Über die Kanalisation ins Meer - Entwässerungssysteme als Eintragspfade von Makrokunststoffen und großen Mikrokunststoffen - fiw.rwth-aachen.de
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Marco Breitbarth, Sebastian Kerger Über die Kanalisation ins Meer Entwässerungssysteme als Eintragspfade von Makrokunststoffen und großen Mikrokunststoffen Products made of plastic or plastic compos- Kunststoffe, die in der Umwelt – vor allem in ites are omnipresent in our everyday life. den Weltmeeren – landen, werden seit eini- The sources and types of plastic found in gen Jahren in wissenschaftlichen, gesell- sewerage systems are correspondingly schaftlichen und politischen Debatten als diverse. Emissions from the wastewater eine globale Herausforderung gesehen. Ein treatment processes into the environment erheblicher Anteil dieser Kunststoffe wird vom are recognized via various paths of the waste- Festland in die Meere eingetragen. Der Trans- water into rivers or other material streams port dorthin erfolgt oftmals über Fließgewäs- like sewerage sludge and grit. How and ser, vor allem über Entwässerungssysteme, which plastics end up in wastewater and also die Kanalisation. Entwässerungskanäle how their input can be reduced with the help durchziehen den Großteil unserer Siedlungs- of environmental policy control is the focus strukturen zur Ableitung von Niederschlags- of the joint project InRePlast. Based on an wasser und Sammlung von häuslichem analysis of sources, input paths and polluters, Schmutzwasser. Sie sind also die Transport- the researchers are developing and testing pfade und das Abwasser das Transportmedi- measures for behavioral changes. The aim um für die Kunststoffe. of these measures is to motivate households Das Forschungsinstitut für Wasser- und Ab- and companies to discharge fewer plastics fallwirtschaft an der RWTH Aachen (FiW) e.V. into the drainage systems. In addition, the untersucht in einem vom Bundesministerium project partners are developing proposals für Bildung und Forschung geförderten drei- to improve the legal framework. jährigen Verbundprojekt seit Anfang 2019 44 |
Bild 1: Biokompatibilitätstestung von Membranoxygenatoren im Experimental-Labor der Klinik für Anästhesiologie. Foto: Peter Winandy Bild 1: Beprobung von Feststoffen am Rechen einer Kläranlage Foto: Peter Winandy zusammen mit Umweltökonomen und -recht- rechtlichen Rahmens sowie (v) die Entwick- dem Lebensmittel- und dem Hygienebereich. lern die Relevanz der Einträge von Kunststof- lung umweltpolitischer Maßnahmen in Form Im unternehmerischen Handeln gelangen vor fen über Entwässerungssysteme in der kom- von Instrumentenbündeln zur Vermeidung der allem Produkte aus der Kunststoffproduktion, munalen Abwasserbehandlung in Deutsch- Kunststoffeinträge über den betrachteten Ein- -verarbeitung und -anwendung in das Ab- land. Betrachtet werden Kunststoffpartikel ab tragspfad. Ausgewählte Maßnahmen werden wasser. Beispiele hierfür sind sogenannte einer Größe von 1 mm. Dies entspricht nach zudem mittels Feldexperimenten in Unterneh- Kunststoffpellets oder -granulate, die als der gängigen Größeneinteilung dem soge- men und in einer der Modellgemeinden als Rohstoff in der Kunststoffindustrie genutzt nannten großen Mikroplastik (1 – 5 mm) und Reallabor erprobt und analysiert. werden und Styropormaterialien, die über- dem Makroplastik (größer 5 mm). wiegend als Dämmstoffe im Baugewerbe Ziele des Projektes sind (i) die Erfassung des Eintrag in das Abwasser Anwendung finden. qualitativen und quantitativen Kunststoffauf- Durch das alltägliche Verhalten in Haushalten Über die Niederschlagsabläufe auf Verkehrs- kommens am Beispiel von vier Modellge- und Unternehmen sowie über die öffentlichen wegen werden vor allem Zigarettenstummel meinden in der Städteregion Aachen in kom- Verkehrswege werden beständig Kunststoffe eingetragen, deren Filter aus Kunststofffasern munalen Kläranlagen, in Unternehmen der in die Abwässer und damit in die Entwässe- (Celluloseacetat) bestehen. Kunststoffindustrie und auf den Verkehrswe- rungssysteme eingeleitet. Die Einträge von Kunststoffen in das Abwas- gen, (ii) eine Abschätzung der Einträge auf Das Produktspektrum der Kunststoffe im ser lassen sich nach zwei Pfaden differen- Bundesebene, (iii) die Identifikation relevan- Abwasser ist so vielfältig wie deren Verbrei- zieren: Zum einen die Ableitung von Nieder- ter Verhaltenseffekte bei der Nutzung von tung und Nutzung im beruflichen und privaten schlagswasser auf Verkehrswegen und ande- Kunststoffen mit Fokus auf Haushalte und Alltag. Aus dem privaten Bereich zeigt sich ren Freiflächen, zum anderen die Ableitung Unternehmen der Kunststoffverarbeitung eine hohe Relevanz von Konsumgütern und von Schmutzwasser in privaten Haushalten, und -nutzung, (iv) die Weiterentwicklung des deren Verpackungen, beispielsweise aus Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. | 45
Der Eintrag über die Ableitung von Nieder- schlagswasser ist wesentlich abhängig von der Nutzung des Raumes. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede in Art und Menge in Gewerbe- und Wohngebieten oder Innen- stadtbereichen. Der Eintrag über das Schmutz- wasser lässt sich nach den verschiedenen Entstehungsorten in den privaten Haushalten oder sonstigen Gebäuden differenzieren. Im Wesentlichen sind dies Toiletten, sani- täre Waschbecken, Waschmaschinen und Küchenspülen. Für die Erfassungen der Kunststoffeinträge in die Kläranlagen der Modellgemeinden gibt es erste, vorläufige Ergebnisse hinsichtlich der Zusammensetzungen. Ein Großteil der Kunst- stoffe liegt nur noch als zwei- oder dreidi- mensionale Fragmente vor, deren Produktur- Bild 2: Zusammensetzungen des Kunststoffaufkommens in vier kommunalen Kläranlagen der Städteregion Aachen sprung nicht eindeutig geklärt werden kann, siehe Bild 2. Nach Massen trifft dies auf rund ein Drittel der Kunststoffe zu, nach Stück- Eintragspfade in Fließgewässer Gelangen die Kunststoffe aus dem Schmutz- zahlen deutlich mehr. Dennoch lässt sich gut In Deutschland gibt es zwei Arten von Ent- und dem Niederschlagswasser in die Klär- die Hälfte der Kunststoffmassen auf nur fünf wässerungssystemen. In Mischwasserkanä- anlage, werden sie für den betrachteten Produkte – Kunststoffpellets, Zigarettenfilter, len werden Niederschlags- und Schmutz- Größenbereich über 1 mm nahezu vollständig Tamponfolien, Wattestäbchen und Obst-/Ge- wasser gemeinsam erfasst und einer Klär- aus dem Abwasser vor der Einleitung in den müsenetzfragmente – zurückführen, die in anlage zugeleitet. Die Trennkanalisation hat Vorfluter entfernt. Die bisherigen Ergebnisse den vier untersuchten Kläranlagen zu finden hingegen für beide Abwasserarten getrennte zeigen Rückhaltequoten von 98 bis 100 Pro- sind. Daher sollten dringend Maßnahmen zur Kanalsysteme, wobei nur das Schmutzwas- zent sowohl bezogen auf die Stückzahlen als Vermeidung dieser fünf Produkte erfolgen. ser der Kläranlage zugeleitet wird. Die Ein- auch auf die Massen. Insgesamt konnten bisher rund 65 verschiede- leitung der in den Entwässerungssystemen Kunststoffe, die über das Niederschlagswas- ne Produkte identifiziert werden. Weitere Ein- gesammelten Abwässer in die Fließgewässer ser erfasst und in einem Trennsystem über träge erfolgen in Form von kunststoffhaltigen (Vorfluter) erfolgt in Abhängigkeit des jewei- Niederschlagskanäle abgeleitet werden, kön- Verbundprodukten aus Hygieneartikeln, wie ligen Kanalsystems auf drei verschiedenen nen unbehandelt in die Vorfluter eingetragen Feuchttüchern, Damenbinden und Tampons. Wegen, siehe Bild 5. werden. Zwar existieren in Niederschlags- 46 |
Bild 3: Klärschlamm- und Zentratwasserbeprobung von einer Kammerfilterpresse: in den Klärschlamm gelangen nach Stückzahlen 85 bis 90 Prozent der Mikrokunststoffe und 60 bis 95 Prozent der Makrokunststoffe Foto: Peter Winandy
Bild 4: Probenahme im Ablauf eines Nachklärbeckens Foto: Peter Winandy kanälen teilweise Regenrückhaltebecken oder Versickerungsanlagen, eine gezielte und effektive Abscheidung von Kunststoffen erfolgt jedoch nicht. Regenüberlaufbecken sind in Mischwassersystemen Zwischen- speicher starker Niederschlagsabflüsse. Bei Erreichung der Speicherkapazitäten schlagen diese ungeklärtes Mischwasser in den Vorflu- ter ab. Sowohl der Eintrag der Kunststoffe mit dem Niederschlagswasser in die Mischwas- serkanäle als auch die Entlastungen der Regenüberlaufbecken in den Vorfluter gehen mit Starkregenereignissen einher. Dement- sprechend sind die Regenüberlaufbecken als Eintragspfade für Kunststoffe von Verkehrs- wegen besonders problematisch. Konzepte für die Politik Die Erfassungen der Kunststoffeinträge über das Schmutz- und Niederschlagswasser dienen neben der Ermittlung des mengenmä- ßigen Ausmaßes auch dem Erkenntnisgewinn Bild 5: Eintragspfade für Kunststoffe aus Entwässerungssystemen in Fließgewässer hinsichtlich der relevanten Produkte. Auf die- 48 |
ser Basis können Rückschlüsse auf Akteure und Handlungsstränge gezogen werden. Ergänzend finden Experteninterviews mit Stakeholdern, wie Wasserverbänden, Was- ser- und Abfallbehörden, Branchenverbänden der Kunststoffindustrie und Umweltverbän- den, sowie bundesweit Umfragen in Haushal- ten und Kunststoffunternehmen statt. Ziel ist ein umfassendes Verständnis der Ursachen für die Kunststoffeinträge in die Entwässe- rungssysteme. Abschließend werden Maßnahmen in Form von Instrumentenbündeln entwickelt. Diese werden in einem Konzept der multikriteriel- len verhaltensorientierten Instrumentierung (MKVI-Konzept) gebündelt, welches über eine Matrix die verhaltensökonomische, die rechtli- che und die technische Perspektive (in Bezug auf Abwasseranlagen) mit einer Wirkungs- abschätzung verknüpft. Sowohl die techni- schen als auch die verhaltensökonomischen Maßnahmen werden hinsichtlich notwendiger rechtlicher Regelungen zur Umsetzung über- prüft. Zudem wird der bestehende Rechts- rahmen auf nationaler und europäischer Ebene auf mögliche Defizite, Hemmnisse und Entwicklungspotenziale überprüft und Verbesserungsvorschläge in Form konkreter Gesetzesentwürfe erarbeitet. Instrumente können hierbei beispielsweise ordnungsrechtlich (Verbote, Grenzwerte, Pflichten), ökonomisch (Steuern, Abgaben, Zertifikate, Subventionen), kooperativ (Selbst- verpflichtungen, Interaktionsförderungen, Absprachen), informationell (Kampagnen, Label) oder organisatorisch (Management- systeme) sein. Autor Dr.-Ing. Marco Breitbarth ist wissenschaft- licher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Wasser- und Abfallwirtschaft an der RWTH Aachen (FiW) e.V. Sebastian Kerger, B. Sc., ist wissenschaft- licher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Wasser- und Abfallwirtschaft an der RWTH Aachen (FIW) e.V. Bild 6: Kunststoffansammlungen in einem Kontrollschacht Foto: Peter Winandy
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