AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
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Das Jahresmagazin des Diakoniewerks Essen 2020 AusBlick Der Weg lohnt sich: Umsetzung des BTHG zielt auf Perspektivwechsel Ausbildung, Hospitationen, Praktika: Wie der Einstieg in soziale Berufe gelingt Geschichten, die berühren: Schwangerenberatung eröffnet neue Möglichkeiten ZusammenLeben gestalten Von Null auf 100: Beim Jugendnotruf geht’s ums Kindeswohl
Impressum Herausgegeben vom Diakoniewerk Essen Bergerhauser Straße 17, 45136 Essen Telefon 0201 · 26 64 0, Telefax 0201 · 26 64 59 59 00 info@diakoniewerk-essen.de www.diakoniewerk-essen.de Redaktion: Julia Fiedler, Kathrin Michels, Bernhard Munzel Grafik Design: Q3 design, Dortmund, www.Q3design.de Druck: Brochmann GmbH, Essen Essen, Mai 2020 Möchten Sie unsere Arbeit unterstützen? Über Ihre Spende erhalten Sie selbstverständlich eine Spendenquittung. Unser Spendenkonto: Sparkasse Essen IBAN DE34 3605 0105 0000 2179 19 BIC SPESDE3EXXX Vielen Dank! 2 AusBlick 2020
Editorial Monatsspruch für Mai 2020: „ Jeder von euch hat von Gott eine besondere Gabe erhalten; und jeder soll dem anderen mit dieser besonderen Gabe dienen. Denn es sind Gaben Gottes und ihr seid die Haushalter, die damit umgehen sollen.“ (1. Petrus 4,10) Liebe Förderer und liebe Interessierte an der Arbeit Die Größe oder die Kleinheit meines Tuns, reforma- des Diakoniewerks Essen! torisch formuliert: eines Werkes, spielt für dessen sitt- „Jedes Leben ist von Gott geschaffen und wertvoll.“ „Wir sind uns lichen Wert keine Rolle. Das Kleinste, an seinem Ort bewusst, dass wir uns gegenseitig brauchen.“ Das sind zwei von und im rechten Bewusstsein getan, steht auf derselben Pfarrer Andreas zwölf Leitsätzen im Leitbild unseres Diakoniewerks Essen, zu- Ebene wie das bedeutendste Werk, das einen Nobel- Müller, Vorstands- sammengefasst unter dem Motto „ZusammenLeben gestalten“. preis oder eine Millionenvergütung bekommt. Man vorsitzender des Mit ihnen wird kurz und einfach ausgedrückt: Jeder Christ darf muss, was man aus guten Gründen tut, nicht nur aus Diakoniewerks Essen sich direkt von Gott geliebt wissen und antwortet darauf mit dem innerer Überzeugung, sondern kompetent tun. Die eigenen Leben und den verliehenen Fähigkeiten. Keine Instanz religiöse Qualität liegt gerade darin, dass die Arbeit funktional steht zwischen dem Einzelnen und Gott. Evangelische Christen effizient und richtig, dass sie professionell getan wird. In Corona- reden deshalb vom „Priestertum aller Gläubigen“. Eigenverant- Zeiten erhalten so Berufe auf einmal eine gesellschaftliche Wert- wortung steht protestantisch hoch im Kurs, mit aller Gewissen- schätzung, die zuvor lange nicht als „systemrelevant“ eingeschätzt haftigkeit, Wahrheitsliebe und Freiheit, die dazugehören. Und die wurden. zweite Erkenntnis, die davon nicht getrennt werden kann: Wir brauchen uns gegenseitig. Keiner kann allein sein Leben gestal- Was abstrakt klingen mag, wird durch das Lesen in diesem Jah- ten. Wie sehr das gerade in unserer ausdifferenzierten arbeitstei- resheft konkret. Dabei lassen sich verschiedene Perspektiven auf ligen Gesellschaft zutrifft, erleben wir schmerzlich in der Corona- den Umgang mit den von Gott geschenkten Gaben ausmachen: Krise. Zusammen ergänzen wir uns und gestalten gemeinsam die Entdecken Sie, wie bunt der Einstieg und die Ausbildung in Welt, in der wir leben. soziale Berufe im Diakoniewerk aussehen. Die Berichte über Studenten-Praktika oder einen Freiwilligendienst stehen eben- An die Leitbildsätze musste ich denken, als ich den Monatsspruch so beispielhaft für diverse Wege in die soziale Arbeit wie der für Mai 2020 aus dem 1. Petrusbrief las: „Jeder von euch hat von Einblick in die aktuelle Ausbildung von Erzieher*innen oder Gott eine besondere Gabe erhalten; und jeder soll dem anderen mit Pflegekräften. Insgesamt beschäftigt das Diakoniewerk knapp dieser besonderen Gabe dienen. Denn es sind Gaben Gottes und ihr 90 Mitarbeitende, die sich in einer Ausbildung befinden. seid die Haushalter, die damit umgehen sollen.“ Jede und jeder von Menschen mit einer Behinderung wurde über eine viel zu lange uns hat bestimmte Gaben und Fähigkeiten. Die gilt es zu ent- Zeit abgesprochen, überhaupt eigene Gaben und Fähigkeiten decken, zu entwickeln, zu fördern. Sie gilt es einzusetzen, Gott und zu besitzen, geschweige denn, sie in die Gesellschaft einzubrin- den Menschen zugute. Das ist keine spezielle Aufgabe für Pfarre- gen. Das Interview zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes rinnen und Pfarrer. Nein, sie meint alle. Dieser Auftrag bezieht erinnert an den Perspektivwechsel, der mit diesem gesetzgebe- sich nicht nur auf mein privates Leben, sondern die verschiedenen rischen Meilenstein vollzogen wird. Wie komplex und aufwän- Rollen, die ich im Leben habe, kommen ins Spiel. Jede und jeder dig es ist, diesen Grundgedanken in neue vertragliche und orga- ist jeweils in ihrem und seinem Umfeld, also in Beruf und Familie, nisatorische Formen zu bringen, wird allerdings ebenfalls sehr Verein oder Partei, Kirchengemeinde oder Schule oder ganz an- klar. deren Orten eigenverantwortlich nach seinem Beitrag zum Wohl Entscheidende Weichenstellungen für die Entfaltung unserer der Gesellschaft gefragt. Wie alt jemand ist, wie intelligent, welches Fähigkeiten erfolgen am Anfang unseres Lebens. Das beginnt Geschlecht oder wie viel Geld sie oder er hat, ist nicht entschei- schon vor der Geburt in der Schwangerschaft und spitzt sich bei dend. Alle sind berufen, ihren Glauben nach ihren Möglichkeiten der Gefährdung des Kindeswohles dramatisch zu. Verfolgen Sie zu leben und ihre individuellen Gaben einzubringen. mit, wie Mitarbeitende im Jugendnotruf oder in der Beratungs- stelle für Schwangerschaft, Familie und Sexualität das ihre da- Deshalb können und sollen Christen ihre Alltagstätigkeit so ver- zu tun, um Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Familien stehen, dass sie von Gott in ihren Stand – in den Worten der Wege zu möglichst guten Lebensverläufen zu bahnen. Reformationszeit – berufen sind. Das heißt: ihre alltägliche Arbeit ist ihr Beruf. So wie der Pfarrer sein Amt als Gottesdienst ver- Darüber hinaus finden Sie wieder Zahlen, Daten und Fotos zum steht, so dürfen und sollen auch Bauer, Stallmagd oder Kaufmann Diakoniewerk im letzten Jahr. Dazu zählt der Überblick über das ihren Beruf als Gottesdienst sehen und praktizieren. Eine Auf- beeindruckende ehrenamtliche Engagement sowie die Einladung, zählung würde heute viel mehr und andere Berufe erfassen. Die das Diakoniewerk durch Spenden zu unterstützen. Diese Unter- sozialen Berufe gehören auf jeden Fall dazu. Dort wird der Sinn stützung wird in Corona-Zeiten besonders gebraucht, aber auch der Arbeit im direkten Kontakt mit Menschen vielleicht sogar darüber hinaus. leichter erfahrbar als in manch anderen Berufen. Die Freiheit eines Christenmenschen befreit vom Zwang zur Perfektion und Bleiben Sie uns gewogen. Und bleiben Sie behütet. zur Rechtfertigung vor Gott. Sie macht jede Bevorzugung religiö- ser Berufe vor anderen Berufen hinfällig. Es kommt darauf an, im Dienst am Nächsten zu wirken – wie und wo genau auch immer das dann geschieht. Pfarrer Andreas Müller, Vorstandsvorsitzender AusBlick 2020 AusBlick 2020 3
Berufseinstieg Im Gespräch: Teamleiterin Kathrin Certa, Optimaler Weg für den Berufseinstieg: Werkstudentin Jessica Ornely Ntomono und Bereichsleiterin Gisela Strotkötter (von links) Die Arbeit mit Werkstudent*innen ist den erörtern die unterschiedlichen Möglichkeiten Sozialen Diensten ein „Herzensanliegen“ des Berufseinstiegs. S tudieren und nebenbei eine Erwerbsarbeit ausüben, um sich den Frau Strotkötter, bei den Sozialen Lebensunterhalt zu verdienen oder Praxiserfahrung zu sammeln – Diensten setzt man schon lange ein Stelle als Werkstudent*in ist für viele junge Menschen eine gute verstärkt auf Werkstudent*innen? Warum eigentlich? Alternative zu den üblichen Nebentätigkeiten. Noch dazu ist sie ein Gisela Strotkötter: Für uns ist die Qua- absolutes Plus im Lebenslauf: In kaum einem anderen Studentenjob kann lifizierung von Berufsneulingen ein Her- man so umfangreiche fachspezifische Erfahrungen sammeln. Man lernt nicht zensanliegen. Das muss ich einfach so nur, die bereits erworbene Theorie praktisch umzusetzen, sondern sieht auch, sagen. Denn die Identitätsbildung der Stu- welche Bedeutung diese in den einzelnen Tätigkeitsfeldern hat. Man erlebt dent*innen findet eben nicht im Hörsaal, den tatsächlichen Arbeitsalltag und bereitet sich damit gezielt auf die Zeit sondern in der praktischen Arbeit statt. Dieser Praxisbezug ist durch die Umstel- nach dem Studium vor. Das verschafft einen realistischen Blick für den lung auf Bachelor- und Masterstudien- Berufseinstieg. Insbesondere bei den Sozialen Diensten werden regelmäßig gänge in den vergangenen Jahren leider Werkstudent*innen eingesetzt. Warum die Arbeit mit ihnen so wertvoll ist, mehr und mehr verloren gegangen. Die erfahre ich in einem Gespräch mit Bereichsleiterin Gisela Strotkötter, Team- Praxisrelevanz hat einfach nicht mehr den leiterin Kathrin Certa von der Sozialpädagogischen Nachmittagsbetreuung Stellenwert fürs Studium, die sie eigentlich und Werkstudentin Jessica Ornely Ntomono. bräuchte – ein Anerkennungsjahr, das frü- her notwendig war, gibt es beispielsweise nicht mehr. 4 AusBlick 2020
Soziale Dienste Welche praktischen Erfahrungen sind Praktika ausprobieren und dadurch in ver- ihres Studiums ganz häufig bei uns. Denn es denn, die den Student*innen fehlen? schiedene Arbeitsfelder hineinschnup- wenn Stellen frei werden, schauen wir na- Gisela Strotkötter: Ein großes Manko ist pern. Sie sind die ersten Schritte in der türlich erstmal in den eigenen Reihen. die fehlende Beratungskompetenz. Die Entwicklung eines eigenen beruflichen systemische Beratung ist an den Unis mitt- Profils und Türöffner für die eigene Po- Frau Certa, Sie sind auch als Werk- lerweile ein Wahl- und kein Pflichtfach sitionierung im Berufsumfeld. Dadurch studentin bei den Sozialen Diensten mehr. Dabei ist die Beratung essentiell. wird man noch einmal ganz anders mit gestartet, richtig? Ohne sie geht es nicht. Gerade auch bei dem Studium und der eigenen Persönlich- Kathrin Certa: Ja, genau. Ich habe 2015 den Sozialen Diensten. Hier haben wir keit konfrontiert. Es wird aber auch der als Werkstudentin angefangen. Später bin sehr viele Praxisstellen, bei denen die Be- nötige Freiraum gegeben, um zu reflektie- ich dann mit einer 75%-Stelle eingestie- ratung einfach dazugehört – etwa die Ju- ren, wo man sich in der Zukunft sieht und gen. Und mittlerweile bin ich Teamlei- gendgerichtshilfe, die Schwangerenbera- welche Bereiche vielleicht eher weniger ge- terin bei der Sozialpädagogischen Nach- tung, die Flexiblen Hilfen, die Sozialpä- eignet sind. mittagsbetreuung. Drei von unseren insge- dagogische Nachmittagsbetreuung, die samt sieben Gruppenleitungen sind eben- Schulsozialarbeit oder die Stadtteilarbeit. Ein echter Gewinn für die falls zuvor als Werkstudent*innen bei den Werkstudent*innen! Sozialen Diensten gestartet. Das zeigt, dass Wie versuchen Sie, diesem Mangel Gisela Strotkötter: Ja, vor allem aber dies ein überaus beliebter Weg ist, der es entgegenzuwirken? auch ein Gewinn für beide Seiten. Die Stu- einem leichter macht, den beruflichen Ein- Gisela Strotkötter: Wir lassen unsere dent*innen können während ihres Studi- stieg zu gestalten. Mitarbeitenden nicht alleine, sondern lei- ums Praxiserfahrungen sammeln und ihr ten, begleiten und inspirieren sie mit einer Studium gleichzeitig mitfinanzieren. Wir hohen Motivation. Die Beratungskompe- wiederum können die Student*innen schon Tolle Perspektiven: Kathrin Certa, Jessica Ornely tenzen fördern wir durch interne Schu- vor Abschluss in den Blick nehmen. Und Ntomono und Gisela Strotkötter (von links) sind lungen und Fortbildungen. Bei uns kann wenn die Zusammenarbeit erfolgreich begeistert von der Vielfalt der Tätigkeitsfelder, die und soll man sich auch in ergänzenden läuft, bewerben sie sich nach Abschluss die Sozialen Dienste eröffnen. AusBlick 2020 5
Berufseinstieg Erzählen Sie doch mal etwas zur stark darauf, dass die Zusammenstellung Sozialpädagogischen Nachmittags- heterogen ist, was Sozialarbeiter*innen, betreuung. An wen richtet sich diese? Werkstudent*innen und Kinder anbelangt. Kathrin Certa: Die Sozialpädagogische Davon profitieren letztlich alle Beteiligten. Nachmittagsbetreuung ist eine Jugend- Jessica Ornely Ntomono: Das kann ich Bereichsleiterin Gisela Strotkötter hilfemaßnahme in Kooperation mit dem bestätigen. Ich arbeite selbst in einer Grup- koordiniert den Einsatz von rund Jugendamt und sieben Grundschulstand- pe mit vielen erfahrenen Personen, die 30 Werkstudent*innen und begleitet orten im Essener Westen. Dort sind wir mich wirklich gut angeleitet haben. So- persönlich ihren Einstieg in das Berufs- unmittelbar in die Strukturen der jeweili- wohl die Gespräche, als auch die Metho- leben. gen Grundschule und des Offenen Ganz- denerarbeitung im Team haben mir sehr tags integriert. Unser intensivpädagogi- geholfen und immer wieder einen wichti- sches Gruppenangebot richtet sich an Kin- gen Input gegeben, wie man mit den Kin- der Erwerb sozialer und emotionaler der mit erhöhtem pädagogischen Bedarf, dern arbeiten kann. Insbesondere die kol- Kompetenzen. Der Ablauf des Nachmit- die in einzelnen Bereichen zusätzliche För- legiale Beratung erleichtert den Einstieg: tags ist dabei stark ritualisiert: Wir begin- derung benötigen. In der Regel sind dies Man erhält viel Feedback, wird unterstützt nen mit einem Stuhlkreis, erkundigen uns Kinder, die von den Lehrkräften vorge- und angeleitet. nach den Befindlichkeiten der Kinder und schlagen werden. Etwa extrovertiert auffäl- Kathrin Certa: Die Gruppenleitung hält setzen uns gleichzeitig mit ihren Gefühlen lige Kinder, die beispielsweise ein schlech- stetigen Kontakt zu den Eltern und zum auseinander. AGs und Freispiel finden tes Regelverständnis zeigen, oder auch in- Jugendamt, um schwierige Fälle und die ebenfalls statt. Wichtig dabei: Konflikte trovertierte Kinder, die Schwierigkeiten auf jeweilige individuelle Entwicklung zu do- dürfen und sollen hier ruhig entstehen. der emotionalen Ebene haben. Manche kumentieren. Auch das kriegen die Stu- Denn unsere Aufgabe ist es ja, darauf ein- Kinder werden auch direkt vom Jugend- dent*innen am Rande durch Teamsitzun- zugehen. Das ist zum Teil eine Herausfor- amt vorgeschlagen, weil bei ihnen zu Hau- gen und ihre Gruppenleitungen mit. So derung, denn die Kinder bekommen hier se gerade viel los ist – etwa eine Scheidung etwas lernt man nicht an der Uni. Das ist in gewisser Weise ihre Bühne – allerdings oder ein Trauerfall. die Praxis, die für den Beruf so essentiell auch ein Training im Umgang mit den ist. Zweimal im Jahr kommt zudem eine Konflikten. Wie werden die Gruppen Fachberatung zwecks Schulung der Werk- zusammengestellt? student*innen, um die Grundidee einer Wie viele Werkstudent*innen sind denn Kathrin Certa: Jede Gruppe besteht aus systemischen pädagogischen Haltung und derzeit bei den Sozialen Diensten im maximal zehn Kindern und vier Betreu- Konfliktbearbeitung zu vermitteln. Span- Einsatz? er*innen. Hier eingesetzte Student*innen nend ist auch, dass die Zusammenstellung Gisela Strotkötter: Etwa 30 Werkstu- der Sozialen Arbeit müssen vor ihrer Ein- der Gruppen nicht konstant ist. So kom- dent*innen sind zurzeit bei uns beschäf- stellung hospitieren, da wir in die Bezieh- men immer wieder neue Mitarbeitende tigt. ungsarbeit gehen. Deshalb achten wir auch mit unterschiedlichen Erfahrungshinter- gründen dazu – etwa Kolleg*innen mit Frau Ntomono, Sie sind eine dieser Übungsleiterscheinen aus Sportvereinen Werkstudent*innen. Wie ist denn Ihr Auch Kathrin Certa startete vor vier Jahren oder schauspielerischen Fähigkeiten. Wir Werdegang und wie sind Sie an die als Werkstudentin – und ist jetzt Teamlei- hatten auch schon mal eine ausgebildete Stelle gekommen? terin in der Sozialpädagogischen Nach- Logopädin im Team. Von diesen vielfälti- Jessica Ornely Ntomono: Ich bin 2009 mittagsbetreuung. gen Inputs profitieren alle. nach Deutschland eingewandert, habe hier mein Abi gemacht und dann ein sozialpä- Wie sieht die Arbeit mit dagogisches Studium an der Uni Duis- den Kindern konkret aus? burg-Essen gestartet. Um mein Studium Kathrin Certa: Das Angebot erfolgt regel- zu finanzieren, habe ich zunächst bei einer mäßig an drei Nachmittagen pro Woche Warenhauskette gearbeitet – und zwar täg- von 14.00 bis 16.00 Uhr. Ein besonderes lich. Da wir aber während des Studiums Augenmerk wird dabei auf eine indivi- auch Arbeitsscheine sammeln müssen, duelle Förderung des einzelnen Kindes habe ich mich weiter umgeschaut und die gelegt. Auf jedes Kind wird ressourcen- Stellenausschreibung des Diakoniewerks orientiert eingegangen. Die gezielte Förder- entdeckt. Seit 2018 bin ich jetzt bei den arbeit findet bedarfsorientiert einzeln und Sozialen Diensten im Bereich der Sozial- in kleinen Gruppen statt. Wichtig ist uns pädagogischen Nachmittagsbetreuung. auch ein Sozialkompetenztraining, also 6 AusBlick 2020
Soziale Dienste Mit welch einem Stundenumfang werden kann. So kann in einzelnen Pro- sind sie dort tätig? jekten mehr und mehr Verantwortung Jessica Ornely Ntomono: Ich arbeite sie- übernommen werden und die Aufgaben ben Stunden in der Woche. 20 Stunden werden dadurch immer spannender. darf man als Werkstudent*in maximal ar- Kathrin Certa: So ist es. Wir sind bei un- beiten. Jetzt verdiene ich aber mehr als vor- serer Zusammenarbeit im Team regelrecht her und habe daneben noch genügend auf das Engagement unserer Student*in- Zeit, um mich aufs Studium vorzubereiten. nen angewiesen. Eigeninitiative ist sehr wichtig: Bestimmte Dinge müssen vorbe- Klingt nach einer wirklich reitet und es muss mitgedacht werden. guten Alternative! Aber man kriegt als Student*in eben auch Jessica Ornely Ntomono: Es lohnt sich etwas zurück. Manchmal wird das Studi- Seit zwei Jahren dabei: Werkstudentin auf jeden Fall, man profitiert von sehr vie- um sogar bewusst hinausgezögert, weil Jessica Ornely Ntomono profitiert enorm len Dingen. Die Arbeit im Team ist einfach man hier solch eine fundierte Wissens- von den praktischen Erfahrungen, die sie in hochmotivierend und gleichzeitig auch ein vermittlung erhält. der Sozialpädagogischen Nachmittagsbe- Schutzraum, in dem Fehler aufgezeigt und Gisela Strotkötter: Die Weiterbildung bei treuung sammelt. besprochen werden können. Die Feed- uns ist wirklich ein Gütesiegel. Das kriegen back-Kultur ist wirklich toll! Durch die wir auch von Anstellungsträgern zurück- Arbeit als Werkstudent*in kann man sich gemeldet, die unsere Student*innen über- tende. Da der Einstellungsverlauf mit Vor- spezialisieren und man entwickelt sich nehmen, wenn bei uns mal keine Stelle frei stellungsgespräch und Hospitation etwa persönlich und fachlich enorm weiter. sein sollte. Aber wir können eigentlich drei bis vier Monate dauert, kann man sich Gisela Strotkötter: Stimmt, wir haben auch immer Nachwuchs gebrauchen, su- also durchaus ab sofort bei uns bewerben. jede Menge anzubieten. Aber wir erwarten chen fortlaufend geeignete Mitarbeitende. Das Interview führte Kathrin Michels im Gegenzug auch viel von unseren Stu- dent*innen. Sie müssen sich engagieren Und wie sieht es momentan bei Ihnen Ideales Qualifizierungsfeld: Allein drei der derzeit und vor allem auch zuverlässig sein. Es ist aus? Sind derzeit Stellen zu besetzen? sieben Teamleitungen der Sozialpädagogischen ein Anstellungsverhältnis, bei dem das Gisela Strotkötter: Zurzeit suchen wir Nachmittagsbetreuung starteten wie Kathrin Vertrauen zum Arbeitgeber stabilisiert ganz konkret ab September neue Mitarbei- Certa ihren beruflichen Weg als Werkstudentinnen. AusBlick 2020 7
Vielfältige Aufgaben: Kita-Leiterin Nicole Weber, die als Auditorin auch das Qualitätsmanagement- system externer Kitas zertifiziert, ist seit zwei Jahren für die Ausbildung in 21 Kindertages- stätten zuständig. „Probiert euch aus!“: Die Ausbildungsbeauftragte Nicole Weber sorgt für gezielte Nachwuchsförderung in den Kitas F achliche Expertin, Mentorin, persönlicher Coach, Motivatorin und tungen zu akquirieren, aber auch langfri- Lernprozessbegleiterin – all das verkörpert Nicole Weber für die vie- stig zu integrieren. Die Installation einer Ausbildungsbeauftragten spielt dabei eine len Erzieher*innen-Azubis im Diakoniewerk. Die 47 Jahre alte Mutter zentrale Rolle. Auch wenn momentan zweier fast erwachsener Kinder ist seit 2018 Ausbildungsbeauftragte noch Fachkräfte fehlen, werden wir in den der Kita-Gesellschaft. Außerdem leitet sie die Kita „Arche Noah“ in Essen- nächsten Jahren gut aufgestellt sein. Da bin Überruhr. Der Nachwuchs liegt ihr eben am Herzen – auch ganz unabhängig ich mir sicher! vom Alter. Denn er sorgt für frischen Wind. Für Nicole Weber ein ganz wichtiger Aspekt, wie sie mir im Gespräch erzählt. Welche Aufgaben sind denn damit verbunden? Eine Ausbildungsbeauftragte für unse- und dieser Prozess ist noch nicht abge- Nicole Weber: Ich betreue und begleite re Kitas – diese Sonderaufgabe wurde schlossen. Gleichzeitig herrscht ein großer praktisch alle Erzieher*innen-Azubis, Prak- vor rund zwei Jahren geschaffen. Was Fachkräftemangel. Dieser Herausforde- tikant*innen und deren Anleiter*innen beinhaltet sie genau? rung wollten wir gerecht werden. Wir und wirke bei der gesamten Organisati- Nicole Weber: Ja, richtig, diese Funktion haben erkannt, dass wir den eigenen Nach- ons- und Ausbildungsplanung mit. Gleich- gab es vorher in der Kita-Gesellschaft wuchs stärker fördern müssen, um damit zeitig bin ich intern und extern gut ver- nicht. Aber wir sind eben in den letzten eben auch unsere Chancen zu verbessern, netzt, etwa mit der Kita-Fachberatung, der Jahren extrem gewachsen, haben viele qualifiziertes pädagogisches Nachwuchs- Personalabteilung sowie Schulen und Kitas übernommen und neu eröffnet – personal für unsere Kindertageseinrich- Fachverbänden. Ganz konkret plane und 8 AusBlick 2020
Kita-Ausbildung gestalte ich gemeinsame einrichtungsüber- öffentlich wirksam – etwa auf Ausbildungs- sätze, der mir mindestens genauso am greifende Treffen mit allen Berufsanerken- messen, Infoveranstaltungen oder Hospi- Herzen liegt, wie die Vermittlung fachli- nungspraktikant*innen innerhalb eines tationen. cher Kenntnisse. Ausbildungsjahres. Beim Einführungs- workshop lernen wir uns zunächst einmal Worauf liegt Ihr inhaltlicher Fokus Wie wird man eigentlich Ausbildungs- kennen und sprechen über unsere Erwar- gegenüber den Auszubildenden? beauftragte? In Ihrem Hauptberuf sind tungen, Befürchtungen und Wünsche so- Nicole Weber:: Die Stärkung der persön- Sie ja eigentlich doch Einrichtungs- wie die Vernetzung von Arbeitsgruppen lichen Entwicklung steht genauso im leiterin? untereinander. Bei den darauffolgenden Vordergrund, wie das Fachwissen. Die Nicole Weber: Richtig. Aber ich bin ei- Treffen prüfen wir, ob das theoretische Auszubildenden können mich jederzeit gentlich immer offen für Neues, brauche Fachwissen auch in der Praxis umgesetzt kontaktieren. Denn manchmal treten ja diesen frischen Wind und mag es über- werden kann, besprechen Projektarbeiten auch ganz persönliche Fragen, Probleme haupt nicht, stehenzubleiben. Auch beruf- und bereiten uns auf das Kolloquium – oder Konflikte auf, für die es gilt, eine lich hinterfrage ich mich und meine Arbeit also die theoretische Prüfung – vor. Ge- geeignete Lösung zu finden. Aber das hält ständig und versuche stets, mich weiterzu- nerell gebe ich den Workshops nur wenige sich bislang eher in Grenzen – solche Din- entwickeln. Nur weil es schon immer so Vorgaben, sondern sehe das eher als eine ge werden eigentlich oftmals direkt in den war, heißt es nicht, dass es auch jetzt noch Art Ideenwerkstatt, bei der sich jeder ein- Einrichtungen vor Ort geklärt. Generell die beste Lösung ist. Als unser Geschäfts- bringen und Themen ergänzen darf. Der versuche ich unseren Auszubildenden aber bereichsleiter Herr Leggereit damals mit Höhepunkt ist dann natürlich unsere ge- vor allem zu vermitteln, sich während ihrer der Anfrage auf mich zukam, habe ich meinsame Abschlussfeier mit der Ausgabe Ausbildungszeit auszuprobieren – und der Zeugnisse. Darüber hinaus berate und zwar so intensiv es geht: Mach alles! Wage Persönliche Beratung: Auch bei Jobmessen und unterstütze ich auch die Anleiter*innen, dich! Du darfst Fehler machen und dann Fachveranstaltungen ist Nicole Weber aktiv und organisiere Schnupperpraktika und bin daraus lernen. Das ist einer meiner Grund- informiert über die Erzieher*innen-Ausbildung in Kindertageseinrichtungen. BU AusBlick 2020 9
Nicole Weber mich gefreut und zugesagt. Ich empfinde Freispielangebote gestalten. Nach erfolg- Was sind denn die Chancen und die Arbeit mit dem Nachwuchs generell als reichem Abschluss per Kolloquium erhält Herausforderungen dieser neuen echte Bereicherung, eine Art Win-Win-Si- man die Anerkennung als staatlich geprüf- Ausbildung? tuation: Ich kann Erfahrungen weiterge- te/r Erzieher*in. Seit diesem Jahr gibt es in Nicole Weber: Das Ausbildungssystem ist ben und bekomme im Gegenzug neue NRW zudem die praxisorientierte Ausbil- ein völlig anderes. Die Zusammenarbeit Ideen und Denkanstöße. Das finde ich dung, kurz „PiA“ genannt – eine Art duale mit den Schulen ist noch intensiver. Wir wirklich ganz toll! Erzieher*innen-Ausbildung. Diese dauert sind jetzt eher Ausbildungspartner. Und ebenfalls drei Jahre, aber es werden theore- genau daran müssen wir noch arbeiten, Wie sieht die Erzieher*innen- tische und praktische Ausbildungszeiten das müssen wir noch ausbauen. Beide Ausbildung eigentlich aus und miteinander verzahnt. Mit anderen Wor- Seiten müssen verstärkt Interessen abglei- wie lange dauert sie? ten: Die Praxiszeit der klassischen Erzie- chen und Lösungen finden. Manchmal Nicole Weber: Für die Erzieher*innen- her*innen-Ausbildung einschließlich Be- kollidieren etwa Schultage mit wichtigen Ausbildung hat jedes Bundesland seine rufspraktikum ist ebenso wie die Unter- Terminen in den Einrichtungen. Oder eigenen Regelungen. In Nordrhein-West- richtszeit gleichmäßig in die drei Ausbil- Theoriewissen und Praxisarbeit sind nicht falen ist der klassische Weg eine Ausbil- dungsjahre integriert. Im ersten und zwei- kongruent, das merke ich bei unseren dung an einer Fachschule, für deren Zu- ten Jahr haben die Auszubildenden drei Treffen. Da haben die PiA-Praktikan- lassung man eine einjährige sozialpädago- Tage Schule und zwei Kita-Tage, im letzten t*innen vieles noch nicht in der Schule gische Praxiserfahrung vorweisen muss. In Jahr ist es andersherum. durchgenommen. Das unterscheidet sie den meisten Fällen ist dies ein einjähriges von den Berufspraktikant*innen, die das Fachoberschul- (FOS-) Praktikum. Die Und wie sieht es mit der Vergütung Theoriewissen ja bereits vermittelt bekom- anschließende Erzieher*innenausbildung aus? Gibt es da auch Unterschiede? men haben. Dafür können die PiA-Prak- dauert dann in der Regel drei Jahre. Davon Nicole Weber: Da die klassische Erzie- tikant*innen ihr schulisches Wissen regel- werden zwei Jahre fachtheoretisch an der her*innen-Ausbildung eine schulische ist, mäßig in der Praxis überprüfen und eigene Fachschule absolviert und mit einer theo- erhält man während der Schulzeit allen- praktische Erfahrungen im Unterricht re- retischen Prüfung, dem Fachschulexamen, falls eine Ausbildungsbeihilfe. Fest geregelt flektieren. Auch die Zusammenarbeit mit beendet. Daran schließt sich das Berufs- ist nur die Aufwandsentschädigung für das den Auszubildenden in den Einrichtungen praktikum, das Anerkennungsjahr, an. FOS-Praktikum und die Ausbildungsver- ändert sich. Sie sind nun drei Jahre in der- Während des Anerkennungsjahres sind gütung im Anerkennungsjahr. Bei der PiA- selben Einrichtung – also über einen viel die Anerkennungspraktikant*innen dann Ausbildung bekommen die Azubis für alle längeren Zeitraum. Weiterentwicklungen fest in einer Einrichtung und müssen ver- drei Jahre vom ersten Tag an eine gestaffel- können daher besser beobachtet und Ver- schiedene Pflichtaufgaben seitens der te Vergütung. Ein nicht unerheblicher As- antwortung gezielter übertragen werden. Schule wie Elternabende, Projekttage oder pekt. Die Mühe der Einarbeitung lohnt sich 10 AusBlick 2020
Kita-Ausbildung Gezielte Verknüpfung von Theorie und Praxis: unmittelbar. Man kann sagen, dass die neun sind Anerkennungspraktikant*innen In regelmäßigen Abständen treffen sich alle PiA-Ausbildung wirklich ein geeignetes und drei von ihnen sind PiA-Praktikan- Berufsanerkennungspraktikant*innen zu ge- Mittel zur Fachkräftegewinnung ist, denn t*innen. meinsamen Workshops. sie bringt eine ganz neue Zielgruppe in unsere Einrichtungen: Eben all diejenigen, Und wie ist der Trend? für die die bisherige Vergütung nicht aus- Nicole Weber: Die PiA-Ausbildung ist Bindung an den Träger gelingen, die einen reichend war. So ist etwa die Zahl der ganz klar im Kommen. Die Bewerberzah- Gewinn für alle Beteiligten bedeutet. Männer, die den Erzieherberuf erlernen, len steigen deutlich und auch im Aus- gestiegen. Aber auch für ehemalige Lehr- tausch mit den Schulen wird dieser Trend Die Ausbildung wandelt sich also amtsstudenten ist die Ausbildung nun in- bestätigt. Für das kommende Ausbildungs- gerade – abschließend würde mich teressant, denn sie bietet Chancen für den jahr haben wir daher fünf weitere PiA- daher noch interessieren, ob sich der beruflichen Wiedereinstieg. Und was wir Plätze vorgesehen. Erzieher*innenberuf verändert hat? auch merken: Mit steigender Vorbildung, Nicole Weber: Ja, sogar sehr. Es ist keines- Leistungsstärke, Lebensalter und Erfah- Wie sieht es nach der Ausbildung aus? wegs mehr der gleiche Beruf, wie etwa vor rung steigt auch die Motivation der Aus- Wie ist die Übernahmequote? 20 Jahren. Zu unserem eigentlichen Be- zubildenden. Nicole Weber: In der Regel haben wir treuungs- und Bildungsauftrag sind viele beim Diakoniewerk eine gute Übernah- Aufgaben hinzugekommen, die heutzutage Kann man denn die PiA-Ausbildung mequote. Für viele Azubis sind wir ein zu erfüllen sind. Ich denke da an flexible an allen Fachschulen absolvieren, an wirklich interessanter Arbeitgeber, weil wir Öffnungszeiten, die Anfertigung von Ent- denen die klassische Ausbildungsform so breit aufgestellt sind. Erzieher*innen wicklungsdokumentationen und jährli- angeboten wird? können sich nach Abschluss der Aus- che Entwicklungsgespräche, Sicherheits- Nicole Weber: Nein, in Essen ist die PiA- bildung sowohl bei der Kita-Gesellschaft und Brandschutz-Vorgaben, Hygiene-Vor- Ausbildung derzeit nur im Bildungspark bewerben, als auch innerhalb der Kinder- schriften oder auch das Qualitätsmana- möglich. Aber es gibt weitere Fachschulen und Jugendhilfe weiterentwickeln – etwa gement. Die Inhalte sind inzwischen deut- in der näheren Umgebung, etwa in Düssel- im Karl-Schreiner-Haus oder im Internat lich vielfältiger und machen den Beruf da- dorf, Hattingen oder Velbert. Dort werden für hörgeschädigte Schülerinnen und durch meiner Meinung nach aber auch ebenfalls PiA-Ausbildungen angeboten. Schüler. Natürlich existiert auch immer ein wesentlich attraktiver, je mehr man sich Anteil derer, die noch ein Studium, etwa in auf die Herausforderungen einlässt. Wie sieht denn die Verteilung in der Sozialer Arbeit, anschließen, oder sich Das Interview führte Kathrin Michels Kita-Gesellschaft aus? Wie viele anderweitig weiterbilden wollen. Auch hier Anerkennungspraktikant*innen gibt liegen die Vorteile der PiA-Ausbildung klar es und wie viele PiA-Prakitkant*innen auf der Hand: Wir können den eigenen arbeiten bei uns? Nachwuchs ausbilden, der bei der an- Nicole Weber: Derzeit bilden wir insge- schließenden Übernahme bereits mit der samt 16 Erzieher*innen-Azubis aus. Da- trägerspezifischen Konzeption vertraut ist. runter sind vier FOS-Praktikant*innen, Es kann also im Laufe der Ausbildung eine AusBlick 2020 11
Große Wertschätzung: Michaela Endemann kam über eine Zeitarbeitsfirma ins Heinrich- Held-Haus – und fasste dann einen überra- schenden Entschluss. Michaela Endemann sitzt mir gegenüber und erzählt über sich, ihren Werdegang und ihre ungewöhnliche Berufung: „Über eine Zeitarbeitsfirma bin ich quasi hier ins Heinrich-Held-Haus hineingerutscht, ganz ohne Bewerbung“, berichtet sie. „Zu- nächst als Schwesternhelferin, zur Schwan- gerschaftsvertretung für ein Jahr. Irgend- wann habe ich dann erwähnt, dass ich ger- ne noch eine Ausbildung zur examinierten Altenpflegerin machen möchte.“ Dem wurde zugestimmt. „Ich habe schon als junges Mädchen in der Pflege gearbeitet.“ Wenn andere langsam ans Aufhören den- ken, startet Michaela Endemann noch ein- mal durch. Mal eben beginnt die inzwi- schen 54-jährige eine Ausbildung zur exa- minierten Altenpflegerin. Weil sie in ihrem Alter weiß, was sie will. Und weil es ihre Berufung ist. „Ich habe schon als junges Mädchen in der Pflege gearbeitet. Meine Mutter war Krankenpflegerin im Kran- kenhaus, in der Nachtwache. In den Ferien habe ich ihr immer geholfen. Mit zwölf Jahren habe ich da schon ziemlich viel ge- macht: Patienten gewaschen, versorgt und sogar gespritzt.“ Sie gerät ins Plaudern und man hört ihr gerne zu. Sie verrät, dass sie eigentlich schon damals eine Pflegeaus- bildung angefangen hatte bei den Diako- nissen, aber das Umfeld dort einfach nicht ihre Welt war. Also hat sie sich kurzerhand umentschieden, absolvierte eine Ausbil- dung zur Bauschlosserin und ging im An- schluss als Au-Pair nach Israel. Drei Jahre hat sie dort gelebt und mit ihrem damali- gen palästinensischen Partner zwei ihrer insgesamt drei Kinder bekommen. „Das „Ich kann doch eigentlich nur gewinnen!“: war eine coole Zeit dort, wirklich super- schön“, berichtet sie rückblickend. Mittler- Die 54-jährige Pflege-„Azubine“ Michaela weile sind sie und ihre erwachsenen Kin- Endemann über Lebensfreude und ihre der aber schon lange Zeit wieder zurück in Deutschland. späte Berufung „Alte, behinderte und psychisch kran- M ichaela Endemann befindet sich zurzeit mittendrin in ihrem ke Menschen? Das kann ich nicht, war dritten Lehrjahr im Heinrich-Held-Haus und ist damit eine von mein erster Gedanke.“ Single mit drei Kindern und glücklich, so mehr als 80 Auszubildenden im Diakoniewerk. Und doch ist beschreibt sie sich selbst. „Ich kann doch sie eben ganz anders. Denn Michaela Endemann ist 54 Jahre jetzt machen, was ich will. Warum sollte alt. Eine gestandene Frau und Mutter dreier erwachsener Kinder. Die Schulbank ich stagnieren?“ Deswegen gab Michaela hatte sie längst hinter sich gelassen. Und dann wieder neu für sich entdeckt. Endemann auch ihren letzten Job im 12 AusBlick 2020
Pflege-Ausbildung Gemeinsames kennenlernen und gegenseitiger Austausch: Die „Azubi-Tage“ der drei Pflegeeinrichtungen haben sich inzwischen im Jahreskalender fest etabliert. Spielcasino auf und wagte endlich den Gang in die Pflege. „Erst habe ich kurz gezögert, als ich von der Zeitarbeitsfirma die Stelle im Heinrich-Held-Haus zuge- wiesen bekam: Alte, behinderte und psy- chisch kranke Menschen? Das kann ich nicht, war mein erster Gedanke.“ Aber der hat sich als komplett falsch erwiesen. Denn tatsächlich ist es genau das, was zu ihr passt. Sie liebt die Bewohner*innen – und umgekehrt. Mit ihrer erfrischenden Art bringt sie richtig Schwung ins Haus, und ihre Fröhlichkeit reißt andere mit. „Ich bin selber ein bisschen verrückt und fest der Meinung, dass, gerade wenn es ernst ist, man auch mal lachen muss. So bin ich eben. Bei mir ist auch nicht immer alles nach Plan gelaufen, aber meine Lebens- freude habe ich noch nie aufgegeben“, sagt die 54-Jährige. ten mit Menschen. Das ist keine Arbeit für „Meist zählt ja leider nur ‚satt und sau- „Wir arbeiten mit Menschen. jeden. Laut Statistik steigen Pflegekräfte ber‘, dabei ist der Faktor ‚Zeit‘ so viel Das ist keine Arbeit für jeden.“ durchschnittlich nach rund sieben Jahren wichtiger als das Zähneputzen.“ Was genau sie so sehr an ihrem Beruf mag, aus dem Beruf aus, weil sie eben nicht da- Michaela Endemann will gut sein in ihrer möchte ich von ihr wissen. „Der Beruf gibt für geschaffen sind“, erklärt sie. Burnout- Arbeit und gibt viel dafür. „Ich kann doch alles. Er gibt und er nimmt“, korrigiert sie gefährdet fühlt sich Michaela Endemann eigentlich nur gewinnen“, findet sie. Sie sich selbst. „Es kommt eben darauf an, aber nicht. Sie holt sich ihre Energie störe vielmehr, dass sie vieles nicht schon wieviel man selbst bereit ist, zu geben. Die zurück – aus ihrem Umfeld und in ihrer viel eher gemacht hat. Und wenn sie noch Wertschätzung, die man den Bewohne- Freizeit. Sie hat viele Freunde, liebt soziale weiter in die Zukunft denke, frage ich sie, r*innen gegenüber hat, die kriegt man Kontakte und Gesellschaftsspiele. Sie puz- wie stellt sie sich das dann mit sich selbst auch zurück“, da ist sich Michaela Ende- zelt, malt, geht ins Kino, sieht gerne fern, vor, im Alter? „Ich werde auf jeden Fall zu mann sicher. „Meine Bewohner*innen liest viel oder ruht sich einfach aus. Aber Papier bringen, wie ich gepflegt werden sind immer bei mir, selbst in meiner nicht lange, maximal sechs Stunden Schlaf will. Denn ich möchte auch im hohen Freizeit. Ich nehme sie sogar gedanklich benötigt Michaela Endemann. Deswegen Alter noch als Mensch wahrgenommen abends mit ins Bett. Es ist eben keine Büro- lernt sie meist bis in die Nacht hinein – werden. Das ist vielleicht das größte Ziel arbeit, da bin ich ganz ehrlich“, gibt sie mir und zwar im Bett. Auch eines ihrer vielen der Altenpflege. Jeder Mensch, der gepflegt zu verstehen. Und fügt hinzu: „Wir arbei- Hobbies. wird, hat ein Anrecht auf Zeit. Meist zählt ja leider nur ‚satt und sauber‘, dabei ist der Mehr als 20 Auszubildende treffen sich an den Azubi-Tagen mit ihren Einrichtungs-, Pflege- Faktor ‚Zeit‘ so viel wichtiger als das Zäh- dienst- und Praxisanleitungen, um aktuelle Themen aus Theorie und Praxis zu reflektieren. neputzen.“ Eine Pflege ohne Zeitdruck, das ist ihr Wunsch – und eben mehr Wert- schätzung für diesen Beruf. „Denn es ist alles andere als ein ‚Mal-eben‘-Job. Und es sollten ihn auch nur diejenigen ausüben, die ihn auch wirklich können.“ Michaela Endemann ist auf jeden Fall eine von ihnen. Kathrin Michels AusBlick 2020 13
Deutsch-argentinische Freundschaft: Ein Jahr lang erfreute die gelernte Kranken- chwester Julieta Cardozo die Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenzentrums Marga- rethenhöhe. Neues wagen – und einzigartige Erfahrungen gewinnen: Der Freiwilligendienst von Julieta Cardozo im Seniorenzentrum Margarethenhöhe D ie Anfrage der Evangelischen Kirche im Rheinland kam telefo- wir uns erst einmal aufeinander einspie- nisch: Ob das Seniorenzentrum Margarethenhöhe am Income- len – vor allem, was die Verständigung an- ging.“ Freiwilligen-Programm teilnehmen wolle, bei dem junge Men- schen vor allem aus Südamerika ein Jahr lang in sozial-diakoni- Ein Mischmasch aus Deutsch, schen Einrichtungen mitarbeiten? „Wir sind hier ja immer offen für Neues“, lau- Englisch, Händen und Füßen tete die Antwort von Cordula Wojahn vom Sozialen Dienst, die sofort Bereit- Doch auch diesmal reagierte die Beleg- schaft signalisierte. schaft des Seniorenzentrums gewohnt spontan und ohne große Berührungs- Ein knappes halbes Jahr später war es dann schieden“, ging es Cordula Wojahn kurz ängste. „Viele von uns haben seit ihrer soweit und Julieta Cardozo aus Argenti- vor der Ankunft noch durch den Kopf. Schulzeit ja kaum ein Wort Englisch mehr nien trat ihren Dienst an. „Sprachliche „Aber Julieta war uns vom ersten Augen- gesprochen“, erklärt Cordula Wojahn. Barrieren und kulturelle Unterschiede – blick an sehr sympathisch“, erklärt Kolle- Doch die anfängliche Sprachscheu war hoffentlich haben wir nicht zu voreilig ent- gin Martina Mathias. „Trotzdem mussten schnell überwunden. „Wir haben uns mit 14 AusBlick 2020
Freiwilligendienst Übersetzungsprogrammen auf dem Han- verbessern. „Wenn ich ihnen etwa vorgele- senkirchen zu arbeiten. Alle Jugendlichen dy beholfen – und mit einem Mischmasch sen habe, dann haben sie mich oft korri- sind Teilnehmer*innen des Income-Frei- aus Deutsch, Englisch, Händen und Fü- giert: Julieta, du hast das falsch ausgespro- willigen-Programms. In Kooperation mit ßen“, berichtet Martina Mathias lächelnd. chen, musste ich mir dann anhören.“ dem Bundesfreiwilligendienst ist dies in Doch mittlerweile bekommt sie jede Men- das „weltwärts“-Programm des Bundesmi- Kaum vorstellbar, wenn man Julieta ein ge Lob für ihre gewaltigen sprachlichen nisteriums für wirtschaftliche Zusammen- gutes Jahr später gegenüber sitzt. Denn da Fortschritte. „Vor allem in ihrem letzten arbeit und Entwicklung eingebettet. unterhalten wir uns ganz selbstverständ- Monat hat sich Julieta sprachlich so weiter- lich auf Deutsch und die Wörter sprudeln entwickelt, dass wir sie sogar in der Einzel- Zwar hatte Julieta im Zuge ihrer Ausbil- der 26-jährigen nur so aus dem Mund. betreuung einsetzen konnten“, berichtet dung an einer deutschen Schule in Argen- Auch Julieta erinnert sich noch gut an die Cordula Wojahn beeindruckt. tinien auch Deutschunterricht gehabt, anfänglichen Sprachbarrieren: „Die Kolle- aber leider nur eine Stunde pro Woche. ginnen und Kollegen, aber auch die Be- Große Unterschiede zwischen „Da ist nicht wirklich etwas hängengeblie- wohner*innen hatten viel Geduld mit mir Deutschland und Argentinien ben“, erklärt sie. Dafür konnte sie jede und sind sehr auf mich eingegangen. Ei- Praktisch ohne Deutschkenntnisse war Menge Praxiserfahrung vorweisen, denn in nige Bewohner*innen wollten sogar lieber Julieta im Februar 2019 zusammen mit 60 Argentinien hatte die gelernte Kranken- Englisch sprechen und waren ganz stolz anderen jungen Menschen aus Argentinien schwester mit Schwerpunkt Nephrologie auf ihre Sprachkenntnisse.“ Aber sie haben und Chile nach Deutschland gekommen, bereits das dafür notwendige fünfjährige ihr auch geholfen, ihr Deutsch stetig zu um in Essen, Duisburg, Bottrop und Gel- Studium absolviert. Das in Deutschland so vieles ganz anders als in ihrer Heimat ist, Der Abschied fiel nicht leicht: Viele Senior*innen und Mitarbeitende merkte Julieta schnell. „Der Umgang mit hatten Julieta Cardozo in ihr Herz geschlossen. AusBlick 2020 15
Julieta Cardozo den Menschen unterscheidet sich sehr. In Zwischenzeitlich hat sich Julieta jedoch Argentinien ist unsere Arbeit rein prak- rundum den deutschen Gewohnheiten an- tisch orientiert. Gespräche mit den Pa- gepasst – auch ihre anfänglichen Magen- tient*innen und eine soziale Bindung probleme haben sich gelegt. Sie hat sich kommen kaum zustande, da diese oft komplett integriert, sowohl privat als auch wechseln. Hier geht man bewusst auf die beruflich. Denn ihre Arbeit macht ihr ein- Menschen und ihre Gefühle ein und hört fach Spaß: ob Morgen- und Nachmittags- ihnen zu“, so Julieta. Und ihr fallen ad hoc runden mit den Bewohner*innen, die noch mehr kulturelle Unterschiede ein. Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen „Die Deutschen gehen viel förmlicher mit- oder die vielen Feste im Haus. Vor allem einander um als in Argentinien, zumindest die Weihnachtszeit wird ihr sehr in Erin- beim Erstkontakt. Das war für mich am nerung bleiben. „In Argentinien feiern wir Anfang etwas schwierig“, so die 26-jährige. Weihnachten nur am 24. und 25. Dezem- ber. Eine Adventszeit wie in Deutschland Weihnachten ist hier so schön lang kennen wir nicht. Weihnachten ist hier Dafür habe sie das Leben hier als viel freier so schön lang und gemütlich. Und die empfunden und daher auch deutlich Weihnachtsmärkte werde ich auch ver- unbeschwerter gestaltet, als in ihrer Hei- missen.“ mat. „Ich konnte jederzeit alleine nach draußen gehen, sogar bis spät abends. Hilfsbereitschaft ist für Julieta tet. Überall da, wo Hilfe notwendig war, Diese Sicherheit kenne ich von Zuhause selbstverständlich hat sie das Team unterstützt.“ nicht.“ Auch das deutsche Umweltbe- Die Belegschaft des Seniorenzentrums wusstsein war für Julieta komplett neu – wird dagegen Julietas Enthusiasmus sehr Diese Hilfsbereitschaft ist für die junge Ar- Mülltrennung etwa kannte sie vorher vermissen: „Julieta hat von Anfang an alles gentinierin selbstverständlich. Sie selbst überhaupt nicht. Beim Thema Essen mit großer Leidenschaft gemacht“, erzählt kommt aus einer großen Familie, wo es oft wurde Julieta ebenso überrascht. „Das Martina Mathias und fügt hinzu: „Egal laut und eng ist. Deswegen war Julieta deutsche Frühstück hat mich wirklich sehr welche Aufgabe sie erledigen musste, sie auch ganz froh darüber, nun selbstständig beeindruckt. Es ist so reichhaltig mit ver- hat es immer mit einem Lächeln getan. auf eigenen Füßen zu stehen und für sich schiedenen Wurst-, Käse-, und Brötchen- Voller Hingabe hat sie unsere Wellensit- ganz allein wohnen zu können. Das hat ihr sorten.“ Nur ihren geliebten Maté-Tee hat tiche versorgt und den freitäglichen Got- unwahrscheinlich gut getan – auch um sie vermisst und per Internet bestellt. tesdienst ganz alleine vor- und nachberei- sich selbst zu finden. Denn ein persönli- cher Schicksalsschlag kurz vor ihrer Reise nach Deutschland hatte sie ziemlich aus Viele gute Erinnerungen: Die Hoffnung auf ein baldiges der Bahn geworfen. Jetzt ist sie sich sicher: Wiedersehen ist auf beiden Seiten groß. Es hat seinen Sinn gehabt, nach Deutsch- land gekommen zu sein. Sie ist überzeugt davon, dass „jemand von oben“ auf sie schaut und zufrieden mit ihr ist. Der Abschied – schmerzt auf beiden Seiten Julieta hat die Zeit im Seniorenzentrum Margarethenhöhe sehr gut gefallen. So gut, dass sie eigentlich gar nicht mehr weg will – oder aber ganz schnell wieder zu- rück. „Leider hat Julieta diesen Wunsch erst recht spät geäußert, so dass auf die Schnelle für uns nichts machbar war“, sagt Cordula Wojahn traurig. „Aber wir finden bestimmt eine Lösung, denn sie hinterlässt eine große Lücke“, hofft Cordula Wojahn auf ein baldiges Wiedersehen. Kathrin Michels 16 AusBlick 2020
Freiwilligendienst Zeit, das Richtige zu tun: Freiwilligendienste im Diakoniewerk Essen Bundesfreiwilligendienst Das Diakoniewerk bietet Menschen, die sich freiwillig einbringen und darüber wertvolle Lebenserfahrungen sammeln möchten, verschiedene Einsatzmög- lichkeiten in unseren Einrichtungen – ob in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen, von älteren Menschen, von Menschen mit Behinderung sowie Menschen mit psychischen Erkrankungen. Freiwilliges Soziales Jahr Der Bundesfreiwilligendienst: Dauer und Arbeitszeiten: Der Bundesfreiwilligendienst ist ein An- Beide Dienste dauern in der Regel zwölf gebot für Menschen jeden Alters, sich Monate, mindestens jedoch sechs und außerhalb von Ausbildung und Beruf für höchstens 18 Monate. In Ausnahmefällen das Allgemeinwohl zu engagieren und kann der Bundesfreiwilligendienst bis zu damit eine Kultur der Freiwilligkeit zu 24 Monate geleistet werden. stärken. Grundsätzlich handelt es sich um einen Das Freiwillige Soziale Jahr: ganztägigen Dienst. Für Freiwillige über 27 Ebenso wie der Bundesfreiwilligendienst Jahren ist aber auch ein Teilzeitdienst von ermöglicht auch das Freiwillige Soziale mehr als 20 Stunden wöchentlich möglich. Jahr, in die Arbeit mit Menschen hineinzu- schnuppern. Einen Unterschied im Ar- Warum sich freiwilliges beitsalltag gibt es zwischen beiden Diens- Engagement lohnt? ten nicht. Teilnehmende haben pro Jahr weil der Bundesfreiwilligendienst und Anspruch auf 26 Urlaubstage und 25 das Freiwillige Soziale Jahr eine tolle Seminartage. Während allerdings der BFD Möglichkeit sind, um in soziale Berufe vom Bund bezuschusst wird, wird das hinein zu schnuppern, Freiwillige Soziale Jahr teilweise aus Fi- nanztöpfen der Bundesländer finanziert. weil die Erfahrungen, die man dort macht, den eigenen Horizont erweitern, Voraussetzungen für die Freiwilligen: Im Bundesfreiwilligendienst kann sich weil es um Menschen geht, jeder engagieren, der die Vollzeitschul- pflicht erfüllt hat. Eine Altersgrenze nach und weil helfen sich immer lohnt! oben gibt es nicht. Sprechen Sie uns gern an! Das Freiwillige Soziale Jahr darf jede und Abteilung Personal- und Sozialwesen jeder nach Beendigung der Schulpflicht, Bergerhauser Straße 17 also ab etwa 16 Jahren und bis zu einer 45136 Essen Altersgrenze von 27 Jahren, absolvieren. Telefon: 0201 · 2664 932 100 Doch aufgepasst. Beide Dienste dürfen Mail: bewerbung@diakoniewerk-essen.de nicht direkt nacheinander erfolgen und auch nicht beliebig oft wiederholt werden. AusBlick 2020 17
Der Weg lohnt sich: Die Umsetzung des neuen Bundesteilhabegesetzes zielt auf konsequenten Perspektivwechsel M it Jahresbeginn trat die dritte von vier Stufen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Kraft. Die nun erfolgte Trennung der Kostenträger für die Leistungen innerhalb der Eingliederungshilfe bedeutet für einen Anbieter wie das Diakoniewerk einen immensen Verwaltungsaufwand. Wurden bisher alle Kosten für eine stationäre Unterbringung durch den Landschaftsverband bezahlt, regelt dies nun weitestgehend die jeweilige Kommune, die für die anspruchsberechtigte Person zuständig ist. Für den Einzelnen selbst bedeutet dies zunächst nur wenig spürbare Veränderungen. Aber der Perspektivwechsel, der damit einhergeht, ist grundlegend und geht zurück auf die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006. Die AusBlick-Redaktion redete mit Experten über einen im Detail oftmals mühsamen Weg, der sich jedoch zweifelsfrei lohnt – weil er viel in Bewegung setzt, und die Richtung stimmt. Die mit Jahresbeginn in Kraft getrete- Worin bestehen denn die wesentlichen Kai-Marko Danielzik: Die größte Verän- ne Umsetzung der dritten Reformstufe Änderungen hinsichtlich des Verhält- derung, die sich durch die Einführung des des BTHG stellte vor allem die Ver- nisses von Klient*innen, Kostenträger neuen BTHG ergeben hat, ist die Verschie- waltung vor enorme Herausforderun- und Diakoniewerk? bung dieser Zuständigkeit hin zu den ein- gen – war der hohe Aufwand von An- Hartmut Hüttenhoff: In der Vergangen- zelnen Kommunen. Dadurch hat sich eine fang an absehbar? heit hatten wir es innerhalb der Eingliede- Zunahme an Kostenträgern ergeben, die Hartmut Hüttenhoff: Uns war schon rungshilfe bei der stationären Betreuung vorher so nicht vorhanden war. Allein in recht früh bewusst, dass durch die Um- von Menschen mit Behinderungen und unserer Einrichtung sind nun sechs Kom- stellung viel Arbeit auf uns zukommt. Was psychischen Erkrankungen in der Regel munen dazugekommen, mit denen wir dies jedoch im Detail bedeutete, wurde mit einem Kostenträger zu tun. Da hat der uns verwaltungstechnisch in Verbindung erst in der Umsetzung deutlich. Das lag Landschaftsverband Rheinland alle Kos- setzen mussten. vor allem an den vielfältigen Anforde- ten, die für die stationäre Unterbringung Hartmut Hüttenhoff: In der Vertragsent- rungen hinsichtlich des Vertragsmanage- von Klient*innen anfallen, übernommen wicklung war es zunächst einmal so, dass ments. Viele Verträge mussten individuell und diese Gelder auch direkt an uns ausge- wir versucht haben, eine abgestimmte angepasst oder auch komplett neu ent- zahlt. Vorgehensweise für alle unsere Einrichtun- wickelt werden. gen zu erarbeiten. Allerdings wurde dann 18 AusBlick 2020
BTHG-Umsetzung Expertenrunde: Verwaltungsdirektor Hartmut Hüttenhoff, Einrichtungsleiter Klaus-Dieter Ruda, Geschäftsbereichs- leiterin Silke Gerling und Einrichtungsleiter Kai-Marko Danielzik (von links) waren an der BTHG-Umsetzung maß- geblich beteiligt. zu gestalten. An dieser Stelle erfolgt dann Wie haben Sie sich auf diese Anforde- auch die Trennung in der Zuständigkeit rungen vorbereitet? für Leistungen, die der Klient in Anspruch Silke Gerling: Der große Verwaltungs- nimmt. Über die Kommunen werden nun aufwand bestand darin, bereits im Vorfeld die Unterkunft und die „Hilfe zum Le- der Umsetzung des BTHG über umfang- ben“, so der Fachausdruck, finanziert. Der reiche Rechnungen genau zu erörtern, wie Landschafts ver band sich unsere Kosten im Ist- bleibt allerdings wei- „Grundsätzlich erhält jeder Zustand zusammensetzen, terhin für die Fest- das Geld auf sein eigenes um dann eine Basisleistung, stellung der fachlichen Konto, um davon sein die für alle gilt, definieren zu Betreuung und deren Leben zu bestreiten.“ können. Bezahlung zuständig. Kai-Marko Danielzik: Ge- deutlich, dass die einzelnen Kommunen Hartmut Hüttenhoff: Das Verfahren ist meinsam mit unserem Controlling haben offensichtlich unterschiedliche Informat- dadurch gegenüber vorher, als ein Kosten- wir eine aufwändige Analyse durchgeführt ionen und Aufschlüsselungen benötigen. träger alle Zahlungen übernommen hat, um zu ermitteln, was für den einzelnen Zudem mussten wir feststellen, dass die natürlich viel komplexer geworden. Jetzt Bewohner das Leben innerhalb der Ein- jeweiligen Ansprüche auch nicht nach ei- wird vor allem genau abgegrenzt, welche richtung kostet. Zunächst sind das die nem einheitlichen System geprüft werden Dinge sich eine Person für ihren privaten Kosten für die Unterkunft – also für die und die einzelnen Kommunen somit auch Bedarf anschafft, gegenüber dem, was von Miete inklusive der Neben- und Instand- zu anderen Ergebnissen und Zahlungen einer Einrichtung zentral zur Nutzung für haltungskosten. Dazu kommen die Kosten kommen können. alle eingekauft wird – wie etwa bestimmte des alltäglichen Lebens, die wir nun mit Pflegeartikel. einer Servicepauschale von aktuell 235 Eu- Was war der eigentliche Hintergrund Silke Gerling: In den Konten müssen wir ro pro Bewohner abbilden. Mit der Ser- für diese aufwändige Umstellung? nun Einzelleistungen von Gemeinschafts- vicepauschale stellen wir sicher, dass die Silke Gerling: Die ursprüngliche Idee des aktivitäten – wie etwa Kinobesuchen oder Basisversorgung der Bewohner*innen ge- Bundesteilhabegesetzes besteht ja darin, Sommerfesten – getrennt erfassen. Das währleistet ist und alle mit den üblicher- auch für Menschen mit Einschränkungen hatte auch die differenzierte Beschreibung weise notwendigen Lebensmitteln ausge- so viel Normalität wie möglich darzustel- von Nebenkosten zur Folge, die vorher in stattet sind. Die darüber hinausgehenden len. Der Fokus liegt darauf, dass jeder in dieser Form nicht nö- personenbedingten Wün - einer besonderen Wohnform lebende Kli- tig war. Grundlage ist „Wir haben eine umfangreiche sche und Anschaffungen wie ent genauso behandelt wird, wie jeder an- nun die einzelne Per- Analyse durchgeführt, um die etwa ein Schwimmbadbe- dere Sozialleistungsempfänger auch – und son, auf die die Kos- Kosten für das Leben in der such, Zeitschriften, Rauch- also auch hinsichtlich seiner Einkommens- ten – etwa auch für Einrichtung zu ermitteln.“ waren oder auch eine Fla- verwaltung eigenständig darüber entschei- Energie und Telefon – sche Wein, sind dann über den soll, wie er mit seinem Geld umgeht. heruntergerechnet werden. den Regelbedarf hinaus eigenständig von Kai-Marko Danielzik: Der Blick geht Hartmut Hüttenhoff: Bei einigen Neben- der Person selbst zu finanzieren. damit weg von der traditionellen Praxis kosten – wie etwa dem Stromverbrauch – Hartmut Hüttenhoff: Die Gesamtkosten einer institutions- und einrichtungszen- sind wir allerdings gar nicht dazu in der zu erfassen, diese individuell zuzuordnen trierten Betrachtungsweise hin zu konse- Lage, diese individuell zu messen – hier und entsprechende Vertragswerke zu ent- quent an den Bedürfnissen der Bewoh- haben wir einen einheitlichen Betrag er- wickeln – das war verwaltungstechnisch ei- ner*innen orientierten Lösungen. Grund- rechnet, der für alle gilt. ne große Herausforderung und mit einem sätzlich erhält der Klient nun sein Geld auf hohen Aufwand verbunden. sein eigenes Konto, um davon sein Leben AusBlick 2020 19
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