Blutdruck und Hirninfarkt

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392-397 Kappeler 065_d.qxp            11.5.2009       14:06 Uhr      Seite 392

                                                                                                                                      CURRICULUM

      Blutdruck und Hirninfarkt
      Liliane Kappelera,c, Jürg Nussbergerb, Heinrich P. Mattlea
      a
          Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universität Bern, b Département de médecine, CHUV, Lausanne,
      c
          Neurologie, Medizinische Klinik, Bürgerspital, Solothurn

                                                                                                 sen Gefässen führen über Nekrose, Ulzeration und
      Quintessenz                                                                                Thrombose zu Gefässverschlüssen oder arterio-arte-
         Die arterielle Hypertonie ist der wichtigste modifizierbare Risikofaktor                rieller Embolisation und in der Folge zum Hirnschlag.
      für das Erleiden eines Hirnschlages. Das Risiko nimmt ab Blutdruckwer-                     Die «Framingham Heart Study» zeigte, dass sich bei
      ten von 115/75 mm Hg sowohl im systolischen wie diastolischen Bereich                      einem um 20 mm Hg höheren systolischen Blutdruck
      kontinuierlich zu.                                                                         die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer mittel-
                                                                                                 gradigen Karotisstenose verdoppelt (Odds ratio 2,11;
        Der Nutzen einer antihypertensiven Therapie sowohl zur Primär- wie
                                                                                                 95%-CI: 1,51–2,97) [6]. In den kleinen Gefässen wie
      zur Sekundärprävention des Hirninfarktes ist unbestritten.
                                                                                                 den tiefen perforierenden Endarterien der weissen
        Das Ausmass der erreichten Blutdrucksenkung ist wichtiger als die                        Hirnsubstanz und des Hirnstamms, wo der grösste
      Klassenzugehörigkeit der verwendeten Antihypertensiva.                                     Druckabfall auf einer kurzen Strecke zu erfolgen hat,
                                                                                                 treten bei chronisch hypertensiven Blutdruckwerten
        Im Akutstadium des ischämischen Hirnschlags sollte der Blutdruck –
                                                                                                 bevorzugt Schäden auf: Dabei handelt es sich meistens
      ausser in einigen Sonderfällen – nur bei Werten >220/120 mm Hg gesenkt
                                                                                                 um Verschlüsse durch Mikroatherome und eine hy-
      werden.
                                                                                                 pertensive Lipohyalinose.
                                                                                                 Mittels zerebraler Autoregulation vermögen die Hirn-
                                                                                                 arterien normalerweise die Hirndurchblutung trotz
                                                                                                 Schwankungen im systemischen Blutdruck über einen
                            Einleitung                                                           weiten Bereich konstant zu halten. Langjährige arte-
                                                                                                 rielle Hypertonie führt zu einer Verschiebung des Auto-
                            Jeder vierte Erwachsene leidet unter Bluthochdruck.                  regulationsbereiches hin zu höheren Blutdruckwer-
                            Eine arterielle Hypertonie erhöht das Hirnschlagrisiko               ten. Damit wird das Gehirn empfindlicher für rasche
                            um einen Faktor 4 bis 8 und die Hirnschlagsterblich-                 Blutdruckabfälle und es droht der ischämische Hirn-
                            keit bis 16fach [1, 2]. Damit verkürzt die Hypertonie                infarkt. Anderseits können übermässige Blutdruck-
                            nicht nur das Leben insgesamt, sondern verlängert                    anstiege (hypertensive Entgleisungen) über die obere
                            auch den Lebensabschnitt mit Behinderung und erhöht                  Grenze der Autoregulation hinausführen und Hirn-
                            zudem die Wahrscheinlichkeit einer Demenz, einer                     funktionsstörungen (hypertensive Enzephalopathie)
                            Depression oder einer Epilepsie.                                     oder einen hämorrhagischen Hirninfarkt verursa-
                            Die Blutdruckhöhe vermag Hirnschläge sehr zuver-                     chen.
                            lässig vorauszusagen. Das Hirnschlagrisiko steigt mit                Prospektive Kohortenstudien und eine Metaanalyse
                            zunehmenden Blutdruckwerten ab 115/75 mm Hg bei                      zahlreicher Blutdruck-Interventionsstudien haben ge-
                            Männern und Frauen gleichmässig sowie steil an. Die                  zeigt, dass bei 10 mm Hg tieferem systolischem Blut-
                            Häufigkeit der Hirnschlag-Todesfälle hängt ebenfalls                 druck das Risiko eines Hirnschlags für Personen zwi-
                            stark vom Ausgangsblutdruck vor dem Ereignis ab                      schen 60 und 79 Jahren um rund ein Drittel geringer
                            (Abb. 1 x) [3]. Fast zwei Drittel aller Hirnschläge und              war [7]. Mit der Senkung des Blutdruckes nahm das
                            fast die Hälfte der ischämischen Herzkrankheiten                     Hirnschlagrisiko bis zu einem Wert von wenigstens
                            weltweit dürften auf zu hohen Blutdruck zurückzu-                    115/75 mm Hg immer mehr ab.
                            führen sein [4]. Global gesehen betreffen zwei Drittel               Auch der diastolische Blutdruck ist mit dem Auftreten
                            der Hirnschläge Personen zwischen 45 und 69 Jahren                   von Hirnschlägen verbunden. Dies wurde in einer Me-
                            und rund zwei Drittel treten in Entwicklungsländern                  taanalyse bei 420 000 Teilnehmern aus neun grossen
                            auf [5]. In der Schweiz kommen 15% aller Hirnschläge                 prospektiven Studien nachgewiesen: Im Bereich zwi-
      Liliane Kappeler
                            bei Personen unter 65 Jahren vor, und 50% der Hirn-                  schen 70 und 110 mm Hg diastolischen Druckes waren
                            schlag-Patienten sind älter als 75 Jahre.                            jeweils um 5, 7,5 bzw. 10 mm Hg tiefer liegende Werte
                            Zu Hirnschlägen führen vor allem die zerebrale Mikro-                mit einem um 34, 46 bzw. 56% niedrigeren Hirn-
      Die Autoren erklä-
      ren, dass sie keine   und Makroangiopathie, die eingeschränkte zerebrale                   schlagrisiko verbunden [8]. Dabei beeinflusste der
      Interessenskonflikte   Autoregulation sowie Herzkrankheiten. Die arterielle                 diastolische Blutdruck das Hirnschlagrisiko stärker
      im Zusammenhang       Hypertonie ist ein wichtiger Risikofaktor für diese Ge-              als jenes der koronaren Herzkrankheit. Auch die Zu-
      mit diesem Beitrag
                            fässveränderungen und -erkrankungen. Progrediente                    sammenfassung von 14 randomisierten Studien zur
      haben.
                            atherosklerotische Plaques in grossen und mittelgros-                antihypertensiven Therapie hat gezeigt, dass eine

                            CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. 387 oder im Internet unter www.smf-cme.ch.   Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):392   392
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                                                                                                        (Odds ratio 1,07; p = 0,37); dabei stellte sich heraus,
                                                                                                        dass mit antihypertensiver Therapie die Hirnschlag-
                                                                                                        rate um 30% gesenkt werden kann (95%-CI 18–41%;
                                                                                                        p 1 Million Personen aus                              Mit Weisskittel-Hypertonie bezeichnet man erhöhte
                       61 prospektiven Observationsstudien bestätigte den                               Blutdruckwerte in der Arztpraxis bei normalen Mess-
                       klaren Zusammenhang zwischen steigenden systoli-                                 werten im häuslichen Umfeld. Auch diese Hyperto-
                       schen und diastolischen Blutdruckwerten und Morta-                               nieform scheint anfälliger zu sein für Hirnschläge [13].
                       lität infolge eines Hirnschlages (Abb. 1). Bei Personen                          Die maskierte Hypertonie zeigt im Gegensatz zur
                       zwischen 40 und 69 Jahren vermochte in einem Blut-                               Weisskittel-Hypertonie normale Praxis-Blutdruckwer-
                       druckbereich zwischen 115/75 und 185/115 mm Hg                                   te, aber erhöhte 24-Stunden-Profile [14]. Dass diese
                       jede Reduktion des systolischen Blutdruckes um 20                                Hypertonieform, die gegen 10% unserer Bevölkerung
                       oder des diastolischen um 10 mm Hg die Hirnschlag-                               betrifft, neben Herzhypertrophie und Karotis-Athero-
                                      sterblichkeit zu halbieren. Bei über                              sklerose auch vermehrt Hirnschläge verursacht, ist bis
                                      70-Jährigen erscheint der Zusammen-                               heute nicht belegt [15, 16].
      Global betreffen zwei Drittel
                                      hang zwischen Blutdruck und Hirnschlag-
      der Hirnschläge Personen
                                      sterblichkeit etwas weniger deutlich, das
      zwischen 45 und 69 Jahren
      und rund zwei Drittel treten
                                      heisst, die prozentuale Zunahme der                               Primärprävention des Hirninfarktes
                                      Hirnschlagtodesfälle pro 10 mm Hg hö-
      in Entwicklungsländern auf
                                      herem Ausgangsblutdruck ist geringer                              Allen Hypertonie-Patienten sollten mögliche Verbes-
                                      als bei jüngeren Leuten. Da jedoch mit                            serungen des Lebensstils nahegelegt werden: Mit Ver-
                       zunehmendem Alter die Gefahr, an einem Hirnschlag                                zicht auf Rauchen und Mässigung des Alkoholkon-
                       zu sterben insgesamt deutlich steigt (auch bei norma-                            sums kann eine Senkung des systolischen Blutdruckes
                       lem Blutdruck), tötet ein gegebener Blutdruckanstieg                             um 2–4 mm Hg erreicht werden, mit Gewichtsabnah-
                       mehr Personen im hohen Alter über als unter 70 Jah-                              me eine solche von 5–20 mm Hg/10 kg. Körperliche
                       ren.                                                                             Aktivität kann den systolischen Blutdruck um 4–9 mm
                       Die isolierte systolische Hypertonie ist meistens auf                            Hg und eine veränderte Essgewohnheit, die Salz- und
                       eine verminderte Elastizität der grossen Arterien                                Fettzufuhr vermindert und vermehrt Früchte und Ge-
                       zurückzuführen und tritt vor allem im Alter auf. Eine                            müse beinhaltet, um 8–14 mm Hg vermindern [17].
                       Metaanalyse untersuchte mehr als 15 000 Patienten                                Nur in sehr wenigen Fällen einer Hypertonie genügen
                       aus acht Studien mit systolischen Blutdruckwerten                                diese nicht-medikamentösen Massnahmen allein zur
                       über 160 mm Hg bei diastolischen Werten unter                                    Behandlung einer Hypertonie. Je nach zusätzlichen
                       95 mm Hg [10]. Sie zeigte, dass auch die isolierte                               Risikofaktoren (Alter, Übergewicht, Dyslipidämie) und
                       systolische Hypertonie bei Patienten über 60 Jahren                              Begleiterkrankungen (Diabetes, Herz-Kreislauf-Krank-
                       ein Risikofaktor für den Hirnschlag ist (Odds ratio                              heiten, Nierenleiden) müssen meistens zusätzlich Arz-
                       1,22; p = 0,02), nicht aber für koronare Ereignisse                              neimittel eingesetzt werden, um den Blutdruck in den

                                                                                                                      Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):393   393
392-397 Kappeler 065_d.qxp    11.5.2009      14:06 Uhr      Seite 394

                                                                                                                              CURRICULUM

                                                                                      Blutdruck und akuter Hirninfarkt

                                                                                             Innerhalb der ersten 24–48 Stunden nach Beginn
                                                                                             eines Hirnschlags finden sich in bis zu 80% erhöhte
                                                                                             Blutdruckwerte (systolisch >140 mm Hg, bei mehr als
                                                                                             der Hälfte sogar >160 mm Hg), die in den folgenden
                                                                                             4–10 Tagen spontan zurückgehen. Wodurch die Hirn-
                                                                                             schlag-assoziierte Hypertonie bedingt ist, ist nicht
                                                                                             umfassend geklärt. Diskutiert werden der Weisskittel-
                                                                                             Effekt, neurohumorale Faktoren sowie eine Bedarfs-
                                                                                             hypertonie zum Schutz von ischämiegefährdeten, ledig-
                                                                                             lich über Kollateralen mit Blut versorgten Hirnarealen
                                                                                             (Penumbra). Für letztere spricht unter anderen eine
                                                                                             eigene Arbeit zum Blutdruckverlauf bei Hirnschlag-
                                                                                             Patienten nach intra-arterieller Thrombolyse, wo sich
                                                                                             12 Stunden nach dem Eingriff bei Wiedereröffnung
                                                                                             des verschlossenen Hirngefässes ein stärkerer systo-
                                                                                             lischer Bludruckabfall zeigte als bei persistierendem
                                                                                             Verschluss [21].
                                                                                             Harper et al. fanden höhere initiale Blutdruckwerte
                                                                                             bei Patienten mit intrazerebraler Blutung. Sie konnten
                                                                                             keine Assoziation zwischen dem Schweregrad des
                                                                                             Hirnschlages und dem Blutdruckmuster feststellen
                    Abbildung 2
                                                                                             [22]. Als Teil der «Copenhagen Stroke Study» unter-
                    Hirnschlagrisiko in Abhängigkeit von der erreichten systolischen
                    Blutdrucksenkung (mm Hg, Kontrolle minus Test-Antihypertensivum)         suchten Jørgensen et al. den Einfluss von klinischen
                    in 27 kontrollierten Studien mit insgesamt über 100 000 Patienten:       Faktoren auf den Eintrittsblutdruck und fanden als re-
                    Je grösser die Drucksenkung, desto geringer die Hirnschlaggefahr –       levante Faktoren für tiefere Blutdruckwerte das Vor-
                    offenbar unabhängig von der gewählten Antihypertensiva-Klasse.           liegen einer koronaren Herzkrankheit und/oder eines
                    Gefüllte Symbole betreffen Vergleiche mit älteren Medikamenten.
                                                                                             Vorhofflimmerns, als Faktoren für höhere Werte eine
                    Regressionslinie und (gestrichelt) 95% Vertrauensgrenzen. (Abdruck
                    aus The Lancet. 2001;358:1305–15. Staessen A, Wang JG, Thijs L.          vorbestehende arterielle Hypertonie oder eine primäre
                    Cardiovascular protection and blood pressure reduction: a meta-ana-      Hirnblutung [23]. Rund 40% der Individuen standen
                    lysis. Copyright © 2009, mit Erlaubnis von Elsevier, Oxford, England.)   zum Zeitpunkt des Hirnschlages bereits unter einer
                                                                                             antihypertensiven Therapie.
                                                                                             Während die Bluthochdruckbehandlung zur Vorbeu-
                    normalen – bei Organschäden oder Begleiterkrankun-                       gung des Hirnschlages (Primärprävention) unbestrit-
                    gen bis in den tief normalen – Bereich zu senken [18].                   ten ist, herrscht weiterhin Uneinigkeit betreffend der
                    Je nach Begleitumständen werden dabei unterschied-                       Blutdruckbehandlung im Akutstadium des ischämi-
                    liche Antihypertensiva-Klassen zur Initialtherapie                       schen Hirnschlags. Im «International Stroke Trial»
                    empfohlen: Antiangiotensine (ACE-Hemmer, Angio-                          (IST)» wurde der initiale Blutdruck bei >17 000 Personen,
                    tensin-II-Rezeptorblocker, evtl. Renin-Hemmer) bei                       welche innerhalb von 48 Stunden nach Beginn eines
                    Diabetes mellitus, Kalziumantagonisten und Beta-                         ischämischen Hirnschlages in die Studie eingeschlos-
                    blocker bei koronarer Herzkrankheit und Diuretika                        sen wurden, analysiert. Es konnte eine U-förmige Be-
                    bei Herzinsuffizienz. Für den Behandlungserfolg                          ziehung zwischen Blutdruck und Prognose festgestellt
                    scheinen aber immer auch das Ausmass                                                     werden, wobei Patienten mit systoli-
                    und die Nachhaltigkeit (24-Stunden-                                                      schen Blutdruckwerten zwischen 140
                                                                             Der Hirnschlag verlängert
                    Profil) der erreichten Blutdrucksenkung                                                  und 179 mm Hg die beste Prognose
                                                                             den Lebensabschnitt mit
                    hin zu den Zielwerten (nicht zur Hypo-                                                   hatten. Das Risiko, innerhalb der ersten
                                                                             Behinderung und erhöht zu-
                    tonie!) von entscheidender Bedeutung                                                     14 Tage zu sterben, nahm pro 10 mm
                                                                             dem die Wahrscheinlichkeit
                    [19]. Selbstverständlich sind sekundäre                                                  Hg unterhalb von 150 mm Hg um 17,9%
                                                                             einer Demenz, einer Depres-
                    Hypertonieformen wenn möglich ursäch-                                                    zu (p 150 mm Hg
                    oder lindern kann.                                                       war die Rezidivrate innerhalb von 14 Tagen erhöht.
                    Alle kontrollierten Studien zeigen mehr oder weniger                     Der Tod infolge eines vermuteten Hirnödems war
                    deutlich, dass Hirnschläge verhindert werden, wenn                       unabhängig assoziiert mit hohen systolischen Blut-
                    der Blutdruck gesenkt wird, und zwar fast ausnahms-                      druckwerten [24].
                    los in einem Ausmass, das der erreichten Blutdruck-                      Basierend auf entsprechenden Studien, die über eine
                    senkung entspricht (Abb. 2 x) [20].                                      Verschlechterung der Symptomatik nach intensiver

                                                                                                      Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):394       394
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                    Blutdrucksenkung berichteten, wird insgesamt eher                      versibel ist, falls es unter Therapie zu einer neurolo-
                    von einer medikamentösen Blutdrucksenkung im                           gischen Verschlechterung kommen sollte [29, 30].
                    Akutstadium des Hirnschlages abgeraten [25, 26]. Pa-                   Ob eine bestehende antihypertensive Therapie im
                    thophysiologische Überlegungen unter-                                                  Akutstadium eines Hirnschlags fortge-
                    stützen dies: Wenn im Anschluss an ei-                                                 setzt werden soll, ist ebenfalls umstrit-
                                                                          Ein hoher Pulsdruck –
                    nen Hirnschlag die zerebrovaskuläre                                                    ten. Eine Studie mit dem Angiotensin-
                                                                          systolischer minus diasto-
                    Autoregulation eingeschränkt ist, hängt                                                Rezeptor-Blocker Candesartan, der bei
                                                                          lischer Blutdruckwert –
                    die Hirndurchblutung direkt vom syste-                                                 hypertensiven Patienten (>200/110 mm
                                                                          gilt als Risikofaktor
                    mischen Blutdruck ab. Damit gefähr-                                                    Hg) ein Tag nach dem Auftreten des
                    den Blutdruckabfälle insbesondere das                                                  Hirnschlags gestartet wurde, zeigte
                    grenzwertig durchblutete Hirngewebe, die Penumbra.                     keine negativen Effekte, im Gegenteil, im 1-Jahres-
                    Wenn ein verschlossenes Blutgefäss nicht rekanali-                     Verlauf waren sowohl die kumulative Mortalität als
                    siert werden kann, vergrössern starke Blutdruck-                       auch weitere vaskuläre Ereignisse signifikant seltener
                    schwankungen den in den diffusionsgewichteten MRI-                     als in der Plazebogruppe [31].
                    Sequenzen nachweisbaren Infarkt [27].                                  Somit dürfte zumindest bei Patienten mit mildem bis
                    Ausnahmsweise sollte jedoch der Blutdruck nach aku-                    mässig schwerem Hirnschlag der Wiederbeginn der
                    tem Hirninfarkt gesenkt werden bei:                                    vorbestehenden antihypertensiven Therapie 24 Stunden
                    – maligner Hypertonie mit Werten >220/120 mm Hg                        nach dem Ereignis wenig gefährlich sein. Mehrere Zen-
                        oder bereits bei Werten >185/110 mm Hg im Falle                    tren bevorzugen es jedoch, vor dem Hirnschlag einge-
                        einer thrombolytischen Behandlung;                                 nommene antihypertensiv wirkende Medikamente – mit
                    – hypertensiver Enzephalopathie: Diese stellt auf                      Ausnahme von Betablockern, deren akuter Entzug ge-
                        jeden Fall einen medizinischen Notfall dar und geht                fährlich sein kann – erst nach 3–4 Tagen wieder in vol-
                        ohnehin meistens mit malignen Blutdruckwerten                      ler Dosierung zu verabreichen.
                        einher (>220/120 mm Hg); sie muss behandelt wer-                   Eine anhaltende arterielle Hypotonie im Rahmen eines
                        den, unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines                      akuten Hirnschlages ist selten (bei rund 5% der Hirn-
                        Hirnschlages oder isoliert auftritt;                               schläge). Hier sind Ursachen wie eine Aortendissektion,
                    – kardialer Begleiterkrankung, die ein Absenken des                    schwere Dehydratation, Blutverlust, eine verminderte
                        Blutdruckes erfordert (z.B. akuter Myokardinfarkt,                 Herzleistung im Rahmen einer Myokardischämie oder
                        instabile Angina pectoris, schwere Linksherzinsuf-                 einer Arrhythmie nach Möglichkeit zu beheben. Neben
                        fizienz);                                                          Volumenersatz sind gegebenenfalls Vasopressoren ein-
                    – vaskulären Notfällen wie Aortendissektion;                           zusetzen.
                    – primärer Hirnblutung: Hier vermindert eine intensive
                        Blutdrucksenkung das Hämatomwachstum und ver-
                        bessert das Patientenschicksal [28].                               Blutdruck und Risiko eines Hirninfarktes
                    Falls eine antihypertensive Therapie angezeigt ist,                    nach vorangegangenem zerebrovaskulärem
                    muss die Blutdrucksenkung vorsichtig erfolgen, am ers-                 Ereignis (Sekundärprävention des Hirn-
                    ten Tag um 15 bis max. 25% des Ausgangswertes.                         infarktes)
                    Empfohlen werden dafür Medikamente mit kurzer
                    Halbwertszeit wie Labetalol, Nitroglycerin oder kurz-                  Nach einem Hirnschlag ist die Gefahr eines Rückfalles
                    wirksame ACE-Hemmer, damit die Wirkung rasch re-                       oder anderer kardiovaskulärer Ereignisse gross, ins-
                                                                                           besondere bei Patienten mit unbehandelter arterieller
                                                                                           Hypertonie. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig
                                                                                           zu bedenken, dass jeder fünfte Normotoniker in den
                                                                                           Monaten nach einem Hirnschlag neu eine behandlungs-
                                                                                           bedürftige Hypertonie entwickelt [32].
                                                                                           Der Nutzen einer antihypertensiven Therapie zur
                                                                                           Sekundärprävention ist inzwischen durch mehrere
                                                                                           Studien eindeutig belegt. In einer Metaanalyse von
                                                                                           8 relevanten Studien konnte eine gepoolte Odds ratio von
                                                                                           0,76 zugunsten einer antihypertensiven Therapie be-
                                                                                           rechnet werden (Abb. 3 x) [33].
                                                                                           In der grossen randomisierten PROGRESS-Studie (Pro-
                                                                                           tection Against Recurrent Stroke Study) vermochte die
                                                                                           Kombination von Perindopril/Indapamid (4/2,5 mg täg-
                                                                                           lich) verglichen mit Plazebo die Zahl der Hirnschlag-
                                                                                           rezidive signifikant zu reduzieren, mit einer relativen
                                                                                           Risikoreduktion von 43%. Eine Behandlung mit Perin-
                    Abbildung 3                                                            dopril alleine führte zu einer geringeren Blutdruck-
                    Auswirkung einer antihypertensiven Therapie auf die Rezidivrate von
                                                                                           senkung (5/3 mm Hg vs. 12/5 mm Hg) und nicht zu einer
                    Hirnschlägen – Sekundärprävention. (Aus: Zhang H, Thijs L, Staessen
                    A. Blood pressure lowering for primary and secondary prevention of
                                                                                           signifikanten Reduktion der Hirnschlagrate [34].
                    stroke. Hypertension. 2006;48:190. Copyright © 2009, mit Erlaubnis     In einer Post-hoc-Analyse konnte eine Risikoreduk-
                    von Lippincot Williams & Wilkins, Baltimore, USA.)                     tion durch die Kombinationstherapie unabhängig vom

                                                                                                     Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):395      395
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                        Ausgangsblutdruckwert nachgewiesen werden. Das             ren Jahrzehnten auf die Bedeutung von Hirninfarkten
                        geringste Risiko für einen Rezidivhirnschlag hatten        als Ursache kognitiver Störungen hin [39]. Sie führten
                        die Patienten in der Quartile mit den tiefsten Verlaufs-   den Begriff der Multi-Infarkt-Demenz ein [40]. Der Be-
                        blutdruckwerten (durchschnittlich 112/72 mm Hg).           weis, dass zwischen erhöhtem Blutdruck und Ein-
                        In dieser Gruppe wurde auch am meisten über leicht-        schränkung der kognitiven Fähigkeiten im Alter ein
                        gradige Nebenwirkungen berichtet, schwerwiegende           Zusammenhang besteht, folgte in mehreren Studien.
                        Komplikationen traten jedoch nicht gehäuft auf [35].       Ein über Jahre erhöhter Blutdruck erhöht das Risiko
                        Die MOSES-Studie (Morbidity and Mortality After            einer kognitiven Funktionsstörung oder Demenz, in-
                        Stroke, Eprosartan Compared With Nitrendipine for          dem es zu einer Mikroangiopathie und Läsionen der
                        Secondary Prevention Study) zeigte eine Überlegenheit      weissen Hirnsubstanz kommt (Abb. 4 x) [41]. Bleibt
                                      des Angiotensin-II-Antagonisten Epro-        der Blutdruck erhöht und werden auch andere vasku-
      Personen mit Weisskittel-       sartan gegenüber dem Kalziumantago-          läre Risikofaktoren nicht ausreichend behandelt,
      Hypertonie sind für Hirn-       nisten Nitrendipin in der Sekundär-          schreiten die Läsionen der weissen Hirnsubstanz un-
      schlag anfälliger               prävention nach einem Hirnschlag bei         aufhaltsam fort und die kognitiven Einschränkugen
                                      Hypertonikern während einer Beobach-         nehmen zu [42, 43]. Auch klinisch stumme Hirn-
                                      tungszeit von 4 Jahren (relative Risiko-     infarkte sind mit vaskulären Risikofaktoren und ins-
                        reduktion 25%; p = 0,02). Dabei war das Ausmass der        besondere arterieller Hypertonie assoziiert [44]. Sie
                        Blutdrucksenkung in beiden Gruppen vergleichbar.           tragen in gleicher Weise zu den vaskulär bedingten
                        In einer kürzlich veröffentlichten Multizenter-Studie      kognitiven Funktionsstörungen bei. Es gibt auch zu-
                        mit 20 332 Patienten (PRoFESS) zeigte eine innerhalb       nehmend Evidenz, dass vaskulär bedingte Faktoren
                        von durchschnittlich 15 Tagen nach ischämischem            bei der klinischen Manifestation des M. Alzheimer
                        Hirninsult begonnene Therapie mit dem Angioten-            eine wichtige Rolle spielen bzw. dass vaskuläre Fak-
                        sin-II-Antagonisten Telmisartan (80 mg täglich) nach       toren eine Alzheimerpathologie manifest werden las-
                        2,5 Jahren bezüglich Hirnschlagrezidiv oder relevan-       sen. Der reine M. Alzheimer ist selten, gemischte Alz-
                        ten kardiovaskulären Ereignissen keinen Vorteil ge-        heimer- und vaskuläre Demenzen sind hingegen
                        genüber Placebo [36]. Die Autoren argumentierten,          häufig, insbesondere mit zunehmendem Alter.
                        dass es im Gegensatz zur Kombinationstherapie in der       Vaskulären kognitiven Störungen können eine Reihe
                        PROGRESS-Studie unter Telmisartan nur zu einer ge-         von ischämischen oder auch hämorrhagischen zere-
                        ringen Blutdrucksenkung von durchschnittlich 3,8/          brovaskulären Erkrankungen zu Grunde liegen, und
                        2,0 mm Hg verglichen mit Plazebo kam.                      die meisten haben eine pathogenetische Beziehung zu
                        Somit scheint auch in der Sekundärprävention eine          hohem Blutdruck. Man unterscheidet die Multi-In-
                        intensivere Blutdrucksenkung effektiver zu sein.
                        Das Hirnschlagrisiko bei bestehender symptoma-
                        tischer Karotisstenose unter nur medikamentöser Be-
                        handlung in den grossen Karotisstenose-Studien ECST
                        und NASCET stieg mit zunehmenden Blutdruckwerten
                        an, dies auch, wenn es sich einseitig um einen Karo-
                        tisverschluss handelte. Waren bilateral hochgradige
                        Karotisstenosen oder auf der einen Seite eine Karotis-
                        stenose und auf der Gegenseite ein Verschluss vor-
                        handen, zeigte sich jedoch eine umgekehrte Asso-
                        ziation zwischen Blutdruck und Hirnschlaggefahr: das
                        Risiko lag in dieser Gruppe umso höher, je tiefer der
                        Blutdruck war [37]. Als Konsequenz soll in dieser
                        Situation zuerst die Karotisstenose saniert und an-
                        schliessend der Blutdruck gesenkt werden.

                      Blutdruck und kognitive Störungen

                      Ein Hirninfarkt erhöht die Wahrscheinlichkeit einer
                      nachfolgenden Demenz. Zerebrovaskuläre Erkran-
                      kungen rangieren nach dem M. Alzheimer als zweit-
                      häufigste Demenzursache. Viel häufiger als eine vas-
                      kulär bedingte Demenz ist jedoch irgendeine Form
                      einer kognitiven Funktionsstörung als Begleitsym-
                      ptom eines Hirninfarkts [38].                                Abbildung 4
                      Das Thema «Bluthochdruck und Demenz» wird in                 Läsionen der weissen Hirnsubstanz. 57-jährige Frau mit langjähriger
                                                                                   arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus und Übergewicht. Das
                      einem späteren Artikel des Swiss Medical Forum noch
                                                                                   T2-gewichtete Spin-Echo-Bild zeigt multiple kleine und teils konfluie-
                      eingehend abgehandelt werden. Wir beschränken uns            rende grössere Flecken mit hyperintensem Signal in der weissen
                      deshalb hier auf einige Grundsätze:                          Hirnsubstanz beider Hemisphären. Klinisch ist die Patientin asympto-
                      Hachinski und Mitarbeiter wiesen schon vor mehre-            matisch.

                                                                                                    Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):396            396
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                       farkt-Demenz, charakterisiert durch multiple Territo-                    Zusammenfassung
                       rialinfarkte, die subkortikale vaskuläre Enzephalo-
                       pathie, bedingt durch lakunäre Infarkte und Läsionen                     Die arterielle Hypertonie ist der wichtigste modi-
                       der weissen Hirnsubstanz, strategische Infarkte, die                     fizierbare Risikofaktor für das Erleiden eines Hirn-
                       aufgrund ihrer besonderen Lokalisation zu neuro-                         schlags. Mehr als die Hälfte aller Hirnschläge weltweit
                       psychologischen Defiziten führen oder die kognitiven                     beruhen auf einer nicht optimalen Blutdruckeinstel-
                       Störungen infolge Hypoperfusion.                                         lung, wobei das Risiko bei Blutdruckwerten über
                       Klinisch manifestieren sich vaskuläre kognitive Stö-                     115/75 mm Hg sowohl im systolischen als auch im
                       rungen durch diverse neuropsychologische Ausfälle,                       diastolischen Bereich kontinuierlich zunimmt.
                       die stark von den betroffenen Hirnarealen abhängen.                      Patienten mit Weisskittel-Hypertonie und jene mit
                       Im Gegensatz zum M. Alzheimer ist eine Gedächtnis-                       lediglich pathologischem zirkadianem Blutdruckver-
                       störung selten das Leitsymptom. Vielen vaskulären                        lauf (ungenügendes nächtliches Absinken oder aus-
                       kognitiven Störungen gemeinsam ist ein neuropsy-                         sergewöhnlich starker morgendlicher Anstieg) schei-
                       chologisches Profil mit schon früh verminderter                          nen ebenso ein erhöhtes Hirnschlagrisiko zu haben.
                       Aufmerksamkeit und gestörten Exekutivfunktionen,                         Der Nutzen einer antihypertensiven Therapie sowohl
                       Verlangsamung motorischer Funktionen und lang-                           zur Primär- wie Sekundärprävention des Hirninfark-
                       samer Informationsverarbeitung. Stimmungsverän-                          tes ist unbestritten. Es sind Werte von 220/120 mm Hg (vorsichtig) gesenkt wer-
                       sich motorische Auffälligkeiten. Bei einer zerebralen                    den.
                       Mikroangiopathie kann eine Gehstörung mit kleinen
                       schlurfenden Schritten, breiter Stand- und Gangbasis,
                       aber im Gegensatz zum Parkinsonsyndrom gutem                             Korrespondenz:
                       Mitschwingen der Arme und lebhafter Mimik als                            Prof. Heinrich Mattle
                                                                                                Universitätsklinik für Neurologie
                       Charakteristikum hinzukommen [45].
                                                                                                Inselspital
                                                                                                CH-3010 Bern
                                                                                                heinrich.mattle@insel.ch

                     Empfohlene Literatur
                     – Lawes CMM, Bennet DA, Feigin VL, Rodgers A.Blood pressure and            Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie unter
                        stroke. An overview of published reviews. Stroke. 2004;35:1024–33.      www.medicalforum.ch.
                      – Staessen A, Wang JG, Thijs L. Cardiovascular protection and blood
                        pressure reduction: a meta-analysis. Lancet. 2001;358:1305–15.
                     – Adams HP, Del Zoppo G, Alberst MJ, Bhatt DL, Brass L, Furlan A, et al.
                        Guidelines for the early management of adults with ischemic stroke.
                        Stroke. 2007;38:1655–711.

                                                                                                                  Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):397          397
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