchtbaren Boden zu fallen.              skepsisfreie Fazit eines Teilnehmers. Allerdings
In einer Umfrage, die das Kompetenzzentrum Ende                   werde man wohl nicht darum herumkommen,
April 2020 mit dem Deutschen Kulturrat zur Betrof-                neue Wege zu finden, „wie wir das Erlebnis, einen
fenheit der Branche von der Corona-Krise unter                    Raum mit jemanden zu teilen, herüberretten kön-
den Verbänden durchgeführt hatte, äußerten viele                  nen in eine Zeit, in der das Diktat des körperlichen
Befragte die Hoffnung, dass die Krise auch als                    Abstands gilt.“
Chance für zukunftweisende Innovationen gesehen
wird. Julia Köhn, Projektleiterin des Kompetenzzen-
trums, umreißt die Aufgabenstellung wie folgt: „Die
Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine sehr innova­
tionsstarke Branche, die in der aktuellen Situation
eine wichtige Rolle einnehmen kann. Die Heraus-
forderung ist es zu erkennen, welche Chancen darin
liegen, in bestimmten Bereichen nicht einfach zum
Zustand vor Corona zurück­zukehren, sondern etwas
Neues zu schaffen und das dann auch umzusetzen.“
20    ( T R OT Z D E M ) W E I T E R M A C H E N : A N A LO G E U N D D I G I TA L E W E LT V E R B I N D E N

Die SPRUNGKRAFT-Toolbox

Wie funktioniert Kooperation im                                                    Das waren die Voraussetzungen, um in kleinen
digitalen Raum? Sechs Learnings aus                                                Teams an kreativen Lösungen für konkrete Frage-
dem Innovation Camp Sprungkraft                                                    stellungen zu Themen wie Strukturwandel in länd-
von Franziska Lindner, Kompetenzzentrum Kultur-                                    lichen Räumen, Creative Bureaucracy oder neuen
und Kreativwirtschaft des Bundes, Berlin                                           Anwendungsformen für Künstliche Intelligenz zu
                                                                                   arbeiten.

Innovation Camps gehören zu den Formaten, die                                      Mit Geltungsbeginn der Corona-Schutzmaßnah-
das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirt-                                      men wurde das Format neu gedacht. Zwar standen
schaft des Bundes bereits seit 2017 durchführt.                                    Innovationsentwicklung, der Einsatz kultur- und
Mehrmals jährlich kommen Akteurinnen und                                           kreativwirtschaftlicher Methoden, Rapid Prototy-
Akteure verschiedener Bereiche und Branchen bei                                    ping und Interdisziplinarität weiterhin im Mittel-
der interdisziplinären Veranstaltung zusammen,                                     punkt des Veranstaltungskonzepts, allerdings
um kultur- und kreativwirtschaftliche Methoden                                     wurde das Innovation Camp komplett digital
anzuwenden und innerhalb von nur zwei bis drei                                     transformiert: Digitale und analoge Inhalte wurden
Tagen konkrete Lösungen zu einem gesellschaftlich                                  miteinander verschränkt; statt einem analogen
und wirtschaftlich relevanten Thema zu finden.                                     Raum wurde eine dynamische Videokonferenz-
                                                                                   plattform zum Treffpunkt; ein Design Sprint
Noch bis Anfang 2020 basierte das Format auf                                       ersetzte das Design Thinking; und es wurde ein
folgenden Eckpfeilern:                                                             digitales Prototyping Studio für die Teilnehmerin-
• ein außergewöhnlicher Ort                                                        nen und Teilnehmer eingerichtet.
• rund 120 Teilnehmende aus diversen Branchen

• 2,5 Tage Zeit
( T R OT Z D E M ) W E I T E R M A C H E N : A N A LO G E U N D D I G I TA L E W E LT V E R B I N D E N   21

Wie gelingen kreative Kooperationsprozesse im                     Lösung
digitalen Raum? Hier sind die Learnings aus                       Tools (in diesem Fall: Wonder und Mural) sollten
drei Tagen Innovation Camp Sprungkraft mit über                   überlegt ausgewählt werden und nicht zu häufig
300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern:                              wechseln. Außerdem muss ein Einführungspro-
                                                                  gramm angeboten werden, z. B. in Form von Kurz-
1. Verbindlich & persönlich werden:                               anleitungen, Video-Tutorials oder kurzen Treffen
das Event nach Hause schicken                                     vorab im virtuellen Raum.

Fehlender persönlicher Kontakt und vermeintliche                  3. Flexibel bleiben:
Anonymität bei einer Anmeldung im Netz können                     Ideationsprozesse so gestalten, dass diese
eine Veranstaltung „unecht“ wirken lassen und                     sich in die aktuelle Situation von Home Office
wenig Verbindlichkeit sowie eine hohe No-Show-                    und Ablenkung einfügen
Rate nach sich ziehen. Um bei digitalen Veranstal-
tungen mehr Bindung zu erreichen, kann die Ver-                   Anders als bei analogen Konferenzen können sich
anstaltung auf anderem Wege in das analoge Leben                  Teilnehmende digital nur für bestimmte Programm­
der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eintreten.                     punkte zuschalten oder fallen durch die besondere
                                                                  Situation im Home Office (z. B. Homeschooling) für
Lösung                                                            bestimmte Zeitslots ganz aus. Der Ideationsprozess
Eine vorab an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer                  sollte an diese Aufmerksamkeitsdynamik angepasst
verschickte Toolbox mit wichtigen Werkzeugen für                  sein.
einen gelungenen Design Sprint fungiert als analoge
Erinnerungsstütze und erzeugt gleichzeitig ein                    Lösung
Gefühl von „Echtheit“. Im Falle des Innovation                    Einzelaufgaben während des Design Sprints for-
Camps bestand die Box aus einem Festival-Batch                    mulieren, die die Teilnehmenden individuell und
mit QR-Code zum Navigieren in den digitalen Räu-                  zu ihrer Wunschzeit bearbeiten können. Außerdem
men, einem Canvas für Ideenskizzen, Nervennah-                    sollte ein Ideenteam sieben bis acht Personen um­­
rung und nützlichen Hintergrundinformationen                      fassen, sodass die Gruppe auch bei einer oder zwei
zur Veranstaltung. Auf diese Weise wurden mehrere                 fehlenden Personen arbeitsfähig bleibt. Sollte sich
Sinne (Haptik, Geschmack) angesprochen. Zusätz­                   ein Team dennoch auflösen, kann neu gemischt
licher Nebeneffekt: Die Box wurde auf Social Media                und verteilt werden.
von einigen Teilnehmenden „unboxed“ und hat auf
diese Weise Reichweite generiert.

2. Warmlaufen für digitale Tools:
vorab Tutorials anbieten

Der Einsatz interaktiver Tools verleiht einer digita-
len Veranstaltung Dynamik. Es ist aber auch ein
Experiment, das gute Vorbereitung und permanen-
ten technischen Support erfordert. Egal welche
digitalen Plattformen und Werkzeuge genutzt wer-
den, es wird immer Personen geben, die mit dem
gewählten Tool noch wenig vertraut sind. Es sollte
daher ausreichend Zeit eingeplant werden, um den
Teilnehmerinnen und Teilnehmern bereits vor                       Vom persönlichen Lieblingsplatz aus in den Ideationsprozess
dem Start des Events die Tools näherzubringen.                    einsteigen
22     ( T R OT Z D E M ) W E I T E R M A C H E N : A N A LO G E U N D D I G I TA L E W E LT V E R B I N D E N

Im Studio des Innovation Camps

4. Aufmerksamkeit halten I:                                                         einer Fernsehproduktionsfirma (in diesem Fall Alex
„TV-Effekt“ statt Videokonferenz-Ästhetik                                           Berlin) unter TV-Bedingungen bzgl. Kamera,
                                                                                    Schnitt, Einblendungen und Live-Moderation pro-
Die Zeit im Home Office hat uns gelehrt, dass                                       duziert. Die Beantwortung von Fragen, die von der
mehrstündige Videokonferenzen anstrengend und                                       Community während des Livestreams gestellt wer-
eintönig werden können. Eine dynamische, profes-                                    den, erhöht die Bindung und den „Live“-Effekt.
sionelle Videoproduktion trägt dazu bei, dass
Zuschauerinnen und Zuschauer aufmerksam blei-                                       5. Gemeinschaftserlebnisse schaffen:
ben und Inhalte gut aufnehmen können.                                               Interaktion & Networking designen

Lösung                                                                              Interaktion & Networking funktioniert digital
Es lohnt sich, eine Bühne im entsprechenden                                         anders als bei analogen Veranstaltungen. Gleichzei-
Design der Veranstaltung (z. B. Hintergründe) ein-                                  tig braucht es Schnittstellen, um Zuschauerinnen
zurichten, auf der das Programm stattfindet. Auch                                   und Zuschauer Teil des Ganzen werden zu lassen.
eine Weitwinkel-Kamera und adäquate Beleuch-                                        Da physische Präsenz im digitalen Raum fehlt und
tung machen bereits einen großen Unterschied.                                       zusätzlich Unsicherheiten im Umgang mit den ver-
Optimal wird das Programm direkt in einem Stu-                                      wendeten Tools bestehen können, ist es sinnvoll,
dio in Kooperation mit einem TV-Sender oder                                         an dieser Stelle stärker zu kuratieren.
( T R OT Z D E M ) W E I T E R M A C H E N : A N A LO G E U N D D I G I TA L E W E LT V E R B I N D E N   23

Lösung
Über interaktive Kennenlernspiele oder Telegram-
Live-Walks kann Interaktion aktiv ins Programm
eingewoben werden. Kleine Spiele oder Fragestel-
lungen (beim Innovation Camp z. B.: „Was ist dei-
ner Meinung nach die wichtigste Erfindung der
Menschheit?“), die den Teilnehmerinnen und Teil-
nehmern im Laufe der Veranstaltungen auf den
Weg gegeben werden, haben sich darüber hinaus
als angenehmer Einstieg für erste Kennenlernge-
spräche zwischen den Teilnehmenden erwiesen.

6. Aufmerksamkeit halten II:
kurz und knackig – digitale Snacks

Die Aufmerksamkeitsspanne ist digital deutlich
kürzer als analog. Das sollte bei der Programmge-
staltung berücksichtigt werden.

Lösung
Es ist ratsam, Talks und Diskussionen mit Expertin-
nen und Experten sehr kurz und abwechslungsreich
zu gestalten, beispielsweise durch fünfminütige
Blitzvorträge und interaktive Feedback-Sessions.
Die kurzen Clips eignen sich zusätzlich auch für                 Zusammen achtsam in den Tag starten: Bevor es digital losging,
                                                                 konnten sich alle Teilnehmenden bei einem Live-Audio-Walk über
die Ausspielung in Social Media.
                                                                 Telegram an der frischen Luft einstimmen

Fazit

Der digitale Raum tickt anders. Veranstaltungskon-
zepte müssen dementsprechend umgestellt wer-
den. Doch schon die Berücksichtigung einiger zen-
traler Aspekte kann eine Veranstaltung auch im
virtuellen Raum zu einem großen Erfolg machen –
und Sie dabei von allen positiven Aspekten (z. B.
dem Wegfallen von Anfahrtswegen und neuen For-
men des Nachhaltens von Ergebnissen) profitieren
lassen.

Möchten Sie mehr zu virtuellen und hybriden Ver-
anstaltungskonzepten erfahren? Dann melden Sie
sich bei uns via kontakt@kreativ-bund.de.
24
25

Was kommt dann?
Wie die Kreativwirtschaft
eine Post-Corona-Welt
entwirft
Während das Leben in mancher Hinsicht stehen geblieben ist, wurde es gleichzeitig
immer wichtiger, sich zu überlegen: Was soll bleiben, wenn das alles vorbei ist?
Welche Erkenntnisse haben wir erlangt? Und wie sieht eine Zukunft aus, in der
Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur resilienter sind, sondern sich die Erfahrungen
auch in positiver Weise (als Gelerntes) in der Zukunftsgestaltung niederschlagen?

Der Austausch über diese Fragen ist in Pandemiezeiten zusätzlich erschwert. Auch
das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes musste sich in
dieser Hinsicht neu ausrichten. Zwei wesentliche Faktoren blieben allerdings:

   1. Mit kreativwirtschaftlichen Methoden Zukunftsszenarien entwickeln, die so
       klar und greifbar sind, dass sie diskutierbar werden.

   2. Einen Ort schaffen, an dem Kooperation und Austausch möglich ist – auch in
       digitaler/hybrider Form.

Welche Aspekte bei diesen Schritten hin zum Entwurf einer Welt nach Corona
beachtet werden müssen und welche Erfahrungen das Kompetenzzentrum damit
gemacht hat, können Sie in diesem Kapitel lesen.
26    WA S KO M M T DA N N ? W I E D I E K R E AT I V W I RT S C H A F T E I N E P O S T- CO R O N A-W E LT E N T W I R F T

SCHRITT 1: Zukünfte entwickeln
von Deana Mrkaja, freie Journalistin und Zukunfts-
forscherin, Berlin

Digitalisierung, Klimawandel oder Virus-Pandemie                              Zukunft nicht vorhersehen, jedoch lassen sich aus
– weltweit stehen der Markt und die Gesellschaft                              der Gegenwart heraus Entwicklungsstrukturen
vor ungewissen Transformationsprozessen. Anstatt                              erkennen, die auf mögliche Zukunftsszenarien hin-
diese auf uns zukommen zu lassen, können wir sie                              weisen. Damit diese Erkenntnisse in der Praxis
aktiv mitgestalten. Durch die systematische Beschäf­                          Anwendung finden können, müssen sie diejenigen
tigung mit Zukunftsfragen sind Unternehmen oder                               erreichen, die an Lösungen und Prototypen für
auch die Politik in der Lage, zukunftsorientierte                             zukünftige Herausforderungen arbeiten. Gemein-
Strategien zu entwerfen und bessere Entscheidungen                            sam mit Methoden der Zukunftsforschung macht
zu treffen. Methoden aus der Kultur- und Kreativ-                             die Kultur- und Kreativwirtschaft Zukünfte greif-
wirtschaft, wie die Szenariotechnik, der Einsatz                              barer. Im Mittelpunkt steht das Bestreben, noch
eines Futures Wheel oder die Erstellung von Narra-                            nicht eingetretene Entwicklungen bereits heute so
tive Probes, helfen insbesondere Unternehmen                                  real wie möglich erscheinen zu lassen. Die eigene
dabei, neue mögliche Geschäftsfelder zu erkennen,                             Erfahrung wirft klarere Entscheidungs- und Hand-
sich Veränderungen auf dem Markt schnell anzu-                                lungsoptionen auf.
passen oder innovative Trends zu setzen. Auch das
Kompetenzzentrum arbeitet mit solchen Methoden,                               Szenarien triggern vorhandenes Wissen über
um Neues voranzutreiben: Bei Innovation Camps                                 zukünftige Entscheidungsmöglichkeiten. Es mag
oder in Creative Labs nutzen Akteurinnen und                                  zu Beginn – gerade für Unternehmen – eine neue
Akteure aus verschiedenen Branchen diese Ansätze                              Erfahrung sein, in Rollen zu schlüpfen, Geschich-
und generieren innerhalb kurzer Zeit innovative                               ten zu erfinden oder der Fantasie einfach freien
Lösungen zu konkreten Herausforderungen.                                      Lauf zu lassen. Jedoch ist eine ungewohnte Denk-
                                                                              weise, dieser offene Brainstorming-Prozess, der
Seit jeher ist die Zukunft eine Projektionsfläche für                         Schlüssel zur Entwicklung von Zukunftsszenarien.
die Hoffnungen, Ängste und Pläne der Menschheit.                              Die Methode ermöglicht, denkbare Entwicklungen
Ob mit Astrologie, dem Entwerfen von politischen                              der Zukunft zu analysieren und zusammen­
Utopien oder auch mit dem Orakel von Delphi –                                 hängend darzustellen. Dabei wird der Denkprozess
seit Jahrtausenden versuchen wir, Zukunftsbilder                              neu angeregt, das Einlassen auf mögliche Szenarien
zu formen. Dabei spielt das Zukunftsdenken auch                               antizipiert und Kreativität gefördert. Szenarien
im wirtschaftlichen Kontext eine große Rolle: Wir                             können eine Grundlage dafür sein, zu beurteilen,
beobachten Trends und investieren, wir treffen                                was plausible Auswirkungen gegenwärtiger Ent-
Prognosen und arbeiten an Innovationen. Doch                                  wicklungen sind und wie man mit diesen Auswir-
bevor Szenarien für die Zukunft von Unterneh-                                 kungen umgehen könnte. Die Szenariotechnik
men, Institutionen oder ganzen Ländern entwor-                                dient weniger der Generierung von neuem Wissen
fen werden können, müssen wir verstehen, dass es                              als der übersichtlichen Strukturierung und Darstel-
nicht die eine Zukunft gibt.                                                  lung von vorhandenem Wissen über zukünftige
                                                                              Entwicklungsmöglichkeiten (vgl. Mietzner 2009;
Stattdessen gibt es eine Vielzahl an möglichen,                               Steinmüller 2012; Wilms 2006).
wünschenswerten oder auch wahrscheinlichen
Zukünften. All diese sind durch uns gestaltbar:                               Szenariotechniken werden auch immer häufiger
Nicht die Zukunft kommt auf uns zu, sondern wir                               für wirtschaftliche Prozesse genutzt. Wachsende
gehen aktiv auf die Zukünfte zu. Zwar lässt sich die                          Komplexität und Ungewissheit von Markt- und
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