Blutdruck und Hirninfarkt
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392-397 Kappeler 065_d.qxp 11.5.2009 14:06 Uhr Seite 392 CURRICULUM Blutdruck und Hirninfarkt Liliane Kappelera,c, Jürg Nussbergerb, Heinrich P. Mattlea a Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universität Bern, b Département de médecine, CHUV, Lausanne, c Neurologie, Medizinische Klinik, Bürgerspital, Solothurn sen Gefässen führen über Nekrose, Ulzeration und Quintessenz Thrombose zu Gefässverschlüssen oder arterio-arte- Die arterielle Hypertonie ist der wichtigste modifizierbare Risikofaktor rieller Embolisation und in der Folge zum Hirnschlag. für das Erleiden eines Hirnschlages. Das Risiko nimmt ab Blutdruckwer- Die «Framingham Heart Study» zeigte, dass sich bei ten von 115/75 mm Hg sowohl im systolischen wie diastolischen Bereich einem um 20 mm Hg höheren systolischen Blutdruck kontinuierlich zu. die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer mittel- gradigen Karotisstenose verdoppelt (Odds ratio 2,11; Der Nutzen einer antihypertensiven Therapie sowohl zur Primär- wie 95%-CI: 1,51–2,97) [6]. In den kleinen Gefässen wie zur Sekundärprävention des Hirninfarktes ist unbestritten. den tiefen perforierenden Endarterien der weissen Das Ausmass der erreichten Blutdrucksenkung ist wichtiger als die Hirnsubstanz und des Hirnstamms, wo der grösste Klassenzugehörigkeit der verwendeten Antihypertensiva. Druckabfall auf einer kurzen Strecke zu erfolgen hat, treten bei chronisch hypertensiven Blutdruckwerten Im Akutstadium des ischämischen Hirnschlags sollte der Blutdruck – bevorzugt Schäden auf: Dabei handelt es sich meistens ausser in einigen Sonderfällen – nur bei Werten >220/120 mm Hg gesenkt um Verschlüsse durch Mikroatherome und eine hy- werden. pertensive Lipohyalinose. Mittels zerebraler Autoregulation vermögen die Hirn- arterien normalerweise die Hirndurchblutung trotz Schwankungen im systemischen Blutdruck über einen Einleitung weiten Bereich konstant zu halten. Langjährige arte- rielle Hypertonie führt zu einer Verschiebung des Auto- Jeder vierte Erwachsene leidet unter Bluthochdruck. regulationsbereiches hin zu höheren Blutdruckwer- Eine arterielle Hypertonie erhöht das Hirnschlagrisiko ten. Damit wird das Gehirn empfindlicher für rasche um einen Faktor 4 bis 8 und die Hirnschlagsterblich- Blutdruckabfälle und es droht der ischämische Hirn- keit bis 16fach [1, 2]. Damit verkürzt die Hypertonie infarkt. Anderseits können übermässige Blutdruck- nicht nur das Leben insgesamt, sondern verlängert anstiege (hypertensive Entgleisungen) über die obere auch den Lebensabschnitt mit Behinderung und erhöht Grenze der Autoregulation hinausführen und Hirn- zudem die Wahrscheinlichkeit einer Demenz, einer funktionsstörungen (hypertensive Enzephalopathie) Depression oder einer Epilepsie. oder einen hämorrhagischen Hirninfarkt verursa- Die Blutdruckhöhe vermag Hirnschläge sehr zuver- chen. lässig vorauszusagen. Das Hirnschlagrisiko steigt mit Prospektive Kohortenstudien und eine Metaanalyse zunehmenden Blutdruckwerten ab 115/75 mm Hg bei zahlreicher Blutdruck-Interventionsstudien haben ge- Männern und Frauen gleichmässig sowie steil an. Die zeigt, dass bei 10 mm Hg tieferem systolischem Blut- Häufigkeit der Hirnschlag-Todesfälle hängt ebenfalls druck das Risiko eines Hirnschlags für Personen zwi- stark vom Ausgangsblutdruck vor dem Ereignis ab schen 60 und 79 Jahren um rund ein Drittel geringer (Abb. 1 x) [3]. Fast zwei Drittel aller Hirnschläge und war [7]. Mit der Senkung des Blutdruckes nahm das fast die Hälfte der ischämischen Herzkrankheiten Hirnschlagrisiko bis zu einem Wert von wenigstens weltweit dürften auf zu hohen Blutdruck zurückzu- 115/75 mm Hg immer mehr ab. führen sein [4]. Global gesehen betreffen zwei Drittel Auch der diastolische Blutdruck ist mit dem Auftreten der Hirnschläge Personen zwischen 45 und 69 Jahren von Hirnschlägen verbunden. Dies wurde in einer Me- und rund zwei Drittel treten in Entwicklungsländern taanalyse bei 420 000 Teilnehmern aus neun grossen auf [5]. In der Schweiz kommen 15% aller Hirnschläge prospektiven Studien nachgewiesen: Im Bereich zwi- Liliane Kappeler bei Personen unter 65 Jahren vor, und 50% der Hirn- schen 70 und 110 mm Hg diastolischen Druckes waren schlag-Patienten sind älter als 75 Jahre. jeweils um 5, 7,5 bzw. 10 mm Hg tiefer liegende Werte Zu Hirnschlägen führen vor allem die zerebrale Mikro- mit einem um 34, 46 bzw. 56% niedrigeren Hirn- Die Autoren erklä- ren, dass sie keine und Makroangiopathie, die eingeschränkte zerebrale schlagrisiko verbunden [8]. Dabei beeinflusste der Interessenskonflikte Autoregulation sowie Herzkrankheiten. Die arterielle diastolische Blutdruck das Hirnschlagrisiko stärker im Zusammenhang Hypertonie ist ein wichtiger Risikofaktor für diese Ge- als jenes der koronaren Herzkrankheit. Auch die Zu- mit diesem Beitrag fässveränderungen und -erkrankungen. Progrediente sammenfassung von 14 randomisierten Studien zur haben. atherosklerotische Plaques in grossen und mittelgros- antihypertensiven Therapie hat gezeigt, dass eine CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. 387 oder im Internet unter www.smf-cme.ch. Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):392 392
392-397 Kappeler 065_d.qxp 11.5.2009 14:06 Uhr Seite 393 CURRICULUM (Odds ratio 1,07; p = 0,37); dabei stellte sich heraus, dass mit antihypertensiver Therapie die Hirnschlag- rate um 30% gesenkt werden kann (95%-CI 18–41%; p 1 Million Personen aus Mit Weisskittel-Hypertonie bezeichnet man erhöhte 61 prospektiven Observationsstudien bestätigte den Blutdruckwerte in der Arztpraxis bei normalen Mess- klaren Zusammenhang zwischen steigenden systoli- werten im häuslichen Umfeld. Auch diese Hyperto- schen und diastolischen Blutdruckwerten und Morta- nieform scheint anfälliger zu sein für Hirnschläge [13]. lität infolge eines Hirnschlages (Abb. 1). Bei Personen Die maskierte Hypertonie zeigt im Gegensatz zur zwischen 40 und 69 Jahren vermochte in einem Blut- Weisskittel-Hypertonie normale Praxis-Blutdruckwer- druckbereich zwischen 115/75 und 185/115 mm Hg te, aber erhöhte 24-Stunden-Profile [14]. Dass diese jede Reduktion des systolischen Blutdruckes um 20 Hypertonieform, die gegen 10% unserer Bevölkerung oder des diastolischen um 10 mm Hg die Hirnschlag- betrifft, neben Herzhypertrophie und Karotis-Athero- sterblichkeit zu halbieren. Bei über sklerose auch vermehrt Hirnschläge verursacht, ist bis 70-Jährigen erscheint der Zusammen- heute nicht belegt [15, 16]. Global betreffen zwei Drittel hang zwischen Blutdruck und Hirnschlag- der Hirnschläge Personen sterblichkeit etwas weniger deutlich, das zwischen 45 und 69 Jahren und rund zwei Drittel treten heisst, die prozentuale Zunahme der Primärprävention des Hirninfarktes Hirnschlagtodesfälle pro 10 mm Hg hö- in Entwicklungsländern auf herem Ausgangsblutdruck ist geringer Allen Hypertonie-Patienten sollten mögliche Verbes- als bei jüngeren Leuten. Da jedoch mit serungen des Lebensstils nahegelegt werden: Mit Ver- zunehmendem Alter die Gefahr, an einem Hirnschlag zicht auf Rauchen und Mässigung des Alkoholkon- zu sterben insgesamt deutlich steigt (auch bei norma- sums kann eine Senkung des systolischen Blutdruckes lem Blutdruck), tötet ein gegebener Blutdruckanstieg um 2–4 mm Hg erreicht werden, mit Gewichtsabnah- mehr Personen im hohen Alter über als unter 70 Jah- me eine solche von 5–20 mm Hg/10 kg. Körperliche ren. Aktivität kann den systolischen Blutdruck um 4–9 mm Die isolierte systolische Hypertonie ist meistens auf Hg und eine veränderte Essgewohnheit, die Salz- und eine verminderte Elastizität der grossen Arterien Fettzufuhr vermindert und vermehrt Früchte und Ge- zurückzuführen und tritt vor allem im Alter auf. Eine müse beinhaltet, um 8–14 mm Hg vermindern [17]. Metaanalyse untersuchte mehr als 15 000 Patienten Nur in sehr wenigen Fällen einer Hypertonie genügen aus acht Studien mit systolischen Blutdruckwerten diese nicht-medikamentösen Massnahmen allein zur über 160 mm Hg bei diastolischen Werten unter Behandlung einer Hypertonie. Je nach zusätzlichen 95 mm Hg [10]. Sie zeigte, dass auch die isolierte Risikofaktoren (Alter, Übergewicht, Dyslipidämie) und systolische Hypertonie bei Patienten über 60 Jahren Begleiterkrankungen (Diabetes, Herz-Kreislauf-Krank- ein Risikofaktor für den Hirnschlag ist (Odds ratio heiten, Nierenleiden) müssen meistens zusätzlich Arz- 1,22; p = 0,02), nicht aber für koronare Ereignisse neimittel eingesetzt werden, um den Blutdruck in den Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):393 393
392-397 Kappeler 065_d.qxp 11.5.2009 14:06 Uhr Seite 394 CURRICULUM Blutdruck und akuter Hirninfarkt Innerhalb der ersten 24–48 Stunden nach Beginn eines Hirnschlags finden sich in bis zu 80% erhöhte Blutdruckwerte (systolisch >140 mm Hg, bei mehr als der Hälfte sogar >160 mm Hg), die in den folgenden 4–10 Tagen spontan zurückgehen. Wodurch die Hirn- schlag-assoziierte Hypertonie bedingt ist, ist nicht umfassend geklärt. Diskutiert werden der Weisskittel- Effekt, neurohumorale Faktoren sowie eine Bedarfs- hypertonie zum Schutz von ischämiegefährdeten, ledig- lich über Kollateralen mit Blut versorgten Hirnarealen (Penumbra). Für letztere spricht unter anderen eine eigene Arbeit zum Blutdruckverlauf bei Hirnschlag- Patienten nach intra-arterieller Thrombolyse, wo sich 12 Stunden nach dem Eingriff bei Wiedereröffnung des verschlossenen Hirngefässes ein stärkerer systo- lischer Bludruckabfall zeigte als bei persistierendem Verschluss [21]. Harper et al. fanden höhere initiale Blutdruckwerte bei Patienten mit intrazerebraler Blutung. Sie konnten keine Assoziation zwischen dem Schweregrad des Hirnschlages und dem Blutdruckmuster feststellen Abbildung 2 [22]. Als Teil der «Copenhagen Stroke Study» unter- Hirnschlagrisiko in Abhängigkeit von der erreichten systolischen Blutdrucksenkung (mm Hg, Kontrolle minus Test-Antihypertensivum) suchten Jørgensen et al. den Einfluss von klinischen in 27 kontrollierten Studien mit insgesamt über 100 000 Patienten: Faktoren auf den Eintrittsblutdruck und fanden als re- Je grösser die Drucksenkung, desto geringer die Hirnschlaggefahr – levante Faktoren für tiefere Blutdruckwerte das Vor- offenbar unabhängig von der gewählten Antihypertensiva-Klasse. liegen einer koronaren Herzkrankheit und/oder eines Gefüllte Symbole betreffen Vergleiche mit älteren Medikamenten. Vorhofflimmerns, als Faktoren für höhere Werte eine Regressionslinie und (gestrichelt) 95% Vertrauensgrenzen. (Abdruck aus The Lancet. 2001;358:1305–15. Staessen A, Wang JG, Thijs L. vorbestehende arterielle Hypertonie oder eine primäre Cardiovascular protection and blood pressure reduction: a meta-ana- Hirnblutung [23]. Rund 40% der Individuen standen lysis. Copyright © 2009, mit Erlaubnis von Elsevier, Oxford, England.) zum Zeitpunkt des Hirnschlages bereits unter einer antihypertensiven Therapie. Während die Bluthochdruckbehandlung zur Vorbeu- normalen – bei Organschäden oder Begleiterkrankun- gung des Hirnschlages (Primärprävention) unbestrit- gen bis in den tief normalen – Bereich zu senken [18]. ten ist, herrscht weiterhin Uneinigkeit betreffend der Je nach Begleitumständen werden dabei unterschied- Blutdruckbehandlung im Akutstadium des ischämi- liche Antihypertensiva-Klassen zur Initialtherapie schen Hirnschlags. Im «International Stroke Trial» empfohlen: Antiangiotensine (ACE-Hemmer, Angio- (IST)» wurde der initiale Blutdruck bei >17 000 Personen, tensin-II-Rezeptorblocker, evtl. Renin-Hemmer) bei welche innerhalb von 48 Stunden nach Beginn eines Diabetes mellitus, Kalziumantagonisten und Beta- ischämischen Hirnschlages in die Studie eingeschlos- blocker bei koronarer Herzkrankheit und Diuretika sen wurden, analysiert. Es konnte eine U-förmige Be- bei Herzinsuffizienz. Für den Behandlungserfolg ziehung zwischen Blutdruck und Prognose festgestellt scheinen aber immer auch das Ausmass werden, wobei Patienten mit systoli- und die Nachhaltigkeit (24-Stunden- schen Blutdruckwerten zwischen 140 Der Hirnschlag verlängert Profil) der erreichten Blutdrucksenkung und 179 mm Hg die beste Prognose den Lebensabschnitt mit hin zu den Zielwerten (nicht zur Hypo- hatten. Das Risiko, innerhalb der ersten Behinderung und erhöht zu- tonie!) von entscheidender Bedeutung 14 Tage zu sterben, nahm pro 10 mm dem die Wahrscheinlichkeit [19]. Selbstverständlich sind sekundäre Hg unterhalb von 150 mm Hg um 17,9% einer Demenz, einer Depres- Hypertonieformen wenn möglich ursäch- zu (p 150 mm Hg oder lindern kann. war die Rezidivrate innerhalb von 14 Tagen erhöht. Alle kontrollierten Studien zeigen mehr oder weniger Der Tod infolge eines vermuteten Hirnödems war deutlich, dass Hirnschläge verhindert werden, wenn unabhängig assoziiert mit hohen systolischen Blut- der Blutdruck gesenkt wird, und zwar fast ausnahms- druckwerten [24]. los in einem Ausmass, das der erreichten Blutdruck- Basierend auf entsprechenden Studien, die über eine senkung entspricht (Abb. 2 x) [20]. Verschlechterung der Symptomatik nach intensiver Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):394 394
392-397 Kappeler 065_d.qxp 11.5.2009 14:06 Uhr Seite 395 CURRICULUM Blutdrucksenkung berichteten, wird insgesamt eher versibel ist, falls es unter Therapie zu einer neurolo- von einer medikamentösen Blutdrucksenkung im gischen Verschlechterung kommen sollte [29, 30]. Akutstadium des Hirnschlages abgeraten [25, 26]. Pa- Ob eine bestehende antihypertensive Therapie im thophysiologische Überlegungen unter- Akutstadium eines Hirnschlags fortge- stützen dies: Wenn im Anschluss an ei- setzt werden soll, ist ebenfalls umstrit- Ein hoher Pulsdruck – nen Hirnschlag die zerebrovaskuläre ten. Eine Studie mit dem Angiotensin- systolischer minus diasto- Autoregulation eingeschränkt ist, hängt Rezeptor-Blocker Candesartan, der bei lischer Blutdruckwert – die Hirndurchblutung direkt vom syste- hypertensiven Patienten (>200/110 mm gilt als Risikofaktor mischen Blutdruck ab. Damit gefähr- Hg) ein Tag nach dem Auftreten des den Blutdruckabfälle insbesondere das Hirnschlags gestartet wurde, zeigte grenzwertig durchblutete Hirngewebe, die Penumbra. keine negativen Effekte, im Gegenteil, im 1-Jahres- Wenn ein verschlossenes Blutgefäss nicht rekanali- Verlauf waren sowohl die kumulative Mortalität als siert werden kann, vergrössern starke Blutdruck- auch weitere vaskuläre Ereignisse signifikant seltener schwankungen den in den diffusionsgewichteten MRI- als in der Plazebogruppe [31]. Sequenzen nachweisbaren Infarkt [27]. Somit dürfte zumindest bei Patienten mit mildem bis Ausnahmsweise sollte jedoch der Blutdruck nach aku- mässig schwerem Hirnschlag der Wiederbeginn der tem Hirninfarkt gesenkt werden bei: vorbestehenden antihypertensiven Therapie 24 Stunden – maligner Hypertonie mit Werten >220/120 mm Hg nach dem Ereignis wenig gefährlich sein. Mehrere Zen- oder bereits bei Werten >185/110 mm Hg im Falle tren bevorzugen es jedoch, vor dem Hirnschlag einge- einer thrombolytischen Behandlung; nommene antihypertensiv wirkende Medikamente – mit – hypertensiver Enzephalopathie: Diese stellt auf Ausnahme von Betablockern, deren akuter Entzug ge- jeden Fall einen medizinischen Notfall dar und geht fährlich sein kann – erst nach 3–4 Tagen wieder in vol- ohnehin meistens mit malignen Blutdruckwerten ler Dosierung zu verabreichen. einher (>220/120 mm Hg); sie muss behandelt wer- Eine anhaltende arterielle Hypotonie im Rahmen eines den, unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines akuten Hirnschlages ist selten (bei rund 5% der Hirn- Hirnschlages oder isoliert auftritt; schläge). Hier sind Ursachen wie eine Aortendissektion, – kardialer Begleiterkrankung, die ein Absenken des schwere Dehydratation, Blutverlust, eine verminderte Blutdruckes erfordert (z.B. akuter Myokardinfarkt, Herzleistung im Rahmen einer Myokardischämie oder instabile Angina pectoris, schwere Linksherzinsuf- einer Arrhythmie nach Möglichkeit zu beheben. Neben fizienz); Volumenersatz sind gegebenenfalls Vasopressoren ein- – vaskulären Notfällen wie Aortendissektion; zusetzen. – primärer Hirnblutung: Hier vermindert eine intensive Blutdrucksenkung das Hämatomwachstum und ver- bessert das Patientenschicksal [28]. Blutdruck und Risiko eines Hirninfarktes Falls eine antihypertensive Therapie angezeigt ist, nach vorangegangenem zerebrovaskulärem muss die Blutdrucksenkung vorsichtig erfolgen, am ers- Ereignis (Sekundärprävention des Hirn- ten Tag um 15 bis max. 25% des Ausgangswertes. infarktes) Empfohlen werden dafür Medikamente mit kurzer Halbwertszeit wie Labetalol, Nitroglycerin oder kurz- Nach einem Hirnschlag ist die Gefahr eines Rückfalles wirksame ACE-Hemmer, damit die Wirkung rasch re- oder anderer kardiovaskulärer Ereignisse gross, ins- besondere bei Patienten mit unbehandelter arterieller Hypertonie. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu bedenken, dass jeder fünfte Normotoniker in den Monaten nach einem Hirnschlag neu eine behandlungs- bedürftige Hypertonie entwickelt [32]. Der Nutzen einer antihypertensiven Therapie zur Sekundärprävention ist inzwischen durch mehrere Studien eindeutig belegt. In einer Metaanalyse von 8 relevanten Studien konnte eine gepoolte Odds ratio von 0,76 zugunsten einer antihypertensiven Therapie be- rechnet werden (Abb. 3 x) [33]. In der grossen randomisierten PROGRESS-Studie (Pro- tection Against Recurrent Stroke Study) vermochte die Kombination von Perindopril/Indapamid (4/2,5 mg täg- lich) verglichen mit Plazebo die Zahl der Hirnschlag- rezidive signifikant zu reduzieren, mit einer relativen Risikoreduktion von 43%. Eine Behandlung mit Perin- Abbildung 3 dopril alleine führte zu einer geringeren Blutdruck- Auswirkung einer antihypertensiven Therapie auf die Rezidivrate von senkung (5/3 mm Hg vs. 12/5 mm Hg) und nicht zu einer Hirnschlägen – Sekundärprävention. (Aus: Zhang H, Thijs L, Staessen A. Blood pressure lowering for primary and secondary prevention of signifikanten Reduktion der Hirnschlagrate [34]. stroke. Hypertension. 2006;48:190. Copyright © 2009, mit Erlaubnis In einer Post-hoc-Analyse konnte eine Risikoreduk- von Lippincot Williams & Wilkins, Baltimore, USA.) tion durch die Kombinationstherapie unabhängig vom Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):395 395
392-397 Kappeler 065_d.qxp 11.5.2009 14:06 Uhr Seite 396 CURRICULUM Ausgangsblutdruckwert nachgewiesen werden. Das ren Jahrzehnten auf die Bedeutung von Hirninfarkten geringste Risiko für einen Rezidivhirnschlag hatten als Ursache kognitiver Störungen hin [39]. Sie führten die Patienten in der Quartile mit den tiefsten Verlaufs- den Begriff der Multi-Infarkt-Demenz ein [40]. Der Be- blutdruckwerten (durchschnittlich 112/72 mm Hg). weis, dass zwischen erhöhtem Blutdruck und Ein- In dieser Gruppe wurde auch am meisten über leicht- schränkung der kognitiven Fähigkeiten im Alter ein gradige Nebenwirkungen berichtet, schwerwiegende Zusammenhang besteht, folgte in mehreren Studien. Komplikationen traten jedoch nicht gehäuft auf [35]. Ein über Jahre erhöhter Blutdruck erhöht das Risiko Die MOSES-Studie (Morbidity and Mortality After einer kognitiven Funktionsstörung oder Demenz, in- Stroke, Eprosartan Compared With Nitrendipine for dem es zu einer Mikroangiopathie und Läsionen der Secondary Prevention Study) zeigte eine Überlegenheit weissen Hirnsubstanz kommt (Abb. 4 x) [41]. Bleibt des Angiotensin-II-Antagonisten Epro- der Blutdruck erhöht und werden auch andere vasku- Personen mit Weisskittel- sartan gegenüber dem Kalziumantago- läre Risikofaktoren nicht ausreichend behandelt, Hypertonie sind für Hirn- nisten Nitrendipin in der Sekundär- schreiten die Läsionen der weissen Hirnsubstanz un- schlag anfälliger prävention nach einem Hirnschlag bei aufhaltsam fort und die kognitiven Einschränkugen Hypertonikern während einer Beobach- nehmen zu [42, 43]. Auch klinisch stumme Hirn- tungszeit von 4 Jahren (relative Risiko- infarkte sind mit vaskulären Risikofaktoren und ins- reduktion 25%; p = 0,02). Dabei war das Ausmass der besondere arterieller Hypertonie assoziiert [44]. Sie Blutdrucksenkung in beiden Gruppen vergleichbar. tragen in gleicher Weise zu den vaskulär bedingten In einer kürzlich veröffentlichten Multizenter-Studie kognitiven Funktionsstörungen bei. Es gibt auch zu- mit 20 332 Patienten (PRoFESS) zeigte eine innerhalb nehmend Evidenz, dass vaskulär bedingte Faktoren von durchschnittlich 15 Tagen nach ischämischem bei der klinischen Manifestation des M. Alzheimer Hirninsult begonnene Therapie mit dem Angioten- eine wichtige Rolle spielen bzw. dass vaskuläre Fak- sin-II-Antagonisten Telmisartan (80 mg täglich) nach toren eine Alzheimerpathologie manifest werden las- 2,5 Jahren bezüglich Hirnschlagrezidiv oder relevan- sen. Der reine M. Alzheimer ist selten, gemischte Alz- ten kardiovaskulären Ereignissen keinen Vorteil ge- heimer- und vaskuläre Demenzen sind hingegen genüber Placebo [36]. Die Autoren argumentierten, häufig, insbesondere mit zunehmendem Alter. dass es im Gegensatz zur Kombinationstherapie in der Vaskulären kognitiven Störungen können eine Reihe PROGRESS-Studie unter Telmisartan nur zu einer ge- von ischämischen oder auch hämorrhagischen zere- ringen Blutdrucksenkung von durchschnittlich 3,8/ brovaskulären Erkrankungen zu Grunde liegen, und 2,0 mm Hg verglichen mit Plazebo kam. die meisten haben eine pathogenetische Beziehung zu Somit scheint auch in der Sekundärprävention eine hohem Blutdruck. Man unterscheidet die Multi-In- intensivere Blutdrucksenkung effektiver zu sein. Das Hirnschlagrisiko bei bestehender symptoma- tischer Karotisstenose unter nur medikamentöser Be- handlung in den grossen Karotisstenose-Studien ECST und NASCET stieg mit zunehmenden Blutdruckwerten an, dies auch, wenn es sich einseitig um einen Karo- tisverschluss handelte. Waren bilateral hochgradige Karotisstenosen oder auf der einen Seite eine Karotis- stenose und auf der Gegenseite ein Verschluss vor- handen, zeigte sich jedoch eine umgekehrte Asso- ziation zwischen Blutdruck und Hirnschlaggefahr: das Risiko lag in dieser Gruppe umso höher, je tiefer der Blutdruck war [37]. Als Konsequenz soll in dieser Situation zuerst die Karotisstenose saniert und an- schliessend der Blutdruck gesenkt werden. Blutdruck und kognitive Störungen Ein Hirninfarkt erhöht die Wahrscheinlichkeit einer nachfolgenden Demenz. Zerebrovaskuläre Erkran- kungen rangieren nach dem M. Alzheimer als zweit- häufigste Demenzursache. Viel häufiger als eine vas- kulär bedingte Demenz ist jedoch irgendeine Form einer kognitiven Funktionsstörung als Begleitsym- ptom eines Hirninfarkts [38]. Abbildung 4 Das Thema «Bluthochdruck und Demenz» wird in Läsionen der weissen Hirnsubstanz. 57-jährige Frau mit langjähriger arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus und Übergewicht. Das einem späteren Artikel des Swiss Medical Forum noch T2-gewichtete Spin-Echo-Bild zeigt multiple kleine und teils konfluie- eingehend abgehandelt werden. Wir beschränken uns rende grössere Flecken mit hyperintensem Signal in der weissen deshalb hier auf einige Grundsätze: Hirnsubstanz beider Hemisphären. Klinisch ist die Patientin asympto- Hachinski und Mitarbeiter wiesen schon vor mehre- matisch. Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):396 396
392-397 Kappeler 065_d.qxp 11.5.2009 14:06 Uhr Seite 397 CURRICULUM farkt-Demenz, charakterisiert durch multiple Territo- Zusammenfassung rialinfarkte, die subkortikale vaskuläre Enzephalo- pathie, bedingt durch lakunäre Infarkte und Läsionen Die arterielle Hypertonie ist der wichtigste modi- der weissen Hirnsubstanz, strategische Infarkte, die fizierbare Risikofaktor für das Erleiden eines Hirn- aufgrund ihrer besonderen Lokalisation zu neuro- schlags. Mehr als die Hälfte aller Hirnschläge weltweit psychologischen Defiziten führen oder die kognitiven beruhen auf einer nicht optimalen Blutdruckeinstel- Störungen infolge Hypoperfusion. lung, wobei das Risiko bei Blutdruckwerten über Klinisch manifestieren sich vaskuläre kognitive Stö- 115/75 mm Hg sowohl im systolischen als auch im rungen durch diverse neuropsychologische Ausfälle, diastolischen Bereich kontinuierlich zunimmt. die stark von den betroffenen Hirnarealen abhängen. Patienten mit Weisskittel-Hypertonie und jene mit Im Gegensatz zum M. Alzheimer ist eine Gedächtnis- lediglich pathologischem zirkadianem Blutdruckver- störung selten das Leitsymptom. Vielen vaskulären lauf (ungenügendes nächtliches Absinken oder aus- kognitiven Störungen gemeinsam ist ein neuropsy- sergewöhnlich starker morgendlicher Anstieg) schei- chologisches Profil mit schon früh verminderter nen ebenso ein erhöhtes Hirnschlagrisiko zu haben. Aufmerksamkeit und gestörten Exekutivfunktionen, Der Nutzen einer antihypertensiven Therapie sowohl Verlangsamung motorischer Funktionen und lang- zur Primär- wie Sekundärprävention des Hirninfark- samer Informationsverarbeitung. Stimmungsverän- tes ist unbestritten. Es sind Werte von 220/120 mm Hg (vorsichtig) gesenkt wer- sich motorische Auffälligkeiten. Bei einer zerebralen den. Mikroangiopathie kann eine Gehstörung mit kleinen schlurfenden Schritten, breiter Stand- und Gangbasis, aber im Gegensatz zum Parkinsonsyndrom gutem Korrespondenz: Mitschwingen der Arme und lebhafter Mimik als Prof. Heinrich Mattle Universitätsklinik für Neurologie Charakteristikum hinzukommen [45]. Inselspital CH-3010 Bern heinrich.mattle@insel.ch Empfohlene Literatur – Lawes CMM, Bennet DA, Feigin VL, Rodgers A.Blood pressure and Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie unter stroke. An overview of published reviews. Stroke. 2004;35:1024–33. www.medicalforum.ch. – Staessen A, Wang JG, Thijs L. Cardiovascular protection and blood pressure reduction: a meta-analysis. Lancet. 2001;358:1305–15. – Adams HP, Del Zoppo G, Alberst MJ, Bhatt DL, Brass L, Furlan A, et al. Guidelines for the early management of adults with ischemic stroke. Stroke. 2007;38:1655–711. Schweiz Med Forum 2009;9(21–22):397 397
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