Betriebsschließungen in der Corona-Krise: Erste Gerichte bestätigen Versicherungsschutz - Betriebsschließungsversicherung - WILHELM Rechtsanwälte

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Betriebsschließungen in der Corona-Krise: Erste Gerichte bestätigen Versicherungsschutz - Betriebsschließungsversicherung - WILHELM Rechtsanwälte
Betriebsschließungsversicherung

                     Betriebsschließungen in der
                                   Corona-Krise:
                       Erste Gerichte bestätigen
                            Versicherungsschutz

www.wilhelm-rae.de                                    Juni 2020
Von Dr. Mark Wilhelm, LL.M. und Tobias Wessel

Betriebsschließungsversicherung

Betriebsschließungen in der Corona-Krise: Erste Gerichte
bestätigen Versicherungsschutz

Das Coronavirus (SARS CoV-2) und die Maßnah-            bieten, die durch eine behördliche Betriebsschlie-
men zur Verhinderung seiner Ausbreitung trafen          ßung eintreten. In der in Deutschland marktübli-
und treffen die Wirtschaft weltweit hart. Beson-        chen Betriebsschließungsversicherung knüpft der
ders betroffen sind Gastronomie und Hotelge-            Versicherungsfall an die behördliche Schließung
werbe.                                                  des versicherten Betriebs zur Verhinderung der
                                                        Ausbreitung meldepflichtiger Infektionskrankhei-
Die Corona-Krise rückt damit auch ein weitgehend        ten an.
unbeachtetes Versicherungsprodukt in den Fokus:
die Betriebsschließungsversicherung. Zur Frage,         Häufig wird die Betriebsschließungsversicherung
ob Betriebsschließungsversicherer in der gegen-         von Versicherern als Teil von gebündelten Firmen-
wärtigen Situation leistungspflichtig sind, ist in      policen für Kleinbetriebe, Mittelstand und Indust-
Deutschland und vielen weiteren Ländern ein öf-         rie vertrieben. Ebenso sind aber Einzelpolicen für
fentlicher Streit zwischen Versicherern, Versiche-      das Risiko der Betriebsschließung erhältlich. Im
rungsnehmern, Maklern, Juristen und der Politik         Unterschied zu einer klassischen Betriebsunter-
entbrannt. Jetzt liegen erste Urteile in Frankreich     brechungsversicherung fordert sie keinen Sach-
und Deutschland vor.                                    schaden.

1.   Die Betriebsschließungsversicherung                2.   Aktuelle Situation in ausgewählten Ländern

Die Betriebsschließungsversicherung soll für Be-        Der Umfang und die Ausgestaltung des Produkts
triebe bestimmter – vor allem – lebensmittelver-        Betriebsschließungsversicherung variieren von
arbeitender Branchen wie Hotellerie- und Gastro-        Land zu Land zum Teil stark. Länderübergreifend
nomiebetrieben Schutz vor den Ertragsausfällen

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ähnlich sind die aktuellen Diskussionen zur Ein-       4. und 5.). Absehbar ist: Eine Vielzahl von De-
       standspflicht der Versicherer bei Corona-beding-       ckungsklagen versicherter Betriebe beschäftigen
       ten Betriebsschließungen.                              demnächst die Gerichte.

       2.1   Deutschland: Anrollende Klagewelle               2.2   Frankreich: Viel beachtete Gerichtsent-
                                                                    scheidung verurteilt AXA zur Zahlung
       Für Betriebsschließungen im Zusammenhang mit
       dem Coronavirus sehen sich fast alle auf dem           Für Frankreich liegt mit dem Urteil eines Pariser
       deutschen Markt tätigen Versicherer großteils          Handelsgerichts (Manigold vs. AXA, Urteil vom 21.
       nicht in der Leistungspflicht. In der überwiegen-      Mai 2020) eine erste Entscheidung zur Betriebs-
       den Zahl der Fälle werden Betriebsschließungs-         schließungsversicherung vor.
       schäden deshalb nicht reguliert (zu den Argumen-
       ten der Versicherer siehe 5.).                         Kläger des Verfahrens war ein Betreiber von vier
                                                              Pariser Restaurants. Die Restaurants wurden auf-
     Die Versicherer unterbreiten „Kulanzangebote“.           grund des Dekrets des französischen Gesundheits-
     Die Angebote der Versicherer folgen häufig der als       ministers vom 14. März 2020 geschlossen. Für die
     „bayerische Lösung“ bekannt gewordenen Initia-           Restaurants bestanden jeweils Betriebsschlie-
     tive von Teilen der Versicherungswirtschaft, baye-       ßungsversicherungen bei der AXA-Versicherung.
                                 rischem Staatsminis-         Die AXA hatte außergerichtlich die Regulierung
Versicherer bieten               terium und bayeri-           des Schließungsschadens verweigert und vertrat
mit wenigen Ausnah- schen Wirtschaftsver-                     den Standpunkt, dass das ministerielle Dekret
men maximal 15 %                 bänden: Sie bieten           keine bedingungsgemäß erforderliche behördli-
der Versicherungs-               ohne Anerkenntnis ei-        che Schließungsanordnung darstelle.
                                 ner      Rechtspflicht
summe.                                                        Die Pariser Richter folgten der Argumentation des
                                 höchstens 15 Prozent
     der versicherten Summen, zum Teil deutlich weni-         Versicherers nicht und sprachen dem versicherten
     ger.                                                     Unternehmen Versicherungsleistungen aus der
                                                              Betriebsschließungsversicherung für eine Haftzeit
       Für Deutschland liegt mit dem Urteil des LG Mann-      von zwei Monaten zu. Hätte die AXA für Folgen
       heim vom 29. April 2020 (Az. 11 O 66/20) eine          coronabedingter Betriebsschließungen nicht ein-
       erste Gerichtsentscheidung vor, die sich mit dem       treten wollen, dann hätte der Versicherer nach
       Versicherungsschutz für behördliche Betriebs-          Auffassung der Richter das Pandemierisiko un-
       schließungen befasst (s. Urteilsbesprechung unter      missverständlich vom Versicherungsschutz aus-
                                                              schließen müssen (was nicht erfolgt war).

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2.3      UK: Finanzaufsicht FCA strebt gerichtliche            Die Fälle sollen in der zweiten Juli-Hälfte vom Ge-
                Klärung an                                            richt angehört werden.1

       Im Vereinigten Königreich strebt die Finanzauf-                2.4   USA: Versicherer unter politischem Druck
       sicht Financial Conduct Authority (FCA) eine um-
       fassende gerichtliche Klärung an, ob für behördli-             Auch in den Vereinigten Staaten sorgen die Folgen
       che Betriebsschließungen aufgrund von Maßnah-                  des (partiellen) Lockdowns für Streit zwischen Un-
       men zur Eindämmung der Ausbreitung des                         ternehmen und ihren Versicherern. Das ist inso-
       Coronavirus Versicherungsschutz besteht.                       fern zunächst verwunderlich, als in den USA ein
                                                                      mit der deutschen Betriebsschließungsversiche-
      Die Regulierungsbehörde beabsichtigt, mit einem                 rung vergleichbares Produkt nicht marktüblich ist.
      Musterprozess (sogenannter „Test Case“, eine Ei-                Vielmehr ist in der Diskussion, ob Betriebsschlie-
      genheit des angelsächsischen Case Law) vor dem                  ßungen unter den standardmäßigen Betriebsun-
                                   High Court in London               terbrechungsversicherungen versichert sind. Von
Auch in Großbritan-                Rechtssicherheit für               Vertretern der Versicherungsnehmer wird dabei
                                   eine Vielzahl be-                  unter anderem angeführt, das Coronavirus konsti-
nien und den USA
                                   troffener versicher-               tuiere einen „property damage“ im versicherten
wird die Leistungs-                ter Unternehmen zu                 Betrieb. Auch wird debattiert, ob vielfach verwen-
pflicht der Versicherer schaffen. Hierzu soll                         dete Seuchenausschlüsse in den Policen wirksam
gerichtlich geprüft.               der Musterprozess                  sind und ob das Fehlen dieses Ausschlusses in an-
                                   feststellen, wie die               deren Policen hinreichend auf eine Eintrittspflicht
      streitgegenständlichen Betriebsunterbrechungs-                  des Versicherers deute. Mehrere hundert Klagen,
      versicherungen auszulegen sind. Den Richtern des                darunter auch Sammelklagen, sind bereits landes-
      High Courts werden siebzehn verschiedene Poli-                  weit anhängig.
      cen-Wordings von acht sich freiwillig beteiligen-
      den Versicherern (u.a Hiscox, QBE und Zurich) vor-              Unterstützung erhalten die Versicherungsnehmer
      gelegt. Versicherungsnehmer(-vertreter) und Ver-                von der Politik sowohl auf Bundesebene wie auch
      sicherer erhalten im Vorfeld Gelegenheit, ihre ju-              in vielen Einzelstaaten. Präsident Donald Trump
      ristischen Positionen einzureichen. Das Urteil des              forderte die Versicherer auf, Betriebsschließun-
      Musterverfahrens ist für die Versicherer bindend.

       1     Zum aktuellen Stand des Verfahrens informiert die FCA
             unter https://www.fca.org.uk/firms/business-interrup-
             tion-insurance

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gen zu entschädigen und vertrat eine eigene ver-                     auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes
sicherungsnehmerfreundliche Auslegung der Ver-                       (IfSG) den versicherten Betrieb oder eine versi-
sicherungsbedingungen im Rahmen einer Presse-                        cherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Ver-
konferenz.2 Zudem brachten Kongress- und Se-                         breitung von meldepflichtigen Krankheiten oder
natsmitglieder in Washington sowie in acht Bun-                      Krankheitserregern beim Menschen schließt. Als
desstaaten Gesetzesentwürfe ein, die Versicherer                     meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserre-
zu einer Leistung im Pandemie-Fall verpflichten                      ger definierten die AVB des Versicherers „die in
sollen, zum Teil sogar rückwirkend für die seit                      den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krank-
März 2020 eingetretenen Schäden. Nach heftigen                       heiten und Krankheitserreger“. Durch das Verbot
Protesten der US-Versicherungswirtschaft und                         touristischer Übernachtungen war aus Sicht der
verfassungsrechtlichen Bedenken erscheint eine                       Versicherungsnehmerin der Versicherungsfall der
solche gesetzliche Verpflichtung mittlerweile aber                   Betriebsschließung eingetreten. Denn wegen der
ungewiss.3                                                           Ausrichtung des Betriebes der Versicherungsneh-
                                                                     merin machten nichttouristische Übernachtungen
3.      Urteil des LG Mannheim vom 29. April 2020                    nur einen kleinen Prozentsatz der Übernachtun-
        (Az. 11 O 66/20)                                             gen aus.

3.1       Sachverhalt                                                Die Versicherungsnehmerin verlangte von dem
                                                                     Versicherer mit einstweiliger Verfügung Leistun-
Klägerin des Mannheimer Verfahrens war ein ver-
                                                                     gen aus den Betriebsschließungsversicherungen.
sichertes Unternehmen, das drei Hotels betreibt.
                                                                     3.2       Entscheidung
Die Versicherungsnehmerin hatte bei dem beklag-
ten Versicherer für jedes der Hotels eine Betriebs-                  Der Antrag des versicherten Unternehmens auf Er-
unterbrechungsversicherung abgeschlossen. Dort                       lass der einstweiligen Verfügung hatte aus pro-
enthalten war ein Baustein Betriebsschließungs-                      zessualen Gründen zwar keinen Erfolg.
versicherung. Der Versicherer war nach den AVB
leistungspflichtig, wenn die zuständige Behörde

2     vgl. Insurance Journal v. 14. April 2020: Trump Tells Insur-   3     vgl. Commercial Risk Europe v. 28. April 2020: States de-
      ers to Pay Virus Claims If Pandemics Not Excluded,                   lay on retroactive BI bills for virus losses because of con-
      https://www.insurancejournal.com/news/na-                            stitutional   questions,       https://www.commercialris-
      tional/2020/04/14/564744.htm                                         konline.com/states-delay-on-retroactive-bi-bills-for-vi-
                                                                           rus-losses-because-of-constitutional-questions/

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Von Relevanz sind aber die Ausführungen der            Krankheitserreger versichert sind, die bei Ver-
     Mannheimer Richter zum Versicherungsanspruch           tragsschluss nicht bekannt waren (wie vorliegend
     aus der Betriebsschließungsversicherung. Dieser        das Coronavirus).
     Anspruch besteht.
                                                            Weiterhin bemerkenswert sind die Ausführungen
                                 Zunächst hat das           der Mannheimer Richter zu den Voraussetzungen
LG Mannheim:
                                 Landgericht     Mann-      für das Vorliegen einer versicherten behördlichen
Coronavirus ist versi-           heim die Streitfrage,      Betriebsschließung. Nach Auffassung der Richter
cherter Krankheitser-            ob das Coronavirus         stellen die Rechtsverordnungen / Allgemeinverfü-
reger – aktuelles IfSG           ein       versicherter     gungen der Landesregierungen, die den Hotelbe-
maßgeblich.                      Krankheitserreger im       trieb – und damit auch das Gewerbe der Versiche-
                                 Sinne der AVB des          rungsnehmerin – auf außertouristische Zwecke
     Versicherers ist, zugunsten der Versicherungsneh-      beschränkten, eine behördlich angeordnete Be-
     merin entschieden. Nach Auffassung der Mann-           triebsschließung dar. Einer Betriebsschließung
     heimer Richter waren die AVB des Versicherers          steht nicht entgegen, dass – die ohnehin nur in ge-
     ausgehend von dem maßgeblichen Verständnis-            ringem Umfang stattfindenden – Übernachtungen
     horizont des durchschnittlichen Versicherungs-         von Geschäftsreisenden in den Hotels der Versi-
     nehmers so zu verstehen, dass die im Zeitpunkt         cherungsnehmerin weiterhin möglich sind.
     des Versicherungsfalls – also der behördlichen
     Schließungsanordnung – nach §§ 6, 7 IfSG melde-        4.    Bewertung und Einordnung
     pflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger
                                                            Das Urteil des Landgerichts Mannheim schafft nur
     versichert sind (sog. dynamische Verweisung). Da-
                                                            teilweise gewisse Klarheit.
     mit haben die Mannheimer Richter die Auffassung
     des Versicherers, nach der Versicherungsschutz         4.1    Coronavirus versicherter Krankheitserre-
     nur für die bei Abschluss der Versicherung melde-             ger?
     pflichtigen Krankheiten bestünde („eingefrore-
     ner“ Versicherungsschutz oder sog. statische Ver-      Das Landgericht Mannheim sieht das Coronavirus
     weisung), klar abgelehnt. Änderungen des IfSG          zutreffend als bedingungsgemäß versicherten
     nach Abschluss des Versicherungsvertrages (z.B.        Krankheitserreger an.
     die Ausdehnung der Meldepflicht auf neuartige
     Krankheitserreger) wirken sich demzufolge auch         In vielen Fällen enthalten die AVB – anders als im
     auf den Versicherungsschutz aus. Die sog. dynami-      Fall vor dem LG Mannheim – Listen, in denen die
     sche Verweisung führt dazu, dass auch neuartige        meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserre-
                                                            ger namentlich aufgezählt sind. Naturgemäß ist in
                                                            diesen Listen SARS-CoV-2 bzw. Covid-19 noch

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nicht aufgeführt. Versicherungsschutz besteht da-        Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich
von unbenommen auch unter solchen Bedingun-              sind, dass der Versicherungsnehmer mit ihnen
gen. Die Atemwegserkrankung COVID-19 und das             nicht zu rechnen braucht. Der Vertragspartner und
Coronavirus sind meldepflichtig nach dem IfSG            Versicherungsnehmer soll darauf vertrauen dür-
und somit vom Versicherungsschutz einer Versi-           fen, dass sich die Vertragsregeln im Großen und
cherung, die Schutz gegen Betriebsschließungen           Ganzen im Rahmen
auf Grundlage des IfSG verspricht, zwingend um-          dessen halten, was      Viele der verwendeten
fasst.                                                   nach den Umstän-           Listen in AVB dürften
                                                         den bei Abschluss
Das LG Mannheim erwähnte in einem Nebensatz,                                        überraschend und in-
                                                         des Vertrages zu
dass der Versicherer sein Risiko mit einer solchen       erwarten       war.
                                                                                        transparent sein –
Liste hätte begrenzen können. Es hatte sich aber         Maßgeblich sind          und daher unwirksam.
mit der AGB-Rechtswidrigkeit der Klauselgestal-          neben dem Inhalt
tung (mangels Vorliegen einer solchen Klausel)           der vertraglichen Vereinbarung auch die voraus-
nicht befassen müssen.                                   gegangene Beratung und der Eindruck des Versi-
                                                         cherungsnehmers aus der Werbung.4
4.1.1      Klauselgestaltung vielfach überraschend
                                                         Zunächst warben die Versicherer mit dem Pro-
In vielen Fällen dürfte bereits die Einbeziehung der
                                                         dukt, das gegen Betriebsschließung aufgrund be-
Listen in den Versicherungsvertrag wegen Überra-
                                                         hördlicher Maßnahmen Deckung bieten soll. Bei
schung des Versicherungsnehmers unwirksam
                                                         Abschluss erhält der Versicherungsnehmer eine
sein (§ 305c Abs. 1 BGB). Andernfalls hätten die
                                                         Risikobeschreibung und Deklaration als „Betriebs-
treuesten Kunden mit den ältesten Versicherungs-
                                                         schließungsversicherung aufgrund behördlicher
bedingungen aufgrund der veralteten Listen in ih-
                                                         Anordnungen auf Basis des IfSG“. Der durch-
ren Bedingungen den geringsten Versicherungs-
                                                         schnittliche Versicherungsnehmer (Hotelier oder
schutz. Je länger der Versicherungsnehmer einge-
                                                         Gastronom) erwartet also Versicherungsschutz für
zahlt hat, desto weniger Versicherungsschutz hat
                                                         Betriebsschließungen wegen Krankheiten nach
er erworben. Selbst der verständige Versiche-
                                                         dem Infektionsschutzgesetz. Auch die Überschrif-
rungsnehmer erwartet das nicht.
                                                         ten in den Versicherungsscheinen und in den Be-
Nicht Vertragsteil werden Klauseln in AVB, die           dingungen lassen den Versicherungsnehmer De-
nach den Umständen, insbesondere dem äußeren

4   OLG Hamm, VersR 1986, 55

                                             www.wilhelm-rae.de                                        7
ckungsschutz erwarten. Der durchschnittliche Ver-               ist die Liste benannter Krankheiten und Krank-
sicherungsnehmer darf auch erwarten, in der Be-                 heitserreger wegen der verwendeten Fachsprache
ratung einen Hinweis auf ersichtlich von ihm nicht              nicht verständlich. Dem durchschnittlichen Versi-
erkannte verbleibende Deckungslücken durch den                  cherungsnehmer wird nicht mit der hinreichenden
Versicherer zu erhalten.5                                       Klarheit verdeutlicht, ob die Liste in den AVB mit
                                                                derjenigen im IfSG in dessen bei Vertragsschluss
4.1.2    Klauselgestaltung ruft vielfach Transpa-               geltender Fassung übereinstimmt oder sie dahin-
         renzbedenken hervor                                    ter zurückbleibt und damit Lücken im Versiche-
                                                                rungsschutz drohen.6 Nur durch einen umständli-
Zudem gehen Unklarheiten in den AVB zu Lasten
                                                                chen Vergleich der AVB mit der Gesetzesfassung
des Betriebsschließungsversicherer als deren Ver-
                                                                der §§ 6, 7 IfSG könnte der Versicherungsnehmer
wender (§ 305c Abs. 2 BGB). Wenn Deckungsum-
                                                                erkennen, dass für einige Fälle behördlich ange-
fang und -grenzen nicht hinreichend deutlich wer-
                                                                ordneter Betriebsschließungen angeblich kein
den, ist die Verwendung von risikobeschränken-
                                                                Versicherungsschutz bestehen soll. Auf die Idee zu
den Listen in AVB intransparent und damit unwirk-
                                                                vergleichen, kommt er aber nicht, da er davon aus-
sam (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).
                                                                gehen durfte, dass die Betriebsschließungsrisiken
Der Betriebsschließungsversicherer als Verwender                versichert sind.
der AVB ist entsprechend den Grundsätzen von
                                                                Das Interesse des Versicherers, Risiken nur nach
Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten
                                                                vorheriger Prüfung zu übernehmen, ist anzuerken-
seines Vertragspartners (der Hoteliers und Gastro-
                                                                nen. Der Versicherungsnehmer darf allerdings er-
nomen) möglichst klar und durchschaubar darzu-
                                                                warten, die Grenzen des Versicherungsschutzes
stellen. Dabei kommt es zunächst darauf an, dass
                                                                hinreichend verdeutlicht zu bekommen. Der Ver-
die Klausel in ihrer Formulierung für den durch-
                                                                sicherungsnehmer braucht nicht damit zu rech-
schnittlichen Versicherungsnehmer verständlich
                                                                nen, dass der Versicherungsschutz auf eine veral-
sein muss.
                                                                tete epidemiologische Lage (bei Vertragsab-
Für den durchschnittlichen Gastronom oder Hote-                 schluss) beschränkt ist, ohne dass die Vertragsge-
lier ohne versicherungsrechtliche und auch ohne                 staltung oder auch der Vermittler ihm dies hinrei-
medizinische oder virologische Spezialkenntnisse                chend verdeutlichen.

5   vgl. Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250, 256, dort im Zu-    6   vgl. Armbrüster, VersR 2020, 577, 583
    sammenhang mit einer möglichen Haftung des Versiche-
    rers gemäß § 63, § 6 Absatz 5 VVG i.V.m. § 278 BGB

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Abhängig von der konkreten Ausgestaltung der             schnittlichen Versicherungsnehmers für eine Be-
       AVB genügen die „Listen-Klauseln“ diesen Trans-          triebsteiluntersagung genügen, wenn Anordnun-
       parenzerfordernissen nicht. Für Betriebsschlie-          gen wirtschaftlich einer faktischen Betriebsschlie-
       ßungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus               ßung gleich kommen.7
       besteht daher Versicherungsschutz.
                                                                Im Klartext: Hotelbesitzer werden aufgrund von
       4.2       Versicherte Schließung bei erheblichen Be-     Infektionsschutzmaßnahmen so gut wie nie eine
                 triebsbeschränkungen infolge der behördli-     Vollschließung ihres Hotels erleiden, sondern stets
                 chen Anordnungen                               nur die Schließung eines Betriebsteils (z.B. Restau-
                                                                rant, Bar, Spa oder Zimmer). Wäre nicht auch eine
     Zustimmung verdient die Ansicht der Mannheimer             Teilschließung vom Versicherungsschutz umfasst,
     Richter, Beschränkungen des Betriebs infolge be-           wäre das Produkt Betriebsschließungsversiche-
     hördlicher Anordnung als versicherte Schließung            rung für Hoteliers praktisch wertlos, zumal die
     aufzufassen, wenn die Anordnung faktisch einer             Teilschließung notwendig im Begriff der Schlie-
     Betriebsschließung gleichkommt (hier: Untersa-             ßung enthalten ist.
     gung touristischer Beherbergungen, weiterhin er-
                               laubte Beherbergung              Restaurantbesitzer wiederum haben mit der Be-
Erhebliche Einschrän- Geschäftsreisender).                      triebsschließungsversicherung das Risiko der
kungen des Betriebs                                             Schließung ihres Restaurants versichert. Ob sie
                                    Muss der Versiche-          theoretisch alternativ zum Restaurantbetrieb Lie-
sind als Betriebs-                  rungsnehmer den Be-         ferservice, Take-Away oder ein anderes Nebenge-
schließung aufzufas-                trieb infolge behördli-     werbe betreiben könnten, ist irrelevant. Versi-
sen.                                cher Anordnung in er-       chert ist der Betrieb eines Restaurants und nicht
                                    heblicher Weise auf-        eines Liefer- oder Abholservices. Hätte der Versi-
       geben, bleiben ihm etwa nur noch Annextätigkei-          cherte zwei Betriebe, einen Lieferservice und ein
       ten erlaubt, dann ist die Fortführung des Betriebs       Restaurant, wäre die Schließung des Restaurants
       – wie er versichert ist – unmöglich und die behörd-      versichert und der Lieferservice eben nicht.
       liche Anordnung ist als Schließung aufzufassen.
       Erst recht dürfte für die Annahme einer Schlie-
       ßung aus der maßgeblichen Sicht eines durch-

       7   so auch: Piontek COVuR 2020, 195, 199

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4.3      Schließung ohne Infektionen unmittelbar                  kennbar und damit sind auch flächendeckende Be-
             im Betrieb versichert?                                   triebsschließungen zur Eindämmung von Infektio-
                                                                      nen mit dem Coronavirus versichert.
    Das Landgericht Mannheim entschied schließlich,
    dass der Eintritt des Versicherungsfalls in der Be-               4.4    Zusammenfassung
    triebsschließungsversicherung nicht das Auftreten
    eines meldepflichtigen Krankheitserregers im Be-                  Mit dem Urteil des Landgerichts Mannheim liegt
    trieb selbst bzw. einen diesbezüglichen Verdacht                  für Deutschland eine erste Gerichtsentscheidung
    voraussetzt.                                                      vor, die sich mit der Deckung für Folgen der
                                                                      Coronakrise unter der Betriebsschließungsversi-
    Eine auf innerbetrieblich aufgetretene Infektionen                cherung befasst. Die Entscheidung ist erfreulich
    beschränkte Zielsetzung kommt in den AVB nicht                    und lässt eine erste Tendenz erkennen, dass in der
    zum Ausdruck. Vielmehr nehmen diese AVB ganz                      Betriebsschließungsversicherung entgegen geäu-
    allgemein auf eine behördliche Betriebsschließung                 ßerter anderer Behauptungen vielfach Deckung
    auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes Be-                    für behördliche Betriebsschließungen zur Eindäm-
    zug, die gerade die Ausbreitung von Infektions-                   mung von Infektionen mit dem Coronavirus be-
    krankheiten („generalpräventiv“) verhindern soll.                 steht.

                                Die vom Versicherer                   5.    Ausblick
Aus den AVB ergibt              verfolgten Zwecke
sich nicht, dass ein            sind nur maßgeb-                      Das latente Problem, dass kleine und mittelständi-
                                lich, sofern sie in                   sche Unternehmen in der finanziellen Not nach ei-
Krankheitserreger im                                                  nem Schadenfall oft zu unbefriedigenden Verglei-
                                den AVB – zumin-
versicherten Betrieb                                                  chen mit ihren Versicherern gezwungen werden,
                                dest unvollkommen
auftreten muss.                 – Ausdruck finden.8                   tritt durch die Corona-Krise erstmals auf breiter
                                Das ist durchgängig                   Front offen zu Tage. Flächendeckende, schnelle
    nicht der Fall. Einschränkungen des Versiche-                     Lösungen, wie etwa das britische Musterverfah-
    rungsschutzes sind in den Bedingungen nicht er-                   ren, sind hierzulande für die Versicherung von Ge-
                                                                      werbe, Mittelstand und Industrie nicht vorgese-
                                                                      hen. Die Versicherer sitzen – trotz vielfach

    8     vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Auflage 2018,
          Einleitung Rn. 261

                                                          www.wilhelm-rae.de                                       10
schlechterer Argumente – am wirtschaftlich länge-       Für Rückfragen stehen Ihnen die Autoren gern zur
ren Hebel.                                              Verfügung:

Viele der versicherten Betriebe streben dennoch                        Dr. Mark Wilhelm, LL.M.
ungeachtet der „Kulanzangebote“ der Versicherer                        Rechtsanwalt und Partner
eine gerichtliche Klärung an – häufig unterstützt                      Fachanwalt für Versicherungs-
durch Prozessfinanzierer, die die Klagewelle auf-                      recht / Master of Insurance Law
grund guter Erfolgsaussichten mittlerweile beglei-
ten. Der Gesamtschaden für die Versicherer ist fi-                     WILHELM Partnerschaft von
nanziell überschaubar und verteilt sich auf viele                      Rechtsanwälten mbB
Marktteilnehmer. Die Auseinandersetzung um die
                                                                       Tel: +49 211 687746 0
Deckung Corona-bedingter Betriebsschließungen
                                                                       mark.wilhelm@wilhelm-rae.de
wird also in den kommenden Monaten und Jahren
zahlreiche Gerichte in Deutschland und anderen
Ländern beschäftigen.                                                  Tobias Wessel
                                                                       Rechtsanwalt
Erwähnenswert ist, dass zwei Versicherer sich ih-
rer Verantwortung gegenüber den Kunden be-
                                                                       WILHELM Partnerschaft von
wusst sind und von Anfang an in vielen Fällen voll-
                                                                       Rechtsanwälten mbB
ständig regulierten. Verwunderlich bleibt, dass
alle anderen Versicherer flächendeckend einen                          Tel: +49 211 687746 29
Imageschaden bisher kaum gesehenen Ausmaßes                            tobias.wessel@wilhelm-rae.de
in Kauf nehmen, obwohl die Deckungskonzepte e-
her für eine Regulierung sprechen.

Diesen Beitrag veröffentlichte die Zeitschrift Die
Versicherungspraxis in ihrer Ausgabe 06/2020.

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       dungsträgern in kritischen Situationen – vom Großschaden über die persönliche Inanspruchnah-
       me bis hin zum Compliance-Verstoß im Unternehmen. Sechzehn Berufsträger an zwei Standorten
       (Düsseldorf und Berlin) vereinen hierfür Expertise aus den Bereichen Versicherung, Haftung, Wirt-
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