Beethoven trifft auf Poppe & Widmann - NDR
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Beethoven trifft auf Poppe & Widmann Donnerstag, 26.09.19 — 20 Uhr Sonntag, 29.09.19 — 11 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal Freitag, 27.09.19 — 19.30 Uhr Musik- und Kongresshalle Lübeck
2 3 AL AN GILBERT L U D W I G VA N B E E T H O V E N ( 1770 – 18 27) Dirigent Ouvertüre zu Goethes Trauerspiel „Egmont“ f-Moll op. 84 CAROLIN WIDMANN Entstehung: 1810 | Uraufführung: Wien, 24. Mai 1810 | Dauer: ca. 8 Min. Violine Sostenuto ma non troppo – Allegro – Allegro con brio E N N O P O P P E ( *19 69 ) „Schnur“ für Violine und Orchester (Auftragswerk des Beethovenfests Bonn, finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung) Entstehung: 2019 | Uraufführung: Bonn, 24. September 2019 | Dauer: ca. 18 Min. Pause NDR ELBPHILHARMONIE J Ö R G W I D M A N N ( *1973 ) ORCHESTER Con brio Konzertouvertüre für Orchester Entstehung: 2008 | Uraufführung: München, 25. September 2008 | Dauer: ca. 12 Min. L U D W I G VA N B E E T H O V E N Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 Entstehung: 1811-12 | Uraufführung: Wien, 8. Dezember 1813 | Dauer: ca. 38 Min. I. Poco sostenuto – Vivace II. Allegretto III. Presto IV. Allegro con brio Dauer des Konzerts einschließlich Pause: ca. 2 Stunden Einführungsveranstaltungen mit Alan Gilbert und Julius Heile am 26.09. und 29.09. jeweils eine Stunde vor Konzertbeginn im Großen Saal der Elbphilharmonie Das Konzert am 26.09.19 ist live zu hören auf NDR Kultur Einführungsveranstaltung mit Julius Heile und live im Stream zu sehen auf concert.arte.tv, auf ndr.de/eo sowie am 27.09. um 18.30 Uhr auf der „Galerie Wasserseite“ der Musik- und Kongresshalle in der EO-App. Danach bleibt es als Video-on-Demand online abrufbar.
ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS 5 Klassizität und Neuheit „Klassik“ – dieser Begriff für die europäische Kunstmusik im Allgemei- nen und die Musik der „Wiener Klassiker“ Haydn, Mozart und Beethoven im Besonderen beinhaltet Vorstellungen des Maßvollen, Meisterhaften und zeitlos Gültigen. Doch was die Nachwelt als gegeben und unüber- trefflich ansah, das stellte sich aus Sicht der Komponisten ein wenig anders dar: Sie suchten, probierten und verwarfen, und sie schrieben Werke, die ihre Zeitgenossen ganz unerhört fanden. Wie ungewohnt und experimentell gerade Ludwig van Beethovens Musik oftmals auf ihr Publikum wirkte, das geht zwar schon aus mancher alten Konzert- kritik hervor. Noch besser können wir es uns aber vergegenwärtigen, indem wir dieser Musik Neukompositionen unserer eigenen Zeit zur Seite stellen. Umgekehrt profitieren auch aktuelle Werke, wenn sie nicht nur im engen Rahmen spezialisierter Festivals aufgeführt werden, son- dern in direkter Konfrontation mit Werken des klassisch-romantischen Kanons, auf den sie sich ja implizit häufig beziehen. Enno Poppe und Jörg Widmann reagierten mit den beiden zeitgenössischen Kompositio nen des heutigen Abends sogar ganz ausdrücklich auf Beethoven. Das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne will Alan Gilbert in seiner ersten Spielzeit als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters ausloten – zielgerichteter als mit der aktuellen Programm- folge könnte er das kaum tun.
6 ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS 7 Aus Liebe zum „Jeder Ton, den der Dichter: Beethovens Dichter anschlug, klang „Egmont“-Ouvertüre in seinem [Beethovens] Gemüte wie auf gleich Als das Wiener Hoftheater nach einer durch Napoleons Belagerung gestimmter, mitvibrie Begegnung zwischen Beethoven und Goethe in Teplitz 1812 render Saite wider.“ erzwungenen Spielpause im Herbst 1809 seine Pforten wieder öffnen (nach einer Zeichnung von Carl Röhling) konnte, setzte Theaterdirektor Joseph Hartl von Luchsenstein gleich zwei Freiheits-Epen auf den Spielplan: Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ und Johann Wolfgang von Goethes „Egmont“. Durch den Krieg hatten E.T.A. Hoffmann nach einer „Egmont“-Aufführung beide Stücke an Aktualität gewonnen. Den Auftrag, eine neue Schau- spielmusik zum „Egmont“ zu schreiben, erhielt Beethoven – eine glückliche Wahl, denn Goethe war der bevorzugte Dichter des Kompo- nisten, und auch das Sujet des Dramas, Suche nach Gerechtigkeit, und Komponisten E.T.A. Hoffmann von 1813: „Mancher Komponist hätte Auflehnung gegen Unterdrückung, Sieg der Freiheit, bewegte ihn stark. eine kriegerische, stolz daherschreitende Ouvertüre zum ‚Egmont‘ ge- Goethes 1788 veröffentlichtes Trauerspiel führt das Publikum in die setzt, aber an jene tiefere, echt romantische Tendenz des Trauerspiels, spanische Niederlande des 16. Jahrhunderts. Graf Egmont hält zu kurz, an Egmonts und Clärchens Liebe, hat sich unser sinniger Meister Beginn der Handlung noch loyal zur spanischen Krone, bittet diese in der Ouvertüre gehalten. Man ist sonst in Beethovenscher Instru- jedoch um Toleranz gegenüber den Anhängern der Reformation. mental-Musik an eine reiche Ausbeute genialischer kontrapunktischer Vergeblich, denn der König schickt den brutalen Herzog von Alba, Wendungen, kühner Ausweichungen usw. gewöhnt: wie sehr der Meister der den drohenden Aufstand unterdrücken soll. Egmont unterschätzt aber mit seinem Reichtum hauszuhalten und ihn zu rechter Zeit zu die Gefahr und wird eingekerkert. Seine Geliebte Clärchen versucht spenden versteht, beweist die hier in Rede stehende Komposition, die seine Befreiung zu organisieren, scheitert aber und nimmt sich mit Gift ohne im mindesten für sich selbst glänzen zu wollen, ganz dem Sinne das Leben. Am Ende wird Egmont hingerichtet – er stirbt im Bewusst- des Dichters folgt, und sich seiner Tendenz anschmiegt.“ sein, dass sein Tod nicht umsonst ist, sondern zur Befreiung der Niederlande von den Spaniern führen wird. Während die gesamte Schauspielmusik aufgrund der veränderten Aufführungspraxis heute nur noch selten erklingt, zählt Beethovens Beethovens Identifikation mit seiner Aufgabe geht aus einem Brief an „Egmont“-Ouvertüre nach wie vor zu seinen beliebtesten Werken. Sie seinen Verlag Breitkopf & Härtel hervor. Darin heißt es, er habe die beginnt mit einer düsteren langsamen Einleitung, deren Sarabanden- „Egmont“-Musik „bloß aus Liebe zum Dichter geschrieben und um rhythmus (Dreiertakt mit Betonung auf der Zwei) sich zweifellos be- dieses zu zeigen, nichts dafür von der Theaterdirektion genommen.“ reits auf den Inhalt des Dramas bezieht: Die höfische Tanzform der Dass die Zeitgenossen Beethovens Musik als kongeniale Ergänzung Sarabande ist spanischen Ursprungs. Im schnellen Hauptteil behält zum Schauspiel wahrnahmen, zeigt eine Rezension des Schriftstellers Beethoven den Dreiertakt und die Tonart f-Moll zunächst bei. Das Ge
8 ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS 9 schehen wird von kurzen, sich steigernden Motiven vorangetrieben, und das Ende der Reprise lässt an eine Eintragung in Beethovens Skizzen- „Ich glaube, mein ganzes buch denken: „Der Tod Egmonts könnte durch eine Pause angedeutet werden.“ Es folgt noch eine wirbelnde Coda in F-Dur und im geraden Leben ist eine tiefere Takt; sie nimmt die Siegessinfonie am Ende der Schauspielmusik vorweg. kompositorische Aus einandersetzung mit Vibrierendes Leben: Beethoven. Er schaut mir Enno Poppe „Schnur“ von irgendwie immer über die Enno Poppe Schulter beim Schreiben, ist immer dabei.“ Enno Poppes neues Violinkonzert ist das fünfte und letzte Werk einer Enno Poppe Reihe von Auftragskompositionen, mit denen das Beethovenfest Bonn seit 2015 alljährlich einen Gegenwartskomponisten zur Auseinander- setzung mit einer historischen Gattung und einem konkreten Werk Beethovens anregen will. Wobei dieser Impuls in Poppes Fall gar nicht fehlen und die verbalen Äußerungen der Komponisten und Theoretiker notwendig gewesen wäre. Für ihn ist Beethoven „die Muttermilch, aber sich zu widersprechen scheinen. Unzweifelhaft setzten Solisten die auch das Vatertrauma“, so der Komponist im Gespräch mit dem Musik- „Bebung“ oder das „Tremolo“ als Verzierung ein, doch das heute sogar journalisten Björn Gottstein. Was Poppe an Beethoven fasziniert, sind im Orchester übliche kontinuierliche Vibrato war, wenn nicht unbekannt, eher allgemeine Denkweisen als Details einzelner Stücke – vor allem so doch verpönt. Erst um 1920 erfuhr es durch Violinvirtuosen wie die Art, wie das musikalische Material „entfaltet, zerstört und neu Fritz Kreisler eine enorme Aufwertung, galt von nun an als probates zusammengesetzt wird.“ Einen konkreten Bezug zu Beethovens be- Mittel, um Tönen mehr Ausdruck und Leben zu geben. Wie genau man rühmtem Violinkonzert D-Dur op. 61 kann man immerhin in der fast vibriert – wie man also mit dem linken Unterarm oder den Fingern wie- identischen, nur durch eine zweite Flöte und zusätzliches Schlagwerk derkehrende, geringfügige Veränderungen der Höhe eines gehaltenen erweiterten Orchesterbesetzung sehen, außerdem im besonderen Tons bewirkt –, das betrachten Interpreten als eine sehr persönliche Verhältnis der Sologeige zur Pauke (und anderen Schlaginstrumenten). Sache. Viele rechnen die Entscheidung, wie ein Ton durchs Vibrato gefärbt wird, ihrer eigenen Kompetenz zu; sie möchten nicht, dass Doch das eigentliche Thema des neuen Werks wäre zu Beethovens Zeit Komponisten in ihren Partituren darüber verfügen. wohl keinem Komponisten in den Sinn gekommen: das Streicher- Vibrato. Welchen Stellenwert es um 1800 überhaupt hatte, darüber Carolin Widmann lässt sich nun aber darauf ein, ähnlich wie zuvor be- herrscht unter den Musikhistorikern keine Einigkeit, da Tonaufnahmen reits Tabea Zimmermann, für die Poppe 2014 sein Bratschenkonzert
10 ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS 11 „Filz“ schrieb. Mit beiden Streicherinnen arbeitete der Komponist intensiven Austausch mit den Komponisten vergangener Zeiten pflegt, eng zusammen, ließ sich von ihnen Möglichkeiten der Tongestaltung dürfte zurückwirken auf seine schöpferische Arbeit. In Streichquartet- vorführen. In der Solostimme des Violinkonzerts schlägt sich das in ten oder Solokonzerten bezieht sich Widmann auf historische Gattun- sehr differenzierten Spielanweisungen nieder, die von „non vibr.“ gen, Satzstrukturen und Spielhaltungen, ebenso in der 2008 entstan- über „poco vibr.“, „vibr. dolce“, „vibr. lento“, „vibr. molto“ bis zur Wort- denen Konzertouvertüre „Con brio“, für die sich sogar ein konkreter neuschöpfung „vibratissimo“ und zum „vibr. exaggerato“, dem über- Anknüpfungspunkt nennen lässt: Mariss Jansons wünschte sich für das triebenen Vibrato reichen. Hinzu kommt die weniger spezifische Aus- von ihm geleitete Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ein drucksbezeichnung „espressivo“, die Interpreten oft als Auslöser für kurzes Stück, das zusammen mit Beethovens Sinfonien Nr. 7 und Nr. 8 gesteigertes Vibrato verstehen. Hinzu kommt außerdem sehr häufig aufgeführt werden sollte. ein mehr oder weniger rasches Pendeln zwischen zwei durch Glissando (rutschende Bewegung) verbundenen Tönen – es ist im Grunde nichts Nun sind zwar in Widmanns Komposition wörtliche Zitate aus diesen anderes als ein in Frequenz und Amplitude genau fixiertes Vibrato. Werken kaum zu entdecken, dafür aber subtilere Ähnlichkeiten und Kombiniert werden all diese Vibrato-Nuancen mit anderen Techniken Bezüge. Das beginnt erneut bei der Besetzung, die genau mit der der Tonmodulierung wie etwa „Bogenvibrato“ (rhythmisches Pulsieren jenigen der beiden Beethoven-Sinfonien übereinstimmt: doppeltes mit dem Bogen) oder „flautato“ (luftige, flötenartige Töne, die ent- Holz (je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotte), sparsames Blech stehen, wenn man den Bogen mit geringem Druck über dem Griffbrett (nur zwei Hörner und zwei Trompeten) sowie Pauke und Streicher. bewegt). Welche Art von Musik sich nun aus diesem Material ergibt – Der Titel „Con brio“ (mit Feuer, Lebhaftigkeit, Schwung) greift eine bei das suggeriert womöglich der Begriff „Schnur“. Er ist einer der für Beethoven häufige Tempo- und Ausdrucksbezeichnung auf. Sie findet Poppe typischen Ein-Wort-Titel, die der Komponist nicht kommentiert, sich beispielsweise in der Siebten (Finale), der Achten (Kopfsatz) oder die aber im Bewusstsein des Hörers weite Assoziationsräume öffnen. der „Egmont“-Ouvertüre, und sie steht für einen schnellen Bewegungs Im vorliegenden Fall mag man an schnurgerade oder gewundene Linien typus, ein rhythmisches Drängen, das oft mit schroffen, das Metrum denken, an Schleifen, Knoten und Geflechte, an gezwirnte Fasern untergrabenden Akzenten verbunden ist. Genau dieser Typus interes- unterschiedlicher Farbe, Textur, Stärke und Elastizität. sierte Widmann, der sein Werk „zwischen festlich-feierlichem Ouver- tür engestus und permanentem Finalcharakter angesiedelt“ sieht. Außerdem sei es „gespickt mit grimmigen Scherzo-Elementen“ – wo runter wohl bereits der Beginn fällt: Nach einem kurzen Paukensolo Rasantes Tempo, hört man einen F-Dur-Akkordschlag, aus dem sofort und im buchstäb- lichen Sinn „die Luft herausgelassen“ wird. Insgesamt ist „Con brio“ ein grimmiger Humor: ungemein rasantes Stück, das aber immer wieder auch seine ruhigen Momente hat. Es endet, anders als „Egmont“-Ouvertüre und Siebte Sin Widmanns „Con brio“ fonie, nicht triumphal, sondern nach auskomponierter Verlangsamung in einem dumpfen Pizzicato, also gleichsam mit einem Fragezeichen. Jörg Widmann Jörg Widmann ist nicht nur ein weltweit gefragter Komponist, sondern zugleich ein Klarinettist von höchstem Rang. Dass er als Interpret
12 ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS 13 Siegesmusik oder „Nun haben die Extra irre Orgie? vaganzen dieses Genius Beethovens Siebte das non plus ultra er Sinfonie reicht; Beethoven ist nun ganz reif fürs Irrenhaus.“ Seite aus Beethovens eigen- händiger Reinschrift der Partitur der Siebten „Die Klassizität der Sinfonien des Herrn van Beethoven, des größten Carl Maria von Weber über Beethovens Sinfonie Nr. 7 Instrumental-Komponisten unserer Zeit, ist anerkannt. Diese neueste erwirbt dem genialen Verfasser nicht geringere Bewunderung als die älteren, vielleicht ist es sogar ein wichtiger Vorzug, den sie vor diesen behauptet, dass sie, ohne ihnen in der Künstlichkeit des Satzes nach- ersten Wiedergaben stand die Sinfonie zusammen mit Beethovens zustehen, in allen Teilen so klar, in jedem Thema so gefällig und leicht antinapoleonischem Schlachtengemälde „Wellingtons Sieg oder die fasslich ist, dass jeder Musikfreund, ohne eben Kenner zu sein, von ihrer Schlacht bei Vittoria“ und der Kantate „Der glorreiche Augenblick“ Schönheit mächtig angezogen wird, und zur Begeisterung entglüht.“ auf dem Programm. Viele verstanden deshalb auch die Siebte im Sinne Wie dieser zeitgenössische Konzertbericht zeigt, reagierten Publikum der freudigen Sieges- und Freiheitsstimmung. Eine ganze Reihe weiterer und Kritik von Beginn an positiv auf Beethovens siebte, 1811/12 kom- außermusikalischer Deutungen findet sich noch bis ins 20. Jahrhundert ponierte Sinfonie. Das mochte zum einen an den genannten Vorzügen in der Beethoven-Literatur: Die Vermutungen reichen vom „antiken der Klarheit und Fasslichkeit liegen, zum anderen sicher auch an den Rebenfest“ bis zur Hochzeitsfeier, vom Ritterfest bis zur Militärsinfonie Umständen der Uraufführung am 8. Dezember 1813. An ihr nahmen die und schließlich auch zur Idee, es handle sich um vertonte Szenen aus besten Musiker Wiens teil, darunter die Komponisten Johann Nepomuk Goethes „Wilhelm Meister“. Zwar kann nichts davon belegt werden, Hummel, Giacomo Meyerbeer, Ignaz Moscheles, Antonio Salieri und doch der Gedanke, hinter den Noten verberge sich ein Programm, Louis Spohr; Beethoven selbst sprach danach gerührt von einem scheint nach der „Eroica“ und der „Pastorale“ immerhin verständlich. „Nonplusultra der Kunst“. Außerdem hatte zwei Monate zuvor die Völ- Beethoven allerdings wehrte sich stets gegen allzu konkrete Aus kerschlacht zu Leipzig den Untergang Napoleons eingeleitet, und die deutungen; er wollte nur Erklärungen gelten lassen, die sich „auf die „Große Akademie“, in der die Sinfonie zu hören war, fungierte als Charakteristik des Tonstücks im allgemeinen beschränken“. Wie dem Wohltätigkeitskonzert zugunsten der in der Schlacht bei Hanau „invalide auch sei – lebensbejahend und heiter wird man das Werk auf jeden gewordenen österreichischen und bayerischen Krieger“. Fall nennen dürfen. Weitere Aufführungen gab es während des Wiener Kongresses Das gilt schon für den Eröffnungssatz, dessen Vivace-Hauptteil durch (September 1814 bis Juni 1815), als Diplomaten aus vielen Ländern einen Tanz im hüpfenden 6/8-Takt bestimmt wird. Zuvor jedoch erklingt die Neugliederung Europas verhandelten und sich dazu ein üppiges die längste langsame Einleitung, die Beethoven je für eine Sinfonie ge- gesellschaftliches und kulturelles Beiprogramm gönnten. Bei diesen schrieben hat. Mit ihren beiden selbständig geführten Themen und ihrer
14 ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN KONZERTS großen Vielfalt musikalischer Ideen wirkt diese Introduktion fast wie ein eigener Sinfoniesatz. Das Vivace selbst basiert fast ganz auf dem Eröffnungsthema – und auf dem daktylischen Rhythmus (lang-kurz-kurz) sowie den Tonrepetitionen, die dann auch den zweiten Satz beherrschen. Einen wirkungsvollen Kontrast zum Vivace bildet das Allegretto, das in der Siebten den langsamen Satz ersetzt, aber dennoch: Zuerst stellt ein trauriger Bläserakkord in a-Moll die vorangegangene Siegesstimmung in Frage. Über einem zweitaktigen Ostinato-Rhythmus – er bleibt selbst im Dur-Mittelteil hörbar – entfaltet sich dann immer mächtiger und be- drohlicher ein Klagegesang. Die zeitgenössischen Hörer mussten ihn zweifellos als einen Trauermarsch für die Gefallen der Schlacht verste- hen. Der Satz war einer zeitgenössischen Kritik zufolge „ein Lieblings- stück aller Kenner und Nichtkenner, das auch den in der Tonkunst gar nicht Unterrichteten innig anspricht, durch seine Naivität und einen gewissen geheimen Zauber alles unwiderstehlich hinreißt, und dessen Wiederholung bisher noch bei jeder Aufführung mit Enthusiasmus erzwungen worden ist“. Mitreißende Rhythmen prägen wieder das folgende Scherzo, das zweimal von einem kantableren Trio unterbrochen wird. In diesem Satz klingen auch Lieder aus der „Egmont“-Musik an. Die späteren Cha rakterisierungen als „Orgie des Rhythmus“ (Romain Rolland) oder „Apotheose des Tanzes“ (Richard Wagner) hat Beethovens Siebte vor allem ihrem Finale zu verdanken. Nach zwei Akkordschlägen bricht hier ein wahrer Sturm rhythmischer Energie und rasender Bewegung los. Zwar waren einige Zeitgenossen der Meinung, „dass diese Sinfonie nur im unglücklichen – im trunkenen Zustand komponiert sein könne“ (so Schumanns Schwiegervater Friedrich Wieck), oder verlangten, der Komponist müsse für dieses Stück ins „Irrenhaus“ geschickt werden (Carl Maria von Weber). Der weitaus größere Teil der Zuhörer reagierte jedoch mit höchster Begeisterung auf den geradezu ekstatischen Schluss von Beethovens Siebter Sinfonie. Jürgen Ostmann
16 DIRIGENT DIRIGENT 17 Orchestra, der Staatskapelle Dresden, dem Gewandhausorchester Leipzig oder dem Orchestre Philharmonique de Radio France zurück. Er hat Opernproduktionen an der Mailänder Scala, der Metropolitan Opera New York, Los Angeles Opera, Königlichen Oper Stockholm, am Opernhaus Zürich und an der Santa Fe Opera geleitet, zu deren erstem Alan Music Director er 2003 ernannt wurde. Den gelernten Geiger verbindet außerdem eine enge künstlerische Partnerschaft mit Interpreten wie Frank Peter Zimmermann, Lisa Batiashvili, Leonidas Kavakos, Yo-Yo Ma, Gilbert Emanuel Ax, Renée Fleming und Komponisten wie John Adams, Magnus Lindberg und Esa-Pekka Salonen. Gilberts Diskografie umfasst u. a. die CD-Box „The Nielsen Project“ und eine mit dem Grammy Award ausgezeichnete DVD mit John Adams’ „Doctor Atomic“ live aus der New Yorker Met. Der mit zahlreichen renommierten Preisen und Ehrungen ausgezeichnete Dirigent war darüber hinaus Leiter des Bereichs Die aktuellen Konzerte im Rahmen des Festivals „Klingt nach Gilbert“ für Dirigier- und Orchesterstudien an der New Yorker Juilliard School. markieren den Amtsantritt von Alan Gilbert als neuer Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Der Amerikaner genießt in der inter- Neben den zahlreichen Konzerten mit dem NDR Elbphilharmonie nationalen Musikwelt einen herausragenden Ruf als leidenschaftlicher Orchester wird Alan Gilbert in der Saison 2019/20 zum wiederholten Interpret eines breiten Repertoires vom Barock bis zur Gegenwart sowie Mal das Cleveland Orchestra, Tokyo Metropolitan Symphony, London als Künstler mit großem gesellschaftlichem Verantwortungsbewusst- Symphony und Royal Stockholm Philharmonic Orchestra sowie das sein. Dem NDR Elbphilharmonie Orchester ist er bereits seit langem Gewandhausorchester Leipzig und die Staatskapelle Dresden leiten. eng verbunden; von 2004 bis 2015 war er dessen Erster Gastdirigent. Darüber hinaus dirigiert er eine Produktion von Puccinis Oper „La fanciulla del West“ in Stockholm. Nach der Veröffentlichung der neuen 2017 ging Gilberts achtjährige Amtszeit als Music Director des New York Bruckner-CD mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester erscheint Philharmonic Orchestra zu Ende, wo es dem gebürtigen New Yorker außerdem eine neue Einspielung von Beethoven-Klavierkonzerten gelungen ist, den Ruf des Orchesters nochmals auszubauen und dessen mit der Academy of St Martin in the Fields und Inon Barnatan. führende Bedeutung in der kulturellen Landschaft der USA zu unter- streichen. Gilbert ist außerdem Ehrendirigent des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, dessen Chef er acht Jahre lang war, Erster Gastdirigent des Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra und Gründer der Organisation „Musicians for Unity“, die mit Unterstützung und Führung der Vereinten Nationen Musiker aus aller Welt mit dem Ziel der Förderung von Frieden, Entwicklung und Menschenrechten vereint. Als international gefragter Gastdirigent kehrt Gilbert regelmäßig zu Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Royal Concert gebouw Orchestra, Cleveland, Boston Symphony und Philadelphia
18 VIOLINE VIOLINE 19 sie Artist in Residence der Alten Oper Frankfurt. In derselben Spielzeit brachte sie ein Violinkonzert von Julian Anderson mit dem London Phil harmonic Orchestra zur Uraufführung. Kürzlich hob sie Jörg Widmanns Violinkonzert Nr. 2 in der Suntory Hall in Tokio aus der Taufe. Carolin Zu den Höhepunkten der Saison 2019/2020 gehören Wiedereinladungen zum Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, BBC Symphony Orchestra und zu den Dresdner Philharmonikern. Widmann wird außerdem das Widmann São Paulo Symphony Orchestra von der Geige aus leiten und an der Barockgeige zum ersten Mal mit der Accademia Bizantia musizieren. Daneben debütiert sie beim Orchestre de Chambre de Paris, Los Angeles Philharmonic Orchestra, Mahler Chamber, Scottish Chamber und Orpheus Chamber Orchestra. Die vielseitigen musikalischen Aktivitäten Carolin Widmanns reichen Als leidenschaftliche Kammermusikerin gastiert Widmann regelmäßig von Aufführungen der großen klassischen Konzerte und für sie eigens an den führenden Konzerthäusern, darunter die Wigmore Hall in London geschriebener Werke über Soloabende, eine große Bandbreite von und die Berliner Philharmonie. In der vergangenen Saison unternahm Kammermusik bis hin zum Spiel auf Originalinstrumenten, einschließ- sie große Recital-Tourneen durch Nord- und Südamerika und kehrte für lich Leitung von der Geige aus. 2017 wurde die Ausnahme-Künstlerin mit ein reines Beethoven-Programm an das Wiener Konzerthaus zurück. dem Bayerischen Staatspreis für Musik ausgezeichnet. Daneben gewann Ein besonderes Interesse hat sie an der Verbindung mit anderen Kunst sie für ihre gefeierte Aufnahme der Violinkonzerte von Mendelssohn formen. So gestaltete sie choreographierte Konzerte mit Sasha Waltz, und Schumann mit dem von ihr geleiteten Chamber Orchestra of Europe spielte bei einem von Daniel Libeskind kuratierten Projekt in einem einen International Classic Music Award, den sie bereits 2013 als Fußballstadion, entwarf Programme für Museen und wirkte bei einem „Musikerin des Jahres“ erhalten hatte. Projekt der Performance-Künstlerin Marina Abramović mit. Carolin Widmann hat mit weltweit führenden Orchestern zusammen- Carolin Widmann wurde in München geboren und studierte bei Igor gearbeitet, darunter die Berliner Philharmoniker, das Orchestre de Paris, Ozmin in Köln, Michèle Auclair in Boston und David Takeno in London. Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Royal Stockholm Seit 2006 ist sie Professorin an der Musikhochschule in Leipzig. Philharmonic, Sydney Symphony und Philharmonia Orchestra, das Sie spielt auf einer Guadagnini-Violine von 1782. Gewandhausorchester Leipzig, Tonhalle-Orchester Zürich und die Tschechische Philharmonie. Dabei konzertierte sie unter Dirigenten wie Sir Simon Rattle, Riccardo Chailly, Sir Roger Norrington, Sakari Oramo, Vladimir Jurowski, Daniel Harding, Christoph von Dohnányi und François-Xavier Roth. Darüber hinaus ist sie bei renommierten Festivals wie den Salzburger und Berliner Festspielen, dem Lucerne Festival, Festival d’Automne in Paris, Ravinia Festival und den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern aufgetreten. In der Saison 2014/2015 war
Foto: Olaf Malzahn 20 IMPRESSUM Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Programmdirektion Hörfunk Orchester, Chor und Konzerte Rothenbaumchaussee 132 20149 Hamburg Leitung: Achim Dobschall „ NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Management: Sonja Epping Musizieren ist für mich maximale Passion, Redaktion des Programmheftes Julius Heile Leidenschaft und Intensität. Der Einführungstext von Jürgen Ostmann ist ein Originalbeitrag für den NDR. “ MARTIN GRUBINGER Der Originalbeitrag von Alan Gilbert wurde von Andrea Kirchhartz ins Deutsche übersetzt. Fotos (Programmteil): AKG-Images (S. 7, 13); Harald Hoffmann (S. 9); Marco Borggreve (S. 10) Peter Hundert | NDR (S. 16); Lennard Rühle (S. 18) Fotos (Festivalteil): Peter Hundert | NDR (Titel, S. 4, S. 13, S. 18/19); Christian Spielmann | NDR (S. 6, 8, 9, 11); Cooper Copter (S. 7); Philip Gatward (S. 14); Kirk Edwards (S. 15) NDR Markendesign Design: Kolle Rebbe, Realisation: Klasse 3b Druck: Eurodruck in der Printarena HÖREN SIE DIE KONZERTE DES Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTERS Nachdruck, auch auszugsweise, AUF NDR KULTUR nur mit Genehmigung des NDR gestattet. Die NDR Kultur App – jetzt kostenlos herunterladen unter ndr.de/ndrkulturapp Hören und genießen
Alan Gilber t . Chefdirigent . „Für eine Musik, die ALLE erreicht.“
Festival zum Amtsantritt des neuen Chefdirigenten 2 3
„Jedem Zuschauer möchte ich einen leidenschaftlichen, persönlichen, zutiefst musikalischen Moment ermöglichen“ Alan Gilbert über seinen Amtsantritt als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters Der Beginn einer jeden Reise wird wohl von einer gespannten Er- wartung begleitet. Und so verwundert es nicht, dass auch ich jetzt, wo ich im Begriff bin, mein neues Amt als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters anzutreten, eine wunderbar aufgeregte Vorfreude verspüre. Sie erinnert mich an Zeiten meines Lebens, in denen ich neue Kapitel aufgeschlagen habe: die ersten Tage an der Universität oder das Kennenlernen einer neuen Klasse von Studenten zu Beginn eines neuen Lehrjahres. Aber diesmal ist es anders, denn in das Unbekannte mischt sich das angenehme Gefühl, nach Hause zu kommen, zurückzukehren in eine zutiefst vertraute Situation. Denn ich kenne das NDR Elbphilharmonie Orchester jetzt seit etwa 18 Jahren. Weltweit ist es eines der Orchester, das ich wohl am besten kenne, und ganz sicher ist es eines der Orchester, das ich am meisten liebe. Wir haben gemeinsam zahlreiche Konzerte ge- geben, sind in und um Hamburg aufgetreten und haben etliche Tourneen unternommen. Meine Jahre als Erster Gastdirigent waren für mich glückliche Jahre, die mich dem Orchester immer näher gebracht haben. Viele Musiker haben in dieser Zeit für eine Stelle im Orchester vorgespielt, und ich bin stolz, Teil des Prozesses ge- wesen zu sein, der sie nach Hamburg gebracht hat. Seit langem 4 5
betrachte ich das NDR Elbphilharmonie Orchester als Familie, und es ist eine Ehre, in dieser neuen Funktion zurückzukehren. Was wir jetzt gemeinsam beginnen, ist die natürliche Fortsetzung einer langjährigen Beziehung. Die besondere Chemie, die zwischen uns besteht, basiert jedoch auch auf vielem, was neu ist: auf Umständen, die sich radikal und fundamental geändert haben. Das Orchester hat sich fantastisch entwickelt, und das musikali- sche Wirken seiner beiden letzten Chefdirigenten gehört nun zu seinem reichen Erbe. In den letzten Jahren war es mir eine Freude, das Orchester in Konzerten unter Christoph von Dohnányi und Thomas Hengelbrock zu erleben, und es ist deutlich spürbar, wie sehr die Art ihres Musizierens Teil der Orchester-DNA geworden ist. Es ist zweifelsohne schwer, von sich selbst ein klares Bild zu haben, aber ich wage zu behaupten, dass auch ich mich verändert habe: denn ich hoffe doch sehr, in meiner Zeit als Musikdirektor der New Yorker Philharmoniker dazugelernt zu haben. Und auch Hamburg hat sich verändert, vielleicht am offensichtlichsten mit der Eröff- nung der spektakulären Elbphilharmonie, die bereits Kultstatus hat und praktisch über Nacht das Hamburger Musikleben verändert und der Stadt einen bedeutenden Platz in der internationalen Musikszene erobert hat. Was es für das Orchester selbst bedeutet, einen so prachtvollen Saal als Residenzspielstätte zu haben, kann gar nicht überschätzt werden. Wie ein Orchester spielt, hängt ganz entscheidend mit dem Raum zusammen, in dem es spielt – es ist Bei Alan Gilbert kommt vieles zusammen: musikalische Kompetenz, eine klare Schlagtechnik, vor allem aber die Fähigkeit, alles im Griff zu haben und dabei mit viel Emotion und Freude dabei zu sein. Simone Candotto Solo-Posaunist 6 7
fast so, als ob der Saal eine Art Meta-Instrument ist, das zu einem eine Sammlung von Werken immer und immer wieder zu ergänzen, wesentlichen Teil des Orchesterklangs wird. zu verändern, zu verwerfen und neu zu kombinieren, bis eine Spielzeit daraus entsteht. Es ist schwierig genug, das Programm Der für mich bedeutendste Unterschied jedoch ist so augenfällig, eines einzigen Konzerts festzulegen. Nun stellen Sie sich vor, Sie dass es banal erscheint, ihn überhaupt zu erwähnen: Jetzt bin ich müssten 25 unterschiedliche Programme mit vielfältigen Gast der Chefdirigent. Warum ist das so bedeutsam und worin liegt dirigenten und Solisten, die jeweils ihre eigenen Wünsche und Be- der Unterschied dazu, einfach nur mehr Konzerte mit demselben dürfnisse mitbringen, festlegen. Würzen Sie diese Mischung noch Orchester zu geben? Die ausführliche Antwort auf diese Fragen mit dem Wunsch nach einer ansprechenden Bandbreite von Stilen wäre lang und komplex und würde hier den Rahmen sprengen, und Genres, mit der Absicht, einzelne Stücke nicht zu oft zu wieder aber ein Chefdirigent oder eine Chefdirigentin ist in gewissem Sinne holen, der Notwendigkeit, nicht mit anderen Konzerten am selben verantwortlich für den musikalischen Zustand eines Orchesters, dafür zuständig, WIE es spielt. Er oder sie ist unmittelbar beteiligt, Ich mag Alan Gilberts innere Ruhe und sein hochprofessionelles neue Musiker zu berufen, und dient weithin als öffentliches Ge- Arbeiten. Mit ihm erreichen wir Höchstleistungen und überraschen unser Publikum mit magischen Momenten. Besonders schätze ich sicht des Ganzen. An anderer Stelle könnte es interessant sein, seine Klangvorstellung und seine rhythmische Präzision. Mit ihm genau zu erforschen, was dieser Job wirklich alles beinhaltet. Für am Pult klingt das Orchester satt und transparent. Alan Gilbert überträgt Vertrauen und Sicherheit, und es herrscht höchste Auf jetzt möchte ich mich auf ein paar Worte zu einem Aspekt dieser merksamkeit und Konzentration. Er hat stets den Überblick über neuen Beziehung beschränken, den ich für besonders interessant Claudia Strenkert das Ganze, übernimmt die Führung, wo es nötig ist, und lässt Freiraum für individuelle Interpretation. Man spürt einfach, dass und relevant halte: die Auswahl des Repertoires. Solo-Hornistin er die Bedürfnisse eines jeden Orchestermusikers kennt und respektiert. Jeder Abend mit ihm ist einzigartig. Das Programmieren von Musik, die ein Orchester spielt, ist eine der komplexesten unter den Planungsaufgaben, aber auch eine der schönsten und spannendsten. Ich habe es schon immer geliebt, Ort zu kollidieren (eine besondere Herausforderung an einem so vielbespielten Ort wie der Elbphilharmonie!) ... und Sie können sich Alan Gilbert hat Charisma, tritt aber gleichzeitig un vorstellen, was für eine komplizierte Denksportaufgabe es wird. prätentiös auf. Ich schätze seine Weltoffenheit und die Obwohl es nie die eine „richtige“ Lösung für dieses Puzzle gibt, ist Erfahrung, die er als Dirigent anderer Spitzenorchester mitbringt. Gilbert fordert von uns Musikern Aufmerk es unglaublich wichtig, es „richtig“ zu machen, und das aus vieler- samkeit für den kollektiven Klang und gleichzeitig die lei Gründen. Zuallererst bestimmt die Wahl des Programms das Flexibilität, in einem großen Orchester kammermusika lisch zu reagieren. Er stellt musikalisches Vertrauen her, Erleben unseres Publikums – sie IST das Erleben des Publikums. Benedikt Kany nicht nur zwischen sich selbst und dem Orchester, Jedem Zuhörer möchte ich einen leidenschaftlichen, persönlichen, sondern auch zwischen den einzelnen Musikern, wobei Kontrabass er als Vermittler perfekt agiert. Er ist in praktisch zutiefst musikalischen Moment ermöglichen. Ausgangspunkt für ein jedem Werk und jeder Epoche so zuhause, dass sich der solches Erlebnis ist einleuchtender Weise die Auswahl von Werken, Musizierfluss auf alle Musiker zwingend überträgt. die beim Hören packend und bedeutsam sind. Ich muss gleich dazusagen, dass das nicht notwendigerweise die Wahl „großer“ 8 9
Werke aus dem sogenannten Kanon der Meisterwerke ist. Wieso? nen, für die ich brenne. Die fantastischen Musiker des NDR Elb- Es ist philosophisch betrachtet äußerst schwierig, wenn nicht philharmonie Orchesters und ich haben kürzlich Brahms, Bruckner, unmöglich, zu entscheiden, was genau „groß“ ist. Und „groß“ als Beethoven und weiteres zentrales Repertoire des 19. Jahrhunderts Standard würde eine riesige Anzahl von lohnenden und wichtigen aufgeführt – nach unseren jüngsten Aufnahmesitzungen zu Werken ausschließen. Wichtig ist einzig, dass wir Werke präsentie- Bruckners Siebter Sinfonie kann ich es kaum erwarten, die unglaub ren, an die wir hundertprozentig glauben. Das bedeutet, wir haben liche Musik des Kernrepertoires weiter zu erforschen, das solch buchstäblich bei jedem Werk, das wir spielen, das Gefühl, es müsse eine wichtige Rolle in der Geschichte des NDR Elbphilharmonie unbedingt mit unserem Publikum geteilt werden, und es sei ein Orchesters gespielt hat. Die Erinnerung an die unvergesslichen Auf- Werk, das unser Verständnis davon erweitert, was es bedeutet, führungen von Ligetis „Le Grand Macabre“, mit dem das Orchester Mensch zu sein. im Frühjahr triumphierte, macht mich jedoch ebenso gespannt auf innovative zeitgenössische Musik, die wir erforschen wollen. Das sind hochgesteckte und womöglich unerreichbare Ziele. Aber ich glaube, es ist ein sinnvolles Streben. Sinnvoll, weil die Motivati- Alan Gilbert liebt die Musik und die Musik liebt ihn. Er ist ein onen hinter jeder möglichen Auswahl vielfältig sind und untrenn- Kumpel auf Augenhöhe und gleichzeitig ein Zauberer am Takt bar verbunden mit der Kombination der Stücke innerhalb einer stock, der mit unendlich viel musikalischem Geschmack, großem Einfühlungsvermögen und kleinsten Impulsen über hundert ge Programmzusammenstellung. Das heißt, die Art und Weise, wie wir bannte Musiker führen kann. Autorität ist ihm angeboren. Man hat Stücke zu einem Programm zusammenstellen, ist (fast) genauso Lust, seinen musikalischen Ideen zu folgen, weil sie intelligent und eindeutig sind. Trotzdem bleibt jedem Solisten im Orchester wichtig, wie die einzelnen Stücke selbst. Ich liebe es, Stücke gegen- genügend Raum, individuelle Gestaltung zu zeigen. Darüber Boris Bachmann überzustellen, die jedem einzelnen Werk den bestmöglichen 2. Violine hinaus kann man mit Alan Gilbert herrlich auch über ganz andere, nicht musikbezogene Dinge plaudern. Er ist an so vielen Dingen Rahmen geben, um leuchten zu können. Manchmal bedeutet das, der Welt interessiert. Stücke zusammenzustellen, die einander ähnlich und verwandt sind, manchmal, grelle und scharfe Kontraste zu bilden, und manchmal, ein vorgegebenes Thema auszuloten – es gibt unzählige Ein Haydn-Programm in der Laeiszhalle und ein Kammerkonzert, Arten, Programme zu machen. in dem ich mich mit der Bratsche zu meinen Orchesterkollegen geselle, runden das Angebot dieses Monats ab – alles zusammen Unabhängig davon, was die Struktur eines Programms bestimmt, bildet die kaleidoskopische Momentaufnahme eines Musikenthusi muss das Endergebnis dergestalt sein, dass auch die Ausführenden asmus’, den wir „Klingt nach Gilbert“ genannt haben. Ich empfinde davon begeistert sein können. Zugegeben war das tatsächlich ein diese scherzhaft verkürzte Bezeichnung als etwas vermessen, vorrangiges Ziel, als mein NDR Elbphilharmonie Orchester-Team müsste es doch eigentlich „Klingt wie die Verbindung von Alan und ich das Programm für dieses Festival, meinen ersten Konzert- Gilbert und den Musikern des NDR Elbphilharmonie Orchesters“ monat, zusammengestellt haben. Es ist ein Monat mit Musik, die heißen. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich stolz darauf bin, ich liebe, gespielt mit Kollegen, die ich bewundere und schätze. Teil dieses Festivals zu sein – und dass ich es kaum erwarten kann, Ich hoffe, es lässt die Bandbreite an Musikstilen und -arten erken- die Reise anzutreten. 10 11
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Das Festival im Überblick 06. / 07.09. 11.09. 11.09. 12. / 13.09. Opening Night IDEAS | On Music DAS! aus der Kraft 2019 Talk mit Alan Gilbert im Nachtasyl Elbphilharmonie AL A N G I L BE R T A L A N GILB E R T & SU S AN N E S T I C H L ER I N K A SC H N EI D ER AL AN GILB E R T Dirigent im Gespräch mit folgenden Gästen: Moderation Dirigent K E LL E Y O ’ CON N OR M AGNUS LIND B E RG AL AN G I L B ER T Y UJA WAN G Mezzosopran Komponist Gesprächsgast Klavier P ROF. D R. FR IE D R I C H G EI G ER N DR EL P H C EL L I S T EN PE D RO M IGUE L FR E IR E Universität Hamburg Trompete JO H A NNE S BR AHMS H O R N QUAR T E T T D E S Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 FLOR I A N ZINNEC K ER N DR EL B P H I L H AR MO N I E O RC HE S T E R S M AGNUS LIND B E RG DIE ZEIT Klavier UNS UK C H I N Frontispiece Jeden Abend nimmt im NDR Fernsehen in G A SPAR E B UON OM AN O for orchestra Die neue Talkreihe des NDR bringt Gäste der Sendung „DAS!“ ein prominenter Gast Klarinette (Uraufführung, Auftragswerk des NDR aus unterschiedlichen Bereichen mit auf dem Roten Sofa Platz. Am 11. September AND R E A S GRÜNKOR N mit Unterstützung der Freunde des Alan Gilbert zusammen. Kultur und Gesell- ist Alan Gilbert eingeladen – und „DAS!“ Violoncello NDR Elbphilharmonie Orchesters e. V.) schaft, Musikmachen in einer sich schnell sendet aus diesem Anlass live aus dem T HOM A S SC HWAR Z L EO N AR D BER N S T EIN verändernden Welt, aber auch aktuelle Großen Saal der Elbphilharmonie. Karten Schlagzeug Sinfonie Nr. 1 „Jeremiah“ Ereignisse aus dem Umkreis und dem werden über „DAS!“ sowie unter den Innersten der Elbphilharmonie sind die Abonnent*innen und den Freunden des S T E PH AN CÜR LIS CHARLES IVES Themen. Dazu gibt es Livemusik. NDR Elbphilharmonie Orchesters e. V. verlost. Schlagzeug The Unanswered Question Mitglieder des NDR Elbphilharmonie Orches JUH ANI LIIM ATAINE N ED G A R D VARÈSE ters umrahmen die Sendung musikalisch. Thalia Theater Hamburg, Nachtasyl Live-Elektronik Amériques Mittwoch, 11.09.19 — 20.30 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal In Kooperation mit dem Thalia Theater Mittwoch, 11.09.19 — 18.45 Uhr D M I T R I J SC HOS TAKOW I T SC H Freitag, 06.09.19 — 19 Uhr · Klavierkonzert Nr. 1 c-Moll op. 35 Samstag, 07.09.19 — 19 Uhr · Klavierkonzert Nr. 2 F-Dur op. 102 M AGNUS LIND B E RG Kraft für Solo-Ensemble, Live-Elektronik und Orchester Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal Donnerstag, 12.09.19 — 20 Uhr Freitag, 13.09.19 — 20 Uhr Einführungsveranstaltungen jeweils um 19 Uhr im Großen Saal Magnus Lindberg Yuja Wang 14 15
19.09. 21.09. 26. / 27. / 29.09. Haydn Brahms-Sextette Beethoven trifft in der Laeiszhalle mit auf Poppe & Alan Gilbert Widmann AL A N G I L BE R T S T EFA N WAGNE R AL AN G I L B ER T Dirigent Violine Dirigent PAU LU S VA N D ER MER W E ROD R IGO R E IC HE L C ARO L I N W I DM AN N Oboe Violine Violine VO LK ER T E S SM AN N A L A N GILB E R T Fagott Viola Carolin Widmann LU DW I G VAN B EE T H OV EN RO L AND G R EU T T ER JA N L A RS E N Ouvertüre zu „Egmont“ f-Moll op. 84 Violine Viola EN N O P O P P E C HR I S TO PH ER FR ANZIUS A ND R E A S GRÜNKO R N Violinkonzert Violoncello Violoncello (Auftragswerk des Beethovenfests Bonn, finanziert durch die Ernst von Siemens C HR IS TO P HE R FR ANZI U S Musikstiftung) Violoncello JOS EPH H AY DN J Ö RG W I DM AN N · Sinfonie C-Dur Hob. I:48 „Maria Theresia“ Con brio – Konzertouvertüre für Orchester · Sinfonia concertante B-Dur Hob. I:105 J OH A NNE S B R A HM S für Oboe, Fagott, Violine, Violoncello LU DW I G VAN B EE T H OV EN · Streichsextett B-Dur op. 18 und Orchester Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 · Streichsextett G-Dur op. 36 · Sinfonie Es-Dur Hob. I:99 Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal Laeiszhalle Hamburg, Großer Saal Donnerstag, 26.09.19 — 20 Uhr Samstag, 21.09.19 — 19.30 Uhr Donnerstag, 19.09.19 — 20 Uhr Sonntag, 29.09.19 — 11 Uhr Einführungsveranstaltungen mit Alan Gilbert jeweils eine Stunde vor Konzertbeginn Das Festival in den Medien im Großen Saal Auf NDR Kultur Im Internet Musik- und Kongresshalle Lübeck 06.09.19: live aus der Elbphilharmonie 06.09.19: Livestream auf concert.arte.tv sowie Freitag, 27.09.19 — 19.30 Uhr auf ndr.de/eo und in der NDR EO App, 19.09.19: live aus der Elbphilharmonie Einführungsveranstaltung danach als Video-on-Demand online abrufbar 26.09.19: live aus der Elbphilharmonie um 18.30 Uhr 26.09.19: Livestream auf concert.arte.tv sowie 27.09.19: Aufzeichnung vom 12./13.09. auf ndr.de/eo und in der NDR EO App, danach als Video-on-Demand online abrufbar 15.11.19: Aufzeichnung vom 21.09. Im NDR Fernsehen 11.09.19: „DAS!“ live aus der Elbphilharmonie 16 17
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