Beitrag: Die Flutkatastrophe-Manuskript - ZDF

 
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Manuskript

Beitrag: Die Flutkatastrophe –
            Schaulaufen der Politik

Sendung vom 20. Juli 2021

von Armin Coerper

Anmoderation:
Der Schutz der Bevölkerung ist nicht ernst genug behandelt
worden, sagt der ehemalige Feuerwehrpräsident Hartmut
Ziebs. Spätestens seit Gerhard Schröder weiß man in der
Politik zugleich, dass Auftritte im Hochwasser das Potenzial
haben, einen beliebt zu machen. Aber in Gummistiefeln
wandert man auch auf ganz schmalem Grat, kann sich schnell
unglaubwürdig machen. Deshalb betonten die politischen
Krisengebietsbesucher diesmal unermüdlich, mit Wahlkampf
habe das alles nichts zu tun. Und das waren viele: Zuletzt war
heute die Kanzlerin mit dem CDU-Kanzlerkandidaten
unterwegs. Armin Coerper über Politik im und mit dem
Hochwasser.

Text:
Es hat was von Schaulaufen, die große Politik: Präsident und
Kanzlerkandidaten, auch die Kanzlerin kommt - und
Bundesminister aller Art - mit Landesfürsten ins
Katastrophengebiet.

Sie wollen sich ein Bild machen, und ein Bild abgeben von
sich selbst, Trost spenden und Hilfe versprechen. Es ist
immer auch ein Wettlauf um die Wählergunst, die
Bundestagswahl ist nah und das katastrophengeplagte
Wahlvolk herausgefordert.

O-Ton Frank Leissmann, Stolberg:
Ich sage mal, wenn man es nüchtern betrachtet - ich bin
Ingenieur -, die sind eigentlich am Schreibtisch in einem
Planungsbüro besser aufgehoben. Aber tatsächlich muss
auch ein bisschen der Fokus hier hingelenkt werden. Insofern
ist das, glaube ich, der übliche Politikbetrieb.
O-Ton Torsten Sentis, Erftstadt:
Es ist schon ein Geschmäckle, dass natürlich jetzt alle sich
streiten und alle aus ihrem Urlaub kommen.

O-Ton Heike Scheidt, Stolberg:
Sie sollten sich schämen. Sie sollten in ihrer Stadt genauso
mit Gummistiefeln und Schaufel und Besen stehen anstatt zu
schauen. Wir stehen kurz vor den Wahlen.

Armin Laschet tritt auf als Landesvater - und er will
Bundeskanzler werden. An der Flutkatastrophe stellt sich
vielen Menschen die Frage nach der Ursache: der
Klimawandel? Laschet schaut auf das Unfassbare - seine
Botschaft: Ich sehe, verstehe und handele.

O-Ton Armin Laschet, CDU, Ministerpräsident Nordrhein-
Westfalen, am 16.7.2021:
Gerade in dieser Region werden wir schneller - als das bisher
geplant war - Kraftwerke schließen, die ersten sind bereits
geschlossen. Im Jahre 2022 werden sieben weitere
Braunkohlekraftwerke geschlossen und das nimmt so viel
CO2 aus der Luft, aus dem was Deutschland quasi ausstößt,
dass wir damit einen wichtigen Baustein gelegt haben.

Auf einmal wird Laschet zum großen Klimaschützer.

O-Ton Prof. Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler,
Humboldt-Universität zu Berlin:
Der Grat ist dünn, auf dem er wandelt. Wenn er daraus
irgendetwas für seine Wahlkrampfkampagne herausziehen
will, muss er es trennen. Er hat nichts zu gewinnen
gegenwärtig bei der globalen Klimafrage. Da hat er noch
keine Glaubwürdigkeit. Die Union hat es auch nicht.

Für die Grünen ist der Klimawandel ein Heimspiel. Deshalb
bleibt Robert Habeck einfach an der Nord- und Ostsee. Die
Grüne-Kanzlerkandidatin hält es zu Hause dann doch nicht
aus: Baerbock fährt in die Flut, aber ohne Kameras.

"Heute war ich in Rheinland-Pfalz unterwegs" schreibt sie auf
Twitter. "Die Gespräche gehen unter die Haut." Den
Klimawandel wird sie erst Tage später erwähnen.

O-Ton Prof. Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler,
Humboldt-Universität zu Berlin:
Ja, das ist klug. Den Grünen wird die Kompetenz im Kampf
gegen den Klimawandel zugeschrieben - nicht zu unrecht,
muss man sagen. Und ich bin sicher, das Thema wird dann
nach einer kleinen Pause im Wahlkampf wieder eine Rolle
spielen. Und die Grünen haben sich nicht plakativ
aufgedrängt. Ich glaube, das war eine kluge Strategie.

Politischer Tourismus und demonstrierte Tatkraft haben
Tradition in deutschen Katastrophen. 1962: Sturmflut in
Hamburg. Ein schneidiger SPD-Innensenator übernimmt das
Zepter des Handelns: Helmut Schmidt, ein Macher - ein
Image, das für immer bleiben wird.

Oderhochwasser 1997: Den jungen brandenburgischen
Umweltminister nennen sie: den Deichgraf. Matthias Platzeck
schafft es zu bundesweiter Bekanntheit. Damals unterwegs
mit der jungen Bundesministerin Merkel wird der Deichgraf
bald Ministerpräsident und SPD-Chef sein.

Im Wahlkampf 2002 watet Gerhard Schröder in
Gummistiefeln durch das Elbhochwasser. Er schüttelt Hände
und findet Worte, die ihm im Wahlkampf nicht schaden
werden.

O-Ton Gerhard Schröder, SPD, Bundeskanzler, am 14.8.2002:
Was wir brauchen - wir sind uns einig darüber -, ist eine große
nationale Anstrengung. Das ist nicht eine Sache einer Stadt,
auch nicht sie Sache Sachsens, sondern das ist die Sache
Deutschlands.

Herausforderer Edmund Stoiber kommt schlicht zu spät. Wie
glaubhaft, wie zynisch sind die Flutauftritte aus heutiger
Sicht?

O-Ton Prof. Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler,
Humboldt-Universität zu Berlin:
Ich glaube, dass bei Schmidt überhaupt kein Zynismus da
war. Das war, er war ein solcher Politiker. Er hat pragmatisch,
rasch durchgreifend, auch etwas autoritär die Probleme
gelöst. Bei Schröder war es kalkuliert. Schröder hat einen
Sensor für den populistischen Moment und er hat ihn als
populistischen Moment genützt. Aber das ist auch etwas
verbraucht - und insofern auch eine gute Nachricht, dass
damit nicht so beliebig Wahlkampf gemacht werden kann.

Die Frage nach Verantwortung und Versäumnissen müssen
die beantworten, die’s zur Katastrophe zieht. Was wurde
getan, um Menschen zu warnen, was für ihren Schutz?
Erklärungsversuche:

O-Ton Malu Dreyer, SPD, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz:
Wir haben unseren Hochwasserschutz umorganisiert. Hier in
der Verbandsgemeinde, im Ahrtal, insgesamt sind inzwischen
16 Millionen ausgegeben worden, um auf Starkregen-
ereignisse reagieren zu können. Und wir waren eigentlich gut
gerüstet. Aber das, was wir jetzt erlebt haben, das hat eine
Dimension, die wir noch nirgends erlebt haben.

Auch der Bundesinnenminister kommt – und mit ihm fünf
Jahrzehnte Erfahrung in der Politik. Hat sein
Katastrophenschutz versagt? Ein Vorwurf, den einer wie
Seehofer zu parieren weiß.

O-Ton Horst Seehofer, CSU, Bundesinnenminister:
Manches, was ich jetzt so höre, muss ich leider einer ganz
billigen Wahlkampfrhetorik zuordnen. Das ist fast schäbig,
weil jetzt wirklich nicht die Stunde ist. Ich sage: Ich habe das
größte Interesse, dass wir gemeinsam die Dinge besprechen,
aufarbeiten, aber jetzt, in diesen Tagen, hat die Bevölkerung
ein Interesse an der Hilfe und der Solidarität.

Noch leichter ist es, die Verantwortung von sich dem
Klimawandel zuzuschieben. Während Wissenschaftler streiten,
wie groß dessen Einfluss hier wirklich war, treten die politisch
Verantwortlichen in einen wahren Wettbewerb der Einsicht
und Erkenntnis.

O-Ton Markus Söder, CSU, Ministerpräsident Bayern:
Wir spüren, dass sich der Klimawandel immer stärker
auswirkt. Alle, die das ignorieren, die irren fundamental.
Diese Starkregenereignisse und diese unglaubliche
Beschleunigung bei diesen Ereignissen, die ist es, was
eigentlich große Sorge macht.

O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundekanzlerin, am 18.7.2021:
Wir werden uns dieser Naturgewalt entgegenstemmen -
kurzfristig, aber eben auch mittel- und langfristig durch eine
Politik, die eben die Natur und das Klima mehr in den
Betracht zieht, als das wir in den letzten Jahren gemacht
haben. Auch das wird notwendig sein.

Erstaunliche Erkenntnisse nach 16 Jahren Kanzlerschaft - es
ist Wahlkampf in Deutschland und nicht zum ersten Mal fällt
dem eine Katastrophe zu.

Es wird beobachtet, wer hier welche Figur abgibt. Wer hinter
dem Bundespräsidenten feixt, muss um Verzeihung bitten.
Laschet tut es auf Twitter:
"[…] Uns liegt das Schicksal der Betroffenen am Herzen, von
dem wir in vielen Gesprächen gehört haben. Umso mehr
bedauere ich den Eindruck, der durch eine
Gesprächssituation entstanden ist. Dies war unpassend und
es tut mir leid."

Auch heute sind sie wieder da, wollen Trost geben und Hilfe -
und dabei das Versäumte am liebsten verschweigen.

Wahlkampf in der Flut: Die Katastrophe fördert Abgründe zu
Tage - in der Natur genauso wie in der Politik.

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