Unbewusstes Zusammenspiel zweier Partner (2/3)
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Unbewusstes Zusammenspiel zweier Partner (2/3) • Jürg Willi (1975, S. 61 ff.) betont fünf Aspekte dessen, was er als Kollusion bezeichnet: • „Kollusion meint ein uneingestandenes, voreinander verheimlichtes Zusammenspiel zweier oder mehrerer Partner aufgrund eines gleichartigen, unbewältigten Grundkonfliktes. • Der gemeinsame unbewältigte Grundkonflikt wird in verschiedenen Rollen ausgetragen, was den Eindruck entstehen lässt, der eine Partner sei geradezu das Gegenteil des anderen. Es handelt sich dabei aber lediglich um polarisierte Varianten des gleichen. • Die Verbindung im gleichartigen Grundkonflikt begünstigt in Paarbeziehungen beim einen Partner progressive (überkompensierende), beim anderen Partner regressive Selbstheilungsversuche. • Dieses progressive und regressive Abwehrverhalten bewirkt zu einem wesentlichen Teil die Anziehung und dyadische Verklammerung der Partner. Jeder hofft, von seinem Grundkonflikt durch den Partner erlöst zu werden. Beide glauben, in der Abwehr ihrer tiefen Ängste durch den Partner soweit gesichert zu sein, dass eine Bedürfnisbefriedigung in bisher nicht erreichte Maß zulässig und möglich wäre. • Im längeren Zusammenleben scheitert dieser kollusive Selbstheilungsversuch wegen der Wiederkehr des Verdrängten bei beiden Partnern. Die auf den Partner verlegten (delegierten oder externalisierten) Anteile kommen im eigenen Selbst wieder hoch.“ 1
Unbewusstes Zusammenspiel zweier Partner (3/3) • Auf Basis dieser konzeptiven Überlegungen unterscheidet Willi (1975, S. 61 ff.) vier Grundmuster des unbewussten Zusammenspiels der Partner (diese werden auf den folgenden Folien ausführlicher dargestellt): • Das narzisstische Beziehungsthema • Das orale Beziehungsthema • Das anal-sadistische Beziehungsthema • Das phallisch-ödipale Beziehungsthema • Da es sich um ein unbewusstes Zusammenspiel handelt, ist es für ein Paar, das in ein solches gemeinsames Beziehungsthema verstrickt ist, nicht so einfach, sich dabei selbst auf die Schliche zu kommen. In den folgenden Abschnitten soll daher beschrieben werden, woran sich das Vorliegen einer kollusiven Beziehung erkennen lässt. • Merke: Beide Partner agieren das Thema in gegengleichen Rollen aus. 2
Das narzisstische Beziehungsthema (1/6) • Narzisstische Persönlichkeiten orientieren in übertriebener Form auf Selbstbestätigung. • Alles was getan wird, dient der Selbstdarstellung und der Selbstbestätigung. • Andere Menschen werden benutzt um sich vor ihnen zu produzieren oder mit ihnen zu schmücken. • Eine narzisstische Persönlichkeit entsteht, wenn der Ablösungsprozess von der Mutter in der Kindheit nicht gelungen ist. 3
Das narzisstische Beziehungsthema (2/6) • In einer kollusiven narzisstischen Partnerschaft finden sich Menschen zusammen, die beide den Ablösungsprozess von der Mutter nicht gut bewältigen konnten. • Einer davon nimmt die progressive Position ein und gebärdet sich in der Beziehung als Narzisst. • Der andere nimmt eine degressive Position ein und betätigt sich als Komplementärnarzisst. • Der Narzisst sucht die Bewunderung und Verherrlichung seiner Person und der Komplementärnarzisst leistet diese Bewunderung und Verherrlichung im Übermaß. 4
Das narzisstische Beziehungsthema (3/6) • Weil der Narzisst insgeheim an sich selbst zweifelt, braucht er die Bestätigung durch den Komplementärnarzissten. • Der Komplementärnarzisst identifiziert sich mit dem idealisierten Selbst seines Partners oder seiner Partnerin. • Der Narzisst ersetzt für ihn das eigene, als ungenügend empfundenen Selbst. • Im Zuge der Beziehungsdynamik identifiziert der Komplementärnarzisst den Partner immer mehr mit einem Bild des idealisierten selbst, dem zu entsprechen ist dem Nazissten immer weniger gelingt. 5
Das narzisstische Beziehungsthema (4/6) • Der Narzisst fordert aber weiterhin Bewunderung ein, der Komplementärnarzisst hingegen hält an seinem Idealbild fest. • Dies führt zu Aggressionen beim Narzissten, weil er diesem Idealbild nicht entsprechen kann. • Diese Dynamik schaukelt sich in Beziehungen häufig so lange auf, bis die Konflikte ein Niveau erreicht haben, das zum Buch der Beziehung führt. • Nicht in jedem Fall führt eine solche Beziehungsdynamik zum Bruch der Beziehung. 6
Das narzisstische Beziehungsthema (5/6) • Es kann auch zu einem Zusammenspiel aus einer gemäßigten Form von bewundern und bewundert werden wollen kommen, indem ein stabiles Gleichgewicht entsteht. • In solchen Beziehungen ist häufig das Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz problematisch. • Es besteht der Wunsch nach Verschmelzung und gleichzeitig verhindert die Angst davor, dass Nähe entsteht. 7
Das narzisstische Beziehungsthema (6/6) • Gleichzeitig leiden beide Partner an mangelnder Nähe. • Es treten häufig wechselseitige Verletzungen und Kränkungen auf, die die Funktion haben, allzu große Nähe zu vermeiden. • Um diese Beziehungsdynamik abzuschwächen wäre es Aufgabe beider Partner, jeweils ein eigenes stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln. • Merke: Dem Narzissten geht es darum, bewundert zu werden und dem Komplementärnarzissten darum, zu bewundern. 8
Das orale Beziehungsthema (1/4) • Die orale Persönlichkeit fokussiert besonders auf die Frage, wer umsorgt mich oder wen versorge ich? • Orale Charakterzüge resultieren aus Problemen in der frühen Mutter- Kind Beziehung, wenn die kindlichen Bedürfnisse nicht adäquat beantwortet wurden. • Der orale Charakter ist von der Sorge geplagt, nicht genug zu bekommen. Er sucht deshalb nach einem bedingungslos umsorgenden Partner. • Der Partner, der die Mutterrolle einnimmt, versucht die seinerseits in der Kindheit erlebten Defizite dadurch auszugleichen, dass er den früheren eigenen Mangel in der Partnerschaft am anderen gutmacht. 9
Das orale Beziehungsthema (2/4) • Der orale Mensch sehnt sich nach einem versorgenden Partner und stellt gleichzeitig die Verlässlichkeit dieser Versorgungshaltung in Zweifel. • Um diese Zweifel zu zerstreuen und Bestätigung für die sichere Versorgung zu erhalten, wird der Anspruch an das Ausmaß der Versorgungsleistung ständig erhöht. • Auf der anderen Seite versucht „die gute Mutter“ ihren Anspruch, eine sichere Versorgungsleistung zu bieten, auch in dieser Phase weiter aufrecht zu erhalten. • Dadurch, dass nur Sie diese Versorgungsleistung anbieten kann, entsteht auch eine gewisse Abhängigkeit des oralen Partners von dieser Unterstützung und eine gewisse Macht des versorgenden Teils in dieser Beziehung. 10
Das orale Beziehungsthema (3/4) • Eine Aufschaukelung dieser Dynamik kann dazu führen, dass die Versorgungsansprüche immer unmäßiger werden und schließlich selbst die „gute Mutter“ überfordern. • Es kommt zur Zusammenbruch, die Versorgungsleistung kann nicht mehr erbracht werden. • Dadurch bestätigt sich die Befürchtung der oralen Persönlichkeit, das letztlich eben doch keine Versorgung verlässlich ist. • In dieser Phase scheitern viele derartige Beziehungen 11
Das orale Beziehungsthema (4/4) • Weniger ausgeprägte Formen einer oralen Kollisionsbeziehung können auch langjährig stabil sein. • In solchen Beziehungen wird Liebe oft mit Fürsorglichkeit assoziiert, und zwar in einseitiger Form. • Ein Beziehungspartner stellt sich als der schwächere und hilfsbedürftigere und der andere als der stärkere und leistungsfähigere dar. • Daraus resultiert auch eine Ungleichverteilung der Macht, weil der eine den Zugang zu den Ressourcen des anderen kontrolliert. • In solchen Beziehungen sollte ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen angestrebt werden. • Merke: Bei diesem Thema geht es um Hilfsbedürftigkeit und Helfen. 12
Das anal-sadistische Beziehungsthema (1/5) • In den frühen Lebensjahren durchlebt ein Kind den Prozess der Entwicklung eigener Autonomie. • In dieser Phase wird der Wechsel zwischen dem Gefühl der Trennung von der Mutter und der Verbundenheit mit ihr als ambivalent empfunden. • Wenn dem Kind der Prozess des Selbständigwerdens erschwert wird, dann verfestigt sich dieses Gefühl der Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz. • Dieses Gefühl ist durch die Ambivalenz folgender Gegensatzpaarungen gekennzeichnet: 13
Das anal-sadistische Beziehungsthema (2/5) Ambivalente Gegensatzpaarungen in Beziehungen mit anal-sadistischem Beziehungsthema nach Jürg Willi (1975, S. 110): „Aktivität steht gegen Passivität Autonomie (Selbständigkeit) gegen Heteronomie (Abhängigkeit) Eigensinn gegen unverpflichtete Nachgiebigkeit Herrschen gegen Gefügigkeit Sadismus gegen Masochismus Sparsamkeit gegen Verschwendung Ordnungsliebe und Pedanterie gegen Nachlässigkeit Sauberkeit gegen Verschmutzungslust“ 14
Das anal-sadistische Thema (3/5) • Der aktive anale Charakter hat Angst vor Unterlegenheit und Beherrschtwerden. Dem beugt er vor, indem er selbst Macht und Kontrolle in einer Beziehung ausübt. • Dies äußert sich beispielsweise durch ausgesprochene Ordnungsliebe, Pedanterie oder übertriebene Sparsamkeit. • Der passive anale Charakter verhält sich unterwürfig und überlässt die Macht dem Partner. • Diese regressive Form der Unterordnung ist aber nur eine vordergründige mit dem Ziel, aus dieser Position subtil Macht auf den anderen auszuüben. • Bei Sauberkeit und Ordnung z. B. versucht der regressive Teil den Machtanspruch durch Nachlässigkeit und Vergesslichkeit zu unterlaufen. 15
Das anal-sadistische Beziehungsthema (4/5) • In dieser Beziehungsdynamik wird der Mächtige von der Angst geplagt, die Macht zu verlieren oder vom Partner beherrscht zu werden. • Dementsprechend steigert er das Machtgehabe gegenüber seinem Partner ständig, was diesen wiederum immer mehr dazu antreibt, sich dieser Machtausübung zu widersetzen. • Auch hier lässt sich eine eskalierende Beziehungsdynamik erkennen. 16
Das anal-sadistische Thema (5/5) • Nicht jede derartige Form führt zu einem Zerbrechen der Beziehung. • In solchen Beziehungen werden unentwegt Machtkämpfe ausgetragen. • Aber es gelingt beiden Partnern, eine stabile Gleichgewichtssituation zu bewahren. • In den Konflikten geht es darum, Recht zu behalten und sich durchzusetzen. Sie eskalieren oft, beruhigen sich aber wieder, bevor die Beziehung zerbricht. • In solchen Beziehungen sollte versucht werden, die Rollen zwischen dem der bestimmt und dem, der sich unterordnet immer wieder zu wechseln. • Merke: Hier geht es um Herrschaft und Unterwerfung. 17
Das phallisch-ödipale Beziehungsthema (1/3) • Menschen mit diesem Beziehungsthema hatten in der Kindheit Schwierigkeiten, sich in die eigene geschlechtliche Rolle einzufinden. • Sie erlebten die Beziehung zum gegengeschlechtlichen Elternteils als problematisch und fanden in gleichgeschlechtlichen Elternteil kein passendes Vorbild. • In den vorstehenden drei Formen von Kollusion können beide Rollen jeweils vom Mann oder von der Frau übernommen werden. • Bei dieser Form gibt es zwei geschlechtstypische Ausformungen: • Frauen mit hysterischem Charakter und • Hysterophile Männer 18
Das phallisch-ödipale Beziehungsthema (2/3) • Frauen mit hysterischem Charaktersuchen sich schwache Männer, die sie durch das vortäuschen eigener Hilflosigkeit und Schwäche in die Rolle eines Retters bringen und die ihnen Sicherheit und Vertrauen bieten können. • Die Frau will den Mann stark sehen und verleugnet seine Schwäche. Dies deckt sich auch mit den Bedürfnissen des Mannes. Er entwickelt einen überzogenen Anspruch an seine Stärke, den er selbst nicht erfüllen kann. • Wenn er unter den eigenen Anforderungen zusammenbricht, wird er von der Frau für seine Schwäche gedemütigt und empfindet das auch noch als gerechte Strafe für sein schwach werden. • Er verfällt in Lethargie, die Frau demütigt ihn umso mehr. 19
Das phallisch-ödipale Beziehungsthema (3/3) • Beide Teile leben ihre in der Kindheit erworbene konflikthafte Beziehung zur männlichen Rolle in unterschiedlichen Positionen aus. • Diese Dynamik kann sich bis zum Beziehungsabbruch steigern oder auch in der Beziehung chronifizieren. • Diese Dynamik kann gelindert werden, wenn beide Teile ihre verfestigten geschlechtlichen Rollenbilder relativieren und anerkennen, dass der Mann nicht immer eine starke und die Frau nicht immer eine schwache Position ein nehmen muss. • Merke: Hier geht es um die männliche und die weibliche Rolle. 20
Unbewusstes Zusammenspiel zweier Partner • Diese vorstehend ausführlich beschriebenen vier Formen eines unbewussten Zusammenspiels sind bei Beziehungskrisen häufig zu beobachten. • Als allererstes ist es für die Beteiligten wichtig, eine solche Dynamik zu verstehen und die eigenen Anteile daran anzuerkennen. • Erst dann können gezielte Schritte in Richtung Ausstieg aus dieser Dynamik gesetzt werden. • Merke: Beide sollten ihre Beteiligung an diesem Zusammenspiel erkennen. 21
Veränderungsprojekte (1/3) • In der ersten Phase einer Beziehung, der Verliebtheitsphase, betrachten wir unseren Partner/unsere Partnerin durch eine rosa Brille. • Über all, wo wir etwas problematisches erkennen könnten, haben wir blinde Flecken. In unser Bewusstsein werden nur die Sonnenseiten dieses Menschen übertragen. Alle negativen Aspekte werden ausgeblendet. • Nach einigen Wochen oder Monaten endet die Verliebtheitsphase. Dann entwickeln wir einen realistischen Blick auf unser Gegenüber. • Es fallen uns all die negativen Eigenschaften auf, die man an jedem Menschen finden kann und wir beschließen, das zu ändern. 22
Veränderungsprojekte (2/3) • Wir erklären, dass diese schlechten an Gewohnheiten ein Ende haben müssen. • Wir bezeichnen diese Verhinderung als alternativlos. • Wir kritisieren das negative Verhalten heftig jedes Mal, wenn es auftritt. • Wir nörgeln, wir schimpfen und wir streiten. • Und wir wundern uns, dass es nicht funktioniert • Den anderen ändern zu wollen ist eine Beziehungsfalle, weil sich ein Partner in einer Beziehung nicht ohne weiteres verändern lässt. 23
Veränderungsprojekte (3/3) • Solche Veränderungsprojekte funktionieren nicht, aber sie lösen eine schädliche Dynamik in der Beziehung aus. • Es gibt nur zwei Möglichkeiten: • Den Partner so zu akzeptieren, wie er ist oder • Selber eine Veränderung in die Beziehung einzubringen, die dazu führt, dass sich auch die Partnerin/der Partner anpasst • Wer in Beziehungen etwas verändern will der muss sein eigenes (Kommunikations-) Verhalten ändern. • Oft genügt eine kleine Veränderung um in einer Beziehung eine Dynamik entstehen zu lassen, die zu einer nachhaltigen Veränderung in der gesamten Beziehung führt. • Merke: Du kannst den Partner nicht ändern, nur dich selbst. 24
Stress als Beziehungsfalle (1/3) • Guy Bodenmann (2004) identifiziert Stress als einen der bedeutendsten Beziehungskiller. • Ist ein Paar oder einer der Partner dauerhaft einem erhöhten Ausmaß an Stress ausgesetzt, so führt dies zu einer schleichenden Verschlechterung der Beziehung. • Bodenmann geht davon aus, dass die Qualität einer Beziehung durch das Ausmaß der kommunikativen Kompetenzen beider Beziehungspartner bestimmt ist. • In entspannten Zeiten können sich diese kommunikativen Kompetenzen voll entfalten. • Unter Einfluss von Stress sinkt das Niveau dieser Kompetenzen dramatisch. 25
Stress als Beziehungsfalle (2/3) • Generell kann Stress als Ungleichgewicht zwischen den Inneren und äußeren Anforderungen an einen Menschen und dessen Fähigkeit, diese Anforderungen zu bewältigen, aufgefasst werden. • Stress tritt auf, wenn die Anforderungen deutlich höher sind als das, was sich jemand zutraut zu bewältigen. • Aber auch wenn das Anforderungsniveau wesentlich niedriger ist als das, welches ein Mensch leisten könnte, entsteht Stress, der sogenannte Unterforderungsstress. 26
Stress als Beziehungsfalle (3/3) • Solange jemand das Gefühl hat, die Erwartungen an ihn, auch die eigenen Erwartungen, liegen auf einem Niveau, das er innerhalb der gesetzten Frist und unter den sonstigen Rahmenbedingungen erfüllen kann, entsteht kein negativer Stress. • Der Stress entsteht erst, sobald man sich von einer Situation überfordert fühlt und meint, nicht über ausreichende Ressourcen zur Bewältigung einer Problemlage zu verfügen. • Stress entsteht aber auch, wenn man den Eindruck hat, künftige Probleme nicht rechtzeitig vorhersehen zu können, nicht rechtzeitig reagieren zu können oder in einer Situation über keine Steuerungsmöglichkeiten zu verfügen. • Merke: Stress ist ein Top-Beziehungskiller. 27
Beispiel: Versuchsratten (1/2) Zur Frage des Zusammenhangs zwischen Steuerungsmöglichkeiten und Stress gibt es einen beeindruckenden Laborversuch, in dem Ratten Stromstößen ausgesetzt wurden. Es befanden sich zwei Tiere in zwei unterschiedlichen Käfigen und die Stromstöße wurden durch ein akustisches Signal kurz vorher angekündigt. Eine Ratte hatte in ihrem Käfig einen Schalter. Wenn Sie diesen Schalter nach dem Signalton drückte, so konnte sie dadurch verhindern, dass der Stromstoß erfolgte. Dies hatte man dieser Ratte beigebracht. Allerdings wurde der Abstand zwischen Signal und Stromstoß so variiert, dass die Ratte nur teilweise ausreichend Zeit hatte, den Knopf zu drücken. 28
Beispiel: Versuchsratten (2/2) Manchmal war die Abfolge zwischen Signal und Stromstoß aber so rasch, dass die Ratte auch bei sehr schneller Reaktion nicht mehr rechtzeitig drücken und dadurch den Stromstoß nicht verhindern konnte. In den Fällen, in denen die Ratte rechtzeitig gedrückt hat, erfolgte in beiden Käfigen kein Stromstoß, wenn die Ratte nicht rasch genug reagiert hatte, bekamen beide Tiere den elektrischen Impuls. Obwohl beide Ratten also gleich viele und gleich starke Stromstöße erhielten, konnte man nach einiger Zeit einen deutlichen Unterschied der beiden Ratten erkennen. Das Niveau des Stresshormons Cortisol war bei beiden Ratten erhöht, aber bei einer Ratte war es deutlich höher. Und das war nicht die Ratte, die den Stress hatte, den Knopf rechtzeitig zu drücken, sondern jene Ratte, die über keine Steuerungsmöglichkeiten verfügte. Merke: Wer gestalten kann hat weniger Stress. 29
Umgang mit Stress (1/4) • Eine der wichtigsten Strategien zur Bewältigung von Stress ist es daher, nach Möglichkeiten zu suchen, wie ich die Situation steuern kann. • Mit Stress reagieren wir aber nicht nur auf überfordernde äußere Ansprüche. • Eine wesentliche Ursache von Stress sind die eigenen Anforderungen und die eigene Erwartungshaltung an sich selbst. • Wer glaubt, nicht gut genug zu sein, der macht sich selber Stress. • Wer meint, jede Aufgabe perfekt erledigen zu müssen, für den werden auch harmlose äußere Anforderungen zu einer Stressbelastung. • Erhöhter Stress stellt eine erhebliche Gesundheitsgefährdung dar. 30
Umgang mit Stress (2/4) • Aaron Antonovsky (1997) entwickelte im Zusammenhang mit seiner Gesundheitsforschung das Konzept der Salutogenese, indem er nicht primär auf die krankmachenden Faktoren (z. B. Stress) fokussierte, sondern jene Aspekte zu beschreiben versuchte, die uns trotz unvermeidlichem Stress gesund erhalten. • Er fasst diese Faktoren unter dem Terminus Kohärenzgefühl zusammen. • Das Kohärenzgefühl besteht hauptsächlich aus zwei Aspekten: • Einerseits beinhaltet es das Gefühl, dass äußere Ereignisse irgendwie vorhersehbar sind, dass ich also in der Lage bin, Entwicklungen, die für mich wesentlich sind, rechtzeitig zu erkennen. • Andererseits bedeutet Kohärenzgefühl die Zuversicht, jede sich stellende Herausforderung irgendwie bewältigen zu können. • Ein dritter Faktor ist für das Kohärenzgefühl nur von mittelbarer Bedeutung, weil er sich auf die Entwicklung der beiden ersten Fähigkeiten auswirkt. • Bei diesem geht es um die Frage, ob jemand auf die äußere Welt und die Entwicklungen mit Neugierde und Interesse achtet oder ob jemand gegenüber den meisten Aspekten der äußeren Welt überwiegend indifferent eingestellt ist. • Wer sich für vieles interessiert, der lernt rechtzeitig zu erkennen, wenn sich relevante Entwicklungen anbahnen, und der hat sich ausreichende Ressourcen zur Bewältigung anstehender Probleme angeeignet und damit die Erfahrung gemacht, dass sich alle 31 Schwierigkeiten irgendwie lösen lassen.
Umgang mit Stress (3/4) • Diese Überlegungen decken sich auch mit den Aussagen von Bodenmann (2004, S. 39), wenn er meint, Stressprofis halten die Welt für bedeutungsvoll und interessant, sind neugierig, sehen das Positive in jeder Situation und halten sich in der Lage, in jeder Situation entsprechend Einfluss zu nehmen und jedes Problem mit ausreichender Anstrengung auch lösen zu können. • In einer Zeit ständiger Erhöhung des Leistungsdrucks am Arbeitsplatz verursacht die Erwerbsarbeit zunehmend mehr Stress. • Dabei spielt natürlich Zeitdruck eine Rolle, aber auch der Mangel an Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, Mangel an sozialer Einbindung in eine Arbeitsgruppe, Mangel an geeigneter Rückmeldung bezüglich meiner Arbeitsergebnisse, mangelhafte Führungsqualitäten oder ein Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung. • Siegrist (1995) bezeichnet diese Situation als Gratifikationskrise. 32
Umgang mit Stress (4/4) • Stress entsteht aber nicht ausschließlich im Zusammenhang mit Erwerbsarbeit • Auch die Überlagerung von beruflichen Anforderungen und Anforderungen im Privatleben können Stress verursachen. • So etwa die Dreifachbelastung Erwerbsarbeit, Hausarbeit, Kindererziehung • oder auch besondere Lebenssituationen, zum Beispiel Umzug, Geburt eines Kindes, Tod eines nahen Angehörigen oder das Auftreten einer schweren Erkrankung in der Familie. • Probleme in der Sexualität oder die Untreue eines Partners erhöhen zusätzlich den Stress in einer Partnerschaft, sind aber häufig bereits als Auswirkung eines erhöhten Stressniveaus in einer Beziehung zu sehen. • Merke: Stressprofis sind neugierig, sehen das Positive und trauen sich zu, jedes Problem auch lösen zu können. 33
Auswirkungen von Stress (1/2) • Beziehungen werden bei Auftreten von erhöhter Stressbelastung eines Partners dadurch in Mitleidenschaft gezogen, dass die kommunikativen Kompetenzen abnehmen. • Die Selbstregulierungsmechanismen regelmäßiger Kommunikation verschlechtern sich, weil nicht mehr genügend Energie zur Regulierung der in jeder Beziehung immer wieder und unvermeidbar auftretenden Irritationen vorhanden ist. • Probleme werden nicht angesprochen und Konflikte nicht ausgetragen. • Die Beziehung gerät in einen langsamen, aber stetig wirkenden Teufelskreis. • Probleme schaukeln sich auf und wirken sich auf andere Aspekte aus. 34
Auswirkungen von Stress (2/2) • Die Sexualität, in einer funktionierenden Beziehung ein stabilisierender und bestätigender Faktor, verliert unter Einwirkung von Stress ihre Qualität. • Dadurch wird die Regulierungsfunktion der sexuellen Liebe und Erotik geschädigt. • Der Teufelskreis dreht sich weiter und mündet möglicherweise in einer Außenbeziehung, was wiederum die Stresssituation in der Beziehung zusätzlich verstärkt. • Auf diese Weise führt Stress in einer Beziehung zu fortschreitenden Erosionserscheinungen und mündet in letzter Konsequenz im Zerbrechen der Beziehung. • Aus diesem Grund sollten Paare die Entwicklung ihres Stresspegels außerhalb und in der Beziehung ständig beobachten und bei Auftreten von erhöhtem Stress rechtzeitig gegensteuern. • Merke: Stress reduziert die kommunikativen Problemlösungskompetenzen. 35
Unklare Grenzen (1/2) • Berit Brockhausen (2012) macht deutlich, dass viele Beziehungskonflikte als Revierkämpfe zu verstehen sind, die dann auftreten, wenn die jeweiligen Hoheitsgebiete beider Beziehungspartner nicht respektiert werden. • Hoheitsgebiet bezeichnet demnach nicht nur eine räumliche Zuordnung, es geht auch um Besitz, um Kleinigkeiten, um Zeit, den eigenen Körper, die eigene Verantwortung, kurz um alles, wovon wir glauben, darauf einen Ausschließlichkeitsanspruch zu haben. • Sind diese Hoheitsgebiete nicht ausreichend geklärt oder werden sie nicht respektiert, dann sind Konflikte vorprogrammiert. 36
Unklare Grenzen (2/2) • Vielfach gibt es die Meinung, dass durch das Eingehen einer Beziehung beide Hoheitsgebiete zu einem gemeinsamen Territorium verschmelzen. • Damit wird eine sehr effektive Beziehungsfalle installiert, welche mit ziemlicher Sicherheit zu einem Scheitern der Beziehung führt. • Hilfreicher ist sicher die Vorstellung, dass beide Hoheitsgebiete trotz Beziehung weiterhin bestehen bleiben und noch ein dritter Bereich hinzu kommt, nämlich das gemeinsame Territorium. • Merke: Viele Beziehungsprobleme resultieren aus Revierkämpfen. 37
Revierkonflikte (1/3) • Ein eigenes Zimmer ist bereits von der Schriftstellerin Virginia Woolf (1929) als Metapher dafür verwendet worden, dass jeder Mensch (und sie bezog diese Forderung damals natürlich auf Frauen) ein gewisses Mindestmaß an Privatsphäre braucht. • Für eine gemeinsame Wohnung bedeutet das, dass jeder Partner in der Wohnung über einen eigenen Raum oder zumindest über einen eigenen Platz verfügen sollte. • Wie dieser Platz gestaltet ist, ob er aufgeräumt ist, was dort passieren darf und welche Regeln dort gelten, das obliegt der ausschließlichen Entscheidung desjenigen, dem dieser Platz gehört. Beide Partner brauchen einen solchen Rückzugsraum. 38
Revierkonflikte (2/3) • Und dann gibt es auch noch einen Bereich in der Wohnung, der beiden gehört. • Dieser Bereich kann nur im Einvernehmen beider Partner gestaltet werden, in ihm gelten nicht die Regeln des einen oder des anderen, sondern jene Regeln, die von beiden einvernehmlich festgelegt wurden. • Wenn also zum Beispiel einer von beiden Beziehungspartnern seine eigenen Vorstellungen bezüglich Ordnung und Sauberkeit im gemeinsamen Bereich durchsetzen will, so stellt auch das in gewisser Weise eine Grenzverletzung dar, weil er die Einhaltung seiner eigenen Regeln nur in seinem eigenen Revier verlangen kann. • Im gemeinsamen Bereich gelten nur jene Regeln, die gemeinsam vereinbart wurden. Auf die Einhaltung dieser Regeln kann von beiden Seiten gepocht werden. • Wenn es gelingt, die jeweils eigenen Territorien klar und nachvollziehbar abzugrenzen, dann wäre jedenfalls wechselseitig ein Verbot der Nichteinmischung strikt zu beachten und jede Einmischung sofort mit dem Hinweis auf das Territorium zurückzuweisen. 39
Revierkonflikte (3/3) • Schwieriger ist der Umgang mit jenem Bereich, der das Gemeinsame in einer Beziehung markiert. • Hier gilt es, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Dies ist in einer Beziehung eine sehr schwierige Aufgabe. • Denn sie wird weder dadurch gut gelöst, dass eine Seite durch Verzicht auf eigene Wünsche und Interessen dem anderen entgegenkommt, noch dadurch, dass als Kompromiss nur mehr der kleinste gemeinsame Nenner übrig bleibt, der von beiden Seiten als unbefriedigend empfunden wird. • Merke: Wenn sich bei solchen Auseinandersetzungen einer durchsetzt, dann haben beide verloren. 40
Das Nein in der Liebe (1/2) • Peter Schellenbaum (1984) identifiziert die Fähigkeit zur Abgrenzung, also das Neinsagenkönnen als wesentliches Merkmal für gelingende Beziehungen. • Es ist wichtig, dass in Liebesbeziehungen jeder zu seinen persönlichen Bedürfnissen steht und seine Grenzen unabhängig von den Wünschen der Partnerin oder des Partners wahrt. • Deshalb ist es wichtig, nein zu sagen, wenn die Partnerin oder der Partner versucht, die eigenen Vorstellungen im fremden Hoheitsgebiet durchzusetzen, oder wenn dies im gemeinsamen Bereich versucht wird. 41
Das Nein in der Liebe (2/2) • In einer neuen Beziehung besteht oft die Vorstellung mit einem ersten kleinen Nein würde die Harmonie der Beziehung gefährdet. • Man gibt deshalb nach, oft auch weil man der Meinung ist, es würde sich ohnehin nur um eine Kleinigkeit handeln. • Aber mit jedem Mal nachgeben, mit jedem Mal, mit dem das innerlich gedachte Nein als zart gehauchtes Ja den Mund verlässt, wird die Beziehung immer unehrlicher. • Wer scheinbar großzügig dem anderen oft den Vortritt lässt, bei dem entsteht ein Eindruck der Unausgewogenheit, der in der Folge zu negativen Gefühlen und einem Abkühlen der Liebe führt. • Seine Grenzen klar zu benennen und im Bedarfsfall nein zu sagen, wenn etwas für mich nicht passt, ist also eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Beziehung. • Merke: Nicht das ‚Nein‘ schadet der Beziehung, sondern dessen Fehlen. 42
Faule Kompromisse (1/3) • Wenn jeder seine Grenzen wahrt und zu allem nein sagt, was nicht seinen Bedürfnissen entspricht, dann bleibt in einer Beziehung oft nur ein sehr kleiner gemeinsamer Nenner. • Wenn er gerne ans Meer und sie gerne in die Berge auf Urlaub fährt, dann kommt im Extremfall keiner dorthin auf Urlaub, wo er möchte und als Gemeinsamkeit bleiben dann vielleicht nur mehr Städteurlaube. • Es ist zwar richtig und wichtig, dass in einer Beziehung jeder sagt was er will und was er nicht will, aber die Konsequenz, nur mehr das zu tun, was beide gerne tun möchten, wäre falsch. • Nur das zu tun, was dem kleinsten gemeinsamen Nenner entspricht, führt dazu, dass sich letztlich keiner mehr mit dem Gemeinsamen identifiziert, weil sich die eigenen Wünsche darin oft nur zu einem sehr kleinen Teil abbilden. 43
Faule Kompromisse (2/3) • Aktive Beziehungsgestaltung würde in diesem Zusammenhang bedeuten, ein ausgewogenes Verhältnis wechselseitiger Zugeständnisse zu vereinbaren, in dessen Rahmen es gelingen sollte, dass jeweils wechselseitig einer dem anderen aus Liebe entgegenkommt, damit letztlich beide in der Beziehung so weit kommen, dass sich ihre Wünsche verwirklichen lassen. • Wo dieses Entgegenkommen aus irgendwelchen Gründen nicht zugestanden werden kann, gibt es ja auch noch die Möglichkeit, dass sich ein Partner seine individuellen Wünsche im Rahmen seines eigenen Hoheitsgebietes erfüllt, also dass zum Beispiel jemand eben auch alleine dorthin auf Urlaub fährt, wo seine Partnerin/Ihr Partner auf gar keinen Fall hinfahren will. 44
Faule Kompromisse (3/3) • Damit es zu keinen faulen Kompromissen kommt, müssen unterschiedliche Bedürfnisse benannt und Lösungen ausverhandelt werden. • In deren Rahmen sollten auf beiden Seiten der Beziehung Zugeständnisse gemacht und Wünsche erfüllt werden. • Dabei ist es wichtig, dass bezüglich der wechselseitig gewährten Zugeständnisse auf beiden Seiten über einen längeren Zeitraum eine gefühlte Ausgeglichenheit entsteht. • Wenn Wünsche längerfristig nur einseitig erfüllt werden, dann entsteht eine weitere Beziehungsfalle: Unausgeglichene Konten. • Merke: Faule Kompromisse vermeiden: Raus aus der Komfortzone! 45
Unausgeglichene Verrechnungskonten (1/4) • Wie Helm Stierlin (2005) erläutert, basiert das Gefühl von Gerechtigkeit in nahen Beziehungen auf innerlich geführten Verrechnungskonten • In diesen werden alle positiven oder negativen Handlungen des Partners mit meinen eigenen positiven oder negativen Handlungen gegenüber meinem Partner aufgerechnet. • Besteht ein Gefühl der Ausgeglichenheit dieser Konten, so führt dies zu Zufriedenheit in und mit dieser Beziehung. • Stellt sich aber dieses Konto als zu meinen Lasten unausgeglichen dar, so entsteht das, was Stierlin (1997) als Verrechnungsnotstand bezeichnet hat. • Eine solche Situation führt zu Frustration, Wut und Verzweiflung. • In einer solchen Situation wird versucht, durch entsprechendes Handeln einen Ausgleich herzustellen, indem zum Beispiel in einem anderen Bereich der Beziehung etwas verweigert oder zurückgehalten wird. 46
Unausgeglichene Verrechnungskonten (2/4) • Auch wenn Liebe etwas ist, das von seiner Logik her zumindest teilweise auf altruistisches Verhalten ausgelegt ist, so müssen wir doch feststellen das unser unbewusster Umgang mit wechselseitigen Handlungen und Zuwendungen ganz eindeutig einem ökonomischen Muster folgt: • Es wird immer ein Ausgleich angestrebt. Fritz B. Simon (und CONECTA, 1992) bringen es mit der einfachen Formel auf den Punkt: "Wer handelt, der handelt.“ • Dementsprechend kann jede Handlung in einer Beziehung auch als Ware betrachtet werden, mit der ihrerseits Handel getrieben werden kann. 47
Unausgeglichene Konten (3/4) • Jede Leistung ist daher entweder eine Gegenleistung, die eine vorhergehende Leistung beantwortet und damit das entsprechende Konto wieder ausgleicht, oder • es handelt sich um eine Vorleistung, welche bewirkt, dass eine Ungleichheit eines zuvor ausgeglichenen Verrechnungskontos entsteht und die daher nach einem Ausgleich verlangt. • Dementsprechend reagieren auch Menschen, deren Konto in der Beziehung ein starkes plus ausweist: Sie fühlen sich zu einer Gegenleistung verpflichtet und geraten möglicherweise in Stress, weil die „Rückzahlung“ nicht einfach möglich ist oder sie vielleicht überfordern würde. 48
Sie können auch lesen