Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV

Die Seite wird erstellt Carolin Franke
 
WEITER LESEN
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
auto
motion
IAV-Kundenmagazin | 01/2019

Das Fahrzeug als Code
Digital Engineering von IAV
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
Smart und digital – DiSA, der digitale Serviceassistent von IAV, bildet die Basis des zukünftigen Smart Service: kundenorientierte
Serviceprozesse, optimierte Werkstatteffizienz und die Einführung neuer Technologien in der Werkstatt. Mit dem Remote Service
Center wird DiSA um eine wichtige Komponente erweitert. Das vollwertige Dashboard unterstützt Servicetechniker bei der Fern-
wartung. Damit ist es möglich, den Status eines Fahrzeugs aus der Ferne umfassend zu erschließen. Zudem können dem Fahrer
Hinweise gegeben werden, ob eine Weiterfahrt im Servicefall möglich ist, oder er kann zur „Hilfe zur Selbsthilfe“ angeleitet werden.
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
automotion | Editorial          3

Liebe Leserin, lieber Leser
die Automobilbranche muss sich mit Megatrends wie der neuen An-            Side Window Entertainment sowie kamerabasierte Systeme für
triebsvielfalt und neuen Mobilitätskonzepten auseinandersetzen. Wer        mehr Sicherheit und Komfort im Innenraum. Details dazu finden Sie
in diesem dynamischen Umfeld bestehen und neue Ideen jenseits des          ab Seite 24.
klassischen Geschäfts entwickeln will, braucht Digital Engineering (In-
terview auf Seite 8). Die vielen Facetten dieses spannenden Themas         Zukunftsweisend ist auch die Big-Data-Wertschöpfungskette von
beleuchten wir in dieser Ausgabe der automotion. Unser Projekt „Tri-       IAV, die Fachkräften und Management intelligente Entscheidungsvor-
nity“ hat beispielsweise das Ziel, mit Virtual Development entlang der     lagen für operative und strategische Vorhaben bereitstellt. Besonders
drei Achsen Physik, Geometrie und Daten schneller und kostengün-           im Bereich Test- und Qualitätsmanagement kann sie große Optimie-
stiger zu neuen Aggregaten zu kommen (Seite 12). Und mit dem Arbeiten      rungspotenziale ausschöpfen (Seite 44). Hohes Informationspotenzi-
in der xReality wollen wir unseren Entwicklern völlig neue Möglichkei-     al bietet unser Antriebsstrangsymposium zum Thema „Antriebe der Zu-
ten zur Kollaboration und für Schulungen eröffnen (Seite 10). Neues Den-    kunft“, das am 3. und 4. Dezember in Berlin stattfindet. Wenn Sie einen
ken ist auch im Software-Engineering gefragt – etwa „Continuous De-        eigenen Beitrag präsentieren wollen, senden Sie uns bitte bis zum 15.
ployment“, das dramatisch verkürzte Entwicklungszeiten verspricht. Dar-    März ein Abstract (Seite 51).
über diskutiert Markus Blonn, Leiter unseres „Netzwerks Software“, mit
Prof. Dirk Riehle von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürn-   Mit vielen neuen Ideen geht IAV stark ins neue Jahr und ist bestens auf-
berg (Seite 20).                                                           gestellt für die Herausforderungen unserer Branche – auch personell:
                                                                           Seit dem 1. Januar 2019 verstärkt Dr. Ulrich Eichhorn als Vorsitzender
Auch dieses Jahr war IAV wieder auf der CES in Las Vegas vertreten.        der Geschäftsführung unser Unternehmen (Seite 50).
Unter dem Motto „Journey towards digital mobility“ haben wir Fach-
besuchern und Medienvertretern unsere neuesten Entwicklungen prä-          Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!
sentiert, darunter das revolutionäre Sitzkonzept IAV Coquille, unser

Dr. Ulrich Eichhorn                   Matthias Kratzsch                    Katja Ziegler                         Kai-Stefan Linnenkohl
Vorsitzender der Geschäftsführung     Geschäftsführer Technik              Kaufmännische Geschäftsführerin       Geschäftsführer/Arbeitsdirektor
IAV GmbH                              IAV GmbH                             IAV GmbH                              IAV GmbH
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
4   Inhalt | automotion

    6        Das Fahrzeug als Code

             Digital Engineering von IAV

             Die Automobilbranche verändert sich rasant und mit ihr die Entwicklungsprozesse. IAV setzt in
             Zukunft auf Digital Engineering und zeigt in dieser Ausgabe die vielen Facetten dieses Themas.

                                                                                         Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

    20                                                                                   Fokusthema

                                                                                         Das Fahrzeug als Code –
                                                                                         Digital Engineering von IAV . . . . . . . . . . . . . . . 6
                                                                                         „Wer sich nicht umstellt, ist raus“ . . . . . . . . . .8
                                                                                         Arbeiten in der xReality . . . . . . . . . . . . . . . . . .10
                                                                                         Digitale Entwicklung in drei
                                                                                         Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12
                                                                                         Autonomes Fahren: eine neue Heraus-
                                                                                         forderung für vernetztes Arbeiten . . . . . . . .14
                                                                                         Virtual und Augmented Reality
                                                                                         in der HMI-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . .18
                                                                                         „Mit Inner Sourcing Silos
                                                                                         aufbrechen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20
                                                                                         Digitalisierung um jeden Preis? . . . . . . . . . . .22

                                                                                         Impulse

                                                                                         Vermittler zwischen den Welten . . . . . . . . . .24
                                                                                         Reisen in der Muschelschale . . . . . . . . . . . . .28
                                                                                         Langeweile auf der Rückbank war
                                                                                         gestern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30

                                                                                         Fahrzeuginsassen im Blick . . . . . . . . . . . . . . .32
                                                                                         Das zweite Gesicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34
                                                                                         Hard- und Software für
                                                                                         Funk-Updates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36
Erfolgsfaktor Inner Sourcing
                                                                                         Intelligenz statt Kupfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38
Neue Prozesse und eine offene Kommunikation: Die Software-Entwicklung lernt von der
Open-Source-Welt.
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
automotion | Inhalt        5

                                                                               10
                                                                                    Arbeiten in der xReality

                                                                                    Weltweite Kollaborationen, neue Schu-
                                                                                    lungsformen und der „Future Workplace“:
                                                                                    IAV setzt auf Virtual und Augmented Reality.

                                                                               30
                                                                                    Langeweile auf der Rückbank war
Direkter Draht zu den                                                               gestern
Berechnungsexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .40
IAV Cross: leistungsstarkes System                                                  Spannende Aussichten für die Mobilität der
zur hydraulischen Vermessung von                                                    Zukunft mit der IAV-Lösung „Side Window
Einspritzventilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .40               Entertainment“.

Trends

Pitch your Issues! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .42

Leistungsfähige Analysen für
smarte Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . .44

Qualitätskontrolle von der
Entwicklung bis zum Nutzer . . . . . . . . . . . . . .46

                                                                                    Das zweite Gesicht
Spurwechsel
                                                                                    Eine neue IAV-Lösung anonymisiert gefilmte
Individuelle Mobilität, gesellschaftliche                                           Personen und erhält zugleich relevante
Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .48                     Informationen.

Über IAV

IAV-Geschäftsführung stellt sich neu auf 50
Antriebe der Zukunft??? . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
IAV Talent Innovation Day??? . . . . . . . . . . . . 52
Unser Engineering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
                                                                                    Leistungsfähige Analysen für smarte
Unsere Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56                  Entscheidungen

                                                                               44
Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
                                                                                    Das Messdatenmanagementsystem von IAV
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59            verarbeitet größte Datenmengen in Echtzeit
                                                                                    und liefert intelligente Entscheidungsvorla-
                                                                                    gen für operative und strategische Vorhaben.
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
6   Fokusthema | automotion

Fokusthema:
Das Fahrzeug als Code
Digital Engineering von IAV

Die Digitalisierung revolutioniert die Arbeitswelt – und damit auch die Entwicklungsprozesse in der Automobilindustrie.
Neue Arbeits- und Entwicklungsmethoden wie agiles und kollaboratives Arbeiten, Design Thinking, Augmented und Virtual
Reality sowie Simulationen ermöglichen eine kostengünstigere und schnellere Entwicklung. Die einzelnen Gewerke rücken
näher zusammen, Grenzen werden aufgebrochen. Die Bereitschaft zum „Teilen“ von Kenntnissen, Wissen und Informationen
wird ein wichtiger Aspekt des Entwicklungserfolgs. Erfahren Sie auf den nächsten Seiten, wie Digital Engineering von IAV
aussieht und wie unsere Kunden davon profitieren.
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
automotion | Fokusthema   7
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
8   Fokusthema | automotion

„Wer sich nicht umstellt, ist raus“
Design Thinking, kollaboratives Arbeiten, neue Qualifikationen:
Die Zukunft gehört dem Digital Engineering

                                                                  D
                                                                         ie Automobilbranche verändert sich
                                                                         rasant – und mit ihr die Entwick-
                                                                         lungsprozesse. IAV setzt in Zukunft
                                                                  darum konsequent auf „Digital Engineering“.
                                                                  Was sich dahinter verbirgt und wie weit die
                                                                  Umstellung bei IAV bereits erfolgt ist, be-
                                                                  schreibt Bereichsleiter Stefan Schmidt, der
                                                                  das Digital Lab von IAV aufbaute, im auto-
                                                                  motion-Interview.

                                                                  Warum wird gerade so viel über „Digital
                                                                  Engineering“ gesprochen?

                                                                  Stefan Schmidt: Weil die Automobilbranche
                                                                  mit zwei Megatrends konfrontiert ist, die auch
                                                                  großen Einfluss auf ihre Arbeitsweise haben
                                                                  werden: Wir haben es mit einer Vielzahl von An-
                                                                  trieben zu tun, was die Arbeit der Entwickler
                                                                  sehr komplex macht. Außerdem ist der priva-
                                                                  te Besitz von Fahrzeugen vor allem für junge
                                                                  Menschen nicht mehr so wichtig – darum wer-
                                                                  den Alternativen wie Carsharing oder andere
                                                                  neue Mobilitätskonzepte an Bedeutung ge-
                                                                  winnen. Alle in der Branche müssen sich da-
                                                                  mit auseinandersetzen und neue Ideen jen-
                                                                  seits des klassischen Geschäfts entwickeln.
                                                                  Und dafür brauchen wir Digital Engineering.

                                                                  Was ist beim Digital Engineering anders als
                                                                  bei der klassischen Vorgehensweise?

                                                                  Schmidt: Das beginnt schon ganz am Anfang
                                                                  der Entwicklung. In einer Design-Thinking-
                                                                  Phase geht es um die Frage: Was genau brau-
                                                                  chen die Endkunden? Mit welchem Produkt
                                                                  ist ihnen am besten gedient? Dafür müssen
                                                                  wir verschiedene Disziplinen an einem Ort zu-
                                                                  sammenbringen und diese gemeinsam an ei-
                                                                  ner Lösung arbeiten lassen. Denn in der
                                                                  neuen Mobilitätswelt muss das Endprodukt
                                                                  nicht mehr unbedingt ein privat genutzter Pkw
                                                                  sein – oft geht es darum, von A nach B zu
                                                                  kommen, wobei das Transportmittel auch ein
                                                                  Shuttle, ein Roller oder eben ein geteiltes
                                                                  Fahrzeug sein kann. Hier spielen auch die ver-
                                                                  änderten Ansprüche der Menschen in den
Bereichsleiter Stefan Schmidt baute das Digital Lab von IAV auf   Städten eine Rolle: Sie wollen mehr Platz für
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
automotion | Fokusthema            9

Fahrradfahrer und Fußgänger, während private         Einzug halten. Bei den Professoren rennen wir       Schmidt: Im Prinzip wird das so sein. Wie
Pkw eher zurückgedrängt werden. Solche               damit offene Türen ein, denn sie haben selbst        stark man im Einzelfall so arbeitet, hängt auch
Aspekte müssen wir bedenken, bevor wir               ein Interesse daran, ihre Studenten optimal auf     davon ab, wie viel Einblick in das Gesamtsys-
eine konkrete Lösung in Angriff nehmen. In un-       die neue Arbeitswelt vorzubereiten.                 tem beispielsweise ein OEM einem Zulieferer
serem Digital Lab haben wir mit dieser He-                                                               geben will. Wir haben uns auf jeden Fall dafür
rangehensweise sehr gute Erfahrungen ge-             Das bedeutet, dass IAV in Zukunft ein großes        vorbereitet: Unser Tochterunternehmen CPU
macht.                                               Digital Lab wird?                                   24/7 betreibt hochsichere Rechenzentren,
                                                                                                         über die wir uns etwa für die Karosserieent-
Was ändert sich in den weiteren Entwick-             Schmidt: Auf jeden Fall hat IAV verstanden,         wicklung oder Themen des autonomen Fah-
lungsphasen?                                         dass die Ideen aus dem Digital Lab gute Vor-        rens mit unseren Kunden vernetzen können.
                                                     lagen für das gesamte Unternehmen liefern.          Wir sind aber auch in der Lage, uns an Platt-
Schmidt: Auch in ihnen gilt, dass wir über Gren-     Derzeit prüfen die einzelnen Bereiche, was sie      formen unserer Kunden anzuschließen.
zen hinweg zusammenarbeiten müssen – in              schnell übernehmen können. Dazu haben wir
diesem Fall über die Grenzen der Domänen hin-        im Rahmen unserer Strategie IAV 2025+ einen         Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch!
weg. Gefragt ist agiles, kollaboratives Arbeiten.    Fahrplan aufgestellt, der in den kommenden
Heute entwickeln wir meist noch parallel und         Jahren umgesetzt wird. Und damit stehen wir         Kontakt:
gleichen die Ergebnisse punktuell an be-             nicht alleine: Alle in der Branche – OEMs, Zu-      stefan.schmidt@iav.de
stimmten Meilensteinen ab. In Zukunft werden         lieferer und Dienstleister – beschäftigen sich
die Entwickler über eine Plattform kooperieren,      damit. Denn eines ist klar: Wer sich nicht um-      Stefan Schmidt, bisher Leiter des Digital Lab
sodass man sofort sehen kann, was eine Än-           stellt, ist raus.                                   von IAV, leitet seit Anfang 2019 das Pro-
derung an einer Stelle – etwa am Fahrwerk –                                                              jektmanagement Office von IAV. Die Leitung
für die anderen Gewerke bedeutet, zum Bei-           Kollaboration macht nicht an Unterneh-              des Digital Lab hat mit diesem Zeitpunkt
spiel für den Antrieb. Dafür brauchen wir neue       mensgrenzen halt. Wird das kollaborative            Matthias Schultalbers, Bereichsleiter Power-
IT-Plattformen, an die sich die Entwickler mit       Arbeiten auf Plattformen bald in der gan-           train Mechatronics, übernommen.
ihren domänenspezifischen Werkzeugen an-              zen Branche praktiziert?
docken können. So können wir Themen wie In-
ternet of Things, Software und Geschäfts-
modelle frühzeitig in den Entwicklungsprozess
miteinbeziehen.                                         IAV ist Partner des Forschungsverbunds Cyber Valley

Wie weit ist IAV auf diesem Weg schon
gekommen?                                               Seit Anfang 2017 ist IAV Partner des For-        Dr. Sebastian Trimpe, und IAV wurde ein
                                                        schungsverbunds Cyber Valley, einer der          neues Doktorandenprojekt aufgesetzt,
Schmidt: Wir bauen bereits solche Plattformen,          größten Forschungskooperationen                  für das sie Nachwuchswissenschaftler
um einzelne Domänen miteinander zu vernet-              Europas aus Wissenschaft und Wirt-               Alexander von Rohr gewinnen konnten.
zen. Dabei gehen wir agil vor – schließen also die      schaft auf dem Gebiet der Künstlichen In-        Von Rohr und Trimpe forschen gemein-
einzelnen Domänen nacheinander an und ler-              telligenz. Ihr Ziel ist es, den Austausch zwi-   sam mit weiteren IAV-Experten an selbst-
nen viel in diesem Prozess. Einen Großteil der          schen anwendungsorientierter Indus-              lernenden Verfahren in der Automobil-
benötigten Software-Adapter entwickeln wir              trieforschung und neugiergetriebener             technik und damit an der Schnittstelle zwi-
selbst. Das ist einer der Gründe, warum Soft-           Grundlagenforschung zu fördern.                  schen Maschinellem Lernen und Rege-
ware-Experten derzeit so gesucht sind und sich                                                           lungstechnik.
auch unsere Entwickler stärker mit IT-Themen            IAV beteiligt sich wie die anderen Indus-
auseinandersetzen müssen. Wir stehen also               triepartner auch mit 1,26 Mio Euro am Cy-        Trimpe hat bereits zuvor mit IAV zusam-
nicht nur vor einer technischen Herausforde-            ber Valley. Das Geld fließt in einen For-        mengearbeitet. Er freut sich auf die wei-
rung, sondern müssen auch unsere Mitarbeiter            schungsfonds, der wiederum den ver-              tere Zusammenarbeit unter dem Dach des
in das Zeitalter des Digital Engineerings mit-          schiedenen Forschungsgruppen am Max-             Cyber Valleys. „In unseren Projekten mit
nehmen. Das erreichen wir unter anderem                 Planck-Institut für Intelligente Systeme         IAV können wir eine Brücke schlagen zwi-
durch ein breites Angebot an Schulungen und             und an den Universitäten Stuttgart und Tü-       schen Wissenschaft und Anwendung“,
die Arbeit auf dedizierten Projektflächen, die für       bingen zugutekommt. Jede Gruppe, jeder           sagt Trimpe. „Die Zusammenarbeit mit IAV
die agilen Methoden vorbereitet sind.                   Forscher entscheidet dabei frei, welche          funktioniert hervorragend, weil beide Sei-
                                                        Projekte sie oder er umsetzen möchte, ob         ten sowohl grundlegende Forschungs-
Was müssen die Mitarbeiter in Zukunft                   mit oder ohne Industriepartner.                  fragen zu lernenden Systemen lösen, als
können?                                                                                                  auch die Erkenntnisse auf echte Maschi-
                                                        Im Rahmen des Forschungsverbunds ha-             nen umsetzen wollen.“
Schmidt: Sie müssen zum Beispiel mit Kolle-             ben IAV sowie Wissenschaftler der Cyber
gen aus anderen Bereichen zusammenarbei-                Valley Forschungsgruppe „Intelligent Con-        Kontakt: nick.weinhold@iav.de
ten und deren Bedürfnisse berücksichtigen.              trol Systems“ am Max-Planck-Institut für
Außerdem bringen wir uns in die Ausbildung              Intelligente Systeme (MPI-IS) ein neues
des Ingenieurnachwuchses ein: Wir diskutie-             Forschungsprojekt gestartet. Initiiert
ren mit vielen Universitäten, damit die neuen           durch den Leiter der Forschungsgruppe,
Formen der Zusammenarbeit auch dort schnell
Auto motion Das Fahrzeug als Code - Digital Engineering von IAV
10    Fokusthema | automotion

Arbeiten in der xReality
Weltweite Kollaboration, neue Schulungsformen und der „Future Workplace“:
IAV setzt auf Virtual und Augmented Reality

T
        elefon- und Videokonferenzen wa-        Während die Teilnehmer bei einer Telefon-          Wolf, Senior Vice President Business Deve-
        ren gestern, denn die Zukunft gehört    oder Videokonferenz ihre Gesprächspartner als      lopment & Virtual Engineering sowie Product
        xReality. Hinter dem Begriff verbergen   weit entfernt erleben, treffen sie sich bei einem   Owner des xR-Teams bei IAV. „So lassen sich die
sich die beiden Technologien Virtual Reality    xReality-Meeting in einem gemeinsamen vir-         jeweils aktuellsten Fahrzeugmodelle live und
(VR) und Augmented Reality (AR), und sie ha-    tuellen Raum. Ausgestattet mit VR-Brillen, kön-    standortübergreifend gemeinsam bearbeiten
ben das Potenzial, die weltweite Kollaborati-   nen sie gemeinsam an 3-D-Modellen arbeiten,        – natürlich immer über eine sichere End-to-End-
on und Schulungen zu revolutionieren. Selbst    alle Beteiligten als Avatare wahrnehmen und mit-   Verbindung.“ Pilotprojekte mit bis zu vier IAV-
der eigene Arbeitsplatz soll dank xReality      einander sprechen. „Dadurch sieht jeder Teil-      Standorten haben bewiesen, dass die neue
bald nicht mehr wiederzuerkennen sein. IAV      nehmer, wo sich die anderen befinden, welches       Technologie in der Praxis problemlos funktio-
nutzt die neue Technologie für den gesamten     Detail sie gerade betrachten und welche Än-        niert. In diesem Jahr wird am IAV-Entwick-
Entwicklungsprozess.                            derungen sie wünschen“, erklärt Christopher        lungszentrum in Gifhorn das „xReality Lab“ er-
automotion | Fokusthema             11

öffnet, um auf einer großen Fläche mit den an-    Brücke zwischen CAD-Tools und                     eine Reparatur führen zu lassen – in diesem Fall
deren Standorten virtuell zusammenzuarbeiten.    Visualisierungs-Software                          mithilfe von AR: Auf die Displays von Tablets
                                                                                                   und Smartphones oder in das Blickfeld von
In der virtuellen Welt können Entwickler schon   Voraussetzung für die neue Art der Kollabo-       Smartglasses werden virtuelle Zusatzinfor-
frühe Konzepte neuer Fahrzeuge sehr reali-       ration sind speziell ausgestattete xR-Räume,      mationen zu einzelnen Komponenten in die
tätsnah erleben. „Man kann zum Beispiel um das   in denen Tracker und andere Sensoren die Be-      reale Welt eingeblendet. Schulung und Aus-
Modell herumgehen, die Tür öffnen, sich hi-       wegungen der Teilnehmer aufzeichnen und in        bildung, Service und Wartung sowie die Män-
neinbegeben und aus dem Fenster schauen“,        den virtuellen Raum übertragen. Außerdem          gel- und Schadensdokumentation profitieren
sagt Anna Lena Wolf, Scrum Master im xR-Team     muss man eine Brücke zwischen den Daten in        davon.
von IAV. „Die Teilnehmer können Abstände         den CAD-Tools der Entwickler und den Vi-
messen, verschiedene Farben ausprobieren         sualisierungs-Werkzeugen aus der Spiele-          Eintauchen in den „Future
oder Lichtszenarien testen.“ Dabei geht nichts   welt schlagen, die die digitalen Treffpunkte er-   Workplace“
verloren, was während des xR-Meetings be-        zeugen. „Hier haben wir viel Know-how auf-
sprochen wird: Film- und Fotoaufnahmen so-       gebaut und können heute selbst abstrakte          Auch für den Arbeitsplatz der Zukunft haben
wie Kommentare dokumentieren alle Ände-          Größen gut visualisieren“, berichtet Lars Gro-    die xR-Spezialisten bei IAV eine Vision. Der „Fu-
rungen.                                          tehenne, Scrum Master im xR-Team von IAV.         ture Workplace“ soll es dank WLAN und VR-
                                                 „So lässt sich beispielsweise der Energie-        Brille ermöglichen, überall und zu jeder Zeit in
                                                 fluss im Fahrzeug durch Farben darstellen, die     die virtuelle Arbeitswelt einzutauchen. Vor
                                                 sich je nach der aktuellen Bedatung in Echt-      seinem Auge und auf einem attraktiven Hin-
                                                 zeit ändern.“ Eine große Herausforderung gibt     tergrund kann der Mitarbeiter dann alle be-
                                                 es aber noch: Während Änderungen an den           kannten Werkzeuge sehen, die heute seinen
                                                 CAD-Daten automatisch an die Visualisie-          Desktop zieren – zum Beispiel Office-Pro-
                                                 rungs-Software übertragen werden, ist das         gramme, Notizen, To-do-Listen oder Skype.
                                                 umgekehrt derzeit nicht der Fall. Erst in zwei    Schon 2019 sollen Skype-Konferenzen mög-
                                                 oder drei Jahren dürfte es möglich sein, An-      lich sein, weiterhin folgen Gestensteuerung
                                                 passungen am xR-Modell direkt zurück in die       und textuelle Eingabemöglichkeiten. In fünf bis
                                                 CAD-Tools einzuspeisen.                           acht Jahren könnte es dann so weit sein: Die
                                                                                                   komplette Microsoft-Welt steht im „Future
                                                 Schulungen sind ein weiteres Einsatzgebiet für    Workplace“ zur Verfügung. „In Zukunft tauche
                                                 xR. Schon lange ist bekannt, dass aktives Ler-    ich von einem schönen Ort aus in die Unter-
                                                 nen wesentlich effektiver ist als das passive      nehmenswelt ein, kann mit meinen Kollegen
                                                 Aufnehmen der Inhalte. Dank xR-Technologie        in Kontakt bleiben und wichtige Informationen
                                                 eröffnen sich hier völlig neue Möglichkeiten –     abrufen – egal, ob ich mich in meinem Garten
                                                 denn in einem virtuellen Raum lassen sich be-     oder am Strand befinde“, beschreibt Wolf
                                                 liebige Umgebungen und Szenarien darstel-         das Arbeiten der Zukunft. „Und wenn ich fer-
                                                 len, zugleich können alle Teilnehmer aber         tig bin, tauche ich dort wieder auf und lasse die
                                                 nach wie vor die Mimik und das Verhalten der      erledigte Arbeit hinter mir.“
                                                 anderen beobachten. Im Rahmen einer Com-
                                                 pliance-Schulung könnte ein Mitarbeiter bei-      Einsatzgebiete für xR gibt es also mehr als ge-
                                                 spielsweise per VR in ein fernes Land versetzt    nug. IAV wird die neue Technologie künftig
                                                 werden, um zu lernen, wie man mit Geschen-        während des gesamten Produktentste-
                                                 ken eines Geschäftspartners umgeht.               hungsprozesses verwenden, von der Dar-
                                                                                                   stellung und Abnahme von verschiedenen
                                                 Messeauftritte lassen sich ganz ohne reale        Konzepten über Einbau- und Ausbau-Unter-
                                                 Prototypen bestreiten – dank Virtual und Aug-     suchungen und Simulationen bis hin zur Mon-
                                                 mented Reality können die Besucher künftige       tagelinie sowie Service und Wartung. Die Kol-
                                                 Produkte in allen Einzelheiten betrachten und     laboration im virtuellen Raum kann beginnen.
                                                 sogar ins Innere hineinschauen.
                                                                                                   Kontakt: xr@iav.de
                                                 Techniker in der Werkstatt bekommen durch         christopher.wolf@iav.de
                                                 xR die Möglichkeit, sich frühzeitig mit neuen     anna.lena.wolf@iav.de
                                                 Motoren vertraut zu machen oder sich durch        lars.grotehenne@iav.de
12    Fokusthema | automotion

Digitale Entwicklung in drei
Dimensionen
IAV setzt im Projekt „Trinity“ auf Virtual Development mit den Dimensionen
Physik, Geometrie und Daten

S
        chneller und kostengünstiger zu neu-       der Konzeptbaustufe betreiben“, erklärt Dr.          arbeiten ständig daran, unsere Berechnungs-
        en Aggregaten – das verspricht das         Michael Berg, Querschnittsverantwortlicher           und Simulationsmethoden zu verbessern und
        IAV-Projekt „Trinity“. Durch den ver-      für die Digitalisierung im Bereich Powertrain        zu validieren, um Ergebnisse mit einem hohen
stärkten Einsatz von Simulationen, die bes-        Systems Development bei IAV. „Dadurch wird           Confidence-Level zu erhalten.“ Auf der Grund-
sere Verzahnung von CAD und CAE sowie die          sie künftig einen deutlich höheren Reifegrad         lage dieser Confidence-Level definieren die
intelligente Analyse großer Datenmengen            aufweisen, sodass wir die grundsätzliche             IAV-Entwickler, welche Versuchs- und Erpro-
lässt sich die Entwicklungszeit von Aggre-         Funktionalität und erste Tendenzen in puncto         bungsumfänge noch nötig sind. Mit anderen
gaten des Powertrains um bis zu 15 Prozent         Dauerhaltbarkeit bereits sehr gut einschätzen        Worten: Sie hinterfragen alle bisherigen Ver-
verkürzen. Die Kosten können damit um bis          können.“ Viel detailliertere Informationen über      suchsprozeduren und -programme und mo-
zu 20 Prozent gesenkt werden. Der neue An-         Funktionalität und Dauerhaltbarkeit sollen da-       difizieren sie bei Bedarf.
satz eignet sich für die Verbrennungsmoto-         nach aber Simulationen liefern. Vorausset-
ren-, Hybrid-, E-Maschinen- und Getriebe-          zung dafür: Die Entwickler müssen die physi-         Das verringert nicht nur die Zahl der Versuche,
entwicklung.                                       kalischen Wirkmechanismen kennen, in ma-             sondern auch ihre Art: In Zukunft dienen die-
                                                   thematischen Modellen abbilden, diese Mo-            se immer mehr dazu, Wirkmechanismen bes-
Die Aggregateentwicklung läuft heute in vier       delle validieren und auf dieser Basis verlässli-     ser zu verstehen und Modelle zu validieren. Zu-
Etappen ab: Die Konzeptbaustufe ist die erste      che Prognosen erstellen. Ziel ist es, einen          dem lassen sich mit ihnen Versuchsmethoden
Umsetzung der Idee und muss auf dem Prüf-          großen Teil der Freigaben für die Serienent-         weiterentwickeln (zum Beispiel Online-Mes-
stand zeigen, wie nahe man den Zielen aus dem      wicklung in Zukunft über Simulationen einzu-         sungen der Ölemission) oder neu etablieren
Lastenheft bereits gekommen ist. Für die ers-      holen.                                               (zum Beispiel die Verschleißmessung auf Ba-
te Baustufe wird das neue Aggregat aus Pro-                                                             sis der Radionuklid-Technologie). Natürlich
totypenwerkzeugen gebaut und getestet. Es          Dank höherer Rechenleistung und besserer             werden sie auch weiterhin genutzt, um Infor-
folgt die zweite Baustufe, bei der das Aggregat    mathematischer Modelle ist das inzwischen            mationen zu liefern, die man mit Simulationen
bereits mit Serienwerkzeugen hergestellt wird.     auch möglich. „Wir können heute beispiels-           noch nicht erhalten kann. „Das ist ein perma-
Die Serienbaustufe kurz vor SOP dient schließ-     weise den Ölkreislauf mit allen Komponenten          nenter Prozess, weil mit jeder Entwicklung
lich der Absicherung der Entwicklung. Da der-      detailliert modellieren“, berichtet Berg. „Und wir   neue Erkenntnisse hinzukommen“, sagt Berg.
zeit viele reale Prototypen zum Einsatz kommen,
machen Versuche bis zu 75 Prozent des mo-
netären Aufwands aus, während Simulationen
ca. 10 bis 15 Prozent in Anspruch nehmen.

Dieser Prozess lässt sich deutlich beschleuni-
gen. IAV will die Entwicklungszeit um 15 Prozent
verringern und die Kosten um bis zu 20 Prozent
senken. Möglich machen diesen großen Sprung
vor allem aussagefähige Simulationsergeb-
nisse, mit denen künftig in großem Umfang Frei-
gaben erfolgen sollen. Da IAV bei diesem Virtual
Development entlang der drei Dimensionen
Physik, Geometrie und Daten vorgeht, trägt das
Projekt den Namen „Trinity“.

Dimension Physik: mathematische
Modelle der Wirkmechanismen

Die offensichtlichste Veränderung im „Trinity“-
Prozess ist der Wegfall der ersten Baustufe.
„Dafür muss man allerdings mehr Aufwand in
automotion | Fokusthema                 13

Dimension Geometrie: Interaktion

                                                                                        Realdaten
von CAD und CAE

Bei der Geometrieentwicklung sollen in Zukunft
                                                        Nutzung           Beanstandungen                                Digitaler
CAD- und CAE-Tools stärker gekoppelt werden.                              Werkstattberichte                             Zwilling
                                                                                 Lernwerte
Ziel ist es hier, den Einfluss konstruktiver Än-
                                                        Produktion      Fertigung / Prozess
derungen auf Funktionalität und Dauerhalt-                                    Ist-Geometrie
barkeit direkt im Simulationsmodell abschät-            Entwicklung       Flottenerprobung
zen zu können. Hier muss man derzeit aber                                    Fahrerprobung
                                                                                  Prüfstand
noch Kompromisse eingehen: „Simulationen                              Aufbaudokumentation

                                                                                                                                                                   e
                                                                                                             V ill

                                                                                                                                                                 ri
                                                                                                              ir in

                                                                                                                                                              et
                                                                                                                Zw

                                                                                                                tu g

                                                                                                                                                            m
                                                                                                                  el
mit hoher Genauigkeit sind sehr aufwendig und

                                                                                                                                                         eo
                                                                                                                     le
                                                                                                                        r

                                                                                                                                                        G
                                                                                                                                                    U
                                                                                                     n
                                                                                                se

                                                                                                                                                    se
erfordern CAE-Spezialisten sowie leistungs-

                                                                                            ly

                                                                                                                                                        C
                                                                                        na

                                                                                                                                                         as
                                                                                                                                             Pr
                                                                                       A

                                                                                                           le

                                                                                                                                               od

                                                                                                                                                            es
                                                                                                           el
                                                                                     e

                                                                                                                                                 uk
                                                                                   ch
fähige Rechencluster“, so Berg. „Eine mögliche

                                                                                                                                                              V
                                                                                                      od

                                                                                                                                        D

                                                                                                                                                               R
                                                                                                                                                    td
                                                                                 ris

                                                                                                                                        M
                                                                                                      -M

                                                                                                                                                                   /A
                                                                                                                                                     at
                                                                                                                                           U
                                                                                                                   le
                                                                               pi

                                                                                                    ox

                                                                                                                                                         en

                                                                                                                                                                    R
                                                                                                                   el
                                                                            Em

                                                                                                                                            /g
                                                                                                                                  C
                                                                                           yb

                                                                                                                od

                                                                                                                                                          m
                                                                                                                                    A

                                                                                                                                               eo
Lösung: Man koppelt vereinfachte Simulati-

                                                                                                                                    D
                                                                                        re

                                                                                                                                                              an
                                                                                                               M

                                                                                                                                                 m
                                                                                                                                      -D
                                                                                                                        Ph
                                                                                       G

                                                                                                           E-

                                                                                                                                                               ag
                                                                                                                                                    .A
                                                                                                                                        at
                                                                                                           A

                                                                                                                         ys

                                                                                                                                                                   em
                                                                                                                                                     bs
                                                                                                                                        en
                                                                                                         C

                                                                                                                             ik

                                                                                                                                                         ic

                                                                                                                                                                    en
                                                                                                                                            m
onsmodelle mit den CAD-Daten. Sie sind zwar

                                                                                                                                                         he
                                                                                                                                               an

                                                                                                                                                                        t
                                                                                                                                                              ru
                                                                                                                                                ag

                                                                                                                                                              ng
                                                                                                                                                    em
weniger genau, ersparen aber später viele

                                                                                                                                                     en
                                                                                                                                                         t
Iterationsschritte mit aufwendigen Simulati-
onsmethoden.“

Für die Absicherung in dieser Phase dienen di-
gitale Mock-ups (DMU), mit denen sich diver-
se Untersuchungen durchführen lassen: Ver-
bauanalysen (passen die Komponenten geo-
metrisch zusammen?), Bewegungsanalysen
(was geschieht zum Beispiel bei Last- und
Drehzahlwechsel?) und Analysen zur Mon-
tierbarkeit (welche Montagekräfte sind erfor-      tert. In den einzelnen Phasen werden derzeit                         Clusteranalysen, maschinelles Kategorisie-
derlich, sind die Freigänge für die Serienferti-   häufig unterschiedliche Systeme eingesetzt,                          ren, Mustererkennung und die automatische
gung ausreichend?). Und weil alle Daten digi-      was die Datenübertragung aufwendig und                               Detektion von Anomalien.
tal vorliegen, können die Entwickler in Zu-        fehleranfällig macht. „Neben der Automati-
kunft auch Virtual und Augmented Reality ein-      sierung der Datenübertragung ist das Ma-                             Die drei Schwerpunkte Physik, Geometrie und
setzen, um Informationen besser sichtbar zu        nagement der Komplexität, die sich durch die                         Daten sind dabei in ständiger Interaktion.
machen.                                            Änderungen und die große Zahl der Fahr-                              „Wichtig ist aber, dass wir unsere Arbeit mit al-
                                                   zeugvarianten ergibt, die große Herausforde-                         len am Entwicklungsprozess des Fahrzeugs
Große Bedeutung für den neuen Ansatz hat ein       rung“, erklärt Berg.                                                 beteiligten Gewerken verzahnen, also unter an-
durchgängiges Datenmanagement, das den                                                                                  derem mit der Entwicklung von Steuergeräten,
gesamten Wertschöpfungsprozess umfasst             Dimension Daten: aus Daten                                           deren Funktionen sowie der Applikation“, be-
und das Einpflegen von Änderungen erleich-         Wissen generieren                                                    tont Berg. „Nur dann können wir das maxima-
                                                                                                                        le Potenzial hinsichtlich der Kosten- und Zeit-
                                                   Erfolgen Auslegung und Validierung auf Basis                         ersparnis ausnutzen.“
                                                   physikalischer und geometrischer Modelle,
                                                   sprechen IAV-Entwickler vom „virtuellen Zwil-                        „Trinity“ eignet sich für viele
                                                   ling“ – er ist also modellgetrieben. Der „digita-                    Baugruppen und Systeme
                                                   le Zwilling“ umfasst eine weitere Dimension: Re-
                                                   aldaten aus Entwicklung, Produktion und Nut-                         Ein Kernteam von Mitarbeitern aus verschie-
                                                   zung. Er ist darum datengetrieben. Die Daten                         denen Gewerken – darunter Konstruktion, Be-
                                                   stammen unter anderem aus Prüfstandsver-                             rechnung, Simulation, Versuch und Daten-
                                                   suchen, Flottenerprobung, der Fertigung,                             management – treibt das „Trinity“-Projekt bei
                                                   Werkstattberichten und Kundenfeedback. „Es                           IAV voran. Es arbeitet nach der Scrum-Me-
                                                   geht darum, Daten längs der gesamten Wert-                           thode mit wöchentlichen Sprints. „Die fachli-
                                                   schöpfungskette zu erfassen, miteinander zu                          che Arbeit machen die Experten der jeweiligen
                                                   vernetzen, für die Nutzung aufzubereiten und                         Gewerke“, so Berg. „Sie unterstützen uns da-
                                                   dann zur Problemlösung bzw. für neue Ent-                            bei, die Methodik weiterzuentwickeln.“ Ein un-
                                                   wicklungsaufgaben verfügbar zu machen“, er-                          ternehmensweites Engagement, das sich
                                                   klärt Berg. „Aufgabe ist es also, aus Daten neu-                     lohnt: „Trinity“ bildet künftig die Entwicklung al-
                                                   es Wissen zu generieren.“                                            ler Komponenten und Systeme des Power-
                                                                                                                        trains ab.
                                                   Neben dem Wissen der IAV-Experten spielen
                                                   hier Methoden der künstlichen Intelligenz eine                       Kontakt:
                                                   wichtige Rolle, zum Beispiel Assoziations- und                       michael.berg@iav.de
14   Fokusthema | automotion

Autonomes Fahren: eine neue Heraus
Lösungsansätze zur Beherrschung der hohen Projektkomplexität bei der
Entwicklung von automatisierten Fahrsystemen
automotion | Fokusthema            15

forderung für vernetztes Arbeiten

  D
          as Ziel, hochautomatisiert fahren zu    richten Timm Kellermann, Geschäftsführer            ACC-System als Stand-alone-Funktion bila-
          können, führt zu tief greifenden Ver-   von Consulting4Drive, dem Beratungsun-              teral zwischen Hersteller und Zulieferer ent-
          änderungen in der Automobilbran-        ternehmen der IAV-Gruppe, und Dr. Michael           wickelt. Ab Level 3 besteht die Projektaufga-
  che. Das gilt nicht nur für die Automobil-      Gröschel, Projektleiter und Wirtschaftsme-          be in der Entwicklung eines Gesamtsystems
  technik in Soft- und Hardware, sondern auch     diator bei IAV, über ihre Projekterfahrungen        statt einer einzelnen Funktion. Der Reifegrad
  für das Projektmanagement während der           und zeigen Optimierungspotenziale im Ent-           der erforderlichen Systeme und Technologien
  Entwicklung. Im automotion-Interview be-        wicklungsprozess auf.                               ist noch nicht sehr hoch, sodass sich intensive
                                                                                                      Wechselwirkungen zwischen Sensoren, tech-
                                                  Projektmanagement in der Entwicklung –              nischer Architektur und Software-Entwicklung
                                                  ist das 2019 wirklich noch eine Herausfor-          ergeben. Im Zuge der Integration führt der
                                                  derung?                                             hohe Vernetzungsgrad im Fahrzeug dabei
                                                                                                      häufig zu Abhängigkeiten, die sehr spät im Ent-
                                                  Timm Kellermann: Bei der Beantwortung die-          wicklungsprozess umfangreiche Hardware-
                                                  ser Frage werden wir in der Automobilindus-         und Softwareänderungen in den Teilsystemen
                                                  trie gerade ein wenig demütiger, als wir es viel-   erfordern, um die Summe der Kundenanfor-
                                                  leicht vor fünf Jahren waren. Richtig ist: Alle     derungen an das Gesamtsystem zu erfüllen.
                                                  Hersteller, mit denen wir zusammenarbeiten,         Sie können sich vorstellen, dass in solchen Si-
                                                  kennzeichnet im Bereich der Fahrerassistenz         tuationen die Komplexität des entsprechen-
                                                  eine sehr hohe Reife bezüglich der Planung,         den Entwicklungs- und Absicherungspro-
                                                  Führung und Umsetzung von Fahrzeug-Ent-             zesses massiv steigt. Parallel nimmt der Zeit-
                                                  wicklungsprojekten – das betrifft sowohl Hard-       druck zu, es müssen also in immer kürzerer Zeit
                                                  ware als auch automobile Software. Jedoch           immer komplexere Aufgaben in zunehmend
                                                  sehen wir bei der Entwicklung von hoch au-          verteilten Projektteams gelöst werden.
                                                  tomatisierten Fahrsystemen aktuell dennoch
                                                  fast jedes Projekt in einer Krise. Es hat sich      Kellermann: Die Symptomkette kennen wir gut:
                                                  nicht bestätigt, dass die Ursache hierfür man-      Zu Beginn des Projekts lassen sich Anforde-
                                                  gelnde Stringenz oder Disziplin in der Pro-         rungen nicht ausreichend vollständig und de-
                                                  jektleitung ist. Vielmehr zeichnet sich ab, dass    tailliert beschreiben, was zu erheblichen Pro-
                                                  Automated-Driving-Entwicklungsprojekte des          blemen sowohl in der Entwicklung als auch bei
                                                  Level 3 oder höher eine neue, eigene Kate-          Test und Absicherung bis hin zur Fehlerbe-
                                                  gorie von Projektsteuerungsproblemen dar-           hebung im Feld führt. Diese Lücken sind al-
                                                  stellen. An einem solchen Projekt arbeiten zum      lerdings auch hier in der Regel nicht Mangel an
                                                  Teil sieben Firmen mit mehr als 700 Personen,       Disziplin, sondern Mangel an Erkenntnis und
                                                  an mehr als 20 Standorten und in drei Zeit-         Wissen: Mit ADAS-Level 3 und höher betreten
                                                  zonen. Diese Personen stammen aus mehr als          wir – wenn wir ehrlich sind – unerwartet mehr
                                                  30 Ländern. Die Fragmentierung entsteht             Neuland als bekanntes Territorium. Die Ent-
                                                  durch die umfangreichen neuen Kompetenzen           wicklung von hoch automatisierten Fahrsys-
                                                  und die Vielzahl der Partner und Domänen, die       temen ist Stand heute somit noch vornehm-
                                                  für diese Art von Entwicklung benötigt werden.      lich eine Suche nach neuer Effektivität. Dies ist
                                                  Dies allein erklärt aber nicht die in den Pro-      auch der Grund, warum agil-iterative und MVP
                                                  jekten auftretenden Herausforderungen.              (Minimum Viable Product) basierende Vor-
                                                                                                      gehensweisen so hoch im Kurs stehen: sie
                                                  Worin liegen die weiteren Ursachen?                 sind Methoden aus der Effektivitätswelt. Un-
                                                                                                      sere wichtigsten Methoden aus der bisherigen
                                                  Dr. Michael Gröschel: Branchenweit geht die         automobilen Effizienzwelt sind der sequenzielle
                                                  Entwicklung von Assistenzsystemen in eine           Produktentstehungsprozess (PEP) und der
                                                  neue Phase. Bis dato wurden einzelne Pro-           Fahrzeug- bzw. Feature-Business-Case. So-
                                                  dukte wie ein Spurhalteassistent oder ein           mit stoßen aktuelle AD-Projekte an eine grund-
16    Fokusthema | automotion

sätzliche Komplexitätsgrenze, die mit den
bisherigen Werkzeugen und Vorgehensmo-
dellen im Projekt nicht mehr zum gewohnten
Erfolg geführt werden können.

Dr. Gröschel: Weitere Herausforderungen in
der Projektbearbeitung ergeben sich für uns
dabei insbesondere durch unterschiedliche
Kommunikations-, Umsetzungs- und Ar-
beitskulturen aufgrund regionaler Prägungen
und branchenspezifischer Sichtweisen. Re-
gionale Unterschiede erleben wir etwa bei der
Projektumsetzung im Team. In Asien hat für
den Zulieferer die gemeinsame Zielerreichung
in einer auf einem tiefem Vertrauensverhältnis
fußenden Zusammenarbeit höchste Priorität,
während man sich in Europa vorrangig an vor-
definierten Lastenheftanforderungen in ei-
nem starren Vertragsverhältnis orientiert.

Branchenspezifische Diskrepanzen gibt es
beispielsweise in der Umsetzung cloudba-
sierter Funktionen zwischen der Automobil-
                                                    Timm Kellermann, Geschäftsführer von Consulting4Drive
und der IT-Welt, welche sich durch eine we-
sentlich höhere Entwicklungsgeschwindig-
keit auszeichnet. Letztere erfordert eine hö-       Herstellern zudem viel Verantwortung hin-             gesordnung und werden kurzfristig durch-
here Fehlertoleranz im Entwicklungsprozess,         sichtlich der Entwicklung wie auch der Absi-          geführt. In der Systementwicklung hochau-
die beispielsweise im Smartphone-Bereich            cherung von Fahrerassistenzfunktionen auf die         tomatisierter Fahrfunktionen stoßen damit
durch die Möglichkeit eines Software-Up-            Zulieferer übertragen. Durch den hohen Ver-           durch den hohen Innovationsgrad und die er-
dates im späteren Betrieb ausgeglichen wird.        netzungsgrad automatisierter Fahrzeuge ist            wähnte enge Kopplung zwischen Hard- und
Der Bereich des hochautomatisierten Fahrens         dieser Trend derzeit jedoch gerade umzu-              Software zwei Denkkulturen unter hohem
hingegen zeichnet sich durch sicherheitskri-        kehren, da ein System selten ausschließlich           Projektdruck aufeinander, die beide für sich ihre
tische und zugleich hochinnovative Produkte         von einem Zulieferer vollumfänglich bereit-           Berechtigung haben.
aus, die eine enge Kopplung der Hardware-           gestellt werden kann.
und Software-Entwicklung bei Steuergeräten                                                                Und die Auswirkungen auf die Entwick-
und Sensorik erfordern. Oftmals erleben wir,        Dr. Gröschel: Damit einhergehend erfordern            lungsprojekte?
dass die Projektpartner zwar gleiche oder           die aktuellen Projekte bei den Herstellern we-
ganz ähnliche Begriffe nutzen, diese aber mit        sentlich höhere Aufwände zur Systement-               Dr. Gröschel: Als Projektpartner merkt man in
ganz anderen Inhalten füllen. Spannungen im         wicklung, Integration und Absicherung und es          der Regel sehr schnell, wenn es im Team
Projektteam und Probleme bei der Projekt-           ergeben sich weit umfangreichere Anforde-             nicht optimal läuft. Das äußert sich unter an-
umsetzung sind damit vorprogrammiert.               rungen an die Kommunikation und das Infor-            derem durch zeitlichen Verzug im Projektver-
                                                    mationsmanagement zwischen den Projekt-               lauf und beim Meilensteinreporting sowie
Warum treten die Probleme nun so deutlich           teams.                                                durch zu spät erkannte Funktionsdefizite, die
zutage?                                                                                                   aufwendige Hardware-Änderungen erforder-
                                                    Darüber hinaus nimmt die Software einen               lich machen.
Kellermann: Weil wir seit Jahren erfolgreich        immer größeren Stellenwert bei der Entwick-
Fahrassistenzsysteme entwickeln, scheint            lungsleistung ein. Waren es bei Level-2-Pro-          Kellermann: Beim Projektmanagement erleben
uns der Schritt von Level 2 zu Level 3 ein klei-    jekten noch 60 Prozent Soft- und 40 Prozent           wir einen sprunghaft ansteigenden Steue-
ner, systematischer Schritt zu sein. Mittlerweile   Hardware, sind es bei Level-3-Funktionen              rungs- und Transparenzbedarf, um die vielen
bin ich der Überzeugung, dass genau das Ge-         bereits 80 Prozent Software, mit steigender           Teammitglieder zu koordinieren und auf dem
genteil der Fall ist. An dieser Stelle wird eine    Tendenz. In der Hardware-Entwicklung benö-            Stand der neuesten Informationen zu halten.
fundamentale Grenze in unserem automobi-            tigt man Zeit zur Darstellung robuster Lösun-         Ansonsten droht das Projekt aus dem sprich-
len Geschäftsmodell überschritten: Bis Level        gen, wodurch frühe Festlegungen hinsichtlich          wörtlichen Ruder zu laufen.
2 ist allein der Fahrer für den sicheren Betrieb    Architektur und Performance erforderlich
des Fahrzeugs verantwortlich. Ab Level 3            sind. Allerdings dreht sich in dieser Zeit die Welt   Welche Gegenmaßnahmen ergreifen Sie?
übernimmt der Hersteller zeitweise die Ver-         weiter, und oftmals erkennt man erst im Lau-
antwortung für den sicheren Betrieb des             fe des Projekts, dass die Hardware nicht mehr         Dr. Gröschel: Im aktuellen Projekt haben wir ge-
Fahrzeugs. Damit müssen de facto viele He-          den aktuellen Anforderungen gerecht wird.             merkt, dass die auftretenden Probleme nicht
rausforderungen des vollautomatisierten Fah-        Demgegenüber verläuft die Software-Ent-               durch eine reine Kapazitätserhöhung auf der
rens höherer Level bereits heute adressiert         wicklung sehr viel dynamischer, Änderungen            Engineeringseite gelöst werden konnten.
werden. In den letzten Jahren wurde von den         – auch substanzieller Art – sind an der Ta-           Durch einen intensiven Kundenkontakt wurde
automotion | Fokusthema              17

                                                                                                     trauensbeziehung in Asien. Darüber hinaus er-
                                                                                                     möglichte der Aufbau einer intensiven Kun-
                                                                                                     denbeziehung auf Managementebene im
                                                                                                     Rahmen des Consultings durch Consul-
                                                                                                     ting4Drive auch unserem Projektteam bei
                                                                                                     IAV, seitens des Engineerings eine neue Stu-
                                                                                                     fe in der Projektbearbeitung mit dem Kunden
                                                                                                     zu erreichen.

                                                                                                     Fokussiert sich das Problem auf Projekte des
                                                                                                     automatisierten Fahrens?

                                                                                                     Kellermann: Wir glauben, dass dies nicht der
                                                                                                     Fall ist. Die wesentliche Charakteristik der
                                                                                                     angesprochenen Projekte besteht in einem
                                                                                                     hohen Technologie- und Innovationsgrad,
                                                                                                     daher sind die Herausforderungen im Umfeld
                                                                                                     des hochautomatisierten Fahrens lediglich zu-
                                                                                                     erst zutage getreten. Die Probleme sind jedoch
                                                                                                     grundsätzlicher Natur und ergeben sich aus
                                                                                                     der Transformation der Automobilwelt durch
                                                                                                     die Digitalisierung. Für mich ist das nur die Vor-
                                                                                                     stufe zur endgültigen Komplexität, die sich aus
Dr. Michael Gröschel, Projektleiter und Wirtschaftsmediator bei IAV
                                                                                                     den neuen Mobilitätskonzepten der „Smart
                                                                                                     Mobility“ ergibt. Dort müssen dann Digitalbe-
in der Diskussion immer deutlicher, dass pa-      Simulationsumgebungen und Prüfständen.             reich, Automobilbereich und Infrastrukturan-
rallel zur Technik auch das Zusammenar-           Ein wichtiger Eckpfeiler unseres Projektma-        bieter mit ihren stark unterschiedlichen Ent-
beitsmodell der Projektpartner angepasst          nagements an der Schnittstelle zu den Zulie-       wicklungs- und Innovationsgeschwindigkeiten
werden muss. Gemeinsam mit Consul-                ferern ist die sogenannte Joint-Operations-        zusammengebracht – synchronisiert – werden.
ting4Drive haben wir daraufhin zunächst eine      Plattform. Mithilfe des Toolings können die Pro-
weit über den üblichen Umfang hinausge-           jektpartner beispielsweise sämtliche Infor-        Dr. Gröschel: Überall dort, wo unterschiedliche
hende Analyse der Gesamtsituation durch-          mationen zentral ablegen und austauschen,          Technologiebereiche und verschiedene in-
geführt und die zu Beginn beschriebenen           miteinander kommunizieren oder Termine             ternationale Standorte zusammenarbeiten,
Herausforderungen identifiziert.                   und Status des Gesamtprojekts und der Teil-        werden die beschriebenen neuen Ansätze nö-
                                                  projekte einsehen. Das sorgt für Transparenz       tig sein, um strukturiert Lösungen entwickeln
Kellermann: Um eine nachhaltige Verbesse-         und damit Klarheit über den Projektverlauf. Da-    zu können. Wir haben in Kooperation mit
rung im Projekt zu erzielen, haben wir einen      rüber hinaus werden ein ständiges Monitoring       Consulting4Drive ein Vorgehensmodell für
neuen Lösungsbaukasten erarbeitet. Er teilt       der Meilensteinziele und eine straffe Steuerung     vernetztes Arbeiten, Informationstransfer un-
sich auf in Management-Consulting, techni-        des Projekts ermöglicht.                           ter den Entwicklerteams sowie neue Formen
sche Beratung, operatives Engineering und ein                                                        der Zusammenarbeit auf Basis eines Ver-
erweitertes Projektmanagement an den              Dr. Gröschel: Um intern im Tagesgeschäft eine      ständnisses der Verschiedenartigkeit der be-
Schnittstellen der Projektpartner. Beim Ma-       übergreifende Koordination der aus dem Lö-         teiligten Partner entwickelt und bieten damit
nagement-Consulting geht es darum, die            sungsbaukasten abgeleiteten Projekte ge-           eine wesentliche Schlüsselkomponente er-
Projektpartner schon im Vorfeld auf die Kom-      währleisten zu können, wurde eine Pro-             folgreicher Mobilitätsprojekte an.
plexität des Projekts vorzubereiten und ihnen     grammstruktur als Klammer um die breit ge-
deutlich zu machen, dass unterschiedliche         fächerten Aktivitäten entwickelt. In der Pro-      Kellermann: Noch ein Gedanke zum Schluss:
Sichtweisen und Herangehensweisen eine ge-        grammstruktur werden die verschiedenen             In der Welt des digitalen IT-Bereichs gibt es
wollte Bereicherung und nicht kontraproduk-       Fragestellungen des Gesamtvorhabens in             einen Wettbewerbsvorteil, der uns in der
tiv für das Projekt sind. Auch führen Versuche,   einzelne Projekte mit eigener Verantwortung        Automobilbranche aktuell sehr intensiv
die Anforderungen bereits zu Projektbeginn zu     aufgeteilt. Das Programm-Management ver-           beschäftigt: hohe Lerngeschwindigkeit, auf
fixieren, nicht zum gewünschten Erfolg.            antwortet als übergeordnete Instanz nur das        Neudeutsch „speed of learning“. Wir glau-
                                                  Zusammenspiel der Projekte, aber nicht deren       ben, dass dieser Faktor auch für die Entwick-
Bei der technischen Beratung bringen wir die      Einzelerfolg. Die aus dieser Struktur resultie-    lung von automatisierten Fahrsystemen we-
IAV-Kompetenz beispielsweise bei der Frage        rende verteilte Verantwortung spiegelt die         sentlichen Einfluss auf den Erfolg am Markt
ein, welche System- oder Technologiearchi-        Charakteristik der zu entwickelnden Systeme        und damit die Profitabilität haben wird.
tektur für die vorliegende Aufgabenstellung am    sehr gut wieder und ist somit ein entschei-
besten geeignet ist. Das operative Enginee-       dender Erfolgsfaktor. Wesentlich waren hier-       Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.
ring umfasst ein systematisches Anforde-          bei gerade im internationalen Kontext das Ver-
rungsmanagement, das Testing und die Ab-          stehen und Reagieren auf die kulturellen Be-       Kontakt:
sicherung der im Projekt entwickelten Hard-       sonderheiten der Projektpartner wie bei-           t.kellermann@consulting4drive.com
ware- und Software-Systeme mit IAV-eigenen        spielsweise der Aufbau einer starken Ver-          michael.groeschel@iav.de
18   Fokusthema | automotion

Virtual und Augmented Reality
in der HMI-Entwicklung
Die komplette IAV-Lösungskette macht Aussehen und Funktionen
frühzeitig erlebbar

D
         ie Benutzerschnittstelle im Fahr-     renbrettes und Head-up-Displays projizie-       So können IAV-Kunden schon in der Konzept-
         zeug wird als Differenzierungs-       ren Informationen direkt auf die Wind-          phase die Dynamik der Benutzerschnittstelle er-
         merkmal immer wichtiger – und zu-     schutzscheibe – natürlich perspektivisch        leben und wichtige Fragen beantworten: Wie
nehmend komplexer. IAV setzt darum auf vir-    korrekt und genau dorthin, wo beispiels-        kann beispielsweise die Anzeige auf der Wind-
tuelle HMI-Entwicklung: Kunden können          weise gerade eine Gefahr droht: Moderne         schutzscheibe aussehen? Wie gut ist die Pro-
das Design und die Funktionen frühzeitig er-   Benutzerschnittstellen bieten faszinierende     jektion? So lassen sich Konzepte schnell be-
leben, Fahrsituationen abfahren und auf        Möglichkeiten. „Zugleich wird das Thema         werten und rechtzeitig verändern oder ver-
dieser Grundlage fundierte Entscheidungen      immer komplexer“, berichtet Dr. Marcus          werfen. „Wir wollen so weit wie möglich weg von
treffen. Hardware-Prototypen spielen hier      Heinath, Abteilungsleiter UX, HMI und Kom-      Hardware-Prototypen und mithilfe von virtuel-
erst am Ende der Entwicklung noch eine         biinstrumente bei IAV. „Darum setzen wir seit   len Modellen fundierte Entscheidungen treffen“,
Rolle.                                         Jahren im Entwicklungsprozess frühzeitig        so Heinath. „Dazu fahren wir mittels Virtual und
                                               auf Virtual Reality, um die Möglichkeiten       Augmented Reality mit unseren Kunden ganze
Anzeigen wachsen zusammen, Displays er-        und Limitierungen der aktuellen Technik         Szenarien ab – egal ob in der Stadt, auf dem
strecken sich über große Teile des Armatu-     aufzuzeigen.“                                   Land oder auf der Autobahn.“
automotion | Fokusthema          19

Mit der AR-Brille im Fahrsimulator                 rüber hinaus über einen Fahrsimulator mit           neben der engen Zusammenarbeit mit den In-
                                                   Sitzkiste. In dem können die Probanden selbst       terieurexperten von IAV die komplette Lö-
Dafür steht bei IAV eine ganze Bibliothek von      „fahren“ und über eine Augmented-Reality-           sungskette hervor: Seine Abteilung kann eine
virtuellen Touren zur Verfügung. Andere Ver-       Brille beispielsweise die Inhalte eines Head-       HMI-Entwicklung von der ersten Idee über das
kehrsteilnehmer und typische Szenarien             up-Displays sehen.                                  Design und die AR-/VR-gestützte Entschei-
– etwa eine nicht gewährte Vorfahrt – lassen                                                           dungsfindung bis hin zum Prototypenaufbau in
sich beliebig modellieren. Voraussetzung für die   „Mit diesen virtuellen Methoden haben wir in den    der Endphase begleiten sowie mittels Proban-
virtuelle Entscheidungsfindung ist ein 3-D-Mo-     vergangenen Jahren schon viele Projekte er-         dentests über alle Phasen absichern.
dells des Interieurs sowie der HMI-Kompo-          folgreich durchgeführt“, berichtet Heinath. „Wir
nenten, die entweder den realen späteren           können darum sehr gut einschätzen, was geht         Kontakt:
Innenraum oder eine neutrale Umgebung              und was sinnvoll ist. Wichtig ist, dass man immer   marcus.heinath@iav.de
zeigen können – zum Beispiel für Tests mit         die Begrenzungen der Technik im Auge behält
Probanden, die das HMI bewerten sollen. Im         – ohne dass die Kreativität darunter leidet.“ Als
Entwicklungszentrum Gifhorn verfügt IAV da-        besonderen Mehrwert für seine Kunden hebt er
20   Fokusthema | automotion

Erfolgsfaktor Inner Sourcing
Neue Prozesse und eine offene Kommunikation: Die Software-Entwicklung lernt von
der Open-Source-Welt

Prof. Dr. Dirk Riehle, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, und Markus Blonn, Leiter des „Netzwerks Software“ bei IAV
automotion | Fokusthema             21

S
       eit Jahren ist die Software-Entwick-         aufgespielt. Von diesem „Continuous Deploy-        greifend zu entwickeln und unternehmensweit
       lung im Automobilbereich stark im            ment“ können auch Unternehmen wie IAV ler-         zur Verfügung zu stellen. Das ist auch die
       Wandel begriffen. Markus Blonn leitet         nen, und es kann ihnen dabei helfen, langfris-     Aufgabe des „Netzwerks Software“ bei IAV: Wir
bei IAV das „Netzwerk Software“ und will            tig wettbewerbsfähig zu bleiben.                   wollen einen kulturellen Wandel vorantreiben.
das Unternehmen als Software-Lieferanten
noch besser positionieren. Im automotion-In-        Blonn: Hier sind wir schon auf einem guten         Wie sieht die neue Welt der Software-Ent-
terview diskutiert er mit Prof. Dr. Dirk Riehle     Weg, denn das Thema ist auch für uns wich-         wicklung denn aus?
von der Friedrich-Alexander-Universität Er-         tig – zum Beispiel, um bei Sicherheitsproble-
langen-Nürnberg über neue Anforderungen             men schnell Patches ausliefern zu können. Be-      Prof. Riehle: Open Source bietet ein großes Ex-
und Prozesse sowie die Rolle von Open-              reits heute praktizieren wir „Continuous Inte-     perimentierfeld für neue Software-Entwick-
Source-Software für das Automotive Engi-            gration“: Wir bauen und testen Software kon-       lungsprozesse. Dabei geht es zum Beispiel um
neering.                                            tinuierlich. Continuous Deployment ist dann die    andere Formen der Kommunikation: Offenheit
                                                    logische Fortsetzung, und wir werden in Zu-        ist hier besonders wichtig, und niemand darf
Software spielt in der Automobilbranche             kunft auch dafür einen serienreifen Prozess auf-   durch überkommene Machtstrukturen aus-
eine immer wichtigere Rolle. Wie ist IAV hier       bauen.                                             geschlossen werden. Davon profitieren Un-
aufgestellt?                                                                                           ternehmen beim Inner Sourcing, indem sie Si-
                                                    Open Source-Software ist ein weiteres ak-          los aufbrechen – denn heute verstecken Ge-
Markus Blonn: Natürlich entwickeln wir wei-         tuelles Thema. Wie wichtig ist es für die Au-      schäftseinheiten gerne noch ihre Quellco-
terhin viel Software für klassische Steuergeräte.   tomobilindustrie?                                  des vor anderen Abteilungen, sodass vieles re-
Aber seit Jahren gibt es einen Trend hin zu                                                            dundant entwickelt wird. Das ist durch die
High-Performance-Computing im Fahrzeug.             Prof. Riehle: Viele Unternehmen unterscheiden      neue Form der Zusammenarbeit nicht mehr
Für die neuen Domänencontroller – etwa für          heute sehr genau, was ihre Kernkompetenz ist       möglich. Sie macht die Software-Entwicklung
Fahrerassistenzsysteme, Infotainment sowie          und was nicht. Folglich nutzen sie vermehrt ex-    effizienter und führt zu besseren Ergebnissen.
Antrieb und Fahrwerk – brauchen wir andere          terne Software-Module – und zwar nicht aus-
Kompetenzen, wie zum Beispiel bei der Soft-         schließlich von klassischen Lieferanten, son-      Im Projekt AMOS arbeitet IAV mit der Fried-
ware-Architektur: Heute müssen wir 40 bis 50        dern auch aus der Open-Source-Welt. Diese          rich-Alexander-Universität Erlangen-Nürn-
Funktionen auf einem einzigen Steuergerät un-       sind kostenlos, erfordern aber ein gewisses En-    berg zusammen. Was verbirgt sich dahinter?
terbringen. Das ist eine anspruchsvolle Inte-       gagement aufseiten des Nutzers. Er muss
grationsaufgabe und eine neue Rolle für einen       die Projekte zumindest genau beobachten            Prof. Riehle: Die Abkürzung steht für „Agile Me-
Entwicklungspartner wie IAV. Manche neuen           und sollte – wenn die Komponente wichtig ist –     thoden und Open Source“. Unternehmen kön-
Funktionen erfordern auch Software-Lösun-           auch aktiv dazu beitragen. Dazu müssen aber        nen den Studenten Aufgaben stellen, die sie
gen aus einer Hand – wenn etwa rechenin-            neue Kompetenzen aufgebaut werden.                 in agilen Teams innerhalb eines Semesters um-
tensive Teile auf dem Backend oder in einer                                                            setzen. Das macht die Lehre viel attraktiver, weil
Cloud laufen, sodass man dafür verschiedene         Haben Sie keine Sicherheitsbedenken?               es um reale Aufgaben geht, die außerdem im
Module entwickeln muss. Außerdem sind                                                                  Team angegangen werden. IAV ist wirklich ein
durch Updates „over the air“ neue Ge-               Prof. Riehle: Nein, denn einerseits ist die Qua-   toller Partner für uns: Das Unternehmen ist in
schäftsmodelle möglich. Wir können uns gut          lität der Open-Source-Projekte inzwischen          der Software-Entwicklung sehr erfahren und
vorstellen, in Zukunft zum Produktlieferanten       sehr hoch. Viele Unternehmen bezahlen ja pro-      stellt realistische Aufgaben.
zu werden und spezielle Funktionen zum              fessionelle Entwickler, um sich daran zu be-
Download anzubieten. Um all das umsetzen zu         teiligen. Und andererseits gilt: Je mehr Augen     Blonn: Für uns ist das auch eine hervorragende
können, qualifizieren wir unsere rund 1.000         den offenen Quellcode begutachten, desto           Möglichkeit, neue Ideen umzusetzen, für die wir
Software-Entwickler ständig weiter, zum Bei-        schneller lassen sich Fehler finden. Aus diesem    selbst keine Kapazitäten haben. Bisher haben
spiel in den Bereichen Software-Engineering,        Grund wird Open-Source-Software heute bei-         wir drei Themen platziert, unter anderem das
-Architektur und -Requirement-Analyse.              spielsweise bereits in Infotainment-Stacks         Side Window Entertainment. Die Ergebnisse
                                                    von Autos eingesetzt. Dabei können 80 Pro-         betrachten wir als eine Art Kristallisationspunkt:
Wie verändern sich die Prozesse in der Soft-        zent des Codes quelloffen sein, während der        Auf ihrer Grundlage können wir die Ideen ge-
ware-Entwicklung?                                   OEM den Rest selbst entwickelt und die Soft-       gebenenfalls weiterentwickeln. Daneben ist
                                                    ware zum Beispiel an sein Branding anpasst.        AMOS eine sehr gute Möglichkeit für Studen-
Prof. Dr. Dirk Riehle: Sie werden viel schneller.                                                      ten und IAV, einander früh kennenzulernen.
Das sehen wir heute schon bei Unternehmen           Wie nutzt IAV Open-Source-Software?
wie Amazon, Google oder Netflix: Sobald die                                                            Vielen Dank für das Gespräch!
Software-Entwicklung nicht mehr an eine             Blonn: Wir nutzen derzeit vor allem Open-
spezielle Hardware gebunden ist, reduzieren         Source-Methoden für die interne Software-          Kontakt:
sich die Entwicklungszeiten dramatisch. Teil-       Entwicklung. Bei diesem „Inner Sourcing“ geht      markus.blonn@iav.de
weise werden im Minutentakt neue Funktionen         es darum, Software-Module bereichsüber-            dirk.riehle@fau.de
Sie können auch lesen