Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2

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Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
2 | 2021

Bibliotheken im digitalen Zeitalter
Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
ZÄH N I PAU S E                                                                                         Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

              Förderung mit Apfelbäumen
                                            Text: Urs-Peter Zwingli | Bilder: Ana Kontoulis

Das weitläufige Areal der Sekundarschule Aadorf liegt am         sowie umliegenden, ländlichen Dörfern besuchen die Sekun-
Dorfrand. Daneben beginnen Wälder und Wiesen, auf denen          darschule, «wir haben in den Klassen also eine gute Mischung»,
auch Obstbäume stehen – sinnbildlich für das Projekt «Apfel-     sagt Schulleiter Meier. Die Schule hat schon relativ früh auf die
baum», das in der dritten Sekundarklasse im neuen Schuljahr      Digitalisierung des Unterrichts gesetzt: Seit 2016 erhalten alle
umgesetzt wird. «Die Idee ist, dass die                                               Jugendlichen ein Tablet als Arbeitsgerät.
Schülerinnen und Schüler dabei wöchent-                                               «Sie kennen das aus ihrem Alltag bereits
lich Module besuchen, in denen sie Fä-          «Wir haben eine gute Diskus-          sehr gut, es macht also Sinn, das Gerät in
higkeiten für ihren zukünftigen Beruf            sionskultur. Dadurch komme           den Unterricht einzubauen», sagt dazu ein
vertiefen und auch selbständig arbeiten»,      ich auch persönlich im pädago-         Lehrer. Mehrere Lehrpersonen erzählen
sagt Peter Meier, seit 2015 Leiter der Se-          gischen Bereich weiter.»          beim Besuch der Schulblatt-Redaktion
kundarschule. So soll in den Abschluss-                                               Ende März, sie würden die Dynamik im
klassen zudem die Motivation hochgehal-                                               28-köpfigen Aadorfer Team schätzen:
ten werden. Neben dem baldigen Einstieg in die Berufswelt        «Wir sind divers aufgestellt, da kommen viele verschiedene
bewege die Drittklässler aber auch Anderes, wie ein Lehrer       Meinungen zusammen. Wir haben zum Glück eine gute Dis-
in der 10-Uhr-Pause erzählt: «Momentan ist unsicher, ob und      kussionskultur. Dadurch komme ich auch persönlich im päda-
wie ein feierlicher Schulabschluss stattfinden kann.» Das ein    gogischen Bereich weiter», sagt eine Lehrperson.
solches Ritual schmerzlich fehle, habe sich bereits im Sommer
2020 gezeigt. Rund 230 Schülerinnen und Schüler aus Aadorf       schulenaadorf.ch › Sekundarschule

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Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021                                                                                            I N HA LT

       09             Fokus: Vielfältige Bi
                                              bliothekslandschaft                    Kultur: Rüst zeug
                                                                                                         von Influencern   28

          		FOKUS: BIBLIOTHEKEN                                       		KULTUR
              IM DIGITALEN ZEITALTER
                                                                        28 Influencer der Geschichte

           06 Die Thurgauer Bibliotheken auf einen Blick                28 Vom Fliegen und Träumen

           07 Unterrichtsideen und Fachliteratur                        29 Kinderpodcast aus dem Museum

           09 Gelebte Vielfalt in kleinen Bibliotheken                  29 Kulturverantwortliche gesucht

           12 Kinder beim Bibliotheksbesuch begleiten

           14 Ein Blick in die Zukunft                                  		WEITERBILDUNG &
           19 Bücher machen melancholisch                               		FORSCHUNG
           21 Aus der Redaktion
                                                                        30 Beurteilung wird diskutiert

          		AKTUALITÄT
                                                                        		SchlussVERSion
           22 Schulabsentismus wird häufiger
                                                                        31 Nichts an … !

          		RUND UM DIE SCHULE

           23 BBF auf Erfolgskurs

           23 Arbeitsfelder Schulunterstützung

           24 Thurgau du Heimat wird neu lanciert

           24 Lernbericht bei Lernzielanpassungen

           26 Neue Plattformen für Lehrpersonen                                              Schulblatt
                                                                                           September 2021
           27 Differenzierte Förderung in der Berufsschule
                                                                                             zum Thema
           27 Thurgauer Lesebuch für den Unterricht                                         «Schule weiter
                                                                                               denken»

                                                                    3
Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
E D ITO R IA L                                                                      Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

                                                                    CMYK
                           Ausgegoogelt
                           Liebe Leserin, lieber Leser

                           «Braucht es überhaupt noch Bibliotheken in einer Zeit, in der
                           wir alle Informationen im Internet finden?» Diese Frage wurde
                           mir noch vor einigen Jahren immer wieder gestellt. Das Inter-
                           net und speziell die Suchmaschine Google hatten anfänglich
                           die Hoffnung geweckt, dass in Zukunft das gesamte Wissen
                           frei zugänglich sein würde. «Googeln» wurde zu einem Syno-
                           nym für «Informationsbeschaffung». Nach und nach haben wir
       «Wir erhalten zu    aber erfahren müssen, dass sich die Vorstellung eines freien
                           und demokratischen Internets nicht von selbst verwirklicht.
wichtigen Fragen unter-    Die anfängliche Euphorie ist verflogen und einem Unbehagen
 schiedliche Antworten,    gewichen. Wir wissen, dass Google und die Sozialen Medien
                           das Internet «für uns» filtern. Wir erhalten zu wichtigen Fra-
       abhängig davon,     gen unterschiedliche Antworten, abhängig davon, welcher
     welcher Filterblase   Filterblase uns der Algorithmus zuordnet. Und es ist auch
                           nicht so, dass wir die Informationen umsonst bekommen. Wir
   uns der Algorithmus     bezahlen für sie, indem wir Daten über unsere persönlichsten
             zuordnet.»    Angelegenheiten offenlegen. Und immer häufiger stellt sich
                           die Frage: «Welche Informationen sind wahr und welche ein
                           Fake?» Unsicherheit und Misstrauen machen sich breit.

                           Vor diesem Hintergrund erhält der Grundauftrag der Biblio-
                           theken, einen freien und neutralen Zugang zu Informationen
                           für alle Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, eine neue
                           Aktualität. Dieser Auftrag wurde im Ethikkodex des Be-
                           rufsverbandes Bibliosuisse letzthin nochmals geschärft. Ein
                           wichtiger Punkt im Ethikkodex, speziell für Schulbibliotheken,
                           ist die Förderung der Informationskompetenz. Damit ist die
                           Fähigkeit gemeint, Informationen zu finden, zu bewerten und
                           aufzubereiten, aber auch die Fähigkeit, diese Informationen
                           fair und korrekt in eine Diskussion einzubringen.

                           Um auf die Anfangsfrage zurückzukommen: Ja, es braucht
                           auch heute noch gut ausgestattete Bibliotheken, denn diese
                           leisten einen Beitrag dazu, dass unsere Zivilgesellschaft
                           durch gut informierte, dialogbereite und engagierte Men-
                           schen gestärkt wird.

                           Bernhard Bertelmann
                           Thurgauer Kantonsbibliothekar

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Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

 5
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 Ka em der Fo
       n R i to
e n t o n un n di r e p
    t s sb d g e s o
        t a ib a n e m r t
           n d li o g               ag
       A n e n . t h e dur S c h e
           a Fo k i c h u l b
              Ko to n            d l
                                              FOKUS

                nt gr Fra ie T at t
                  o u af u e h s i n
                            i
                     l i s e r nf u r g d
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                                 at d u e
                                          r
Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
FOKUS                                                                                                                                                Schulblatt Thurgau 260’000
                                                                                                                                                                          | Juni 2021

                                                                                                                                                                              50’000

                                                                                                                                                                              40’000
                                                                                                                                                  11%
                                                                                                                                                                              30’000

Die Thurgauer                                                                                                                                                                 20’000
                                                                                                                                                                                                 10’216

Bibliotheken
                                                                                                                                    89%                                       10’000
                                                                                                                                                                                       5’560
                                                                                                                                                                                   0

auf einen Blick
                                                                                                                                                                                          2017    2018

                                                                                                                              Ausgaben für digitale Angebote

                                                                                                                              Total geben die öffentlichen Bibliotheken
Auch Bibliotheken haben sich digital fit gemacht. So entfällt bereits ein                                                                                   250’000
                                                                                                                              knapp 11 % ihres Medienbudgets für                                 214’9
Viertel der Mediennutzung in der Kantonsbibliothek Thurgau auf digitale                                                       digitale Angebote aus.        200’000
Angebote wie Streams oder Downloads.                                                                                                                                                   163’858
                                                                                                                                                                             150’000

D    och gerade die Gemeindebibliotheken, die den weitläufigen Thurgau
     ausserhalb der Hauptstadt versorgen, sind noch weitgehend auf analoge
Medien ausgerichtet. Dort beträgt der digitale Anteil der Mediennutzung
                                                                                                                              Ausleihe elektronischer Zeitschriften

                                                                                                                              60’000
                                                                                                                                                             100’000

                                                                                                                                                                    50’019   50’000
                                                                                                                              50’000
im Schnitt um die zehn Prozent. Diese und weitere Zahlen geben eine
Vorstellung davon, wie die Thurgauer Bibliothekslandschaft beschaffen ist.*                                                   40’000
                                                                                                                                                                                  0
                                                                                                              11%
                                                                                                                              30’000                                                      2019   2020
                                                                                                                                                           24’354                                    2
                                                                                                                              20’000
                                                                                                                                                  10’216

2’011
                                                                                                  89%                          10’000                                                      80%
                                                                                                                                         5’560
                                                                                                                                    0
                                                                                                                                          2017     2018     2019    2020

                                                                                                                              Die Zahl der Ausleihen von elektro-
                                                                                                                              nischen Zeitschriften und Zeitungen hat
                                                                                                                              sich seit 2017 fast verzehnfacht.
                                                                                                                             250’000
                                                                                                                                                  214’954
                                                                                                                             200’000
                                                                60’000                                                                  163’858
                                                                                                     50’019                  150’000
                                                                50’000

           1’641                             11%
                                                               Öffentliche
                                                                40’000     Bibliotheken Thurgau                              100’000
                                                                                                                                  bis 4
                                                               Im Thurgau gibt es 24’354
                                                                30’000               22 öffentliche                               mehr
                                                                                                                              50’000 20%
Stärkere Nutzung digitaler Angebote
                                                               Bibliotheken.
                                                                20’000        Dazu   kommen   vier Biblio-
                                                                                                                                    0
Es gibt auch Einzelfälle, in denen digitale                    theken  der  Berufs-
                                                                              10’216 und Mittelschulen                                    2019    2020
                           89%                                  10’000                                                     80%
Angebote bereits stärker genutzt                               sowie die5’560
                                                                          MDZ-Bibliothek der PHTG.
                                                                      0
werden als analoge Angebote – so etwa                                       2017    2018      2019   2020
im Bereich der audiovisuellen Medien
(AV-Medien) in der Gemeindebibliothek                          Ausleihe Dibiost im Aufwind
Romanshorn. Herkömmliche AV-Medien
                                                               250’000
wurden dort 1641 Mal ausgeliehen,                                                   214’954
digitale AV-Medien 2011 Mal.                                                                                                  Mit der Erweiterung durch den Dibiost-
                                                               200’000
                                                                          163’858                                             Katalog können die meisten Bibliotheken
                                                               150’000                                                        im Kanton ihr Angebot um den Faktor
                                                               100’000
                                                                                                                              drei oder sogar vier vergrössern.

                    20%                                         50’000

      80%
                                                                      0
                                                                            2019    2020
                                                                                                                              25’904
                                                               Die Digitale Bibliothek Ostschweiz                             25’904 Nutzerinnen und Nutzer
                                                               (Dibiost) ist ein Verbund von über 180                         haben 2019 mindestens einmal eine
                                                               Bibliotheken. Dessen Nutzerinnen und                           Dienstleistung einer Thurgauer
Nutzung der digitalen Angebote
                                                               Nutzer können auf rund 189’028 Medien                          Bibliothek bezogen.
                                                               (Mehrfachexemplare mitgezählt; 45’188
In einigen Gemeindebibliotheken hat
die Nutzung der digitalen Angebote
                                                               einzelne Titel) zugreifen. Im von der
                                                               Coronapandemie geprägten 2020 stieg                            989’386
bereits einen Anteil von 20 Prozent                            die Zahl der Ausleihen aus dem Thurgau                         Insgesamt wurden dabei 989’386
oder mehr an den gesamten Ausleihen.                           stark an auf 214’954 (Vorjahr 163’858).                        physische Ausleihen getätigt.

* Quelle: Erhebungen des Bundesamtes für Statistik sowie der Kantonsbibliothek Thurgau. Die aktuell vorliegenden Zahlen beziehen sich (falls nicht anders angegeben) auf das Jahr 2019.

                                                                                              6
Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021                                                                                                  FOKUS

Blick in den Eingangsbereich der MDZ Bibliothek.

Eine Bibliothek
voller Ideen für
den Unterricht
Die MDZ Bibliothek an der PHTG bietet eine grosse
Auswahl an Lehrmitteln, Ideen für den Unterricht
und Fachliteratur – und das rund um die Uhr.

Text: MDZ Bibliotheksteam | Fotos: Urs Anderegg

D      ie Bibliothek des Medien- und Didaktikzentrums (MDZ) ist
       die zentrale Anlaufstelle im Bildungswesen des Kantons
Thurgau für umfangreiche analoge und elektronische Fachlite-
                                                                            2. Lesen, zuhören, Filme ansehen, Fragen beantworten, Rätsel
                                                                            lösen, basteln … Einem Sachthema wie z.B. Magnetismus kann
                                                                            man sich auf viele Arten nähern. Hier helfen die ausleihbaren
ratur, vielfältige Unterrichtsmaterialien und Lehrmittel. Sie ist die       Projektkisten der MDZ Bibliothek. Von Fachleuten zusam-
Bibliothek der Pädagogischen Hochschule Thurgau, der Päda-                  mengestellt, enthalten sie alles, was für die Unterrichtsgestal-
gogischen Maturitätsschule Kreuzlingen und der Kantonsschule                tung nötig ist – von Kopiervorlagen, didaktischen Anleitungen
Kreuzlingen, aber auch der Lehrerinnen und Lehrer der Volks-                über Film- und Bildmaterial bis hin zu Experimentier-Sets.
schule. Seit 2008 auf dem Campus Kreuzlingen lädt sie vor Ort
zum Arbeiten und Verweilen ein. Eine Vielzahl von Arbeitsplätzen            3. Das Angebot umfasst sowohl aktuelle Bücher und Zeit-
sowie bequeme Sitzmöglichkeiten stehen zur Verfügung.                       schriften zu berufspraktischen Themen wie z.B. Elternarbeit,
                                                                            Heterogenität, Bewegte Schule als auch Begleitliteratur für
Ein Besuch lohnt sich, denn …                                               Weiterbildungen.
1. Das Angebot der MDZ Bibliothek umfasst eine grosse Aus-
wahl aktueller Medien und Materialien, die Anregungen für den               4. Lehrmittel und Unterrichtsmaterialien sämtlicher Schweizer
eigenen Unterricht oder auch die Schulbibliothek liefern können.            sowie der gängigsten deutschen Lehrmittelverlage können vor
Die Aufstellung der Medien orientiert sich an den Schulfächern              Ort eingesehen und ausgeliehen werden. Alle Neuveröffentli-
und bietet für alle Zyklen Materialien für den kompetenzorien-              chungen aus dem Sortiment der BLDZ Thurgau werden in einer
tierten Unterricht gemäss Lehrplan Volksschule Thurgau.                     Ausstellung präsentiert.

                                                                        7
Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
FOKUS                                                                                                    Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

5. Alle lieferbaren Titel der Zentrale für Klassenlektüre von Bi-
bliomedia Schweiz stehen zur Ausleihe bereit. Zudem findet man          Eine Neueinschreibung ist jederzeit möglich,
die Hefte des Schweizerischen Jugendschriftenwerks (SJW).               sei es vor Ort oder über unsere Website.
Die Lesekoffer von Kinder- und Jugendmedien Ostschweiz
(SIKJM) runden das vielfältige Angebot zur Leseförderung ab.            Kontakt
                                                                        Pädagogische Hochschule Thurgau
6. Ein Besuch vor Ort kann z.B. zur Vorbereitung von Projekt-           MDZ Bibliothek
wochen bereichernd und anregend sein. Auf Wunsch können                 Unterer Schulweg 1, 8280 Kreuzlingen
Führungs- oder Beratungsangebote des Bibliotheksteams ge-
nutzt werden.                                                           Tel. +41 (0)71 678 56 96
                                                                        mdz.bibliothek@phtg.ch
Überall und rund um die Uhr – auch wenn ein Besuch                      bibliothek.phtg.ch
nicht möglich ist …
                                                                        Öffnungszeiten
•	
  Das Medienangebot der MDZ Bibliothek kann über den Biblio-            Montag bis Freitag, 10 bis 18 Uhr
  thekskatalog abgerufen werden. Die Bestellung erfolgt online.
  Die Medien können vor Ort abgeholt oder per Postversand gra-          Bibliothekskatalog
  tis nach Hause oder in das eigene Schulhaus bestellt werden.

•	
  Wissenschaftliche E-Books mit dem Schwerpunkt Erziehungs-
  und Sozialwissenschaften, aber auch das Angebot der Digi-
  talen Bibliothek Ostschweiz (Dibiost) können über den Katalog
  abgerufen und online oder per Download gelesen werden.

•	
  Die MDZ Bibliothek bietet didaktische Unterrichtsfilme zu
  beliebten Themen wie z.B. Nachhaltigkeit als Stream an. Auf                                        Die Zeitschrif tenaus
                                                                                                                             wahl ist reichha ltig .
  die Filme und das Zusatzmaterial kann bequem online im Bi-
  bliothekskatalog zugegriffen werden.  ¡

Es stehen verschiedenste Arbeitsplätze zur Verfügung.

                                                                    8
Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021                                                                                                   FOKUS

                              Kleine Bibliotheken
                             engagieren sich kreativ
        25 Bibliotheken gibt es im Kanton Thurgau – darunter viele kleinere Institutionen, die über Jahre
        gewachsen sind und teils ein Angebot pflegen, das über klassische Dienstleistungen hinausgeht.
                 Das Schulblatt hat drei Bibliotheken besucht, die alle unter anderem eine enge
                              Zusammenarbeit mit den örtlichen Schulen pflegen.

                                                    Texte und Bilder: Urs-Peter Zwingli

Eschlikon

Escape Room und
Treffpunkt für das Dorf
Die Schul- und Gemeindebibliothek Eschlikon befindet sich seit
2014 in einer ehemaligen, kleinen Fabrik. Das Gebäude hat eine
auffällige Glasfassade und liegt in einem Wohngebiet, an des-
sen ruhigen Strassen man keine Bibliothek erwarten würde. Im
Innern zeigen sich die Vorzüge der grosszügig gebauten Räume:
Grosse Fenster lassen viel Tageslicht in die Bibliothek und bieten
genug Platz für Sitzecken und Begegnungszonen. Im Unterge-
schoss findet sich zudem die «Werkstatt» – ein hoher Raum, in                                                     sanne
                                                                                              liotheksleiterin Su
                                                                            Die Eschliker Bib         als Da Z-L eh rerin.
dem keine Bücherregale stehen. Dafür stehen hier Büchertische                                   au ch
                                                                            Rüdisühli arbeitet
mit Empfehlungen zu aktuellen Themen. Hier finden zudem re-
gelmässig Lesungen und Konzerte statt. Und im Herbst 2020
baute eine Kantischülerin im Rahmen ihrer Maturaarbeit in der
«Werkstatt» vorübergehend einen Escape Room auf.

«Um als Bibliothek möglichst viele Menschen zu erreichen, muss           thek ohnehin regelmässig: Da sie neben der Gemeinde- auch
man heute mehr machen als nur die klassische Medienbewirt-               die Schulbibliothek ist, sind alle Klassen alle 14 Tage einmal hier.
schaftung», sagt die Bibliotheksleiterin Susanne Rüdisühli, die          «Diese Besuche sind wertvoll, gleichzeitig sehe ich hier noch
auch als DaZ-Lehrerin für die Volksschulgemeinde Eschlikon               einiges an Potential», sagt Rüdisühli. Vorstellbar sei für sie etwa,
arbeitet. «Unser Anspruch ist es, mit der Bibliothek einen Be-           die Schülerinnen und Schüler beim Bibliotheksbesuch enger zu
gegnungsort für die ganze Bevölkerung zu schaffen», sagt sie.            begleiten und ihnen beispielsweise während der Bibliothekslek-
Sie sei darum immer offen für Ideen, mit denen man aus dem               tion konkrete Aufträge zu erteilen. «Gleichzeitig finde ich, dass
Dorf auf sie zukomme. «Kürzlich habe ich beispielsweise eine             die Schülerinnen und Schüler in der Bibliothek auch die Zeit und
Anfrage für einen Kurs in kreativem Schreiben, der in der Bi-            die Freiheit bekommen sollen, um Lesestoff auszuwählen. Es ist
bliothek stattfinden soll, erhalten.» Und auf Initiative des Bi-         eine Kunst, hier einen guten Mittelweg zu finden.» Das sei auch
bliohteksteams und der Kulturkommission wurden 2017 von                  eine Frage der Ressourcen: Die vier Frauen im Bibliotheksteam
verschiedenen Gruppen mehrere «Bücherbänkli» gestaltet. Im               arbeiten alle Teilzeit. Rüdisühli fände es beispielsweise schön,
Frühling 2021 wurden die Bänkli von Schülerinnen und Schü-               die Bibliothek als Treffpunkt für das Dorf auch am Sonntag zu
lern renoviert und neu bemalt. Ausserdem ist jedes mit einer             öffnen. «Das ist momentan aber leider nicht möglich.»
Bücherbox ausgestattet, die zum Schmökern einlädt.
                                                                         Während der Coronazeit baute die Schul- und Gemeindebiblio-
Besonders wichtig sei laut Rüdisühli zudem, Familien und Kinder          thek Eschlikon einen Bestell- und Abholdienst auf – so konn-
möglichst frühzeitig zu erreichen. Möglich machen soll das unter         ten die rund 10’000 Medien vor Ort trotz Lockdowns weiterhin
anderem ein Gratis-Schnupperabo für Kinder im Kindergartenal-            ausgeliehen werden. «Wir sind zudem an die digitale Bibliothek
ter oder regelmässige Vorleseanlässe für Kleinkinder. Die Kinder         Ostschweiz angeschlossen, hier hat sich die Nachfrage in dieser
und Jugendlichen der Volksschulgemeinde besuchen die Biblio-             Zeit stark erhöht.»

                                                                     9
Bibliotheken im digitalen Zeitalter 2
FOKUS                                                                                                                         Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

Steckborn

Mit viel Idealismus gegründet
Die Bibliothek und Mediathek Steckborn liegt direkt gegen-                   Susanne Heeb vor
                                                                                               dem Regal mit den
über der Häuserzeile in der Altstadt, die 2018 komplett nie-                 erscheinungen in der                 Neu-
                                                                                                  Steckborner Bibliot
                                                                                                                      hek .
derbrannte. Was für Steckborn eine Katastrophe war, brachte
für die Bibliothek die Chance eines Neubeginns mit sich: Ende
2021 zieht «das haus für aug und ohr» – wie es über dessen
Eingang heisst – in den Neubau gegenüber. «Wir werden zwar
flächenmässig nicht viel mehr Platz haben, doch sind die Räume
deutlich moderner und heller», sagt die Leiterin Susanne Heeb.
Und weil die Steckborner Bibliothek und Mediathek eine Leis-
tungsvereinbarung mit der dortigen Primarschule hat, wird das
Erdgeschoss des neuen Standortes vor allem auf Kinder und
Jugendliche ausgerichtet sein. Bereits heute sind rund die
Hälfte der 9300 analogen Medien vor Ort für Kinder und Ju-
gendliche vorgesehen. «Geplant ist zudem, diesen neuen Raum
mit beweglichem Mobiliar einzurichten. Das heisst, er kann auch
schnell umgebaut werden und Platz für Veranstaltungen bie-
ten», sagt Heeb. In der Vergangenheit wurden etwa Lesungen,
Schreibkurse, Bastelmorgen und ein Bücherflohmarkt durch-
geführt. «Wir möchten damit auch Menschen erreichen, die
ansonsten nicht in die Bibliothek kommen würden», sagt Heeb.

Die Bibliothek in der kleinen Stadt am Bodensee macht einen                Denn gegründet wurde die Bibliothek 2001 weitgehend dank
Spagat, wie ihn viele Bibliotheken in kleineren Gemeinden wa-              freiwilliger Arbeit: Ein Trägerverein baute das «haus für aug
gen: Sie ist gleichzeitig Schul- und Gemeindebibliothek. «Unser            und ohr» auf und betrieb es seither. Für die vier Mitarbeiten-
Anspruch ist es, ein breites Angebot für die ganze Bevölkerung             den bedeutet das bis heute, das sie zu vergleichsweise tiefen
zu schaffen. Wir wollen zudem ein Begegnungsort für unter-                 Löhnen arbeiten. «Zudem war die Finanzierung während der
schiedlichste Menschen sein», sagt Heeb. Der Schwerpunkt                   Vereinsgeschichte regelmässig gefährdet», sagt Heeb. Heute
liege dabei aber klar auf der Schaffung eines breiten und tie-             ist sie dank Beteiligungen der Schule, der Gemeinde sowie auch
fen Angebots für Schülerinnen und Schüler. Die Integration der             Stiftungsgeldern weitgehend gesichert. «Es braucht auch etwas
Schulbibliothek 2017 sei aus Sicht der Bibliotheksbetreibenden             Idealismus für diese Arbeit», sagt Heeb. Sie persönlich moti-
der logische Schritt gewesen. «Wir haben ein grösseres Ange-               viere beispielsweise, dass die Bibliothek für die Belebung des
bot und sind auch dafür ausgebildet, ein Bibliotheksangebot                Ortskerns von Steckborn wichtig sei. «Zudem gibt es natürlich
für Kinder und Jugendliche zu schaffen», sagt Heeb. «Zudem                 immer Ideen, wie wir uns weiterentwickeln könnten. Diese an-
hat die Gemeindebibliothek auch am Samstag sowie während                   zudenken, ist interessant.» Die Bibliothek und Mediathek strebe
der Schulferien geöffnet.» Die Partnerschaft lohnt sich für alle           beispielsweise eine Zusammenarbeit mit der Sekundarschule
Beteiligten: Dank der Zusammenarbeit mit der Schule ist der                an. «Ähnlich wie bei derjenigen mit der Primarschule würde das
Bibliotheksbetrieb erstmals langfristig auf eine solide finanzielle        für alle Beteiligten Sinn machen.»
Basis gestellt.
                                                                           Vorerst haben die zwei Lockdowns, während denen auch Biblio-
                                                                           theken über Monate geschlossen blieben, auch im beschau-
                                                                           lichen Steckborn zu einer verstärkten Digitalisierung geführt:
                                                                           «Digitale Ausleihen haben in dieser Zeit richtig geboomt», sagt
                                                                           Heeb: Rund ein Viertel mehr digitale Ausleihen als im Vorjahr
                                                                           wurden verzeichnet. Das «haus für aug und ohr» nutzt dafür
                                                                           die Plattform der Digitalen Bibliothek Ostschweiz (dibiost.ch).
                                                                           Daneben betreibt auch die Steckborner Bibliothek einen On-
                                                                           linekatalog. Über diesen bestellten die Nutzerinnen und Nut-
                                                                           zer während der Lockdowns ihre Medien. Die Mitarbeiterinnen
                                                                           legten diese dann in einen Abholschrank vor der Bibliothek.

                                                                      10
Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021                                                                                                FOKUS

Weinfelden

Die Bibliothek als Anlauf-
stelle für alle Recherchen
«Corona hat unser Bibliothekskonzept hart getroffen», sagt Ra-
hel Ilg, Leiterin der Regionalbibliothek Weinfelden. Erst 2017
bezog diese die grossen und hellen Räume in einer ehemaligen
Fabrik nahe am Bahnhof Weinfelden. Zuvor war die Bibliothek
mehrmals umgezogen, nun war der ideale Standort gefunden:
Neben den rund 30’000 Medien blieb genug Platz für eine                sich der Aufwand der Lehrpersonen, die heute die jeweiligen
Kaffeeecke, einen Vorlesekreis sowie einen kleinen Lesesaal            Schulbibliotheken betreuen. Und die Schülerinnen und Schüler
mit Arbeitstischen – doch mittlerweile ist das meiste Mobiliar         können auf das gesamte Medienangebot der Regionalbiblio-
wegen Corona vorübergehend zurückgebaut. Die ursprüngliche             thek zugreifen. Die Medienkataloge aller Bibliotheken werden
Planung verdeutlicht aber den Anspruch der Weinfelder Biblio-          zu einem gemeinsamen Verbundkatalog zusammengefasst.
thek, die aktuell von einem Team von sechs Frauen betrieben            Dadurch ist es möglich, Reservationen bei der Regionalbiblio-
wird: «Wir möchten ein Begegnungs- und Integrationsort sein»,          thek direkt zu tätigen und dort Medien abzuholen. Rücknahmen
sagt Ilg. «Zu uns kommen neben Schulkindern, Berufsschüle-             werden unabhängig vom eigentlichen Standort eines Mediums
rinnen und Berufsschülern, Studierenden und Familien auch              in allen Weinfelder Bibliotheken möglich sein. «Weil die Schüle-
Seniorinnen und Senioren sowie Migrantinnen und Migranten.»            rinnen und Schüler auf einen grösseren Medienbestand Zugriff
Die Bibliothek sei für Weinfelden und die Region ein wichtiger         haben, bauen sie zudem Bibliothekskompetenz auf. Sie lernen
Treffpunkt. Nach der Eröffnung am neuen Standort seien die             etwa, wie man Medien sucht, welche Ausleihfristen es gibt oder
Nutzerzahlen stark gestiegen. «Und wir nehmen auch eine wich-          an wen sie sich bei Fragen wenden können», sagt Ilg.
tige Funktion für die umliegenden Gemeinden wahr: In diesen
gibt es kaum Bibliotheken», sagt Ilg.                                  Als Anlaufstelle für Fragen aller Art sieht die Chefbibliothe-
                                                                       karin ihren Betrieb sowieso. «Die Bibliothek der Zukunft soll
Daneben arbeitet die Regionalbibliothek seit Jahren mit den            Menschen den Zugang zu allen möglichen Informationen aber
Weinfelder Primar- und Sekundarschulen zusammen. Die meis-             auch zu Unterhaltung ermöglichen», sagt Ilg. In der Bibliothek
ten davon haben zwar eigene, kleine Schulbibliotheken. Doch die        müsse man beispielsweise herausfinden können, wo das Ein-
Regionalbibliothek bietet den Lehrpersonen und ihren Klassen           wohneramt der Gemeinde sei oder wie man Informationen zu
ergänzend deutlich mehr Medien. «Und auf Bestellung stellen            Afghanistan findet. «Beim Erschliessen verschiedener Informa-
wir für Lehrpersonen Medien- und Bücherkisten zu bestimm-              tionsquellen werden die Nutzerinnen und Nutzer zudem in der
ten Themen zusammen», sagt Ilg. Ab Sommer 2021 ist zudem               Quellenkritik geschult.» Dies sei in der digitalisierten Welt eine
eine engere Zusammenarbeit geplant: Die Regionalbibliothek             immer wichtigere Fähigkeit. Ganz allgemein müssten Biblio-
wird dann einen kleinen Bibliotheksverbund zusammen mit den            theken zu «Orten des Wissens» werden, die sich nicht nur auf
Primarschulhäusern aufbauen und betreiben. Damit reduziert             Medienverwaltung beschränken.

                                                                       Auch die Regionalbibliothek organisiert neben ihrem Kernge-
                                                                       schäft laufend Anlässe und Kurse: Lesungen und Literaturge-
                                                                       spräche für ein erwachsenes Publikum, Ferienpassanlässe für
                                                                       Kinder und Jugendliche. Eine Mitarbeiterin bildet sich zudem
                                                                       aktuell zur Leseanimatorin weiter – so sollen kleine Kinder und
                                                                       deren Eltern noch besser erreicht werden. Weil viele Regale in
                                                                       der Bibliothek mobil sind, wird der freie Raum für Veranstaltungen
                                                                       bei Bedarf schnell vergrössert oder neu angeordnet. Aber eben –
                                                                       wegen Corona sind vorübergehend die Veranstaltungen im Pau-
                                                                       senmodus. Auch in Weinfelden führten die zwei Lockdowns zu
                                                                       einem starken Anstieg der digitalen Ausleihen bei dibiost.ch:
                                                                       2020 wurden pro Monat rund 1800 digitale Ausleihen über die
                                                                       Ostschweizer Bibliotheksplattform getätigt. «Für eigene, digitale
                                                                       Angebote fehlen uns die Mittel», sagt Ilg. Vorstellbar wäre für sie
                                                                       etwa, dass die Regionalbibliothek Zugänge zu Streamingplatt-
                                                                       formen anbietet. «Aktuell verweise ich unsere Nutzerinnen und
                                        k                              Nutzer dafür an die Kantonsbibliothek. Das bedeutet aber natür-
                  Regionalbibliothe
Da s Angebot der              hert: Leiterin Rahe
                                                  l Ilg                lich, dass sie einen weiteren Bibliotheksausweis lösen müssen.»  ¡
           ist  bre it ge fäc
Weinfelden                    ett spielen.
              l mit  de n  Br
vor dem Rega

                                                                  11
FOKUS                                                                                                          Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

Die Lust am
Lesen wecken
Bei einem Bibliotheksbesuch sollten Schülerinnen                         Serie auswählt. «Möchte man ihm dies ausreden, fühlt es sich
und Schüler nicht einfach sich selbst überlassen                         in seinem Interesse nicht wertgeschätzt, was sich negativ auf
                                                                         die Motivation und demzufolge auch auf die Lesekompetenz
werden. Sie müssen an Geschichten herangeführt                           auswirken kann.»
werden. Zwei Expertinnen sagen, worauf
Lehrpersonen dabei besonders achten sollten.                             Guter Lesestoff und Motivation allein genügen aber nicht, um
                                                                         Kinder zum Lesen zu animieren. Es braucht vor allem eine so-
                                                                         lide Lesetechnik, doch die muss trainiert werden. Zentral sind
Text: Marion Loher, Journalistin BR                                      das Training von Leseflüssigkeit, auch durch Lautlesen wie in
                                                                         einem Lesetandem, oder das Üben von Lesestrategien. Kathrin

V     iele Schulgemeinden haben heutzutage eine eigene Biblio-
      thek. Oft aber reicht es nicht, wenn die Lehrperson mit
der Klasse nur die Schulbibliothek besucht. «Viele Schülerinnen
                                                                         Amrein von der Bischuteria kennt verschiedene Methoden, mit
                                                                         denen Lehrpersonen dazu beitragen können, dass Kinder mög-
                                                                         lichst oft und gerne lesen. Drei davon hebt sie besonders hervor:
und Schüler brauchen mehr, als die Schulbibliothek bieten                das dialogische Vorlesen in grossen Gruppen, literarische Spie-
kann», sagt Kathrin Amrein. «Deshalb sollten sie den Zugang              lereien und Gedichte, Reime und Sprachspielereien. «Werden
zur nächstgrösseren Bibliothek kennen, dort registriert und mit          Kinder mit Lyrik in Kontakt gebracht, haben sie schnell Lust,
den Ausleihmodalitäten vertraut sein.» Amrein ist ausgebildete           auch selbst Gedichte zu lesen und sich an der Sprache zu er-
Primarlehrerin und Bibliothekarin. Sie beschäftigt sich seit vie-        freuen», so Amrein.
len Jahren mit der Leseförderung von Kindern und setzt sich
mit ihrem Weiterbildungs- und Beratungsangebot «Bischuteria»             Mehr Experimente wagen
für eine gute Zusammenarbeit von Schule und Bibliothek ein.              Beim Thema Leseförderung wünscht sich Barbara Jakob
                                                                         manchmal etwas mehr «Leichtigkeit» von Lehrpersonen und
Ein Besuch in der Bibliothek sollte ihrer Meinung nach organi-           Eltern. «Oft haben sie ein starres Konstrukt im Kopf, wie dies
siert und gut vorbereitet sein. «Am besten spricht sich die Lehr-        geschehen soll», sagt sie. Es gebe aber viele Möglichkeiten von
person im Vorfeld mit der Bibliothekarin oder dem Bibliothekar           Vorlesen und Erzählen. Zudem sollten sich die Lehrpersonen
ab.» Der Besuch kann von den Bibliotheksverantwortlichen                 der Fülle, die an Lesestoff vorhanden ist, bewusst sein. «Wenn
oder der Lehrperson geleitet werden oder, aufgeteilt in zwei             man immer die gleichen Themen und Geschichten bringt, be-
Gruppen, von beiden gemeinsam. Dabei ist wichtig, dass die               steht die Gefahr, schon am Anfang viele Kinder zu verlieren. Man
Kinder – vor allem, wenn sie noch jünger sind – nicht sich selbst        darf auch einmal mutig sein und etwas Neues ausprobieren.»  ¡
überlassen werden. «Sie müssen an die Bücher herangeführt
werden und erfahren, dass in ihnen spannende Geschichten
stecken», sagt Amrein. Sie mache dies jeweils, indem sie aus
einem Buch erzähle und die Schülerinnen und Schüler mit Fra-                 Tipps für Lehrpersonen
gen einbeziehe. «Die Geschichte sollte die Kinder fesseln, dies
erleichtert es ihnen auch, den Bezug zu sich selbst zu finden.»              •	
                                                                               Bibliotheksbesuch mit Bibliothekarin/Bibliothekar
                                                                               absprechen
Vielfältigen Zugang erlebbar machen                                          •	
                                                                               Die Kinder bei der Buchauswahl unterstützen
Ähnlich sieht es Barbara Jakob, die beim Schweizerischen Ins-                •	
                                                                               Kinder sollten einen Bezug zum Buch/zur
titut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM) für die literale                    Geschichte haben
Förderung verantwortlich ist. «Lesen hat immer einen techni-                 •	
                                                                               Offen für neue Lesefördermöglichkeiten sein
schen und einen zwischenmenschlichen Teil», sagt sie. Bücher                 •	
                                                                               Den vielfältigen Zugang zum Lesen nicht nur über
sollten den Kindern deshalb nicht einfach hingelegt, sondern                   Bücher erlebbar machen
sie sollten gemeinsam mit ihnen ausgewählt werden. Wichtig
ist, das Interesse der Mädchen und Buben zu wecken und die                   Weitere Infos
Freude am Lesen zu vermitteln. Dies funktioniert vor allem mit               bischu.zh.ch › unterstützt › Sprachforderung › Lesen
Geschichten, die mit ihnen in irgendeiner Form zu tun haben so-              sikjm.ch › Praxis Literale Förderung › Projekte
wie mit einer guten Kommunikation zwischen Kind und Erwach-
senen. Zudem sollte den Kindern der vielfältige Zugang zum
Lesen erlebbar gemacht werden. «Kinder müssen sich selbst
als Leserin oder Leser entdecken», sagt Jakob. Das bedeute
aber auch, dass Lehrpersonen und Eltern sich zurücknehmen
sollten, wenn das Kind beispielsweise in der Bibliothek zum
wiederholten Mal das gleiche Buch oder eines aus derselben

                                                                    12
Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021        FOKUS

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FOKUS                                                                             Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

           «Die Bibliothek soll
   in der Schule ein selbstverständ-
       licher Arbeitsort werden»
         Welchen Stellenwert haben Bibliotheken im Schulumfeld? Und wo stehen sie bezüglich
        Digitalisierung? Der Thurgauer Kantonsbibliothekar Bernhard Bertelmann im Gespräch mit
                       Anja Strassburger, Leiterin der MDZ Bibliothek an der PHTG.

                                         Interview: Urs-Peter Zwingli

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Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021                                                                                              FOKUS

Was sind aus Ihrer Sicht die                   naus ist die gesellschaftlich bedeutsame
aktuellen Herausforderungen im                 Rolle der Bibliotheken unter anderem
Bibliothekswesen?                              jene, digitale Informationen und Dienste
                                               unter Einhaltung des Daten- und Per-
Anja Strassburger (AS): Zentral ist die        sönlichkeitschutzes bereitzustellen. In
                                                                                             Zur Person
Positionierung der Bibliotheken. In einer      den letzten Monaten ist in der Bevölke-
                                                                                             Anja Strassburger (51) ist Leiterin der
Zeit, in der jede Information digital abruf-   rung das Bewusstsein gestiegen, dass
                                                                                             Bibliothek des Medien- und Didaktik-
bar ist, kann die Annahme entstehen, es        Informationen und Dienstleistungen im
                                                                                             zentrums (MDZ) der PHTG – ab 2008
brauche keine Bibliotheken mehr. Doch          Internet nicht gratis sind. Wir bezahlen
                                                                                             in einer Co-Leitung und seit 2018
Bibliotheken vermitteln wichtige Kom-          dafür private Anbieter, wenn nicht mit
                                                                                             alleine. Sie war zudem massgeblich am
petenzen wie beispielsweise Wissen zur         Geld, dann mit unseren Daten. Dieser
                                                                                             Aufbau der MDZ Bibliothek beteiligt.
Quellenkritik. Oder sie stellen Informatio-    Entwicklung stellen die Bibliotheken
                                                                                             Strassburger hat wissenschaftliches
nen bereit, die geprüft sind. Gleichzeitig     etwas entgegen. Das heisst auch, dass
                                                                                             Bibliothekswesen in Köln studiert und
können sich Bibliotheken den digitalen         wir unseren Trägerschaften klarmachen
                                                                                             danach in deutschen Universitätsbiblio-
Entwicklungen nicht verschliessen, sie         müssen, welche finanziellen und tech-
                                                                                             theken gearbeitet, bevor sie 2002 in
müssen laufend neue Angebote für ihre          nischen Mittel wir dafür brauchen.
                                                                                             die Schweiz kam.
Nutzerinnen und Nutzer entwickeln. Da-
neben spüren wir in der MDZ Bibliothek         Die Digitalisierung führt Biblio-
auf dem Campus Kreuzlingen einen Run           theken also weg von der Rolle
auf die Bibliothek als Lernort. Insbeson-      als reine Anbieter von Medien hin
                                               zu Orten, wo Wissen aller Art
                                               vermittelt wird?
      «Die Bibliothek als Lern-
                                               AS: Früher wurde die Bedeutung ei-
    und Arbeitsort aber auch als
                                               ner Bibliothek oft an der Grösse ihres
   sozialer Treffpunkt – das wird
                                               Bestandes gemessen. Es geht heute in
    auch bei öffentlichen Biblio-              unserer digitalisierten Gesellschaft aber
     theken immer wichtiger.»                  definitiv nicht mehr darum, Unmengen
                                               von Büchern zu verwalten, sondern In-
                                               formationskompetenz zu vermitteln. Das
dere in den zwei Lockdowns bekamen             bedeutet etwa, dass man weiss, wie man
wir von vielen Benutzerinnen und Benut-        Informationen sucht und wie man Quellen
zern die Rückmeldung, dass ihnen dieser        einschätzt. Nachrichten mit Bezug zu Co-      Zur Person
Raum fehle. Die Bibliothek als Lern- und       rona beispielsweise kann man online pau-      Bernhard Bertelmann (57) leitet seit
Arbeitsort aber auch als sozialer Treff-       senlos konsumieren – doch dabei muss          2012 die Kantonsbibliothek Thurgau
punkt – das wird auch bei öffentlichen         man einschätzen können, welche Quellen        in Frauenfeld. Er ist ausgebildeter
Bibliotheken immer wichtiger.                  seriös sind. Ich nehme gerade die Digital     Sekundarlehrer sowie Diplombiblio-
                                               Natives oft so wahr, dass sie zwar einen      thekar. Er hat zuvor an der Bibliothek
Bernhard Bertelmann (BB): Mit dem              unverkrampften Umgang mit der Tech-           der Universität St. Gallen (HSG)
Thema Digitalisierung beschäftigen wir         nologie haben, gleichzeitig den Wert von      sowie als stellvertretender St. Galler
uns in den Bibliotheken bestimmt schon         Informationen oft schlecht einschätzen        Kantonsbibliothekar gearbeitet.
seit 20 Jahren. In der öffentlichen Dis-       können. Bibliotheken haben aber auch die
kussion dagegen hat man oft das Gefühl,        Aufgabe, seriöse digitale Informationen
es sei etwas Neues, das es anzupacken          breit zugänglich zu machen. Wir lizenzieren
gelte. Über die technischen Fragen hi-         beispielsweise Onlinezugänge zu Medien.

                                                                   15
FOKUS                                                                                                      Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

BB: Die Perspektive hat sich in den letz-     chen an, das funktioniert gut und wird       bündeln. Denn gerade in der Volksschule
ten 20 Jahren stark gewandelt. Damals         von vielen Menschen zuhause genutzt.         ist die Betreuung einer Bibliothek ein auf-
hiess es, Bibliotheken müssten nicht se-      Gleichzeitig lernt der Mensch als soziales   wändiges Nebenamt für Lehrpersonen.
lektionieren, sondern möglichst alles an-     Wesen gerne in der Gruppe. Deshalb ha-
bieten. Man mass die Qualität der Biblio-     ben wir auch Angebote vor Ort wie etwa       AS: Aus meiner Perspektive werden
theksarbeit damals auch an der Zahl der       das Sprachencafé oder «shared reading»       die Bibliotheken in den Schulen von den
Ausleihen, je höher desto besser. Heute       aufgebaut, bei denen man gemeinsam in        Lehrpersonen aktuell noch zu wenig ge-
wählen wir die Inhalte viel stärker aus und   der Bibliothek Sprachen lernt. Auf diesen    nutzt. Es gäbe die Möglichkeit, in diesen
schulen die Nutzerinnen und Nutzer im         beiden Pfeilern muss die Bibliotheksar-      Räumen Lektionen abzuhalten und die
Umgang mit digitalen Medien. Wir haben        beit weiterentwickelt werden, um mög-        Bibliothek als selbstverständlichen Ar-
mittlerweile ein grosses Angebot an digi-     lichst viele unterschiedliche Menschen       beitsort zu etablieren. In vielen Schulen
talen Diensten, darunter sehr beliebte wie    zu erreichen.                                gibt es Arbeitsräume für selbstbestimm-
die Digitale Bibliothek Ostschweiz. Über                                                   tes Arbeiten, während die Schulbiblio-
diese wurden 2020 in der Ostschweiz                                                        theken oft kaum Platz haben oder sogar
1,6 Millionen Medien digital ausgeliehen,                                                  für entbehrlich gehalten werden. Das
                                                   «Es geht heute in unserer
das ist eine beeindruckende Zahl. Dahin-                                                   könnte man besser miteinander verbin-
                                                  digitalisierten Gesellschaft
ter stehen aber auch langjährige Werbe-                                                    den. Dabei könnte man auch die Schü-
kampagnen und Schulungsangebote für                 aber definitiv nicht mehr              lerinnen und Schüler bei der Gestaltung
die Dibiost von unserer Seite.                    darum, Unmengen von Bü-                  «ihrer» Bibliothek einbinden.
                                                 chern zu verwalten, sondern
Was bräuchte es für eine zukünftige               Informationskompetenz zu                 Was machen die Bibliotheken
Bibliothek, die möglichst viele                    vermitteln. Das bedeutet                im Bereich Leseförderung und was
Menschen erreicht?                                etwa, dass man weiss, wie                wäre hier noch möglich?
                                                 man Informationen sucht und
AS: Hier lohnt sich ein Blick nach Skan-                                                   AS: Grundsätzlich haben Bibliotheks-
                                                 wie man Quellen einschätzt.»
dinavien. Dort sind beispielsweise in Hel-                                                 besuche mit der Schule ja einen demo-
sinki und Oslo Bibliotheken entstanden,                                                    kratisierenden Effekt. Schülerinnen und
die riesige Begegnungszentren sind. Da-                                                    Schüler, bei denen zuhause keine Bü-
mit wurden öffentliche Räume geschaffen,      Welche Rolle haben Bibliotheken              cher gelesen werden, können hier auf
in denen niemand erklären muss, weshalb       für die Bildung, gerade auch in der          ein grosses Angebot zugreifen. Bei der
er oder sie sich dort aufhält. Im kleinen     Volksschule?                                 Leseförderung muss man aufpassen,
Rahmen können das auch unsere Schulen                                                      dass sie nicht mit dem pädagogischen
umsetzen. Die Schulbibliotheken sollen        BB: Bibliotheken haben je nach Institu-      Zeigefinger gemacht wird. Man soll ge-
als selbstverständlicher Aufenthalts- und     tion, der sie angeschlossen sind, eine       rade den Jugendlichen auch die Freiheit
Arbeitsort etabliert werden. Und nicht nur    anders ausgerichtete Aufgabe. Ich sehe       lassen, vielleicht ein Hörbuch zu wählen.
ein Raum sein, in dem sich die Schüle-        die Kantonsbibliothek als Partnerin der      Was Bibliotheken im Kern vermitteln
rinnen und Schüler ein Buch holen und         Schulbibliotheken. In der kantonalen         müssen, ist, dass sich den Kindern und
dann schnell wieder weg sind. Wenn Kin-       Kommission für Schul- und Gemeinde-          Jugendlichen in Romanen und Sachbü-
der und Jugendliche das möglichst früh        bibliotheken können wir Themen gezielt       chern neue, spannende Welten eröffnen.
lernen, so ist das Bewusstsein für diesen     anstossen. Wir unterstützen die Ausbil-      Leseförderung ist keine Therapie, son-
Aufenthaltsort später vorhanden.              dung von Bibliothekarinnen und Biblio-       dern die Vermittlung eines Erlebnisses.
                                              thekaren in den Gemeinden und bieten
BB: Bibliotheken müssen gleichzeitig          Weiterbildungsangebote an, speziell auch     BB: Der Vorteil von öffentlichen Biblio-
im digitalen und auch im physischen           für Schulbibliothekarinnen. Und wir emp-     theken ist der, dass sie ausserschulische
Raum Angebote entwickeln. Wir bieten          fehlen etwa den Schulbibliotheken, ihre      Orte sind. Kinder und Jugendliche, die
beispielsweise Onlinekurse für 30 Spra-       Kräfte mit den Gemeindebibliotheken zu       der Schule gegenüber gemischte Ge-

                                                                 16
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fühle haben, finden an diesem anderen       Vorteile: Im ganzen Kanton gibt es Biblio-    Welchen Einfluss hatte die
Ort vielleicht einen unbeschwerteren Zu-    theksprojekte, die mit viel Engagement        Coronakrise auf Ihre Bibliotheken?
gang zur Lektüre. Leseförderung sollte      aus der Bevölkerung aufgebaut wurden.
so früh wie möglich beginnen. In vielen     Das gibt zwischen den Gemeinden auch          BB: Es hat einen quantitativen Schub
öffentlichen Bibliotheken gibt es dafür     einen positiven Konkurrenzkampf. Aber         gegeben. Die Nutzung unserer digitalen
beispielsweise das Projekt Buchstart,       natürlich muss eine Gemeinde ihren            Angebote wie Dibiost, Pressedatenbank,
das sich gezielt und spielerisch an ganz    Bewohnerinnen und Bewohnern immer             Sprachkurse und der Film- und Musik-
kleine Kinder richtet. Junge Familien ge-   wieder vermitteln, warum man in Biblio-       streamingplattformen hat im Schnitt um
hören allgemein zu unseren zahlreichsten    theken investieren muss. Ich kenne al-        25-30 Prozent zugenommen. Doch es
Kunden. Natürlich hört Leseförderung        lerdings auch keine Abstimmung über           gab auch eine weitere Veränderung. Die
danach nicht auf und wir setzen dazu mit    den Aufbau oder die Erweiterung einer         Bereitschaft unserer Kundinnen und Kun-
Partnern wie der Bibliothek der Kulturen,   Bibliothek, die in der Schweiz verloren       den ist gestiegen, Dienstleistungen wie
Kinder- und Jugendmedien Ostschweiz         gegangen ist. Von daher ist die Entwick-      Buchbestellung, Auskunftsdienst und Be-
oder Bibliomedia Schweiz zahlreiche An-     lung erfreulich.                              zahlung auf digitalem Weg in Anspruch zu
gebote um, die sehr beliebt sind.                                                         nehmen. Aber wir vermissen natürlich den
                                            AS: Leider sehen einige Gemeinden die         täglichen Kontakt mit der Bevölkerung.
Wie nehmen Sie die Bibliotheks-             möglichen Synergien nicht. Eine Biblio-
landschaft im Thurgau wahr?                 thek könnte beispielsweise mit einem          AS: Auch in der MDZ Bibliothek wurde
Ist das Angebot ausreichend?                bestehenden Kultur- oder Gemeinde-            das digitale Angebot ausgebaut und
                                            zentrum kombiniert werden. Und gerade         stärker genutzt. Parallel dazu ist das
BB: Es hat durchaus noch Luft nach          für Gemeinden, die eine grosse fremd-         Bewusstsein gewachsen, wie wichtig
oben und das auch auf Gesetzesebene.        sprachige Bevölkerung haben, ist der          die Bibliothek als Raum ist. Der Mensch
In anderen Kantonen gibt es Bibliotheks-    Aufbau einer Bibliothek eine Investition.     ist ein soziales Wesen und wenn Treffen
gesetze, die für Gemeinden festlegen,       Später notwendiger DaZ-Unterricht in          in der realen Welt wieder besser mög-
welchen Zugang zu Bibliotheken diese        der Schule ist langfristig betrachtet unter   lich sind, werden wir diesen öffentlichen
gewährleisten müssen. Im Thurgau fehlt      Umständen teurer als der Betrieb einer        Raum noch bewusster wahrnehmen und
ein solches Gesetz. Das hat aber auch       Bibliothek.                                   nutzen als bisher.  ¡

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FOKUS        Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

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Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021                                                                                                 FOKUS

                                                                                                       Zur Person
                                                                                                       Harry Wolf ist wissenschaftlicher
                                                                                                       Mitarbeiter im Amt für Mittel- und
                                                                                                       Hochschulen. Er hat Philosophie und
                                                                                                       Pädagogik an der Universität Zürich
                                                                                                       studiert und führt nebenberuflich eine
                                                                                                       philosophische Praxis in Zürich.

                             Bibliotheken
                      sind der Atem des Geistes
                                                            Text: Harry Wolf

B      ücher haben auf mich schon immer eine ungeheure Faszi-
       nation ausgeübt. Was hier alles an Wissen, Erfahrung, Erleb-
nissen, Geschichten und Gedachtem versammelt ist, beeindruckt
                                                                     Laufe der Auseinandersetzung stellt sich irgendwann der Punkt
                                                                     ein, an dem ich das Thema für mich abschliessen kann. Ich bin
                                                                     zu Antworten gekommen, die für mich stimmig sind. Es ist al-
mich immer wieder neu. Besuche ich eine Bibliothek, bin ich ei-      lerdings möglich, dass sich ein bereits behandeltes Thema zu
nerseits von dieser gewaltigen Fülle an geistigen Schätzen über-     einem späteren Zeitpunkt wieder aufdrängt, weil plötzlich neue
wältigt. Andererseits werde ich melancholisch, wenn ich daran        Aspekte oder Sichtweisen auftauchen, die meine stimmige Ant-
denke, wie wenig ich von diesen Schätzen für mein eigenes Leben      wort infrage stellen. Das versetzt mich in Unruhe und erneute
nutzen kann. Neulich stand ich in der Zentralbibliothek Zürich vor   Spannung. Diese zwingen mich zu einer weiteren vertieften Aus-
den gesammelten Werken von Georg Wilhelm Friedrich Hegel:            einandersetzung. Ziel ist die Wiederherstellung der «Seelenruhe».
geschätzte zwei Laufmeter Bücher. Nicht viel anders sieht es aus,    Mein Welt- und Selbstverständnis speist sich nicht zuletzt aus
wenn ich mir die gesammelten Werke Pla-                                                      der Summe der gelesenen Bücher, aus
tons oder Kants anschaue. Und das sind                                                       der Summe meiner Bibliothek.
nur drei von unzähligen Grössen der Philo-            «Die Bibliothek macht aus
sophiegeschichte. Das Gleiche lässt sich            Studentinnen und Studenten               Lesen ist eine Form der Kommunikation
für die Literatur durchbuchstabieren. Wer                                                    mit anderen. In Lesezirkeln tauschen sich
                                                  eines Fachs eine Gemeinschaft.
kennt nicht die Namen all der Klassiker,                                                     die Teilnehmer über das Gelesene aus.
                                                   Die Bibliothek ist Lebens- und
die es lohnen würden, sie zu lesen. Jedes                                                    Sie stellen dabei fest, wie unterschiedlich
Jahr werden neue Literaturnobelpreisträ-                  Reflexionsraum.»                   die Reaktionen sein können, die ein Buch
ger erkoren. Darunter hat es solche, von                                                     auslöst, wie unterschiedlich das Gelesene
denen ich schon gehört, aber kaum etwas                                                      verstanden werden kann, wie viele mög-
gelesen habe. Und andere, von denen ich noch nie etwas gehört,       liche Arten der Interpretation der gleiche Text erlaubt und wie
geschweige denn gelesen habe. Und wer Fremdsprachen liebt,           sich darüber trefflich streiten lässt. Auch hier leistet das Buch
liest auch gerne Werke in Französisch, Englisch, Spanisch etc. Mit   einen Beitrag zum besseren Verständnis der Welt und der Men-
jeder neuen Sprache eröffnen sich neue Welten, neue Universen.       schen. Bibliotheken sind ein Ort, an dem diese Form des Aus-
Mein Lamento lässt sich beliebig weiterführen. Gerne würde ich       tausches ermöglicht und gepflegt wird. Auch kollektiv arbeiten
mich vertiefter auseinandersetzen mit Astronomie, Physik, Biolo-     wir uns an bestimmen Themen ab. Das Buch ist allerdings nicht
gie, Psychologie, Mathematik, Architektur und Ingenieurwesen –       mehr das einzige Leitmedium, an dem sich eine Gesellschaft
auch mit Musik, Informatik oder Ökonomie.                            orientiert. Die Konkurrenz durch die sozialen Medien ist gross.
                                                                     Doch die Bibliothek ist es, die den Geist vergangener Zeiten
Lesen ist Kommunikation mit sich selber                              bewahrt. Bibliotheken gelten als Gedächtnis der Menschheit. Die
Wenn ich in einer Bibliothek die Bücherreihen abschreite und         Ordnung einer Bibliothek ist gleichzeitig ein Abbild ihrer Zeit. Im
hie und da ein Buch in die Hand nehme, versetzt mich das je-         Mittelalter wurde die Literatur in christliche und heidnische Auto-
weils in andere Stimmungen. Vorfreude macht sich breit. Was          ren aufgeteilt. Dies entsprach auch der Ordnung der Bibliothek.
für neue Einsichten und Erkenntnisse erwarten mich? Was für
Überraschungen hält das Buch für mich bereit? Lesen ist eine         Mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern und
Form der Kommunikation mit mir selbst. Bücher haben meine            der daraus wachsenden Zahl von Büchern gingen zwei bahn-
Einstellung, mein Welt- und Selbstverständnis geformt. Mit Bü-       brechende Neuerungen einher: die Signatur und der Katalog.
chern arbeite ich mich an Themen ab, die mich beschäftigen. Im       «Die Einführung der Signatur ist ein geistesgeschichtlicher

                                                                  19
FOKUS                                                                                                             Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021

Schritt von grösster Bedeutung, der nur unter grossen Mühen         Gerhard Matter von der Kantonsbibliothek Liestal beschreibt es
vollzogen wurde, denn hinter der Signatur verbirgt sich die Idee    so: Die Bibliothek ist noch einer der wenigen Orte, wo man ohne
der Individualität, die mit dem Beginn der Neuzeit eng verknüpft    Eintritt zu bezahlen und ohne etwas konsumieren zu müssen,
ist.» 1 Es entwickelte sich die Idee der Autorenschaft. Ein Text    hingehen kann. Ein sogenannter «Third Place», ein Ort der Ge-
war nicht mehr einer Schule zugehörig, sondern Text eines indivi-   meinschaft, der einen Ausgleich zu Familie und Beruf bilden soll.
duellen Autors. Im Zeitalter der Aufklärung erfolgte die Ordnung    Man ist in der Öffentlichkeit und kann sich mit anderen treffen,
der Bibliothek nach der Ordnung der Wissenschaften. Was wä-         aber auch für sich sein. Und die Bibliothek steht für Qualität, muss
ren die Universitäten ohne Bibliotheken? Jedes Fachgebiet hat       für Qualität stehen. Eltern und Lehrpersonen müssen ihre Kinder,
seine Bibliothek. Sie sind zentraler Be-                                                     Schülerinnen und Schüler vorbehaltlos in
standteil jeder Wissenschaft. Die Bücher                                                     die Bibliothek schicken und darauf ver-
in diesen Bibliotheken prägen nicht nur                                                      trauen können, dass sie dort etwas Gutes
Individuen, sondern sind für die jeweiligen          «Besuche ich eine Biblio-               vorfinden werden – egal ob es sich um ein
wissenschaftlichen Gemeinschaften                     thek, bin ich einerseits               Buch, einen Film oder ein Spiel handelt.
identitätsstiftend. Die Bibliothek macht           von dieser gewaltigen Fülle               Die Bibliotheken stehen vor dem gleichen
aus Studentinnen und Studenten eines                  an geistigen Schätzen                  Problem wie ich als Individuum. Sie müs-
Fachs eine Gemeinschaft. Die Bibliothek             überwältigt. Andererseits                sen aus dem riesigen Angebot an Lite-
ist Lebens- und Reflexionsraum.                      werde ich melancholisch,                ratur, Sachbüchern, Filmen, Spielen etc.
                                                      wenn ich daran denke,                  eine qualitativ gute Auswahl treffen.
Der Mensch wird zum
                                                     wie wenig ich von diesen
Zentrum der Bibliothek                                                                       Mit Hegel würde man sagen, dass die Bi-
                                                    Schätzen für mein eigenes
Klar: im Zeitalter der Digitalität verändert                                                 bliothek eine Mittlerrolle zwischen dem
sich der Status von Büchern. Wir müssten                Leben nutzen kann.»                  objektiven Geist und den Individuen aus-
die Bücher nicht mehr zwingend physisch                                                      übt. «Von einem bestimmten Augenblick
aufbewahren. Mit der Digitalisierung                                                         an in der Entwicklung des geistigen und
steigt die Verfügbarkeit. Historische Schriften und Originale       des sozialen Prozesses sind Bibliotheken aus diesem nicht mehr
müssen nicht mehr vor Ort besichtigt werden, sondern können         hinwegzudenken, ohne dass man auch eine gesellschaftliche
digital aufgerufen werden, was die Forschung sehr erleichtert       Rückbildung oder Katastrophe annehmen müsste.» Exempla-
und befruchtet. So gibt es denn heute immer mehr digitale Bi-       risch lässt sich das an der Bücherverbrennung 1933 durch die
bliotheken, wie zum Beispiel die Digitale Bibliothek Ostschweiz.    Nationalsozialisten ablesen. Bücherverbrennungen und Bü-
                                                                    cherverbannungen ziehen sich durch die gesamte Geschichte
Die Bibliothek Aarhus in Dänemark hat für sich entschieden, dass    der Menschheit. Von Büchern scheint eine ungeheure Gefahr
nicht das Buch das Zentrum einer Bibliothek bilden soll, sondern    für politische und religiöse Machtstrukturen auszugehen. Zahl-
der Mensch. Die Stadtbibliothek ist als Begegnungsort konzi-        reich sind die Dystopien in Literatur und Film, in denen die ge-
piert. Es gibt Arbeitsplätze mit Computern, eine Gaming-Street      sellschaftlichen Katastrophen durchbuchstabiert werden, die
und viele Ohrensessel und Platz zum Verweilen und Spielen. Die      mit der Zerstörung von Büchern einhergehen. Erwähnt seien
Bibliothek befindet sich am gleichen Ort wie die Amtsstellen. Das   George Orwells 1984 oder Ray Bradburys Fahrenheit 451.
Konzept hat voll eingeschlagen. Die steigenden Besucherzahlen
beweisen es. Sie stiegen innerhalb von drei Jahren von 450’000      Bibliotheken sind ein Ort der Musse. Sie sind der Atem des
im Jahr 2015 Jahr auf 1.3 Millionen Besucher pro Jahr. Die Bi-      Geistes. Sie verhindern, dass wir uns in unserer eigenen Zeit ein-
bliothek ist ein Ort des lebenslangen Lernens, ein Ort, wo Men-     schliessen. Sie geben uns den Raum, uns in andere Zeiten, in an-
schen gemeinsame Ideen entwickeln, wo man miteinander lernt.        dere Sichtweisen und in andere Lebensentwürfe zu versetzen.  ¡

                                                                       Quelle:
                                                                       1
                                                                         Uwe Jochum: Kleine Bibliotheksgeschichte. Stuttgart 2007. S. 85

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Schulblatt Thurgau 2 | Juni 2021                                                                 FOKUS

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                                                                schulblatt.tg.ch

                                                                Schulblatt des Kantons Thurgau
                                                                62. Jahrgang
                                                                ISSN 2235-1221

                                                                Herausgeber
                                                                Departement für Erziehung und Kultur
                                                                Regierungsgebäude
                                                                8510 Frauenfeld

                                                                Redaktion
                                                                Urs-Peter Zwingli, Leitung
                                                                urs-peter.zwingli@tg.ch
                                                                058 345 57 75

                                                                Erweiterte Redaktionskommission:
                                                                Lynn Bannister, AV
                                                                Dr. Heinrich Christ, AV
                                                                André Kesper, AV
                                                                Yvonne Kesseli, AV

                                                                Adressänderungen
                                                                Bitte nur über das Sekretariat Ihres
                                                                Arbeitsortes abwickeln.

                                                                Erscheinungsweise
                                                                März, Juni, September und Dezember
AUS DER REDAK TION
                                                                Vertrieb / Jahresabonnemente
                                                                Kanton Thurgau, Büromaterial-,
                                                                Lehrmittel- und Drucksachenzentrale
Die Bilder in diesem Heft                                       Riedstrasse 7, 8510 Frauenfeld
                                                                publi-box@tg.ch
                                                                Tel. 058 345 53 73
Die Bilder in diesem Heft sind bei einem Rundgang durch
die Thurgauer Kantonsbibliothek in Frauenfeld enstanden.        Das Thurgauer Schulblatt geht an
Gemacht hat sie die Horner Fotografin Ana Kontoulis.            die hiesigen Lehrerinnen und Lehrer,
                                                                Schulleitungen, Schulbehörden,
                                                                die PHTG und die Mitglieder des
                                                                Grossen Rates; weiter gehören Privat-
                                                                abonnenten, Erziehungsdepartemente
                                                                und die Pädagogischen Hochschulen
                                                                unserer Nachbarn zu den Empfängern.

                                                                Gestaltung und Layout
                                                                Gut Werbung, 8280 Kreuzlingen
                                                                willkommen@gut-werbung.ch
                                                                Tel. 071 678 80 00

                                                                Druck und Inserate
                                                                Druckerei Steckborn, Louis Keller AG
                                                                Seestrasse 118, 8266 Steckborn
                                                                info@druckerei-steckborn.ch
                                                                Tel. 052 762 02 22

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        ausschliesslich dem Schulsekretariat                    in der Kantonsbibliothek Thurgau in
                                                                Frauenfeld.
        Ihres Arbeitsortes mit. Die Redaktion
        hat keinen Zugriff auf die Adress-
        datenbank der Lehrpersonen.

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