Typ-1-Diabetes: Von der Ursachensuche zu Präventionsstudien

 
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Typ-1-Diabetes: Von der Ursachensuche zu Präventionsstudien
Typ-1-Diabetes:
Von der Ursachensuche
zu Präventionsstudien

Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes
werden die insulinproduzierenden
-Zellen der Bauchspeicheldrüse
durch körpereigene Immunzellen
zerstört. Was setzt diesen Auto-
immunprozess in Gang? Diskutiert
werden sowohl genetische als auch
umweltbedingte Faktoren. Wie
könnte man den Prozess aufhalten
oder den Ausbruch des Typ-1-Dia-
betes präventiv verhindern? Zur
Klärung dieser Fragen wurden
mehrere Studien initiiert. Erste Er-
gebnisse liegen nun vor.
Typ-1-Diabetes: Von der Ursachensuche zu Präventionsstudien
Auf der Suche nach den                    Typ-1-Diabetes oder insulinabhängiger Diabetes
Ursachen von                              (IDDM, von engl: insulin-dependent diabetes
Typ-1-Diabetes                            mellitus) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der
                                          die insulinproduzierenden -Zellen in den Lan-
                           gerhans’schen Inseln (siehe Abb. 1) der Bauchspeicheldrüse
                           (Pankreas) durch bestimmte fehlgeleitete körpereigene Immun-
                           zellen, sog. autoreaktive T-Lymphozyten, zerstört werden.
                           Gefunden wurden in zerstörten Langerhans’schen Inseln des
                           Pankreas allerdings nicht nur eingewanderte CD4+-T-Helfer-
                           lymphozyten1 und zytotoxische CD8+-T-Killerlymphozyten
                           [1], sondern auch wahre «Cocktails» unterschiedlicher Auto-
                           antikörper gegen Bestandteile der insulinproduzierenden -
                           Zellen oder auch gegen Insulin. Die wichtigsten dieser Autoan-
                           tikörper sind in Tab. 1 genannt. Wie kommt es zur Entwicklung

                           ABBILDUNG 1: Langerhans’sche Insel mit                    hält etwa 3000 Zellen. Sind über 80 % der in-
                           insulinproduzierenden -Zellen im Pank-                   sulinproduzierenden -Zellen zerstört, ent-
                           reas. (Histologisches Präparat, Färbung: Hä-              wickelt sich ein Typ-1-Diabetes. Die Abbil-
                           matoxylin-Eosin.) Beim erwachsenen Men-                   dung wurde uns freundlicherweise von Erika
                           schen gibt es ca. 1-2 Millionen solcher                   Novotny zu Verfügung gestellt.
                           Inseln im Pankreasgewebe. Jede Insel ent-

1    CD steht für cluster of differentiation. Zu-   Zelltyp (Differenzierungsantigene, Ober-
     sammen mit nachfolgenden Ziffern und           flächenrezeptoren) und Funktionszu-
     Zeichen dient dies zur Charakterisierung       stand (z. B. Aktivierung).
     immunkompetenter Zellen hinsichtlich

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Typ-1-Diabetes: Von der Ursachensuche zu Präventionsstudien
TABELLE 1: Wichtige Autoantikörper, die bei der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes eine Rolle spielen.

Bezeichnung                              Abkürzung            Antigen

zytoplasmatische                                              reagieren mit Antigenen im
Inselzell-Antikörper                     ICA                  Zytoplasma von Inselzellen im Pankreas

Autoantikörper gegen                                          Antikörper gegen die 65kDa
GAD                                      GADA                 Isoform des Enzyms Glutaminsäure-Decarboxylase
                                                              (GAD von engl.: glutamic acid decarboxylase)

Insulin-Autoantikörper                   IAA                  gegen körpereigenes Insulin

Tyrosinphosphatase                       IA-2                 gegen die intrazytoplasmatische Region der
                                                              Tyrosinphosphatase

                       einer solchen Autoimmunerkrankung? Sowohl vererbbare als
                       auch umweltbedingte Faktoren spielen eine Rolle. Für einen
                       großen Einfluss umweltbedingter Faktoren sprechen z. B. die
                       beträchtlichen Unterschiede des Auftretens von Typ-1-Diabetes
                       von Land zu Land. Sehr geringe Erkrankungsraten wurden in
                       der asiatischen Bevölkerung gefunden. In Finnland dagegen
                       rechnet man mit 35 Erkrankungsfällen auf 100 000 Einwohner
                       im Alter unter 15 Jahren pro Jahr bei einer Prävalenz2 der Er-
                       krankung von 0,4 %. Diese Situation ist schon in den baltischen
                       Nachbarstaaten ganz anders. Obwohl die Bevölkerung Estlands
                       derjenigen Finnlands ethnisch sehr ähnlich ist, beträgt die
                       Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs der Erkrankung hier nur ein
                       Drittel von der in Finnland [2]. Als Umweltfaktoren werden z. B.
                       die Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter sowie Infek-
                       tionen mit Viren diskutiert.

Molekulares Mimikry mit               So enthält das virale Protein P2C von Coxsacki-
fatalen Folgen                        B4-Viren (CVB4) Bereiche, die dem Enzym Glu-
                                      taminsäure-Decarboxylase (GAD von engl.:
                       glutamic acid decarboxylase) ähneln, welches in den Langer-
                       hans’schen Inseln vorkommt [3, 4]. Dieses Enzym ist für die
                       Synthese des biogenen Amins Gammaaminobuttersäure
                       (GABA) verantwortlich.
                       Coxsacki-Viren, so benannt nach der US-amerikanischen Stadt,
                       in der sie 1948 erstmals isoliert wurden, sind weltweit verbrei-

                                                                            2   Häufigkeit des Vorkommens einer beste-
                                                                                henden Krankheit in einer Population zu
                                                                                einer bestimmten Zeit.

                                                                 Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung           19
Typ-1-Diabetes: Von der Ursachensuche zu Präventionsstudien
tet. Sie verursachen gehäuft im Sommer und Herbst so unter-
               schiedliche Krankheitsbilder wie Hirnhautentzündung, Herz-
               muskelentzündung, grippale Infekte, Atemwegsinfektionen,
               Durchfälle oder Ekzeme. Das molekulare Mimikry des oben ge-
               nannten Proteins mit Bestandteilen spezieller Coxsacki-Viren
               hat fatale Folgen: Die natürliche Selbsttoleranz, die normaler-
               weise die körpereigenen Immunzellen, die T-Lymphozyten, da-
               von abhält, sich gegen körpereigenes Gewebe zu richten, wird
               gebrochen. Dies führt zur Zerstörung der -Zellen im Pankreas.
               Autoantikörper gegen die 65 kDa-Isoform des Enzyms GAD
               können schon Jahre vor dem Auftreten eines Typ-1-Diabetes
               nachgewiesen werden. Sie wurden bei 70-80 % der Typ-1-Dia-
               betes-Patienten gefunden [5].
               Forscher der Guy’s, King’s and St Thomas Hospital School of
               Medicine haben erst kürzlich publiziert, dass T-Lymphozyten
               von Patienten mit Typ-1-Diabetes sehr viel stärker auf die Hüll-
               proteine VP1, VP2, VP3 sowie auf das P2C-Protein von CVB4
               reagierten als gesunde Kontrollpersonen. Die Reaktion fiel
               umso heftiger aus, je kürzer die Diagnosestellung Typ-1-Diabe-
               tes zurücklag [6].

Unendlich wertvoll: Unter-     Untersuchungen an Zwillingen, eineiigen und
suchungen an Zwillingen        zweieiigen, sind von unschätzbarem Wert, wenn
                               es darum geht, den Beitrag vererbbarer und um-
               weltbedingter Faktoren zu ergründen, die zum Ausbruch einer
               Autoimmunerkrankung führen.
               Bei der Mehrzahl eineiiger Zwillinge mit einer Autoimmuner-
               krankung ist nur ein Zwilling betroffen. Manchmal tritt eine
               Autoimmunerkrankung beim zweiten Zwilling erst nach Jahren
               auf; sehr oft aber auch nicht. So zeigte eine Studie mit eineiigen
               Zwillingen, bei denen einer an Typ-1-Diabetes erkrankt war,
               dass nach 40 Jahren die Mehrheit der jeweils anderen Zwillinge
               nicht daran erkrankt war [8]. Bedeutet dies nun: Es gibt keine
               genetischen Ursachen für die Entwicklung eines Typ-1-Diabe-
               tes? Nein, denn eineiige Zwillinge sind genetisch nicht identisch,
               zumindest nicht ihre Baupläne für die Rezeptoren auf T-Lym-
               phozyten sowie für die von den B-Lymphozyten gebildeten An-
               tikörper betreffend. Auch wenn die Zwillinge gemeinsam auf-
               wachsen, werden sie bezüglich ihrer zellulären und humoralen
               Antwort des Immunsystems nicht identisch sein können.

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Typ-1-Diabetes: Von der Ursachensuche zu Präventionsstudien
Vielfalt der Antikörper
Im Blut eines Menschen zirkulieren viele verschiedene B-Lym-
phozyten, mit jeweils unterschiedlichen Anweisungen für den
Bau von Millionen verschiedener spezialisierter Antikörper. Die
immense Vielfalt der möglichen unterschiedlichen Antikörper,
die ein Mensch bilden kann, resultiert aus einer Neukombinati-
on (Rearrangement) von wenigen Genen, welche die Bauplan-
anweisungen für verschiedene Antikörperregionen aufweisen.
B-Lymphozyten, die durch Kontakt mit einem Antigen dazu sti-
muliert werden, sich zu einer antikörperproduzierenden Plas-
mazelle umzuwandeln, können außerdem durch so genannte
somatische Mutationen verändert sein. Daher sind selbst bei
eineiigen Zwillingen Antikörper mit gleicher Spezifität, aber un-
terschiedlicher Primärstruktur zu erwarten [7]. Eine ähnliche
genetische Steuerung der Antikörperproduktion weisen eineii-
ge Zwillinge auch dann auf, wenn sie getrennt aufwachsen. So
fand man beim gesunden Zwillingspartner eines eineiigen Zwil-
lingspaares sehr viel öfter Kombinationen von Autoantikör-
pern, die mit dem Auftreten eines Typ-1-Diabetes assoziiert
sind, als beim gesunden Zwillingspartner eines zweieiigen Zwil-
lingspaares, von denen einer an Typ-1-Diabetes erkrankt war
[8].

Unterschiede der T-Lymphozyten
Auch das Repertoire möglicher Rezeptoren auf der Oberfläche
von T-Lymphozyten, die eine Art Angelhaken für Eindringlinge
darstellen, hängt nicht nur von der genetischen Ausstattung ab,
die einem Menschen bei der Zeugung mitgegeben wurde, son-
dern u.a.:
❚ von der Prägung der T-Lymphozyten im Thymus und
❚ vom Kontakt mit stimulierenden Faktoren, z. B. mit Antigenen.
Dies bedeutet, dass ständig neue Baupläne für diese Rezeptoren
durch Wechselwirkungen von T-Lymphozyten mit Eindring-
lingen erstellt werden. Auch die enorme Vielfalt der T-Zell-Re-
zeptoren wird durch eine Neuordnung von Genabschnitten
erreicht. Diese Neuordnung erfolgt vor der Synthese der betref-
fenden Peptidketten des Rezeptors.
Möglicherweise besteht der Unterschied der Autoimmunant-
wort von eineiigen Zwillingen, bei denen nur einer erkrankte,
auch nicht hinsichtlich T-Zell-Rezeptor-Erkennung von
(vermeintlich körperfremden) Antigenstrukturen, sondern in
funktionellen Unterschieden der T-Lymphozyten. So wurden
beispielsweise die Häufigkeit des Auftretens und die Wirkungs-

                                          Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung   21
Empfindliches Gleichgewicht der T-Helferzellen

     T-Helfer-Lymphozyten, auch kurz als T-Helferzellen be-            wort wird herunter- und die Antikörperproduktion hinauf-
     zeichnet, setzen nach Kontakt mit einem Antigen zahlreiche        reguliert.
     Botenstoffe, sog. Lymphokine, frei. Mittels dieser Lympho-        Die beiden Zellsubklassen üben durch ihre jeweilige Zyto-
     kine regen sie beispielsweise B-Lymphozyten, die ver-             kinproduktion eine hemmende Wirkung aufeinander aus,
     schiedene Antikörper produzieren, zur Vermehrung an.              so dass zu einem gegebenen Zeitpunkt jeweils einer der
     Diese Lymphokine sind aber auch für die Immunantwort              beiden erwähnten Mechanismen der Immunabwehr bei
     vom verzögerten Typ verantwortlich. Je nachdem, welche            einem (auto-)immunen Prozess zum Tragen kommt. Einige
     Botenstoffe freigesetzt werden, unterscheidet man ver-            der Zytokine wirken auch als autokrine Wachstumsfakto-
     schiedene Subtypen von T-Helferzellen, die sich wiederum          ren. So regt IFN-, produziert von Th1-Zellen, z. B. die Ver-
     auch gegenseitig durch die freigesetzen Botenstoffe be-           mehrung der Th1-Zellen an, während es die Vermehrung
     einflussen (siehe Abb. 2). Die zwei wichtigsten großen Un-        von Th2-Zellen hemmt. Das von den Th2-Zellen produzierte
     tergruppen sind die Th1-Zellen, auch inflammatorische             IL-10 blockiert wiederum die Aktivierung von Th1-Lympho-
     CD4+-T-Zellen genannt, und die Th2-Zellen. Th1-Zellen             zyten.
     produzieren:                                                      Bei zahlreichen Autoimmunerkrankungen wird ein gestör-
     ❚ Interleukin (IL)-2,                                             tes Gleichgwicht zwischen diesen beiden Subklassen an T-
     ❚ Interferon (IFN)- sowie                                        Helferzellen diskutiert. Therapeutische Ansätze zur Be-
     ❚ Tumornekrosefaktor (TNF).                                       handlung von Autoimmunerkrankungen, mittels Eingreifen

                                                              IFN-γ

                Antigene                                                                                 Antigene

                Antigen-                                                                                  Antigen-
             präsentierende                                                                            präsentierende
                 Zellen                                                                                    Zellen
                                                          IL-4,       IL-10           IL-4,
               Botenstoffe                                                           IL-5,              Botenstoffe
                                              IFN-γ                                IL-6,
                                                                                IL-10,
                                                                              IL-13
                                                          B-Zellen
                                                             IgE
                                     IFN-γ                                                      IL-4
                                       IL-2
                                                         Eosinophile                          IL-10
                                        TNF              Mastzellen

                                                       Makrophagen-
                                                         Aktivierung
                                                       Immunantwort
                                                    vom verspäteten Typ
                                                  zytotoxische CD8-Zellen

     ABBILDUNG 2: Das Verhältnis der Th1- zu Th2-                      Die grauen Pfeile kennzeichnen stimulierende
     Lymphozyten wird nicht nur durch die Antigen-                     Wechselwirkungen. Die grünen Pfeile markieren
     kontakte, sondern auch durch die von ihnen pro-                   hemmende Interaktionen.
     duzierten Botenstoffe wechselseitig gesteuert.
     Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Immunantwort         in die Regelung dieses Verhältnisses, befinden sich in der
     vom verzögerten Typ, der Aktivierung von Makrophagen              Untersuchung [11]. So sollte die selektive Erhöhung der
     und der Reifung von zytotoxischen CD8-Vorläuferzellen             Th2-Lymphozyten die durch Th1-Lymphozyten hervorgeru-
     (Aktivierung der zellulären Immunantwort).                        fenen Gewebeschädigungen bei chronischen Autoimmun-
     Th2-Zellen produzieren die                                        erkankungen wie z. B. Rheumatoide Arthritis, Typ-1-Diabe-
     ❚ Interleukine (IL)- 4, 5, 6, 10, 13 [11].                        tes, Multiple Sklerose oder Autoimmun-Thyreoditis zurück-
     Sie beeinflussen damit die Reifung der B-Lymphozyten zu           drängen können.
     antikörperbildenden Plasmazellen. Die zelluläre Immunant-

22
weise von so genannten CD4-CD8-V24J-T-Lymphozyten bei
Geschwistern und eineiigen Zwillingen mit Typ-1-Diabetes un-
tersucht. Diese speziellen T-Lymphozyten spielen wahrschein-
lich eine bedeutende Rolle bei der Steuerung der Th1-Lympho-
zyten (siehe Kasten). Die CD4-CD8-V24J-T-Lymphozyten
der von Typ-1-Diabetes betroffenen Personen gaben nach Sti-
mulierung nur Interferon- (IFN-) ab, während diese speziel-
len T-Zellen von Nichtdiabetikern und auch die von nicht
erkrankten eineiigen Zwillingspartnern von Patienten mit Typ-
1-Diabetes die Botenstoffe Interleukin-4 und IFN- absonder-
ten. Der Verlust dieser Zellen, den Botenstoff IL-4 abzugeben,
war also mit dem Auftreten eines insulinabhängigen Diabetes
assoziiert. Da eineiige Zwillinge so unterschiedlich reagierten,
ist unwahrscheinlich, dass es sich um eine vererbbare Verände-
rung der Zellen handelt. Nun muss untersucht werden, ob die
Beeinflussung der Th1-Lymphozyten durch diese CD4-CD8-
V24J-T-Lymphozyten eine Voraussetzung oder eine Folge
dieser Erkrankung ist [8, 9].
Zudem wurde beobachtet, dass Pankreastransplantate von ei-
nem eineiigen nichtdiabetischen Zwillingsspender in einen dia-
betischen Zwillingsempfänger durch einen Autoimmunprozess
zerstört werden [10].
Weitere intensive Untersuchungen des Zwillingspartners von
Patienten mit Typ-1-Diabetes haben eine Reihe von immunolo-
gischen Veränderungen ergeben, die im Zusammenhang mit der
Erkrankung stehen und die, in unterschiedlichem Ausmaß, auch
einen Vorhersagewert haben. Dazu zählen beispielsweise:
❚ Autoantikörper gegen Bestandteile (Antigene) im Zytoplas-
    ma der Zellen in den Langerhans’schen Inseln (siehe Abb. 3),
❚ Aktivierung von T-Lymphozyten (besonders von zytotoxi-
    schen CD8+-T-Zellen),
❚ vermehrte Bildung von CD45RA (einem Marker für das Vor-
    handensein unreifer T-Lymphozyten),
❚ erhöhte Serumspiegel von Zytokinen, die von Makrophagen
    freigesetzt werden,
❚ eine beeinträchtigte Glukosetoleranz sowie
❚ eine verminderte Insulinantwort auf eine intravenöse Glu-
    kosegabe [8].
Die Untersuchung der HLA3-Antigene DR3 und DR4 auf der
Oberfläche von Immunzellen bei Geschwistern von Patienten
                                                   3   HLA = Humane Leukozyten-Antigene.
                                                       Vererbbare Oberflächenmerkmale auf
                                                       weißen Blutzellen.

                                          Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung     23
GADA                                    IA-2            GADA                                   IA-2

                              1                                                     2
                 3                    1                                   3                  1
                             31                                                     16
                       11         4                                           5          1

                              5                                                     1

                            ICA                                                   ICA

  a                                                       b

ABBILDUNG 3: Zahl der Patienten, bei denen einer          Autoantikörper aufwiesen. b) Dies traf auch für die
oder mehrere Autoantikörper nachgewiesen wurden.          untersuchten Zwillingspartner von 30 eineiigen Zwil-
(Bedeutung der Abkürzungen siehe Tab. 1.) a) Bei ei-      lingspaaren zu, bei denen einer der Geschwister an
ner Gesamtzahl von 60 untersuchten Patienten mit          Typ-1-Diabetes erkrankt war. Nur ein Zwilling, dessen
erst kurz zuvor bestätigtem Typ-1-Diabetes waren bei      Zwillingspartner an Typ-1-Diabetes erkrankt war, wies
vier Patienten keine dieser Autoantikörper nachzu-        in dieser Untersuchung keine Autoantikörper auf. Ab-
weisen, während über die Hälfte der Patienten alle drei   bildung mit Modifikationen entnommen aus [12].

                     mit Typ-1-Diabetes ist laut [6] sinnvoll. Das Risiko der Ent-
                     wicklung eines Typ-1-Diabetes beträgt 30 % bei Vorhandensein
                     beider Merkmale DR3 und DR4 und 20 % bei Auftreten von nur
                     DR3 oder DR4 [6].

Ist die Dauer des Stillens          Auch andere Studien über Krankheitsrisikofakto-
bedeutsam für                       ren bei Verwandten ersten Grades von Menschen
die Entwicklung eines               mit Typ-1-Diabetes konnten wichtige Einblicke
Typ-1-Diabetes?                     in die Pathogenese dieser Erkrankung gewähren.
                                    So geschieht die autoimmune Prägung der T-
                     Lymphozyten gegen die insulinproduzierenden -Zellen
                     offenbar sehr frühzeitig im Leben. Daher wurde große Aufmerk-
                     samkeit auf die Untersuchung eines möglichen Zusammen-
                     hangs zwischen der Dauer des Stillens und dem Risiko der Ent-
                     wicklung eines Typ-1-Diabetes gelegt. 13 Fall-Kontroll-Studien
                     ergaben einen Zusammenhang zwischen der Wahrscheinlich-
                     keit des Auftretens von Typ-1-Diabetes und einer Stilldauer vor
                     weniger als drei Monaten. Auf der Suche nach den spezifischen

24
Bestandteilen der Kuhmilch, die für den Zusammenhang zwi-
               schen der Exposition gegenüber Kuhmilch und dem Auftreten
               eines Typ-1-Diabetes verantwortlich sein könnten, konzentrier-
               te man sich zunächst auf das Protein BSA, von engl.: bovine se-
               rum albumin, da bei den meisten Menschen mit Typ-1-Diabetes
               Antikörper gegen dieses Protein gefunden wurden. Ein weiteres
               näher untersuchtes Kuhmilchprotein war Casein. In der Kuh-
               milch macht es mit 80 % den Hauptanteil der Proteine aus. In
               der Milch des Menschen stellt Casein nur 20 % des gesamten
               Proteingehaltes dar. 35 % des Caseins der Kuhmilch ist -
               Casein4. Das -Casein der humanen Milch und der Kuhmilch ist
               nicht völlig identisch. Forscher haben herausgefunden, dass
               Patienten mit Typ-1-Diabetes im Vergleich zu gesunden Kon-
               trollpersonen oder Patienten mit autoimmunen Schilddrüsen-
               erkrankungen auf die Exposition gegenüber -Casein der Kuh-
               milch mit einer verstärkten Bildung von T-Lymphozyten
               reagierten. Weiterhin konnte bei Patienten mit erst kürzlich fest-
               gestelltem Typ-1-Diabetes ein signifikant höherer Antikörperti-
               ter gegen -Casein als bei Gesunden festgestellt werden. Dies
               lässt stark vermuten, dass -Casein am Entwicklungsprozess ei-
               nes Typ-1-Diabetes beteiligt sein könnte. Interessant ist in die-
               sem Zusammenhang auch, dass der für -Zellen spezifische
               Glukosetransporter GLUT-2 Aminosäuresequenzhomologien
               mit dem -Casein der Kuhmilch, nicht aber mit dem der huma-
               nen Milch aufweist. Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes wurden
               T-Lymphozyten gefunden, die sich gegen GLUT-2 richten. Se-
               quenzhomologien existieren auch zwischen dem -Casein der
               Kuhmilch und verschiedenen Molekülen, die in den -Zellen
               vorkommen, wie p69 und Carboxypeptidase, beides mögliche
               Autoantigene bei der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes [13].

Lässt sich die Ausprägung    In Italien wurde im Zeitraum 1999 bis Frühjahr
eines Typ-1-Diabetes         2002 eine nationales Präventionsprogramm, das
verhindern?                  Diabfin5-Projekt durchgeführt. Dabei wurden
                             Neugeborene mittels eines einfachen Bluttestes
               (siehe Kasten) auf genetische Hoch-Risiko-Marker für die Ent-
               wicklung eines Typ-1-Diabetes getestet. Neugeborene mit ei-
               nem erhöhten Risiko wurden innerhalb der PREVEFIN-Präven-

                                4   Es gibt vier unterschiedliche Caseinfor-   5   von engl.: Diabetes Finalised Italian Net-
                                    men: -,-,- und -Casein.                    work.

                                                                    Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung              25
tionsstudie weiter betreut, d. h. wenn sie nicht gestillt wurden,
                   erhielten sie bis zu einem Jahr nach der Geburt entweder Kuh-
                   milchhydrolysat ohne Casein, oder eine Vitamin-D-Ergänzung
                   (siehe Artikel zur protektiven Wirkung von Vitamin-D-Präpa-
                   raten). Im Alter von zwei Jahren wurden die Kleinen dann auf
                   Autoantikörper gegen Inselzellbestandteile als Marker einer Au-
                   toimmunität getestet. Dies wurde mit dem Antikörperstatus von
                   entsprechenden Probanden ohne die Hoch-Risiko-Allele vergli-
                   chen. In die Auswertung der Untersuchungen wurden auch die
                   in Tab. 2 gezeigten Umweltfaktoren einbezogen [14].
                   Es zeigte sich dabei beispielsweise, dass die Länge der Schwan-
                   gerschaft bei den Probanden mit einem aufgrund der HLA-Aus-
                   stattung hohen Typ-1-Diabetes-Risiko kürzer gewesen war als
                   bei den Individuen mit einem geringen Risiko, und dies bei ver-
                   gleichbarem Geburtsgewicht.
                   Wurden die Kinder in den ersten vier Monaten gestillt, bildeten
                   sie keine Antikörper gegen das Casein der Kuhmilch.
                   Die Verknüpfung eines primären Screenings auf genetische
                   Risikofaktoren und klinische Präventionsstudien zur Bekämp-
                   fung der Krankheitsausprägung stellt einen so viel versprechen-
                   den Ansatz zur Bekämpfung des Typ-1-Diabetes dar, dass weite-
                   re Studien geplant wurden. So haben das NIH (National
                   Institutes of Health), die EASD (European Association for the Stu-
                   dy of Diabetes) und die JDRFI (Juvenile Diabetes Research Foun-
                   dation International) 2002 die weltweite Typ-1-Diabetes-Prä-
                   ventionsstudie TRIGR initiiert, die sie mit 30 Millionen
                   US-Dollar unterstützen. Innerhalb dieser Studie werden 3000
                   Neugeborene mit mindenstens einem an Typ-1-Diabetes er-
                   krankten Elternteil in zwei Gruppen aufgeteilt. Sobald die Mut-
                   ter mit Stillen aufhört bzw. sobald mit der zusätzlichen Gabe von
                   einem Kuhmilchprodukt begonnen wird, erhalten die Kleinen

TABELLE 2: Umweltfaktoren, die innerhalb des Diabfin-Programms in die Auswertung miteinbezogen wurden.

Ereignisse während der                    Ereignisse während der          Ereignisse während der
Schwangerschaft                           Neugeborenenperiode             frühen Kindheit

Arzneimitteleinnahmen                     Art der Entbindung              Infektionen

Erkrankungen der Mutter                   Behandlungen nach der Geburt    Krankheiten

Gewohnheiten der Mutter (z. B. Rauchen)   Infektionen                     Stilldauer

Länge der Schwangerschaft                 Krankheiten                     Abstillen
                                                                          Einführung anderer
                                                                          Nahrungsmittel als Muttermilch

26
Genetische Untersuchung innerhalb des Diabfin-
Projektes an Neugeborenen bezüglich des Risikos,
einen Typ-1-Diabetes zu entwickeln

Das Erbgut der neuen Erdenbürger wurde mittels eines            hybridisierten Sonden ermittelt werden. In diesem Fall zeig-
einfachen Bluttestes untersucht. Hierbei gelangten die          ten blaue Linien auf dem Teststreifen positive Signale an.
PCR-Technologie (von engl.: polymerase chain reaction)
zur Vervielfältigung bestimmter in der Probe enthalten-
den Genabschnitte sowie gebundene SSO (von engl.:
sequence-specific oligonucleotide)-Sonden in linearer
Anordnung zum Nachweis bestimmter Gensequenzen zur
Anwendung. Der Test wurde von Roche Diagnostics, Ala-
meda, Kalifornien, entwickelt. Mit diesem Test wurde nach
dem Vorhandensein der mit einem sehr hohen Risiko
behafteten Genotyp-Merkmale DR3-DQB1*0201/DR4-
DQB1*03026 zur Entwicklung eines Typ-1-Diabetes
gefahndet.
Diese Diabetes-Risiko-Untersuchung erforderte nur 25 l
Nabelschnurblut. Es wurde mit den Primern für die HLA-
DRB1- und die DQB1-Loci und anderen Reagenzien zum
Start einer PCR-Reaktion gemischt und die Reaktion in
Gang gesetzt.
Das Amplifikat, d.h. die durch die PCR vervielfältigten ein-
strängigen DNS-Abschnitte, wurden dann mit den an einen
Nylonstreifen gebundenen SSO-Sonden in Kontakt ge-
bracht. Waren die aus der Probe stammenden DNS-
Abschnitte und die Sonden komplementär, so konnten sie          ABBILDUNG 4: Blaue Linien auf dem Teststreifen
sich aneinander anheften, sie hybridisierten. Diese Hybridi-    zeigen eine Hybridisierung, d. h. die Anheftung
sierung wurde durch eine Farbreaktion angezeigt (siehe          einer einsträngigen DNS-Sonde an einen ein-
Abb. 4). Der Genotyp des Individuums bezüglich interes-         strängigen DNS-Abschnitt aus der zu untersu-
sierender Merkmale konnte so anhand des Musters der             chenden Probe, an.

                  der einen Gruppe ein weniger antigenes Kuhmilchhydrolysat.
                  Die Mitglieder der Kontrollgrupppe dagegen erhalten ein her-
                  kömmliches Kuhmilchprodukt. Nach zwei Jahren werden die
                  Probanden auf Inselzellantikörper und im Alter von 10 Jahren
                  auf das Auftreten einer Typ-1-Diabetes-Erkrankung untersucht.

                                         6   Dieser Genotyp führt zur Ausbildung der   DR4 auf der Oberfläche von Immunzellen.
                                             bereits erwähnten Antigene DR3 und

                                                                            Typ-1-Diabetes: Ursachen und Vorbeugung            27
Quellen

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