Amt und Gemeinde - Evangelische Kirche in Österreich

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Amt und Gemeinde - Evangelische Kirche in Österreich
Amt und Gemeinde
70. Jahrgang, Heft 1, 2021                                                          € 6, –

                                          Schöpfungs­
                                          verantwortung
                                          Aus der Freude des Schöpfungssegens
                                          leben und handeln
                                          Michael Chalupka                                7

                                          Ökogerechtigkeit als gegenseitige Teilhabe?
                                          Versuch einer theologischen Vision der gegen-
                                          seitigen Durch­dringung alles Erschaffenen
                                          Michael Nausner                                 12

                                          Klimaschutz in den Evangelischen Kirchen
                                          in Österreich
                                          Andrea Sölkner                                  23

                                          Impuls der Bundesministerin für Klimaschutz,
                                          Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und
                                          Technologie am Reformationsempfang,
                                          20. Oktober 2020
                                          Leonore Gewessler                               60

                                          Und weitere Beiträge

Evangelische Kirche A. B. in Österreich      Herausgeber: Bischof Michael Chalupka
INHALT

Editorial ............................................................................................................................................    5
Eva Harasta

Aus der Freude des Schöpfungssegens leben und handeln.
Predigt zur Amtseinführung als Bischof der Evangelischen Kirche A. B.
in Österreich ...................................................................................................................................         7
Michael Chalupka

Ökogerechtigkeit als gegenseitige Teilhabe? Versuch einer theologischen
Vision der gegenseitigen Durch­dringung alles Erschaffenen ........................ 12
Michael Nausner

Klimaschutz in den Evangelischen Kirchen in Österreich.
Ein Werkstattbericht ..................................................................................................................                  23
Andrea Sölkner

                                                                            ***

Statements der evangelischen Umweltbeauftragten

Schöpfungsverantwortung aus Sicht der Evangelisch-
methodistischen Kirche – eine Standortbestimmung ........................................                                                                30
Ben Nausner (Evangelisch-methodistische Kirche in Österreich)

Nachhaltigkeit in der kirchlichen Schöpfungsverantwortung ........................                                                                       33
Michael Meyer (Evangelische Kirche H. B. in Österreich)

Die aktuelle Lage der Umweltarbeit in Oberösterreich ......................................                                                              35
Rainer Hochmeir

Seit 2000 Jahren grün. Evangelische Umweltarbeit in der Steiermark ...                                                                                   38
Peter Lintner

Schnappschuss zur Schöpfungs- und Umweltarbeit:
Evangelische Diözese A. B. Wien ....................................................................................                                     40
Andrea Kampelmühler und Ralf Dopheide
 SCHÖPFUNGSVERANTWORTUNG
Umweltarbeit und Klimaschutz in der Diözese Salzburg und Tirol ............                                                                        42
Werner Schwarz

Verändern wir unsere Welt. Umweltarbeit in der Evangelischen                                                                                            Editorial
Superintendenz Niederösterreich ....................................................................................                               44
Inge Janda
                                                                                                                                                        Liebe Leserin, lieber Leser,                   Kirche arbeitet, setzt sich mit der theolo-
                                                                         ***                                                                                                                           gischen Herausforderung der Klimakrise
                                                                                                                                                        Sie halten einen Neuanfang in den Hän-         auseinander. Es waren Kulturen im Raum
ÖRK-Aufruf zu einer Dekade des ökologischen Lernens,                                                                                                    den: das erste Heft von „Amt und Ge-           des westlichen Christentums, in denen die
Bekennens und Handelns gegen den Klimawandel                                                                                                            meinde“ unter der Herausgabe von Bi-           Technologien entwickelt wurden, die in die
                                                                                                                                                        schof Michael Chalupka. Die neue               Klimakrise geführt haben. Ein Grund für
Kairos für die Schöpfung – Hoffnungsbekenntnis für die Erde.                                                                                            Redaktion hat mit der Arbeit begonnen          die Klimakrise liegt mithin auch in evan-
Die Wuppertaler Erklärung ...................................................................................................                      47   und die Koordination ist von Charlotte         gelischen Deutungen der Schöpfung und
                                                                                                                                                        Matthias zu mir gewandert. Dieses Heft         der Position des Menschen in der Schöp-
                                                                         ***                                                                            ist aber auch ein Neuanfang im Über-           fung. In Aufnahme von „A Bishops’ Letter
                                                                                                                                                        gang: Die neue Redaktion beginnt ab            About the Climate“, den die schwedische
Statements vom Reformationsempfang 2020                                                                                                                 Heft  3–2021 mit der Gestaltung und wird       Erz­bischöfin 2020 veröffentlichte, lädt
„Schöpfungsverantwortung“                                                                                                                               sich in Heft 3 auch vorstellen.                Nausner aus evangelisch-methodistischer
                                                                                                                                                            Bei der Frage, welches Thema das erste     Sicht zu einem Umdenken ein: Es gehe
Wir werden es schaffen – weil es schwer ist! ..........................................................                                            53   Heft unter der Herausgabe von Bischof Cha-     darum, den Menschen aus seiner Herr-
Katharina Rogenhofer                                                                                                                                    lupka haben sollte, lag die Antwort nahe:      schaftsposition herauszunehmen und in die
                                                                                                                                                        Schöpfungsverantwortung. Dieses Anliegen       Gemeinschaft der Mitgeschöpfe zu stellen,
Die Türen öffnen und miteinander etwas bewirken .............................................                                                      56   hat er programmatisch in den Mittelpunkt       die jedes nach ihrer Art Rechte und Mit-
Francesca Christ                                                                                                                                        seiner Antrittspredigt gestellt, wie hier im   verantwortung in der Schöpfung haben.
                                                                                                                                                        Heft nachzulesen ist. Das war im Herbst            Als nächstes folgt ein reality check:
Welche Art von Gesellschaft wollen wir gewesen sein? ...................................                                                           57   2019. Ein halbes Jahr später begann die        Andrea Sölkner, Kirchenrätin in der Ab-
Judith Klaiber                                                                                                                                          Corona-Zeit. Manche Anliegen erscheinen        teilung für Kirchenentwicklung, berichtet
                                                                                                                                                        angesichts von Corona nicht mehr so wich-      aus der Werkstatt der evangelischen Um-
Impuls der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie,                                                                                           tig wie „davor“. Nicht aber die Klimakrise.    weltarbeit in Österreich. Aktuell erarbeitet
Mobilität, Innovation und Technologie am Reformationsempfang,                                                                                               Die Antrittspredigt des Bischofs ver-      das Projektteam „Klimaschutzkonzept“ im
20. Oktober 2020 .......................................................................................................................           60   setzt ihre Lesenden in die Gustav-Adolf-       Austausch mit allen Ebenen der Kirchen  
Leonore Gewessler                                                                                                                                       Kirche in Wien-Gumpendorf und erinnert         – besonders mit den Umweltbeauftragten  –
                                                                                                                                                        an die glaubende Zuversicht, die ange-         konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz
                                                                                                                                                        sichts der Sorge wegen der Klimakrise den      und regt ein theologisches Nachdenken
                                                                         ***                                                                            Mut gibt, sich aktiv einzusetzen.              über Schöpfungsverantwortung an.
                                                                                                                                                            Michael Nausner, der in der Forschungs-        Dann kommen die evangelischen Um-
Biogramme .....................................................................................................................................    62   abteilung der schwedisch-lutherischen          weltbeauftragten selbst zu Wort. So erhal-
Impressum ......................................................................................................................................   64

                                                                                                                                                        Amt und Gemeinde                                                                        5
ten Sie, liebe Leserin und lieber Leser,     Youtube-Kanal der Evangelischen Kirche           SCHÖPFUNGSVERANTWORTUNG
Einblick in die Umweltarbeit in fast allen   in Österreich. Das vorliegende Heft doku-
A.B.-Diözesen, in der Evangelisch-me-        mentiert die Beiträge von drei Expertin-

                                                                                             Aus der Freude des Schöpfungs-
thodistischen Kirche und in der Evange-      nen und den Beitrag von Leonore Gewes-
lischen Kirche H. B. in Österreich. Be-      sler, Bundesministerin für Klimaschutz,

                                                                                             segens leben und handeln
richtet wird über Erfolge und Initiativen,   Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation
aber auch darüber, wie Corona die Um-        und Technologie.
weltarbeit behindert und wie Klima- und         Die Sprecherin des Klimavolksbegeh-
Umweltschutz mancherorts noch zu we-         rens Katharina Rogenhofer legt ein Plä-         Predigt zur Amtseinführung als Bischof
nig Bedeutung im Gemeindeleben finden.       doyer für Klimaschutz aus ihrer Sicht als
   Auf die Voten der Umweltbeauftragten      Aktivistin vor. Francesca Christ, Mitglied      der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich,
folgt das Dokument des Weltkirchenrats       der Diözesanjugendleitung Salzburg-Tirol
„Kairos für die Schöpfung – Hoffnungs-       in der Evangelischen Jugend Österreich          13. Oktober 2019, Gustav-Adolf-Kirche, Wien-Gumpendorf
bekenntnis für die Erde: Die Wupperta-       spricht über ihre Vision von einer Kirche, in
ler Erklärung“. In Vorbereitung für die      der die Anliegen der Jüngeren – einschließ-
nächste Vollversammlung des Weltkir-         lich des Klimaschutzes – noch stärker zum                                                                  Von Michael Chalupka
chenrats in Karlsruhe (31.8.–8.9.2022)       Tragen kommen als aktuell. Die römisch-
trafen sich Vertreter:innen aus der globa-   katholische Theologin Judith Klaiber be-
len Ökumene. Sie beschlossen, den Welt-      schäftigt sich mit der Frage „Welche Ge-
kirchenrat zur Ausrufung einer „Dekade       sellschaft wollen wir gewesen sein?“ und           „Die Sünder sollen ein Ende nehmen auf Erden
des ökologischen Lernens, Bekennens und      lädt dazu ein, aus Sicht des „vollendeten          Und die Gottlosen nicht mehr sein.
Handelns gegen den Klimawandel“ aufzu-       Futurs“ auf das Heute zu schauen.                  Lobe den Herrn, meine Seele! Halleluja!“
rufen. Der Wuppertaler Aufruf wird hier         Bundesministerin Gewessler berichtet            (Psalm 104,35)
mit freundlicher Genehmigung des Welt-       über den Stand der Klimaschutzpolitik in
kirchenrates abgedruckt. Er bezeugt, dass    Österreich und spricht darüber, welche             „Gnade sei mit euch und Friede von dem,
Kirchen in unterschiedlichen Kontexten       Rolle die Religionsgemeinschaften für              der da ist und der da war und der da kommt.“
aktuell darum ringen, auf die Klimakrise     den Klimaschutz aus ihrer Sicht haben:             (Offenbarung 1,4)
adäquat zu reagieren: Die Beschäftigung      Die Arbeit an der Bewusstseinsbildung
mit Schöpfungsverantwortung in Öster-        könnte den Religionsgemeinschaften be-
reich ist Teil einer weltweiten ökumeni-     sonders entsprechen.
schen Dynamik.
   Der letzte Teil des Heftes bietet die
Beiträge des Reformationsempfangs
                                                Liebe Leserin, lieber Leser, ich hoffe,
                                             dass der eine oder andere Beitrag in die-
                                             sem Heft Ihre Aufmerksamkeit auf sich
                                                                                             L     iebe Schwestern und Brüder, liebe
                                                                                                   Geschöpfe unseres wunderbaren
                                                                                             ­Gottes, liebe schöne Mitmenschen, die
                                                                                                                                           des Herrn gepriesen und die Schönheit
                                                                                                                                           der Erde besungen, mit den Worten des
                                                                                                                                           Psalmisten. Was für eine wunderbare Be-
2020. Der Empfang fand am 20.10.2020         zieht. Über Anregungen von Ihnen freue           ihr heute gekommen seid!                     schreibung der Welt. Die Brunnen quellen
in der Auferstehungskirche in Wien-          ich mich (eva.harasta@evang.at) und gebe                                                      in den Tälern, davon trinken die Tiere des
Neubau statt – als eine der letzten koh-     sie auch gern weiter. Den Autorinnen und        Die Welt ist schön und Gott ist schön.        Feldes, die Wildesel löschen ihren Durst,
lenstofflichen Veranstaltungen vor den       Autoren danke ich für die gute Zusam-           Licht ist sein Kleid, der Himmel sein Zelt.   die Vögel singen in den Zweigen, das
immer strengeren Hygieneregeln des Co-       menarbeit.                                         Wir haben den Psalm 104 gebetet            Land ist voller Früchte. Das Gras wächst
ronaherbstes. Er steht als Video auf dem                                    Eva Harasta      und gesungen. Haben die Herrlichkeit          für das Vieh, die Erde bringt das Brot her-

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vor. Wein und Brot stärken das Herz. Die     Unwetter. Aber die Natur steht unter dem                anstimmt, lebt gefährlich, zumal in un-        che schöne Psalmlieder singen? Weil der
Vögel nisten in den Zedern und die Stör-     Segen Gottes, des Schöpfers. Sie ist gut,               serer Hemisphäre. Wir sind es, die den         liebe Gott uns schon retten wird?
che wohnen in den Wipfeln. „Die Herr-        sie ist Verheißungsträgerin. Die Schöp-                 großen ökologischen Fußabdruck pro-               Gott verspricht, ein Gott des Lebens zu
lichkeit des Herrn bleibe ewiglich, der      fung ist erfüllt von Gottes Kreativität.                duzieren. Wir sind es, die 70 Mal so viel      sein, der den Kreislauf des Lebens ach-
Herr freue sich seiner Werke!“ (Ps 104,31)       Schauen wir auf unsere Welt und wie                 CO2 pro Person verbrauchen wie eine            tet und bewahrt. Gott segnet Menschen,
   34 Verse lang schwelgen wir, wenn wir     sie beschrieben wird, dann verschieben                  Einwohnerin des unter Hitze und Dürre          obwohl er weiß, dass auch aus ihrem Ge-
den Psalm beten, im Lob, in der Freude, in   sich die Gewichte. „Die Emissionen                      leidenden Niger. Wer in den Ruf des            schlecht wieder Böses in die Welt kom-
der Begeisterung über Gottes Schöpfung.      nehmen weltweit zu. Die Temperaturen                    Psalmisten einstimmt, dass die sündigen        men wird. Gott erneuert die Zusage, dass
Doch nach 34 Versen bricht die Wirklich-     steigen. Die Folgen für Ozeane, Wälder,                 Menschen nicht mehr sein sollen, kann          die Menschen die Erde bebauen und be-
keit sich Bahn. „Die Sünder sollen ein       Wetter, Artenvielfalt, Nahrungsmittel-                  sich allzu leicht auf ihrer Seite wiederfin-   wahren dürfen. Indem Gott nicht mehr
Ende nehmen auf Erden und die Gottlo-        produktion, Wasser, Arbeitsplätze und                   den. Selbst wer kein Flugzeug besteigt,        darauf beharrt, alles alleine zu regieren
sen nicht mehr sein.“ Oder wie es in der     letztlich Menschenleben sind bereits                    kein Fleisch isst und energiespart wo sie      und nach eigenem Gutdünken auch zu
Übersetzung von Arnold Stadler heißt:        jetzt gravierend – und dürften sich noch                kann, verbraucht hierzulande wohl immer        zerstören, sondern sich auf einen Bund
„Nur die Unmenschen sollen von der Erde      verschlimmern.“1 schreibt UN-Generalse-                 noch ein zigfaches mehr als im oben ge-        mit den Menschen einlässt, überträgt Gott
verschwinden! Es wäre doch so schön          kretär António Guterres. Die Fakten sind                nannten Niger.                                 uns Verantwortung. Im Bunde Gottes zu
ohne sie.“                                   klar. „Ich will, dass Ihr handelt, als ob euer              Liebe Umweltschützer und Sünderin-         leben heißt nicht, die Hände in den Schoß
   Da fielen uns in diesen Tagen des         Haus brennt,“2 schleudert uns die Enke-                 nen zugleich, liebe C02-Emittentinnen          legen zu dürfen und den lieben Gott einen
rechtsextremen Terrors von Halle und         lin einer Diakonin und Urenkelin eines                  und Klimakollektenzahler, der Psalmist         guten Mann oder eine gute Frau sein zu
des Vernichtungskrieges in Syrien wohl       schwedischen Diakoniedirektors Greta                    weiß es, wir wissen es und Gott selbst         lassen, die es für uns schon richten wird.
viele ein, ohne die es doch so schön sein    Thunberg entgegen. Ein ganz anderes Bild                weiß es auch. Die Sünde ist nicht aus der      Den Menschen Verantwortung zu übertra-
könnte auf Erden. Das Böse, die Sünde,       als im Lobpreis der Schöpfung wird hier                 Welt zu schaffen. Und genau im Wissen          gen, ist riskant. Das Risiko für die ganze
die Gewalt brechen sich immer wieder         von der Welt gezeichnet: Ihre Schönheit                 darum hat Gott mit dem Menschen einen          Schöpfung ist der Preis der menschlichen
Bahn in Gottes guter Schöpfung.              und Güte erscheinen als bedroht, ja schon               Bund geschlossen! So heißt es in der bibli-    Freiheit. Doch Gott lässt uns in dieser Ver-
   Das war auch dem Sänger des Psalms        teils zerstört. Doch der Schlussvers könnte             schen Erzählung nach der großen Sintflut,      antwortung nicht allein. Bund heißt: Gott
bekannt, er ist kein Träumer, keine Re-      der gleiche sein: „Nur die Unmenschen                   die alles Leben auf Erden zu vernichten        verlässt uns nicht. Denn die Verantwor-
alitätsverweigerer. Aber er gewichtet        sollen von der Erde verschwinden! Es                    drohte, dass Gott sprach: „Ich will hin-       tung für Gottes gute Schöpfung alleine zu
sein Lied. 34 Verse sind der Schönheit       wäre doch so schön ohne sie.“ Oder „Die                 fort nicht mehr die Erde verfluchen um         schultern, würde uns überfordern.
der Schöpfung und dem Lob des Schöp-         Sünder sollen ein Ende nehmen auf Erden                 der Menschen willen; denn das Dichten             Der Schöpfergott hat eine Welt ge-
fers gewidmet, nur ein Vers den Unmen-       und die Gottlosen nicht mehr sein.                      und Trachten des menschlichen Herzens          schaffen, in der wir mit ihm verbunden
schen, den Sündern und Sünderinnen,              Doch aufgepasst, wer allzu laut diesen              ist böse von Jugend auf. Solange die Erde      sind, aber auch mit allem Geschaffenen  –
die ein Ende nehmen sollen. Der Dichter      Vers über die Sünder und Sünderinnen                    steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte,     mit Pflanzen und Bäumen, mit den Vö-
weiß auch, dass die Natur nicht nur Gu-                                                              Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag        geln und Tieren im Wasser wie zu Lande.
tes bringt. Aber auch das bettet er ein in                                                           und Nacht.“ (Gen 8,21)                         Dieser Bund ist kein Privileg, das uns
                                             1   António Guterres, Unaufhaltsame Bewegung im
Gottes Schöpfungsplan: Das Erd­beben –           Klimaschutz, in: Der Standard (7.10.2019),              Gott schließt einen Bund mit den Men-      über die Schöpfung stellt. Das Gegen-
ein Augenblick Gottes; der Rauch der Vul-        online: www.derstandard.at/story/2000109600883/     schen, obwohl er uns kennt. Weil er uns        über der Schöpfung ist Gott alleine. Wir
                                                 unaufhaltsame-bewegung-im-klimaschutz
kane – eine Berührung. Natur und Schöp-          (abgerufen 9.11.2020).                              bedingungslos liebt, aus reiner Gnade.         sind und bleiben Teil der Schöpfung und
fung sind nicht das gleiche. Die Natur ist   2   Greta will Panik, in: Wiener Zeitung (25.1.2019),       Was heißt das jetzt? Können wir die        auch unsere Verantwortung des Gestal-
                                                 online: www.wienerzeitung.at/nachrichten/chronik/
mächtig. Menschen erfahren sie als be-           welt/1014830-Greta-will-Panik.html
                                                                                                     Hände in den Schoß legen, weiter leben         tens, Bebauens und Bewahrens ist Teil der
drohlich und leiden unter Erdbeben und           (abgerufen 9.11.2020).                              wie bisher, und als Einzelne und als Kir-      Schöpfung und des Bundes und muss in

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Verantwortung vor Gott und den Mitge-          quasi zwingen, Verantwortung zu über-         einen neuen Weg zu suchen – im Ver-            meinen, dieser Einsatz geschehe aus ei-
schöpfen geschehen.                            nehmen für den eigenen ökologischen           trauen, den Weg mit Gott zu gehen, mit         ner Überheblichkeit heraus, als würde
   Und auf allem liegt der Segen Gottes.       Fußabdruck, für die persönlichen CO2-         Gott verbunden, unter dem Segen Gottes         man glauben, durch das eigene morali-
Der gute Zuspruch Gottes liegt auf der         Emissionen – aber auch für den CO2-Ver-       mit allen Geschöpfen, mit denen Gott sich      sche Handeln und Vorbild die Welt retten
Schöpfung. Sonne, Mond und Sterne und          brauch unserer Pfarrgemeinden, kirch­         verbündet hat.                                 zu können. Dazu sage ich gemeinsam mit
der Bruder Baum, sie werden dadurch            lichen Gebäude und Organisationen. Wir                                                       allen Christinnen und Christen, die sich
nicht zu Göttern, aber sie stehen unter        wollen hier als Kirche Vorreiterin sein und   Liebe Gesegnete, liebe Bundesgenossin-         für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung
dem Segen dessen, der sah, dass es gut         nicht Nachzüglerin.                           nen Gottes, liebe Schwestern und Brüder        der Schöpfung engagieren: Wir setzen
war. Wir stehen in einer Gemeinschaft              Der Bund Gottes ist mit allen Men-        Jesu Christi!                                  uns für die Bewahrung der Schöpfung
der Gesegneten. In einer solchen Gemein-       schen geschlossen, er gilt den Einzelnen,                                                    ein, weil wir glauben, dass Gott mit den
schaft sorgt man füreinander und beutet        aber auch allen gemeinsam. Deshalb ist        Es war mein Wunsch, meine Amtszeit             Menschen und seinen Geschöpfen einen
einander nicht aus. Die Herrschaft, die        die Frage des Umgangs mit der Schöpfung       als Bischof der Evangelisch-lutherischen       Bund geschlossen hat; weil wir glauben,
Gott den Menschen über die Natur gibt,         immer auch eine Frage der Gerechtigkeit.      Kirche in Österreich in Gemeinden zu           dass auf der Schöpfung Gottes Segen liegt
nimmt ihr nichts vom Segen, der auf ihr        Die Kirchen haben diesen Zusammenhang         beginnen, die sich exemplarisch für Ge-        und wir in die Verantwortung gestellt sind,
liegt. Diesen Segen gilt es zu respektieren.   schon vor 30 Jahren im konziliaren Pro-       rechtigkeit, Frieden und Bewahrung der         die Erde zu gestalten und zu bewahren.
   In Zeiten der Angst vor dem zukünfti-       zess „Frieden, Gerechtigkeit und Bewah-       Schöpfung einsetzen. Diese Beispiele,             Dabei kennen wir unsere Grenzen und
gen Unheil und in Zeiten der Leugnung          rung der Schöpfung“ formuliert.               in denen evangelische Christinnen und          unsere Unzulänglichkeit. Aber wir wissen
der Fakten können wir als Kirche Zuver-            Wir sind miteinander verbunden, welt-     Christen Verantwortung übernehmen für          uns begleitet und behütet durch die Vor-
sicht und Verantwortung in die öffentliche     weit. Wie wir hier leben, beeinflusst das     weltweite Klimagerechtigkeit und Initi-        sehung Gottes.
Debatte einbringen. Die Bewahrung der          Leben der Einwohnerinnen von Kiribati         ativen vor Ort starten, um das Ihre bei-          Wir dürfen uns auch denken: „Die Un-
Schöpfung ist eine Verantwortung, die          auf der anderen Seite der Erdkugel. Wäh-      zutragen, sind wichtig und wegweisend.         menschen sollen von der Erde verschwin-
uns allen gemeinsam und jedem und jeder        rend wir hier unseren Glauben beken-          Sie sind eine Ermutigung für die ganze         den! Es wäre doch so schön ohne sie.“
Einzelnen gegeben ist. Als Evangelische        nen, wird auch dort in den Kirchen das        Kirche und ein Bekenntnis zur evangeli-        Doch solange das nicht so ist, bleibt uns:
Kirche sind wir gewiss: Persönliche Ver-       Glaubensbekenntnis gesprochen. Gott ist       schen Zuversicht. Für alle diese Initiativen   den Schöpfer zu loben, für die Schön-
haltensänderung und politische Maßnah-         mit uns allen verbunden, und wir tragen       möchte ich danken.                             heit der Schöpfung zu danken, um ihre
men gegeneinander auszuspielen, bringt         Verantwortung vor Gott und füreinander.          Manche kritisieren, dass der Einsatz        Bewahrung zu bitten und verantwortlich
uns nicht weiter. Es braucht politische            Der Bund Gottes schenkt uns Freiheit,     für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung       zu handeln.
Maßnahmen, um die Überhitzung unse-            auch die Freiheit in die Irre zu gehen.       der Schöpfung eine Art Klimahysterie sei          Lobe den Herrn, meine Seele! Halle­luja.
rer Erde zu stoppen. Damit die Politik die     Doch weil Gott immer in Rufweite bleibt,      und apokalyptische Panikmache. Andere          Amen.                                   ■
nötigen Maßnahmen setzt, braucht es aber       gibt er uns auch die Chance zur Umkehr.
auch Signale der Bürgerinnen und Bürger        Apokalyptiker mögen meinen, es sei Zeit
an sie: Wir wollen Klimagerechtigkeit,         zur Verzweiflung, weil es fünf vor zwölf
und wir sind bereit, dafür etwas zu tun        ist. Aber der Glaube an den Schöpfungs-
und unsere Lebensweise zu ändern. Es           bund Gottes vertreibt die Verzweiflung.
entspricht der evangelischen Tradition, in     Der Glaube ruft laut: Zur Umkehr ist es
Freiheit Verantwortung zu übernehmen.          nie zu spät! Fünf vor zwölf, das ist die
Hier ist jede und jeder Einzelne gefordert.    Zeit zur Umkehr, nicht zur Verzweiflung.
   Das heißt auch: Wir müssen nicht war-       Und umkehren heißt nicht, in Panik auf
ten, bis uns politische Regelungen dazu        dem Absatz kehrt zu machen, sondern

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 SCHÖPFUNGSVERANTWORTUNG                                                                                  Vom Ökosystem umarmt                                        dass sie den Hochhäusern Konkurrenz
                                                                                                                                                                       machen. Als die Kamera-Drohne dann
                                                                                                           Der im Oktober 2020 ins Netz gestellte                      langsam über die Stadt gleitet, zeigt sich,

Ökogerechtigkeit als
                                                                                                           Film A Life on the Planet visualisiert                      dass die Baumkronen bereits einen Groß-
                                                                                                           diese Gegenseitigkeit auf dramatische                       teil der verlassenen Gebäude verdecken.

gegenseitige Teilhabe?
                                                                                                           und einzigartige Weise. Der 93-jährige                      Die Steinskelette und die Asphaltstreifen
                                                                                                           Regisseur David Attenborough versteht                       sind eingebettet in ein grünes Gewebe. Es
                                                                                                           ihn als eine Zeugenaussage und gleich-                      ist, als würden die Überbleibsel menschli-
Versuch einer theologischen Vision der gegen-                                                              zeitig als eine Vision für die Zukunft. Im                  cher Zivilisation von einem neu erblühten
                                                                                                           Trailer zum Film spricht er davon, dass                     Ökosystem gnädig umarmt.
seitigen Durchdringung alles Erschaffenen                                                                  die Menschheit die Welt überrannt habe
                                                                                                           und dass es darum gehe, mit der Natur
                                                                                                           zu arbeiten und nicht gegen sie.2 Einer                     Subjektivität in der
                                                                           Von Michael Nausner             der stärksten Eindrücke, die dieser Film                    nicht-menschlichen Natur?
                                                                                                           in mir hinterlassen hat, ist seine Einrah-
                                                                                                           mung: Er beginnt und endet in der uk-                       Eine mögliche Deutung dieser visionären
                                                                                                           rainischen Stadt Tschernobyl, die seit                      Einrahmung des Films ist, dass hier die
                                                                                                           der Explosion des naheliegenden Atom-                       missglückte Zähmung der Natur durch
                                                                                                           kraftwerkes im April 1986 unbewohnt                         den Menschen der unbekümmerten Wild-
Verantwortung (gegenüber)                                    Weltgemeinschaft, nur noch dringlicher        ist. Am Anfang steht Attenborough in ei-                    heit der Natur gegenübergestellt wird. So
der Schöpfung1                                               geworden. Mit diesem Artikel will ich         nem der einst eilend verlassenen Gebäude                    diagnostiziert auch Attenborough eines
                                                             die Frage der Schöpfungsverantwortung         der Stadt, das heute eine Ruine ist und                     der großen Probleme unserer Zeit: Wir
Die ökumenische Bewegung, in der Frie-                       noch ein wenig zuspitzen, indem ich den       beginnt seine Erzählung. Das Gebäude                        ersetzen das Wilde mit dem Zahmen. Wir
den, Gerechtigkeit und die Bewahrung der                     Genitiv in diesem Begriff sowohl als ei-      selbst ist ein Symbol für die von Men-                      wissen heute, dass aufgrund der Anthro-
Schöpfung auf sinnreiche Weise mitein-                       nen genitivus objectivus, also als die Ver-   schen verursachte Verwüstung. Am Ende                       pozentrik des modernen Lebensstils vie-
ander verbunden werden, ist bald vierzig                     antwortung für die Schöpfung, aber auch       des Filmes befinden wir uns wieder in                       les, nicht zuletzt die Artenvielfalt, bereits
Jahre alt. Spätestens seit der ökumeni-                      als einen genitivus subjectivus, also als     Tschernobyl, und auch jetzt ist die Stadt                   unumkehrbar verloren gegangen ist und
schen Vollversammlung 1983 in Vancou-                        die Verantwortung der Schöpfung, inter-       Sinnbild für die Fähigkeit des Menschen,                    dass heute das Ausmaß des menschli-
ver begann sich die Rede von der Schöp-                      pretiere. Vielleicht ein gewagtes Unter-      die Erde unbewohnbar zu machen. Aber                        chen Einflusses auf die Ökosphäre einem
fungsverantwortung in den Kirchen der                        nehmen, aber – wie ich zu zeigen hoffe  –     je mehr die Kamera herauszoomt, desto                       nicht wieder umkehrbaren Wendepunkt
Ökumene zu etablieren, und in Zeiten                         eines, das nicht ganz weltfremd ist und       deutlicher wird es, wie sehr sich die Na-                   (engl. tipping point) entgegensteuert.
des immer spürbarer werdenden Klima-                         sich zumindest als Gedankenexperiment         tur der Steinwüste der Stadt angenommen                     Aufgrund des Ausmaßes des mensch-
wandels ist diese Herausforderung an die                     (hoffentlich mit praktischen Konsequen-       hat. Tiere verschiedener Art tummeln sich                   lichen Einflusses auf die Ökosphäre hat
weltweite Christenheit, ja die gesamte                       zen!) zu wagen lohnt. Es geht mir darum,      in den Häuserschluchten, und die Bäume                      sich seit etwa zwanzig Jahren die Be-
                                                             die notwendige Gegenseitigkeit in einer       mitten in der Stadt sind bereits so groß,                   zeichnung Anthropozän für unser jetziges
1    Erweiterte Fassung einer Präsentation beim befrei-      balancierten Schöpfungsgemeinschaft                                                                       Erdzeitalter eingebürgert. Vor allem der
     ungstheologischen Workshop „Doing Climate Justice“
     an der Universität Löwen vom 22.-–24. Oktober           hervorzuheben, in der menschliche und         2   Vgl. den offiziellen Trailer zum Film: David Atten­     von Menschen verursachte Ausstoß von
     2020. Frau Dr. Eva Harasta danke ich herzlich für die                                                     borough: A Life on Our Planet. Official Trailer. Net-
     Erstellung einer Übersetzung dieser Präsentation ins
                                                             nichtmenschliche Aktivität sich mitein-           flix, in: www.youtube.com/watch?v=64R2MYUt394
                                                                                                                                                                       Kohlendioxid hat das Gleichgewicht der
     Deutsche.                                               ander im Gleichgewicht befinden.                  (abgerufen 21.10.2020).

12                                                                                  Amt und Gemeinde       Amt und Gemeinde                                                                                      13
Ökosphäre ins Wanken gebracht.3 Warum                    Was bedeutet dieses doppelte Beziehungs-                 hung neuer Rechteinhaberinnen immer                         in der Folge eingestimmt.9 Um einer sol-
erlebte ich dennoch den überwältigenden                  gefüge – Gott-Schöpfung und mensch­                      auf Widerstand gestoßen sei. Da die ju-                     chen Objektivierung entgegenzuwirken,
visuellen Eindruck des wieder grünenden                  liche-nichtmenschliche Schöpfung – für                   ristische Welt voll von leblosen Rechte-                    schlägt Stone die Einführung einer Vor-
Tschernobyl als Trost? Hat das Wilde,                    die Subjektivität der nicht-menschlichen                 inhabern ist6 (etwa Unternehmen und an-                     mundschaft (engl. guardianship) für die
das „Naturbelassene“ nicht trotz allem                   Schöpfung? Welche Analogie besteht                       dere Organisationen wie Nationen usw.),                     Natur vor, die der Umwelt eine wirksame
manchmal noch die Kapazität zur Rege-                    zwischen der Achtung der Freiheit des                    schlägt er unumwunden vor, Wäldern,                         Stimme zur Verteidigung ihrer Rechte
neration, auch nach einschneidenden Ein-                 menschlichen Anderen und der Achtung                     Ozeanen, Flüssen und anderen sogenann-                      sichern würde.10 Darüber hinaus würde
griffen des Menschen? Auf welche Weise                   der Freiheit des nichtmenschlichen An-                   ten „natürlichen Objekten“ in der Umwelt                    sie dem Anthropozentrismus entgegen-
„spricht“ die Natur zu uns? Mit diesen                   deren, zwischen der Ehre Gottes und der                  – und sogar der natürlichen Umwelt als                      wirken, beziehungsweise dem, was Stone
Fragen nähere ich mich dem Hauptanlie-                   Ehre der Schöpfung? Gibt es Subjektivität                Ganzer – gesetzliche Rechte einzuräu-                       als „homozentrische Interessen“ bezeich-
gen meines Artikels: Welche Art von Sub-                 in der nicht-menschlichen Welt? Und –                    men.7 Leider wurden natürliche Objekte                      net.11 Die Menschheit und ihre Umwelt
jektivität gestehen wir Menschen, nicht                  wenn es um Klimagerechtigkeit geht –:                    allgemein als Objekte angesehen, die der                    müssen Kompromisse zum Wohl beider
zuletzt wir Christen und Christinnen der                 Kann es sinnvoll sein, über Rechte der                   Mensch erobern, beherrschen und gebrau-                     Seiten eingehen.12 Am Ende seines Ar-
nicht-menschlichen Natur zu?                             nicht-menschlichen geschaffenen Welt                     chen kann8 – eine Beziehung zwischen                        tikels geht Stone über den Begriff der
   Der englische Ökotheologe Michael                     zu sprechen? Ist die Zuschreibung von                    Mensch und nichtmenschlicher Welt, die                      Koexistenz hinaus und träumt von einem
Northcott beendet seine Studie A Politi-                 Rechten an bestimmte natürliche Berei-                   in öko-theologischen Kreisen seit langem                    Tag, an dem die Menschheit die Welt als
cal Theology of Climate Change mit dem                   che womöglich sogar notwendig, wenn                      als ein Missverständnis des Auftrags an                     einen Organismus betrachtet, von dem
Aufruf, den Gott zu ehren, der über Erde                 wir unseren Planeten gerecht behandeln                   die Menschen zur Beherrschung der Erde                      die Menschheit ein funktionaler Teil ist.13
und Himmel herrscht, indem man fos-                      wollen?                                                  (vgl. Genesis 1,28) kritisiert wird. Eine                   Hier ahnt man deutliche Analogien zur
sile Brennstoffe in der Tiefe der Erde be-                                                                        solche „objektivierende“ Haltung gegen-                     Gaia-Hypothese, die Jonathan Lovelock
lässt und die historischen und gewohnten                                                                          über der Schöpfung folgt aus dem unhei-                     etwa zeitgleich mit Stones bahnbrechen-
Verbindungen zwischen Natur und Kul-                     Rechte der Natur?                                        ligen Bündnis zwischen der Heraushe-                        dem Artikel lancierte. Mit seiner Sicht des
tur wiederherstellt. Diese Verbindungen,                                                                          bung des Menschen aus dem natürlichen                       Planeten Erde als einem einzigen leben-
so Northcott, seien zentral in jüdischem                 Die Diskussion darüber, ob Naturphä-                     Bereich, die typisch für die Moderne ist,                   digen Organismus, in dem alles mit allem
und christlichem Messianismus mit ih-                    nomene angesichts der rücksichtslo-                      und einer bestimmten christlichen Inter-                    zusammenhängt, hat Lovelock in vielen
ren anti-imperialistischen Bezugnahmen                   sen Ausbeutung natürlicher Ressourcen                    pretation des Auftrages, sich die Erde „un-                 Disziplinen ein Umdenken bezüglich der
auf die Liebe.4 Ich möchte diesen kraft-                 Rechte haben können und als Inhaber                      tertan“ zu machen (lat. dominium terrae).                   symbiotischen Zusammengehörigkeit al-
vollen Aufruf umformulieren, indem ich                   von Rechten zu respektieren seien, ist                      Lynn White hat die ausbeuterische In-                    les Lebendigen bewirkt.14
zwei Aspekte hervorhebe, die für mein                    mindestens ein halbes Jahrhundert alt                    terpretation dieser Genesisstelle schon
eben skizziertes Hauptanliegen von Be-                   und wurde durch Christopher D. Stones                    in den 1960er-Jahren als eine Wurzel                        9   Vgl. White, Lynn: The Historical Roots of Our Eco-
deutung sind: Gott zu ehren bedeutet, (1)                Artikel Should Trees Have Standing?                      für die Komplizenschaft des Christen-                           logical Crisis. In: Science 155 (1967), 1203–1207;
                                                                                                                                                                                  Moltmann, Jürgen: Gott in der Schöpfung. Ökolo-
die Integrität der geschaffenen Welt zu                  wesentlich angestoßen.5 Er argumentiert                  tums am Raubbau der Erde mitverant-                             gische Schöpfungslehre. München 1985; McFague,
                                                                                                                                                                                  Sallie: The Body of God. An Ecological Theology.
respektieren und (2) die symbiotische Be-                juristisch, dass sich der Kreis der Rechte­­             wortlich gemacht. In diese Kritik haben                         Minneapolis, MN 1993 (u. a.).
ziehung zwischen der menschlichen und                    inhaber im Laufe der Rechtsgeschichte                    viele Ökotheologinnen und -theologen                        10 Vgl. Stone, Should Trees, 470.
nicht-menschlichen Schöpfung zu achten.                  ständig erweitert habe und die Einbezie-                                                                             11 A. a. O., 475 („homocentric interests“).
                                                                                                                  6   A. a. O., 452 („the world of the lawyer is peopled      12 A. a. O., 481.
3    Vgl. Sörlin, Sverker: Antropocen. En essä om män-                                                                with in-animate right holders“).                        13 A. a. O., 499 („to regard the Earth […] as one orga-
                                                         5   Stone, Christopher D.: Should Trees Have Stan-
     niskans tidsålder. Stockholm 2017.                      ding?  – Towards Legal Rights for Natural Objects.   7   A. a. O., 456.                                             nism, of which Mankind is a functional part“).
4    Northcott, Michael S.: A Political Theology of          In: Southern California Law Review 45 (1972),        8   A. a. O., 463 („objects for man to conquer and master   14 Vgl. Lovelock, Jonathan: Gaia. A New Look at Life
     Climate Change. London 2014, 316.                       450–501.                                                 and use“).                                                 on Earth. Oxford 1979.

14                                                                                      Amt und Gemeinde          Amt und Gemeinde                                                                                                  15
Seit über zehn Jahren erhält der von                      mich im Folgenden auf eine kurze Erör-                   fung noch immer vornehmlich mithilfe                           konstruktiv oder destruktiv. In der Abend-
Christopher D. Stone angestoßene Dis-                         terung darüber, wie einige neuere theolo-                des Paradigmas von der Statthalterschaft                       mahlsliturgie der Schwedischen Kirche
kurs über die Zuschreibung von Rechten                        gische Argumente dazu dienen könnten,                    (engl. stewardship) gedeutet wird, und vie-                    wird die Teilhabe am Destruktiven in einer
an die Umwelt neue Aufmerksamkeit. Die                        den Gedanken von gesetzlich verankerten                  les spricht dafür, besonders wenn man diese                    Formulierung des Sündenbekenntnisses
Rechtsgelehrten Guillaume Chapron, Yaffa                      Rechten der Umwelt auch von der Perspek-                 Statthalterschaft als fürsorgliches Verhält-                   deutlich: „Ich habe Teil an der Abwendung
Epstein und José Vicente López-Bao etwa                       tive des christlichen Glaubens her zu un-                nis zur Schöpfung deutet, als Ausdruck                         der Welt von Gott.“23 Im Abendmahl über-
stellen dar, wie in verschiedenen juristi-                    terstützen.17 Seit 2010, als bei einer großen            der Gottebenbildlichkeit. Es kann nicht                        schneiden sich Teilhabe an der gefallenen
schen Systemen mit unterschiedlichem Er-                      Konferenz indigener Völker in Bolivien die               um menschliche Willkür gegenüber der                           Schöpfung und Teilhabe an der Erneuerung
folg umzusetzen versucht wird, die Um-                        Deklaration der Rechte von Mutter Erde                   Schöpfung gehen, sondern um eine Spie-                         der Schöpfung.24 Bei der Teilhabe an der
welt oder bestimmte Teile der Umwelt als                      unterzeichnet wurde, hat die Bewegung für                gelung göttlichen Schaffens. „Als Eben-                        Abwendung der Welt darf allerdings die
Rechteinhaberinnen zu etablieren – etwa                       die Rechte der Natur immer weitere Kreise                bild Gottes“, schreibt Theodor Runyon,                         unterschiedliche Gewichtung der Verant-
in Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Indien,                      gezogen. Dass das Anliegen mittlerweile in               „ist der Mensch berufen, Gottes Herrschaft                     wortung angesichts der ungerechten Res-
Neuseeland und den Vereinigten Staaten                        der christlichen Welt Gehör gefunden hat,                über die Welt in seinem Verhalten wider-                       sourcenverteilung nicht außer Acht gelas-
von Amerika. Haupthindernisse sind dabei                      bezeugt die Wuppertaler Erklärung Kairos                 zuspiegeln und dadurch Gottes Segen an                         sen werden.25 Aus dieser Einsicht heraus,
(1) die Schwierigkeiten, Natur- und Um-                       für die Schöpfung, die dazu aufruft, an                  sie weiterzugeben.“19 Der Gedanke der                          nämlich der Einsicht in die Gegenseitigkeit
weltphänomene als spezifische Rechteinha-                     der Weltversammlung des Ökumenischen                     Schöpfungsverantwortung als Spiegelung                         aller Beziehungen innerhalb der Schöp-
ber zu definieren und (2) das Problem, wie                    Rates der Kirchen in Karlsruhe 2021 die                  göttlichen Schöpfungswirkens findet sich                       fung, erwächst das hoffnungsvolle Streben
Konflikte zwischen Rechten von Naturphä-                      Schaffung einer rechtlich verbindlichen                  auch im Klimabrief der Bischöfinnen und                        danach, ein anthropozentrisches Weltbild
nomenen und wirtschaftlichen sowie men-                       „Universalen Erd-Rechte-Charta“ zu un-                   Bischöfe der Schwedischen Kirche,20 wenn                       zugunsten eines schöpfungsorientierten
schenrechtlichen Interessen entschieden                       terstützen, die auf die oben genannte De-                dort vom Menschen als erschaffenem Mit-                        Weltbildes aufzugeben.26 Und damit wird
werden können.15 Die Jurist*innen nennen                      klaration aufbaut.18                                     schöpfer die Rede ist.21 Damit wird deut-                      das Verständnis von Gemeinschaft (griech.
ausdrücklich die Religion als Quelle für die                                                                           lich, dass es sich bei dieser Verantwortung                    koinonia) auf entscheidende Weise erwei-
gesetzliche Verankerung von Umweltrech-                                                                                nicht um eine Oberhoheit des Menschen                          tert. Sie umfasst neben Menschen „über
ten und meinen, dass seit der Aufklärung                      Reicht Statthalterschaft                                 über die Schöpfung handelt. Vielmehr wur-                      Zeit und Raum hinweg“ (Das ist entschei-
der biblische Gott häufig als Ursprung der                    für die Schöpfung?                                       zelt diese Verantwortung in der gemein-                        dend angesichts des Umstandes, dass die
besonderen Rechte des Menschen betrach-                                                                                samen Teilhabe an dem, was geschehen                           Weltgemeinschaft heute auf Kosten der
tet wird, der Diskurs über Umweltrechte                       Mir scheint, dass im westlichen Christen-                ist, was geschieht und was kommt,22 sei es                     kommenden Generationen lebt!) auch
aber eher religiöse Wurzeln in nicht-west-                    tum das Verhältnis zwischen der mensch-                                                                                 die Gemeinschaft mit der Natur und dem
licher und indigener Spiritualität habe.16                    lichen und der nichtmenschlichen Schöp-                  19 Runyon, Theodor: Die neue Schöpfung. John Wesleys           Schöpfer.27 „Die Natur“ ist also zweifellos
    Juristisch kann ich nicht beurteilen, ob                                                                              Theologie heute, Göttingen 2005, 219.                       mehr als etwas, das der Mensch – einem
jüdische und christliche Traditionen für                                                                               20 Der Brief erschien in seiner zweiten Auflage 2020 in eng-   Objekt gleich – zu verwalten hat.
                                                              17 Sigurd Bergmann etwa spricht aus theologischer           lischer Sprache. 2019 kam diese zweite Auflage in schwe-
die Etablierung von gesetzlichen Rechten                         Perspektive und ausgehend von den Bundesschlüssen        discher Sprache heraus. Die schwedische Fassung hat den
                                                                                                                          Titel Ett biskopsbrev om klimatet: www.svenskakyrkan.
der Umwelt taugen. Deshalb begrenze ich                          Gottes mit Menschheit und Schöpfung von einer
                                                                                                                          se/filer/SK20077-Biskopsbrev-klimat-webb%20upps-
                                                                 „Rechtsgemeinschaft alles erschaffenen Lebens“. –
                                                                 Vgl. Bergmann, Sigurd: Naturens rättigheter – i en       lag%20(5).pdf (abgerufen am 28.10.2020). Meine Quel-        23 Zitiert in: a. a. O., 53.
                                                                 rättsgemenskap av allt skapat levande, unveröffent-      lenangaben beziehen sich auf die schwedische ­Version.
                                                                                                                          Die englische Version hat den Titel A Bishops´ Letter       24 Vgl. dazu „Das geteilte Brot als Ausdruck gerechter
15 Chapron, Guillaume, Yaffa Epstein, José Vicente Ló-           lichtes Manuskript 2020, 1–16.                                                                                          Teilhabe“, in: Nausner, Michael: Eine Theologie der
   pez-Bao: A rights revolution for nature. Introduction                                                                  About the Climate: www.svenskakyrkan.se/filer/A%20
                                                              18 Kairos für die Schöpfung – Hoffnungsbekenntnis für       Bishop%c2%b4s%20Letter%20About%20the%20Cli-                    Teilhabe, Leipzig 2020, 169–183.
   of legal rights for nature could protect natural systems      die Erde. Wuppertaler Erklärung. In: www.oikoumene.
   from destruction. In: Science 363/6434 (29.3.2019),                                                                    mate.pdf (abgerufen am 28.10.2020).                         25 Vgl. Ett biskopsbrev om klimatet, 54.
                                                                 org/de/resources/documents/kairos-for-creation-
   1392-1393: 1393.                                              confessing-hope-for-the-earth-the-wuppertal-call      21 Vgl. Ett biskopsbrev om klimatet, 64.                       26 Vgl. a. a. O., 65.
16 Vgl. a. a. O., 1392.                                          (abgerufen am 27.10.2020).                            22 Vgl. a. a. O., 52.                                          27 Vgl. a. a. O., 85.

16                                                                                          Amt und Gemeinde           Amt und Gemeinde                                                                                                    17
Der Schöpfung ihre                                      theologie zu finden ist, um die engen Zu-                 Stimmen von Frauen in Laudato Sí in auf-                    Tragen zu bringen, die nach Northcott
Stimme zugestehen                                       sammenhänge zwischen den Wunden der                       fälliger Weise, wie Grace Ji-Sun Kim und                    die tiefen Verbindungen zwischen Natur
                                                        Armut und den Wunden der Umweltzer-                       Hilda P. Koster in dem von ihnen heraus-                    und Kultur ausdrücken.
Öko-theologische Stimmen haben schon                    störung aufzuzeigen: Wenn Gott die ge-                    gegebenen Band Planetary Solidarity zu                         Die erzwungene Spaltung von Kultur
lange herausgearbeitet, dass die Statthal-              samte Welt durchdringt, also in allem ist                 Recht kritisieren.35 In dieser Anthologie                   und Natur, die die Moderne exekutiert
terschaft nicht als absolute Überlegen-                 (was nicht gleichbeutend mit der pantheis-                werden die Zusammenhänge zwischen                           hat, hat auch in der modernen Theolo-
heit des Menschen gegenüber der nicht-                  tischen These ist, dass Gott alles ist), dann             Kolonialismus, Patriarchat, Rassismus                       gie zu scharfen Spaltungen zwischen Na-
menschlichen Schöpfung zu verstehen                     wird Gott durch Unrecht an menschlichen                   und Klimawandel diskutiert.36 Das Buch                      tur und Kultur, Körper und Seele,38 Gott
ist.28 Jürgen Moltmann etwa schlägt in                  Geschöpfen ebenso verletzt wie durch Un-                  entwickelt die Vision einer planetarischen                  und der Welt geführt. Das Paradigma der
seiner Studie Gott in der Schöpfung vor,                recht an nicht-menschlichen Geschöpfen.                   Solidarität, also einer Solidarität, die den                Statthalterschaft ist kaum dafür geeignet,
den Menschen nicht mehr als „Krone der                      In einem späteren Buch geht Boff wei-                 miteinander verbundenen Systemen des                        diese Spaltungen zu überwinden. Es ris-
Schöpfung“ zu verstehen, sondern die                    ter, indem er „Mutter Erde“ Rechte zu-                    Lebens eigene Stimmen zugesteht. Eine                       kiert, in modern-aufklärerischem Sinne
Menschheit als Teil einer Schöpfungs-                   spricht, das Konzept der dignitas terrae,                 solche Solidarität verlangt letztlich eine                  einer objektivierenden Sicht der nicht-
gemeinschaft zu betrachten.29 Sallie                    der Würde der Erde, befürwortet und der                   Biokratie, in der die Interessen aller Le-                  menschlichen Natur verhaftet zu bleiben.
McFague wertet in ihrer eigenen anti-                   Erde als lebendem Organismus Subjek-                      bensformen in den politischen Entschei-                     Northcott bringt es auf den Punkt, wenn
anthropozentrischen Weise die nicht-                    tivität zuspricht. Er plädiert für eine Bio-              dungsprozess eingebracht werden.37                          er schreibt: „Die Welt der Aufklärung ist
menschliche Schöpfung auf, indem sie die                Zivilisation, die auf Gegenseitigkeit zwi-                    Aus theologischer Sicht über Bio-                       leblos. Sie hat keine Seele; sie ist weder
Erde als den Leib Gottes bezeichnet und                 schen Menschheit und Erde gründet.32                      kratie zu sprechen, mag weithergeholt,                      das inspirierte Geschöpf eines göttlichen
so den kosmischen Anspruch der Christo-                 Boff betont, dass die Erde nicht länger aus               ja utopisch erscheinen. Kann man sich                       Schöpfers noch eine Gaia-Göttin.“39 Wir
logie ernst nimmt. Das Christusparadigma                dem Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen                   eine Evolution von der Monarchie über                       haben eine Wiederentdeckung unserer
von Geschöpfwerdung und stellvertre-                    werden kann, wenn man aus einem Geist                     die Demokratie zur Biokratie überhaupt                      intimen Verbundenheit mit der Gesamt-
tendem, erlösendem Leiden wird auf die                  der Achtsamkeit heraus verstanden hat,                    vorstellen, geschweige denn theologisch                     heit der Schöpfung bitter notwendig. Ich
unterdrückte Natur, die „neuen Armen“,                  dass alle Formen des Seins miteinander                    rechtfertigen? Die Übersetzung dieses                       stimme daher Terra Schwerin Rowe zu,
ausgedehnt.30 Leonardo Boff schließt sich               wechselseitig verbunden sind und sich                     abstrakten Begriffs Biokratie als „Herr-                    die meint, das Christentum müsse in Zei-
der Verbindung von befreiungstheologi-                  gegenseitig durchdringen.33                               schaft des biologischen Lebens / der biolo-                 ten der Klimakrise dringend wiederentde-
schen und öko-theologischen Gedanken                        Auch die päpstliche Enzyklika Lau-                    gischen Natur“ führt zunächst nicht wei-                    cken, was sie eine partizipative Ontologie
in seinem Buch Schrei der Erde, Schrei                  dato Sí lehnt den Anthropozentrismus ab                   ter. Aber mit dem Verständnis der Natur                     nennt.40 Demgemäß wäre alles Sein im
der Armen an, das nach dem Erdgipfel                    und erachtet die Menschheit als integralen                als „Schöpfung“ geht einher, dass wir                       Grunde teilhabendes Sein. Dass nicht nur
in Rio de Janeiro (1992) veröffentlicht                 Bestandteil der Schöpfung, indem sie mit                  die inhärente Würde der Natur anerken-                      die Menschheit als Ganzes, sondern auch
wurde. Auf Deutsch erschien es 2002.31                  einem Begriff des Franz von Assisi von                    nen und ihr Interessen zugestehen. Darin                    einzelne Menschen gar nicht getrennt von
Boff schlägt hier eine Brücke zwischen                  der „Mutter Erde“ spricht.34 Trotz dieser                 liegt ein vielversprechender theologischer
Befreiungstheologie und Ökotheologie.                   weiblichen Metapher fehlen allerdings die                 Anknüpfungspunkt, wenn es darum geht,
                                                                                                                                                                              38 Vgl. Northcott, Political Theology, 44–5.
    Boff bezieht sich auf das Konzept des                                                                         jene zentralen Motive aus den christlichen
                                                                                                                                                                              39 A. a. O., 48: „The world in the Enlightenment is not
Panentheismus, das auch in der Prozess-                                                                           und jüdischen Traditionen erneut zum                           alive. It has no soul; it is not Spirit-breathed creature
                                                        32 Vgl. Boff, Leonardo: Achtsamkeit. Von der Notwen-                                                                     of a divine Creator, nor even a Gaian goddess.“
                                                           digkeit, unsere Haltung zu ändern. München 2013, 69.                                                                  (Übersetzung des Zitats: Eva Harasta).
28 Vgl. Bergmann, Naturens rättigheter, 13.                                                                       35 Ji-Sun, Grace und Hilda P. Koster (Hg.), Planetary So-
                                                        33 Vgl. a. a. O., 78.                                                                                                 40 Vgl. Terra Schwerin Rowe, Genus Precarious: Luther
29 Vgl. Moltmann, Gott in der Schöpfung, 110.                                                                        lidarity. Global Women’s Voices on Christian Doctrine
                                                        34 Enzyklika Laudato Sí, in: www.vatican.va/con-             and Climate Justice. Minneapolis, MN 2017, 2–3.             in the Anthropocene, in: Else Marie Wiberg Pedersen
30 McFague, The Body of God, xii.                          tent/francesco/de/encyclicals/documents/papa-                                                                         (Hg.), The Alternative Luther: Lutheran Theology
31 Boff, Leonardo: Schrei der Erde, Schrei der Armen.      francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html           36 Vgl. a. a. O., 5.                                           from the Subaltern, Lanham, MA 2019, 330–344
   Düsseldorf 2002.                                        (abgerufen am 27.10.2020)                              37 Vgl. a. a. O., 7 (meine Hervorhebung).                      (331–6).

18                                                                                    Amt und Gemeinde            Amt und Gemeinde                                                                                                     19
der Welt, in der sie leben, gedacht werden               noch besser: Wir müssen hören, dass die                       gie, nicht zuletzt aber verschiedene Ar-                   Schöpfung als
können, wird durch aktuelle naturwis-                    Erde bereits spricht, wie der Philosoph                       ten des Ökofaschismus, die zum Teil ihre                   Kommunikationsgeschehen
senschaftliche Forschung nachdrücklich                   Bruno Latour in seinem Essay Down to                          Wurzeln in nationalsozialistischer Blut-
gezeigt. Auf der geologischen Ebene ge-                  Earth überzeugend argumentiert. Latour                        und-Boden-Ideologie haben.44 Menschen-                     Die ökofeministische Theologin Cathe-
hört dazu die Diskussion über das bereits                betrachtet das Irdische (engl. the Terrest-                   rechte und Rechte der Natur dürfen nicht                   rine Keller hat mit panentheistischem Pa-
erwähnte Anthropozän, auf biologischer                   rial) als einen neuen politischen Akteur,                     gegeneinander ausgespielt werden, auch                     thos einer solchen Kooperation alles Er-
Ebene ließen sich neue Erkenntnisse zum                  „Geo“ als eine Größe, die voll am öffentli-                   wenn das in konkreten Situationen zu sehr                  schaffenen seit langem eine theologische
menschlichen Mikrobiom nennen. Der                       chen Leben teilnimmt,43 ganz unabhängig                       komplizierten juristischen Prozessen führt                 Stimme gegeben und meint, dass „Schöp-
Entwicklungsbiologe Thomas Bosch for-                    davon, ob darauf Rücksicht genommen                           und führen muss. Dem Menschen bleibt                       fung“ kontinuierlich als Einladung und
muliert die Symbiose des menschlichen                    wird oder nicht.                                              eine einzigartige Rolle. Aber vielleicht                   Zusammenarbeit zwischen Gott und den
Organismus auf folgende Weise: Einzelne                     Eine „Biokratie alles Erschaffenen“                        sollte sich in Zukunft diese Einzigartigkeit               Geschöpfen stattfindet. Das Erschaffene
Organismen (auch der menschliche Orga-                   mit vollen Mitspracherechten nicht-                           weniger in Form von technischer Über-                      ist also nicht einfach tote Materie, die Gott
nismus, Anm. d. Verf.) „sind immer mul-                  menschlicher Akteure ist noch mit vie-                        legenheit und mehr in Form von prakti-                     zum Leben erweckt. Vielmehr lockt Gott
tiorganismisch. Sie formen eine komplexe                 len Fragezeichen versehen. Daher ist                          zierter Zurückhaltung und Hellhörigkeit                    sich selbst organisierende Systeme heraus
Lebensgemeinschaft, die man Metaor-                      die Frage berechtigt, ob mein Plädoyer                        zeigen. Ich teile die Vision des Geistes-                  aus einem Raum fluktuierender Möglich-
ganismus nennt.“41 Die Menschheit als                    für eine Ökogerechtigkeit der gegensei-                       geschichtlers Sverker Sörlin, für den es                   keiten, wie Keller es auf ihre charakte-
Ganzes und Menschen als „Individuen“                     tigen Teilhabe die Rolle des Menschen                         keinen Weg zurück aus dem Anthropozän                      ristisch theo-poetische Weise ausdrückt.46
(wenn sie überhaupt strenggenommen als                   zu sehr zurücknimmt. Aber muss es hier                        gibt. Aber es gibt immer noch die Mög-                     Solches Locken geschieht nicht nur „am
solche gedacht werden können!) leben in                  um Ausschließlichkeit gehen, d. h. darum                      lichkeit, das Zeitalter des Menschen sozu-                 Anfang“, sondern gehört als Ausdruck ei-
enger gegenseitiger Teilhabe am Netz des                 Mensch und Natur gegeneinander aus-                           sagen umzulenken. Bisher, meint Sörlin,                    nes fortwährenden Schöpfungsprozesses
Lebens, zu dem sie gehören. Das gilt aber                zuspielen? Ich denke es geht vielmehr                         habe der Begriff Anthropozän die Fähig-                    (lat. creatio continua) wesenhaft zu Gott.
auch für die Beziehung der Menschheit                    darum, die ausschließliche Dominanz                           keit des Menschen signalisiert, zu zerstö-                 Zu diesem Schöpfungsprozess zähle ich
zu ihrem Schöpfer.42                                     des Menschen zu überwinden und die                            ren. Aber Anthropozän „könnte auch das                     auch die vielen biblischen Beispiele dafür,
   Wird unsere gegenseitige Teilhabe als                 zerstörerische Macht der Menschheit als                       Umgekehrte bedeuten: dass wir darauf                       dass nicht nur die Menschheit auf Gottes
menschliche Spezies nicht auf Makro- wie                 ganzer anzuerkennen. Die Rolle des Men-                       verzichten, das zu tun, wozu wir fähig                     schöpferisches Wirken klagend und lob-
auf Mikroebene durch die beiden gro-                     schen in der christlichen Theologie muss                      sind.“45 Der Mensch in seiner Gotteben-                    preisend reagiert, sondern auch die nicht-
ßen Krisen veranschaulicht, die unsere                   eine einzigartige bleiben (vgl. Psalm 8),                     bildlichkeit könnte sein lassen und Acht-                  menschliche Schöpfung klagend (vgl. Ge-
Weltgemeinschaft derzeit durchmacht:                     aber sie muss keine dominierende sein.                        samkeit üben, nicht zuletzt Achtsamkeit                    nesis 4,9; Römer 8,22) und lobend (vgl.
die COVID-19-Pandemie und die Erder-                     Genauso wenig wie eine Ökogerechtig-                          für diejenigen schöpferischen Prozesse,                    Psalm 103, 104, 148 etc.) mit Gott inter-
wärmung? Es führt daher kein Weg da-                     keit gegenseitiger Teilhabe auf Kosten                        die kontinuierlich ohne menschliche Ein-                   agiert. In Übereinstimmung mit Latours
ran vorbei, die Erde sprechen zu lassen,                 der nicht-menschlichen Schöpfung gehen                        flussnahme vor sich gehen.                                 These, dass die Erde eine politische Akteu-
um etwas zu erreichen, das man als Kli-                  darf, sollte sie auf Kosten des Menschen                                                                                 rin sei, argumentiert Keller deshalb, dass
magerechtigkeit bezeichnen könnte. Oder                  bzw. gewisser Menschengruppen gehen.                                                                                     wir mit der Erde nicht als Objekt, sondern
                                                                                                                       44 Vgl. Elizabeth Pyne diskutiert verschiedene Varian-
                                                         Zu einer solchen Ausschließlichkeit ten-                         ten Menschen verachtenden ökologischen Denkens,         als Teilnehmerin am politischen Prozess zu
41 Zitiert in: Björn Lohmann, Philipp Graf, Mikrobio-    dieren gewisse Formen der Tiefenökolo-                           für die wohl das ökofaschistische Manifest des Täters   tun haben und die Erde daher als involviert
   me als Ressource, in: https://biooekonomie.de/mik-                                                                     vom 15. März 2019 in zwei Moscheen in Christchur-
   robiome-als-ressource (abgerufen am 28.10.2020).                                                                       ch ein extremes Beispiel ist. – Vgl. Pyne, Elizabeth:   in unsere politische Theologie bezeichnet
42 Für eine umfassende theologische Behandlung           43 Latour, Bruno: Down to Earth. Politics in the New             Dangerous Forecasts for a Climate of Justice?, unver-
   von Teilhabe als einer soteriologischen, aber auch       Climate Regime. Cambridge & Medford, MA 2018,                 öffentlichtes Paper beim Workshop Doing Climate
   sozialen Wirklichkeit siehe: Nausner, Michael: Eine      40 f („‘geo’ designates an agent that participates fully      Justice an der Universität Löwen, 22.–24.10.2020.       46 Vgl. Keller, Catherine: Face of the Deep. A Theology
   Theologie der Teilhabe, Leipzig 2020.                    in public life“).                                          45 Sörlin, Antropocen, 210.                                   of Becoming. London / New York, NY 2003, 195.

20                                                                                        Amt und Gemeinde             Amt und Gemeinde                                                                                               21
werden kann.47 Im Gegensatz zu North-                      Und müsste ein solches Verständnis von       SCHÖPFUNGSVERANTWORTUNG
cotts Ansatz bei Gott als dem Herrscher                    Schöpfung als Kommunikationsprozess
über Himmel und Erde (s. o.) stellt sich                   nicht die Einbeziehung nicht-mensch­

                                                                                                       Klimaschutz in den
Keller die Schöpfung – basierend auf ei-                   licher Akteure in den Bereich des poli­
ner spezifischen Lesart von Genesis 1 – als                tischen Gemeinwesens unterstützen?

                                                                                                       Evangelischen Kirchen
ein „ewiges Gespräch“ vor.48 Die Schöp-                    David Attenborough hat diese Kommu-
fung kann also panentheistisch als ein                     nikation, diese gegenseitige Teilhabe,

                                                                                                       in Österreich
fortwährendes Kommunikationsgesche-                        in seinem Film A Life on the Planet auf
hen gesehen werden, als ein Prozess einer                  eindrück­liche Weise visualisiert, und
gegenseitigen Durchdringung. Wenn – mit                    ich hoffe, mit diesem Artikel gezeigt zu
anderen Worten – Gott selbst geschöpfli-                   haben, dass die christliche Theologie auf   Ein Werkstattbericht
che Freiheit und Kreativität zulässt (vgl.                 analoge Weise unsere Vorstellung von
Genesis  1,11-25), können wir es dann ver-                 einer versöhnten gegenseitigen Durch-
meiden, der nicht-menschlichen Schöp-                      dringung alles Erschaffenen anregen                                                                           Von Andrea Sölkner
fung Würde und Rechte z­ uzugestehen?                      kann.                                 ■

                                                                                                       IM       Jahr 1983 hat der Weltkirchenrat
                                                                                                                bei seiner Vollversammlung in
                                                                                                       Vancouver den Konziliaren Prozess für
                                                                                                                                                   serklärung1 weist die Versammlung auf
                                                                                                                                                   die Bedrohungen der Umwelt, wie etwa
                                                                                                                                                   den Energieverbrauch der reichen Länder
                                                                                                       Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung        des Nordens, den Treibhauseffekt oder
                                                                                                       der Schöpfung auf den Weg gebracht. Da-     grenzüberschreitende Luft- und Wasser-
                                                                                                       mit wurde ein wichtiger Impuls für die      verschmutzung hin und fordern eine „öko-
                                                                                                       künftigen Bemühungen um einen ver-          logische Weltordnung“2. Der Einsatz für
                                                                                                       antwortungsbewussten Umgang mit der         gerechte Lebensbedingungen und einen
                                                                                                       Umwelt und Klimaschutz gesetzt. Auf         schonenden Umgang mit der Natur auf
                                                                                                       europäischer Ebene folgte 1989 in Ba-       Zukunft hin ist weiterhin von besonderer
                                                                                                       sel die Erste Europäische Ökumenische       Bedeutung; ebenso unsere Verpflichtung,
                                                                                                       Versammlung unter dem Thema „Frie-          die Erde auch für nachfolgende Generati-
                                                                                                       den in Gerechtigkeit“. Im Vordergrund       onen als lebenswert zu bewahren. Wir sind
                                                                                                       stand die Verpflichtung der Kirchen für     nach wie vor alle gefordert, den eigenen
                                                                                                       die Bereiche Gerechtigkeit, Frieden und     Lebensstil umwelt- und klimaschonend
                                                                                                       Bewahrung der Schöpfung mitsamt ihrer       auszurichten.3
47 Keller, Catherine: Toward a Political Theology of the                                               politischen Verantwortung. Die Erkennt-
   Earth. In: Catherine Keller, Intercarnations. Exer-
   cises in Theological Possibility. New York, NY 2017,                                                nisse, Empfehlungen und Verpflichtun-
                                                                                                                                                   1   Schlussdokument der Ersten Europäischen Ökumeni-
   174–192: 177.                                                                                       gen von damals haben heute nichts an            schen Versammlung, Basel, 1989.
48 Vgl. Keller, Keller: Political Theology of the Earth.
   Our Planetary Emergency and the Struggle for a
                                                                                                       Aktualität verloren. In ihrer Abschlus-     2   Schlussdokument (1989), Abs. 13.
   New Public. New York, NY 2018, 43.                                                                                                              3   Vgl. dazu Schlussdokument (1989), Abs. 71, 74, 76, 87.

22                                                                               Amt und Gemeinde      Amt und Gemeinde                                                                                  23
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