Betriebsschließungen in der Corona-Krise: Erste Gerichte bestätigen Versicherungsschutz - Betriebsschließungsversicherung - WILHELM Rechtsanwälte
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Betriebsschließungsversicherung Betriebsschließungen in der Corona-Krise: Erste Gerichte bestätigen Versicherungsschutz www.wilhelm-rae.de Juni 2020
Von Dr. Mark Wilhelm, LL.M. und Tobias Wessel Betriebsschließungsversicherung Betriebsschließungen in der Corona-Krise: Erste Gerichte bestätigen Versicherungsschutz Das Coronavirus (SARS CoV-2) und die Maßnah- bieten, die durch eine behördliche Betriebsschlie- men zur Verhinderung seiner Ausbreitung trafen ßung eintreten. In der in Deutschland marktübli- und treffen die Wirtschaft weltweit hart. Beson- chen Betriebsschließungsversicherung knüpft der ders betroffen sind Gastronomie und Hotelge- Versicherungsfall an die behördliche Schließung werbe. des versicherten Betriebs zur Verhinderung der Ausbreitung meldepflichtiger Infektionskrankhei- Die Corona-Krise rückt damit auch ein weitgehend ten an. unbeachtetes Versicherungsprodukt in den Fokus: die Betriebsschließungsversicherung. Zur Frage, Häufig wird die Betriebsschließungsversicherung ob Betriebsschließungsversicherer in der gegen- von Versicherern als Teil von gebündelten Firmen- wärtigen Situation leistungspflichtig sind, ist in policen für Kleinbetriebe, Mittelstand und Indust- Deutschland und vielen weiteren Ländern ein öf- rie vertrieben. Ebenso sind aber Einzelpolicen für fentlicher Streit zwischen Versicherern, Versiche- das Risiko der Betriebsschließung erhältlich. Im rungsnehmern, Maklern, Juristen und der Politik Unterschied zu einer klassischen Betriebsunter- entbrannt. Jetzt liegen erste Urteile in Frankreich brechungsversicherung fordert sie keinen Sach- und Deutschland vor. schaden. 1. Die Betriebsschließungsversicherung 2. Aktuelle Situation in ausgewählten Ländern Die Betriebsschließungsversicherung soll für Be- Der Umfang und die Ausgestaltung des Produkts triebe bestimmter – vor allem – lebensmittelver- Betriebsschließungsversicherung variieren von arbeitender Branchen wie Hotellerie- und Gastro- Land zu Land zum Teil stark. Länderübergreifend nomiebetrieben Schutz vor den Ertragsausfällen www.wilhelm-rae.de 2
ähnlich sind die aktuellen Diskussionen zur Ein- 4. und 5.). Absehbar ist: Eine Vielzahl von De- standspflicht der Versicherer bei Corona-beding- ckungsklagen versicherter Betriebe beschäftigen ten Betriebsschließungen. demnächst die Gerichte. 2.1 Deutschland: Anrollende Klagewelle 2.2 Frankreich: Viel beachtete Gerichtsent- scheidung verurteilt AXA zur Zahlung Für Betriebsschließungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus sehen sich fast alle auf dem Für Frankreich liegt mit dem Urteil eines Pariser deutschen Markt tätigen Versicherer großteils Handelsgerichts (Manigold vs. AXA, Urteil vom 21. nicht in der Leistungspflicht. In der überwiegen- Mai 2020) eine erste Entscheidung zur Betriebs- den Zahl der Fälle werden Betriebsschließungs- schließungsversicherung vor. schäden deshalb nicht reguliert (zu den Argumen- ten der Versicherer siehe 5.). Kläger des Verfahrens war ein Betreiber von vier Pariser Restaurants. Die Restaurants wurden auf- Die Versicherer unterbreiten „Kulanzangebote“. grund des Dekrets des französischen Gesundheits- Die Angebote der Versicherer folgen häufig der als ministers vom 14. März 2020 geschlossen. Für die „bayerische Lösung“ bekannt gewordenen Initia- Restaurants bestanden jeweils Betriebsschlie- tive von Teilen der Versicherungswirtschaft, baye- ßungsversicherungen bei der AXA-Versicherung. rischem Staatsminis- Die AXA hatte außergerichtlich die Regulierung Versicherer bieten terium und bayeri- des Schließungsschadens verweigert und vertrat mit wenigen Ausnah- schen Wirtschaftsver- den Standpunkt, dass das ministerielle Dekret men maximal 15 % bänden: Sie bieten keine bedingungsgemäß erforderliche behördli- der Versicherungs- ohne Anerkenntnis ei- che Schließungsanordnung darstelle. ner Rechtspflicht summe. Die Pariser Richter folgten der Argumentation des höchstens 15 Prozent der versicherten Summen, zum Teil deutlich weni- Versicherers nicht und sprachen dem versicherten ger. Unternehmen Versicherungsleistungen aus der Betriebsschließungsversicherung für eine Haftzeit Für Deutschland liegt mit dem Urteil des LG Mann- von zwei Monaten zu. Hätte die AXA für Folgen heim vom 29. April 2020 (Az. 11 O 66/20) eine coronabedingter Betriebsschließungen nicht ein- erste Gerichtsentscheidung vor, die sich mit dem treten wollen, dann hätte der Versicherer nach Versicherungsschutz für behördliche Betriebs- Auffassung der Richter das Pandemierisiko un- schließungen befasst (s. Urteilsbesprechung unter missverständlich vom Versicherungsschutz aus- schließen müssen (was nicht erfolgt war). www.wilhelm-rae.de 3
2.3 UK: Finanzaufsicht FCA strebt gerichtliche Die Fälle sollen in der zweiten Juli-Hälfte vom Ge- Klärung an richt angehört werden.1 Im Vereinigten Königreich strebt die Finanzauf- 2.4 USA: Versicherer unter politischem Druck sicht Financial Conduct Authority (FCA) eine um- fassende gerichtliche Klärung an, ob für behördli- Auch in den Vereinigten Staaten sorgen die Folgen che Betriebsschließungen aufgrund von Maßnah- des (partiellen) Lockdowns für Streit zwischen Un- men zur Eindämmung der Ausbreitung des ternehmen und ihren Versicherern. Das ist inso- Coronavirus Versicherungsschutz besteht. fern zunächst verwunderlich, als in den USA ein mit der deutschen Betriebsschließungsversiche- Die Regulierungsbehörde beabsichtigt, mit einem rung vergleichbares Produkt nicht marktüblich ist. Musterprozess (sogenannter „Test Case“, eine Ei- Vielmehr ist in der Diskussion, ob Betriebsschlie- genheit des angelsächsischen Case Law) vor dem ßungen unter den standardmäßigen Betriebsun- High Court in London terbrechungsversicherungen versichert sind. Von Auch in Großbritan- Rechtssicherheit für Vertretern der Versicherungsnehmer wird dabei eine Vielzahl be- unter anderem angeführt, das Coronavirus konsti- nien und den USA troffener versicher- tuiere einen „property damage“ im versicherten wird die Leistungs- ter Unternehmen zu Betrieb. Auch wird debattiert, ob vielfach verwen- pflicht der Versicherer schaffen. Hierzu soll dete Seuchenausschlüsse in den Policen wirksam gerichtlich geprüft. der Musterprozess sind und ob das Fehlen dieses Ausschlusses in an- feststellen, wie die deren Policen hinreichend auf eine Eintrittspflicht streitgegenständlichen Betriebsunterbrechungs- des Versicherers deute. Mehrere hundert Klagen, versicherungen auszulegen sind. Den Richtern des darunter auch Sammelklagen, sind bereits landes- High Courts werden siebzehn verschiedene Poli- weit anhängig. cen-Wordings von acht sich freiwillig beteiligen- den Versicherern (u.a Hiscox, QBE und Zurich) vor- Unterstützung erhalten die Versicherungsnehmer gelegt. Versicherungsnehmer(-vertreter) und Ver- von der Politik sowohl auf Bundesebene wie auch sicherer erhalten im Vorfeld Gelegenheit, ihre ju- in vielen Einzelstaaten. Präsident Donald Trump ristischen Positionen einzureichen. Das Urteil des forderte die Versicherer auf, Betriebsschließun- Musterverfahrens ist für die Versicherer bindend. 1 Zum aktuellen Stand des Verfahrens informiert die FCA unter https://www.fca.org.uk/firms/business-interrup- tion-insurance www.wilhelm-rae.de 4
gen zu entschädigen und vertrat eine eigene ver- auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes sicherungsnehmerfreundliche Auslegung der Ver- (IfSG) den versicherten Betrieb oder eine versi- sicherungsbedingungen im Rahmen einer Presse- cherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Ver- konferenz.2 Zudem brachten Kongress- und Se- breitung von meldepflichtigen Krankheiten oder natsmitglieder in Washington sowie in acht Bun- Krankheitserregern beim Menschen schließt. Als desstaaten Gesetzesentwürfe ein, die Versicherer meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserre- zu einer Leistung im Pandemie-Fall verpflichten ger definierten die AVB des Versicherers „die in sollen, zum Teil sogar rückwirkend für die seit den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krank- März 2020 eingetretenen Schäden. Nach heftigen heiten und Krankheitserreger“. Durch das Verbot Protesten der US-Versicherungswirtschaft und touristischer Übernachtungen war aus Sicht der verfassungsrechtlichen Bedenken erscheint eine Versicherungsnehmerin der Versicherungsfall der solche gesetzliche Verpflichtung mittlerweile aber Betriebsschließung eingetreten. Denn wegen der ungewiss.3 Ausrichtung des Betriebes der Versicherungsneh- merin machten nichttouristische Übernachtungen 3. Urteil des LG Mannheim vom 29. April 2020 nur einen kleinen Prozentsatz der Übernachtun- (Az. 11 O 66/20) gen aus. 3.1 Sachverhalt Die Versicherungsnehmerin verlangte von dem Versicherer mit einstweiliger Verfügung Leistun- Klägerin des Mannheimer Verfahrens war ein ver- gen aus den Betriebsschließungsversicherungen. sichertes Unternehmen, das drei Hotels betreibt. 3.2 Entscheidung Die Versicherungsnehmerin hatte bei dem beklag- ten Versicherer für jedes der Hotels eine Betriebs- Der Antrag des versicherten Unternehmens auf Er- unterbrechungsversicherung abgeschlossen. Dort lass der einstweiligen Verfügung hatte aus pro- enthalten war ein Baustein Betriebsschließungs- zessualen Gründen zwar keinen Erfolg. versicherung. Der Versicherer war nach den AVB leistungspflichtig, wenn die zuständige Behörde 2 vgl. Insurance Journal v. 14. April 2020: Trump Tells Insur- 3 vgl. Commercial Risk Europe v. 28. April 2020: States de- ers to Pay Virus Claims If Pandemics Not Excluded, lay on retroactive BI bills for virus losses because of con- https://www.insurancejournal.com/news/na- stitutional questions, https://www.commercialris- tional/2020/04/14/564744.htm konline.com/states-delay-on-retroactive-bi-bills-for-vi- rus-losses-because-of-constitutional-questions/ www.wilhelm-rae.de 5
Von Relevanz sind aber die Ausführungen der Krankheitserreger versichert sind, die bei Ver- Mannheimer Richter zum Versicherungsanspruch tragsschluss nicht bekannt waren (wie vorliegend aus der Betriebsschließungsversicherung. Dieser das Coronavirus). Anspruch besteht. Weiterhin bemerkenswert sind die Ausführungen Zunächst hat das der Mannheimer Richter zu den Voraussetzungen LG Mannheim: Landgericht Mann- für das Vorliegen einer versicherten behördlichen Coronavirus ist versi- heim die Streitfrage, Betriebsschließung. Nach Auffassung der Richter cherter Krankheitser- ob das Coronavirus stellen die Rechtsverordnungen / Allgemeinverfü- reger – aktuelles IfSG ein versicherter gungen der Landesregierungen, die den Hotelbe- maßgeblich. Krankheitserreger im trieb – und damit auch das Gewerbe der Versiche- Sinne der AVB des rungsnehmerin – auf außertouristische Zwecke Versicherers ist, zugunsten der Versicherungsneh- beschränkten, eine behördlich angeordnete Be- merin entschieden. Nach Auffassung der Mann- triebsschließung dar. Einer Betriebsschließung heimer Richter waren die AVB des Versicherers steht nicht entgegen, dass – die ohnehin nur in ge- ausgehend von dem maßgeblichen Verständnis- ringem Umfang stattfindenden – Übernachtungen horizont des durchschnittlichen Versicherungs- von Geschäftsreisenden in den Hotels der Versi- nehmers so zu verstehen, dass die im Zeitpunkt cherungsnehmerin weiterhin möglich sind. des Versicherungsfalls – also der behördlichen Schließungsanordnung – nach §§ 6, 7 IfSG melde- 4. Bewertung und Einordnung pflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger Das Urteil des Landgerichts Mannheim schafft nur versichert sind (sog. dynamische Verweisung). Da- teilweise gewisse Klarheit. mit haben die Mannheimer Richter die Auffassung des Versicherers, nach der Versicherungsschutz 4.1 Coronavirus versicherter Krankheitserre- nur für die bei Abschluss der Versicherung melde- ger? pflichtigen Krankheiten bestünde („eingefrore- ner“ Versicherungsschutz oder sog. statische Ver- Das Landgericht Mannheim sieht das Coronavirus weisung), klar abgelehnt. Änderungen des IfSG zutreffend als bedingungsgemäß versicherten nach Abschluss des Versicherungsvertrages (z.B. Krankheitserreger an. die Ausdehnung der Meldepflicht auf neuartige Krankheitserreger) wirken sich demzufolge auch In vielen Fällen enthalten die AVB – anders als im auf den Versicherungsschutz aus. Die sog. dynami- Fall vor dem LG Mannheim – Listen, in denen die sche Verweisung führt dazu, dass auch neuartige meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserre- ger namentlich aufgezählt sind. Naturgemäß ist in diesen Listen SARS-CoV-2 bzw. Covid-19 noch www.wilhelm-rae.de 6
nicht aufgeführt. Versicherungsschutz besteht da- Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich von unbenommen auch unter solchen Bedingun- sind, dass der Versicherungsnehmer mit ihnen gen. Die Atemwegserkrankung COVID-19 und das nicht zu rechnen braucht. Der Vertragspartner und Coronavirus sind meldepflichtig nach dem IfSG Versicherungsnehmer soll darauf vertrauen dür- und somit vom Versicherungsschutz einer Versi- fen, dass sich die Vertragsregeln im Großen und cherung, die Schutz gegen Betriebsschließungen Ganzen im Rahmen auf Grundlage des IfSG verspricht, zwingend um- dessen halten, was Viele der verwendeten fasst. nach den Umstän- Listen in AVB dürften den bei Abschluss Das LG Mannheim erwähnte in einem Nebensatz, überraschend und in- des Vertrages zu dass der Versicherer sein Risiko mit einer solchen erwarten war. transparent sein – Liste hätte begrenzen können. Es hatte sich aber Maßgeblich sind und daher unwirksam. mit der AGB-Rechtswidrigkeit der Klauselgestal- neben dem Inhalt tung (mangels Vorliegen einer solchen Klausel) der vertraglichen Vereinbarung auch die voraus- nicht befassen müssen. gegangene Beratung und der Eindruck des Versi- cherungsnehmers aus der Werbung.4 4.1.1 Klauselgestaltung vielfach überraschend Zunächst warben die Versicherer mit dem Pro- In vielen Fällen dürfte bereits die Einbeziehung der dukt, das gegen Betriebsschließung aufgrund be- Listen in den Versicherungsvertrag wegen Überra- hördlicher Maßnahmen Deckung bieten soll. Bei schung des Versicherungsnehmers unwirksam Abschluss erhält der Versicherungsnehmer eine sein (§ 305c Abs. 1 BGB). Andernfalls hätten die Risikobeschreibung und Deklaration als „Betriebs- treuesten Kunden mit den ältesten Versicherungs- schließungsversicherung aufgrund behördlicher bedingungen aufgrund der veralteten Listen in ih- Anordnungen auf Basis des IfSG“. Der durch- ren Bedingungen den geringsten Versicherungs- schnittliche Versicherungsnehmer (Hotelier oder schutz. Je länger der Versicherungsnehmer einge- Gastronom) erwartet also Versicherungsschutz für zahlt hat, desto weniger Versicherungsschutz hat Betriebsschließungen wegen Krankheiten nach er erworben. Selbst der verständige Versiche- dem Infektionsschutzgesetz. Auch die Überschrif- rungsnehmer erwartet das nicht. ten in den Versicherungsscheinen und in den Be- Nicht Vertragsteil werden Klauseln in AVB, die dingungen lassen den Versicherungsnehmer De- nach den Umständen, insbesondere dem äußeren 4 OLG Hamm, VersR 1986, 55 www.wilhelm-rae.de 7
ckungsschutz erwarten. Der durchschnittliche Ver- ist die Liste benannter Krankheiten und Krank- sicherungsnehmer darf auch erwarten, in der Be- heitserreger wegen der verwendeten Fachsprache ratung einen Hinweis auf ersichtlich von ihm nicht nicht verständlich. Dem durchschnittlichen Versi- erkannte verbleibende Deckungslücken durch den cherungsnehmer wird nicht mit der hinreichenden Versicherer zu erhalten.5 Klarheit verdeutlicht, ob die Liste in den AVB mit derjenigen im IfSG in dessen bei Vertragsschluss 4.1.2 Klauselgestaltung ruft vielfach Transpa- geltender Fassung übereinstimmt oder sie dahin- renzbedenken hervor ter zurückbleibt und damit Lücken im Versiche- rungsschutz drohen.6 Nur durch einen umständli- Zudem gehen Unklarheiten in den AVB zu Lasten chen Vergleich der AVB mit der Gesetzesfassung des Betriebsschließungsversicherer als deren Ver- der §§ 6, 7 IfSG könnte der Versicherungsnehmer wender (§ 305c Abs. 2 BGB). Wenn Deckungsum- erkennen, dass für einige Fälle behördlich ange- fang und -grenzen nicht hinreichend deutlich wer- ordneter Betriebsschließungen angeblich kein den, ist die Verwendung von risikobeschränken- Versicherungsschutz bestehen soll. Auf die Idee zu den Listen in AVB intransparent und damit unwirk- vergleichen, kommt er aber nicht, da er davon aus- sam (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB). gehen durfte, dass die Betriebsschließungsrisiken Der Betriebsschließungsversicherer als Verwender versichert sind. der AVB ist entsprechend den Grundsätzen von Das Interesse des Versicherers, Risiken nur nach Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten vorheriger Prüfung zu übernehmen, ist anzuerken- seines Vertragspartners (der Hoteliers und Gastro- nen. Der Versicherungsnehmer darf allerdings er- nomen) möglichst klar und durchschaubar darzu- warten, die Grenzen des Versicherungsschutzes stellen. Dabei kommt es zunächst darauf an, dass hinreichend verdeutlicht zu bekommen. Der Ver- die Klausel in ihrer Formulierung für den durch- sicherungsnehmer braucht nicht damit zu rech- schnittlichen Versicherungsnehmer verständlich nen, dass der Versicherungsschutz auf eine veral- sein muss. tete epidemiologische Lage (bei Vertragsab- Für den durchschnittlichen Gastronom oder Hote- schluss) beschränkt ist, ohne dass die Vertragsge- lier ohne versicherungsrechtliche und auch ohne staltung oder auch der Vermittler ihm dies hinrei- medizinische oder virologische Spezialkenntnisse chend verdeutlichen. 5 vgl. Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250, 256, dort im Zu- 6 vgl. Armbrüster, VersR 2020, 577, 583 sammenhang mit einer möglichen Haftung des Versiche- rers gemäß § 63, § 6 Absatz 5 VVG i.V.m. § 278 BGB www.wilhelm-rae.de 8
Abhängig von der konkreten Ausgestaltung der schnittlichen Versicherungsnehmers für eine Be- AVB genügen die „Listen-Klauseln“ diesen Trans- triebsteiluntersagung genügen, wenn Anordnun- parenzerfordernissen nicht. Für Betriebsschlie- gen wirtschaftlich einer faktischen Betriebsschlie- ßungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus ßung gleich kommen.7 besteht daher Versicherungsschutz. Im Klartext: Hotelbesitzer werden aufgrund von 4.2 Versicherte Schließung bei erheblichen Be- Infektionsschutzmaßnahmen so gut wie nie eine triebsbeschränkungen infolge der behördli- Vollschließung ihres Hotels erleiden, sondern stets chen Anordnungen nur die Schließung eines Betriebsteils (z.B. Restau- rant, Bar, Spa oder Zimmer). Wäre nicht auch eine Zustimmung verdient die Ansicht der Mannheimer Teilschließung vom Versicherungsschutz umfasst, Richter, Beschränkungen des Betriebs infolge be- wäre das Produkt Betriebsschließungsversiche- hördlicher Anordnung als versicherte Schließung rung für Hoteliers praktisch wertlos, zumal die aufzufassen, wenn die Anordnung faktisch einer Teilschließung notwendig im Begriff der Schlie- Betriebsschließung gleichkommt (hier: Untersa- ßung enthalten ist. gung touristischer Beherbergungen, weiterhin er- laubte Beherbergung Restaurantbesitzer wiederum haben mit der Be- Erhebliche Einschrän- Geschäftsreisender). triebsschließungsversicherung das Risiko der kungen des Betriebs Schließung ihres Restaurants versichert. Ob sie Muss der Versiche- theoretisch alternativ zum Restaurantbetrieb Lie- sind als Betriebs- rungsnehmer den Be- ferservice, Take-Away oder ein anderes Nebenge- schließung aufzufas- trieb infolge behördli- werbe betreiben könnten, ist irrelevant. Versi- sen. cher Anordnung in er- chert ist der Betrieb eines Restaurants und nicht heblicher Weise auf- eines Liefer- oder Abholservices. Hätte der Versi- geben, bleiben ihm etwa nur noch Annextätigkei- cherte zwei Betriebe, einen Lieferservice und ein ten erlaubt, dann ist die Fortführung des Betriebs Restaurant, wäre die Schließung des Restaurants – wie er versichert ist – unmöglich und die behörd- versichert und der Lieferservice eben nicht. liche Anordnung ist als Schließung aufzufassen. Erst recht dürfte für die Annahme einer Schlie- ßung aus der maßgeblichen Sicht eines durch- 7 so auch: Piontek COVuR 2020, 195, 199 www.wilhelm-rae.de 9
4.3 Schließung ohne Infektionen unmittelbar kennbar und damit sind auch flächendeckende Be- im Betrieb versichert? triebsschließungen zur Eindämmung von Infektio- nen mit dem Coronavirus versichert. Das Landgericht Mannheim entschied schließlich, dass der Eintritt des Versicherungsfalls in der Be- 4.4 Zusammenfassung triebsschließungsversicherung nicht das Auftreten eines meldepflichtigen Krankheitserregers im Be- Mit dem Urteil des Landgerichts Mannheim liegt trieb selbst bzw. einen diesbezüglichen Verdacht für Deutschland eine erste Gerichtsentscheidung voraussetzt. vor, die sich mit der Deckung für Folgen der Coronakrise unter der Betriebsschließungsversi- Eine auf innerbetrieblich aufgetretene Infektionen cherung befasst. Die Entscheidung ist erfreulich beschränkte Zielsetzung kommt in den AVB nicht und lässt eine erste Tendenz erkennen, dass in der zum Ausdruck. Vielmehr nehmen diese AVB ganz Betriebsschließungsversicherung entgegen geäu- allgemein auf eine behördliche Betriebsschließung ßerter anderer Behauptungen vielfach Deckung auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes Be- für behördliche Betriebsschließungen zur Eindäm- zug, die gerade die Ausbreitung von Infektions- mung von Infektionen mit dem Coronavirus be- krankheiten („generalpräventiv“) verhindern soll. steht. Die vom Versicherer 5. Ausblick Aus den AVB ergibt verfolgten Zwecke sich nicht, dass ein sind nur maßgeb- Das latente Problem, dass kleine und mittelständi- lich, sofern sie in sche Unternehmen in der finanziellen Not nach ei- Krankheitserreger im nem Schadenfall oft zu unbefriedigenden Verglei- den AVB – zumin- versicherten Betrieb chen mit ihren Versicherern gezwungen werden, dest unvollkommen auftreten muss. – Ausdruck finden.8 tritt durch die Corona-Krise erstmals auf breiter Das ist durchgängig Front offen zu Tage. Flächendeckende, schnelle nicht der Fall. Einschränkungen des Versiche- Lösungen, wie etwa das britische Musterverfah- rungsschutzes sind in den Bedingungen nicht er- ren, sind hierzulande für die Versicherung von Ge- werbe, Mittelstand und Industrie nicht vorgese- hen. Die Versicherer sitzen – trotz vielfach 8 vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Auflage 2018, Einleitung Rn. 261 www.wilhelm-rae.de 10
schlechterer Argumente – am wirtschaftlich länge- Für Rückfragen stehen Ihnen die Autoren gern zur ren Hebel. Verfügung: Viele der versicherten Betriebe streben dennoch Dr. Mark Wilhelm, LL.M. ungeachtet der „Kulanzangebote“ der Versicherer Rechtsanwalt und Partner eine gerichtliche Klärung an – häufig unterstützt Fachanwalt für Versicherungs- durch Prozessfinanzierer, die die Klagewelle auf- recht / Master of Insurance Law grund guter Erfolgsaussichten mittlerweile beglei- ten. Der Gesamtschaden für die Versicherer ist fi- WILHELM Partnerschaft von nanziell überschaubar und verteilt sich auf viele Rechtsanwälten mbB Marktteilnehmer. Die Auseinandersetzung um die Tel: +49 211 687746 0 Deckung Corona-bedingter Betriebsschließungen mark.wilhelm@wilhelm-rae.de wird also in den kommenden Monaten und Jahren zahlreiche Gerichte in Deutschland und anderen Ländern beschäftigen. Tobias Wessel Rechtsanwalt Erwähnenswert ist, dass zwei Versicherer sich ih- rer Verantwortung gegenüber den Kunden be- WILHELM Partnerschaft von wusst sind und von Anfang an in vielen Fällen voll- Rechtsanwälten mbB ständig regulierten. Verwunderlich bleibt, dass alle anderen Versicherer flächendeckend einen Tel: +49 211 687746 29 Imageschaden bisher kaum gesehenen Ausmaßes tobias.wessel@wilhelm-rae.de in Kauf nehmen, obwohl die Deckungskonzepte e- her für eine Regulierung sprechen. Diesen Beitrag veröffentlichte die Zeitschrift Die Versicherungspraxis in ihrer Ausgabe 06/2020. www.wilhelm-rae.de 11
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