AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN

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AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Das Jahresmagazin des Diakoniewerks Essen

                                                             2020
AusBlick
  Der Weg lohnt sich:
  Umsetzung des BTHG zielt
  auf Perspektivwechsel

                                 Ausbildung, Hospitationen,
                                 Praktika: Wie der Einstieg in
                                 soziale Berufe gelingt
  Geschichten, die berühren:
  Schwangerenberatung eröffnet
  neue Möglichkeiten

                                 ZusammenLeben gestalten
  Von Null auf 100:
  Beim Jugendnotruf
  geht’s ums Kindeswohl
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Impressum
    Herausgegeben vom Diakoniewerk Essen
    Bergerhauser Straße 17, 45136 Essen
    Telefon 0201 · 26 64 0, Telefax 0201 · 26 64 59 59 00
    info@diakoniewerk-essen.de
    www.diakoniewerk-essen.de
    Redaktion:
    Julia Fiedler, Kathrin Michels, Bernhard Munzel
    Grafik Design: Q3 design, Dortmund, www.Q3design.de
    Druck: Brochmann GmbH, Essen
    Essen, Mai 2020

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2   AusBlick 2020
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Editorial
 Monatsspruch für Mai 2020:
„ Jeder von euch hat von Gott eine besondere Gabe erhalten; und jeder soll dem
  anderen mit dieser besonderen Gabe dienen. Denn es sind Gaben Gottes und ihr
  seid die Haushalter, die damit umgehen sollen.“
  (1. Petrus 4,10)

 Liebe Förderer und liebe Interessierte an der Arbeit                     Die Größe oder die Kleinheit meines Tuns, reforma-
 des Diakoniewerks Essen!                                                 torisch formuliert: eines Werkes, spielt für dessen sitt-
 „Jedes Leben ist von Gott geschaffen und wertvoll.“ „Wir sind uns        lichen Wert keine Rolle. Das Kleinste, an seinem Ort
 bewusst, dass wir uns gegenseitig brauchen.“ Das sind zwei von           und im rechten Bewusstsein getan, steht auf derselben
                                                                                                                                      Pfarrer Andreas
 zwölf Leitsätzen im Leitbild unseres Diakoniewerks Essen, zu-            Ebene wie das bedeutendste Werk, das einen Nobel-
                                                                                                                                      Müller, Vorstands-
 sammengefasst unter dem Motto „ZusammenLeben gestalten“.                 preis oder eine Millionenvergütung bekommt. Man vorsitzender des
 Mit ihnen wird kurz und einfach ausgedrückt: Jeder Christ darf           muss, was man aus guten Gründen tut, nicht nur aus Diakoniewerks Essen
 sich direkt von Gott geliebt wissen und antwortet darauf mit dem         innerer Überzeugung, sondern kompetent tun. Die
 eigenen Leben und den verliehenen Fähigkeiten. Keine Instanz             religiöse Qualität liegt gerade darin, dass die Arbeit funktional
 steht zwischen dem Einzelnen und Gott. Evangelische Christen             effizient und richtig, dass sie professionell getan wird. In Corona-
 reden deshalb vom „Priestertum aller Gläubigen“. Eigenverant-            Zeiten erhalten so Berufe auf einmal eine gesellschaftliche Wert-
 wortung steht protestantisch hoch im Kurs, mit aller Gewissen-           schätzung, die zuvor lange nicht als „systemrelevant“ eingeschätzt
 haftigkeit, Wahrheitsliebe und Freiheit, die dazugehören. Und die        wurden.
 zweite Erkenntnis, die davon nicht getrennt werden kann: Wir
 brauchen uns gegenseitig. Keiner kann allein sein Leben gestal-            Was abstrakt klingen mag, wird durch das Lesen in diesem Jah-
 ten. Wie sehr das gerade in unserer ausdifferenzierten arbeitstei-         resheft konkret. Dabei lassen sich verschiedene Perspektiven auf
 ligen Gesellschaft zutrifft, erleben wir schmerzlich in der Corona-        den Umgang mit den von Gott geschenkten Gaben ausmachen:
 Krise. Zusammen ergänzen wir uns und gestalten gemeinsam die               Entdecken Sie, wie bunt der Einstieg und die Ausbildung in
 Welt, in der wir leben.                                                    soziale Berufe im Diakoniewerk aussehen. Die Berichte über
                                                                            Studenten-Praktika oder einen Freiwilligendienst stehen eben-
 An die Leitbildsätze musste ich denken, als ich den Monatsspruch           so beispielhaft für diverse Wege in die soziale Arbeit wie der
 für Mai 2020 aus dem 1. Petrusbrief las: „Jeder von euch hat von           Einblick in die aktuelle Ausbildung von Erzieher*innen oder
 Gott eine besondere Gabe erhalten; und jeder soll dem anderen mit          Pflegekräften. Insgesamt beschäftigt das Diakoniewerk knapp
 dieser besonderen Gabe dienen. Denn es sind Gaben Gottes und ihr           90 Mitarbeitende, die sich in einer Ausbildung befinden.
 seid die Haushalter, die damit umgehen sollen.“ Jede und jeder von         Menschen mit einer Behinderung wurde über eine viel zu lange
 uns hat bestimmte Gaben und Fähigkeiten. Die gilt es zu ent-               Zeit abgesprochen, überhaupt eigene Gaben und Fähigkeiten
 decken, zu entwickeln, zu fördern. Sie gilt es einzusetzen, Gott und       zu besitzen, geschweige denn, sie in die Gesellschaft einzubrin-
 den Menschen zugute. Das ist keine spezielle Aufgabe für Pfarre-           gen. Das Interview zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes
 rinnen und Pfarrer. Nein, sie meint alle. Dieser Auftrag bezieht           erinnert an den Perspektivwechsel, der mit diesem gesetzgebe-
 sich nicht nur auf mein privates Leben, sondern die verschiedenen          rischen Meilenstein vollzogen wird. Wie komplex und aufwän-
 Rollen, die ich im Leben habe, kommen ins Spiel. Jede und jeder            dig es ist, diesen Grundgedanken in neue vertragliche und orga-
 ist jeweils in ihrem und seinem Umfeld, also in Beruf und Familie,         nisatorische Formen zu bringen, wird allerdings ebenfalls sehr
 Verein oder Partei, Kirchengemeinde oder Schule oder ganz an-              klar.
 deren Orten eigenverantwortlich nach seinem Beitrag zum Wohl               Entscheidende Weichenstellungen für die Entfaltung unserer
 der Gesellschaft gefragt. Wie alt jemand ist, wie intelligent, welches     Fähigkeiten erfolgen am Anfang unseres Lebens. Das beginnt
 Geschlecht oder wie viel Geld sie oder er hat, ist nicht entschei-         schon vor der Geburt in der Schwangerschaft und spitzt sich bei
 dend. Alle sind berufen, ihren Glauben nach ihren Möglichkeiten            der Gefährdung des Kindeswohles dramatisch zu. Verfolgen Sie
 zu leben und ihre individuellen Gaben einzubringen.                        mit, wie Mitarbeitende im Jugendnotruf oder in der Beratungs-
                                                                            stelle für Schwangerschaft, Familie und Sexualität das ihre da-
 Deshalb können und sollen Christen ihre Alltagstätigkeit so ver-           zu tun, um Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Familien
 stehen, dass sie von Gott in ihren Stand – in den Worten der               Wege zu möglichst guten Lebensverläufen zu bahnen.
 Reformationszeit – berufen sind. Das heißt: ihre alltägliche Arbeit
 ist ihr Beruf. So wie der Pfarrer sein Amt als Gottesdienst ver-         Darüber hinaus finden Sie wieder Zahlen, Daten und Fotos zum
 steht, so dürfen und sollen auch Bauer, Stallmagd oder Kaufmann          Diakoniewerk im letzten Jahr. Dazu zählt der Überblick über das
 ihren Beruf als Gottesdienst sehen und praktizieren. Eine Auf-           beeindruckende ehrenamtliche Engagement sowie die Einladung,
 zählung würde heute viel mehr und andere Berufe erfassen. Die            das Diakoniewerk durch Spenden zu unterstützen. Diese Unter-
 sozialen Berufe gehören auf jeden Fall dazu. Dort wird der Sinn          stützung wird in Corona-Zeiten besonders gebraucht, aber auch
 der Arbeit im direkten Kontakt mit Menschen vielleicht sogar             darüber hinaus.
 leichter erfahrbar als in manch anderen Berufen. Die Freiheit
 eines Christenmenschen befreit vom Zwang zur Perfektion und              Bleiben Sie uns gewogen. Und bleiben Sie behütet.
 zur Rechtfertigung vor Gott. Sie macht jede Bevorzugung religiö-
 ser Berufe vor anderen Berufen hinfällig. Es kommt darauf an, im
 Dienst am Nächsten zu wirken – wie und wo genau auch immer
 das dann geschieht.                                                      Pfarrer Andreas Müller, Vorstandsvorsitzender

AusBlick                                                                                                        2020          AusBlick 2020     3
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Berufseinstieg

                                                                                    Im Gespräch: Teamleiterin Kathrin Certa,
    Optimaler Weg für den Berufseinstieg:                                           Werkstudentin Jessica Ornely Ntomono und
                                                                                    Bereichsleiterin Gisela Strotkötter (von links)
    Die Arbeit mit Werkstudent*innen ist den                                        erörtern die unterschiedlichen Möglichkeiten
    Sozialen Diensten ein „Herzensanliegen“                                         des Berufseinstiegs.

    S
             tudieren und nebenbei eine Erwerbsarbeit ausüben, um sich den          Frau Strotkötter, bei den Sozialen
             Lebensunterhalt zu verdienen oder Praxiserfahrung zu sammeln –         Diensten setzt man schon lange
             ein Stelle als Werkstudent*in ist für viele junge Menschen eine gute   verstärkt auf Werkstudent*innen?
                                                                                    Warum eigentlich?
             Alternative zu den üblichen Nebentätigkeiten. Noch dazu ist sie ein
                                                                                    Gisela Strotkötter: Für uns ist die Qua-
    absolutes Plus im Lebenslauf: In kaum einem anderen Studentenjob kann           lifizierung von Berufsneulingen ein Her-
    man so umfangreiche fachspezifische Erfahrungen sammeln. Man lernt nicht        zensanliegen. Das muss ich einfach so
    nur, die bereits erworbene Theorie praktisch umzusetzen, sondern sieht auch,    sagen. Denn die Identitätsbildung der Stu-
    welche Bedeutung diese in den einzelnen Tätigkeitsfeldern hat. Man erlebt       dent*innen findet eben nicht im Hörsaal,
    den tatsächlichen Arbeitsalltag und bereitet sich damit gezielt auf die Zeit    sondern in der praktischen Arbeit statt.
                                                                                    Dieser Praxisbezug ist durch die Umstel-
    nach dem Studium vor. Das verschafft einen realistischen Blick für den
                                                                                    lung auf Bachelor- und Masterstudien-
    Berufseinstieg. Insbesondere bei den Sozialen Diensten werden regelmäßig
                                                                                    gänge in den vergangenen Jahren leider
    Werkstudent*innen eingesetzt. Warum die Arbeit mit ihnen so wertvoll ist,       mehr und mehr verloren gegangen. Die
    erfahre ich in einem Gespräch mit Bereichsleiterin Gisela Strotkötter, Team-    Praxisrelevanz hat einfach nicht mehr den
    leiterin Kathrin Certa von der Sozialpädagogischen Nachmittagsbetreuung         Stellenwert fürs Studium, die sie eigentlich
    und Werkstudentin Jessica Ornely Ntomono.                                       bräuchte – ein Anerkennungsjahr, das frü-
                                                                                    her notwendig war, gibt es beispielsweise
                                                                                    nicht mehr.

4   AusBlick 2020
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Soziale Dienste

Welche praktischen Erfahrungen sind            Praktika ausprobieren und dadurch in ver-     ihres Studiums ganz häufig bei uns. Denn
es denn, die den Student*innen fehlen?         schiedene Arbeitsfelder hineinschnup-         wenn Stellen frei werden, schauen wir na-
Gisela Strotkötter: Ein großes Manko ist       pern. Sie sind die ersten Schritte in der     türlich erstmal in den eigenen Reihen.
die fehlende Beratungskompetenz. Die           Entwicklung eines eigenen beruflichen
systemische Beratung ist an den Unis mitt-     Profils und Türöffner für die eigene Po-      Frau Certa, Sie sind auch als Werk-
lerweile ein Wahl- und kein Pflichtfach        sitionierung im Berufsumfeld. Dadurch         studentin bei den Sozialen Diensten
mehr. Dabei ist die Beratung essentiell.       wird man noch einmal ganz anders mit          gestartet, richtig?
Ohne sie geht es nicht. Gerade auch bei        dem Studium und der eigenen Persönlich-       Kathrin Certa: Ja, genau. Ich habe 2015
den Sozialen Diensten. Hier haben wir          keit konfrontiert. Es wird aber auch der      als Werkstudentin angefangen. Später bin
sehr viele Praxisstellen, bei denen die Be-    nötige Freiraum gegeben, um zu reflektie-     ich dann mit einer 75%-Stelle eingestie-
ratung einfach dazugehört – etwa die Ju-       ren, wo man sich in der Zukunft sieht und     gen. Und mittlerweile bin ich Teamlei-
gendgerichtshilfe, die Schwangerenbera-        welche Bereiche vielleicht eher weniger ge-   terin bei der Sozialpädagogischen Nach-
tung, die Flexiblen Hilfen, die Sozialpä-      eignet sind.                                  mittagsbetreuung. Drei von unseren insge-
dagogische Nachmittagsbetreuung, die                                                         samt sieben Gruppenleitungen sind eben-
Schulsozialarbeit oder die Stadtteilarbeit.    Ein echter Gewinn für die                     falls zuvor als Werkstudent*innen bei den
                                               Werkstudent*innen!                            Sozialen Diensten gestartet. Das zeigt, dass
Wie versuchen Sie, diesem Mangel               Gisela Strotkötter: Ja, vor allem aber        dies ein überaus beliebter Weg ist, der es
entgegenzuwirken?                              auch ein Gewinn für beide Seiten. Die Stu-    einem leichter macht, den beruflichen Ein-
Gisela Strotkötter: Wir lassen unsere          dent*innen können während ihres Studi-        stieg zu gestalten.
Mitarbeitenden nicht alleine, sondern lei-     ums Praxiserfahrungen sammeln und ihr
ten, begleiten und inspirieren sie mit einer   Studium gleichzeitig mitfinanzieren. Wir
hohen Motivation. Die Beratungskompe-          wiederum können die Student*innen schon       Tolle Perspektiven: Kathrin Certa, Jessica Ornely
tenzen fördern wir durch interne Schu-         vor Abschluss in den Blick nehmen. Und        Ntomono und Gisela Strotkötter (von links) sind
lungen und Fortbildungen. Bei uns kann         wenn die Zusammenarbeit erfolgreich           begeistert von der Vielfalt der Tätigkeitsfelder, die
und soll man sich auch in ergänzenden          läuft, bewerben sie sich nach Abschluss       die Sozialen Dienste eröffnen.

                                                                                                                           AusBlick 2020      5
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Berufseinstieg

    Erzählen Sie doch mal etwas zur                stark darauf, dass die Zusammenstellung
    Sozialpädagogischen Nachmittags-               heterogen ist, was Sozialarbeiter*innen,
    betreuung. An wen richtet sich diese?          Werkstudent*innen und Kinder anbelangt.
    Kathrin Certa: Die Sozialpädagogische          Davon profitieren letztlich alle Beteiligten.
    Nachmittagsbetreuung ist eine Jugend-          Jessica Ornely Ntomono: Das kann ich            Bereichsleiterin Gisela Strotkötter
    hilfemaßnahme in Kooperation mit dem           bestätigen. Ich arbeite selbst in einer Grup-   koordiniert den Einsatz von rund
    Jugendamt und sieben Grundschulstand-          pe mit vielen erfahrenen Personen, die          30 Werkstudent*innen und begleitet
    orten im Essener Westen. Dort sind wir         mich wirklich gut angeleitet haben. So-         persönlich ihren Einstieg in das Berufs-
    unmittelbar in die Strukturen der jeweili-     wohl die Gespräche, als auch die Metho-         leben.
    gen Grundschule und des Offenen Ganz-          denerarbeitung im Team haben mir sehr
    tags integriert. Unser intensivpädagogi-       geholfen und immer wieder einen wichti-
    sches Gruppenangebot richtet sich an Kin-      gen Input gegeben, wie man mit den Kin-         der Erwerb sozialer und emotionaler
    der mit erhöhtem pädagogischen Bedarf,         dern arbeiten kann. Insbesondere die kol-       Kompetenzen. Der Ablauf des Nachmit-
    die in einzelnen Bereichen zusätzliche För-    legiale Beratung erleichtert den Einstieg:      tags ist dabei stark ritualisiert: Wir begin-
    derung benötigen. In der Regel sind dies       Man erhält viel Feedback, wird unterstützt      nen mit einem Stuhlkreis, erkundigen uns
    Kinder, die von den Lehrkräften vorge-         und angeleitet.                                 nach den Befindlichkeiten der Kinder und
    schlagen werden. Etwa extrovertiert auffäl-    Kathrin Certa: Die Gruppenleitung hält          setzen uns gleichzeitig mit ihren Gefühlen
    lige Kinder, die beispielsweise ein schlech-   stetigen Kontakt zu den Eltern und zum          auseinander. AGs und Freispiel finden
    tes Regelverständnis zeigen, oder auch in-     Jugendamt, um schwierige Fälle und die          ebenfalls statt. Wichtig dabei: Konflikte
    trovertierte Kinder, die Schwierigkeiten auf   jeweilige individuelle Entwicklung zu do-       dürfen und sollen hier ruhig entstehen.
    der emotionalen Ebene haben. Manche            kumentieren. Auch das kriegen die Stu-          Denn unsere Aufgabe ist es ja, darauf ein-
    Kinder werden auch direkt vom Jugend-          dent*innen am Rande durch Teamsitzun-           zugehen. Das ist zum Teil eine Herausfor-
    amt vorgeschlagen, weil bei ihnen zu Hau-      gen und ihre Gruppenleitungen mit. So           derung, denn die Kinder bekommen hier
    se gerade viel los ist – etwa eine Scheidung   etwas lernt man nicht an der Uni. Das ist       in gewisser Weise ihre Bühne – allerdings
    oder ein Trauerfall.                           die Praxis, die für den Beruf so essentiell     auch ein Training im Umgang mit den
                                                   ist. Zweimal im Jahr kommt zudem eine           Konflikten.
    Wie werden die Gruppen                         Fachberatung zwecks Schulung der Werk-
    zusammengestellt?                              student*innen, um die Grundidee einer           Wie viele Werkstudent*innen sind denn
    Kathrin Certa: Jede Gruppe besteht aus         systemischen pädagogischen Haltung und          derzeit bei den Sozialen Diensten im
    maximal zehn Kindern und vier Betreu-          Konfliktbearbeitung zu vermitteln. Span-        Einsatz?
    er*innen. Hier eingesetzte Student*innen       nend ist auch, dass die Zusammenstellung        Gisela Strotkötter: Etwa 30 Werkstu-
    der Sozialen Arbeit müssen vor ihrer Ein-      der Gruppen nicht konstant ist. So kom-         dent*innen sind zurzeit bei uns beschäf-
    stellung hospitieren, da wir in die Bezieh-    men immer wieder neue Mitarbeitende             tigt.
    ungsarbeit gehen. Deshalb achten wir auch      mit unterschiedlichen Erfahrungshinter-
                                                   gründen dazu – etwa Kolleg*innen mit            Frau Ntomono, Sie sind eine dieser
                                                   Übungsleiterscheinen aus Sportvereinen          Werkstudent*innen. Wie ist denn Ihr
    Auch Kathrin Certa startete vor vier Jahren    oder schauspielerischen Fähigkeiten. Wir        Werdegang und wie sind Sie an die
    als Werkstudentin – und ist jetzt Teamlei-     hatten auch schon mal eine ausgebildete         Stelle gekommen?
    terin in der Sozialpädagogischen Nach-         Logopädin im Team. Von diesen vielfälti-        Jessica Ornely Ntomono: Ich bin 2009
    mittagsbetreuung.                              gen Inputs profitieren alle.                    nach Deutschland eingewandert, habe hier
                                                                                                   mein Abi gemacht und dann ein sozialpä-
                                                   Wie sieht die Arbeit mit                        dagogisches Studium an der Uni Duis-
                                                   den Kindern konkret aus?                        burg-Essen gestartet. Um mein Studium
                                                   Kathrin Certa: Das Angebot erfolgt regel-       zu finanzieren, habe ich zunächst bei einer
                                                   mäßig an drei Nachmittagen pro Woche            Warenhauskette gearbeitet – und zwar täg-
                                                   von 14.00 bis 16.00 Uhr. Ein besonderes         lich. Da wir aber während des Studiums
                                                   Augenmerk wird dabei auf eine indivi-           auch Arbeitsscheine sammeln müssen,
                                                   duelle Förderung des einzelnen Kindes           habe ich mich weiter umgeschaut und die
                                                   gelegt. Auf jedes Kind wird ressourcen-         Stellenausschreibung des Diakoniewerks
                                                   orientiert eingegangen. Die gezielte Förder-    entdeckt. Seit 2018 bin ich jetzt bei den
                                                   arbeit findet bedarfsorientiert einzeln und     Sozialen Diensten im Bereich der Sozial-
                                                   in kleinen Gruppen statt. Wichtig ist uns       pädagogischen Nachmittagsbetreuung.
                                                   auch ein Sozialkompetenztraining, also

6   AusBlick 2020
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Soziale Dienste

Mit welch einem Stundenumfang                   werden kann. So kann in einzelnen Pro-
sind sie dort tätig?                            jekten mehr und mehr Verantwortung
Jessica Ornely Ntomono: Ich arbeite sie-        übernommen werden und die Aufgaben
ben Stunden in der Woche. 20 Stunden            werden dadurch immer spannender.
darf man als Werkstudent*in maximal ar-         Kathrin Certa: So ist es. Wir sind bei un-
beiten. Jetzt verdiene ich aber mehr als vor-   serer Zusammenarbeit im Team regelrecht
her und habe daneben noch genügend              auf das Engagement unserer Student*in-
Zeit, um mich aufs Studium vorzubereiten.       nen angewiesen. Eigeninitiative ist sehr
                                                wichtig: Bestimmte Dinge müssen vorbe-
Klingt nach einer wirklich                      reitet und es muss mitgedacht werden.
guten Alternative!                              Aber man kriegt als Student*in eben auch
Jessica Ornely Ntomono: Es lohnt sich           etwas zurück. Manchmal wird das Studi-         Seit zwei Jahren dabei: Werkstudentin
auf jeden Fall, man profitiert von sehr vie-    um sogar bewusst hinausgezögert, weil          Jessica Ornely Ntomono profitiert enorm
len Dingen. Die Arbeit im Team ist einfach      man hier solch eine fundierte Wissens-         von den praktischen Erfahrungen, die sie in
hochmotivierend und gleichzeitig auch ein       vermittlung erhält.                            der Sozialpädagogischen Nachmittagsbe-
Schutzraum, in dem Fehler aufgezeigt und        Gisela Strotkötter: Die Weiterbildung bei      treuung sammelt.
besprochen werden können. Die Feed-             uns ist wirklich ein Gütesiegel. Das kriegen
back-Kultur ist wirklich toll! Durch die        wir auch von Anstellungsträgern zurück-
Arbeit als Werkstudent*in kann man sich         gemeldet, die unsere Student*innen über-       tende. Da der Einstellungsverlauf mit Vor-
spezialisieren und man entwickelt sich          nehmen, wenn bei uns mal keine Stelle frei     stellungsgespräch und Hospitation etwa
persönlich und fachlich enorm weiter.           sein sollte. Aber wir können eigentlich        drei bis vier Monate dauert, kann man sich
Gisela Strotkötter: Stimmt, wir haben           auch immer Nachwuchs gebrauchen, su-           also durchaus ab sofort bei uns bewerben.
jede Menge anzubieten. Aber wir erwarten        chen fortlaufend geeignete Mitarbeitende.      Das Interview führte Kathrin Michels
im Gegenzug auch viel von unseren Stu-
dent*innen. Sie müssen sich engagieren          Und wie sieht es momentan bei Ihnen            Ideales Qualifizierungsfeld: Allein drei der derzeit
und vor allem auch zuverlässig sein. Es ist     aus? Sind derzeit Stellen zu besetzen?         sieben Teamleitungen der Sozialpädagogischen
ein Anstellungsverhältnis, bei dem das          Gisela Strotkötter: Zurzeit suchen wir         Nachmittagsbetreuung starteten wie Kathrin
Vertrauen zum Arbeitgeber stabilisiert          ganz konkret ab September neue Mitarbei-       Certa ihren beruflichen Weg als Werkstudentinnen.

                                                                                                                             AusBlick 2020      7
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Vielfältige Aufgaben: Kita-Leiterin Nicole Weber,
                                                                                              die als Auditorin auch das Qualitätsmanagement-
                                                                                              system externer Kitas zertifiziert, ist seit zwei
                                                                                              Jahren für die Ausbildung in 21 Kindertages-
                                                                                              stätten zuständig.

    „Probiert euch aus!“: Die Ausbildungsbeauftragte Nicole Weber
     sorgt für gezielte Nachwuchsförderung in den Kitas

    F
              achliche Expertin, Mentorin, persönlicher Coach, Motivatorin und                tungen zu akquirieren, aber auch langfri-
              Lernprozessbegleiterin – all das verkörpert Nicole Weber für die vie-           stig zu integrieren. Die Installation einer
                                                                                              Ausbildungsbeauftragten spielt dabei eine
              len Erzieher*innen-Azubis im Diakoniewerk. Die 47 Jahre alte Mutter
                                                                                              zentrale Rolle. Auch wenn momentan
              zweier fast erwachsener Kinder ist seit 2018 Ausbildungsbeauftragte
                                                                                              noch Fachkräfte fehlen, werden wir in den
     der Kita-Gesellschaft. Außerdem leitet sie die Kita „Arche Noah“ in Essen-               nächsten Jahren gut aufgestellt sein. Da bin
     Überruhr. Der Nachwuchs liegt ihr eben am Herzen – auch ganz unabhängig                  ich mir sicher!
     vom Alter. Denn er sorgt für frischen Wind. Für Nicole Weber ein ganz wichtiger
     Aspekt, wie sie mir im Gespräch erzählt.                                                 Welche Aufgaben sind denn
                                                                                              damit verbunden?
    Eine Ausbildungsbeauftragte für unse-       und dieser Prozess ist noch nicht abge-       Nicole Weber: Ich betreue und begleite
    re Kitas – diese Sonderaufgabe wurde        schlossen. Gleichzeitig herrscht ein großer   praktisch alle Erzieher*innen-Azubis, Prak-
    vor rund zwei Jahren geschaffen. Was        Fachkräftemangel. Dieser Herausforde-         tikant*innen und deren Anleiter*innen
    beinhaltet sie genau?                       rung wollten wir gerecht werden. Wir          und wirke bei der gesamten Organisati-
    Nicole Weber: Ja, richtig, diese Funktion   haben erkannt, dass wir den eigenen Nach-     ons- und Ausbildungsplanung mit. Gleich-
    gab es vorher in der Kita-Gesellschaft      wuchs stärker fördern müssen, um damit        zeitig bin ich intern und extern gut ver-
    nicht. Aber wir sind eben in den letzten    eben auch unsere Chancen zu verbessern,       netzt, etwa mit der Kita-Fachberatung, der
    Jahren extrem gewachsen, haben viele        qualifiziertes pädagogisches Nachwuchs-       Personalabteilung sowie Schulen und
    Kitas übernommen und neu eröffnet –         personal für unsere Kindertageseinrich-       Fachverbänden. Ganz konkret plane und

8   AusBlick 2020
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Kita-Ausbildung

gestalte ich gemeinsame einrichtungsüber-     öffentlich wirksam – etwa auf Ausbildungs-    sätze, der mir mindestens genauso am
greifende Treffen mit allen Berufsanerken-    messen, Infoveranstaltungen oder Hospi-       Herzen liegt, wie die Vermittlung fachli-
nungspraktikant*innen innerhalb eines         tationen.                                     cher Kenntnisse.
Ausbildungsjahres. Beim Einführungs-
workshop lernen wir uns zunächst einmal       Worauf liegt Ihr inhaltlicher Fokus           Wie wird man eigentlich Ausbildungs-
kennen und sprechen über unsere Erwar-        gegenüber den Auszubildenden?                 beauftragte? In Ihrem Hauptberuf sind
tungen, Befürchtungen und Wünsche so-         Nicole Weber:: Die Stärkung der persön-       Sie ja eigentlich doch Einrichtungs-
wie die Vernetzung von Arbeitsgruppen         lichen Entwicklung steht genauso im           leiterin?
untereinander. Bei den darauffolgenden        Vordergrund, wie das Fachwissen. Die          Nicole Weber: Richtig. Aber ich bin ei-
Treffen prüfen wir, ob das theoretische       Auszubildenden können mich jederzeit          gentlich immer offen für Neues, brauche
Fachwissen auch in der Praxis umgesetzt       kontaktieren. Denn manchmal treten ja         diesen frischen Wind und mag es über-
werden kann, besprechen Projektarbeiten       auch ganz persönliche Fragen, Probleme        haupt nicht, stehenzubleiben. Auch beruf-
und bereiten uns auf das Kolloquium –         oder Konflikte auf, für die es gilt, eine     lich hinterfrage ich mich und meine Arbeit
also die theoretische Prüfung – vor. Ge-      geeignete Lösung zu finden. Aber das hält     ständig und versuche stets, mich weiterzu-
nerell gebe ich den Workshops nur wenige      sich bislang eher in Grenzen – solche Din-    entwickeln. Nur weil es schon immer so
Vorgaben, sondern sehe das eher als eine      ge werden eigentlich oftmals direkt in den    war, heißt es nicht, dass es auch jetzt noch
Art Ideenwerkstatt, bei der sich jeder ein-   Einrichtungen vor Ort geklärt. Generell       die beste Lösung ist. Als unser Geschäfts-
bringen und Themen ergänzen darf. Der         versuche ich unseren Auszubildenden aber      bereichsleiter Herr Leggereit damals mit
Höhepunkt ist dann natürlich unsere ge-       vor allem zu vermitteln, sich während ihrer   der Anfrage auf mich zukam, habe ich
meinsame Abschlussfeier mit der Ausgabe       Ausbildungszeit auszuprobieren – und
der Zeugnisse. Darüber hinaus berate und      zwar so intensiv es geht: Mach alles! Wage    Persönliche Beratung: Auch bei Jobmessen und
unterstütze ich auch die Anleiter*innen,      dich! Du darfst Fehler machen und dann        Fachveranstaltungen ist Nicole Weber aktiv und
organisiere Schnupperpraktika und bin         daraus lernen. Das ist einer meiner Grund-    informiert über die Erzieher*innen-Ausbildung
                                                                                            in Kindertageseinrichtungen.

BU

                                                                                                                         AusBlick 2020      9
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Nicole Weber

     mich gefreut und zugesagt. Ich empfinde       Freispielangebote gestalten. Nach erfolg-       Was sind denn die Chancen und
     die Arbeit mit dem Nachwuchs generell als     reichem Abschluss per Kolloquium erhält         Herausforderungen dieser neuen
     echte Bereicherung, eine Art Win-Win-Si-      man die Anerkennung als staatlich geprüf-       Ausbildung?
     tuation: Ich kann Erfahrungen weiterge-       te/r Erzieher*in. Seit diesem Jahr gibt es in   Nicole Weber: Das Ausbildungssystem ist
     ben und bekomme im Gegenzug neue              NRW zudem die praxisorientierte Ausbil-         ein völlig anderes. Die Zusammenarbeit
     Ideen und Denkanstöße. Das finde ich          dung, kurz „PiA“ genannt – eine Art duale       mit den Schulen ist noch intensiver. Wir
     wirklich ganz toll!                           Erzieher*innen-Ausbildung. Diese dauert         sind jetzt eher Ausbildungspartner. Und
                                                   ebenfalls drei Jahre, aber es werden theore-    genau daran müssen wir noch arbeiten,
     Wie sieht die Erzieher*innen-                 tische und praktische Ausbildungszeiten         das müssen wir noch ausbauen. Beide
     Ausbildung eigentlich aus und                 miteinander verzahnt. Mit anderen Wor-          Seiten müssen verstärkt Interessen abglei-
     wie lange dauert sie?                         ten: Die Praxiszeit der klassischen Erzie-      chen und Lösungen finden. Manchmal
     Nicole Weber: Für die Erzieher*innen-         her*innen-Ausbildung einschließlich Be-         kollidieren etwa Schultage mit wichtigen
     Ausbildung hat jedes Bundesland seine         rufspraktikum ist ebenso wie die Unter-         Terminen in den Einrichtungen. Oder
     eigenen Regelungen. In Nordrhein-West-        richtszeit gleichmäßig in die drei Ausbil-      Theoriewissen und Praxisarbeit sind nicht
     falen ist der klassische Weg eine Ausbil-     dungsjahre integriert. Im ersten und zwei-      kongruent, das merke ich bei unseren
     dung an einer Fachschule, für deren Zu-       ten Jahr haben die Auszubildenden drei          Treffen. Da haben die PiA-Praktikan-
     lassung man eine einjährige sozialpädago-     Tage Schule und zwei Kita-Tage, im letzten      t*innen vieles noch nicht in der Schule
     gische Praxiserfahrung vorweisen muss. In     Jahr ist es andersherum.                        durchgenommen. Das unterscheidet sie
     den meisten Fällen ist dies ein einjähriges                                                   von den Berufspraktikant*innen, die das
     Fachoberschul- (FOS-) Praktikum. Die          Und wie sieht es mit der Vergütung              Theoriewissen ja bereits vermittelt bekom-
     anschließende Erzieher*innenausbildung        aus? Gibt es da auch Unterschiede?              men haben. Dafür können die PiA-Prak-
     dauert dann in der Regel drei Jahre. Davon    Nicole Weber: Da die klassische Erzie-          tikant*innen ihr schulisches Wissen regel-
     werden zwei Jahre fachtheoretisch an der      her*innen-Ausbildung eine schulische ist,       mäßig in der Praxis überprüfen und eigene
     Fachschule absolviert und mit einer theo-     erhält man während der Schulzeit allen-         praktische Erfahrungen im Unterricht re-
     retischen Prüfung, dem Fachschulexamen,       falls eine Ausbildungsbeihilfe. Fest geregelt   flektieren. Auch die Zusammenarbeit mit
     beendet. Daran schließt sich das Berufs-      ist nur die Aufwandsentschädigung für das       den Auszubildenden in den Einrichtungen
     praktikum, das Anerkennungsjahr, an.          FOS-Praktikum und die Ausbildungsver-           ändert sich. Sie sind nun drei Jahre in der-
     Während des Anerkennungsjahres sind           gütung im Anerkennungsjahr. Bei der PiA-        selben Einrichtung – also über einen viel
     die Anerkennungspraktikant*innen dann         Ausbildung bekommen die Azubis für alle         längeren Zeitraum. Weiterentwicklungen
     fest in einer Einrichtung und müssen ver-     drei Jahre vom ersten Tag an eine gestaffel-    können daher besser beobachtet und Ver-
     schiedene Pflichtaufgaben seitens der         te Vergütung. Ein nicht unerheblicher As-       antwortung gezielter übertragen werden.
     Schule wie Elternabende, Projekttage oder     pekt.                                           Die Mühe der Einarbeitung lohnt sich

10   AusBlick 2020
Kita-Ausbildung

                                                                                            Gezielte Verknüpfung von Theorie und Praxis:
unmittelbar. Man kann sagen, dass die        neun sind Anerkennungspraktikant*innen         In regelmäßigen Abständen treffen sich alle
PiA-Ausbildung wirklich ein geeignetes       und drei von ihnen sind PiA-Praktikan-         Berufsanerkennungspraktikant*innen zu ge-
Mittel zur Fachkräftegewinnung ist, denn     t*innen.                                       meinsamen Workshops.
sie bringt eine ganz neue Zielgruppe in
unsere Einrichtungen: Eben all diejenigen,   Und wie ist der Trend?
für die die bisherige Vergütung nicht aus-   Nicole Weber: Die PiA-Ausbildung ist           Bindung an den Träger gelingen, die einen
reichend war. So ist etwa die Zahl der       ganz klar im Kommen. Die Bewerberzah-          Gewinn für alle Beteiligten bedeutet.
Männer, die den Erzieherberuf erlernen,      len steigen deutlich und auch im Aus-
gestiegen. Aber auch für ehemalige Lehr-     tausch mit den Schulen wird dieser Trend       Die Ausbildung wandelt sich also
amtsstudenten ist die Ausbildung nun in-     bestätigt. Für das kommende Ausbildungs-       gerade – abschließend würde mich
teressant, denn sie bietet Chancen für den   jahr haben wir daher fünf weitere PiA-         daher noch interessieren, ob sich der
beruflichen Wiedereinstieg. Und was wir      Plätze vorgesehen.                             Erzieher*innenberuf verändert hat?
auch merken: Mit steigender Vorbildung,                                                     Nicole Weber: Ja, sogar sehr. Es ist keines-
Leistungsstärke, Lebensalter und Erfah-      Wie sieht es nach der Ausbildung aus?          wegs mehr der gleiche Beruf, wie etwa vor
rung steigt auch die Motivation der Aus-     Wie ist die Übernahmequote?                    20 Jahren. Zu unserem eigentlichen Be-
zubildenden.                                 Nicole Weber: In der Regel haben wir           treuungs- und Bildungsauftrag sind viele
                                             beim Diakoniewerk eine gute Übernah-           Aufgaben hinzugekommen, die heutzutage
Kann man denn die PiA-Ausbildung             mequote. Für viele Azubis sind wir ein         zu erfüllen sind. Ich denke da an flexible
an allen Fachschulen absolvieren, an         wirklich interessanter Arbeitgeber, weil wir   Öffnungszeiten, die Anfertigung von Ent-
denen die klassische Ausbildungsform         so breit aufgestellt sind. Erzieher*innen      wicklungsdokumentationen und jährli-
angeboten wird?                              können sich nach Abschluss der Aus-            che Entwicklungsgespräche, Sicherheits-
Nicole Weber: Nein, in Essen ist die PiA-    bildung sowohl bei der Kita-Gesellschaft       und Brandschutz-Vorgaben, Hygiene-Vor-
Ausbildung derzeit nur im Bildungspark       bewerben, als auch innerhalb der Kinder-       schriften oder auch das Qualitätsmana-
möglich. Aber es gibt weitere Fachschulen    und Jugendhilfe weiterentwickeln – etwa        gement. Die Inhalte sind inzwischen deut-
in der näheren Umgebung, etwa in Düssel-     im Karl-Schreiner-Haus oder im Internat        lich vielfältiger und machen den Beruf da-
dorf, Hattingen oder Velbert. Dort werden    für hörgeschädigte Schülerinnen und            durch meiner Meinung nach aber auch
ebenfalls PiA-Ausbildungen angeboten.        Schüler. Natürlich existiert auch immer ein    wesentlich attraktiver, je mehr man sich
                                             Anteil derer, die noch ein Studium, etwa in    auf die Herausforderungen einlässt.
Wie sieht denn die Verteilung in der         Sozialer Arbeit, anschließen, oder sich        Das Interview führte Kathrin Michels
Kita-Gesellschaft aus? Wie viele             anderweitig weiterbilden wollen. Auch hier
Anerkennungspraktikant*innen gibt            liegen die Vorteile der PiA-Ausbildung klar
es und wie viele PiA-Prakitkant*innen        auf der Hand: Wir können den eigenen
arbeiten bei uns?                            Nachwuchs ausbilden, der bei der an-
Nicole Weber: Derzeit bilden wir insge-      schließenden Übernahme bereits mit der
samt 16 Erzieher*innen-Azubis aus. Da-       trägerspezifischen Konzeption vertraut ist.
runter sind vier FOS-Praktikant*innen,       Es kann also im Laufe der Ausbildung eine

                                                                                                                         AusBlick 2020     11
Große Wertschätzung: Michaela Endemann
                                                                                      kam über eine Zeitarbeitsfirma ins Heinrich-
                                                                                      Held-Haus – und fasste dann einen überra-
                                                                                      schenden Entschluss.

                                                                                      Michaela Endemann sitzt mir gegenüber
                                                                                      und erzählt über sich, ihren Werdegang
                                                                                      und ihre ungewöhnliche Berufung: „Über
                                                                                      eine Zeitarbeitsfirma bin ich quasi hier
                                                                                      ins Heinrich-Held-Haus hineingerutscht,
                                                                                      ganz ohne Bewerbung“, berichtet sie. „Zu-
                                                                                      nächst als Schwesternhelferin, zur Schwan-
                                                                                      gerschaftsvertretung für ein Jahr. Irgend-
                                                                                      wann habe ich dann erwähnt, dass ich ger-
                                                                                      ne noch eine Ausbildung zur examinierten
                                                                                      Altenpflegerin machen möchte.“ Dem
                                                                                      wurde zugestimmt.

                                                                                      „Ich habe schon als junges Mädchen
                                                                                      in der Pflege gearbeitet.“
                                                                                      Wenn andere langsam ans Aufhören den-
                                                                                      ken, startet Michaela Endemann noch ein-
                                                                                      mal durch. Mal eben beginnt die inzwi-
                                                                                      schen 54-jährige eine Ausbildung zur exa-
                                                                                      minierten Altenpflegerin. Weil sie in ihrem
                                                                                      Alter weiß, was sie will. Und weil es ihre
                                                                                      Berufung ist. „Ich habe schon als junges
                                                                                      Mädchen in der Pflege gearbeitet. Meine
                                                                                      Mutter war Krankenpflegerin im Kran-
                                                                                      kenhaus, in der Nachtwache. In den Ferien
                                                                                      habe ich ihr immer geholfen. Mit zwölf
                                                                                      Jahren habe ich da schon ziemlich viel ge-
                                                                                      macht: Patienten gewaschen, versorgt und
                                                                                      sogar gespritzt.“ Sie gerät ins Plaudern und
                                                                                      man hört ihr gerne zu. Sie verrät, dass sie
                                                                                      eigentlich schon damals eine Pflegeaus-
                                                                                      bildung angefangen hatte bei den Diako-
                                                                                      nissen, aber das Umfeld dort einfach nicht
                                                                                      ihre Welt war. Also hat sie sich kurzerhand
                                                                                      umentschieden, absolvierte eine Ausbil-
                                                                                      dung zur Bauschlosserin und ging im An-
                                                                                      schluss als Au-Pair nach Israel. Drei Jahre
                                                                                      hat sie dort gelebt und mit ihrem damali-
                                                                                      gen palästinensischen Partner zwei ihrer
                                                                                      insgesamt drei Kinder bekommen. „Das
     „Ich kann doch eigentlich nur gewinnen!“:                                        war eine coole Zeit dort, wirklich super-
                                                                                      schön“, berichtet sie rückblickend. Mittler-
      Die 54-jährige Pflege-„Azubine“ Michaela                                        weile sind sie und ihre erwachsenen Kin-
      Endemann über Lebensfreude und ihre                                             der aber schon lange Zeit wieder zurück in
                                                                                      Deutschland.
      späte Berufung
                                                                                      „Alte, behinderte und psychisch kran-

     M
                      ichaela Endemann befindet sich zurzeit mittendrin in ihrem      ke Menschen? Das kann ich nicht, war
                      dritten Lehrjahr im Heinrich-Held-Haus und ist damit eine von   mein erster Gedanke.“
                                                                                      Single mit drei Kindern und glücklich, so
                      mehr als 80 Auszubildenden im Diakoniewerk. Und doch ist
                                                                                      beschreibt sie sich selbst. „Ich kann doch
                      sie eben ganz anders. Denn Michaela Endemann ist 54 Jahre
                                                                                      jetzt machen, was ich will. Warum sollte
     alt. Eine gestandene Frau und Mutter dreier erwachsener Kinder. Die Schulbank    ich stagnieren?“ Deswegen gab Michaela
     hatte sie längst hinter sich gelassen. Und dann wieder neu für sich entdeckt.    Endemann auch ihren letzten Job im

12   AusBlick 2020
Pflege-Ausbildung

                                                 Gemeinsames kennenlernen und gegenseitiger Austausch: Die „Azubi-Tage“ der
                                                 drei Pflegeeinrichtungen haben sich inzwischen im Jahreskalender fest etabliert.

Spielcasino auf und wagte endlich den
Gang in die Pflege. „Erst habe ich kurz
gezögert, als ich von der Zeitarbeitsfirma
die Stelle im Heinrich-Held-Haus zuge-
wiesen bekam: Alte, behinderte und psy-
chisch kranke Menschen? Das kann ich
nicht, war mein erster Gedanke.“ Aber der
hat sich als komplett falsch erwiesen. Denn
tatsächlich ist es genau das, was zu ihr
passt. Sie liebt die Bewohner*innen – und
umgekehrt. Mit ihrer erfrischenden Art
bringt sie richtig Schwung ins Haus, und
ihre Fröhlichkeit reißt andere mit. „Ich bin
selber ein bisschen verrückt und fest der
Meinung, dass, gerade wenn es ernst ist,
man auch mal lachen muss. So bin ich
eben. Bei mir ist auch nicht immer alles
nach Plan gelaufen, aber meine Lebens-
freude habe ich noch nie aufgegeben“, sagt
die 54-Jährige.
                                                 ten mit Menschen. Das ist keine Arbeit für       „Meist zählt ja leider nur ‚satt und sau-
„Wir arbeiten mit Menschen.                      jeden. Laut Statistik steigen Pflegekräfte       ber‘, dabei ist der Faktor ‚Zeit‘ so viel
Das ist keine Arbeit für jeden.“                 durchschnittlich nach rund sieben Jahren         wichtiger als das Zähneputzen.“
Was genau sie so sehr an ihrem Beruf mag,        aus dem Beruf aus, weil sie eben nicht da-       Michaela Endemann will gut sein in ihrer
möchte ich von ihr wissen. „Der Beruf gibt       für geschaffen sind“, erklärt sie. Burnout-      Arbeit und gibt viel dafür. „Ich kann doch
alles. Er gibt und er nimmt“, korrigiert sie     gefährdet fühlt sich Michaela Endemann           eigentlich nur gewinnen“, findet sie. Sie
sich selbst. „Es kommt eben darauf an,           aber nicht. Sie holt sich ihre Energie           störe vielmehr, dass sie vieles nicht schon
wieviel man selbst bereit ist, zu geben. Die     zurück – aus ihrem Umfeld und in ihrer           viel eher gemacht hat. Und wenn sie noch
Wertschätzung, die man den Bewohne-              Freizeit. Sie hat viele Freunde, liebt soziale   weiter in die Zukunft denke, frage ich sie,
r*innen gegenüber hat, die kriegt man            Kontakte und Gesellschaftsspiele. Sie puz-       wie stellt sie sich das dann mit sich selbst
auch zurück“, da ist sich Michaela Ende-         zelt, malt, geht ins Kino, sieht gerne fern,     vor, im Alter? „Ich werde auf jeden Fall zu
mann sicher. „Meine Bewohner*innen               liest viel oder ruht sich einfach aus. Aber      Papier bringen, wie ich gepflegt werden
sind immer bei mir, selbst in meiner             nicht lange, maximal sechs Stunden Schlaf        will. Denn ich möchte auch im hohen
Freizeit. Ich nehme sie sogar gedanklich         benötigt Michaela Endemann. Deswegen             Alter noch als Mensch wahrgenommen
abends mit ins Bett. Es ist eben keine Büro-     lernt sie meist bis in die Nacht hinein –        werden. Das ist vielleicht das größte Ziel
arbeit, da bin ich ganz ehrlich“, gibt sie mir   und zwar im Bett. Auch eines ihrer vielen        der Altenpflege. Jeder Mensch, der gepflegt
zu verstehen. Und fügt hinzu: „Wir arbei-        Hobbies.                                         wird, hat ein Anrecht auf Zeit. Meist zählt
                                                                                                  ja leider nur ‚satt und sauber‘, dabei ist der
Mehr als 20 Auszubildende treffen sich an den Azubi-Tagen mit ihren Einrichtungs-, Pflege-        Faktor ‚Zeit‘ so viel wichtiger als das Zäh-
dienst- und Praxisanleitungen, um aktuelle Themen aus Theorie und Praxis zu reflektieren.         neputzen.“ Eine Pflege ohne Zeitdruck, das
                                                                                                  ist ihr Wunsch – und eben mehr Wert-
                                                                                                  schätzung für diesen Beruf. „Denn es ist
                                                                                                  alles andere als ein ‚Mal-eben‘-Job. Und es
                                                                                                  sollten ihn auch nur diejenigen ausüben,
                                                                                                  die ihn auch wirklich können.“ Michaela
                                                                                                  Endemann ist auf jeden Fall eine von
                                                                                                  ihnen.
                                                                                                  Kathrin Michels

                                                                                                                                AusBlick 2020      13
Deutsch-argentinische Freundschaft:
                                                                                                 Ein Jahr lang erfreute die gelernte Kranken-
                                                                                                 chwester Julieta Cardozo die Bewohnerinnen
                                                                                                 und Bewohner des Seniorenzentrums Marga-
                                                                                                 rethenhöhe.

     Neues wagen – und einzigartige Erfahrungen gewinnen:
     Der Freiwilligendienst von Julieta Cardozo im Seniorenzentrum
     Margarethenhöhe

     D
                     ie Anfrage der Evangelischen Kirche im Rheinland kam telefo-                wir uns erst einmal aufeinander einspie-
                     nisch: Ob das Seniorenzentrum Margarethenhöhe am Income-                    len – vor allem, was die Verständigung an-
                                                                                                 ging.“
                     Freiwilligen-Programm teilnehmen wolle, bei dem junge Men-
                     schen vor allem aus Südamerika ein Jahr lang in sozial-diakoni-             Ein Mischmasch aus Deutsch,
     schen Einrichtungen mitarbeiten? „Wir sind hier ja immer offen für Neues“, lau-             Englisch, Händen und Füßen
     tete die Antwort von Cordula Wojahn vom Sozialen Dienst, die sofort Bereit-                 Doch auch diesmal reagierte die Beleg-
     schaft signalisierte.                                                                       schaft des Seniorenzentrums gewohnt
                                                                                                 spontan und ohne große Berührungs-
     Ein knappes halbes Jahr später war es dann     schieden“, ging es Cordula Wojahn kurz       ängste. „Viele von uns haben seit ihrer
     soweit und Julieta Cardozo aus Argenti-        vor der Ankunft noch durch den Kopf.         Schulzeit ja kaum ein Wort Englisch mehr
     nien trat ihren Dienst an. „Sprachliche        „Aber Julieta war uns vom ersten Augen-      gesprochen“, erklärt Cordula Wojahn.
     Barrieren und kulturelle Unterschiede –        blick an sehr sympathisch“, erklärt Kolle-   Doch die anfängliche Sprachscheu war
     hoffentlich haben wir nicht zu voreilig ent-   gin Martina Mathias. „Trotzdem mussten       schnell überwunden. „Wir haben uns mit

14   AusBlick 2020
Freiwilligendienst

Übersetzungsprogrammen auf dem Han-               verbessern. „Wenn ich ihnen etwa vorgele-       senkirchen zu arbeiten. Alle Jugendlichen
dy beholfen – und mit einem Mischmasch            sen habe, dann haben sie mich oft korri-        sind Teilnehmer*innen des Income-Frei-
aus Deutsch, Englisch, Händen und Fü-             giert: Julieta, du hast das falsch ausgespro-   willigen-Programms. In Kooperation mit
ßen“, berichtet Martina Mathias lächelnd.         chen, musste ich mir dann anhören.“             dem Bundesfreiwilligendienst ist dies in
                                                  Doch mittlerweile bekommt sie jede Men-         das „weltwärts“-Programm des Bundesmi-
Kaum vorstellbar, wenn man Julieta ein            ge Lob für ihre gewaltigen sprachlichen         nisteriums für wirtschaftliche Zusammen-
gutes Jahr später gegenüber sitzt. Denn da        Fortschritte. „Vor allem in ihrem letzten       arbeit und Entwicklung eingebettet.
unterhalten wir uns ganz selbstverständ-          Monat hat sich Julieta sprachlich so weiter-
lich auf Deutsch und die Wörter sprudeln          entwickelt, dass wir sie sogar in der Einzel-   Zwar hatte Julieta im Zuge ihrer Ausbil-
der 26-jährigen nur so aus dem Mund.              betreuung einsetzen konnten“, berichtet         dung an einer deutschen Schule in Argen-
Auch Julieta erinnert sich noch gut an die        Cordula Wojahn beeindruckt.                     tinien auch Deutschunterricht gehabt,
anfänglichen Sprachbarrieren: „Die Kolle-                                                         aber leider nur eine Stunde pro Woche.
ginnen und Kollegen, aber auch die Be-            Große Unterschiede zwischen                     „Da ist nicht wirklich etwas hängengeblie-
wohner*innen hatten viel Geduld mit mir           Deutschland und Argentinien                     ben“, erklärt sie. Dafür konnte sie jede
und sind sehr auf mich eingegangen. Ei-           Praktisch ohne Deutschkenntnisse war            Menge Praxiserfahrung vorweisen, denn in
nige Bewohner*innen wollten sogar lieber          Julieta im Februar 2019 zusammen mit 60         Argentinien hatte die gelernte Kranken-
Englisch sprechen und waren ganz stolz            anderen jungen Menschen aus Argentinien         schwester mit Schwerpunkt Nephrologie
auf ihre Sprachkenntnisse.“ Aber sie haben        und Chile nach Deutschland gekommen,            bereits das dafür notwendige fünfjährige
ihr auch geholfen, ihr Deutsch stetig zu          um in Essen, Duisburg, Bottrop und Gel-         Studium absolviert. Das in Deutschland so
                                                                                                  vieles ganz anders als in ihrer Heimat ist,
Der Abschied fiel nicht leicht: Viele Senior*innen und Mitarbeitende                              merkte Julieta schnell. „Der Umgang mit
hatten Julieta Cardozo in ihr Herz geschlossen.

                                                                                                                              AusBlick 2020     15
Julieta Cardozo

     den Menschen unterscheidet sich sehr. In        Zwischenzeitlich hat sich Julieta jedoch
     Argentinien ist unsere Arbeit rein prak-        rundum den deutschen Gewohnheiten an-
     tisch orientiert. Gespräche mit den Pa-         gepasst – auch ihre anfänglichen Magen-
     tient*innen und eine soziale Bindung            probleme haben sich gelegt. Sie hat sich
     kommen kaum zustande, da diese oft              komplett integriert, sowohl privat als auch
     wechseln. Hier geht man bewusst auf die         beruflich. Denn ihre Arbeit macht ihr ein-
     Menschen und ihre Gefühle ein und hört          fach Spaß: ob Morgen- und Nachmittags-
     ihnen zu“, so Julieta. Und ihr fallen ad hoc    runden mit den Bewohner*innen, die
     noch mehr kulturelle Unterschiede ein.          Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen
     „Die Deutschen gehen viel förmlicher mit-       oder die vielen Feste im Haus. Vor allem
     einander um als in Argentinien, zumindest       die Weihnachtszeit wird ihr sehr in Erin-
     beim Erstkontakt. Das war für mich am           nerung bleiben. „In Argentinien feiern wir
     Anfang etwas schwierig“, so die 26-jährige.     Weihnachten nur am 24. und 25. Dezem-
                                                     ber. Eine Adventszeit wie in Deutschland
     Weihnachten ist hier so schön lang              kennen wir nicht. Weihnachten ist hier
     Dafür habe sie das Leben hier als viel freier   so schön lang und gemütlich. Und die
     empfunden und daher auch deutlich               Weihnachtsmärkte werde ich auch ver-
     unbeschwerter gestaltet, als in ihrer Hei-      missen.“
     mat. „Ich konnte jederzeit alleine nach
     draußen gehen, sogar bis spät abends.           Hilfsbereitschaft ist für Julieta             tet. Überall da, wo Hilfe notwendig war,
     Diese Sicherheit kenne ich von Zuhause          selbstverständlich                            hat sie das Team unterstützt.“
     nicht.“ Auch das deutsche Umweltbe-             Die Belegschaft des Seniorenzentrums
     wusstsein war für Julieta komplett neu –        wird dagegen Julietas Enthusiasmus sehr       Diese Hilfsbereitschaft ist für die junge Ar-
     Mülltrennung etwa kannte sie vorher             vermissen: „Julieta hat von Anfang an alles   gentinierin selbstverständlich. Sie selbst
     überhaupt nicht. Beim Thema Essen               mit großer Leidenschaft gemacht“, erzählt     kommt aus einer großen Familie, wo es oft
     wurde Julieta ebenso überrascht. „Das           Martina Mathias und fügt hinzu: „Egal         laut und eng ist. Deswegen war Julieta
     deutsche Frühstück hat mich wirklich sehr       welche Aufgabe sie erledigen musste, sie      auch ganz froh darüber, nun selbstständig
     beeindruckt. Es ist so reichhaltig mit ver-     hat es immer mit einem Lächeln getan.         auf eigenen Füßen zu stehen und für sich
     schiedenen Wurst-, Käse-, und Brötchen-         Voller Hingabe hat sie unsere Wellensit-      ganz allein wohnen zu können. Das hat ihr
     sorten.“ Nur ihren geliebten Maté-Tee hat       tiche versorgt und den freitäglichen Got-     unwahrscheinlich gut getan – auch um
     sie vermisst und per Internet bestellt.         tesdienst ganz alleine vor- und nachberei-    sich selbst zu finden. Denn ein persönli-
                                                                                                   cher Schicksalsschlag kurz vor ihrer Reise
                                                                                                   nach Deutschland hatte sie ziemlich aus
     Viele gute Erinnerungen: Die Hoffnung auf ein baldiges                                        der Bahn geworfen. Jetzt ist sie sich sicher:
     Wiedersehen ist auf beiden Seiten groß.                                                       Es hat seinen Sinn gehabt, nach Deutsch-
                                                                                                   land gekommen zu sein. Sie ist überzeugt
                                                                                                   davon, dass „jemand von oben“ auf sie
                                                                                                   schaut und zufrieden mit ihr ist.

                                                                                                   Der Abschied – schmerzt
                                                                                                   auf beiden Seiten
                                                                                                   Julieta hat die Zeit im Seniorenzentrum
                                                                                                   Margarethenhöhe sehr gut gefallen. So
                                                                                                   gut, dass sie eigentlich gar nicht mehr weg
                                                                                                   will – oder aber ganz schnell wieder zu-
                                                                                                   rück. „Leider hat Julieta diesen Wunsch
                                                                                                   erst recht spät geäußert, so dass auf die
                                                                                                   Schnelle für uns nichts machbar war“, sagt
                                                                                                   Cordula Wojahn traurig. „Aber wir finden
                                                                                                   bestimmt eine Lösung, denn sie hinterlässt
                                                                                                   eine große Lücke“, hofft Cordula Wojahn
                                                                                                   auf ein baldiges Wiedersehen.
                                                                                                   Kathrin Michels

16   AusBlick 2020
Freiwilligendienst

Zeit, das Richtige zu tun: Freiwilligendienste
im Diakoniewerk Essen

                                                                                               Bundesfreiwilligendienst
Das Diakoniewerk bietet Menschen, die sich freiwillig einbringen und darüber
wertvolle Lebenserfahrungen sammeln möchten, verschiedene Einsatzmög-
lichkeiten in unseren Einrichtungen – ob in der Betreuung von Kindern und
Jugendlichen, von älteren Menschen, von Menschen mit Behinderung sowie
Menschen mit psychischen Erkrankungen.

                                                                                            Freiwilliges Soziales Jahr
Der Bundesfreiwilligendienst:                 Dauer und Arbeitszeiten:
Der Bundesfreiwilligendienst ist ein An-      Beide Dienste dauern in der Regel zwölf
gebot für Menschen jeden Alters, sich         Monate, mindestens jedoch sechs und
außerhalb von Ausbildung und Beruf für        höchstens 18 Monate. In Ausnahmefällen
das Allgemeinwohl zu engagieren und           kann der Bundesfreiwilligendienst bis zu
damit eine Kultur der Freiwilligkeit zu       24 Monate geleistet werden.
stärken.
                                              Grundsätzlich handelt es sich um einen
Das Freiwillige Soziale Jahr:                 ganztägigen Dienst. Für Freiwillige über 27
Ebenso wie der Bundesfreiwilligendienst       Jahren ist aber auch ein Teilzeitdienst von
ermöglicht auch das Freiwillige Soziale       mehr als 20 Stunden wöchentlich möglich.
Jahr, in die Arbeit mit Menschen hineinzu-
schnuppern. Einen Unterschied im Ar-          Warum sich freiwilliges
beitsalltag gibt es zwischen beiden Diens-    Engagement lohnt?
ten nicht. Teilnehmende haben pro Jahr          weil der Bundesfreiwilligendienst und
Anspruch auf 26 Urlaubstage und 25              das Freiwillige Soziale Jahr eine tolle
Seminartage. Während allerdings der BFD         Möglichkeit sind, um in soziale Berufe
vom Bund bezuschusst wird, wird das             hinein zu schnuppern,
Freiwillige Soziale Jahr teilweise aus Fi-
nanztöpfen der Bundesländer finanziert.         weil die Erfahrungen, die man dort
                                                macht, den eigenen Horizont erweitern,
Voraussetzungen für die Freiwilligen:
Im Bundesfreiwilligendienst kann sich           weil es um Menschen geht,
jeder engagieren, der die Vollzeitschul-
pflicht erfüllt hat. Eine Altersgrenze nach     und weil helfen sich immer lohnt!
oben gibt es nicht.
                                              Sprechen Sie uns gern an!
Das Freiwillige Soziale Jahr darf jede und    Abteilung Personal- und Sozialwesen
jeder nach Beendigung der Schulpflicht,       Bergerhauser Straße 17
also ab etwa 16 Jahren und bis zu einer       45136 Essen
Altersgrenze von 27 Jahren, absolvieren.      Telefon: 0201 · 2664 932 100
Doch aufgepasst. Beide Dienste dürfen         Mail: bewerbung@diakoniewerk-essen.de
nicht direkt nacheinander erfolgen und
auch nicht beliebig oft wiederholt werden.

                                                                                                                          AusBlick 2020   17
Der Weg lohnt sich: Die Umsetzung des neuen Bundesteilhabegesetzes
     zielt auf konsequenten Perspektivwechsel

     M
                        it Jahresbeginn trat die dritte von vier Stufen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in
                        Kraft. Die nun erfolgte Trennung der Kostenträger für die Leistungen innerhalb der Eingliederungshilfe
                        bedeutet für einen Anbieter wie das Diakoniewerk einen immensen Verwaltungsaufwand. Wurden
                        bisher alle Kosten für eine stationäre Unterbringung durch den Landschaftsverband bezahlt, regelt
     dies nun weitestgehend die jeweilige Kommune, die für die anspruchsberechtigte Person zuständig ist. Für den Einzelnen
     selbst bedeutet dies zunächst nur wenig spürbare Veränderungen. Aber der Perspektivwechsel, der damit einhergeht, ist
     grundlegend und geht zurück auf die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006. Die AusBlick-Redaktion redete mit
     Experten über einen im Detail oftmals mühsamen Weg, der sich jedoch zweifelsfrei lohnt – weil er viel in Bewegung setzt,
     und die Richtung stimmt.

     Die mit Jahresbeginn in Kraft getrete-      Worin bestehen denn die wesentlichen          Kai-Marko Danielzik: Die größte Verän-
     ne Umsetzung der dritten Reformstufe        Änderungen hinsichtlich des Verhält-          derung, die sich durch die Einführung des
     des BTHG stellte vor allem die Ver-         nisses von Klient*innen, Kostenträger         neuen BTHG ergeben hat, ist die Verschie-
     waltung vor enorme Herausforderun-          und Diakoniewerk?                             bung dieser Zuständigkeit hin zu den ein-
     gen – war der hohe Aufwand von An-          Hartmut Hüttenhoff: In der Vergangen-         zelnen Kommunen. Dadurch hat sich eine
     fang an absehbar?                           heit hatten wir es innerhalb der Eingliede-   Zunahme an Kostenträgern ergeben, die
     Hartmut Hüttenhoff: Uns war schon           rungshilfe bei der stationären Betreuung      vorher so nicht vorhanden war. Allein in
     recht früh bewusst, dass durch die Um-      von Menschen mit Behinderungen und            unserer Einrichtung sind nun sechs Kom-
     stellung viel Arbeit auf uns zukommt. Was   psychischen Erkrankungen in der Regel         munen dazugekommen, mit denen wir
     dies jedoch im Detail bedeutete, wurde      mit einem Kostenträger zu tun. Da hat der     uns verwaltungstechnisch in Verbindung
     erst in der Umsetzung deutlich. Das lag     Landschaftsverband Rheinland alle Kos-        setzen mussten.
     vor allem an den vielfältigen Anforde-      ten, die für die stationäre Unterbringung     Hartmut Hüttenhoff: In der Vertragsent-
     rungen hinsichtlich des Vertragsmanage-     von Klient*innen anfallen, übernommen         wicklung war es zunächst einmal so, dass
     ments. Viele Verträge mussten individuell   und diese Gelder auch direkt an uns ausge-    wir versucht haben, eine abgestimmte
     angepasst oder auch komplett neu ent-       zahlt.                                        Vorgehensweise für alle unsere Einrichtun-
     wickelt werden.                                                                           gen zu erarbeiten. Allerdings wurde dann

18   AusBlick 2020
BTHG-Umsetzung

                                               Expertenrunde: Verwaltungsdirektor Hartmut Hüttenhoff,
                                               Einrichtungsleiter Klaus-Dieter Ruda, Geschäftsbereichs-
                                               leiterin Silke Gerling und Einrichtungsleiter Kai-Marko
                                               Danielzik (von links) waren an der BTHG-Umsetzung maß-
                                               geblich beteiligt.

                                               zu gestalten. An dieser Stelle erfolgt dann Wie haben Sie sich auf diese Anforde-
                                               auch die Trennung in der Zuständigkeit rungen vorbereitet?
                                               für Leistungen, die der Klient in Anspruch Silke Gerling: Der große Verwaltungs-
                                               nimmt. Über die Kommunen werden nun aufwand bestand darin, bereits im Vorfeld
                                               die Unterkunft und die „Hilfe zum Le- der Umsetzung des BTHG über umfang-
                                               ben“, so der Fachausdruck, finanziert. Der reiche Rechnungen genau zu erörtern, wie
                                               Landschafts ver band                                       sich unsere Kosten im Ist-
                                               bleibt allerdings wei- „Grundsätzlich erhält jeder         Zustand zusammensetzen,
                                               terhin für die Fest-        das Geld auf sein eigenes      um dann eine Basisleistung,
                                               stellung der fachlichen     Konto, um davon sein           die für alle gilt, definieren zu
                                               Betreuung und deren         Leben zu bestreiten.“          können.
                                               Bezahlung zuständig.                                       Kai-Marko Danielzik: Ge-
deutlich, dass die einzelnen Kommunen          Hartmut Hüttenhoff: Das Verfahren ist meinsam mit unserem Controlling haben
offensichtlich unterschiedliche Informat-      dadurch gegenüber vorher, als ein Kosten- wir eine aufwändige Analyse durchgeführt
ionen und Aufschlüsselungen benötigen.         träger alle Zahlungen übernommen hat, um zu ermitteln, was für den einzelnen
Zudem mussten wir feststellen, dass die        natürlich viel komplexer geworden. Jetzt Bewohner das Leben innerhalb der Ein-
jeweiligen Ansprüche auch nicht nach ei-       wird vor allem genau abgegrenzt, welche richtung kostet. Zunächst sind das die
nem einheitlichen System geprüft werden        Dinge sich eine Person für ihren privaten Kosten für die Unterkunft – also für die
und die einzelnen Kommunen somit auch          Bedarf anschafft, gegenüber dem, was von Miete inklusive der Neben- und Instand-
zu anderen Ergebnissen und Zahlungen           einer Einrichtung zentral zur Nutzung für haltungskosten. Dazu kommen die Kosten
kommen können.                                 alle eingekauft wird – wie etwa bestimmte des alltäglichen Lebens, die wir nun mit
                                               Pflegeartikel.                               einer Servicepauschale von aktuell 235 Eu-
Was war der eigentliche Hintergrund            Silke Gerling: In den Konten müssen wir ro pro Bewohner abbilden. Mit der Ser-
für diese aufwändige Umstellung?               nun Einzelleistungen von Gemeinschafts- vicepauschale stellen wir sicher, dass die
Silke Gerling: Die ursprüngliche Idee des      aktivitäten – wie etwa Kinobesuchen oder Basisversorgung der Bewohner*innen ge-
Bundesteilhabegesetzes besteht ja darin,       Sommerfesten – getrennt erfassen. Das währleistet ist und alle mit den üblicher-
auch für Menschen mit Einschränkungen          hatte auch die differenzierte Beschreibung weise notwendigen Lebensmitteln ausge-
so viel Normalität wie möglich darzustel-      von Nebenkosten zur Folge, die vorher in stattet sind. Die darüber hinausgehenden
len. Der Fokus liegt darauf, dass jeder in     dieser Form nicht nö-                                      personenbedingten Wün -
einer besonderen Wohnform lebende Kli-         tig war. Grundlage ist „Wir haben eine umfangreiche sche und Anschaffungen wie
ent genauso behandelt wird, wie jeder an-      nun die einzelne Per- Analyse durchgeführt, um die etwa ein Schwimmbadbe-
dere Sozialleistungsempfänger auch – und       son, auf die die Kos- Kosten für das Leben in der          such, Zeitschriften, Rauch-
also auch hinsichtlich seiner Einkommens-      ten – etwa auch für Einrichtung zu ermitteln.“             waren oder auch eine Fla-
verwaltung eigenständig darüber entschei-      Energie und Telefon –                                      sche Wein, sind dann über
den soll, wie er mit seinem Geld umgeht.       heruntergerechnet werden.                    den Regelbedarf hinaus eigenständig von
Kai-Marko Danielzik: Der Blick geht            Hartmut Hüttenhoff: Bei einigen Neben- der Person selbst zu finanzieren.
damit weg von der traditionellen Praxis        kosten – wie etwa dem Stromverbrauch – Hartmut Hüttenhoff: Die Gesamtkosten
einer institutions- und einrichtungszen-       sind wir allerdings gar nicht dazu in der zu erfassen, diese individuell zuzuordnen
trierten Betrachtungsweise hin zu konse-       Lage, diese individuell zu messen – hier und entsprechende Vertragswerke zu ent-
quent an den Bedürfnissen der Bewoh-           haben wir einen einheitlichen Betrag er- wickeln – das war verwaltungstechnisch ei-
ner*innen orientierten Lösungen. Grund-        rechnet, der für alle gilt.                  ne große Herausforderung und mit einem
sätzlich erhält der Klient nun sein Geld auf                                                hohen Aufwand verbunden.
sein eigenes Konto, um davon sein Leben

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