Außenpolitische Digitalstrategien - Einleitung
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NR. 27 MÄRZ 2022 Einleitung Außenpolitische Digitalstrategien Internationale Erfahrungen, nationale Formate Kaan Sahin Die digitale Transformation und das Aufkommen neuer Technologien stellen außen- politische Entscheidungsträger vor große Herausforderungen – in diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Kontexten. Internationale Politik verzahnt sich zunehmend mit Digitalisierung bzw. Technologie; traditionelle Bereiche des Politik- feldes erweitern und verändern sich, neue kommen hinzu. Außenpolitische Akteure der Bundesrepublik stehen unter wachsendem Druck, in dieser Hinsicht handlungs- fähig zu sein und zur Stärkung der digitalen Souveränität Deutschlands und Europas beizutragen. Außenministerien anderer Staaten haben bereits Tech- bzw. Digital- strategien veröffentlicht und zugleich damit begonnen, ihre organisatorischen und personellen Strukturen entsprechend anzupassen. Daraus lassen sich auch mögliche Ideen für die deutsche Außenpolitik ableiten. Dass Außenpolitik immer mehr von Tech- wesentlich der geopolitische Großmächte- nologie und Digitalisierung geprägt wird, konflikt zwischen den USA und China, der bringt Chancen wie auch Risiken mit sich mehr und mehr durch das Streben nach und macht es dringlicher, die »diplomati- technologischer Vorherrschaft bestimmt sche Handlungsfähigkeit« auf diesem wird. Gebiet zu stärken. Dabei sind entsprechen- de Herausforderungen zugleich auf den Ebenen von Handlungsfeldern, Instrumen- Allgemeine Trends und ten und Strukturen angesiedelt. Bezüglich neue Akteure der Handlungsfelder ist zunächst festzuhal- ten, dass Technologiepolitik immer auch Aufgrund der transformativen Wirkung Außenpolitik ist, weil Internet, Datenver- digitaler Technologien und ihres zuneh- kehr und technologische Wertschöpfungs- menden »dual-use«- oder gar »general- ketten eine globale Struktur aufweisen. purpose«-Charakters, sprich der Durch- Generell wird technologische Innovation dringung sämtlicher Gesellschaftsbereiche zunehmend ausschlaggebend für die Wett- durch Digitalisierung und Innovation, ver- bewerbsfähigkeit von Staaten, in politi- schwimmen die Grenzen zwischen Wirt- scher, wirtschaftlicher wie militärischer schaft, Sicherheit und Fragen der demokra- Hinsicht. Aus dieser Dynamik speist sich tischen Governance und Menschenrechte.
Daher wird es erforderlich, dass sich ver- Auch stehen Außenministerien unter
schiedene Ministerien innerhalb einer institutionellem Druck, sich thematisch mit
Regierung enger koordinieren. Dies führt digitalen und technologischen Entwicklun-
nicht nur zu möglichen Zielkonflikten bei gen zu befassen, deren Einfluss auf die
Entscheidungen (wie etwa bei der 5G- internationale Politik abzuschätzen und
Debatte um die Frage, ob technische Kom- dafür Strukturen zu schaffen. Entsprechen-
ponenten chinesischer Anbieter in die de Impulse ergeben sich zum einen inner-
eigene Mobilfunk-Infrastruktur eingebaut halb der Regierung, zum anderen extern
werden sollen). Auch besteht das Risiko, durch internationale Organisationen und
dass staatliche Akteure bewusst Themen die Außenministerien anderer Staaten.
miteinander vermischen und etwa politi- Internationale Organisationen und die EU
sche Ziele durch »economic coercion« zu haben bereits Leitlinien erstellt und neue
erreichen suchen. Gerade in dieser Ge- Formate zum Themenschwerpunkt ein-
mengelage müssen Außenministerien ihre gerichtet. Seitens der Vereinten Nationen
Rolle finden, sie immer wieder neu definie- wurde die Globale Roadmap für digitale
ren und den eigenen Mehrwert effektiv Zusammenarbeit verabschiedet, im trans-
einbringen. atlantischen Verhältnis der EU-US Trade
Auch das Machtpotential neuer Akteure and Technology Council (TTC) gegründet,
jenseits der Staatengemeinschaft zwingt von der EU zudem das Digital Diplomacy
Außenressorts, sich neu aufzustellen. So Network ins Leben gerufen. Einzelne
wird der globale technologische Fortschritt Außenministerien haben eigene Digital-
hauptsächlich von der Privatwirtschaft vor- bzw. Tech-Strategien veröffentlicht, wie
angetrieben, insbesondere durch die markt- nachfolgend näher zu beleuchten sein wird.
und datenmächtige GAFAM-Gruppe aus den Sowohl der Europäische Auswärtige Dienst
USA (Google, Apple, Facebook, Amazon, (EAD) als auch einige Außenministerien
Microsoft) und die chinesische BAT-Gruppe erweitern zudem ihre strukturellen und
(Baidu, Alibaba, Tencent). Diese Unterneh- personellen Kapazitäten. Im Falle des EAD
men sind auch außenpolitisch zu entschei- geschieht dies durch Aufbau einer Abtei-
denden Akteuren geworden; sie besitzen lung für Konnektivität und digitale Transi-
großen Einfluss in Fragen von Wirtschaft, tion; im amerikanischen State Department
Sicherheit und Menschenrechten, während wurde das Bureau of Cyberspace and Digital
sie zugleich geopolitische Machtressourcen Policy geschaffen, im indischen Außen-
von Staaten bilden. ressort die New Emerging and Strategic
Insgesamt stellt sich daher die Frage, wie Technologies (NEST) Division und im Eid-
der digitale Raum und die Auswirkungen genössischen Departement für auswärtige
technologischer Innovationen im deutschen Angelegenheiten, dem Schweizer Außen-
und europäischen Interesse strukturiert ministerium, eine Abteilung Digitalisie-
und verrechtlicht werden können. Gerade rung.
weil es auf internationaler Ebene noch Auf der Instrumentenebene ermöglicht
immer an effektiver Governance mangelt, die Digitalisierung immer innovativere
stehen Außenministerien und internatio- Formen der internen und externen Kom-
nale Organisationen vor der Aufgabe, neue munikation und Vernetzung. Im Zuge des
Formate und Foren zu finden sowie Nor- Arabischen Frühlings wurde der Begriff
men, Standards und Regulierungen zu ent- »Digital Diplomacy« geprägt, um zu be-
wickeln. Sie müssen dabei über das bereits schreiben, wie neue Informations- und
etablierte Handlungsfeld der Cyberdiploma- Kommunikationstechnologien zur Errei-
tie hinausgehen, das sich mit der Verrecht- chung diplomatischer Ziele genutzt wer-
lichung der digitalen Sphäre und dem Um- den. Eine engere Bestimmung des Begriffs
gang mit der steigenden Bedrohung durch legt das Augenmerk darauf, wie Social-
Cyberattacken staatlicher oder nichtstaat- Media-Kanäle für Zwecke der Public Diplo-
licher Herkunft beschäftigt. macy verwendet werden – also dazu, pro-
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2aktiv das öffentliche Bild und die Reputa- tischen Fokus oder sind bereits einige
tion des eigenen Landes zu steuern. In die- Jahre alt.
sem Kontext wird auch von »Nation Bran- Die Strategien der Schweiz, Dänemarks
ding« oder »Selfie Diplomacy« gesprochen. und Australiens haben gemein, dass ihre
Mit der Zeit hat sich das Verständnis von Leitlinien bzw. Ziele größtenteils nach drei
Digital Diplomacy jedoch erweitert. Heute Bereichen geordnet sind: Wirtschaft, Demo-
kann eine Vielzahl von Elementen dazu kratie, Sicherheit. Unter Wirtschaft fallen
gezählt werden – so der Einsatz von Tech- dabei Themen wie der Aufbau grenzüber-
nologien zum Wissens- und Informations- schreitender und vertrauenswürdiger
management oder bei der Digitalisierung Datenräume (vor allem in der Schweizer
konsularischer Dienste; die Nutzung virtu- Strategie), digitaler Handel und faire Markt-
eller Kollaborationstools zur Kommunika- bedingungen sowie die Nutzung von Tech-
tion innerhalb von und zwischen Außen- nologien zugunsten nachhaltiger und ent-
ministerien; ebenso der Rückgriff auf wicklungspolitischer Ziele (»Tech4Good«).
Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data Was demokratiepolitische und werte-
zur Krisenfrüherkennung oder als Entschei- basierte Aspekte betrifft, liegt der Fokus
dungshilfe bei internationalen Verhand- bei allen Strategien auf dem Schutz von
lungen. Außenministerien stehen zuneh- Menschenrechten im digitalen Raum, auf
mend unter Druck, sich angemessen auf- ethischen Standards bei Anwendung tech-
zustellen, um entsprechende Chancen nologischer Systeme wie der KI sowie der
nutzen und zugleich Risikomanagement (demokratischen) Selbstbehauptung im
betreiben zu können. globalen Kontext. Sicherheit betrifft dage-
gen vor allem die bereits etablierten Felder
der Cybersicherheit und Cyberdiplomatie
Die Strategien der Schweiz, sowie etwa auch die Bekämpfung von Des-
Dänemarks und Australiens information.
Zum Teil überschneiden sich die genann-
In jüngster Zeit haben einzelne Außen- ten Bereiche; beispielsweise soll der Aufbau
ministerien explizit Strategien formuliert, einer eigenen »Swiss Cloud«, wie ihn die
um der zunehmenden Bedeutung gerecht Schweizer Strategie vorsieht, sowohl wirt-
zu werden, die der digitale Raum und tech- schaftspolitischen als auch datenschutz-
nologische Innovationen für die interna- rechtlichen Belangen dienen. Zugleich
tionale Politik haben. Dazu gehören die nimmt jede der drei Strategien bestimmte
Schweiz mit ihrer »Strategie Digitalaussen- Akzentuierungen vor. Das dänische Papier
politik 2021–2024« von November 2020, etwa legt einen durchgehenden Fokus auf
Dänemark mit der »Strategy for Denmark’s die Tech-Industrie. Die Schweizer möchten
Tech Diplomacy 2021–2023« von Februar Genf als Standort für internationale Orga-
2021, ebenso Australien mit der »Inter- nisationen im Digitalbereich stärken. Und
national Cyber and Critical Technology die australische Strategie ist besonders auf
Engagement Strategy« vom Frühjahr 2021. den Zusammenhang zwischen Technologie
Die drei Strategien beziehen sich jedoch und Geopolitik ausgerichtet.
hauptsächlich auf Handlungsfelder; daher Die drei Staaten zeigen exemplarisch,
werden dort Themen wie die strukturelle wie Strukturen aufgebaut bzw. erweitert
Ausrichtung der jeweiligen Außenministe- werden, um diesen Themenbereich sach-
rien und digitale Instrumente eher am gerecht bearbeiten zu können. So hat 2017
Rande aufgegriffen. Auch andere Länder das dänische Außenministerium den welt-
wie Frankreich, die Niederlande oder Groß- weit ersten Posten eines Tech Ambassador
britannien haben bereits außenpolitische geschaffen. Damit soll es vor allem gelin-
Strategien im digitalen bzw. technologi- gen, besser mit den großen amerikanischen
schen Kontext veröffentlicht. Diese haben Digitalunternehmen ins Gespräch zu kom-
jedoch entweder einen sehr engen thema- men. Flankierend entstand das Office of
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3Denmark’s Tech Ambassador, das rund ein jeweiligen Positionen gegenüber, wie
Dutzend Mitarbeiter hat und über Kopen- dies auch bei anderen Themen jenseits der
hagen hinaus Vertretungen im Silicon Val- Cyberdiplomatie wie beispielsweise der
ley und in Peking unterhält. Das Schweizer KI-Ethik oder Überwachungstechnologien
Außenressort hat nach Veröffentlichung der Fall ist. Die thematische Breite bewirkt
seiner Strategie damit begonnen, eine neue jedoch auch, dass in allen Strategien auf die
Abteilung Digitalisierung einzurichten. Notwendigkeit eines interministeriellen
Und im australischen Außenministerium Ansatzes (»whole-of-government approach«)
besteht die Position des Ambassador for hingewiesen wird – eine Sichtweise, die
Cyber Affairs and Critical Technology, an- vor allem von der australischen Regierung
gesiedelt in der International Security, durch strukturelle Maßnahmen unter-
Humanitarian and Consular Group. Der mauert wird.
Inhaber des Postens hat den Vorsitz einer
vierteljährlich tagenden Whole-of-Govern-
ment International Cyber and Critical Mögliche Ideen für die
Technology Engagement Group, der neun deutsche Außenpolitik
Regierungsinstitutionen angehören.
Anzumerken ist jedoch, dass vor allem Im Auswärtigen Amt (AA) wurde der Pro-
die Dokumente der Schweiz und Austra- zess zur Formulierung einer umfassenden
liens strenggenommen keine strategischen Digitalstrategie schon während der letzten
Ziele setzen, sondern eher Leitlinien- Legislaturperiode angestoßen, ohne dass er
Charakter haben und nur Anhaltspunkte bislang in ein veröffentlichtes Dokument
für die jeweilige Außenpolitik in dem The- gemündet wäre. Andere Bundesministerien
menbereich liefern. Im Fall der Schweiz ist haben in eigener Regie bereits Strategien
eine mögliche Erklärung dafür, dass die zum Digital- bzw. Cyberbereich veröffent-
Strategie veröffentlicht wurde, bevor ein licht. Darunter sind die Digitalstrategie des
struktureller Unterbau im Außenministe- Bundesministeriums für wirtschaftliche
rium erfolgte. Das australische Papier Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
beinhaltet zumindest eine Liste, die auf- von 2019 oder auch die um einiges um-
zeigt, welche Ministerien bzw. Agenturen fangreichere Cybersicherheitsstrategie des
neben dem Außenressort bei den einzelnen Bundesministeriums des Innern (BMI) von
(teils eben abstrakten) Zielen die Federfüh- 2021. Gerade letzteres Dokument zeigt
rung besitzen. Die dänische Strategie um- deutlich, dass eine interministerielle Koor-
fasst 21 »Key Performance Indicators«, die dination und Umsetzung von Maßnahmen,
jedoch unterschiedlich konkret ausfallen. Positionen und Zielen unabdingbar ist.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass alle Aufgrund der Breite des Themenkomplexes
drei Strategien versuchen, den Themen- Technologie/Digitalisierung und Außen-
komplex Technologie/Digitalisierung und politik wäre es auch im Fall des AA nahe-
Außenpolitik möglichst umfassend abzu- liegend, sich mit anderen Ressorts abzu-
bilden. Internationale Cybersicherheit bzw. stimmen, sollte das Ministerium den Strate-
Cyberdiplomatie gilt dabei als Teil einer gieprozess wieder aufnehmen. Entlang der
»digitalen Außenpolitik« oder einer »Tech- drei oben skizzierten Bereiche in den Stra-
nologie-Außenpolitik«. Gerade dieses tegien der drei Staaten lässt sich beispiels-
Zusammendenken ist wichtig. Denn zum weise klar ausmachen, dass neben dem
einen sorgt Cybersicherheit für Vertrauen Außenministerium als federführendem
in digitale Technologien und den digitalen Ressort auch Forschungs-, Innen-, Justiz-,
Transformationsprozess; zum anderen Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium
stehen sich in internationalen Debatten in der einen oder anderen Form beteiligt
über Cybernormen (etwa im UN-Kontext) oder zumindest konsultiert werden müssten.
westliche Demokratien und autokratische Die drei erwähnten Strategien konzen-
Staaten wie Russland oder China mit ihren trieren sich zwar eher auf Handlungsfelder,
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4doch können diese im Grunde nicht los- Beispiel: Aufbau von Expertise
gelöst von Strukturen und Instrumenten
betrachtet werden. Damit sich etwa tech- Die zunehmende Wichtigkeit von Digital-
nologische Handlungsfelder in der Außen- themen und dazugehörigen Instrumenten
politik wirksam und nachhaltig besetzen sollte sich unter anderem in der Aus- und
lassen, müssen in den Außenministerien Fortbildung von Außenministerien wider-
entsprechende interne Strukturen und spiegeln. So hat etwa Australien 2017 ein
Instrumente vorhanden sein. Anders aus- »Cyber Affairs Curriculum« für seine Dip-
gedrückt: Nur wer selbst die Digitalisierung lomatenakademie erstellt, das Lerninhalte
verinnerlicht und umsetzt, kann nach zu grundsätzlichen Positionen des Landes
außen die eigenen Interessen glaubwürdig auf diesem Feld bietet und allen Ministe-
vertreten und durchsetzen. Dies zeigt das rien offensteht. Ein ähnliches Konzept ist
Beispiel Estland – ein kleiner Staat, der für den weiten Themenkomplex Techno-
eine digitalisierte Verwaltung besitzt und logie/Digitalisierung und Außenpolitik
daher in internationalen Gremien und denkbar.
bei Kapazitätsbildungsprojekten selbst- Diplomaten müssen verinnerlichen, dass
bewusst Initiativen einbringen kann, die entsprechende Fragen keinen abgesonder-
den Digital- und Cyberbereich betreffen. ten Bereich bilden, sondern sich in vielfäl-
Um digitale und technologische Themen tigen Kontexten niederschlagen – von
im außenpolitischen Kontext zu bearbeiten, bilateralen und multilateralen Beziehungen
müssen Strukturen innerhalb eines Außen- über Konfliktprävention, Stabilisierung
ministeriums angepasst werden. Zum einen und Sicherheitspolitik bis hin zu Menschen-
bedarf es für diese Aufgaben der nötigen rechten oder Wirtschaft. Zu vermeiden gilt
Expertise, zum anderen ist die Arbeitsweise jedenfalls, dass einzelne Referate, die sich
zwischen den einzelnen Referaten und speziell auf Themen wie »GeoTech« oder
Abteilungen sowie ressortübergreifend in- Cyber fokussieren, von anderen Arbeits-
nerhalb der Regierung entsprechend einheiten als eine Art interner Tech-Sektor
auszurichten. Solche Erneuerungen sind wahrgenommen werden. Dafür muss in der
notwendig mit Blick auf eine Vielzahl an Attachéausbildung und in Fortbildungs-
Handlungsfeldern – darunter die Cyber- kursen vermittelt werden, dass die digitale
diplomatie; die zunehmende Verzahnung Transformation in nahezu allen Regional-
von Geopolitik und Technologie, auch mit kontexten und in Bereichen wie Wirt-
Blick auf Verfügbarkeit und Integrität der schafts-, Sicherheits- oder Entwicklungs-
Letzteren; die Governance, Regulierung und politik zu einem wichtigen Faktor gewor-
Standardsetzung bei aufkommenden Tech- den ist, der sowohl Chancen als auch
nologien; die Nutzung von Technologien in Risiken mit sich bringt. Wie intensiv und
Entwicklungskontexten und für die huma- detailliert die Kurse ausfallen, lässt sich je
nitäre Hilfe. Eine strategische Entwicklung nach Notwendigkeit und persönlichen
innerhalb von Außenministerien ist not- bzw. fachlichen Voraussetzungen anpassen.
wendig, um die stetig wachsende Band- Zudem sollte die Möglichkeit erörtert wer-
breite von Themen an der Schnittstelle von den, Diplomaten – wie im britischen
Außenpolitik und Digitalisierung zu be- System – für eine vorübergehende Tätig-
wältigen und die Zunahme digitaler Instru- keit im Tech-Sektor freizustellen.
menten zu nutzen. Dies zeigt das Beispiel Darüber hinaus wird insbesondere bei
von digitaler Expertise, bei dem Handlungs- der Nutzung digitaler Instrumente spezi-
felder, Strukturen und Instrumente zusam- fisches Fachpersonal benötigt, das zum
mengedacht werden müssen. Beispiel auf Datenanalyse und KI-Anwen-
dungen spezialisiert ist. Dies ist eine Her-
ausforderung für Ministerien, die aufgrund
ihrer starren Laufbahnen und der im Ver-
gleich zur freien Wirtschaft niedrigeren
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5Gehälter oftmals nicht attraktiv genug für besser und strategischer für den Themen-
Seiteneinsteiger aus dem Tech-Sektor sind. komplex Technologie und Geopolitik nut-
Zudem sind solche Experten rar. Im deut- zen. Die deutschen Botschaften und Konsu-
schen Kontext könnte das Auswärtige Amt late können Informationen über techno-
von den Erfahrungen des Bundesministe- logische Entwicklungen und Stärken der
riums der Verteidigung (BMVg) und anderer jeweiligen Gastländer liefern. Innerhalb der
nationaler Ressorts lernen, ebenso von Bundesregierung kann das AA damit eine
Ministerien anderer Länder, und sich über wichtige Funktion erfüllen. In ausgewähl-
die Vor- und Nachteile bestehender Maß- ten Vertretungen, die von größerer Bedeu-
nahmen zur Personalbeschaffung im Tech- tung für den Sachbereich sind – Brüssel,
Bereich informieren. Es sollten neue Wege Neu-Delhi, Paris, Peking, San Francisco,
der Rekrutierung beschritten werden, etwa Seoul, Singapur, Tokio, Washington etc. –,
durch Anstellung von Fachpersonal jenseits sollten die Posten von Technologiereferen-
der Laufbahnstruktur. Generell ist zu prü- ten bzw. Tech-Attachés eingerichtet wer-
fen, wie mehr Durchlässigkeit zwischen den. Ferner wäre denkbar, dass das Auswär-
Ministerium, Privatwirtschaft und Zivil- tige Amt an ausgewählten Standorten den
gesellschaft hergestellt werden kann. Dabei Aufbau von Tech-Initiativen bzw. Hubs
ist auch wichtig, Schnittstellenkompetenz unterstützt, um den Austausch zwischen
innerhalb des Amtes zu schaffen, so dass Wirtschaft, Forschung, Wissenschaft und
sich auf der einen Seite technische Exper- Diplomatie zu intensivieren. Andere Staa-
tise einbringen, auf der anderen außen- ten haben solche Initiativen bereits ins
politisches und bürokratisches Wissen ver- Leben gerufen, so die Schweiz mit der
mitteln lässt. Das AA kann hier auf die Swissnex und Österreich mit Open Austria.
Erfahrungen aus dem Datenpool-Projekt
PREVIEW bauen, das zur Krisenfrüherken-
nung, Konfliktanalyse und Strategischen Mögliche Lehren für die
Vorausschau dient. deutsche Außenpolitik
Auch sollte in Betracht gezogen werden,
im AA einen Innovation Hub aufzubauen. Aus den internationalen Erfahrungen mit
Verschiedene Ministerien haben bereits außenpolitischen Digitalstrategien lassen
solche Knotenpunkte ins Leben gerufen, sich drei Lehren für die Bundesregierung
um zugunsten digitaler Lösungen die Zu- ziehen. Erstens sollte eine solche Strategie
sammenarbeit mit Tech-Sektor und Start- – auch wenn sie sich nur auf Handlungs-
ups zu intensivieren und digitale Instru- felder konzentriert – mit dem Aufbau von
mente sowie neuere Arbeitsmethoden zu Strukturen und Instrumenten in Verbin-
testen – so das BMVg mit dem Cyber In- dung gebracht werden. Handlungsfelder,
novation Hub, das BMI mit dem Digital auf denen das Auswärtige Amt sich enga-
Innovation Team und das BMZ mit Digilab. gieren möchte, sollten definiert werden;
Angesichts der erwünschten Zunahme damit verbunden gilt es konkrete, nach
digitaler Instrumente und der Adaptation Möglichkeit messbare Ziele aufzustellen,
neuerer Arbeitsweisen mit anderen Ressorts wofür die dänische Strategie ein Vorbild
brächte ein Innovation Hub im AA den bietet. Dabei ist es wichtig, dass die Struk-
Mehrwert, vielfältige Ideen, Akteure und turebene mit Zielen und Handlungsfeldern
Technologien zu bündeln und zu vernet- zusammengedacht wird, weil die Strategie
zen. Er würde auch dazu beitragen, das ansonsten zu einem reinen Leitlinien-
»Mainstreaming« des Themas Technolo- Dokument gerät. Mit anderen Worten be-
gie/Digitalisierung und Außenpolitik auf stimmen Strukturen, Finanzen und vor-
den verschiedenen Ebenen des Ministe- handene Expertise, wie ambitioniert eine
riums zu unterstützen. Digitalstrategie sein kann. In diesem Zu-
Darüber hinaus ließen sich die diploma- sammenhang sollte darüber nachgedacht
tischen Vertretungen der Bundesrepublik werden, bestehende Referate innerhalb des
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6AA auszubauen bzw. neue zu gründen,
damit sich der stetig wachsende Themen-
bereich besser abdecken lässt.
Zweitens sollte durch eine solche Strate-
gie auch bestimmt werden, welche kon-
krete Rolle das Auswärtige Amt national –
vor allem im Zusammenspiel mit anderen
Bundesministerien – und international
einzunehmen hat. Dank Auslandsvertre-
tungen und völkerrechtlicher Expertise
bieten Außenministerien bei diesem The- © Stiftung Wissenschaft
menfeld einen unabdingbaren Mehrwert und Politik, 2022
innerhalb von Regierungen. Dabei lassen Alle Rechte vorbehalten
sich Zuständigkeiten gegenüber anderen
Das Aktuell gibt die Auf-
Ministerien nicht immer trennscharf ab-
fassung des Autors wieder.
grenzen, was zu Reibungen führen kann.
Angesichts der Tatsache, dass Digital- und In der Online-Version dieser
Technologiepolitik nahezu immer auch Publikation sind Verweise
Außenpolitik ist, dürfen Außenministerien auf SWP-Schriften und
wichtige Quellen anklickbar.
und speziell das AA den Ambitionsgrad
aber nicht zu gering ansetzen. SWP-Aktuells werden intern
Drittens bleibt der Themenkomplex einem Begutachtungsverfah-
Technologie/Digitalisierung und Außenpoli- ren, einem Faktencheck und
tik eine interministerielle Aufgabe. Hier einem Lektorat unterzogen.
bietet das australische Modell eine mög- Weitere Informationen
zur Qualitätssicherung der
liche Inspiration. Mit dem Ambassador for
SWP finden Sie auf der SWP-
Cyber Affairs and Critical Technology Website unter https://www.
wurde dort eine Position geschaffen, deren swp-berlin.org/ueber-uns/
Inhaber den Vorsitz einer neu eingerich- qualitaetssicherung/
teten, vierteljährlich tagenden Whole-of-
SWP
Government International Cyber and
Stiftung Wissenschaft und
Critical Technology Engagement Group hat. Politik
Auch innerhalb der Bundesregierung sind Deutsches Institut für
gemeinsame Formate auf Arbeitsebene Internationale Politik und
denkbar, denen Referenten aus verschiede- Sicherheit
nen Ministerien angehören. So ließen sich
Ludwigkirchplatz 3–4
die unterschiedlichen wirtschafts-, sicher-
10719 Berlin
heits- und ordnungspolitischen Fragen Telefon +49 30 880 07-0
besser bearbeiten, die sich im Bereich Tech- Fax +49 30 880 07-100
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ten solche Cluster- bzw. Projektarbeitsteams swp@swp-berlin.org
um Referate des Auswärtigen Amtes herum
ISSN (Print) 1611-6364
gebildet werden. ISSN (Online) 2747-5018
doi: 10.18449/2022A27
Kaan Sahin ist ehemaliger Fellow im Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS).
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