Über Risiken und Nebenwirkungen - GEW Hamburg
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DIGITALES LERNEN (FOLGE 4) Über Risiken und Nebenwirkungen Zwischenstopp – was nicht links liegen bleiben sollte Der Zug der Digitalisierung Beobachter_innen begreifen? Und: sollten wir Letzteres kon- kann je nach Standort auf uns Und das sollten wir! Dann rast statieren: was folgt daraus? Was zurasen oder an uns vorbei – so er eben auch durch uns hindurch. machen wir dann und was kön- meine Einlassung in unserer Was macht die Digitalisierung nen wir überhaupt angesichts letzten Ausgabe. Aber was ist, also mit uns? Sind diese Ver- der Dynamik der Entwicklung wenn wir uns nicht als externe änderungen gut oder schlecht? und der Wucht der dahinterste- henden Interessen unternehmen? Wenn es in der Vergangenheit Faszinierend, aber… schon schwer war, einer ver- In der Vergangenheit hatte ich immer wieder gehört, dass das meintlichen oder tatsächlichen mit den Übersetzungsprogrammen noch sehr in den Kinderschu- Marktlogik etwas entgegenzu- hen stecke. Richtig ausprobiert hatte ich es deshalb auch gar nicht. setzen, so scheint dies vor dem Diese absolut schwachsinnigen Mails, die mir eine Erbschaft von Hintergrund der erwartbaren mehreren Millionen Dollar aus Nigeria offerieren, wenn ich bereit Veränderungen im Zuge der Di- wäre, gegen eine Einmalzahlung die Notariatskosten zu tragen gitalisierung – man denke nur an oder so ähnlich, waren Beweis genug, dass es noch nicht so weit das augenblickliche Modethema her ist mit diesen Übersetzungsprogrammen, da man den Sinn der KI (Künstliche Intelligenz) – erst Mail kaum verstehen konnte. recht nur defätistisch darstellbar Dann aber wurde mir – auch per Mail – ein ganz neues Verfah- zu sein. Also: Klappe halten? Je- ren angeboten. Deepl heißt es. Und da ich gerade Bedarf hatte, et- der Fortschritt hat seinen Preis! was ins Englische zu übersetzen, unterlag ich der Versuchung … M.a.W.: Mensch wird resigniert und war begeistert! Nun ist mein Englisch nicht perfekt, aber ein sagen, dass man sowieso den von mir geschriebener Text – und ich bin ja bekannt dafür, eher Gang der Dinge nicht aufhalten verschachtelt zu schreiben – schien mir ziemlich gut übersetzt. könne. Das Geheimnis, so konnte ich zwischenzeitlich nachlesen, liegt Hier liegt m.E. das, was sich in einer völlig anderen Herangehensweise als es die bekannten als zeitgenössischer Bildungs- Programme von bspw. ‚Google‘ oder ‚microsoft‘ machen; die auftrag etablieren sollte. Näm- müssen wohl alles irgendwie einmal eingeben , was später als lich genau diesem Trend ent- übersetzter Text herauskommen soll. Anders bei Deepl: Es ist fas- gegenwirken! Gleich wie aus- zinierend und ernüchternd zugleich! Da quasi alles, was wir so sichtsreich dieses Unterfangen aktuell schreiben, schon mal geschrieben und Vieles davon über- zunächst wirken mag, sollten setzt wurde, greift bei Deepl eine Suchmaschine genau hierauf wir als Pädagog_innen daran zurück (auf so genannte ‚crawler‘) und flickt somit die verschie- festhalten, den uns Anvertrauten densten Elemente zusammen. Und je mehr das Programm genutzt klarzumachen, dass es trotz der wird, desto besser wird es, weil es mit jedem übersetzen Text dazu gewaltig erscheinenden, schein- „lernt“. Und umsonst ist es auch noch! (Mensch muss es auch bar autonomen Maschinerie im- nicht herunterladen, sondern kann es gleich online nutzen.) mer auch Möglichkeiten der Ein- Ein Raunen geht durch die Übersetzer_innenbranche. Zukünf- flussnahme gibt. Das kann offen tig wird man Gebrauchstexte wahrscheinlich wirklich mit diesen passieren, es ist aber auch legi- Programmen übersetzen. Bei Literatur wird es vielleicht jeweils tim, wo es institutionelle Hinder- eine übersetzte Grobfassung geben, die dann jeweils nur noch nisse gibt, Spielräume subversiv sprachlich überarbeitet werden muss. zu nutzen. Ich behaupte gar, dass Irgendwie grauenvoll, auf jeden Fall unheimlich – oder? das Subversive in der Schule die JG einzige Antriebskraft für Verän- derung ist, da Schule - system- 22 hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2019
immanent gedacht – immer nur Formuliertes zurückzugreifen. luste. Was wir dank des Taschen- das Reproduktive will und folg- Vielleicht ist es ja auch gar nicht rechners schon vielfach nicht lich Veränderung nur passiert, so frevelhaft, wie zunächst ge- mehr können, im Kopf rechnen, wenn es gelingt, das Brave, das dacht, aber die Schreibkompe- mag auf der praktischen Ebene Naheliegende und das Mittelmä- Foto: 123rf.com/elen1 ßige zu überwinden. Aber zurück zur Ausgangsfra- ge: Was macht die Digitalisie- rung mit uns? Die bildgebenden Verfahren der Neuro-Biolog_in- nen geben ja bereits zahlreiche Hinweise darauf, inwieweit sich unsere Emotionen verändern. Aber fangen wir nicht mit dem Schwierigsten an. Ich denke, dass man auch an eigenen All- tagserfahrungen Veränderungen bemerken kann. Wenn wir tele- fonieren wollen, greifen wir auf den Nummernspeicher zurück. Unsere Merkfähigkeit nimmt ab, wozu brauchen wir sie noch? Der Gegensatz zum Digitalen: Kalligraphie vermittelt das ästhetische Wenn wir ein GPS ständig ge- Gefühl sowie die Moral des Kalligraphen, letztendlich die Einheit von Sinn und Form brauchen, ist abzusehen, dass unser Orientierungssinn nicht tenz nimmt eindeutig ab. Und kein Problem sein. Ob die Bä- mehr so funktioniert wie früher. wie war das noch mit der Hand- ckereiverkäuferin mir nun den Wenn wir, statt Fremdsprachen schrift, auf die früher so viel Preis meiner gekauften Bröt- zu lernen, in Zukunft immer stär- Wert gelegt wurde? Den Drill, chen im Kopf errechnet oder per ker auf Übersetzungsprogramme der mit dem Lernen einherging, Computer ausweist, ist vielleicht zurückgreifen können (s. Kas- mag man kritisch sehen, die nicht so wichtig. Wenn aber da- ten), leidet darunter ja nicht nur Annahme aber, dass bei dem durch das Verhältnis zu Zahlen, die Fremdsprachenkompetenz, sensomotorischen Prozess des im Sinne von: Relationen im sondern zugleich das Gefühl Schreibens mit der Hand einem Kopf herstellen, verloren geht, für die Vertrautheit mit Sprache andere Gedanken aus der Feder ist das etwas anderes. insgesamt. Das Gleiche gilt für fließen als beim Tippen, ist nicht Nicht mehr schreiben zu kön- Copy/Paste-Verfahren: Natürlich abwegig. Die Asiat_innen pfle- nen bedeutet dagegen noch mehr: ist es verführerisch, auf bereits gen nach wie vor nicht umsonst Gedanken zu verschriftlichen, als hohes Kulturgut, was bei uns was i.d.R. auf Kommunikation längst untergegangen ist: die ausgerichtet ist, ist ein Prozess, Korrektur Kalligraphie, eine Kunstform, der gegenüber rein mündlicher In der letzten Ausgabe veror- die Form und Inhalt eines Textes Kommunikation seine Beson- teten wir die Kollegin Regina auf eine ganz besondere Weise derheiten aufweist. Wird es also Schulz, die uns im Zusammen- zusammenbringt. Es entsteht et- in naher Zukunft neben weni- hang mit dem Thema ‚digitales was Einmaliges, Einzigartiges gen ‚Schriftgelehrten‘ nur noch Lernen‘ ein Beitrag lieferte, und ist damit höchst individuell. strukturelle Analphabet_innen den wir mit ‚Mitten aus dem Ein Pinsel ist der Feder dabei si- geben, die sich via Mojis im Te- Schulalltag‘ betitelten, am cherlich überlegen, trotzdem ist legrammstil austauschen? Ganz Gymnasium Dörpsweg (S. 44). mit dem Untergang der Hand- abgesehen davon, dass damit Das war falsch! Regina unter- schrift als Kulturgut auch bei uns auch die Notwendigkeit des Le- richtet am Gymnasium Groot- etwas unwiederbringlich verlo- sens abnehmen würde, das ja oh- moor. rengegangen. nehin durch Fernsehen, Youtube Wir entschuldigen uns für Und was für das Schreiben etc. und noch enger auf Schule diesen Fehler. gilt, zeigt sich auch beim Rech- bezogen: durch Youtube-Tuto- DIE REDAKTION nen: deutliche Kompetenzver- rials immer mehr in den Hin- hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2019 23
DIGITALES LERNEN (FOLGE 4) tergrund rückt, bedeutete dies was mit kommunikativer Kom- dem Genuss eines analogen eine qualitative Veränderung des petenz gemeint ist, geschärft Klangerlebnisses, das sich vom Denkens insgesamt. werden. digitalen abhebt. Dafür nimmt Also, so könnte man schluss- Dass sich bei Vielen bereits man in Kauf, dass alles umständ- folgern: wenn das Schreiben Skepsis gegenüber dieser All- licher ist. und Rechnen von Maschinen macht breit gemacht hat, lässt Und da gibt es scheinbar an- übernommen wird und das Le- sich auch daran erkennen, dass dere Verrückte, die wieder mit sen wie beschrieben ebenfalls in man bewusst auf analoge For- Rollfilm oder gar belichteten den Hintergrund rückt, braucht men der Reproduzierbarkeit Platten arbeiten und damit in es auch nicht mehr in der Schule – insbesondere, wenn es um Dunkelkammern rumhüsern. gelehrt und gelernt zu werden. Kunst geht – zurückgreift. Da Und das, wo vordergründig je- Was aber stattdessen? Wir wis- gibt es in der Musikrezeption des Smartphone doch das Glei- sen es eigentlich: Die Schärfung bei Manchen die klare Präferenz che liefern kann! Noch extremer und Sensibilisierung aller Sinne des Zurück zum Analogen. D. zeigt sich dieser Unterschied jenseits kognitiver Kompeten- h., man ist bereit, ein deutlich bei der Entstehung von musi- zen, die nicht von Maschinen umständlicheres Handling der kalischen Werken. Es wäre ein bzw. Computern übernommen Vinyl-Schallplatte mittels eines Leichtes, orchestrale Klänge rein werden können. Dies hieße, vergleichsweise aufwändigen am Computer entstehen zu las- konsequent den Ausbau der mu- mechanischen Abspielgeräts, sen. Man hat dies ja immer wie- sischen Fächer voranzutreiben! dem Plattenspieler, in Kauf zu der versucht und in der U-Musik Wie wäre es mit einem Zweig nehmen. Für was eigentlich? Es ist es ja in Teilen auch noch gän- Ästhetik, der alle Künste in den ist sicherlich nicht die Sehnsucht gige Praxis. Aber selbst die Ver- Mittelpunkt rückt? Eine Schule, nach der vermeintlich schöne- feinerung durch Zufallsgenerato- die damit einen deutlichen Ge- ren und besseren Vergangenheit, ren, die dafür sorgen, dass kleine Zu schwarz/weiß? genpol zur scheinbaren Allmacht also von Nostalgie getriebene Abweichungen vom physikali- der Algorithmen schaffen würde. Sehnsucht nach einer heileren schen Optimum das Produkt re- Auf dem Weg dahin könnte das, Welt, sondern der Wunsch nach alitätsnäher, also lebendiger er- Foto: Joyce Abrahams/GEW Man stelle sich vor, auf dem Schild wäre auch noch alles mit Computer geschrieben. Die Magie wäre zerstört! Man stelle sich vor, auf dem Schild wäre auch noch alles mit Computer geschrieben. Die Magie wäre zerstört! 24 hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2019
scheinen lassen, schafft es nicht, den Charakter des Künstlichen vollständig zu verwischen. Man kann die Liste jetzt beliebig fort- setzen, indem man fragt: warum gehen die Menschen nach wie vor ins Theater, in die Oper, ins Konzert? warum in die Kunst- halle, wenn im Zeitalter der di- gitalen Reproduzierbarkeit doch alles bequem übers Smartphone abrufbar ist? Walter Benjamin, ohne dessen Gedanken auch heute keine ernsthafte medien- politische Debatte geführt wird, äußerte sich dazu in den 1930er Jahren wie folgt: „Was im Zeit- alter der technischen Reprodu- zierbarkeit des Kunstwerks ver- kümmert, das ist seine Aura.“* Zu schwarz/weiß? Was Benjamin damals aufgrund chen, sind alle gefragt: Darauf Wechselwirkung zwischen unse- des Einzugs der Massenmedien zu achten, was inhaltlich denn rem bewussten Handeln aus ei- in die Öffentlichkeit problemati- überhaupt transportiert wird. nem vielleicht erkenntnisleiten- sierte, hat heute aufgrund der Di- Vielleicht sind wir manchmal et- dem Interesse (These), aber der gitalisierung eine ganz neue Di- was vorschnell – wie ich in der Ursachen gibt es viele und der mension erlangt. Seine Annahme letzten Ausgabe der hlz –, wenn Reaktion darauf (Antithese), was von einer Aura war damals um- wir Stiftungen ganz allgemein den geschichtlichen Lauf der stritten und ist es bis heute. Fest als Türöffner für die Wirtschaft Dinge bestimmt. Das Ergebnis steht aber, dass Menschen immer bezeichnen, die so helfen, deren der Veränderung, die Synthese wieder von der Sehnsucht getrie- Gewinninteressen durchzuset- also, ist immer etwas, das anders ben sind, sich in einer Weise aus- zen. Auch dort arbeiten Kolleg_ ist als das, was vorher war. „Man zudrücken, ja, sich zu entäußern, innen (wo sollen sie sonst auch kann nicht zweimal in denselben die aus ihrer ganz persönlichen alle hin, die Sozial-, Geistes- und Fluss steigen“, hat Heraklit vor Empfindung herrührt. Sprachwissenschaftler_innen?), 2500 Jahren gewusst. Passen wir Es gibt an dieser Stelle also an- die nicht nur als Erfüllungs- also darauf auf, dass wir, wenn scheinend keinen Grund, durch- gehilfen ihres Auftragsgebers wir aus dem Fluss wieder her- gängig kulturpessimistisch zu fungieren. Ähnlich könnte man auskommen, weder kontaminiert sein, da sich die Menschen ihre aus systemkritischer Sicht auch noch mit Schlamm bedeckt, son- Nischen suchen. Aber um die über Lehrer_innen sagen, sie dern sauber sind. geht es ja nicht. Es geht um das, seien letztendlich ebenfalls nur JOACHIM GEFFERS was den Schulalltag prägt. Und die Büttel der Herrschenden im hier ist dem Authentischen, Na- Sinne der Ausbildung optimal _____________________ türlichen, dem Einzigartigen der Man stelle sich vor, verwertbarer auf dem Schild wäre auch noch Arbeitskräfte. * alles mit Computer Walter geschrieben.Das Benjamin: Die Magie wäre Vorzug zu geben gegenüber ei- zerstört! Auch hier liegen die Dinge also Kunstwerk im Zeitalter seiner nem rein reproduktiv-mechanis- komplizierter. Es kommt darauf technischen Reproduzierbarkeit tischen instrumentellen Handeln. an, was wir aus dem Vorgefunde- (1939), S. 477, (zweite, erwei- Als Hilfsmittel, als Medium, als nen machen. Und dieses Machen terte deutsche Fassung, 1936) in: Mittler von Wissen gibt es si- ist immer ein Prozess von Ursa- Walter Benjamin: Gesammelte cherlich Möglichkeiten, digita- che und Wirkung, der aber nicht Schriften. Band VII, Werkaus- le Medien so einzusetzen, dass naturgesetzlich abläuft, sondern gabe Band 1, herausgegeben von sie auch im emanzipatorischen von unserem Handeln abhängt. Rolf Tiedemann und Hermann Sinne genutzt werden können. Wenn ich das mit der Dialektik Schweppenhäuser, Suhrkamp, (Beim Gestalten bin ich schon einigermaßen richtig verstanden Frankfurt am Main 1989, ISBN skeptischer). Um das zu errei- habe, dann beschreibt diese die 3-518-28531-9, S. 350–384. hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2019 25
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