KAMPF DER SYSTEME Eine neue europäische Football-Liga will den Sport in Europa kommerzialisieren. Die deutsche Liga läuft parallel weiter. Können ...

 
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KAMPF DER SYSTEME Eine neue europäische Football-Liga will den Sport in Europa kommerzialisieren. Die deutsche Liga läuft parallel weiter. Können ...
JULI 2021

Studierendenmagazin für Dortmund

                                            KAMPF DER
                                              SYSTEME
                                          Eine neue europäische Football-Liga
                                   will den Sport in Europa kommerzialisieren.
                                         Die deutsche Liga läuft parallel weiter.
                                                      Können beide überleben?
KAMPF DER SYSTEME Eine neue europäische Football-Liga will den Sport in Europa kommerzialisieren. Die deutsche Liga läuft parallel weiter. Können ...
Eins vorab
                                                                              Menschen mit einer Behinderung werden in
                                                                               unserer Gesellschaft oft nicht wahrgenom-
                                                                              men. Im Interview erzählt Inklusionsaktivistin
                                                                                Laura Gehlhaar, was sich in Deutschland
                                                                              ändern muss – und warum sie Behinderten-
                                                                                     werkstätten für schönen Schein hält.

                                                                                                                    10

TEXTPATRICK SCHOLZ FOTODANIELA ARNDT

L  iebe Leser*innen,
   der beliebteste Sport in Deutschland ist mit Abstand der Fußball. Auch
ich bin großer Fan. Fußball macht Spaß, Fußball ist einfach zu verstehen
und Fußball verbindet verschiedenste Menschen. Viele andere Mannschafts-
sportarten lassen mich hingegen irgendwie kalt. Die Regeln sind mir häufig
zu kompliziert und beim ersten Spiel nicht auf Anhieb zu verstehen.

Zu diesen Sportarten gehört American Football. Wie Eventfans beim Fuß-
ball, die sich nur die Welt- und Europameisterschaften anschauen, interes-
siere ich mich beim Football nur für das eine Großereignis: den Super Bowl.
Das Finale der Nordamerikanischen Football-Liga NFL habe ich mir in den
vergangenen paar Jahren nicht entgehen lassen. Das liegt weniger am Sport-
lichen, sondern vor allem an der Inszenierung: Gerade die Halbzeitshow fas-
                                                                                 26       Sex vor der Ehe? In traditionel-
                                                                                           len Familien immer noch tabu.
                                                                                               Amina hat sogar überlegt,
ziniert mich, wenn das Spielfeld zur Bühne für die größten Musikstars der                      sich das Jungfernhäutchen
Welt wird. Echte Footballfans hören das wahrscheinlich nicht gerne.                          rekonstruieren zu lassen. Die
                                                                                          Geschichte einer Entscheidung.
Unser Autor Marcel Brandt ist so ein Fan. Er verfolgt den Sport schon seit
vielen Jahren. Ab Seite 14 schreibt er über die Entwicklung der Football-
szene in Deutschland und Europa. Darüber, wie eine neue Liga helfen soll,
den Sport in Europa weiter wachsen zu lassen und warum es daran trotz-
dem Kritik gibt. Außerdem erfahrt ihr in diesem Heft, wie Studierende ein
Auslandssemester während der Corona-Pandemie erlebt haben (S. 6) und

                                                                                                                    34
warum ASMR-Videos immer beliebter werden (S. 30). Für den „Kurts Trip“
nimmt unser Autor Emad Almansour euch mit auf eine Wanderung ins
Sauerland (S. 38).
                                                                                      Von Klimaschutz bis Hochschulge-
Viel Spaß beim Lesen!                                                                     setz: Die Stimmen junger Men-
                                                                                         schen werden zu wenig gehört.
                                                                                      Kein Wunder – das Durchschnitts-
                                                                                           alter im Bundestag beträgt 53
                                                                                        Jahre. Her mit der Jugendquote!
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Inhalt
 4         MOMENTE
           Kurt in der grünen Hölle des Westens

 6        WEIT WEG UND DOCH ZUHAUS
          Studierende über ihr Corona-Auslandssemester

10        SCHLUSS MIT AUSBEUTUNG
          Inklusionsaktivistin Laura Gehlhaar im Interview

13        KURTS ARBEIT
          Waran war noch nicht dabei: Eileen ist Tiersitterin

14        EINE CINDERELLA STORY?
          Wie Europas Football künftig aussehen soll

20        GRÜNDERINNEN
          Leider gibt es immer noch viel zu wenige

25        SAG MAL, PROF ...?
          Was tun, wenn uns jemand zum Kuscheln fehlt?

26        DAS ZWEITE ERSTE MAL
          Wenn das Jungfernhäutchen rekonstruiert wird

30        KRATZ QUIETSCH FLÜSTER
          Wie ASMR für Entspannung sorgen soll

34        JUGEND AN DIE MACHT
          Unser Autor fordert eine Jugendquote im Bundestag

37        KURT DAHEIM
          True Crime für echte Hobby-Sherlocks

38        KURTS TRIP
          Auf Wanderung: Süßes oder Sauerland?

39        IMPRESSUM
          Wer was wann wie gemacht hat und Rätsel

FOTOMARCO RUHLIG
ILLUSTRATIONNANNA ZIMMERMANN & AURÉLIEN GUILLERY
COVERBEN HERSHEY/UNSPLASH BACKCOVERAMEER BASHER/UNSPLASH
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⁄⁄ MOMENTE

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Schöne Aussicht
Am liebsten weit weg. Bis das wieder richtig geht, müssen sich die meisten Studierenden
noch gedulden. Der Stadt kann man aber auch im Ruhrgebiet entfliehen. Ganz ohne
Maske, Test und digitalen Impfpass. Erholung bietet der Baldeneysteig in Essen oder die
Wanderroute durch das Rumbachtal in Mülheim.
FOTOMONA BERGMANN

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I WANT TO BREAK FREE
Mehr als ein Jahr erschienen Reisen fast wie eine Utopie. Trotzdem haben sich Studierende getraut,
ein Auslandssemester während der Pandemie zu machen. Vier von ihnen reden über die Angst vor
Einsamkeit, leere Großstädte und die Sehnsucht nach Normalität.
TEXTSOPHIE BRACH FOTOPRIVAT & NORDNORDWEST/WIKIMEDIA COMMONS (CC BY-SA 3.0)

Amrei Quincke (25) aus Essen studiert
im Master BWL an der Uni Trier und war
von Januar bis März 2021 in Mailand,
Italien.

F     ür mich war klar: Wenn ich einen
      Master mache, mache ich ein Aus-
      landssemester. Wegen Corona
hat mir meine Uni angeboten, zu Hau-
se zu bleiben und das Ganze digital zu
machen, da die Vorlesungen in Mailand
komplett online liefen. Das kam für
mich aber nicht infrage – ich wollte das
andere Land hautnah erleben. Außer-
dem habe ich eine Freundin in Mailand,
die mich ermutigt hat, zu ihr zu kom-
men. Mit ihrer Hilfe habe ich eine Woh-
nung gefunden, die nur fünf Minuten         hätte gerne einen längeren Roadtrip ge-
von ihrer entfernt war. Ich hatte davor     macht. Das ging leider nicht. Auch die
mit den anderen Studierenden aus dem        typischen Erasmus-Events wie Partys
Auslandsprogramm geschrieben. Wir           und Ausflüge sind ausgefallen. Das war
haben uns alle nacheinander entschie-       ein bisschen schade.
den, einfach zu fahren und das Risiko
zusammen einzugehen.                        Meine italienischen Mitbewohner wa-
                                            ren zumindest sehr nett und haben mir
Meine Einstellung war immer: Ich            den italienischen Lifestyle vorgelebt.
kann jederzeit zurück nach Hause. Au-       Sie haben mir zum Beispiel ausgetrie-
ßerdem hätte es in Mailand gute Kran-       ben, meine Spaghetti mit einem Löffel
kenhäuser gegeben. Obwohl die Pande-        zu essen. Jetzt drehe ich sie nur noch
mie Bergamo in der Nähe von Mailand         mit der Gabel auf.
vor einem Jahr richtig hart getroffen
hat, hatte ich keine Angst. Als die ers-    LEERES MAILAND,
ten Lockerungen kamen, saßen wir mit        NIEDRIGE MIETEN
zehn Leuten wieder zusammen. Das
war schön, weil wir ein Stück Norma-        Einen Vorteil an Corona gab es tatsäch-
lität erreicht hatten. Abgesehen davon      lich: Mailand war deutlich leerer. Die
konnten wir kostenlose PCR-Tests von        Domplatte war wie leergefegt. Sonst ist
der Uni aus machen.                         sie voll mit Touristen. Auch die Mieten
                                            waren niedriger. Ich musste 150 Euro
Mailand durften wir am Anfang nicht         weniger zahlen als üblich.
verlassen, weil es eine rote Zone in Ita-
lien war. Das heißt, die Ansteckungs-       Ich bereue es nicht, nach Mailand gegan-       zu Hause zu bleiben. Aber ich kriege
gefahr war sehr hoch. Später sind die       gen zu sein. Der Freund meiner besten          meine Studienzeit nicht zurück. Ich bin
Infektionszahlen gesunken. Dann sind        Freundin hat mir aber gesagt, wie unso-        echt froh, dass ich die für ein Auslandse-
wir an den Comer See gefahren. Ich          zial ich wäre. Hier hätte jeder die Pflicht,   mester nutzen konnte.

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Matthäus Fizon (25) studiert Englisch
und Französisch auf Lehramt an der RUB
und war von Oktober 2020 bis Juni 2021
Teaching Assistant an einer Schule in
Charlotte, North Carolina, USA.

M      ein Auslandssemester war schon
       bei der Einreise ziemlich aufre-
gend. Die USA sind da sehr streng. Ich
hatte Sorge, dass ich es gar nicht erst ins
Land schaffe. Als ich in Düsseldorf am
Flughafen war, musste die Dame an der
Ausreisekontrolle erstmal telefonieren
und fragen, ob ich wirklich einreisen
darf. Letztendlich hat alles geklappt
und ich konnte aufbrechen.

So oder so hätte ich für mein Studium
ins Ausland gemusst. Zudem hatte ich
keine Lust auf noch ein Corona-Semes-
ter in Deutschland. Deswegen bin ich
Teaching Assistant in den USA gewor-
den. Das ist wie ein Praktikum an einer
Schule – nur mit mehr Verantwortung.
Ich durfte sogar eigene Unterrichts-
stunden leiten.

Was die Corona-Beschränkungen an-
ging, hatte ich Glück. Im Prinzip war in
North Carolina alles offen: Restaurants,
Bars und zeitweise auch die Schulen. In
meinen ersten Wochen im Oktober lief
der Unterricht noch in Präsenz. Das war
eine große Umstellung für mich. Aus
dem Homeoffice-Betrieb in Deutsch-
land in einen echten Arbeitsalltag zu         Fall die ganze Familie anstecke. Deswe-
wechseln, war hart. Als ich nach meinem       gen bin ich später in ein Airbnb gezo-
ersten Tag nach Hause gekommen bin,           gen. Über das Internet habe ich neue
habe ich mich direkt ins Bett gelegt und      Leute in der Umgebung kennengelernt,
fast zehn Stunden geschlafen. Weil die        mit denen ich viel nach der Schule ge-
Fallzahlen aber wieder stiegen, mussten       macht habe, zum Beispiel Barhopping
die Schulen bis Februar schließen. Seit-      in Charlotte.
dem haben sich immer mehr Menschen
impfen lassen, sodass die Kinder wieder       Anfangs hatte ich Angst vor den ho-
zur Schule gehen konnten.                     hen Arztrechnungen in den USA, falls
                                              ich an Covid erkranken würde. Zum         men darf. Genauso problemlos lief die
CORONA-IMPFUNG                                Glück war ich über mein Austausch-        zweite Impfung später.
IM DRIVE-IN                                   programm gut versichert, sodass ich
                                              im schlimmsten Fall nicht an den me-      Meine Zeit in den USA habe ich auch für
Meine Gastfamilie hatte Sorgen wegen          dizinischen Kosten bankrottgegangen       Reisen genutzt. Über die Springbreak
der Pandemie. Irgendwann haben sie            wäre. Im März habe ich sogar meine        war ich mit einem Mietwagen in Colo-
nichts mehr unternommen. Für mich             erste Impfung bekommen, weil Lehrer       rado unterwegs. Anfang Februar war ich
war es dann nicht mehr leicht, rauszu-        als „Frontline Worker“ gelten. Das lief   mit ein paar Deutschen in Miami. Weil
gehen. Meistens habe ich das mit einem        wie in einem McDonald’s-Drive-in. Kei-    die Schule noch online lief, haben wir Un-
schlechten Gefühl gemacht. Schließlich        ner hat gefragt, ob ich die Impfung als   terricht vom Strand aus gemacht. Ohne
wusste ich, dass ich im schlimmsten           Nicht-Amerikaner überhaupt bekom-         Corona wäre das so nie passiert.

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KAMPF DER SYSTEME Eine neue europäische Football-Liga will den Sport in Europa kommerzialisieren. Die deutsche Liga läuft parallel weiter. Können ...
Petra Nennig (25) studiert Grundschul-
lehramt in Regensburg und war von Sep-
tember 2020 bis Februar 2021 in Prag,
Tschechien.

I n meinem Auslandssemester habe
  ich etwas Besonderes gewagt: Ich
habe mir ein Haus mit bis zu 20 Leu-
ten geteilt – und das während einer
Pandemie.

Für das Auslandssemester in Prag hat-
te ich mich schon im November 2019
angemeldet, also vor Corona. Als die
Pandemie anfing, habe ich immer ge-
dacht: Nach dem Sommer hat sich das
bestimmt erledigt. Im Herbst hat sich
abgezeichnet, dass es nicht vorbei sein
wird. Ich bin trotzdem gefahren und
habe mich sicher gefühlt.

Es war zunächst schwierig, Leute ken-
nenzulernen. Am Anfang habe ich
in einer Dreier-WG gewohnt, die ich
über Facebook gefunden hatte. Mein
Mitbewohner war schon Mitte 30
und meine russische Mitbewohnerin
musste irgendwann ausziehen, weil
sie Probleme mit ihrem Visum hatte.
Deshalb habe ich mich für Communi-
ty Living entschieden. Da habe ich mir
mit 15 bis 20 Mitbewohnern Wohn-
zimmer und Küche geteilt. Auf diese
Art habe ich einige Tschechen, aber
auch viele andere internationale Stu-
dierende kennengelernt. Das hat mein
Auslandssemester gerettet. Ansonsten
wäre ich wahrscheinlich früher abge-      In unserem Haus gab es mal einen Co-
reist, weil ich in meiner alten Woh-      rona-Fall. Dann mussten wir uns alle
nung vereinsamt wäre. Auch die Uni        testen lassen und in Quarantäne gehen.
war komplett digital. Es gab fast keine   Richtige Sorgen habe ich mir trotzdem
Erasmus-Veranstaltungen.                  nicht gemacht. Ich hatte zumindest
                                          die Gewissheit, dass ich nicht weit von
CORONA-FALL                               Deutschland entfernt war.
IM EIGENEN HAUS
                                          In diesem Community Living waren wir
In Prag galten strenge Corona-Be-         wie in einer Bubble. Die meisten Leute,
schränkungen. Die meiste Zeit war die     die dort gewohnt haben, hatten keine        Größere Trips innerhalb Tschechiens
Stadt im Lockdown mit nächtlichen         Familie in Prag, die sie hätten anstecken   waren nicht möglich. Wir durften später
Ausgangssperren. Aber die Tschechen       können. Dem erkrankten Mitbewohner          nicht mehr unseren Distrikt verlassen.
haben eine andere Mentalität als die      ging es schnell wieder gut. Deswegen        Dennoch war gerade der letzte Monat
Menschen hier in Deutschland. So          hatten wir wenig Angst vor Covid.           der schönste für mich – wahrscheinlich,
strikt haben sie sich nicht an die Re-                                                weil das Wetter sich gebessert hat und
geln gehalten. Zum Beispiel waren viele   Von Prag habe ich viel gesehen, weil wir    ich mehr rausgehen konnte. Ich hätte
Menschen während der Ausgangssperre       tagsüber viele Spaziergänge gemacht ha-     mir auch vorstellen können, im Som-
unterwegs und haben Partys gefeiert.      ben und nur wenige Touristen da waren.      mersemester noch zu bleiben.

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Sven Maletzke (24) studiert Raumpla-
nung im Master an der TU Dortmund und
war von Februar bis Juli 2021 in Zagreb,
Kroatien.

I n Deutschland habe ich im Prinzip
  ein komplettes Jahr drinnen ver-
bracht. Da hatte ich oft richtig schlech-
te Laune. Als ich die Zusage für das
Auslandssemester bekommen habe,
war für mich sofort klar, dass ich es
mache – trotz Beschränkungen und
Online-Vorlesungen. Nach Kroatien
wollte ich, weil ich das Land mit gutem
Wetter assoziiert habe und Zagreb eine
interessante Stadt ist.

Bei der Einreise habe ich gemerkt, wie
privilegiert wir Deutschen sind. An
der Grenzkontrolle stand ich nur zwei
Minuten an. Da habe ich bloß mei-
nen Reisepass und meinen negativen
COVID-Test gezeigt und erklärt, dass
ich Erasmus-Student bin. Andere Men-
schen ohne deutschen Pass mussten
deutlich mehr und detailliertere Fragen
beantworten.

Normalerweise sind viele Vorlesungen
in Zagreb auf Englisch. Aufgrund von
Corona gab es weniger Kurse und die
waren auch noch auf Kroatisch. Das war
interessant für mich, weil mein Kroa-
tisch nur für Hallo, Tschüss und Danke
reichte. Die Professoren haben mir nach
den Vorlesungen extra Sprechstunden
gegeben, in denen sie mir auf Englisch
erklärt haben, was in der Vorlesung be-     Ab März war sehr viel in Kroatien ge-
sprochen wurde.                             öffnet, zum Beispiel die Terrassen von
                                            Restaurants, Bars und Cafés. Die Men-
ZURÜCK ZUR                                  schen haben sich immer mehr auf den
NORMALITÄT                                  Tourismus im Sommer vorbereitet.
                                            Deswegen gibt es keine Überlegungen,
Das, was mir am Uni-Alltag gefehlt hat,     irgendetwas wieder zu schließen. Ich
war das In-die-Mensa-gehen mit Kom-         glaube, in Europa war Kroatien mit
militonen. Immerhin habe ich mir die        Abstand das offenste Land im Frühling
Wohnung mit einem anderen Studen-           2021. Das war wie eine Erlösung für
ten geteilt. Es waren wohl auch deutlich    mich: Einfach mal wieder rauszugehen,
weniger Erasmus-Studierende in Kro-         mich mit mehreren Leuten zu treffen
atien als üblich. In Zagreb hatten wir      und ein Bier zu trinken, statt stunden-
trotzdem große WhatsApp-Gruppen, in         lang in der Wohnung vor dem Laptop         nicht so verbreitet. Außerdem hatte
die wir jederzeit reinschreiben konnten,    zu hocken.                                 ich immer dieses Gefühl: „Ich bin jung.
um uns mit mehreren Leuten zu tref-                                                    Wenn ich mich jetzt anstecke, ist ein
fen. Montags war in einer Bar Erasmus-      Angst, mich anzustecken, hatte ich ei-     schwerer Verlauf eher unwahrschein-
Abend, nachdem die Außengastrono-           gentlich nie. Als ich in Zagreb angekom-   lich.“ Ich war einfach froh, endlich wieder
mie wieder öffnen durfte.                   men bin, waren die Mutationen noch         soziale Kontakte zu haben.

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KAMPF DER SYSTEME Eine neue europäische Football-Liga will den Sport in Europa kommerzialisieren. Die deutsche Liga läuft parallel weiter. Können ...
» HAUPTSACHE: SATT,
                                           STILL UND SAUBER «
                             Jede*r Zehnte in Deutschland ist schwerbehindert. Doch für die Gesellschaft sind
                                 diese Menschen oft unsichtbar. Aktivistin Laura Gehlhaar erklärt im Interview,
                             woran das liegt, warum Inklusion in Deutschland versagt und was sich ändern muss.

                                                                           TEXTMERLE MATHIE TUMMES FOTOMARCO RUHLIG

W               enn Laura Gehlhaar in ih-
                rem Rollstuhl durch die
                Stadt fährt, ist sie irritierten
Blicken und blöden Sprüchen ausgesetzt.
Für viele ist es nicht normal, Menschen mit
einer Behinderung im Alltag zu sehen. Als
Autorin, Aktivistin und Unternehmensbe-
raterin setzt sich Gehlhaar dafür ein, dass
sich das ändert. Sie tritt in Talkshows auf
und spricht mit großen Konzernen über
Inklusion und Barrierefreiheit. Ihre These:
Menschen mit einer Behinderung werden
in unserer Gesellschaft systematisch aus-
geschlossen. Deutschland habe noch eini-
ges nachzuholen, damit diese Menschen
gerne hier leben, sagt sie.

Sie haben vor einiger Zeit Sprüche
gesammelt, die Sie täglich zu hören
bekommen: „Kannst du Sex haben?“,
„Ich habe mal Zivi gemacht, darf ich
dich schieben?“. Wie fühlen Sie sich,
wenn Sie so etwas hören?
Ich habe mich geärgert, war wütend,
manchmal auch belustigt. Erst später
habe ich gemerkt, wo diese Scham und
diese komischen Vorurteile herkom-
men: Wenn Menschen ohne Kontakt zu
einer Behinderung aufwachsen, fehlen
ihnen gewisse Perspektiven. Wenn wir
Behinderungen, unterschiedliche Kör-
per und unterschiedliche Gesundheits-
zustände früh kennenlernen, dann nor-
malisieren wir das. Dann würden diese
Fragen und Sprüche wegfallen.

Sie haben selbst erst seit ungefähr
zehn Jahren Kontakt zu anderen

                                                           10
Menschen mit Behinderung. Damals            einen Weg gefunden, gehört zu werden.
                                                                                        BEHINDERTEN
waren Sie Mitte zwanzig. Wieso ist          Andere Behinderte haben dieses Privi-
                                                                                        WERKSTÄTTEN
dieser Teil unserer Gesellschaft im-        leg nicht. Menschen in Wohnheimen
mer noch so unsichtbar?                     haben teilweise noch nicht mal einen
                                                                                        IN DEUTSCHLAND
Laut einer Studie des Statistischen Bun-    Internetzugang, beziehungsweise kein
desamtes lebt jeder zehnte Mensch in        Smartphone oder Laptop.                     Mehr als 320.000 Menschen
Deutschland mit einer Schwerbehinde-                                                    arbeiten in deutschen Behinder-
rung. Mehr als 320.000 Menschen arbei-      Aber manche Menschen sind dort              tenwerkstätten.
ten in Deutschland in Behindertenwerk-      auch super aufgehoben, oder?                Davon haben …
stätten. Diese Werkstätten befinden sich    Richtig, die gibt es auch. Das ist auch     • … 75,5 Prozent eine
aber am Rande der Gesellschaft: in In-      toll, dass es genau so ist. Aber man darf      geistige Behinderung 1.
dustriegebieten. Die meisten Leute, die     nicht alle behinderten Menschen in ei-      • … 21 Prozent eine
dort arbeiten, leben auch in sogenannten    nen Topf werfen.                               psychische Behinderung 2.
Behindertenwohnheimen. Auch die sind                                                    • … 3,5 Prozent eine
am Rande der Gesellschaft. Ziel dieser      Viele Unternehmen werben ja auch               körperliche Behinderung.
Einrichtungen ist es eigentlich, die Men-   damit, dass ihre Produkte teilweise
schen an den ersten Arbeitsmarkt zu         in Behindertenwerkstätten herge-            Unternehmen wie Volkswagen,
bringen. Aber das gelingt nur sehr weni-    stellt werden. Woher kommt dieses           Thyssenkrupp und Siemens las-
gen Beschäftigten.                          Bild der Wohltatsindustrie, wenn es         sen ihre Produkte zum Teil in Behin-
                                            auf der anderen Seite doch Ausbeu-          dertenwerkstätten produzieren.
Behindertenwerkstätten verhindern           tung ist?
also, dass Menschen mit einer Behin-        Das System der Behindertenwerkstät-         Acht Milliarden Euro beträgt der
derung in die Gesellschaft integriert       ten existiert seit dem Zweiten Welt-        jährliche Umsatz aller Behinder-
werden.                                     krieg. Es ist fest in unserer Struktur      tenwerkstätten in Deutschland.
Ja, definitiv. Behindertenwerkstätten       verankert. Die Gesellschaft glaubt          Dieser Jahresumsatz setzt sich
sind das Gegenteil von Inklusion! Ziel      dran, dass sie etwas Gutes für Behin-       zusammen aus den Zuschüssen, die
dieser Einrichtungen ist es eigentlich,     derte tut, wenn diese irgendwie be-         die Werkstätten vom Staat erhalten,
die Menschen an den ersten Arbeits-         schäftigt werden. Das wird nicht mehr       und ihrem wirtschaftlichen Umsatz.
markt zu bringen, also in die freie Wirt-   infrage gestellt. Hauptsache: satt, still
schaft. Eines der vielen Probleme ist,      und sauber. Mehr nicht. Alles darü-         Verminderter Mehrwertsteuer-
dass Menschen mit einer Behinderung         ber hinaus wird nicht mehr gefördert.       satz: Behindertenwerkstätten dürfen
über einen Kamm geschert werden. Ich        Das ist sehr, sehr traurig. Ich habe das    einen verminderten Mehrwertsteu-
bin mir zu 100 Prozent sicher, dass vie-    selbst auch erlebt. In meiner Anfangs-      ersatz von sieben Prozent auf ihre
le Menschen, die körperliche, kognitive     zeit wurde mir gesagt: „Wieso sprichst      Leistungen berechnen.
oder auch psychische Behinderungen          du überhaupt darüber?“ Ich stoße oft
haben, an den ersten Arbeitsmarkt ge-       auf Verwunderung, wenn ich laut bin         Beschäftigte verdienen durch-
hören. Es ist natürlich einfacher, diese    und gegen die Strukturen rede. Aber         schnittlich 206,95 Euro pro
Menschen in diese sehr diskriminie-         Nicht-Behinderte haben sich lang ge-        Monat.
renden Strukturen zu integrieren. Ich       nug angemaßt, über das Leben von
möchte sagen: gefangen zu halten. Be-       Behinderten zu entscheiden. Das muss
hindertenwerkstätten sind eine Geld-        sich unbedingt ändern.                      1
                                                                                          Geistige Behinderung bedeutet eine signi-
                                                                                        fikant verringerte Fähigkeit, neue oder kom-
maschine für Unternehmen. Sie sparen
                                                                                        plexe Informationen zu verstehen und neue
unheimlich viel, wenn sie die Produkti-     Was muss sich ändern, damit behin-          Fähigkeiten zu erlernen und anzuwenden
on an solche Werkstätten weitergeben.       derte Menschen in Deutschland bes-          (beeinträchtigte Intelligenz). Quelle: WHO
                                            ser leben können?                           2
                                                                                          Ist eine psychische Erkrankung nicht nur
Warum?                                      Der Schlüssel zur Inklusion ist eine        vorübergehend, kann dies zu spürbaren
Die Leute verdienen nicht mal den Min-      Verankerung im Gesetz. Wenn gesetz-         Beeinträchtigungen bis hin zu Behinderung
                                                                                        führen. Quelle: Caritas
destlohn, sie arbeiten für einen Hunger-    lich vorgeschrieben wäre, dass ich zum
lohn. Ein weiteres Problem: Menschen        Beispiel barrierefreien Zugang zu Re-
mit einer Behinderung haben keine           staurants und Friseuren habe, würde
Lobby in Deutschland. Ich bin eine          sich schlagartig viel ändern. Menschen
sehr, sehr privilegierte Behinderte. Ich    mit unterschiedlichen Behinderungen
habe studiert, ich bin seit Jahren am       könnten sich ihren Platz in dieser Ge-
ersten Arbeitsmarkt tätig und ich habe      sellschaft sichern. Dann würde eine Ge-

                                                               11
sellschaft sehen, dass es Menschen mit     müssen Eltern dafür noch kämpfen,           Als Studentin mit Behinderung habe
Behinderungen gibt, die natürlich mit-     dass ihr Kind auf ein allgemeines Gym-      ich während meines Studiums indivi-
spielen und mitgestalten. Dann würden      nasium gehen darf? Was soll das? Wo         duelle Bedürfnisse. Ich brauche mehr
nicht-behinderte Menschen solche mit       leben wir denn eigentlich?                  Flexibilität. Zum Beispiel brauche ich
Behinderung besser verstehen.                                                          eine längere Studiumszeit – aufgrund
                                           Sie haben ein allgemeines Gymna-            meiner chronischen Erkrankung falle
Wie gehen denn andere Länder mit           sium besucht. Was denken Sie, wie           ich öfters mal aus. Ich konnte diese
Menschen um, die eine Behinderung          wäre Ihr Leben verlaufen, wenn Sie          Sachen an meiner Uni besprechen. Wir
haben?                                     auf eine inklusive Schule gegangen          haben gemeinsam nach Möglichkeiten
Jedes Mal, wenn ich in den USA oder        wären?                                      für mich gesucht. Das war sehr befrei-
in Großbritannien war, habe ich mich       Es hätte mein Selbstbewusstsein un-         end. Auf dem Gymnasium hatte ich
auf einmal sehr erleichtert gefühlt. In    glaublich gestärkt. Ich hätte in den Pau-   keine Wahlmöglichkeiten. An der Uni
den USA konnte ich mich frei bewe-         sen andere behinderte Kinder gesehen.       wurde individuell auf meine Bedürfnis-
gen. Egal, was ich vorhatte: Ich konnte    Allein das hätte mich von diesem ekel-      se eingegangen, das war sowohl in den
das einfach machen, ohne mich vorher       haften Sonderstatus befreit. Ich merke      Niederlanden als auch in Deutschland
zu erkundigen, ob es in der Bar oder       einfach in den ersten paar Sekunden,        eine sehr schöne und inklusive Erfah-
in dem Restaurant eine barrierefreie       ob eine Person in ihrem Leben mit Be-       rung. Da habe ich gemerkt: Es liegt
Toilette gibt. Dort habe ich selbstver-    hinderung vertraut ist oder nicht. Sie      nicht an mir, mich einem System un-
ständlich andere Menschen mit einer        begegnen mir mit so einer schönen, ru-      terzuordnen.
Behinderung getroffen – weil diese         higen Natürlichkeit und Selbstverständ-
Orte eben barrierefrei sind. Ich habe      lichkeit. Das tut mir sehr gut. Dann        Lassen Sie uns in die Zukunft blicken:
mich akzeptiert gefühlt. Ich wurde mit-    kann ich mich fallen lassen. Ich kann       Wie sieht eine barrierefreie und in-
bedacht. In den USA durfte ich als Roll-   dann erstmal Laura sein, und dann ir-       klusive Welt aus?
stuhlfahrerin die Orte aussuchen, die      gendwann behindert.                         Ich wünsche mir, dass Vielfalt sich etab-
ich besuchen möchte. Hier in Deutsch-                                                  liert. Sie soll normal werden. Ich glaube
land suchen die Orte aus, ob ich diese     Sind Sie für eine Abschaffung von För-      nämlich fest daran, dass Vielfalt unse-
besuchen darf.                             derschulen oder sollen die Eltern und       re Gesellschaft stabilisiert. Von unter-
                                           Kinder immer noch die Wahl haben?           schiedlichen Perspektiven können wir
Was kann Deutschland von den USA           Ich bin eine ganz große Freundin von        lernen und sie verstehen.
und von Großbritannien lernen?             Wahl haben.
Die sollen ihre scheiß Gesetze um-                                                     Was kann jede*r Einzelne dazu bei-
setzen (lacht). Die sollen sich an die     Sie haben in den Niederlanden stu-          tragen?
UN-Behindertenkonvention halten.           diert und ein Auslandssemester in           Nicht-Behinderte sollen sich selbststän-
Da steht zum Beispiel drin, dass behin-    Berlin gemacht. Welche Erfahrungen          dig mit Inklusion auseinandersetzen.
derte Kinder ein Recht darauf haben,       haben Sie an der Uni mit Ihrer Behin-       Ich möchte nicht ständig Denkanstöße
inklusiv beschult zu werden. Warum         derung gemacht?                             dazu liefern müssen.

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⁄⁄ KURTSARBEIT

                                                    Frauchentausch
                                                    Mehrere Nächte in fremden Wohnungen verbringen die meisten
                                                    Studierenden nur im Urlaub. Anders ist es bei Eileen Schröders – sie
                                                    wohnt bei fremden Menschen und kümmert sich um deren Tiere. Die
                                                    24-Jährige verdient ihr Geld als Housesitterin.
                                                    TEXTANASTASIA ZEJNELI FOTOLARA WANTIA

E   ileen Schröders wohnt mal mit zwei Katzen in Lünen,
    mal mit einem Hund in Bochum oder drei Kaninchen in
Dortmund. Sie schläft in Ehebetten, Gästezimmern und auf
                                                                     auch die Möglichkeit, auf exotische Tiere aufzupassen, aber
                                                                     das traue ich mir eher nicht zu.“ Sie war anfangs erstaunt, wie
                                                                     viele Kund*innen wollen, dass sie bei ihnen in der Wohnung
der Couch im Wohnzimmer. Immer bei fremden Tieren und in             übernachtet und nachts auf die Tiere aufpasst. „Natürlich
fremden Wohnungen.                                                   fand ich es am Anfang komisch, dass mir Leute ihre Schlüs-
                                                                     sel anvertrauen und mich bei ihnen wohnen lassen. Aber ih-
Eigentlich studiert die 24-Jährige Kultur- und Literaturwis-         nen ist es wichtig, dass die Tiere versorgt sind“, sagt Eileen.
senschaften an der TU Dortmund und wohnt im Studieren-               Im Gegensatz zu anderen Angeboten wie Tierpensionen, wo
denwohnheim. Seit 2017 kümmert sie sich im Nebenjob um               Besitzer*innen Hund und Katze abgeben, bleiben die Haustie-
die Haustiere ihr unbekannter Menschen.                              re beim Housesitting in der bekannten Umgebung. Das sei für
                                                                     viele Tierbesitzer*innen sehr wichtig.
Die Kund*innen finden Eileen über eine Website, die sich auf
die Vermittlung von Tierbetreuung spezialisiert hat. Um die          Eileen darf keine Haustiere im Wohnheim halten. Daher freut
eigene Arbeit anzubieten, müssen sich die Housesitter*innen          es sie, dass sie sich um Tiere kümmern kann. Drei bis fünf
ein Profil anlegen und über die Erfahrungen mit Tieren ei-           Kund*innen hat Eileen durchschnittlich im Monat. Meistens
nen kurzen Text verfassen. Ihren Lohn kann Eileen selbst             hat sie ein Vorgespräch bei den Personen zu Hause, wo sie
festlegen. Für eine Übernachtung und die Betreuung zahlen            auch die Tiere kennenlernt. „Ich habe gelernt, auf mein Bauch-
die Kund*innen bei ihr 30 Euro. Wenn Eileen nur Gassi geht           gefühl zu hören. Wenn mir die Tiere oder die Person komisch
oder die Katze füttert, nimmt sie sieben bis zehn Euro. „Ich         vorkommen, lehne ich den Auftrag ab.“ Einmal war sie bei ei-
habe am Anfang weniger verlangt. Den Lohn sehe ich eher              nem großen Hund und seinem Besitzer zum Kennenlernen.
als nettes Taschengeld an, da ich es hauptsächlich wegen der         Sie sollte über Nacht auf den Hund aufpassen. „Er hat mich
Tiere mache.“                                                        mehrmals angesprungen und hatte seine Vorderfüße auf mei-
                                                                     nen Schultern. Da habe ich echt Angst bekommen“, erzählt
Über die Website hat Eileen eine Haftpflichtversicherung ab-         Eileen. Sie lehnte den Auftrag ab.
geschlossen. Somit ist sie bei der Arbeit in der fremden Woh-
nung abgesichert. Dafür und für die Vermittlung nimmt das            Für Eileen ist es der perfekte Nebenjob, da sie flexibel arbeiten
Portal 20 Prozent der Einnahmen. Bestimmte Voraussetzun-             kann und sich gerne um Tiere kümmert. Man gewöhne sich
gen müsse man als Housesitter*in nicht mitbringen, sagt Ei-          auch daran, in Ehebetten zu schlafen, sagt Eileen und lacht.
leen. Sie selbst sei mit Hunden und Kaninchen aufgewachsen.          „Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre mir eine Couch aber
„Die Leute merken es schon, wenn man sich auskennt. Es gibt          trotzdem lieber.“

                                                                13
EINE FOOTBALL-LIGA
FÜR EUROPA
Sobald in Amerika der Football fliegt, schauen Millionen Deutsche hin. In der eigenen Stadt
interessiert das dagegen nur wenige. Eine neue Liga will den Football-Hype endgültig
nach Europa bringen. Doch nicht alle feiern das Projekt.

TEXTMARCEL BRANDT FOTOANDREAS GEBEK, ASSINDIA CARDINALS/ROLAND SCHICHO,
EUROPEAN LEAGUE OF FOOTBALL, HAMBURG SEA DEVILS & MICHAEL FREITAG

K        urze, englische Befehle sind zu
         hören. Dann prallen Protekto-
         ren aufeinander, es knallt, wie
bei einem mittelschweren Verkehrs-
unfall. Immer und immer wieder, erst
                                            geben wird. Damit bahnt sich eine Re-
                                            volution im deutschen und europäi-
                                            schen Football an. Doch die neue Liga
                                            hat nicht nur Unterstützer*innen. Und
                                            so ist ein Konflikt entstanden zwischen
die Rufe, dann die Protektoren. Die         alten Vereinsstrukturen und einem
Männer auf dem Rasenplatz laufen für        neuen Hype. Mit Vorwürfen auf beiden
Lai*innen unsortiert durcheinander.         Seiten und der Frage: Geht es hier noch
Doch für die Akteure auf dem Feld folgt     um das Wohl der Sportart oder nur um
alles einem genauen Plan. Jede Barrika-     das Plus einiger weniger Bankkonten?
de, jede Pylone, jeder Spieler hat seinen
genauen Platz. Alle sind dick eingepackt    Da sind zum einen die Vertreter*innen
mit Schützern über den Schultern und        der bisherigen, intakten Strukturen.
einem Helm mit Gesichtsgitter.              Dazu gehört vor allem der American
                                            Football Verband Deutschland (AFVD).
Es ist Anfang Mai, irgendwo in Barce-       Hier sind knapp die Hälfte aller Foot-
lona. Football-Kommentator Patrick          ballspieler in Europa aktiv. Der AFVD
Esume steht am Spielfeldrand und lässt      organisiert den Football in einem Ver-
seine Community via Instagram-Story         einssystem, genau wie andere deutsche
an diesem Spektakel teilhaben. Der          Sportverbände, etwa im Fußball oder
Fanliebling aus Deutschland ist in sei-     Handball. Die Vereine spielen in Ligen
ner neuen Rolle unterwegs. Er ist seit      und können auf- und absteigen. Die
Ende 2020 Commissioner einer neuen          German Football League (GFL) ist dabei
Liga: der European League of Football       die höchste Spielklasse.
(ELF). Als Commissioner ist er mit dem
Geschäftsführer der Chef dieser Liga.       Zum anderen ist da die neue Liga mit
                                            einer komplett anderen Struktur. Die
Seit Oktober 2020 ist bekannt, dass es      Teilnehmer in der ELF sind keine Ver-
wieder eine europäische Football-Liga       eine, sondern Franchises, also Kapital-
Patrick Esume ist neuer Commissioner
der European League of Football (ELF).
2018 lag bei gut 1500 Fans pro Spiel.
                                                                                     Lediglich der German Bowl 2019 erin-
                                                                                     nerte mit gut 20.000 Zuschauer*innen
                                                                                     an alte Zeiten.

                                                                                     NFL-HYPE IN
                                                                                     DEUTSCHLAND

                                                                                     Dabei erlebt American Football in den
                                                                                     vergangenen Jahren einen riesigen Hype
                                                                                     in Deutschland. Die amerikanische NFL
                                                                                     kürt seit Ende der 1960er Jahre im gro-
                                                                                     ßen Endspiel, dem Super Bowl, einen
                                                                                     Meister. Dank der amerikanischen In-
                                                                                     szenierung wurde der Super Bowl schnell
                                                                                     zum größten Sportereignis der Welt.
                                                                                     2012 sicherte sich ProSiebenSat.1 nicht
                                                                                     nur die Rechte für diese große Show,
                                                                                     sondern auch für Spiele in der gesamten
                                                                                     Saison. Zuerst auf Sat.1, später auf Pro-
                                                                                     SiebenMaxx und ProSieben, übertragen
                                                                                     die Sender jedes Wochenende die ameri-
Die Try Outs der Klubs für die neu gegründete Liga waren hart, die Saisonvorbe-      kanische Liga: Die neue Show „ran Foot-
reitung kurz, aber anstrengend. Trotzdem boten die ersten Spieltage gute Partien.    ball“ ist geboren. Im Gegensatz zu an-
                                                                                     deren Sportberichterstattungen bezieht
                                                                                     die Show ihre Fans mit ein. Eine locke-
gesellschaften. Diese haben sich für die   schnell zur NFL Europe (NFLE). Diese      re Wortwahl der Kommentatoren und
ELF neu gegründet. Das ganze System        Liga funktionierte deutlich besser. Bis   Experten gehört ebenfalls zum Erfolg.
beruht auf Markenrechten. Das bedeu-       2007 spielten die Teams insgesamt 15      Die deutsche Fangemeinde rund um die
tet, jede Franchise erhält eine Lizenz     Saisons. Gerade die deutsche Fange-       neue Sendung wächst seitdem von Jahr
der Liga, darf zum Beispiel das Logo       meinde war groß. Bei den Heimspielen      zu Jahr. Den vergangenen Super Bowl
der ELF nutzen. Die Liga bekommt im        der Schwergewichte Düsseldorf Rhein       sahen zwischenzeitlich 2,41 Millionen
Gegenzug Werbegeld und Markenrech-         Fire, Frankfurt Galaxy und den Ham-       Menschen. Das ist ein Marktanteil von
te der Franchises. Die Liga vermarktet     burg Sea Devils waren zwischen 20.000     26,3 Prozent.
alles dann zentral. Dieses System ist      und 30.000 Zuschauer*innen im Stadi-
in den nordamerikanischen Top-Ligen        on. Am Ende bestand die Liga nur noch     Max Paatz ist seit Jahren aktiv im deut-
eine gängige Methode und funktioniert      aus fünf deutschen Teams und den          schen Football. Zuerst in der GFL, jetzt
komplett ohne Verbände oder Vereine.       Amsterdam Admirals aus den Nieder-        als General Manager der Hamburg Sea
So bahnt sich langsam der Konflikt mit     landen. Der Aufwand, mit den riesigen     Devils in der ELF. Es gebe viele Grün-
dem AFVD an. Aus der GFL sind Spieler      Kadern zu reisen, war einfach zu groß.
zur neuen ELF abgewandert. GFL-Ver-        Immerhin gehören im Football knapp
eine mussten, auch aufgrund von ELF-       60 Spieler zu einer Mannschaft, mit Be-
Franchises in direkter Nähe, ihr Team      treuerstab kommen 70 bis 100 Perso-
vom Ligabetrieb abmelden. Die Sorge        nen pro Team zusammen. Gleichzeitig
bei Verantwortlichen wächst.               konnten nur wenige Vereine hohe Zu-
                                           schauerzahlen verzeichnen. Am Ende
DEUTSCHE VEREINE OHNE                      schrieben viele von ihnen rote Zahlen,
NENNENSWERTEN ERFOLG                       sodass es sich für die meisten einfach
                                           nicht mehr rechnete.
Die Geschichte einer europäischen
Football-Liga ist nicht neu. Bereits An-   Die GFL konnte vom Ende der NFL Eu-
fang der 1990er Jahre gründete die         rope nicht profitieren. Diese Zuschau-
amerikanische Football-Liga NFL (Na-       erzahlen erreichte die GFL nie. Sie
tional Football League) die World Foot-    waren auch nach dem Ende der NFLE         Max Paatz, General Manager der
ball League. Die war nicht besonders       rückläufig und stagnieren nun seit Jah-   Hamburg Sea Devils, ist mit seinem
erfolgreich und reduzierte sich deshalb    ren. Der Zuschauerschnitt in der Saison   Klub in die neue Liga gewechselt.

                                                             16
de, warum er zwischen den Ligen ge-        umsetzen. Diese Neuerungen hat der
wechselt ist, sagt er. Genaueres will er   Ligavorstand in die Wege geleitet.
dazu nicht sagen. Paatz lobt die Arbeit
des TV-Formates: „Ran Football ist         Wilfried Ziegler ist der Geschäftsfüh-
ran Football, weil es über Social Media    rer des Essener Football-Teams Assin-
funktioniert.“ Damit spielt Paatz auf      dia Cardinals, das aktuell in der GFL 2
den Einsatz eines Netmans an. Dieser       spielt. Er verweist auf die Strukturen
sitzt neben den Kommentatoren im           des AFVD und ihre Trägheit: „Natürlich
Studio und holt die Stimmen der Fans       ist es ein zäher Prozess, im Verbands-
aus der Community in die Sendung. Bei      system zu arbeiten. Da dauern Ent-
„ran Football“ übernimmt das Chris-        scheidungen manchmal Jahre.“
toph „Icke“ Dommisch. Genau da setzt
Paatz seine Kritik gegenüber den AFVD-     EIN NEUER PLAYER
Verantwortlichen an. Denn anders als       IN EUROPA                                   Axel Streich sitzt im GFL-Ligavorstand.
vielleicht erwartet, konnte der Verband                                                Er räumt Organisationsfehler seines Ver-
diesen Hype nicht in größere Aufmerk-      Mit der Verkündung der ELF wurde den        bandes ein, will aber weiter kämpfen.
samkeit für die GFL ummünzen.              Verantwortlichen der GFL schnell klar:
                                           In Städten mit einem GFL-Verein wird
Axel Streich ist Teil des GFL-Ligavor-     eine zusätzliche Franchise ein Ringen       suchten Verantwortliche der ansässigen
standes. Er räumt Fehler in der Organi-    um Spieler, Verantwortliche und mut-        Vereine, als eine Franchise Teil der ELF
sation der vergangenen Jahre ein. „Die     maßlich auch Fans mit sich bringen.         zu werden. Das kam allerdings nicht zu-
GFL hätte mit Sicherheit den Weg, den      Axel Streich sagt über das Vorgehen         stande. Jetzt stellen die Vereine gar kein
sie jetzt geht, schon früher anstoßen      der ELF: „Ich finde es schade, was da in    Team in einer professionellen Liga.
können.“ Dabei spricht Streich von Än-     einigen Vereinen angerichtet wird. Das
derungen der GFL-Strukturen, die der       müsste alles nicht sein. Ich halte es mo-   Elmshorn, Max Paatz‘ ehemaliger Ver-
Liga mehr Freiheiten einräumen. Die        ralisch bei einigen Verantwortlichen für    ein, konnte als Aufsteiger in die GFL
GFL gliederte sich 2020 aus dem Ver-       Minimum fragwürdig, was sie tun und         nicht die finanziellen Mittel aufbrin-
band aus und vermarktet und organi-        wie sie da vorgehen.“ In der GFL-Saison     gen. Das Team bekam keine Lizenz
siert sich nun selbst. Nun kann die Liga   2021 sind drei Vereine nicht mehr da-       für die erste Liga. Spieler und Verant-
schneller Entscheidungen treffen und       bei. In Hildesheim und Ingolstadt ver-      wortliche gingen dann zahlreich zu den

Der aktuelle Meister der German Football League: die New Yorker Lions aus Braunschweig

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» In fünf Jahren werden wir mehr als 20 Teams
                                  aus mehr als 10 Nationen in der Liga haben. «
                                                                       Patrick Esume, Commissioner der neu gegründeten ELF

Hamburg Sea Devils. Laut Streich müs-      einmal mittrainiert und dann waren sie       deutschen Football-Fan, der den Sport
sen auch Stuttgart, Frankfurt und Köln     nicht mehr da.“ Selbst, wenn neue Mit-       hauptsächlich aus Amerika kennt? Die
kämpfen. Alle drei Vereine haben eine      glieder generiert werden, kann nicht         Grundvoraussetzungen sind gut, denn
ELF-Franchise direkt vor der Haustür.      jeder neue Spieler auf dem Niveau spie-      der Sendeplatz ist ähnlich. „ran Foot-
In einem schriftlichen Statement teilt     len und den Aufwand auf sich nehmen.         ball“, also ProSiebenMaxx, überträgt die
ELF-Commissioner Patrick Esume mit:        Sowohl in der GFL als auch in der ELF        ELF direkt in ihrer ersten Saison. Doch
Er sei davon überzeugt, Konkurrenz         gibt es so gut wie keine Vollprofis un-      beim spielerischen Niveau gibt Paatz
belebe das Geschäft und beide Ligen        ter den Sportlern. Außerdem gehören          zu: „Man muss natürlich Abstriche ma-
könnten parallel existieren. Sowohl        zur Teilnahme an der European League         chen. Wir werden uns nie auf ein Level
Streich als auch Ziegler sind da anderer   of Football weite Auswärtsfahrten. Ein       mit der NFL setzen können. Das ist
Meinung. Für sie gibt es an den einzel-    Fakt, der viele in der ELF noch überra-      vermessen.“ Er fügt an, dass ein oberes
nen Standorten nicht genug gute Spie-      schen werde, so Ziegler.                     GFL-Niveau aber zu schaffen sei. Auch
ler, um zwei Mannschaften auf dem                                                       die nächsten Schritte sind laut Com-
Niveau zu stellen.                         So ambitioniert die Pläne der ELF sind,      missioner Esume ambitioniert: „In fünf
                                           die Bedingungen für die erste Saison-        Jahren werden wir mehr als 20 Teams
IST DIE ELF                                vorbereitung waren eher schlecht. Die        aus mehr als 10 Nationen in der Liga ha-
SCHON FIT GENUG?                           Franchises in Frankfurt und Hamburg          ben.“ Auch nach seinem Besuch in Bar-
                                           waren schon früh relativ weit mit dem        celona wirkte Esume in seinem Podcast
Diesbezüglich gibt Paatz zu, es gebe Ab-   Training. Sie profitierten von einer guten   euphorisiert: „Ich war überrascht, wie
wanderungen und es hätten sich Teams       Infrastruktur und Spielern der GFL-Ver-      gut die Dragons sind und wie gut die
von der GFL abgemeldet. Doch die Liga      eine vor Ort. Andere Standorte hatten        Franchise organisiert ist.“
starte trotzdem. Er ist sich sicher: „Es   es schwerer. Die Leipzig Kings beispiels-
sind nach wie vor Teams da, die Quali-     weise veranstalteten am 15. Mai ein Try      DIE GFL GIBT
tät im Kader und natürlich eine sport-     Out, also ein Training für alle Interes-     SICH KÄMPFERISCH
liche Daseinsberechtigung haben.“ Im       sierten, um neue Spieler zu finden. „Ich
Gegensatz zum Essener Geschäftsfüh-        bin auch nicht der, der sagt: Ein Team       Der Essener Präsident reagiert skeptisch
rer ist er davon überzeugt, dass auch      braucht drei Monate Vorbereitungszeit.       auf das Ziel der ELF: „Ich halte das für
durch den NFL-Hype im TV Spieler           Aber mit einem Try Out vier Wochen           nicht realisierbar. In der NFL Europe ha-
zum Sport kommen können: „Im Ver-          vor Saisonstart halte ich es schon für et-   ben Frankfurt und Düsseldorf schwarze
hältnis zu den bestehenden Mitglie-        was knapp, wenn ich am Ende auf GFL-         Zahlen geschrieben, die restlichen Teams
derzahlen ist American Football die am     Niveau spielen will“, so Axel Streichs       massiv rote. Die Reisekosten wurden
stärksten wachsende Sportart im Deut-      Einschätzung. Max Paatz sagt über die        einfach unterschätzt. Das wird hier auch
schen Sport Bund.“                         Vorbereitung: „Es ist ein Projekt. Daraus    passieren.“ Egal, ob die ELF-Franchises
                                           machen wir keinen Hehl. Es gibt Teams,       tatsächlich nicht mit so hohen Kosten
Wilfried Ziegler hat in Essen andere Er-   die noch ein bisschen zurück sind, aber      rechnen oder mit erfolgreicher Mar-
fahrungen gemacht: „Wir haben jedes        die arbeiten mit Hochdruck.“                 ketingarbeit ihre Ziele erreichen, Axel
Jahr im Januar sehr viele Leute bekom-                                                  Streich gibt sich selbstbewusst: „Die GFL
men, die Football gesehen haben und        Da stellt sich nun die Frage: Wie at-        wird daran nicht zugrunde gehen, das ist
jetzt auch spielen wollen. Die haben       traktiv wird die erste Saison für den        mal sicher.“

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19
TROTZ GUTER GRÜNDE
Die Idee ein eigenes Unternehmen zu gründen, ist scheinbar für die wenigsten Frauen attraktiv.
         Nur 15,7 Prozent der Start-up-Gründer*innen in Deutschland sind weiblich.
            Der Anteil reiner Frauenteams ist noch geringer. Was sind die Gründe?

                     TEXTKASSANDRA KREß FOTOUDO GEISLER & JULIUS GNOTH PHOTOGRAPHY

                                                  20
E      s ist ein Businesstreffen. Die Ge-
       schäftsführerinnen der Firma
       UVIS, Katharina Obladen und
Tanja Zirnstein, nehmen den Werk-
studenten mit, damit er sich ansehen
                                            dungsinkubator der Universität Köln
                                            festgestellt. Im Inkubator beraten und
                                            unterstützen Start-up-Coaches grün-
                                            dungsinteressierte Studierende und
                                            Wissenschaftler*innen bei ihrer Idee.
                                                                                      Aufgrund der negativen Erlebnisse
                                                                                      arbeiten die drei mittlerweile viel mit
                                                                                      Frauen zusammen: einer Anwältin, ei-
                                                                                      ner Steuerberaterin und einer Buchhal-
                                                                                      terin. Für den Ladenausbau hatten sie
kann, wie ihr Produkt eingebaut wird.       Dort waren sie das einzige Frauenteam.    außerdem eine Architektin engagiert.
Prompt halten die Geschäftspartner          „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass    Um „fachlich und sachlich“ diskutieren
den Studenten für den Chef. „Plötzlich      wir immer sehr das Einhorn unter den      zu können, erklärt die 25-jährige Jana,
redeten alle nur noch mit ihm“, berich-     Start-ups sind“, sagt Katharina. Jetzt,   die vorher eine Ausbildung zur Kauf-
tet die 29-jährige Katharina. Das war       da sie sich einen Namen gemacht ha-       frau für Marketingkommunikation ab-
nur eine von vielen Situationen, in der     ben, verliefen Gespräche mit männli-      solviert hat.
Geschäftspartner Tanja und Katharina        chen Geschäftspartnern in der Regel
nicht auf Anhieb ernstnahmen. Gerade        auf Augenhöhe. Negative Erlebnisse wie    IN DER GESELLSCHAFT
in der Anfangsphase ihres Start-ups,        bei besagtem Businesstreffen blieben      VERANKERTE STEREOTYPE
das sie 2016 gegründet haben, sei das       aber länger im Gedächtnis. Eine Kehrt-
öfter vorgekommen, erzählt Kathari-         wende hin zum respektvollen Umgang        Im Start-up-Bereich finden sich gesell-
na. Sie hat vorher BWL und Kunstge-         bemerkten Tanja und Katharina meist,      schaftliche und kulturelle Rollenbilder
schichte studiert.                          sobald das Gegenüber die Kompetenz        und Stereotype, die sich produzieren
                                            der beiden erkannt hätte.                 und reproduzieren, erklärt Alexander
SEXISMUS ERLEBEN                                                                      Hirschfeld, einer der Autor*innen des
DIE FRAUEN HÄUFIG                           Ähnliche schlechte Erfahrungen haben      Female Founders Monitors (FFM). Seit
                                            auch die drei Geschäftsführerinnen des    2018 untersucht die Studie die Diver-
Die beiden Gründerinnen aus Köln sa-        Unverpacktladens und angeschlosse-        sität der deutschen Start-ups und be-
gen, sie befinden sich mit ihrer Firma      nen Low-Waste-Cafés Püngel & Prütt        leuchtet die Ursachen für die immer
gerade in einer Wachstumsphase, sind        in Mülheim an der Ruhr gemacht. Lara,     noch niedrige Frauenquote. Der Bericht
mittlerweile zu neunt im Unternehmen.       Jana und Ariane haben sich Anfang         zeigt, dass diese sich in den letzten Jah-
Nicht überraschend zu Zeiten, in denen      2020, kurz vor Beginn der Coronapan-      ren kaum verändert hat. Der Anteil von
Hygiene eine so bedeutende Rolle spielt     demie, selbständig gemacht. Einige        reinen Frauenteams geht auseinander,
wie in der Pandemie. Denn sie verkau-       Male mussten sie sich sexistische Sprü-   je nachdem, welche Studie vorliegt. Der
fen ein Modul, das Rolltreppenläufe mit     che von Geschäftspartnern anhören.        Female Founders Monitor kommt auf
UV-Licht von Keimen befreit. Mittler-       Zum Beispiel antwortete einer auf den     10,9 Prozent. Eine Studie der Unter-
weile haben sie außerdem eine antibak-      Hinweis, dass die Heizung kaputt sei,     nehmensberatung Boston Consulting
terielle Beschichtung entwickelt, die auf   dass er vorbeikommen und die Frau-        Group von 2019 verortet den Anteil bei
Treppengeländer und andere Flächen          en wärmen könnte. Auch mit Kunden         nur vier Prozent.
aufgesprüht wird.                           habe es solche Situationen gegeben –
                                            wenn auch selten. Einer erzählte ihnen    Beide Studien kommen zu dem Schluss,
Als junge Frauen im Technikbereich          etwa, dass Frauen besser in der Küche     dass ein Hauptgrund dafür die Finan-
sind sie immer noch die Ausnahme.           aufgehoben seien und das Putzen in        zierung ist. Denn wer sich mit einem
Das haben die beiden bereits im Grün-       den Genen hätten.                         eigenen Unternehmen selbstständig

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machen will, braucht Kapital. Die meis-    Finanzierungsrunde gegen sie entschie-     men und so behandelt, wie er wohl auch
ten Gründer*innen greifen dafür auf        den. Jahre später habe er offenbart, er    mit männlichen Kunden umgehen wür-
eigene Ersparnisse zurück. So auch         hätte nicht geglaubt, dass sie so lange    de.Bei Start-ups herrscht das Klischee
Tanja und Katharina, die den Start des     durchhalten. „Er dachte, dass wir uns      von Gründer*innen vor, die regelmäßig
Unternehmens und den ersten Testlauf       nach dem Studium einen Mann suchen,        Überstunden leisten oder sich ander-
selbst finanziert haben. Doch sobald es    heiraten, Kinder kriegen und keinen        weitig für das Geschäft aufopfern. Dass
um staatliche oder investitionsbasierte    Bock mehr auf die Gründung haben“,         da etwas Wahres dran ist, bestätigen
Finanzierung geht, wird deutlich, dass     sagt die 28-jährige Juristin Tanja. „Das   die Gründerinnen. Katharina und Tanja
Geldgeber*innen Frauen- und Männer-        ist schon etwas schockierend zu hören.“    verzichteten etwa in ihrer Gründungs-
teams unterschiedlich bewerten. Die        Man kann laut Alexander Hirschfeld da-     phase eine Zeit lang auf ihr Gehalt.
Daten des FFM zeigen: Besonders Busi-      von ausgehen, dass diese Diskriminie-
ness Angels und Venture Capitalists        rung nicht bewusst geschieht. Vielmehr     Auch Ariane, Lara und Jana vom Un-
(Näheres dazu in der Infobox) bevorzu-     seien strukturelle und kulturelle Grün-    verpacktladen blicken auf eine stressi-
gen Männerteams eindeutig. Die Stu-        de die Ursache. „Die Investoren sehen      ge Zeit zurück. Vor allem in der Pha-
die der Boston Consulting Group gibt       in Männern etwas anderes als in Frauen     se kurz vor der Eröffnung. Bis zu 70
zudem an, dass 96 Prozent der deut-        und stellen deshalb andere Fragen.“        Stunden pro Woche hätten sie im La-
schen Venture Capital-Unternehmen                                                     den gearbeitet. In den ersten Monaten
ausschließlich von Männern geführt         GRÜNDERINNEN WÜNSCHEN                      standen sie regelmäßig zwölf Stunden
werden. Venture Capital finanzierte laut   SICH BESSERE VEREINBARKEIT                 pro Tag im Geschäft und das bei ei-
FFM im vergangenen Jahr 1,6 Prozent                                                   nem Lohn, der eher auf dem Niveau
Frauenteams der deutschen Start-up-        Mit der Finanzierung hatten die Frau-      eines „Studijobs“ liegt, sagen sie. Die
Branche und 17,6 Prozent Männer-           en vom Unverpacktladen Püngel &            Arbeitszeit sei seitdem gesunken, der
teams. Business Angels finanzierten        Prütt weniger Probleme als gedacht,        Stundenlohn – der Pandemie geschul-
laut FFM im vergangenen Jahr 25,7          sagen sie. Ihr Startkapital hätten sie     det – aber kaum gestiegen.
Prozent reine Männerteams und nur          sich durch eine Crowdfunding-Aktion
7,7 Prozent Frauen-Teams.                  sichern können. Anschließend hätten        Bei so viel Einsatz für das eigene Projekt
                                           sie relativ zügig einen Bankkredit be-     stellt sich die Frage nach der Verein-
Auf der Suche nach Geldgeber*innen         kommen. Mit ihrem Bankberater hät-         barkeit von Arbeit und Familie umso
sind Tanja und Katharina mit ihrer Fir-    ten sie im Gegensatz zu vielen anderen     mehr. Auch die Geschäftsführerinnen
ma UVIS ebenfalls abgelehnt worden.        Geschäftspartnern positive Erfahrun-       von UVIS und Püngel & Prütt werden
Ein Business Angel hatte sich bei einer    gen gemacht. Er habe sie ernst genom-      sich diese Frage in Zukunft vielleicht

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stellen müssen. Der Founders Monitor        Frauen den Kontakt zu anderen Start-         mal das Angebot, einen weiteren Laden
von 2019 zeigt, dass Gründerinnen mit       up-Unternehmer*innen noch ähnlich            zu übernehmen. „Beide Male mussten
Kindern wesentlich weniger Zeit für ihr     gut bewerten, wächst die prozentuale         wir uns nur kurz angucken und wuss-
Start-up zur Verfügung haben als Grün-      Lücke, wenn es um die Kooperation mit        ten, dass wir das nicht wollen“, erklärt
der mit Kindern. Im FFM 2020 wünsch-        etablierten Unternehmen oder den Zu-         Jana. Durch die Pandemie hätten sie
ten sich 41,3 Prozent der befragten         gang zu Kapital und Investitionen geht.      bisher ohnehin nicht die Gelegenheit
Mütter mehr politische Unterstützung                                                     gehabt, Laden und Café als Treffpunkt
zur Vereinbarkeit, wohingegen das nur       Aus der niedrigen Frauenquote bei            voll auszukosten. In Zukunft wollen sie
19,7 Prozent der Väter angaben. „Das        Start-ups lässt sich allerdings nicht        auch Workshops und Konzerte im Café
bringt gut zum Ausdruck, dass sich          schlussfolgern, dass Frauen kein Inte-       veranstalten.
Frauen selbst in diesem Bereich am          resse an Selbstständigkeit haben. Das
Ende häufiger um die Kinder kümmern.        verdeutlicht die Zahl der Existenzgrün-      NACHHALTIGKEIT FÜR
Das zeigt, dass es auch hier nach wie vor   dungen. Der Unterschied zwischen bei-        GRÜNDERINNEN VORRANGIG
eine recht traditionelle Rollenverteilung   den Modellen ist, dass Start-ups wach-
gibt“, erläutert Alexander Hirschfeld.      sen wollen, Existenzgründungen nicht.        „Keine von uns hat, glaube ich, den An-
Zwar befragt die Studie nur Frauen,         Laut Gründungsmonitor 2020 der Kre-          spruch hiermit reich zu werden“, sagt
die schon ein erfolgreiches eigenes Un-     ditanstalt für Wiederaufbau (KfW) liegt      die 26-jährige Ariane. Finanziell solle
ternehmen haben. Dennoch könne das          der Frauenanteil bei Existenzgründun-        es nach der Pandemie gerne bergauf
laut Hirschfeld ein Hinweis darauf sein,    gen mit 36 Prozent deutlich höher als        gehen, aber ihre Hauptmotivation sei,
dass die Familienplanung Frauen häufig      bei Start-ups. Bemerkenswert ist außer-      nachhaltig zu leben und nah und un-
vom Gründen abhält.                         dem, dass gerade die Anzahl von Frauen       verpackt einkaufen zu können. Mit dem
                                            steigt, die sich in Teilzeit selbstständig   Geschäft wollen sie Umwelt- und Klima-
FRAUEN GRÜNDEN SELTENER                     machen. Die Zahl neuer Unternehmen           schutz vorantreiben. Lara, die neben-
WACHSTUMSORIENTIERT                         von Frauen, die Vollzeit beschäftigt         bei Soziologie studiert, ergänzt: „Es ist
                                            sind, sinkt seit 2018. Bei Männern hin-      nicht mehr zu bestreiten, dass sich was
Mitverantwortlich für ein erfolgreiches     gegen steigt aktuell die Anzahl neuer        ändern muss auf ganz vielen Ebenen.“
Start-up sei außerdem das richtige Netz-    Firmen in Voll- und in Teilzeit.
werk, stellt der Female Founders Moni-                                                   Das findet auch Katharina von UVIS:
tor fest. Ähnlich wie die Finanzierung      Ariane, Jana und Lara haben gerade kei-      „Es macht gerade auch wirklich Spaß,
seien Kontakte eine wichtige Ressource.     ne Lust auf Wachstum. Seit dem Start         dass man ein Produkt hat, mit dem man
Während die befragten Männer und            ihres Geschäfts hatten sie bereits zwei-     helfen kann und nicht nur ein Konsum-

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gut vertreibt.“ Sie und Geschäftspartne-    die Caretaker, sondern auch, wenn sie        Wenn es um Studien zu Gründungen
rin Tanja entwickelten das UV-Modul         Unternehmen gründen.“ Männer hin-            und Selbstständigkeit geht, werden vor-
zu Zeiten der Schweinegrippe für ei-        gegen seien risikobereiter und würden        rangig erfolgreiche Geschäftsfrauen be-
nen Schüler*innenwettbewerb und lie-        so schneller die Insolvenz in Kauf neh-      fragt. So wie auch beim Female Founders
ßen es sich anschließend patentieren.       men. Dabei trete in den Hintergrund,         Monitor und der Studie der Boston Con-
Dass Green Economy und eine soziale         „was sie damit ihren Mitarbeiter*innen       sulting Group. Zum Scheitern der Selbst-
Unternehmensführung für Start-up-           antun und somit auch den Familien            ständigkeit von Frauen fehlen hingegen
Gründer*innen in Deutschland immer          dahinter“, schätzt Banning. Für die          repräsentative Erhebungsdaten. Solche
wichtiger werden, belegen die Daten des     Frauen von UVIS sei Aufgeben nie eine        Studien könnten die Ursachen dafür,
Female Founders Monitor. Frauen leg-        Option. „Wichtig ist es nichtsdesto-         dass Frauen in diesem Bereich unterre-
ten hierbei im Vergleich zu den männ-       trotz Rückschläge einzuordnen und zu         präsentiert sind, erfassen und das Aus-
lichen Kollegen noch etwas mehr Wert        bewerten, um daraus zu lernen.“              maß klarer benennen.
auf Sinnhaftigkeit. Für Männer sind
demnach ökonomische Ziele wichtiger
als für die befragten Frauen.

Über die Gefahr zu scheitern, denken         START-UP-LEXIKON                             Business Angels
Ariane, Lara und Jana vom Unver-                                                          Business Angels sind vermögen-
packtladen kaum nach. Trotz Corona           Venture-Capital                              de Privatpersonen, die Start-ups
seien sie optimistisch. Dass sie zu dritt    Bei Venture-Capital (Risikokapital)          gerade in der Anfangsphase als
sind und nicht alles alleine stemmen         handelt es sich um zeitlich begrenz-         Geldgeber*innen und/oder mit Rat-
müssen, sei eine Erleichterung.              te Kapitalbeteiligungen an jungen,           schlägen und Kontakten unterstützen.
                                             innovativen, nicht börsennotierten           Im Gegenzug erhalten sie Unterneh-
STUDIEN ZUM SCHEITERN                        Unternehmen. Diese zeichnen sich             mensanteile. Damit haben sie die
VON GRÜNDERINNEN FEHLEN                      durch ein überdurchschnittliches             Chance, an den Gewinnen eines jun-
                                             Wachstumspotenzial aus, obwohl sie           gen Unternehmens beteiligt zu wer-
Start-up-Coachin Jules Banning, die          sich zum Teil (noch) nicht rentieren.        den, teilen aber auch die Risiken. Laut
selbst schon einmal ein Unternehmen          Venture Capitalists können entweder          gründerplattform.de, einer Webseite
auflösen musste, zieht es vor, von           Einzelpersonen oder Gesellschaften           vom Bundeswirtschaftsministerium
„aufgeben“ statt von „scheitern“ zu          sein. Sie investieren oft gleichzeitig in    und der KfW-Bank, ist das Ziel der
sprechen. Dass sie weniger risikobereit      mehrere Projekte. Und tun das in dem         meisten Business Angels der erfolgrei-
seien, liegt für Banning am höheren          Bewusstsein, dass sie ihre Anlage            che Ausstieg aus dem Unternehmen.
Verantwortungsbewusstsein von Frau-          womöglich nicht wiederbekommen,              Dabei verkaufen sie die eigenen
en: „Sie sind nicht nur in der Familie       wenn ein Unternehmen scheitert.              Anteile gewinnbringend weiter.

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