Klimaschutz, Konsum und soziale Gerechtigkeit: (Un)Vereinbare Ziele? - Prof. Ines Weller, artec Forschungszentrum Nachhaltigkeit, Universität ...
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Klimaschutz, Konsum und soziale Gerechtigkeit: (Un)Vereinbare Ziele? Prof. Ines Weller, artec Forschungszentrum Nachhaltigkeit, Universität Bremen Vortrag bei der 8. Neumarkter Nachhaltigkeitskonferenz 2018 15. Juni 2018, Neumarkt
Gliederung Konsum, Klimaschutz und Nachhaltigkeit Klimafreundlichere Konsumalternativen: Reichweite und ökologische Entlastungspotentiale Ungleichheiten auf nationaler Ebene 1. Konsumbezogene Ressourcenverbräuche 2. Selbst-/Fremdwahrnehmung der Folgen des eigenen Konsumverhaltens für Klimaschutz/Ressourcenschonung Zur Vereinbarkeit von Klimaschutz, Konsum und sozialer Gerechtigkeit 2
Hintergrund Veränderung der nicht nachhaltigen Konsum- und Produktionsmuster: zentrales Ziel einer nachhaltigen Entwicklung (Kap. 4 der Agenda 21, 1992) Bekräftigung durch die Sustainable Development Goals (2015): ► Nachhaltigkeitsziel Nr. 12: verantwortlicher Konsum ► Nachhaltigkeitsziel Nr. 10: Abbau von Ungleichheiten Besondere Verantwortung der Industriestaaten 3
Nachhaltigkeitsgipfel New York 2015 Bildquelle: https://www.un.org/sustainabledevelopment/news/communications-material/ 4
Hintergrund Gerechtigkeit als Kernelement einer nachhaltigen Entwicklung Intragenerationale Gerechtigkeit: Gerechtigkeit innerhalb einer Generation Intergenerationale Gerechtigkeit: Gerechtigkeit in Hinblick auf zukünftige Generationen Zugang und Nutzung natürlicher Ressourcen sowie Umweltveränderungen insbesondere diskutiert in Hinblick auf den globalen Süden und globalen Norden, aber auch auf nationaler Ebene relevant 5
Konsum und Klimaschutz Konsum (und Produktion): hohe Bedeutung für den Klimaschutz Ressourcenverbrauch von Konsum (und Produktion): Inputseite Treibhausgasemissionen von Konsum (und Produktion): Outputseite 6
Konsum und Klimaschutz Priorisierung unterschiedlicher Konsumbereiche aus ökologischer Perspektive (Tukker, Jansen 2006), europaweite Metaanalyse: Ernährung Wohnen Mobilität rund 70% der Umweltwirkungen insgesamt weniger bedeutsam: Bekleidung, Gesundheit, Kommunikation, Verpackung… Fokus: Quantität des Ressourcenverbrauchs (und der Treibhausgasemissionen) 7
Konsum und Klimaschutz Einzelne Produkte besonders umwelt- und klimarelevant: Ernährung: Fleisch- und Milchprodukte Wohnen: Heizen, Warmwasser, Energieverbrauchende Haushaltsgeräte, Bau von Gebäuden Mobilität: Autos, Luftverkehr Fokussierung der Debatten und Studien auf diese Bereiche und Produkte Aktuell auch Verpackung (qualitative Umweltbelastung, Mikroplastik in den Meeren und Flüssen) 8
Klimafreundlicherer Konsum anders konsumieren (‚consuming differently‘) Kaufentscheidung für klimafreundlicher hergestellte Güter und Produkte bzw. für Güter und Produkte, die weniger Klimagase verursachen (life cycle übergreifend) und weniger konsumieren (‚consuming less‘) Reduzierung von Neukäufen und des Konsumniveaus, z.B. durch Verlängerung der Nutzung, durch gemeinschaftlichen Konsum (Nutzungsintensivierung, Nutzungsdauerverlängerung) 9
Reichweite klimafreundlicherer Konsumalternativen Beispiele aus dem Konsumbereich Ernährung Umstellung auf Bio-Lebensmittel Anteil des Umsatzes von Bio-Lebensmitteln am gesamten Lebensmittelumsatz in Deutschland: 5.1 % im Jahr 2016 (BÖLW 2018) Entlastungspotenzial ökologische - konventionelle Lebensmittelproduktion: zwischen 5 und 30% weniger Ressourcenverbrauch bei der ökologischen Erzeugung von Lebensmitteln je nach Lebensmittelart (Fritsche et al. 2007) sowie qualitative Umweltverbesserungen 10
Reichweite klimafreundlicherer Konsumalternativen Beispiele aus dem Konsumbereich Ernährung Reduzierung Fleischkonsum 60 kg pro Kopf /Jahr (2017) - 64 kg pro Kopf und Jahr (1991) (Statista 2018) z.T. erhebliche Differenzen in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, Einkommen… Zwischen 4,3% und 9% bzw. 10% Vegetarier/innen in Abhängigkeit von der Untersuchungsmethode (Mensink et al. 2016, VEBU 2018) Entlastungspotenzial durch die Reduzierung des Fleischkonsums rund 13 kg CO2-Äquivalente pro kg Rindfleisch/ rund 3 kg CO2-Äquivalente pro kg Schweinefleisch sowie qualitative Umweltentlastungen (Fritsche et al. 2007) 11
Reichweite Klimafreundlicherer Konsumalternativen Beispiele aus dem Konsumbereich Mobilität Umstellung auf Elektroautos Anzahl Neuzulassungen in 2017: Elektroautos 25.056; Hybridautos: 84.675 (Kraftfahrt-Bundesamt 2018) Zum Vergleich: Anzahl Neuzulassungen Pkw‘s insgesamt: 3.44 Millionen im Jahr 2017 (Kraftfahrt-Bundesamt 2018) Entlastungspotenzial: u.a. abhängig von der Stromerzeugung 12
Reichweite Klimafreundlicherer Konsumalternativen Beispiele aus dem Konsumbereich Mobilität bzw. Gemeinschaftlicher Konsum CarSharing Deutliche Zunahme an Nutzer/innen insbesondere im Bereich Free-Floating- Angebote Entlastungpotenzial: ein CarSharing-Pkw (stationäres Angebot) kann bis zu 20 Pkw‘s ersetzen (Bundesverband CarSharing 2018) Aber: anhaltend steigende Zahl von Neuzulassungen, Zunahme um 2.7% von 2016 auf 3.44 Mio (siehe vorherige Folie) 13
Reichweite Klimafreundlicherer Konsumalternativen Quelle: https://carsharing.de/alles-ueber-carsharing/carsharing-zahlen, zuletzt aufgerufen 4.7.2018 14
Reichweite Klimafreundlicherer Konsumalternativen Beispiele aus dem Konsumbereich Mobilität bzw. Gemeinschaftlicher Konsum Beispiel Gemeinschaftlicher Konsum (Peer-to-Peer Sharing): allgemein moderate Umweltentlastung, stark abhängig von der Nutzungsmustern (Ludmann 2018) Beispiel Kleiderkreisel: 25% der Gesamtbevölkerung: aktuelle Nutzung des Kleiderkreisel, 26% zukünftige Nutzungsabsicht (Scholl et al. 2017) Durch die Nutzung Kleiderkreisel für den Erwerb von T-Shirts: Reduktion der CO2- Äquivalente um rund 12% (Ludmann 2018) Voraussetzung: kein zusätzlicher Neukauf von Kleidung Aber: Steigerung des Textilkonsums zwischen 2000 und 2010 um 47% und abnehmende Nutzungsdauer um rund ein Drittel (von Wedel-Parlow 2015) 15
Reichweite klimafreundlicherer Konsumalternativen Zwischenfazit (Leichte) Veränderungen im Kaufverhalten erkennbar, gleichwohl eher Nischenphänomene (‚anders konsumieren‘) Kaum Hinweise für eine Reduzierung des Konsumniveaus und eine Verminderung des Neukaufs (‚weniger konsumieren‘) 16
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Konsumbezogene Ressourcenverbräuche Beispiel 1: Einfluss Einkommen auf den Energieverbrauch je geringer das Einkommen, desto geringer der Energieverbrauch (Durchschnittswert, Ergebnis einer repräsentativen Untersuchung) je höher das Einkommen, desto höher der Energieverbrauch 17
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Quelle: Kleinhückelkotten et al. (2016), S. 15 18
Individuelle Ebene: Gender & Klimaschutz/- anpassung Quelle: Kleinhückelkotten et al. (2016), S. 63 (Hervorhebung I. W.) 19
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Konsumbezogene Ressourcenverbräuche Einfluss sozialer Milieus: Gruppen von Bürger*innen mit Ähnlichkeiten in - sozialer Lage - Einstellungen, Werte - Verhaltensweisen 20
Soziale Milieus Quelle: Kleinhückelkotten et al. (2016), S. 39 21
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Einfluss sozialer Milieus Quelle: Kleinhückelkotten et al. (2016), S. 14 22
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Konsumbezogene Ressourcenverbräuche Einfluss sozialer Milieus Einerseits Einkommen wesentlich für Energieverbrauch, andererseits auch Hinweis für Einfluss von Einstellungen auf die Höhe des Energieverbrauchs Beispiel Vergleich: konservatives Milieu – kritisch-kreatives Milieu: ähnliche Einkommenssituation, Unterschiede in den Umwelteinstellungen –> Unterschiede im Energieverbrauch 23
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Beispiel 2: Nutzung von bzw. Nachfrage nach ressourcenschonenderen/ klimafreundlicheren Konsumalternativen Einfluss von Einkommen und Umwelteinstellungen Überdurchschnittliche (selbst berichtete) Nachfrage in den Konsumentengruppen mit überdurchschnittlichem Einkommen und Umwelteinstellungen (siehe Folie 25) Ungleichheiten im Zugang zu ressourcenschonenderen/klimafreundlicheren Konsumalternativen 24
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Quelle: Kleinhückelkotten et al. (2016), S. 67 (Hervorhebung I. W.) 25
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Beispiel 3: Anteil des Einkommens, der für Energie aufgewendet wird je geringer das Einkommen, desto höher der relative Anteil des Einkommens, der für Energie aufgewendet wird (siehe Folie 27) einkommensschwache Haushalte im Vergleich zu einkommensstarken Gruppen stärker von EEG-Umlage betroffen Ungleichheiten in der Verteilung der Chancen und Risiken der Energiewende 26
Strukturelle Ebene von Genderanalysen Quelle: Weller et al. (2010), S. 30 (Hervorhebung I. W.) 27
Selbst-/Fremdwahrnehmung Ressourcenschonung/Klimaschutz Konsumentengruppen mit hohem Einkommen, hohen Umwelteinstellungen -->> Selbsteinschätzung als sparsam im Ressourcenverbrauch Konsumentengruppen mit geringerem Einkommen, geringerem Umweltinteresse -->> Selbsteinschätzung als wenig sparsam im Ressourcenverbrauch 28
Quelle: Kleinhückelkotten et al. (2016), S. 86 (Hervorhebung I. W.) 29
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Vergleich gehobenes Milieu und kritisch-kreatives Milieu - Ähnlichkeiten in der Einkommenssituation und der Selbsteinschätzung Ressourcenschonung - Kritisch-kreatives Milieu: ausgeprägtere Umwelteinstellungen und etwas geringerer Energie- und Ressourcenverbrauch Auffallend: prekäres Milieu geringster Ressourcenverbrauch bei gleichzeitiger Geringschätzung des eigenen (unfreiwilligen) ressourcenschonenden Verhaltens Ungleichheiten im „guten Gewissen“ 30
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Klimafreundlicheres Konsumverhalten = Kauf klimafreundlicherer, ressourcenschonendere Produkte (Bio-Lebensmittel, Energieeffiziente Geräte…), häufig höhere Anschaffungskosten, Hemmnis für einkommensschwache Gruppen Reduzierung des Konsumniveaus als wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz in den öffentlichen Debatten wenig präsent, (unfreiwillig) umgesetzt insbesondere von einkommensschwächeren Gruppen 31
Ungleichheiten auf nationaler Ebene Engführung von Klimaschutz im Alltag auf den Kauf klimafreundlicherer Produkte --> Option insbesondere für wohlhabendere gesellschaftliche Gruppen --> Möglichkeit für ein Mehr an „Gewissenswohlstand“ (Ullrich 2013: 127) Einkommensschwache Gruppen nur begrenzter Zugang zu dieser Möglichkeit der Gewissensberuhigung Für Ärmere „gutes Gewissen ein knappes Gut, womit sie einmal mehr in ein gesellschaftliches Abseits zu geraten drohen“ (Ullrich 2013: 218) 32
Klimaschutz, Konsum und soziale Gerechtigkeit: un/vereinbar? Klimaschutz, Konsum und soziale Gerechtigkeit: nicht per se vereinbar ‚Anders konsumieren‘ --> höhere Kosten z.B. für Bio-Lebensmittel, Ökostrom, energiesparende Haushaltsgeräte… ‚Weniger konsumieren‘ --> (unfreiwilliger) Konsumverzicht, ökologisch-ökonomische Win-Win-Situation --> zum Teil aber auch kostenintensive Investitionen als Voraussetzung (Dämmung, energieeffiziente Geräte..) Wahrnehmung dieser Situation als Problem fehlender sozialer Gerechtigkeit 33
Klimaschutz, Konsum und soziale Gerechtigkeit: un/vereinbar? Anreiz- und Infrastrukturen für „anders“ und „weniger konsumieren“ erforderlich, die klimafreundlicheren Konsum auch für einkommensschwache Gruppen unterstützen, z.B. Kostenloser öffentlicher Personennahverkehr Strompreise, die mit dem Verbrauch steigen Reduzierter Mehrwertsteuersatz für klimafreundlichere Produkte oder/und für gemeinschaftlichen Konsum/Sharing… ….. Notwendigkeit von gesellschaftlichen Debatten über Möglichkeiten der Reduzierung des Konsumniveaus und der Veränderung von Lebensstilen 34
Zitierte Literatur: Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) (2018): Die Bio-Branche 2018. Zahlen, Daten, Fakten. Berlin. Bundesverband CarSharing (bsc) (2018): CarSharing entlastet Umwelt und Verkehr. [https://carsharing.de/alles-ueber- carsharing/umweltbilanz, zuletzt aufgerufen 4.7.2018]. Fritsche, U.R., Eberle, U., Wiegmann U., Schmidt, K. (2007): Treibhausgasemissionen durch Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln. Arbeitspapier. Öko-Institut e.V., Darmstadt, Freiburg, Berlin. Kleinhückelkotten, S., Neitzke, H.-P., Moser St. (2016): Repräsentative Erhebung von Pro-Kopf-Verbräuchen natürlicher Ressourcen in Deutschland (nach Bevölkerungsgruppen). Herausgegeben vom Umweltbundesamt, UBA-Texte 39/2016, Dessau-Roßlau. Kraftfahrt-Bundesamt (2018): Jahresbilanz der Neuzulassungen 2017 [https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Neuzulassungen/n_jahresbilanz.html, zuletzt aufgerufen am 4.7.2018]. Ludmann, S. (2018): Ökologie des Teilens. Bilanzierung der Umweltwirkungen des Peer-to-Peer Sharing. PeerSharing Arbeitsbericht 8, Heidelberg [https://www.peer-sharing.de/das-projekt/single/article/wie-nachhaltig-ist-die-sharing-economy-arbeitspapier-zur-oekologie- des-teilens-erschienen.html, zuletzt aufgerufen 9.07.2018]. Mensink, G.B., Lage Barbosa C., A.-K. Brettschneider (2016): Verbreitung der vegetarischen Ernährungsweise in Deutschland. In: Journal of Health Monitoring, Dezember 2016, Ausgabe 2. Robert Koch-Institut. Berlin, S. 2-14. Scholl, G., Gossen, M., Holzhauer B. (2017): Teilen digital – Verbreitung, Zielgruppe und Potenziale Peer-to-Peer Sharing in Deutschland [https://www.peer-sharing.de/das-projekt/single/article/befragung-junge-menschen-wollen-private-autos-oefter-teilen-auch-um-die- umwelt-zu-schonen.html, zuletzt aufgerufen 9.07.2018]. Statista 2018: Fleischkonsum in Deutschland [https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36573/umfrage/pro-kopf-verbrauch-von-fleisch- in-deutschland-seit-2000/, zuletzt aufgerufen am 4.7.2018] 35
Tukker, A., Jansen, B. (2006): Environmental Impacts of Products: A Detailed Review of Studies. In: Journal of Industrial Ecology 10(3), S. 159- 182. Ullrich, W. (2013): Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach. VEBU (Vegetarierbund Deutschland) (2018): Anzahl der Veganer und Vegetarier in Deutschland. [https://vebu.de/veggie-fakten/entwicklung- in-zahlen/anzahl-veganer-und-vegetarier-in-deutschland/, zuletzt aufgerufen am 4.7.2018]. Von Wedel-Parlow, F. (2015): Sustainability in Fashion: der Wechsel eines Paradigmas. In: S. Schulze, C. Banz: Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode. Museum für Kunst und Gewerbe. Hamburg, S. 67-69. Weller, I., Krapf, H., Wehlau, D., Fischer, K. (2010): Untersuchung der Wahrnehmung des Klimawandels im Alltag und seiner Folgen für Konsumverhalten und Vulnerabilität in der Nordwest-Region. Ergebnisse einer explorativen Studie. artec-paper Nr. 166, Bremen. 36
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