Eucera - Nr. 15 25. Sept. 2020 - Faszination Wildbienen
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Eucera 15, 2020 Inhaltsverzeichnis Saure, C., & Petrischak, H.: Dioxys cincta (Jurine 1807), eine für Deutschland neue Bienenart (Hymenoptera, Apiformes)............................................................................................................................................ 1 Rolke, D.: Über einen Fall von Gynandromorphie bei der Lauch-Maskenbiene Hylaeus punctulatissimus Smith 1842 (Hymenoptera, Anthophila) ................................................................................ 8 Tischendorf, S.: Anmerkungen zu früheren Vorkommen von Nomada numida Lep. (Hymenoptera, Apiformes) in Süddeutschland mit Hinweisen zur aktuellen Verbreitung im mediterranen Raum....................................................................................................................................................... 11 Westrich, P.: Bienen (Hymenoptera, Anthophila) als Blütenbesucher des Kalifornischen Kappenmohns (Eschscholzia californica) (Papaveraceae)................................................................................. 20 Impressum / Imprint Herausgeber und Verleger: Dr. Paul Westrich, Raichbergstr. 38, D–72127 Kusterdingen www.eucera.de © Paul Westrich 2020 Eucera Nr. 15 Kusterdingen, 25. Sept. 2020 ISSN 1866–1521 Titelbild: Betonpfosten zwischen dem ehemaligen Flugfeld (links) und einer Ackerbrache bei Rangsdorf, Fundort von Dioxys cincta (kleines Foto). Großes Foto: C. Saure; kleines Foto: H. Petrischak.
Eucera 15, 2020 Christoph Saure & Hannes Petrischak Dioxys cincta (Jurine 1807), eine für Deutschland neue Bienenart (Hymenoptera, Apiformes) Abstract Dioxys cincta (Jurine 1807), a new species for the bee fauna of Germany (Hymenoptera: Apiformes). – The first records of Dioxys cincta in Germany (Brandenburg) are presented and discussed. It is assumed that this species has expanded its range recently from southern Central Europe to north-eastern Germany, probably via the Czech Republic. Zusammenfassung Dioxys cincta wird erstmals für Deutschland und zwar aus dem Bundesland Brandenburg gemeldet. Es wird vermutet, dass diese Art in jüngster Zeit ihr Areal aus dem südlichen Mitteleuropa bis in das nordöstliche Deutschland hinein ausgedehnt hat, im hier dargestellten Fall wohl über Tschechien. 1 Einleitung der Art (Kuckucksbiene) deuten nicht auf eine Ein- Dioxys cincta, die »Stumpfe Zweizahnbiene« schleppung hin. Vielmehr nehmen wir an, dass sich (Scheuchl & Willner 2016), ist in Nordafrika, in Süd- die Art aktiv ausgebreitet hat. Die Migrationswege und im südlichen Mitteleuropa, in Kleinasien, im entsprechen vermutlich denen der Art Heriades ru- Kaukasus bis Usbekistan verbreitet (Warncke 1977, bicola Pérez 1890, welche im Jahr 2017 erstmalig in Scheuchl & Willner 2016). Die nördlichsten euro- Deutschland nachgewiesen wurde (Saure & Wag- päischen Funde stammen aus Zentralfrankreich, ner 2018). Schweiz, Österreich, Tschechien, Slowakei und aus Da aus den recht gut untersuchten Bundes- der Zentralukraine (z. B. Schwarz et al. 1996, Zettel ländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz et al. 2002, Amiet et al. 2004, Straka et al. 2007, Stra- noch keine Funde von Dioxys cincta bekannt sind, ka et al. 2015, Scheuchl & Willner 2016, Wiesbauer wird eine Einwanderung über Tschechien entlang 2017, auch wildbienen.info). Nach Warncke (1977) der wärmebegünstigten Flusstäler von Elbe bzw. reicht die Verbreitung nach Norden bis zum 49° n. von Neiße und Oder angenommen. Nachdem die Br. Die aktuellen Funde aus der Umgebung von Ber- Art aus Mähren schon länger bekannt ist (Straka lin liegen im Bereich des 52° n. Br. Eine aktive Are- et al. 2007) erfolgten die ersten Funde für Böhmen alausweitung der Art nach Norden im Zusammen- nach Straka et al. (2015) erst in den Jahren 2012 hang mit dem Klimawandel wird vermutet. (Štrbice bei Bilina, Sandgrube) und 2014 (Prag, Gü- Dioxys cincta ist somit eine in Deutschland neu terbahnhof im Stadtzentrum). Der Fundort Štrbice nachgewiesene Bienenart. Wenn man der Systema- ist nur ca. 20 km von der deutschen Grenze ent- tik von Michener (2007) folgt, nach der die andere fernt und nur ca. 190 km vom aktuellen Fundort bei in Deutschland vorkommende Zweizahnbienen- Rangsdorf. Eine Ausbreitung der Art aus Böhmen art Dioxys tridentata (Nylander 1848) zur Gattung über den Freistaat Sachsen bis Brandenburg er- Aglaoapis gestellt wird, dann ist auch die Gattung scheint damit sehr wahrscheinlich. Nachweise aus Dioxys (sensu stricto) neu für Deutschland. Sachsen könnten diese Annahme weiter stützen. 2 Aktuelle Nachweise und Ausbreitung 3 Morphologie und Bestimmung Brandenburg, Landkreis Teltow-Fläming, Rangs- Die Artbestimmung kann mit den Schlüsseln in dorf, ehemaliges Flugfeld (MTB 3746): 2♂♂, Amiet et al. (2004) und Scheuchl (2006) vorgenom- 14.06.2020; leg., det. et coll. C. Saure. – Branden- men werden. Amiet et al. (2004) gehen allerdings burg, Landkreis Havelland, Ketzin/Havel, Dorfstelle nur auf die beiden in der Schweiz vorkommenden Knoblauch nördlich Ketzin, Scheune (MTB 3443): Arten Dioxys cincta und Dioxys (Aglaoapis) triden- 3♀♀, 1♂, 16.06.2020; leg., det. et coll. C. Saure. tata ein. In weiter östlich gelegenen Ländern wie Dioxys cincta wurde im Jahr 2020 in zwei Gebie- Österreich, Ungarn oder der Slowakei kommt noch ten südlich und westlich von Berlin nachgewiesen. eine dritte Art vor [Dioxys (Paradioxys) pannonica Die Fundorte sind ca. 46 km Luftlinie voneinander Mocsáry 1877]. Ein Bestimmungsschlüssel mit die- entfernt. Das synchrone Auftreten an zwei weit sen drei Arten ist in Scheuchl (2006) aufgeführt und voneinander entfernten Orten sowie die Biologie Fotos der Arten sind in Wiesbauer (2017) enthalten. 1
Eucera 15, 2020 Abb. 1. Weibchen von Dioxys cincta. Foto: H. Petrischak, 22. Juni 2020. Einen ausführlichen Bestimmungsschlüssel der Steinbrüche und Kiesgruben genannt (Scheuchl westpaläarktischen Arten der Gattung Dioxys s. l. & Willner 2016, Wiesbauer 2017, www.wildbie- findet man bei Warncke (1977). nen.info). Die Flugzeit der univoltinen Art wird Die aus Brandenburg stammenden Individuen mit »April bis Juli (August)« angegeben (Amiet von Dioxys cincta besitzen eine Körperlänge von et al. 2004, Scheuchl & Willner 2016, Wiesbauer 7–8 mm (Weibchen) bzw. 8–9 mm (Männchen). 2017). Als Wirte gelten nach Amiet et al. (2004) Amiet et al. (2004) geben die Länge insgesamt mit die Mörtelbienen Megachile parietina (Geoffroy 8–12 mm an. Die Tiere sind von schwarzer Färbung 1785) und Megachile pyrenaica Lepeletier 1841. mit weißen Haarbinden und meist roten Flecken Andere Autoren nennen zusätzlich die Nattern- auf dem Hinterleib (Abb. 1 bis 3). Während eines der kopfbienen Hoplitis adunca (Panzer 1798) und Männchen gar keine Rotfärbung aufweist, sind die Hoplitis anthocopoides (Schenck 1853) (Scheuchl anderen Belegtiere durch rot gefärbte Lateralflec- & Willner 2016, Wiesbauer 2017). Im Mittelmeer- ken am 1. und 2. Tergit gekennzeichnet. Die Flecken am 1. Tergit sind groß, reichen vom Vorder- bis zum raum kommen weitere Wirtsarten in Betracht Hinterrand des Tergits und berühren sich fast in der (Westrich 2018, www.wildbienen.info). Tergitmitte. Die Flecken des 2. Tergits sind dagegen An den Fundorten in Brandenburg wurde Di- unauffällig und auf die äußeren Lateralränder be- oxys cincta von beiden Autoren vom 14. bis 27. Juni schränkt. Sie sind bei den lebend beobachteten Tie- beobachtet. An den Kartiertagen davor (18. bzw. ren kaum zu sehen und möglicherweise nicht im- 20. Mai) und danach (14. bzw. 21. Juli) konnte die mer ausgebildet (Abb. 2). Eine auf die Scheibe des Art nicht nachgewiesen werden. Im Mai sind mög- 2. Tergits ausgedehnte Rotfärbung (vgl. Wiesbauer licherweise schon erste Männchen geflogen, wur- 2017 bzw. www.wildbienen.info) ist allerdings we- den aber nicht wahrgenommen. Die letzten Männ- der bei den Belegtieren noch bei den an den Fund- chen wurden am 16. Juni festgestellt. Mitte Juli war stellen in Brandenburg beobachteten Tieren vor- die Flugzeit der Art offenbar bereits beendet. handen. Die Weibchen von Dioxys cincta lassen sich Männchen und Weibchen von Dioxys cincta von den Männchen durch das trapezförmige, in der konnten in beiden Populationen nur an den Nist- Mitte leicht ausgerandete 6. Tergit unterscheiden. plätzen ihrer Wirte beobachtet werden. Nachweise an blühenden Kräutern und Wildstauden, die inten- 4 Biologie und Ökologie siv abgesucht wurden, gelangen nicht. Somit tref- fen die Angaben von Westrich (2018: 188) zu, der Als parasitische Art ist Dioxys cincta in Vorkom- allgemein für Dioxys cincta und Dioxys tridentata men und Phänologie von ihren Wirten abhängig. formuliert: »Nur vereinzelt besuchen die Adulten Als Lebensräume werden in der Literatur überein- Blüten des Nektars wegen und halten sich meist stimmend Trockenstandorte mit Felsstrukturen, 2
Eucera 15, 2020 an Felswänden, Felsschutthalden oder anderen Ge- sten patrouillierten. Offenbar dienten diese der Art steinsstrukturen auf, wo ihre Wirte nisten«. Westrich als Rendezvous-Platz. Als Wirt von Dioxys cincta (www.wildbienen.info) konnte Dioxys cincta im kommt Megachile maritima als bodennistende Art Aosta-Tal (Italien) bei der Nektaraufnahme an Lip- allerdings nicht in Betracht. penblütlern wie Edel-Gamander (Teucrium chama- Am Fundort »Dorfstelle Knoblauch« bei Ketzin/ edrys), Berg-Gamander (Teucrium montanum) und Havel wurde Dioxys cincta an der südexponierten Feld-Thymian (Thymus pulegioides) beobachten. Ziegelwand einer Scheune beobachtet (Abb. 6 bis Im Bereich des ehemaligen Flugfeldes südlich 8). Synchron mit der Zweizahnbiene flogen hier in von Rangsdorf flog Dioxys cincta an alten Beton- großer Zahl Männchen und Weibchen von Hoplitis pfosten, welche als Zaunpfosten das Flugfeld be- adunca. Diese Art ist hier zumindest der Hauptwirt, grenzen. Von diesen verwitterten Pfosten haben möglicherweise auch der einzige Wirt der Zwei- weit über 100 Stück in sonnenexponierter Lage zahnbiene. Die zweite auf Natternkopf spezialisier- überdauert und stellen heute mit ihrer löchrigen te Art, Hoplitis anthocopoides, wurde weder an der Oberfläche optimale Nisthabitate für einige hyper- Mauer noch in der Umgebung der Scheune beob- gäisch nistende Wildbienenarten dar (Abb. 4 und achtet. 5). Hier flogen gleichzeitig mit Dioxys cincta die Weitere mögliche Wirte in der Umgebung der Natternkopfbienen Hoplitis adunca und Hoplitis an- Scheune sind die Mauerbienen Osmia mustelina thocopoides, wobei letztere deutlich häufiger war. Gerstäcker 1869 und Osmia caerulescens (Linnaeus Es wird angenommen, dass Hoplitis anthocopoides 1758) sowie die Blattschneiderbienen Megachile (Abb. 9) am Standort Rangsdorf als Hauptwirt der pilidens Alfken 1924, Megachile rotundata (Fabrici- Zweizahnbiene fungiert. Beide Wirtsarten finden in us 1787) und Megachile willughbiella (Kirby 1802). der Umgebung der Nistplätze ein üppiges Angebot Diese Arten nisten überwiegend (O. mustelina, M. an Echium vulgare vor. Zahlreiche weitere krautige pilidens) oder unter anderem in Mauerfugen und Pflanzen als Pollen- und Nektarquellen für verschie- Felsspalten. Neben Hoplitis adunca waren an der dene Wildbienenarten sind am Rand des Flugfeldes Scheunenwand auch Megachile rotundata (Abb. 11) sowie auf einer benachbarten Ackerbrache vorhan- und Megachile pilidens häufig anzutreffen. Die be- den (Abb. 4). sonnte Ziegelmauer ist ein optimaler Nistplatz für Zusätzliche Nebenwirte könnten die Blatt- diese Arten, geeignete Nahrungshabitate sind aber schneiderbienen Megachile centuncularis (Linnaeus zumindest nach der Wiesenmahd erst in 50 m Ent- 1758) und Megachile versicolor Smith 1844 sowie fernung zu finden. die Mauerbiene Osmia niveata (Fabricius 1804) Die Mörtelbienen Megachile parietina und Me- sein, die auch in Gesteinsfugen nisten (können) gachile pyrenaica, die beide als Wirte von Dioxys und im Gebiet des ehemaligen Flugfeldes in der cincta bekannt sind, kommen im Bundesland Bran- Nähe der Betonpfosten vorkommen. Kurios war denburg nicht vor. Zu diesen recht großen Arten die große Anzahl von Männchen der Art Megachile mit Körperlängen von 14–16 mm (M. pyrenaica) maritima (Kirby 1802), die am 14. Juni an den Pfo- oder 16–18 mm (M. parietina) passen die größe- Abb. 2 Weibchen von Dioxys cincta mit ausgedehnter Abb. 3. Weibchen von Dioxys cincta aufgenommen an Rotfärbung auf dem 1. Tergit. Foto: H. Petrischak, 22. Juni der Scheunenwand bei Ketzin/Havel. Foto: H. Petrischak, 2020. 27. Juni 2020. 3
Eucera 15, 2020 Abb. 4. Betonpfosten zwischen dem ehemaligen Flugfeld (links) und einer Ackerbrache bei Rangsdorf, Fundort von Dioxys cincta. Foto: C. Saure, 14. Juni 2020. ren Exemplare von Dioxys cincta mit Körperlängen bis 12 mm (s. Kapitel »Morphologie und Bestim- mung«). Zu den in Brandenburg nachgewiesenen Kuckucksbienen mit Körperlängen von 7–9 mm passen eher kleinere Wirtsbienen. Auch aus diesem Grund sind Hoplitis adunca (11–13 mm) und Hoplitis anthocopoides (9–10 mm) als Wirte wahrscheinlich. An mehreren Tagen intensiver Beobachtung (17., 22. und 27. Juni) konnte der Zweitautor das Verhalten einiger Weibchen von Dioxys cincta an der Scheunenwand ausgiebig verfolgen: Die Tiere patrouillierten einzeln in hoher Geschwindigkeit die offenen Eingänge der verschiedenen Mega- chiliden-Nester ab. Dabei flogen sie in hektisch Abb. 5. Leere Brutzellen der wahrscheinlichen Wirtsart wirkendem »Zickzackflug« von Ost nach West und Hoplitis anthocopoides in der Vertiefung eines Betonpfos- dann wieder in Gegenrichtung an der Wand ent- tens. Foto: C. Saure, 14. August 2020. lang. Zwischendurch wichen sie nicht selten von ihrer Vorzugsrichtung ab und veränderten blitz- schnell ihre Position um etliche Meter, so dass es einige Zeit brauchte, sie wieder neu aufzuspüren und weiter zu verfolgen. Regelmäßig inspizierten sie einzelne Nesteingänge zunächst im Schwirrflug näher (Abb. 10). Die Weibchen landeten dann ge- 4
Eucera 15, 2020 Abb. 6. Südexponierte Ziegelwand einer Scheune bei Ketzin/Havel, Fundort von Dioxys cincta. Foto: C. Saure, 16. Juni 2020. Abb. 7. Vor allem im Bereich der zugemauerten Fenster Abb. 8. Mauerfugen mit zahlreichen Nesteingängen, die gibt es viele Fugen und Löcher, die von Hoplitis adunca, von Dioxys cincta regelmäßig inspiziert wurden. Foto: H. Megachile pilidens und anderen Bienenarten als Nistplatz Petrischak, 17. Juni 2020. genutzt werden. Foto: C. Saure, 14. Juli 2020. 5
Eucera 15, 2020 Abb. 9. Ein Weibchen von Hoplitis anthocopoides am Mör- Abb. 10. Ein Weibchen von Dioxys cincta sondiert im telnest an einem der Betonpfosten. Foto: H. Petrischak, Schwirrflug die Nesteingänge potenzieller Wirtsarten an 16. Juni 2020. der Scheunenwand. Foto: H. Petrischak, 22. Juni 2020. Abb. 11. Megachile rotundata am Nesteingang. Foto: H. Abb. 12. Ein Weibchen von Dioxys cincta putzt sich aus- Petrischak, 22. Juni 2020. giebig im Schatten einer Mauerfuge. Foto: H. Petrischak, 27. Juni 2020. legentlich auch in den Mauerfugen und drangen en entlang der Elbe bzw. des Flusssystems Oder- in die offenen Nester ein, kamen nach wenigen Neiße. Da die Art nahezu zeitgleich an zwei Orten Sekunden wieder hervor – möglicherweise nach im Abstand von 46 km nachgewiesen wurde, ist erfolgreicher Eiablage – und setzten ihren Patrouil- mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lenflug fort. Leider konnte eine direkte Begegnung davon auszugehen, dass sie noch an weiteren Or- mit potenziellen Wirten nicht beobachtet werden. ten mindestens im südlichen und mittleren Bran- Nur kurzzeitig nutzte Dioxys cincta auch besonnte denburg vorkommt. Dafür spricht auch, dass die Ziegel als Sitzwarten, häufig in schräg kopfabwärts wahrscheinlichen Wirte Hoplitis adunca und Hoplitis gerichteter Körperhaltung. Die längste beobachte- anthocopoides in Brandenburg weit verbreitet und te »Ruhephase« konnte während und nach einem nicht gefährdet sind (Dathe & Saure 2000). ausgiebigen Putzen für die Dauer von rund 30 Ob sich Dioxys cincta langfristig in Deutschland Sekunden in einer Mauerfuge registriert werden halten oder sich sogar weiter ausbreiten wird, bleibt (Abb. 12). Männchen traten im genannten Beob- abzuwarten. In Hinblick auf die Klimaerwärmung achtungszeitraum nicht in Erscheinung. ist die Etablierung dieser wärmeliebenden Zwei- zahnbiene in Deutschland aber wahrscheinlich. 5 Diskussion Die aktuellen Nachweise von Dioxys cincta in der Umgebung von Berlin deuten auf eine aktive Aus- breitung der Art hin, vermutlich ausgehend von den nächsten bekannten Vorkommen in Tschechi- 6
Eucera 15, 2020 6 Literatur Internet: Amiet, F., Herrmann, M., Müller, A. & Neumeyer, www.wildbienen.info: Faszination Wildbienen. – R. (2004): Apidae 4. Anthidium, Chelostoma, Internet: https://www.wildbienen.info (Abruf am Coelioxys, Dioxys, Heriades, Lithurgus, Megachile, 14.09.2020). Osmia, Stelis. – Fauna Helvetica 9, 273 S. Dathe, H.H. & Saure, C. (2000): Rote Liste und Anschrift der Verfasser: Artenliste der Bienen des Landes Brandenburg Dr. Christoph Saure (Hymenoptera: Apidae). – Naturschutz und Büro für tierökologische Studien Landschaftspflege in Brandenburg 9 (1), Beilage: Am Heidehof 44 3–35. D-14163 Berlin Michener, C.D. (2007): The bees of the world. – saure-tieroekologie@t-online.de 2nd ed.; Baltimore, London (The John Hopkins University Press), 953 pp. Dr. Hannes Petrischak Saure, C. & Wagner, F. (2018): Heriades rubicola Heinz Sielmann Stiftung Pérez 1890, eine für Deutschland neue Bienenart (Hymenoptera: Apiformes). – Eucera 12: 3–7. Dyrotzer Ring 4 D-14641 Wustermark, OT Elstal Scheuchl, E. (2006): Illustrierte Bestimmungstabellen hannes.petrischak@sielmann-stiftung.de der Wildbienen Deutschlands und Österreichs. Band II: Megachilidae / Melittidae. – 2. erweiterte Auflage, Velden (Selbstverlag), 192 S. Scheuchl, E. & Willner, W. (2016): Taschenlexikon der Wildbienen Mitteleuropas. – Wiebelsheim (Quelle & Meyer), 917 S. Schwarz, M., Gusenleitner, F., Westrich, P. & Dathe, H.H. (1996): Katalog der Bienen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz (Hymenoptera, Apidae). – Entomofauna, Suppl. 8: 1–398. Straka, J., Bogusch, P. & Přidal, A. (2007): Apoidea: Apiformes (včely). 241–299. In: Bogusch, P., Straka, J. & Kment, P. (eds.): Annotated check- list of the Aculeata (Hymenoptera) of the Czech Republic and Slovakia. – Acta Entomologica Musei Nationalis Pragae, Suppl. 11, 300 S. Straka, J., Bogusch, P., Tyrner, P., Říha, M., Benda, D., Čížek, O., Halada, M., Macháčková, L., Marhoul, P. & Tropek, R. (2015): Faunistic records from the Czech Republic – 380. Hymenoptera: Aculeata. – Klapalekiana 51: 77–91. Warncke, K. (1977): Beitrag zur Systematik der west- paläarktischen Bienengattung Dioxys Lep. & Serv. (Hymenoptera, Apoidea). – Reichenbachia 16 (28): 265–282. Westrich, P. (2018): Die Wildbienen Deutschlands. – 824 S., 1700 Farbfotos. Stuttgart (E. Ulmer). Wiesbauer, H. (2017): Wilde Bienen. Biologie – Lebensraumdynamik am Beispiel Österreich – Artenporträts. – Stuttgart (Ulmer), 376 S. Zettel, H., Hölzler, G. & Mazzucco, K. (2002): Anmerkungen zu rezenten Vorkommen und Arealerweiterungen ausgewählter Wildbienen- Arten (Hymenoptera: Apidae) in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland. – Beiträge zur Entomofaunistik 3: 33–58. 7
Eucera 15, 2020 Daniel Rolke Über einen Fall von Gynandromorphie bei der Lauch-Maskenbiene Hylaeus punctulatissimus Smith 1842 (Hymenoptera, Anthophila) Abstract A gynandromorphic specimen of the Onion Yellow-face Bee Hylaeus (Koptogaster) punctulatissimus Smith 1842 (Hymenoptera: Anthophila) is described. It is a case of the mosaic type, in which only part of the head expresses male characteristics, while the rest of the body shows female morphology. The phenomenon occurs regularly in bees, but the animal described here is the first documented case in Hylaeus punctulatissimus. Zusammenfassung Ein gynandromorphes Individuum der Lauch-Maskenbiene Hylaeus (Koptogaster) punctulatissimus Smith 1842 (Hymenoptera: Anthophila) wird beschrieben. Es handelt sich um einen Fall des Mosaik-Typus, bei welchem lediglich ein Teil des Kopfes männliche, der restliche Körper jedoch weibliche Merkmale ausprägt. Das Phänomen kommt re- gelmäßig bei Bienen vor, jedoch stellt das hier beschriebene Tier den ersten dokumentierten Fall bei Hylaeus punctu- latissimus dar. 1 Einleitung Fälle bei Maskenbienen beschrieben (Michez et al. Bienen weisen wie alle Vertreter der Ordnung 2009, Schoder & Zettel 2017). Gynandromorphe In- Hymenoptera eine so genannte Haplo-Diploidie dividuen können hinsichtlich der Verteilung männ- licher und weiblicher Anteile drei Grundkategorien auf: Während sich Weibchen aus befruchteten zugeordnet werden: Transversal-Typ, Bilateral-Typ Eiern entwickeln, entstehen aus unbefruchteten und Mosaik-Typ (Michez et al. 2009). Eiern männliche Individuen. Für die Geschlechts- Die oligolektische Lauch-Maskenbiene Hylae- determination ist jedoch nicht allein die Anzahl us punctulatissimus Smith 1842 stellt die einzige der Chromosomensätze entscheidend, sondern aktuell in Deutschland vorkommende Art der Un- die Variation eines bestimmten Allels, des »single tergattung Koptogaster Alfken, 1912 dar (Dathe et locus of complementary sex determination« (sl al. 2016). Sie ist weit verbreitet und mäßig häufig CSD). Im Regelfall sind phänotypisch weibliche (Scheuchl & Willner 2016, Westrich 2019). Bienen aufgrund ihrer Diploidie für dieses Allel heterozygot, während phänotypisch männliche 2 Ergebnisse Tiere aufgrund ihrer Haploidie homozygot sind Das hier beschriebene gynandromorphe Exem- (van Wilgenburg et al. 2006). plar von H. punctulatissimus wurde am 16.VI.2020 Damit einhergehend weisen alle Bienen einen im FFH-Gebiet »Porphyrkuppen Burgstetten bei mehr oder weniger ausgeprägten Geschlechtsdi- Niemberg« (FFH 0182) nordöstlich von Halle (Saa- morphismus auf. Dieser äußert sich bei Maskenbie- le) (Sachsen-Anhalt, Deutschland, 12°4‘25,47‘‘E; nen der Gattung Hylaeus (Anthophila, Colletidae) 51°33‘16,19‘‘N, ca. 130 m ü.NN.) mit Hilfe eines fein- morphologisch mitunter in Färbungsunterschie- maschigen Insektennetzes an Schlangen-Lauch den (Ausdehnung heller Zeichnungselemente (Allium scorodoprasum) gefangen (Abb. 1 A–G). Zur wie die namensgebende »Maske«, d.h. Gelb- oder selben Zeit konnte ein Männchen von H. punctula- Weißfärbung von Clypeus, Stirnschildchen und tissimus am gleichen Fundort nachgewiesen wer- Seitenflecken etc.) oder strukturellen Merkmalen den (Abb. 1 H–I) (jeweils leg. D. Rolke). Die Deter- (Anzahl der Fühlerglieder, Ausbildung des Scapus, mination erfolgte mittels der Bestimmungstabellen Mandibelmorphologie, Vorhandensein von Foveae, in Dathe et al. (2016) und Amiet et al. (1999). Sternumschwielen etc.) (Dathe et al. 2016). Die männlichen Merkmale sind auf Teile des Individuen einer Art, welche sowohl männli- Kopfes beschränkt. Die helle Zeichnung von Stirn- che als auch weibliche Merkmale ausprägen, wer- schildchen, Clypeus, Seitenflecken und Mandibel- den als Gynander bezeichnet. Gynandromorphie basis sind auf der rechten Körperseite mit männ- kommt nach Michez et al. (2009) bei Bienen regel- lichen Merkmalen ausgebildet (Abb. 1A), auf der mäßig vor. Jedoch wurden vergleichsweise wenige linken mit weiblichen (vgl. die Gesichtszeichnung 8
Eucera 15, 2020 Abb. 1: A-G: Gynander von Hylaeus punctulatissimus. A: Kopf, frontal; B: linke Antenne; C: rechte Antenne (jeweils: S = Scapus, P = Pedicellus, F = Flagellum/Geißel); D: Habitus, lateral, rechte Seite; E: Habitus, lateral, linke Seite; F: Habitus, dorsal; G: Metasoma, ventral. H–I: Hylaeus punctulatissimus, ♂. H: Kopf, frontal; I: Metasoma, ventrolateral, Pfeil = Sternum 3 mit glatter Schwiele. (Fotos: D. Rolke). 9
Eucera 15, 2020 des Männchens, Abb. 1H). Ebenso weist nur die lin- Scheuchl, E. & Willner, W. (2016): Taschenlexikon der Wildbienen Mitteleuropas. – 917 S., Wiebelsheim ke Kopfseite eine Fovea auf. (Quelle & Meyer). Asymmetrien bestehen in der Ausdehnung der hellen Zeichnung der Calli (Abb. 1D,E) sowie der Schoder, S & Zettel, H. (2017): Description of a gynandromorph specimen of Hylaeus inter- Pronotumecken (Abb. 1F). Diese dürften jedoch medius Förster, 1871 (Hymenoptera: Apidae). nicht geschlechtsdimorphen Ursprungs sein. – Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Öster- reichischer Entomologen 69: 5-11. 3 Diskussion Stöckhert, F. (1924): Über Gynandromorphie bei Bislang sind lediglich vier Fälle von Gynandromor- Bienen und die Beziehungen zwischen den pri- phie bei Hylaeus dokumentiert: Hylaeus albofascia- mären und sekundären Geschlechtscharakteren tus, H brevicornis s. l. und H. sinuatus (unter dem der Insekten. – Archiv der Naturgeschichte 90: Synonym Prosopis minuta) (Stöckhert 1924, Morice 109–131. 1915, Noskiewicz 1923; zusammengefasst bei Mi- Van Wilgenburg E., Driessen G. & Beukeboom L.W. chez et al. 2009) sowie H. intermedius (Schoder & (2006): Single locus complimentary sex determi- Zettel 2017). Der hier beschriebene Fall stellt somit nation in Hymenoptera: an »unintelligent« de- den fünften dokumentierten für die Gattung und sign? – Frontiers in Zoology 3. den ersten für die Art H. punctulatissimus dar. Westrich, P. (2019): Die Wildbienen Deutschlands. – 2. Auflage, 824 S., 1700 Farbfotos. Stuttgart (E. Aufgrund der Verteilung männlicher und weib- Ulmer). licher Merkmale kann der gefundene Gynander dem Mosaik-Typ zugeordnet werden (Michez et Anschrift des Verfassers: al. 2009). Im Gegensatz sind die oben genannten Individuen entweder Transversal-Typen (Michez Dr. Daniel Rolke et al. 2009) oder Bilateral-Typen (Schoder & Zettel Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 2017). Reideburger Straße 47 D-06116 Halle (Saale) daniel.rolke@lau.mlu.sachsen-anhalt.de 4 Danksagung Für Hinweise zum Manuskript bedanke ich mich herzlich bei Dr. Paul Westrich (Kusterdingen). 5 Literatur Amiet, F., Neumeyer R. & Müller, A. (1999): Apidae 2. Colletes, Dufourea, Hylaeus, Nomia, Nomioides, Rhophitoides, Rophites, Sphecodes, Systropha. – Fauna Helvetica 4, 219 S. Dathe, H.H., Scheuchl, E. & Ockermüller E. (2016): Illustrierte Bestimmungstabelle für die Arten der Gattung Hylaeus F. (Maskenbienen) in Deutschland, Österreich und der Schweiz. – Entomologica Austriaca, Supplement 1, 51 pp. Michez, D., Rasmont, P., Terzo, M. & Vereecken, N.J. (2009): A synthesis of gynandromorphy among wild bees (Hymenoptera: Apoidea), with an annotated description of several new cases. – Annales de la Société Entomologique de France 45(3): 365–375. Morice, F. D. (1915): Remarkable Hymenoptera. – Proceedings of the Entomological Society of London 3–4: 81–83. Noskiewicz, J. (1923): Einige Abnormitäten bei den Apiden. – Polskiego Pismo Entomologicznego 2: 1–5. 10
Eucera 15, 2020 Stefan Tischendorf Anmerkungen zu früheren Vorkommen von Nomada numida Lep. (Hymenoptera, Apiformes) in Süddeutschland mit Hinweisen zur aktuellen Verbreitung im mediterranen Raum Abstract This paper documents the occurrence of the cuckoo bee Nomada numida Lepeletier 1841 (Hymenoptera, Apiformes) in Central Europe in the 19th century. Whereas at present the species is widespread in the Mediterranean area, in the past the northern distribution boundary apparently lay about 1 000 km further north and reached the area of the Upper Rhine Valley. To proof this the historical distribution of N. numida and its host Andrena morio in the Northern Upper Rhine Plain is illustrated in greater detail. Previous research has indicated that an undated specimen from Eberstadt (to- day a district of Darmstadt) stored in the »Senckenberg Research Institute and Nature Museum Frankfurt a. M.« (SMF) was collected around 1870 by the Frankfurt merchant Johann Wilhelm Roose. To clarify the history of further records of N. numida published by Heinrich Friese the author initiated an inquiry about Friese‘s bee collection in the »Museum für Naturkunde Berlin« (MfN). In fact was corresponding evidence for the localitities Eberstadt and Heidelberg mentioned by Friese was found. Friese was in close contact with the SMF for several years around the turn of the century and had loaned out many bees for identification. It therefore seems probable that these specimen of N. numida were formerly in possession of the Senckenberg Museum, from which they were transferred to the Friese collection around 1900. Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit dokumentiert ein Vorkommen der heute rein mediterran verbreiteten Kuckucksbiene Nomada numida Lepeletier 1841 (Hymenoptera, Apiformes) in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert. Vorangegangene Recherchen zeigten, dass ein bislang undatiertes Belegexemplar in der Sammlung des Senckenberg Museums Frankfurt a. M. (SMF) von dem Frankfurter Kaufmann Johann Wilhelm Roose etwa im Jahr 1870 bei Eberstadt (heute ein Ortsteil von Darm- stadt) gesammelt wurde, wo auch ihr Wirt Andrena morio nachgewiesen wurde. Da Heinrich Friese weitere Fundorte dieser Art publiziert hatte, wurde die Sammlung Friese im Museum für Naturkunde Berlin durchforstet. Tatsächlich fanden sich dort weitere bislang unbekannte Belege für die von Friese veröffentlichten Fundorte Eberstadt und Hei- delberg, von denen zwei sehr wahrscheinlich ebenfalls auf J. W. Roose zurückgehen. Offensichtlich snd die entspre- chenden Exemplare um das Jahr 1900 in die Sammlung Friese gelangt. Aus den Befunden kann gefolgert werden, dass sich die nördliche Arealgrenze von N. numida früher im Bereich der Oberrheinebene befand und damit etwa 1 000 km nördlicher als heute. Die geringe Zahl an Belegen von N. numida am nördlichen Arealrand erklärt sich zum einen aus ihrer damals vermutlich großen Seltenheit, zum anderen aber auch aus der im 19. Jahrhundert im Vergleich zu heute geringen Erfassungsintensität. Ergänzend wird die Verbreitung von N. numida und ihrem Wirt Andrena morio Brullé 1832 im west- und südeuropäischen Raum skizziert. Die Auswertung zeigt auch, dass die Kenntnis zur ehemaligen Verbreitung von Wildbienen als sehr lückenhaft zu bezeichnen ist. Historische Sammlungen haben daher eine größere Bedeutung als ihnen derzeit beigemessen wird. An den Fundorten der Oberrheinebene hat N. numida vermutlich die dort vorherrschenden Flugsande besiedelt, die prägend für diesen Naturraum sind. Mit dem Verlust des Lebensraums vor allem durch Aufforstungsmaßnahmen und landwirtschaftliche Nutzungsintensivierung ist N. numida ebenso wie ihr Wirt in der Nördlichen Oberrheinebene vor etwa 100 Jahren schon frühzeitig ausgestorben. Die Verarmung der Insektenfauna (und Flora) wurde damals bereits als solche erkannt und diskutiert, konnte aber vermutlich nicht immer dokumentiert werden. Das heute so oft zitierte »Insektensterben« ist daher keine neuzeitliche Entwicklung, sondern es hat viel früher eingesetzt, was in der Gesellschaft heutzutage meistens verkannt wird. Einleitung leitner 2003). Beide werden vorwiegend durch die Wenn man die historische Literatur zu Vorkommen Färbung des Hinterleibs voneinander unterschie- von Wildbienen in Deutschland studiert, stößt man den. Heinrich Friese äußert sich zum Vorkommen in unweigerlich auf den Hinweis in Friese (1921), der Deutschland von Nomada manni wie folgt: »Diese auf Vorkommen der Kuckucksbiene Nomada man- außereuropäische Art fliegt einzeln im Mai–Juni bei ni Morawitz 1871 bei Heidelberg und (Darmstadt-) Eberstadt (Darmstadt) und Heidelberg, häufiger in Eberstadt hinweist. Nomada manni wird heute als Ungarn. Schmarotzt bei Andrena morio, die eben- Unterart von Nomada numida Lepeletier 1841 (N. falls dort und auch an der Bergstraße vorkommt mauritanica auct.) aufgefasst (Schwarz & Gusen- (Museum Frankfurt).« 11
Eucera 15, 2020 Später beschreibt er weitere Details zum Vorkom- men des Wirtes Andrena morio und listet Nachwei- se aus dem Zeitraum »vom 23. Mai bis 22. Juni« aus den bei Darmstadt angrenzenden Gemeinden Pfungstadt, Bickenbach und Eberstadt (Hessen) auf (Friese 1926). Der Fundort Eberstadt wurde durch Belege von Andrena morio (vgl. Abb. 2) bestätigt, die sich im Senckenberg Museum Frankfurt (SMF) befinden (Westrich 1984, 1990, Tischendorf et al. 2009). Zu dem von H. Friese beschriebenen Vorkom- men von Nomada numida aus Eberstadt existiert ebenso ein Beleg (Abb. 1). Das im SMF aufbewahrte weibliche Tier trägt das Fundortetikett »Eberstadt Abb. 1: Nomada numida manni Lep. 1841, Weibchen, det. 18« und ein zweites Etikett mit der Aufschrift »coll. Friese 1900, coll. Roose, Sammlung SMF. Roose 84«. Laut Determinationsetikett wurde es im Jahr 1900 von H. Friese als Nomada manni de- und auch keine Hinweise zu seinen Sammelaktivi- terminiert. Der Beleg im SMF ist damit unzweifel- täten bekannt waren. Insbesondere aber die wider- haft Grundlage des Hinweises in Friese (1921). M. sprüchliche Etikettierung des Wirtes Andrena morio, Schwarz hatte den Beleg von Nomada manni im der die gleichen Fundortetiketten hat und den Ver- Jahr 1965 als Nomada mauritanica Lep. etikettiert. merk »Eberstadt 23.5.18« trägt (Abb. 2), war nicht Später fassen Schwarz & Gusenleitner (2003) N. nu- plausibel, da frühere Recherchen ergaben, dass mida Lep. als valide, von Nomada mauritanica Lep. Roose am 29. Januar 1885 verstorben ist (Tischen- zu unterscheidende Art auf. Meine Überprüfung dorf et al. 2009). Ein Nachweis durch J. W. Roose im des Belegs im Jahr 2019 ergab, dass es sich bei dem Jahr 1818 erschien kaum vorstellbar. Tier zweifelsfrei um N. numida Lep. handelt. Ein historisches Vorkommen von N. numida in Interpretation der Etiketten der Oberrheinebene wurde später angezweifelt, Durch die Entschlüsselung der Datierung infolge was zur Folge hatte, dass sie nicht mehr in der Liste meiner wiederholten Durchsicht der Hautflügler- der in Deutschland nachgewiesenen Arten geführt Sammlung im SMF und meine Recherchen zum wurde (Westrich & Dathe 1997). Begründet wurde Sammler konnte ich kürzlich aufzeigen, dass die Eti- dies damit, dass N. numida rein mediterran ver- kettierung und der Nachweis plausibel sind (Tisch- breitet sei und ansonsten im mitteleuropäischen endorf 2020). Der Sammler wurde nämlich unter Raum keine Hinweise auf ehemalige Vorkommen dem Namen Johann Wilhelm Roose im Jahr 1802 bekannt seien (M. Schwarz in Westrich 1990). Die in Frankfurt am Main getauft, war dort bis zu sei- langjährige Bearbeitung der Hymenopterenfau- nem Lebensende als Kaufmann tätig und betreute na des Raums Darmstadt-Eberstadt hat mich über in den 1870er Jahren im SMF die entomologische Jahre immer wieder mit dem Beleg von N. numida Sammlung. Bis 1875 war er Sektionär der Abtei- im SMF in Verbindung gebracht (Tischendorf et al. lung Lepidoptera. Gesammelt hat er nach Heyden 2009). Die Beurteilung des Zustands der Landschaft (1903) und gemäß den Fundorten nur lokal in der um das Jahr 1900 an meinem Wohnort Darmstadt- Umgebung von Frankfurt am Main. Der Beleg von Eberstadt und das entomologische Tagebuch von Nomada numida ist vermutlich nach 1868 (also im Georg Heldmann (Tischendorf & Güsten 2003), Rentenalter) gesammelt worden. Seine Sammlung aber auch faunistische Aspekte [z. B. Belege der in hat er im Jahr 1884 (kurz vor seinem Tod) dem SMF Deutschland ausgestorbenen Art Nomia femora- vermacht. Publikationen von ihm sind nicht be- lis (Pallas 1773)], ließen mich vermuten, dass diese kannt. Nach Boettger, Kinkelin & Saalmüller (1884: heute rein mediterran verbreitete Art im 19. Jahr- 66) sollte sein Sammlungsmaterial mit Etiketten hundert isoliert auch in der Oberrheinebene vorge- versehen werden, die seinen Namen tragen. Man kommen ist. kann daher annehmen, dass dies mit dem Etikett »coll. Roose 84« in die Tat umgesetzt wurde. Die Ergebnis der Recherchen zum Beleg von Zahl 84 vermerkt demnach das Jahr des Übergangs Nomada numida im SMF der Sammlung an das SMF. Entsprechende etiket- Der Glaubwürdigkeit des bislang einzigen Belegs tierte Belege fanden sich mehrfach in der Hymeno- stand im Wege, dass zu den Lebensdaten zur Per- pteren-Sammlung und auch an anderen Insekten son »Roose« bislang keine Informationen vorlagen (Plecoptera). Als gesichert kann daher angenom- 12
Eucera 15, 2020 men werden, dass die Etiketten mit der Aufschrift »coll. Roose 84« durch einen Mitarbeiter des SMF angebracht wurden und nicht z. B. von Heinrich Friese stammen. Die weitere Auswertung der Sammlung hat er- geben, dass J. W. Roose handschriftlich stets nur Tag und Monat des Funddatums notiert hat, nicht aber das Jahr. Die auf dem Fundortetikett in Druckschrift vorhandene Zahl 18 erwies sich nach Studium der weiteren Sammlung als Vordruck, die für das Jahr- hundert steht. Das exakte Fundjahr hat J. W. Roose auf keinem der im SMF gesichteten Belege notiert (Details vgl. Tischendorf 2020). Das Belegtier von Abb. 2: Andrena morio, Weibchen, coll. Roose, Sammlung Andrena morio mit dem Vermerk 12.6.18, das die SMF. Das genaue Fundjahr ist nicht bekannt, vermutlich gleiche Art der Etikettierung wie Nomada numida liegt es zwischen 1868 und 1884. Diese vermutlich um das Jahr 1900 mehrheitlich erneuerten Etiketten (mit ge- aufweist, ist daher nicht im Jahr 1918 gesammelt strichelter Randlinie) fanden sich an nahezu allen Bele- worden, sondern vermutlich ebenso wie Nomada gen der im SMF befindlichen Hymenopteren mit Etikett numida zwischen 1868 und 1884 (möglicherweise Etikett „coll. Roose 84“. am gleichen Tag). In der Hymenoptera- und Plecoptera-Samm- im Jahr 1901 zum Korrespondierenden Mitglied der lung des SMF fanden sich zudem Tiere, die mit »coll. Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft Roose 84« etikettiert sind, deren Fundortetiketten zu Frankfurt ernannt (Anonymus 1902). Grundla- jedoch rein handschriftliche Notizen enthielten. ge dafür war die enge fachliche Zusammenarbeit Auch auf diesen ist nur Tag und Monat notiert, die zwischen dem Sektionsleiter Albrecht Weis und Jahreszahl hingegen fehlt. Diese sehr alten Etiket- Heinrich Friese, was eine »freundschaftliche Verbin- ten entsprechen höchstwahrscheinlich der origina- dung« zur Folge hatte (Schnaudigel 1914). An Frie- len Etikettierung durch J. W. Roose (vgl. Tischendorf se wurden im Zusammenhang mit der geplanten 2020). Neben den ausschließlich regionalen Fund- Neuordnung der Hautflügler-Sammlung, bei der orten in der Umgebung des Wohnortes Frankfurt gezielt Frankfurter Material berücksichtigt werden a. M. und dem Etikett »coll. Roose 84« ist diese Art sollte (Heyden et al. 1902: 68), über mehrere Jahre der Datierung (ohne Jahreszahl) ein gutes Indiz, Hautflügler zur Determination nach Jena gesendet, dass ein Beleg von J. W. Roose gesammelt wurde. was den Berichten zufolge auch wieder zurückge- Wer die Fundortetiketten erneuerte, lässt sich nicht kehrt ist (Heyden et al. 1902: 71, Heyden et al. 1903: sicher sagen. Es ist aber naheliegend, dass dies Al- 70, Heyden et al. 1905: 182, Heyden 1903: 97-98). brecht Weis war, der im Jahr 1894 als Sektionär der Zudem hat H. Friese »zweimal die Hymenopteren- Abteilung Hymenoptera berufen wurde. Lucas von Sammlung einer kritischen Durchsicht« unterzo- Heyden, der lange Jahre im SMF die entomologi- gen (Heyden et al. 1902: 71). Ob er die Sammlung sche Abteilung leitete, schreibt zur Sammlung Roo- im SMF aufgesucht hat, konnte nicht in Erfahrung se in seiner Arbeit über die Bienenfauna der Umge- gebracht werden. Vermutlich hat Friese an dem ihm bung Frankfurts: »Hiermit ist Albrecht Weis, einer vorgelegten Material nicht immer Determinations- der Sektionäre für Insekten, zurzeit beschäftigt etiketten hinterlassen (vgl. Abb. 2 und Friese 1921). (Heyden et al. 1903).« L. v. Heyden erwähnt ein Vor- kommen von Nomada numida in seiner Publikation Weitere Vorkommen von Nomada numida über die Bienenfauna der Umgebung Frankfurts in der Nördlichen Oberrheinebene nicht. Möglicherweise befand sich zu diesem Zeit- Nach seiner Publikation im Jahr 1921 weist H. Frie- punkt der Beleg von Nomada numida in der Samm- se (1926) unter N. manni erneut auf die Fundorte lung Heinrich Friese und er gelang erst später nach Eberstadt und Heidelberg hin. Der zwischenzeitlich der Veröffentlichung (Friese 1921) zurück ins SMF. in Friese (1923) zu findende Hinweis »an der Berg- straße bei Bickenbach fliegend« könnte sich auch Zusammenarbeit zwischen Heinrich Friese auf Eberstadt beziehen, da dieses an Bickenbach und dem Senckenberg Museum Frankfurt grenzt (Abb. 3). Anzumerken ist in diesem Zu- Das Determinationsetikett am Belegexemplar von sammenhang aber auch, dass J. W. Roose auch in Nomada numida (als N. manni) vom Fundort Eber- Bickenbach gesammelt hat (vgl. Tischendorf 2020), stadt hat Friese im Jahr 1900 datiert. Friese wurde einem Fundort, den auch Friese in Bezug auf And- 13
Eucera 15, 2020 20 km © OpenStreetMap-Mitwirkende Abb. 3: Lage der in Friese (1921, 1926) und Westrich (1984, 1990) genannten Fundorte von Andrena morio und Nomada numida am Nördlichen Oberrhein. Kartengrundlage: OpenStreetMap. 14
Eucera 15, 2020 rena morio zitiert (Friese 1926). Möglicherweise Museum für Naturkunde Berlin (MfN) das typische gibt es daher weitere Belege von Bickenbach, de- Etikett »coll. Roose 84« (das wie beschrieben durch ren Aufbewahrungsort derzeit nicht bekannt ist. einen Mitarbeiter des SMF angefertigt worden Die in Friese (1923) zusätzlich genannten Fundorte sein muss), jedoch ist im Vergleich zum Beleg aus Neuß und Frankfurt sind in Friese (1926) nicht mehr dem SMF sowohl der Fundort, die Druckschrift des enthalten. Daher muss davon ausgegangen wer- Fundortes, die Zahl 18 (wie zuvor dargelegt ist es den, dass es sich bei diesen beiden Fundorten um ein Vordruck, der auf das Jahrhundert hinweist und Fehlangaben gehandelt hat, weshalb sie H. Friese der sich im SMF nur an den von Roose gesammel- nicht mehr genannt hat. Alle späteren Autoren (z. B. ten Belegen fand) identisch. Zudem hat es Friese im Stoeckhert 1933, Westrich 1984, 1990, 2019) bezie- gleichen Jahr (1900) determiniert. Die handschrift- hen sich auf die in den Werken von Friese genann- liche Ergänzung der Zahl 84 mit Tinte an Beleg Nr. 1 ten Fundorte. Außerhalb Deutschlands sind im mit- ist hingegen untypisch für Belege, die von J. W. teleuropäischen Raum keine weiteren Nachweise Roose gesammelt wurden. Kein anderer Beleg der von Nomada numida bekannt geworden. coll. Roose im SMF, die alle vermutlich um 1870 ge- Wenngleich anzunehmen ist, dass Friese als ei- sammelt wurden, besitzt an dieser Stelle eine hand- ner der Experten der europäischen Bienenfauna zu schriftlich notierte Zahl (vgl. Tischendorf 2020). Ich dieser Zeit von Nomada numida (N. manni) Belege gehe daher davon aus, dass es Friese war, der diese aus dem mediterranem Raum besaß, erschien es handschriftliche Ergänzung nachträglich auf das dem Verfasser denkbar, dass er von Arten, die zur Fundortetikett übertragen hat. Dafür spricht auch, damaligen Zeit aus Mitteleuropa nicht bekannt dass sowohl der Artname Nomada manni als auch waren, Belege aus den Naturkundemuseen für wei- die Zahl 84 mit Tinte geschrieben sind. Möglicher- terführende Studien und spätere Publikationen weise liegt dieser handschriftlichen Ergänzung einbehalten haben könnte. Nach Abschluss meiner »84« eine falsche Interpretation des Etiketts »coll. Recherche zur Datierung und Geschichte des Eber- Roose 84« durch H. Friese zugrunde. städter Belegs (Tischendorf 2020) habe ich daher Das Fundortetikett von Beleg Nr. 3 und 4 (Abb. eine Anfrage an das Museum für Naturkunde Berlin 5) mit der Aufschrift »Heidelbg«“ (Sandhausener (MfN) gerichtet, wo sich der Großteil der ehemali- Dünen?) trägt »zweifelsfrei« (F. Wagner in litt.) die gen Privatsammlung von Friese befindet (F. Wagner Handschrift von Friese. Selbst wenn man berück- in litt.). Tatsächlich fanden sich in der Hauptsamm- sichtigt, dass H. Friese viel reiste und um das Jahr lung des MfN vier Belege von Nomada numida, die 1900 im zu Heidelberg etwa 100 km entfernten Op- offensichtlich über 100 Jahre unentdeckt geblieben penau (Baden) in der väterlichen Orgelfabrik arbei- waren. Sie gehören zur Unterart manni, was Jan tete (Friedrich 1998), ist Heidelberg kein typischer Smit (Duiven) bestätigen konnte. Sie stammen von Fundort von Friese (F. Wagner in litt.). Auffällig ist den in Friese (1921, 1926) genannten Fundorten auch das Fehlen des genauen Datums, was für von Eberstadt und Heidelberg (siehe Tab. 1). H. Friese gesammelte Belege aus dieser Zeit unge- wöhnlich ist (F. Wagner in litt. ). Ich schließe mich Interpretation der Etikettierung daher der Meinung von Frank Wagner an, der es für Beleg Nr. 1 (Abb. 4) und 2 aus Eberstadt stammen wahrscheinlich hält, dass die Belege aus Heidelberg sehr wahrscheinlich aus der Kollektion Roose im von jemand anderem gesammelt wurden und von SMF (vgl. Abb. 1). Zwar fehlt an den Belegen im H. Friese auf Basis ihm vorliegender Informationen Tab. 1. Belegexemplare von Nomada numida im Museum für Naturkunde Berlin. Die Tiere sind folgendermaßen etikettiert: Etikett 1, 2 und 3 in Abfolge von oben nach unten; [ ] eigene Anmerkungen. Nr. Etikett 1 Etikett 2 Etikett 3 Anmerkung 1 Eberstadt 18 [gedruckt] Nomada manni m, Zool. Mus. Nomada numida manni (Abb. 4) 84 [handschriftlich] 1900 Friese det. Berlin Männchen det. TI vid. Smit 2 Eberstadt 18 [gedruckt] Nomada mauritanica Lep. Zool. Mus. Nomada numida manni Weib- (manni), [Bodenetikett !] Berlin chen det. TI vid. Smit 3 Heidelbg. [handschrift- Zool. Mus. Berlin Nomada Nomada numida manni Weib- lich] chen det. TI vid. Smit 4 Heidelbg. 1900 [hand- Nomada manni m, Zool. Mus. Nomada numida manni (Abb. 5) schriftlich] 1900 Friese det. Berlin Männchen det. TI vid. Smit 15
Eucera 15, 2020 Abb. 4: Exemplar von Nomada numida vom Fundort Abb. 5: Exemplar von Nomada numida vom Fundort Hei- Eberstadt, Männchen, det. Friese 1900, Sammlung MfN delberg, Männchen, det. Friese 1900, Sammlung MfN Berlin. Berlin. selbst etikettiert wurden. Wahrscheinlich stammen • Die inzwischen vorliegenden Informationen zur die mit »Heidelbg.» beschrifteten Belege auch aus Person Johann Wilhelm Roose, der zu einer Zeit dem SMF, denn H. Friese hat sie im gleichen Jahr gesammelt hat, aus der es kaum Belege gibt. determiniert (1900) und er stand (wie zuvor be- schrieben) um die Jahrhundertwende in regem Westrich (2019) hatte sich bereits vor dieser Arbeit Austausch mit Albrecht Weis, dem Sektionär der im Zuge der jüngsten Bearbeitung der Wildbienen Abteilung Hymenoptera im SMF. Deutschlands nochmals zur Thematik geäußert und schreibt: »Die Problematik eines gesicherten Schlussfolgerungen zur Plausibilität eines Nachweises bleibt zwar bestehen, aber die Indizien historischen Vorkommens von Nomada sind unzweifelhaft und sprechen für ein früheres lo- numida in der Oberrheinebene kales Vorkommen in Deutschland. Dass das nächst- Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Etikettierung bekannte Vorkommen weit entfernt in Ungarn zu eines bemerkenswerten Fundes im Nachhinein in suchen ist, schließt ein früheres Vorkommen in der Frage gestellt wird, insbesondere dann, wenn sich weiten trocken-heißen Oberrheinebene nicht aus.« der Fundort weit außerhalb des aktuellen Verbrei- Die hiermit vorgestellten neuen Erkenntnisse un- tungsgebietes befindet. Grundsätzlich halte ich terstreichen diese Sichtweise, auch wenn noch eine kritische Haltung in solchen Fällen für ange- einzelne Fragen zur Etikettierung unbeantwortet bracht. Im Fall von N. numida sprechen die nun bleiben. vorliegenden Erkenntnisse jedoch für ein Vorkom- Ehemalige und heutige Verbreitung von men in der Oberrheinebene im 19. Jahrhundert. Hauptargumente sind: Andrena morio und Nomada numida in Mittel- und Südeuropa • Die hiermit vorgestellten, bislang unbekannten Belege von Nomada numida im Museum für Andrena morio Naturkunde Berlin. Will man die Plausibilität des Nachweises von No- • Belege aus dem benachbarten Heidelberg mada numida überprüfen, so muss man insbeson- und (Darmstadt-)Eberstadt, die auf vermutlich dere die Verbreitung des Wirtes Andrena morio unterschiedlichen Sammlern beruhen. Brullé 1832 mit heranziehen. Diese ist hinsichtlich • Die gleichen Etiketten mit gleicher Beschriftung des Nistsubstrats möglicherweise recht anspruchs- an den Belegen des Wirtes Andrena morio und voll. Kocourek (1966) schreibt zum Vorkommen Nomada numida am Fundort Eberstadt. in der Tschechoslowakei folgendes: »Die Art tritt • Die unzweifelhaften Nachweise des Wirtes vorwiegend in sandigen Gegenden auf, weniger Andrena morio im Naturraum. in Steppen- und Lehmbiotopen». Die nördlichsten • Weitere Arten, die in Mitteleuropa lokal in Nachweise von Andrena morio im mitteleuropä- diesem Naturraum und zu dieser Zeit verbreitet ischen Raum befinden sich in Frankreich und etwa waren, deren nächste Vorkommen heute aber auf dem gleichen Breitengrad wie das ehemalige weit entfernt liegen (z. B. die Bienenart Nomia Vorkommen am Oberrhein (vgl. Verbreitungskar- femoralis (Pallas 1773), die Grabwespenart te in Gusenleitner & Schwarz 2002, Warncke et al. Bembix tarsata Latreille 1809). 1974). Aus den vergleichsweise wenigen Belegen 16
Eucera 15, 2020 in Naturkundemuseen bzw. den wenigen Litera- dokumentiert sind, wurden Steppen- und Flug- turhinweisen kann man ableiten, dass sie in den sandgebiete zwischen 1811 und 1831 großflächig rechtsrheinischen Flugsandgebieten der Ober- mit Kiefern aufgeforstet (Hammann & Forstamt rheinebene bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts Seeheim-Jugenheim 1996). Insbesondere aber die sehr selten gewesen sein muss. Der letzte Nachweis Kultivierung von »Ödland« (bzw. von damaligen von Andrena morio in Süddeutschland stammt aus Grenzertragsstandorten infolge des vorherrschen- dem Jahr 1928 aus Mannheim (Westrich 1990). Die den Flugsandes), die durch den Einsatz von syn- letzten bekannten Nachweise in Deutschland er- thetischem Dünger ab etwa 1850 möglich wurde, folgten im Jahr 1960 am Petersberg bei Halle a. d. lässt erahnen, dass der Lebensraum beider Arten Saale (Sachsen-Anhalt) (Westrich 2019). Im Mittel- bereits ab dem Jahr 1900 weitestgehend überformt meerraum ist Andrena morio heute noch weit ver- oder in landwirtschaftliche Produktionsstätten breitet (Gusenleitner & Schwarz 2002). überführt war. Im Jahr 1928 wurde Andrena morio letztmals in der Oberrheinebne (Mannheim) nach- Nomada numida gewiesen). Dies deckt sich mit den Erkenntnissen Im Mittelmeerraum ist N. numida Lep. in Spanien von Georg Heldmann, der die Bienenfauna in den (Smit in litt. 2019, nach Daten M. Schwarz) recht Sandgebieten bei Darmstadt um 1930 über Jahre weit verbreitet. Weitere Funde gibt es in Süd-Frank- systematisch untersuchte, ohne dass er dabei die reich, Italien (Kalabrien), Kroatien, auf Sizilien, Sardi- auffälligen Arten A. morio oder N. numida im ehe- nien (Smit in litt. 2019, Gabiot & Dufrêne 2018) und maligen Verbreitungsgebiet nachgewiesen hat (Ti- Korsika (Dufrêne, Schwarz & Smit 2014). Ihre wei- schendorf & Güsten 2003, Tischendorf et al. 2009). tere Verbreitung ist infolge der bis vor kurzem vor- Das heute so oft genannte »Insektensterben« hat genommenen Vermischung von Nomada numida daher viel früher eingesetzt und es wurde vielfach Lep. und Nomada mauritanica Lep. unbekannt (Ga- dokumentiert. Beispielsweise beklagen Horn & Kah- biot & Dufrêne 2018). Der nächstgelegene Fund- le (1937: 419) die Verarmung der lokalen Fauna und ort in Bezug auf den hier diskutierten historischen nennen als Ursachen »Autostraßen, Verkehr, Bebau- Fund in der Oberrheinebene liegt in Südfrankreich. ung, Verschönerungen, ›Kultur‹, Polizei-Verbote, Dort wurde sie im Jahr 2017 im Département Var Naturschutz, künstliche Düngung«. In nun fast 100 in der Unterart N. n. numida nachgewiesen (Ga- Jahren hat sich daran kaum etwas geändert. biot & Dufrêne 2018). Dieser Fund ist der bislang Wie aufgezeigt, sind die historischen Belege von einzige Nachweis von N. numida auf dem franzö- Nomada numida aus Eberstadt und Heidelberg das sischen Festland (»France continentale«). Da die einzige Indiz, dass die Art im 19. Jahrhundert auch nächsten Vorkommen zu diesem aktuellen Fund in in Mitteleuropa vorkam und ihr Arealrand damit Südfrankreich auf dem spanischen Festland liegen, ehemals wesentlich weiter nach Norden hin ver- vermuten die Autoren, dass das Wissen zur aktuel- schoben war. Zu bedenken ist dabei, dass die Fauna len Verbreitung dieser Art bislang nur sehr lücken- in Mitteleuropa in den letzten Jahrhunderten und haft bekannt ist. Auch geänderte Umwelteinflüsse Jahrtausenden in Abhängigkeit von den Tempera- infolge Klimaerwärmung und vermehrtem Nie- turschwankungen (z. B. durch die mittelalterliche derschlag werden als mögliche Ursachen für eine Warmzeit) nie konstant war, und es einige (heute eventuelle Ausbreitung nach Frankreich erwogen rein mediterran verbreitete) Arten gab, deren Areal- (Gabiot & Dufrêne 2018). grenzen sich deutlich weiter im Norden befanden. Möglicherweise gehört auch Nomada numida als Ursachen des Aussterbens beider Arten in Reliktart in diese Gruppe von Arten, die nahezu un- der Oberrheinebene bemerkt im mitteleuropäischen Raum verschwun- Wer frühe Fotografien aus der Zeit um 1900 oder den sind. Stoeckhert (1954: 7) schreibt in Bezug auf alte Karten betrachtet, wird unzweifelhaft feststel- das ehemalige Vorkommen von mediterran ver- len, dass sich die Kulturlandschaft in den letzten breiteten (auffälligen) Vogelarten in Süddeutsch- 200 Jahren in der nördlichen Oberrheinebene in land: »Erst gegen Ende des Mittelalters verschwin- einer heute kaum vorstellbaren Weise geändert den diese Arten mehr und mehr aus unserer Fauna hat, was gravierende Änderungen auf die dort vor- und mit ihnen wohl auch andere, weniger auffal- handene Tier- und Pflanzenwelt zur Folge gehabt lende Formen, von denen wir keine Ahnung haben. haben muss. Im Gebiet zwischen (Darmstadt-)Eber- Wenn diese Erscheinung auch in erster Linie durch stadt, Pfungstadt und Bickenbach, aus dem wie schädliche Kultureinflüsse bedingt sein möchte, so geschildert, sowohl von N. numida als auch von A. scheint mir das Vorkommen dieser stenothermen morio am Ende des 19. Jahrhunderts Vorkommen wärmeliebenden Arten in Mitteleuropa…für den 17
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