Aus der Rille George Gruntz - Ein Beitrag von Thomas König

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Aus der Rille
George Gruntz
Ein Beitrag von Thomas König

Nomen est omen! Oder wenn                    Orden schmücken den Weg von                  war. Die Arbeiterfamilie Gruntz presste
ein Pianist, Komponist, Band-                George Gruntz in der zweiten Hälfte          George in eine Maschinenzeichnerleh-
leader, Leiter, Lehrer oder ein-             des letzten Jahrhunderts, vom zweit-         re, schliesslich sollte man einen anstän-
fach Musikmacher und -orga-                  höchsten Orden der Bundesrepublik            digen Beruf erlernen, war die einstim-
nisator seit mehr als 50 Jahren              Deutschland bis zum Kulturpreis seines       mig familiäre Meinung. Die schloss er
der ganzen Welt zeigt, dass                  Wohnkantons, dem Baselbiet, welchen          1951 auch mit besonderer Anerken-
die Schweiz mehr zu bieten hat               er 1994 erhielt.                             nung ab, aber eigentlich lebte er zu die-
als Milch, Kühe, Schokolade,                                                              ser Zeit für das Klavier und dessen Un-
Berge, Uhren und Banken…                                                                  terricht, den er sich beim bekannten Leh-
                                                                                          rer am Basler Konservatorium, Eduard
                                                                                          Henneberger, leisten konnte. So wurde
                                                                                          das «Wohltemperierte Klavier» zum
                                                                                          Pflichtstudium des jungen George, der
                                                                                          zu jener Zeit primär seinem Vorbild Bud
                                                                                          Powell nachzueifern trachtete, aber mit
                                                                                          klassischen Mitteln seine Technik ver-
                                                                                          bessern wollte und konnte.

                                                                                              Auch die Berufslehre machte ihm
                                                                                          durchaus Spass, aber es waren vor al-
                                                                                          lem auch Lebenserfahrungen, wie zum
                                                                                          Beispiel Ausflüge nach Paris, welche
                                                                                          den jungen Maschinenzeichner faszi-
                                                                                          nierten und sowohl menschlich wie mu-
                                                                                          sikalisch weiter brachten. Da konnte er
MPS 21 22188-1                               George Gruntz: Als weisser Neger geboren
                                             – Ein Leben für den Jazz                     sowohl bei einer Jamsession einsteigen
                                             ISBN 3-9522460-1-8                           und mitmachen, wie auch im Pigalle
Vieles tun und doch nur etwas                                                             die Bekanntschaft mit liebeserfahrenen
wollen                                       Wenn der Anfang nicht nur                    Damen machen…
                                             schwer ist, sondern zu einer
    Fast ein Vierteljahrhundert hat er die   Frage der Existenz wird.                         Wieder zurück am Rheinknie spielte
«Berliner Jazztage» geleitet und dem ur-                                                  George in vielen lokalen Bands. Teil-
sprünglich traditionellen Jazz neue Im-           1932 wird George Gruntz in eine         weise wurden diese Konzerte sogar auf
pulse vom Freejazz bis zur Weltmusik         Baselbieter Familie mit elsässischer Ab-     einem Dynavoxgerät aufgezeichnet,
gegeben. Er gründete zusammen mit            stammung geboren. Ein Einzelkind mit         das sich sein Vater, der nach wie vor als
Vater und Sohn Flavio und Franco Am-         dem klassischen Werdegang der                Amateurmusiker aktiv war, zugelegt hat-
brosetti vor bald vierzig Jahren eine der    Schweizer Zwischenweltkriegsgenerati-        te. Dieses Gerät war ein Vorläufer des
erfolgreichsten Jazz-Grossformationen,       on schien nahe der Stadt Basel aufzu-        Tonbandgerätes und funktionierte mit ei-
die «George Gruntz Concert Jazz              blühen, mit Engagement in Jugend-            nem Stahldraht als Aufzeichnungsquel-
Band» (GG-CJB), die als erste Jazzband       gruppen in der «Jungwacht» und unauf-        le. Tanzmusik wurde in dieser Zeit noch
durch China tourte. Er erhielt die Aus-      fälliger Schulzeit. Wenn da nicht die        an vielen Orten live gespielt. Das war
zeichnung als «bester europäischer           Musik gewesen wäre, welche den jun-          die Chance für George, seinen Lohn als
Jazzkomponist» und leitete anfangs der       gen George von Anfang an faszinierte,        Elektromaschinenzeichner etwas aufzu-
90er-Jahre am Jazzfestival Montreux die      wäre George wohl nicht speziell auf-         polieren und vor allem auch weitere mu-
Bigband mit Quincy Jones, welche die         gefallen. In der Familie Gruntz gab es       sikalische Erfahrungen zu sammeln. In
Arrangements von Gil Evans ein letztes       Hausmusik, wobei der junge George            diese Zeit fällt sein Arrangement des
Mal mit Miles Davis aufführen konnte.        bald begann, die übrigen Bandmitglie-        Schweizer Volksliedes «La haut sur la
Zusammen mit Allen Ginsberg schrieb          der zu mehr Engagement und rhythmi-          Montagne» welches später auf der LP
er die erste ausschliesslich von Jazzmu-     scher Vielfältigkeit zu drängen. Die         EMI «1935–1965 – 30 Jahre Jazz in
sikern interpretierte Jazzoper. Auch sei-    konnten seinen Anliegen bald nicht           Switzerland» als erstes Tondokument
ne spätere Oper «The Magic of a Flu-         mehr folgen. Er wollte auch nicht weiter     von George Gruntz auf Schallplatte er-
te» welche soviel und doch so wenig          den für sein Empfinden langweiligen          schien. Kurz darauf musste er nach
mit Mozarts Zauberflöte gemeinsam            Klavierunterricht besuchen. Er selbst hat-   Bierre zur Artillerie in die Rekrutenschu-
hat, wurde zu einem musikkulturellen Er-     te zuerst Akkordeon zu spielen, da das       le. Aber da starb leider auch viel zu früh
eignis in Europa. Unzählige Preise und       Piano in der Hausband bereits besetzt        seine Mutter, die alle Energie in den

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George Gruntz

Kauf eines kleinen Einfamilienhäuschens      Herren war George Wein, der Initiator        erst 1991 machten sie in Montreux erst-
gesteckt hatte. Der Vater fiel aus seiner    des weltberühmten «Newport Jazzfesti-        und letztmals Musik zusammen. Die Pro-
Bahn, der Sohn musste ins Militär. Das       vals», der Georg und seinen Kollegen         ben als «Youth Band» waren oftmals et-
wurde für alle eine schwierige Zeit.         nicht gerade Mut machte, da er mein-         was mühsam, aber der Auftritt am
                                             te, er habe jetzt schon etwa 600 Jazz-       Schlusskonzert zusammen mit Louis Arm-
                                             musiker aus ganz Europa angehört,            strong wurde zu einem Höhepunkt.
                                             aber hier sei wohl nicht viel Gescheites     Satchmo war völlig ohne Starallüren.
                                             dabei. Schokolade und Kuckuckuhren           Aufnahmen dieses Auftritts wurden unter
                                             gebe es wohl in der Schweiz, aber            «Louis Armstrong: fifties and seventies
                                             Jazzmusiker…?                                und Newport: Unreleased Highlights
                                                 Um so überraschter war die Band,         from 1956, 1958 und 1963» veröf-
                                             als sie bald darauf für den Sommer           fentlicht. Am Ende der Proben verteilte
                                             1958 eine Einladung für zwei Monate          Satchmo an jeden eine Tüte Abführmittel
                                             in die USA erhielt. Der Chef von             «Swiss Criss» mit den Worten «Leave all
                                             George Gruntz war sogar bereit, für          bad things behind you!»
                                             die zwei Monate den vollen Lohn aus-
                                             zuzahlen. Während weiteren 8 Jahren          Nächste Erfolge kommen mit
                                             konnte George so sein Geld mit seinem        Filmmusik.
                                             Job verdienen und gute Arbeit leisten,
Single (7") EX 17-102                        ohne seine Musik verraten zu müssen.             Nach dem Festival erlebte George
                                                                                          noch eine intensive Zeit im Big Apple
    Im Militär wollten sie den George                                                     inklusive Fernsehauftritten und Kontakten
für eine Offizierskarriere, obwohl ihm                                                    mit Gerry Mulligan, Stan Getz, Zoot
alles Militärische zutiefst zuwider war.                                                  Sims, Cannonball Adderley, John Col-
Gleichzeitig war ein Projekt vorhanden                                                    trane, Sal Salvador, Art Blakey, Max
um nach Afrika zu gehen und eigentlich                                                    Roach, Bill Evans, Johnny Griffin und
wollte er das Studium zum Maschine-                                                       vielen anderen. Diese Kontakte waren
ningenieur aufnehmen und kündigte                                                         ab 1972 für George als Programmge-
deshalb aus der RS seine Stelle bei der                                                   stalter der «Berliner Jazztage» äusserst
Firma Brown Boveri in Baden. Der Va-                                                      wertvoll. Nach fast zwei Monaten in
ter heiratete bald wieder und füllte das                                                  den USA flogen die jungen europäi-
Häuschen mit neuem Leben. Da wollte                                                       schen Jazzer zurück nach Brüssel an die
George nicht zurückstehen und ehe-                                                        Weltausstellung, wo sie für eine Woche
lichte 1955 seine Jugendliebe Lilly Roth.                                                 zusammen mit Benny Goodman im
Bald kam auch schon Sohn Felix Sven                                                       Amerikanischen Pavillon aufspielten. Als
zur Welt. Am Zürcher Amateur- Jazzfes-       The first ten years: MPS 0068.290 (mit Un-   er in die Schweiz zurückkam, war hier
                                             terschrift)                                  die Hölle los. Der berühmte deutsche
tival bekam er die Auszeichnung als
bester Schweizer Jazzpianist. Er musste      Mit Satchmo beginnt das rich-                Jazzjournalist Joachim Ernst Berendt, der
die Auszeichnung sogar in der Mi-            tige Jazzleben.                              Autor des meistgelesenen Jazzbuches in
litäruniform abholen, da man diese                                                        deutscher Sprache, rief ihn höchstper-
auch bei zivilen Aktivitäten während ei-         1958 also machte sich George             sönlich an: «Sie sind doch der und
nes Wiederholungskurses in der Armee         Gruntz mit anderen Jazzmusikern der          der». Im Down Beat-Magazin 8/58
zu tragen hatte. Angenehm war dabei          ersten Generation nach dem Zweiten           stand nämlich folgender Satz: «Things
indessen das Zusammentreffen mit Fla-        Weltkrieg aus ganz Europa auf den            picked up…with pianist Georg Gruntz
vio Ambrosetti, einem Saxofonisten und       Weg in die USA und an das Newport-           of Switzerland galloping like an angry
– vielleicht noch wichtiger – mit einem      jazzfestival. Mit dabei waren unter an-      Horace Silver». Dieser Satz war wohl
reichen Tessiner Industriellen. Dieser lud   derem Albert Mangelsdorff und Erich          für das nächste Jahr karrierebestim-
Georg zu sich in seine Villa ein und         Kleinschuster aus Deutschland, Ronnie        mend, und dies obwohl George auch
liess ihn in seiner Jazzband mitspielen.     Ross aus Grossbritannien, der Italiener      nicht im Entferntesten den berühmten
                                             Gil Cuppini, Gabor Szabo aus Ungarn          Hard Bop Pianisten vom Blue Note La-
   Die «Ambrosetti All Stars» wurden         und der Yugoslawe Dusko Goykovich.           bel und Mitglied von Art Blakeys Jazz-
an das Jazzfestival in San Remo einge-       Plötzlich war man Kollege mit den ame-       messengers imitieren wollte.
laden und erhielten danach in ganz Eu-       rikanischen Stars, man konnte mit ihnen
ropa eine gute Presse. Die Quintessenz       nach dem Konzert etwas trinken und              Alles wurde zu Beginn der 60er-Jah-
war, dass die Band – wie unzählige           plaudern. So entstand zum Beispiel sein      re professioneller für GG. Er konnte für
weitere auch – in Mailand zwei Ameri-        erster Kontakt mit Miles Davis. Daraus       den Film von Hannes Schmidhauser
kanern vorspielen durfte. Einer dieser       entwickelte sich eine Freundschaft. Aber     «Seelische Grausamkeiten» die Musik

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George Gruntz

komponieren und u.a. mit Barney Wi-          wie zum Beispiel Frescobaldi wieder           Uraufführung von Werner Kaegis «Con-
len, der kurz zuvor mit Miles Davis die      aufleben. Als LP erschienen «Jazz goes        certo für Jazzquartett und Streicher» bei
Musik zu «L’Ascenseur pour l’Echafaud»       Barock» in total vier Auflagen, die wohl      den «Internationalen Musikfestwochen»
eingespielt hatte. Diese Musik schlug        zum meistverkauften Tonträger von GG          in Luzern, wo ein Dirigent namens Her-
ziemlich ein. DECCA brachte, ohne et-        werden sollten. Hier spielte er mit deut-     bert von Karajan einmal mehr kaum In-
was zu zahlen, eine LP davon heraus.         schen Jazzmusikern wie Klaus Doldin-          terviews und Unterschriften gab. Der
Nach drei Wochen liess der Anwalt            ger, Emil Mangelsdorff, Peter Trunk und       Oberjetsetter der Klassikfraktion äusser-
von GG die LP vom Markt nehmen und           Klaus Weiss.                                  te sich übrigens über Modernisten wie
einstampfen. Glückliche Besitzer davon                                                     GG nicht oder nur despektierlich. Kaum
seien informiert, dass der Wert der LP in                                                  eine Woche später spielte die «Kurt
gutem Zustand bei über 500$ liegt,                                                         Edelhagen Big Band» in Köln erstmals
was primär nebst der Seltenheit der                                                        Arrangements von GG, die er am Pia-
Schallplatte am göttlich aufspielenden                                                     no begleitete. (Von dieser Big Band gibt
Schlagzeuger Kenny Clarke liegt. Aus                                                       es übrigens auf dem Label Polydor her-
diesen Erfolgen resultierte der zweite                                                     vorragende Schallplattenaufnahmen,
Einstieg von GG als Vollprofimusiker,                                                      sie war sich nicht zu schade, auch
und dabei blieb es bis heute.                                                              Schlagerstars wie Catarina Valente zu
                                                                                           begleiten.) In der Kölnischen Rundschau
Zweimal Profi – immer Profi                                                                war daraufhin am 15. Oktober über
                                                                                           GG zu lesen: «Seine Heimat bietet ihm
     Das nächste Engagement erfolgte                                                       nicht genügend Beschäftigungsmög-
als Pianist und «Musical Director» der                                                     lichkeiten, und so ist er in Amerika wie
Sängerin Helen Merrill für deren zwei-                                                     im Fernen Osten bekannter als in der
monatige Japantournee. Trotz grössten        Atlantic ATL 50074                            Schweiz». Kaum darauf spielte er be-
Erfolgen musste GG zurück nach Euro-                                                       reits wieder in Paris im Quintett von Fla-
pa, da er sich mit seinem neuen Schlag-          Bei der Basler Cembalistin Antoinet-      vio Ambrosetti und dessen Sohn Fran-
zeuger und seither guten Freund Daniel       te Vischer lernte er 1963 den Kompo-          co, der einer der besten Freunde von
Humair und Guy Pederson am Bass für          nisten Rolf Liebermann kennen, der da-        GG werden sollte. Die reichen Industri-
eine Tournee als Vorgruppe des blinden       mals am Stück «les Echanges» arbeite-         ellen Ambrosetti aus dem Tessin liessen
Multiinstrumentalisten Rahsaan Roland        te, das zu einem Prunkstück der EXPO,         sich ihr Musikhobby viel Geld kosten.
Kirk verpflichtet hatte. Kurz darauf war     der Schweizerischen Nationalausstel-          Der Vater trat die Firma später ab und
GG als Begleiter des famosen Tenorsa-        lung des Jahres 1964 in Lausanne, wer-        ging ins Exil nach Florida, um in Ruhe
xofonisten Dexter Gordon, der später         den sollte. Von diesem Stück, das für         sein Saxofonspiel zu pflegen. Der Sohn
eine der Säulen seiner ersten Bigband        über 150 Schreibmaschinen, Telefone           wurde zu einem der besten europäi-
werden sollte, echt gefordert. Bald be-      etc. geschrieben wurde und das die            schen Trompeter und Flügelhornspieler
gann ebenfalls eine Kooperation mit          Hochblüte der sich seit dem Zweiten           in der Bebop- und Hardboptradition. Er
der aus dem «Basler Daig» (reicher           Weltkrieg und speziell seit den 50er-         leistete sich als studierter Ökonom erst
Geldadel) stammenden Cembalistin             Jahren stetig weiter entwickelnden            viel später den Luxus, die Firma zu ver-
und Mäzenin Antoinette Vischer, die es       Industrie und Wirtschaft repräsentiert,       kaufen und noch Profi-Jazzmusiker zu
sich zum Ziel gesetzt hatte, das Cem-        gibt es eine recht seltene Single. Auf de-    werden. Beide halfen GG anfangs der
balo musikalisch zu entstauben. Zeit-        ren Rückseite wird das gleiche Stück          70er-Jahre die erste Bigband zu grün-
genössische Musik wurde zum Thema.           von George Gruntz auf einem präpa-            den.
Frau Vischer vergab Kompositionsauf-         rierten Klavier gespielt. Er wird hier her-
träge an Leute wie John Cage, Hans           vorragend von den beiden Schweizer                GG wurde in den nächsten Jahren
Werner Henze, Maurizio Kagel, Rolf           Jazzschlagzeugern Pierre Favre und Da-        von verschiedenen Crossoverprojekten
Liebermann, György Ligeti sowie Earl         niel Humair nicht nur begleitet, sondern      und einigen Worldmusicschallplatten-
Brown, aber auch an Jazzer wie Duke          geradezu eskortiert und vorwärts ge-          aufnahmen absorbiert und geprägt –
Ellington, Carla Bley, Martial Solal, vie-   trieben. Auch heute noch tönt diese klei-     die beiden Begriffe gab es damals al-
le andere und eben GG. Oft war GG            ne Schallplatte hervorragend. Ich kann        lerdings noch nicht. Zuerst war da aber
in Frau Vischers berühmtem «Hasen-           sie all jenen wärmstens empfehlen, die        noch ein interessantes Projekt mit einer
haus» des Stararchitekten Rolf Guttmann      ihrer habhaft werden können.                  Bigband, das aus heutiger Sicht be-
im Elsass und spielte viele Stücke für                                                     lächelt werden kann. Nicht wegen sei-
zwei Cembali mit ihr ein. Sie gab ihm        Die Welt ruft und George                      ner künstlerischen Ausrichtung, nein da
auch ein Neupertcembalo zum Üben             kommt und holt sie.                           war GG kompromisslos, aber wegen
mit nach Hause. Mit solchen Übungen                                                        dem Hauptsponsor. «Internationales PS
auf dem Cembalo liess GG die alte Im-           Noch im gleichen Jahr wirkte er            Jazz-Orchestra» hiess die Band. PS steht
provisationskunst von Barockmusikern         nach den Ruhrfestspielen auch bei der         für Peter Stuyvesant und das war zu je-

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Aus der Rille George Gruntz - Ein Beitrag von Thomas König
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ner Zeit in Deutschland wohl die Ziga-       gen sind. Im Theater waren sowohl die               Gerne würde ich GG einmal fra-
rettenmarke der Mittel- und Ober-            Sicht aber mehr noch der Ton weiter             gen, warum seine Fasnachtsaffinität
schicht. GG war es wohl ziemlich egal,       oben eher minderwertig. Der Opern-              über das Trommeln und Pfeifen stattfin-
wer der Sponsor war, Hauptsache er           gucker gehörte mit steigendem Abstand           det und nicht über die Guggenmusiken,
konnte seine Musik konsequent und            zum Geschehen fast zur Pflichtausrüs-           welche doch eigentlich seinen Big-
kompromisslos verwirklichen. Zur glei-       tung und der Sound war immer stärker            bands näher stehen würden, wie bösar-
chen Zeit spielte er auch als mittlerwei-    vom Echo belastet. Da halfen dicke Vor-         tige Kulturbanausen, welche vom Jazz
le geübter Cembalist unter Albert Kaiser     hänge, Plüschsessel und Samtverklei-            wenig bis keine Ahnung haben, leider
in Basel mit dem «Collegium Musicum»         dungen wenig bis gar nichts. Auch bei           immer wieder behaupten. War es wohl
Bachs «Brandenburgische Konzerte». Er        voller Publikumsbesetzung tönte es auf          gerade die Qualität definierende Inter-
wurde vom Dirigenten im grossen Ca-          den obersten Balkonen schlecht. Da              ferenz zwischen musikalischer Perfekti-
sinomusiksaal mit folgenden Worten           sass ich nun als Elfjähriger im Sperrsitz       on und melodisch-disharmonischer Ka-
vorgestellt: «Er ist zwar eigentlich Jazz-   der obersten Reihe mit Querstangen,             kophonie, die seine sonst so toleranten
musiker, aber die können inzwischen          um mich zu halten und nicht runter zu           und offenen Ohren überproportional
auch richtig spielen!» Im Herbst dieses      fliegen. Da musste man ja geradezu              belasteten? Wie auch immer, GG
Jahres ging GG auch erstmals mit den         schwindelfrei sein. Dazumal war das             machte mit seiner musikalischen Öff-
«Ambrosetti All Stars» hinter den eiser-     echt lustig für mich. Irgendwie kam ich         nung in seiner Heimatstadt nur einen
nen Vorhang ans Jazzfestival Prag.           mir vor wie beim Fliegen. Auf der Büh-          Zwischenhalt. Bald wurde nämlich sei-
    Aus geschäftlicher Sicht war das Fol-    ne war eine grosse Zahl von Trommlern           ne Lust auf die Musik anderer Kulturen
gejahr ein entscheidendes. Er gründete       und Tambouren unter der Leitung des             geweckt.
nämlich mit seinem Freund Gérard Lüll        damaligen Basler Obertrommlers Alfred
die Künstler- und Veranstaltungsagentur      Sacher, der selbst Trommeln baute und               1974 leitete er in Zürich ein ähnli-
«Euromusic», die zwar später etliche         mit seinem Musikgeschäft zu einem               ches Projekt, aber mit schottischen High-
Veränderungen durchmachte und heute          wichtigen Treffpunkt der Basler Rock-           land-Bands. Vermutlich wollte er den
«Euromusic Association» heisst, die          und Jazzszene werden sollte. GG war             Zürchern die auf höchstem Niveau ste-
aber bis heute die grösste Jazzagentur       mit seiner Jazzband präsent. Es «rues-          hende Basler Trommelkunst nicht zu fest
Europas werden sollte und seit 1972          ste», wie man in Basel das Trommeln             unter die Nase reiben…
und bis vor kurzem primär die «George        nennt, ganz gewaltig in dem ehrbaren,               Zwei Jahre zuvor spielte er in dem
Gruntz Concert Jazz-Band» (GG-JB) ma-        alten Gebäude. Über diesen drillhaf-            Film «Noon in Tunisia» von Peter Lilien-
nagen sollte.                                ten, perkussiven Klangteppich legte sich        thal und dem deutschen Jazzpabst Joa-
                                             GG mit seinen Mitmusikern gewaltig              chim Ernst Berendt mit einem Quartett
                                             ins Zeug und erzeugte eine einmalig             arabischer Beduinen, die zu Beginn
                                             swingende Stimmung. Wer sich von                schüchtern und zurückhaltend musizier-
                                             diesem Effekt berauschen lassen will,           ten, aber von GG stimuliert zur Höchst-
                                             dem kann ich die LP «From Sticksland            form aufliefen. Beim Besitzer des Labels
                                             with Love» wärmstens empfehlen. Hier            MPS Georg Brunner-Schwer, der auch
                                             war der lokalpatriotische Touch von             mit Oscar Peterson legendäre Aufnah-
                                             GG zum Mosaikstein in der Worldmu-              men von hervorragender Qualität in sei-
                                             sic geworden. Seine Adhäsion zur Fas-           nem Heimstudio machen sollte, traf hier
                                             nacht hat GG auch auf verschiedene              der europäische Jazz auf die arabische
                                             weitere Arten zelebriert. So komponier-         Musiktradition. Diese Einflüsse waren
                                             te er auch das «Nunnefyrzli», welches           nicht neu im Jazz. Schon die Beboper,
                                             heute zum Standardprogramm einer                allen voran Dizzy Gillespie, hatten ja in
                                             guten Fasnachtsclique in Basel gehört.          den 40er-Jahren diese Einflüsse verar-
                                                                                             beitet. Man höre sich nur das Stück
MPS 21 22 188-1                                                                              «Night in Tunisia» an, ganz zu schwei-
                                                                                             gen von der modalen Spielweise eines
Von Basler Trommlern zu den                                                                  John Coltrane, der zu Beginn der 60er-
Beduinen                                                                                     Jahre durch diese Einflüsse seine Musik
                                                                                             in neuer Pracht aufblühen liess.
    Meine erste Begegnung mit GG
kam 1966 zustande, als ein mit unserer                                                       Seine Bigband wird zu seiner
Familie befreundeter Fasnächtler mich                                                        ganz persönlichen Hand-
in das alterwürdige Stadttheater Basel                                                       schrift.
mitnahm. Das war von seinem Aufbau
her noch ein klassisches Theater. Ein                                                            Seit 1972 formiert GG unter wech-
nicht allzu grosser Zuschauerraum vor                                                        selnden Ensemblenamen Solisten-Big
der Bühne war von verschiedenen rund-                                                        Bands. Nach seinem Prinzip der Syn-
lichen Terrassenebenen umgeben. Die                                                          ergese, dem kreativen Mitvollzug im
Aussicht wurde aber gegenteilig zu ei-       From Sticksland with Love - drums and folklo-   Orchesterverband, schrieb er jeweils Ti-
nem Wohnblock bewertet, wo ja die            re; SABA SB 15 133 ST (auch MP5 DRM             tel und Arrangements, die in kurzer Zeit
teuersten Wohnungen zu oberst gele-          641)                                            Spitzenmusiker, welche nie zuvor mit-

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einander gespielt hatten, zu ausserordentlichen Leistungen an-   genialen Schmelztiegel werfen zu können. Er hat damit zu
regten. So stellte sich 1978 ein «heiter musizierendes En-       einer Neuorientierung der Jazzentwicklung beigetragen.
semble» vor, «das über mehr Register verfügt als die zu Denk-
mälern erstarrten Big Bands des Swing und Neoswing»,             Warum denn in die Ferne schweifen?
meinte Michael Naura. Bei GG hört man die Tradition, man
weiss, wo er herkommt, aber man ahnt nie, wo er hingeht,             Denn Gutes liess bald auch sehr nah realisieren. Ein
weil die Spannbreite seiner Möglichkeiten unbegrenzt zu sein     nächster, sehr persönlicher Kontakt des Autors zu GG ergab
scheint. Je nach Musiker gelingt es ihm, die Stärken des je-     sich am 2. Dezember 1971. Da wurde in Muttenz durch
weiligen Individuums herauszuschälen und mit dem Support         den Verein Ars Mittenza das neue Gemeinde-, Veranstal-
des Kollektivs auf eine höhere Ebene zu transportieren. Das      tungs- und Kulturzentrum Mittenza mit einem Konzert eröffnet.
macht ihn wohl als Bandleader einmalig, aber nicht nur das.      Einerseits durfte ich als Trompeter mit meinen Kollegen von ei-
                                                                 ner Schulband mit Jazzstandards wie dem «Basin Street
    In den 70er-Jahren war GG einerseits mit dem Aufbau sei-     Blues» und «When the Saints go marching in…» als Vor-
ner «George Gruntz- Concert Jazz-Band» (GG-CJB) be-              gruppe des George Gruntz Trios auftreten. Für diesen Anlass
schäftigt, er verfolgte aber in dieser Zeit verschiedene wei-    wurde nicht irgend ein Plakat gedruckt, nein mein Zeich-
tere Projekte wie:                                               nungslehrer, welcher Plakatmaler der Basler Fasnachtsclique
• Direktor der Berliner Jazztage                                 «Rätz» und begeisterter Countrymusiker war, gab uns den
• künstlerischer Leiter des Schauspielhauses Zürich              Auftrag, ein persönliches Plakat zu malen. Diese Plakate wur-
• erste Konzerte und Plattenprojekte mit «Piano Conclave»        den an wichtigen Orten in Muttenz aufgehängt. Meines hing
• neben Piano und Cembalo spielte er mehr und mehr auch          an der Türe des neu zu eröffnenden Gemeindezentrums Mit-
   ein Fender Rhodes Elektropiano und auch verschiedene          tenza und am Abend des Konzertes habe ich es auch wie-
   Synthesizer.                                                  der abgehängt und besitze so ein interessantes Zeitzeugnis.
                                                                 Dem Trio von GG mit Peter Giger am Schlagzeug und Isla
                                                                 Eckinger am Bass gelang es an diesem Abend gut, ihre Bot-
                                                                 schaft dem zahlreich erschienenen Publikum, welches sehr
                                                                 heterogen war und bei dem viele wohl mit den als modern
                                                                 empfundenen Jazzimprovisationen von GG und seinen Man-
                                                                 nen eher Mühe hatten, zu übermitteln. Eine Bigband hätte für
                                                                 die rund 500 Zuhörer und den grossen Saal wohl noch ein-
                                                                 drücklicher gewirkt, aber das Budget hatte das wohl nicht zu-
                                                                 gelassen und die eigene GG-CJB sollte er erst im darauf fol-
                                                                 genden Jahr gründen.

RTSI 004

    GG ist eigentlich kein Freejazzer, obwohl er der moder-
nen E-Musik bis zur Atonalität eine gewisse Berechtigung zu-
ordnet, was wohl vor allem in seinen modernen Theaterpro-
jekten und der Filmmusik liegt. Da hat er zum Beispiel die
Filmmusik zum eindrücklichen Film von Bernard Wicki (1971)
«Das falsche Gewicht» mit einem genial-grausamen Helmut
Qualtinger als Hauptdarsteller geschaffen, oder auch 1973
zum Film «Steppenwolf», der auf Hermann Hesse Roman be-
ruht, eine sehr interessante Filmmusik eingespielt. Das waren
Projekte, die ihn weit über sein jazzmusikalisches Engage-
ment forderten. Seine Basis war eine gut fundierte klassische
Ausbildung mit grosszügiger Öffnung für Improvisation. Als
swingender Jazzpianist mit grossen Erfahrungen aus dem Be-
bop und Hardbop war er prädestiniert, die Entwicklungen im
Jazz zu jener Zeit nicht nur mitzumachen, sondern mit seinem
Hintergrund an europäischer Musik, amerikanischem Jazz           Das Plakat, das Thomas König 1971 für ein Muttenzer Konzert von
und vielfältigen Einflüssen aus der Weltmusik in einen kon-      George Gruntz eigenhändig gefertigt hat.

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Aus der Rille George Gruntz - Ein Beitrag von Thomas König
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George Gruntz

Einmal Bigband immer (wieder) Bigband                           schen, international besetzten Big Band Formationen. Von
                                                                Anfang an war diese Band ein reines Solistenorchester. Bis
    1973 leitet GG zum ersten Mal die Berliner Jazztage, da     heute traten weit über 100 internationale Jazzsolisten mit der
war immerhin ein Miles Davies bereits zum fünfen Mal ver-       GG-JCB auf, hier eine kleine Auswahl, die sich wie ein
pflichtet, er spielte dann u.a. mit Dave Liebmann. Auch Du-     Who’s Who des zeitgenössischen Jazz liest:
ke Ellington gehörte mit seiner Bigband zu den grossen Stars.        Trompete: Franco Ambrosetti, Benny Bailey, Marcus Bel-
Nachdem er aber zuvor mit einer Kleinformation bereits ei-      grave, Randy Brecker, Cecil Bridgewater, John Faddis, Earl
ne sehr hektische Osteuropatournee absolviert hatte und sei-    Gardner, Dusko Gojkovitch, Tom Harrell, Ryan Kisor, Mat-
ne Musiker völlig übermüdet in Berlin eingetroffen waren, en-   thieu Michel, Palle Mikklenborg, Enrico Rava, Claudio Ro-
dete der Auftritt für die berühmteste Bigband fast in einem     diti, Wallace Roney, Arturo Sandoval, Manfred Schoof, Alex-
Desaster. Der Tenorsaxofonist Paul Gonsalvez schlief mitten     ander Sipiagin, Lew Soloff, Marvin Stamm, Jack Walrath,
im Konzert auf der Bühne ein. Viel schlimmer traf es den Duke   Ken Wheeler
selbst, der nach drei Stücken von einer Herzattacke nieder-          Posaune: Ray Anderson, Erich Kleinschuster, Jimmy Knep-
gestreckt mit dem Krankenwagen abtransportiert werden           per, Julian Priester, Steve Turre, Jiggs Whigham, Bass-Posau-
musste. Die 68er-Generation war gnadenlos mit den Altstars.     ne: Peter Herbolzheimer, David Taylor Euphonium: Howard
Sarah Vaughan, die im Ballkleid aufgetreten war, wurde mit      Johnson
«Hau doch ab mit deinem Nachthemd!» von der Bühne ge-                Saxofon: Flavio Ambrosetti, Jerry Bergonzi, Tim Berne,
schrieen. Der Festival Chef von Newport, George Wein,           Seamus Blake, Eddie Daniels, Bill Evans, Joe Farrell, Dexter
konnte als ausgezeichneter Mainstream-Pianist den Klavier-      Gordon, Joe Henderson, Chris Hunter, Lee Konitz, Dave Lieb-
stuhl des Duke übernehmen. Der Abend musste so glückli-         man, Charlie Mariano, Bob Mintzer, Larry Schneider, Alan
cherweise nicht abgebrochen werden. Demzufolge endete           Skidmore, Sahib Shihab, Lew Tabackin, Mark Turner, Benny
dieser legendäre Konzertabend relativ glimpflich. So etwas      Wallace, Phil Woods,
musste GG in den nächsten 23 Jahren in Berlin zum Glück              Gitarre: John Scofield, Bandeon: Dino Saluzzi, Keybo-
nicht mehr erleben.                                             ards: Japer Van’t Hoff Bass: Jay Anderson

  Die 1972 in der Schweiz gegründete «George Gruntz                Die GG-CJB ist neben dem «Duke Ellington Orchestra»
Concert Jazz-Band» ist eine der meist beachteten europäi-       die am längsten funktionierende Jazz-Grossformation der Ge-

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schichte des Jazz. 2007 feierte sie ihr 35-jähriges Jubiläum,     trumente. Nach der Hammondorgel waren es zuerst Elektro-
als GG 75 Jahre alt wurde!                                        pianos wie das Fender Rhodes und eines der Firma Wurlit-
    Im Unterschied zu konventionellen Big Bands spielen in        zer, die sich etablieren konnten. Durch Herrn Moog gab es
der GG-CJB ausschliesslich Jazz-Solisten und diese wieder-        den ersten Synthesizer, der bald durch sehr leistungsfähige
um nur Kompositionen von GG und ausgesuchte Themen von            Elektronikkästen von Firmen wie ARP, YAMAHA, ROLAND
Mitgliedern seiner Bands. Für jede Tournee stellt Gruntz eine     etc. ergänzt wurde. GG liess sein Projekt mit sechs experi-
handverlesene Truppe aus der Elite internationaler Bandlea-       mentierfreudigen «Keyboardern», wie die Pianisten jetzt hies-
der und Musiker des zeitgenössischen Jazz zusammen. Auf           sen, in Wien starten. Es kamen: Gordon Beck (GB), Jasper
sie konzentrieren sich Georges Ideen und Gedanken, wenn           Van’t Hoff (NL), Fritz Pauer (A), Joachim Kühn (D). Dieses Ex-
er seine Musik komponiert oder wenn er Themen seiner Mit-         periment wurde zur Institution und sollte dann volle 10 Jahre
glieder arrangiert. Das Repertoire der GG-CJB zeichnet sich       weiterleben. Wer einmal ein Konzert der «Piano Conclave»
also durch einen sehr speziellen, persönlichen Klangfarben-       erleben durfte, darf sich glücklich schätzen. Für mich waren
und Formenreichtum aus. Gruntz lässt sich manchmal auch           das unvergessliche Konzerterlebnisse. Und es gibt sonst im-
durch ausserhalb des Jazz liegende musikalische Quellen in-       merhin einige Schallplatten aus dieser Hochzeit der eu-
spirieren, von europäischer Klassik bis zur Volksmusik, und oft   ropäischen Keyboarder unter der Leitung von GG.
entwickelt er Brücken zur Musik aussereuropäischer Kulturen.
Big Bands sind zur Zeit für die Entwicklung des Jazz von gros-
ser Bedeutung, besonders in Europa. Die Auftritte der GG-
CJB sind seit Jahrzehnten überdurchschnittlich beachtete Pu-
blikums- und Medienereignisse.

    Die Band unternimmt jedes Jahr ein bis drei Tourneen und
bereiste im Laufe der Jahre die ganze Welt. So zum Beispiel
China (zweimal, sie war die erste Jazz Big Band überhaupt
im Reich der Mitte), Russland, Ägypten, die Türkei, den
ganzen Fernen Osten, die USA, Kanada, Südamerika, und
oft natürlich den ganzen europäischen Kontinent. Die Band
gastierte an allen wichtigen Jazzfestivals wie Northsea, Mol-
de, Pori, Montreux (1991 mit Miles Davis), Berlin, New-
port/JVC New York (fünfmal), aber auch Vancouver und
Montreal in Kanada. Aufnahmen auf 15 CD-Alben, die es
leider nicht auf LPs gibt (ECM, HAT ART, ENJA, TCB und
MOTOR/Polygram) nebst 20 Schallplattenproduktionen auf
den Labels MPS, ECM und ENJA dokumentieren diese un-
terschiedlichen Aktivitäten. Die GG-CJB gehört auch zu den
meist gesendeten Jazzgruppen bei wichtigen TV-Konzert- und
Tournee-Dokumentationen. Eindrücklich ist ebenfalls der neue
Film von Werner Zeidler «George Gruntz – Pianist, Kompo-
                                                                  Piano Conclave Palais Anthology MPS DC 22 786-3
nist, Orchesterleiter», der GG als Persönlichkeit im Interview,
bei Proben, Workshops und Konzerten zeigt. Sehr empfeh-
lenswert! Zu den wichtigsten Tourneen, Konzerten und Akti-        Leider geht es ohne LPs weiter.
vitäten der Band zählen in den letzten Jahren bestimmt die
2003 drei total ausverkauften Konzertabende im legendären             Ab den 80er-Jahren bereiste GG mit seiner GG-CJB, wie
New Yorker Jazzclub BIRDLAND, 2004 die Europatournee              oben aufgezeigt, die ganze Welt. Leider wurden ihre Pro-
mit einer speziell arrangierten Version der Jazzoper «The Ma-     duktionen ab jener Zeit je länger je mehr nur noch auf CD
gic of a Flute» von GG sowie 2005/2006 die Aufnahmen              herausgegeben. Zum epochalen Ereignis wird 1991 das
der ausserordentlichen CD «Tiger By The Trail» in den CLIN-       Jazzfestival in Montreux, als Quincy Jones die Arrangements
TON-Studios in New York. Die gibt es leider bis jetzt eben-       von Gil Evans mit Miles Davis neu aufführen liess. Dirigent,
falls nicht auf LP.                                               Leader und treibende Kraft bei diesem Jubiläumsprojekt war
                                                                  George Gruntz, dem es allen Unkenrufen zum Trotz gelingt,
    Eigentlich ist GG nie ein Big-Band-Freak gewesen, was         den exzentrischen, mürrischen und gesundheitlich einmal
für einen Pianisten nicht atypisch ist. Im Gegensatz zu Blä-      mehr stark angeschlagenen Miles Davis aus seinen Reserven
sern, denen das Kollektiv einfach mehr Spass macht. Aber          zu locken. Zwar musste in einigen Passagen der junge Trom-
warum nicht einmal mit einem Kollektiv von Pianisten zusam-       peter Wallace Roney, der damals bereits als Nachfolger von
menarbeiten? Dies war die Frage, die GG seit längerem be-         Miles Davis gehandelt wird, in die Bresche springen. Die
schäftigte.                                                       Trompetenfirma MARTIN, deren Spitzenmodell COMMITTEE
                                                                  seit den 40er-Jahren von Miles Davis geblasen wird, liess ih-
Piano Conclave, oder wenn man vor lauter                          re Spitzentrompeten in blau und rot produzieren und ver-
Tasten das Piano nicht mehr hört.                                 wendete Wallace Roney zu dieser Zeit als Werbeträger. In
                                                                  lyrischen Passagen trug GG mit seiner Band Miles Davis
  Im Zuge der allgemeinen Elektrifizierung der populären          wunderbar. Nochmals kann man hier den feinen, stark ge-
Musik entstanden seit den 60er-Jahren viele neue Tastenins-       dämpften Trompetenton von Miles wie in den 40er- bis 60er-

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Jahren in diesen zeitlosen Arrangements
von Gil Evans geniessen. Der Cooljazz
flüsterte und säuselte hier wie zu seinen
besten Zeiten. In den trompetentech-
nisch anspruchsvolleren Passagen und
in den höheren Registern wurde Miles
durch Wallace Roney gut ergänzt oder
unterstützt. Er machte das sehr subtil. Ab
Konserve hören das nur die auf Nuan-
cen sensibilisierten Zuhörer, am Konzert
geschah das sehr diskret. GG hatte die
Band und auch Miles immer voll im
Griff. Auch Miles Davis erklärte in Inter-
views nach dem Konzert mit seiner ty-
pisch brüchigen Stimme, dass ihm die-
se Zusammenarbeit mit GG riesig
Spass gemacht habe. Er wollte diese
Stücke von Gil Evans eigentlich nicht
mehr aufführen, aber es habe sich ge-
lohnt. GG hat der Jazzwelt mit diesem
Engagement einmal mehr gezeigt, wo-
zu er mit seinen Mannen aus der GG-
CJB fähig ist. Hier, in dem er Fremdma-
terial authentisch aufführte, zollte er ei-
nerseits Gil Evans Respekt, zeigte aber
auch gleichzeitig auf, dass das Klang-
bild einer Big Band nur zum Teil aus
den Arrangements resultiert. Es sind
eben doch am Schluss die kommunika-
tiven Anteile des gemeinsamen Musi-
zierens im Team und der entscheidende
Einfluss des Leiters oder Dirigenten in
punkto Tempo und differenzierter Laut-
stärke, Klanggestaltung und Intonation,
die aus Noten Musik macht. Ein, wenn
nicht d e r Meister des modernen Jazz
in diesen Bereichen ist und bleibt
George Gruntz. Hoffen wir, dass uns
GG noch lange mit seiner Musik Freu-
de machen kann. Auf seiner Home-
page sind die Projekte für 2009 wie ei-
ne Tournee im Herbst durch Deutsch-
land, Russland und Polen aufgelistet!

Weiterführende Möglichkeiten, noch
mehr über George Gruntz zu erfah-
ren

George Gruntz: Als weisser Neger
geboren – Ein Leben für den Jazz,
ISBN 3-9522460-1-8
Im April 2002 zum 70. Geburtstag von
GG erschienenes Buch von George
Gruntz über sich selbst mit kompletter
Diskografie und herrlichen Anekdoten –
Sehr empfehlenswert!

www.georgegruntz.com
Auf seiner eigenen Homepage findet
man viel Wissenswertes und Interes-
santes über ihn und seine Concert Jazz
Band.

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