Brüder im neurechten Geiste. Was Jörg Haider und Ronald Schill eint - aber auch trennt.

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Wolfgang Gessenharter

                                Brüder im neurechten Geiste.
                   Was Jörg Haider und Ronald Schill eint – aber auch trennt.

Leicht gekürzt und ohne Fußnoten veröffentlicht in: Frankfurter Rundschau Nr. 159 vom 12. Juli 2003, S. 7 (Dokumentation)

Zuweilen scheint es, als ob es um die beiden bekanntesten Rechtspopulisten im
deutschsprachigen Raum still würde. Ronald Barnabas Schill blieb nach der furiosen
Hamburg-Wahl (19,4%) bei allen Landtagswahlen immer unter der Fünfprozenthürde und
fuhr bei der letzten Bundestagswahl nicht einmal mehr ein Prozent ein1. Jörg Haider erlebte
mit der Fast-Drittelung der Stimmen bei der letzten gegenüber der vorigen Nationalratswahl
(26,9 auf 10 %) und anschließend in Niederösterreich (4,5 nach 16,1%) ein Debakel, das zu
enormen innerparteilichen Reibereien führte und ihn jüngst dennoch fordern ließ, die erst
spektakulär abgetretene Parteiführung wieder zu übernehmen2. Schill macht derweil durch
Biertischparolen von sich reden, z.B. das in Kulturkreisen äußerst renommierte, wenngleich
immer auch umstrittene Hamburger Schauspielhaus zu schließen. Sind das die Abgesänge von
Politikern bzw. Parteien, die in der Regierungsbeteiligung ihre endgültige Entzauberung
hinnehmen mussten? Dem wäre wahrscheinlich so, wenn es sich bei ihnen um hauptsächlich
machtopportunistische Politiker(gruppen) handelte, die die Orientierung an ideologischen
Strömungen nur als rhetorisches Beiwerk benutzen. Sollten sie aber Exponenten solcher
Strömungen sein und auch als solche wahrgenommen werden, hinge ihr Schicksal auch von
der Vitalität dieser Ideologien im gesellschaftlichen Raum ab.

Daher soll hier danach gefragt werden, welche Elemente politischer Ideologien sich bei den
beiden Rechtspopulisten Schill und Haider nachweisen lassen, worin sich diese ähneln oder
aber unterscheiden. Schill, Haider und ihre Parteien werden dabei als Akteure in einer
Bewegung aufgefasst, die insgesamt als Neue Radikale Rechte (NRR) bezeichnet werden
kann.3 Innerhalb dieser Bewegung lassen sich – nach dem Muster anderer sozialer
Bewegungen, wie z.B. der Antiglobalisierungsbewegung – Bewegungseliten, Unterstützer
und Sympathisanten unterscheiden. Die NRR ist weder vollständig rechtsextrem noch nur
rechtskonservativ. Ihr spezifisches Merkmal liegt vielmehr darin, dass sie herkömmlich
rechtskonservative mit rechtsextremen Strömungen partiell verbindet, dabei aber durchaus
eigenständiges Gewicht besitzt. Diese Scharnierfunktion gilt es im folgenden immer in
Erinnerung zu behalten. Gegenüber einer anderen, vielleicht sogar häufigeren Bezeichnung,
nämlich Rechtspopulismus, betont NRR die große Bedeutung von Ideologie und stellt den
Politikstil eher hintan. Eine solche Betrachtung macht natürlich nur Sinn, wenn in den hier zu
behandelnden zwei Fällen eine einigermaßen profilierte politische Programmatik nachweisbar
ist. Eine detaillierte Analyse der NRR im deutschsprachigen Raum ergibt, dass mindestens
sieben Hauptthemen identifiziert werden können: Antiuniversalismus, Absage an NS-

1
  Sachsen-Anhalt 2002: 4,5%; Mecklenburg-Vorpommern 2002: 1,7%; Hessen 2.2.03: 0,5%; Niedersachsen
2.2.03: 1,0%; Bremen 15.5.03: 4,3%; Bundestagswahl 2002: 0,8%.
2
  SZ v. 28.6.03.
3
  Vgl. hier und zum folgenden Gessenharter, Wolfgang: Neue radikale Rechte, intellektuelle Neue Rechte
und Rechtsextremismus: Zur theoretischen und empirischen Neuvermessung eines politisch-ideologischen
Raumes, in: Gessenharter, Wolfgang/Fröchling, Helmut (Hrsg.): Rechtsextremismus und Neue Rechte in
Deutschland. Neuvermessung eines politisch-ideologischen Raumes?, Opladen: Leske + Bundrich 1998, S.
25-66; Hellmann, Kai-Uwe/Koopmans, Ruud (Hrsg.): Paradigmen der Bewegungsforschung. Entstehung und
Entwicklung von Neuen sozialen Bewegungen und Rechtsextremismus, Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher
Verlag 1998; zur Analyse ideologischer „Rahmen“ vgl. Gessenharter, Wolfgang: Rückruf zur
‚selbstbewußten Nation‘. Analyse eines neurechten Frames aus bewegungs-theoretischer Sicht, in: Hellmann,
Kai-Uwe/Koopmans, Ruud (Hrsg.): a.a.O., S.166-180.
2

Ideologie, Vorrang des Kollektivs vor dem Individuum, Antipluralismus innerhalb eines
politischen Kollektivs, autoritärer Etatismus, Feind-Freund-Denken, elitärer „Verismus“.4

Im Antiuniversalismus verbindet sich ein pessimistisches Menschenbild mit der Gegnerschaft
zu den Idealen der Französischen Revolution von 1789: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“.
Die Vorstellung allgemein gültiger Menschenrechte und die Idee einer alle Menschen
umschließenden Menschheit werden skeptisch beurteilt bzw. abgelehnt, ebenso
demokratisierende Tendenzen, die das Individuum stärken. „Gegen 1968!“ ist das diese
Richtung einigende Band. Wie ist das bei Schill bzw. Haider?
Schills Weltsicht ist klar durch ein pessimistisches Menschenbild geprägt: „Ich glaube nicht
an das Gute im Menschen. Dafür habe ich als Richter zu viele Kriminelle erlebt.“5 Flott
schließt Schill von seiner Einzelsicht auf anthropologische Konstanten. Hinzu kommt in
Verklärung der Vergangenheit der Vorwurf an die Achtundsechziger6, sie trügen die
Hauptschuld an der heutigen Misere, z.B. der Drogenszene in St. Georg oder an der
vermeintlich zunehmenden Jugendkriminalität in Hamburg. Denn ein „‘Kartell‘
strafunwilliger Jugendrichter“, in dem sich „Verständnispädagogen“ zusammengefunden
hätten, ermuntere geradezu zur Begehung weiterer Straftaten (so das Parteiprogramm)7. Für in
Wirklichkeit sehr vielschichtige Probleme sieht er im sanktionierenden Staat die bislang nur
aus ideologischen Gründen verabscheute Lösung. Bei Haider8 ist die Ablehnung der Ideen
von 1789 zentrale Grundlage. So beginnt er seine Programmschrift „Die Freiheit, die ich
meine“ (1993) mit dem Bekenntnis: „Die auf dem Boden der Aufklärung gewachsenen, für
Europa prägenden Ideen und Gesellschaftssysteme sind überholt, am Ende oder überhaupt
gescheitert. Das gilt für den Sozialismus ebenso wie für den Liberalismus.“ So nimmt es
beispielsweise nicht Wunder, dass er die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte zwar
den österreichischen Staatsbürgern in vollem Umfang, den Fremden aber nur eingeschränkt
zugestehen will9. Ersichtlich wagt sich Haider viel weiter vor als Schill, wenngleich die
Richtung dieselbe ist.

Im zweiten neurechten Charakteristikum, Absage an die NS-Ideologie, geht es darum, sich
von einer Ideologie zu distanzieren, die für Beginn und Verlust des 2. Weltkriegs mit seinen

4
  Vgl. hier und zu den folgenden Ausführungen: Gessenharter, Wolfgang: Intellektuelle Strömungen und
Vordenker in der deutschen Neuen Radikalen Rechten, in: Grumke, Thomas/Wagner, Bernd (Hrsg.): Handbuch
Rechtsradikalismus. Personen – Organisationen – Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der
Gesellschaft, Opladen: Leske + Budrich 2002, S.189-201; dort führe ich noch den Ethnopluralismus als achtes
Merkmal auf, das aber weder bei Schill noch bei Haider eine bedeutsame Stellung einnimmt. Ein Grund dafür
könnte sein, dass beide an internationalen Sichtweisen nicht sonderlich interessiert sind.
5
  Zit. in: Carini, Marco/Speit, Andreas: Ronald Schill. Der Rechtssprecher, Hamburg 2002, S.40.
6
  Vgl. dazu a.a.O., S.40f.
7
   Parteiprogramm: Maßnahmen zur Wiederherstellung der Inneren Sicherheit, I. Jugendkriminalität, II.
Drogenkriminalität. Zur Analyse des Parteiprogramms und seinem eindeutigen Schwerpunkt beim Thema
„Sicherheit“ vgl. auch Schmitz, Michael: Die „Schill-Partei“, Arbeitspapier, hrsgg. von der Konrad-Adenauer-
Stiftung, Sankt Augustin April 2002, S.3; Schmitz spricht deshalb sogar von der Schill-Partei als einer „Ein-
Themen-Partei“.
8
  Aus der vielfältigen Literatur zu Jörg Haider vgl. neuerdings Scharsach, Hans-Henning: Rückwärts nach rechts:
Europas Populisten, Wien 2002, S.9-49; Zöchling, Christa: Jörg Haider: Der Rächer (Österreich), in: Jungwirth,
Michael (Hrsg.): Haider, Le Pen & Co.: Europas Rechtspopulisten, Graz/Wien/Köln 2002, S.24-43. Vgl. auch
Gessenharter, Wolfgang: „So etwas wie ein rot-weiß-roter Volkstribun“. Jörg Haider und die Neue Rechte auf
dem Sprung zur politischen Hegemonie? in: Frankfurter Rundschau v. 30. März 2000, S. 21 (Dokumentation);
wiederabgedruckt unter dem Titel „Die Neue Radikale Rechte in Österreich: Ideologie, Unterstützungspotential
und politische Strategien Jörg Haiders und seiner FPÖ, in: Faber, Richard (Hrsg.): Liberalismus in Geschichte
und Gegenwart, Würzburg: Königshausen & Neumann 2000, S.241-250; nach wie vor erhellend Bailer-Galanda,
Brigitte: Haider wörtlich. Führer in die Dritte Republik, Wien 1995, und dies./Neugebauer, Wolfgang: Haider
und die „Freiheitlichen“ in Österreich, Berlin 1997.
9
  Vgl. Gessenharter, Wolfgang: „So etwas wie ein rot-weiß-roter Volkstribun“, a.a.O.
3

Millionen Toten und Ermordeten steht und heute im Neonazismus durch Relativierung und
Verharmlosung tradiert wird. Schill distanziert sich eindeutig vom NS und
Rechtsextremismus, während Haider durchaus immer wieder zu irritierenden
Verharmlosungen der NS-Zeit neigt10, z.B. wenn er KZ und Vernichtungslager „Straflager“
nennt. Wegen solcher Äußerungen verbat sich Schill sogar einen Vergleich mit Haider. Die
mehr oder weniger deutliche Distanzierung verhindert jedoch nicht, dass beide sich der
Grundgedanken der Konservativen Revolution der Weimarer Republik, insbesondere des
berühmt-berüchtigten Staatsrechtslehrers Carl Schmitt (1888-1985), bedienen, die sich auch,
jedenfalls als Teilmenge, in der Nazi-Ideologie wiederfinden.11 Inwieweit bei beiden eine
bewusste Übernahme dieser Gedanken stattfindet bzw. die neurechte Ideologie übernommen
wird, ohne sich deren intellektueller Wurzeln zu vergewissern, sei für Schill dahingestellt, für
Haider selbst, jedenfalls für seinen (früheren) Ideologieproduzenten Andreas Mölzer, kann
von der bewussten Übernahme ausgegangen werden.

Für Carl Schmitt hat das Kollektiv eindeutig Vorrang vor dem Individuum. Das Grundgesetz
hat in klarer Wendung gegen dieses Denken dem Individuum die Priorität eingeräumt, auch
wenn es zwischen Kollektiv und Individuum ein prinzipielles Spannungsverhältnis sieht.
Schill und seine Partei tun sich schwer, bei ihrem pessimistischen Menschenbild dem
Individuum nach Art.1 GG den Vorrang zu geben. Vielmehr werden die Menschen als
Individuen, ganz im Sinne neurechter Ideologie12, nur als potentielle Bedrohung der
Gemeinschaft und des Gemeinwohls gesehen, so Präambel und Art.2 des Parteiprogramms:
„Jegliches politisches Handeln hat sich ausschließlich am Gemeinwohl auszurichten.
Persönliche Interessen sowie die Interessen von Minderheiten bilden keine Grundlagen für
allgemeingültiges Handeln staatlicher Organe oder von Parteien.“ Dann folgt jedoch ein Satz,
der offenbar die Einseitigkeit zugunsten des Kollektivs gerade rücken soll: „Die Meinungen
und Interessen von Minderheiten sind gleichwohl in die Überlegungen und politischen
Entscheidungen einzubeziehen.“ Wie sehr für Haider das Kollektiv im Vordergrund steht,
wird vor allem an seinem gegen das Individuum gerichteten Antipluralismus innerhalb eines
politischen Kollektivs (4. Merkmal) deutlich: Haider spricht gerne von der
„Volksgemeinschaft“, oft auch mit dem Wort „sozial“ verbunden. Diese Volksgemeinschaft
wird als „organische“ bezeichnet, die dem einzelnen eine „ethische Gebundenheit“
abverlangt.13 Halten sich – so die Weiterführung bei Schmitt wie bei Haider – die Menschen
daran, ist jene Homogenität garantiert, die im negativen Fall gegen Abweichler auch mit
Gewalt durchgesetzt werden muss. Hier ist Haiders ständiger Kampf gegen die linken
„Kulturanarchisten“ einzureihen, die er gerne „Sozialschmarotzer“14 nennt und denen er, so
wörtlich, „keine Luft mehr zum Pfeifen“ geben werde, wenn er erst an der Macht sei. Denn
moderne Kunst sei letztlich nihilistisch und arbeite damit der Auflösung der
Volksgemeinschaft zu. Auch Schill träumt von der „Wiederherstellung einer
Wertegesellschaft“ (Programm, Art. 8), indem „dem schleichenden Werteverlust der
Gesellschaft... entschieden entgegenzuwirken“ sei. Wer von einer organisch gewachsenen
Volksgemeinschaft träumt, dem sind natürlich alle individuellen Interessen und Bestrebungen
nur potentielle Gefahren für die kollektive Einheit, keinesfalls Innovations- und

10
   Vgl. hierzu Scharsach, Hans-Henning: a.a.O., S.14-19, der von „Haiders braunem Weltbild“ spricht und darauf
verweist, dass Haider eine Doppelstrategie fahre: Auf der einen Seite rüttele er am österreichischen
Verbotsgesetz, demzufolge „schon die Verharmlosung nationalsozialistischer Organisationen oder
nationalsozialistischen Gedankenguts strafbar ist“, andererseits decke er „Wissenschaftler und Journalisten, die
ihm das zum Vorwurf machen, mit Serienklagen ein“ (S.13f).
11
   Vgl. z.B. Gessenharter, Wolfgang: Kippt die Republik? Die Neue Rechte und ihre Unterstützung durch Politik
und Medien, München 1994, S.63-121.
12
   Vgl. hierzu Gessenharter: Kippt..., a.a.O., S.66f.
13
   Vgl. hierzu Scharsach: a.a.O., S.26f.
14
   Vgl. Scharsach: a.a.O., S.30; Gessenharter: „So etwas wie ein rot-weiß-roter Volkstribun“, a.a.O.
4

Freiheitspotentiale wie in der freiheitlich-pluralistischen Demokratietheorie. Schill ist jedoch
auch hier moderater als Haider, wenn er im Art. 9 seines Programms bei der Integration
ausländischer Mitbürger in Deutschland durchaus deren „Recht auf die Pflege eigener
Kulturen und Traditionen“ sieht. Haider dagegen lebt immer wieder von Ausfällen gegen
Andersdenkende und Ausländer, so dass Bundespräsident Klestil bei der ersten Koalition
ÖVP/FPÖ eine Demokratie-Erklärung forderte, in der die neue Regierung sich auf „Respekt,
Toleranz und Verständnis für alle Menschen..., ungeachtet ihrer Herkunft, Religion und
Weltanschauung“ zu verpflichten hatte15.

Wer wie Schill und seine Partei vor dem Hintergrund eines pessimistischen Menschenbildes
Sicherheit zum Dreh- und Angelpunkt der Politik macht, wird folglich einem
Staatsverständnis das Wort reden, das dem neurechten autoritären Etatismus (5. Kriterium)
huldigt. Protego, ergo obligo (Ich schütze, also verlange ich auch Gehorsam von den
Menschen) hatte Carl Schmitt als nicht hintergehbaren Grundsatz seiner Staatssicht
formuliert16. Schills ganze Sorge gilt insoweit durchaus folgerichtig dem Repressionsapparat.
So forderte er im Wahlkampf 2001 umstandslos zusätzliche 2000 Polizisten oder gab später
zu bedenken, „das bei der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater eingesetzte
Betäubungsgas wäre doch auch etwas für die deutsche Polizei“ (Hamburger Abendblatt
2.12.02). Die Unverhältnismäßigkeit in der Bevorrechtung des Staates gegenüber dem
Einzelnen kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Schill-Partei Asylbewerbern die aus
Art.1 GG zwingend herzuleitende Rechtswegegarantie nach Art.19 Abs.4 GG entziehen
will17. Dass solche Versuche schon 1992 von den etablierten Parteien in Erwägung gezogen,
dann      aber     u.a.    nach     der     geharnischten     SPIEGEL-Intervention       eines
Bundesverfassungsrichters wieder fallen gelassen wurden18, zeigt, wie sehr schon damals die
neurechte Botschaft in der Mitte der Gesellschaft Fuß gefasst hatte. Dass Haider Schill hier
weit übertrumpft, steht außer Zweifel. So schlägt Haider schon einmal die Zusammenlegung
von Verteidigungs- und Innenministerium vor und rückt erst nach heftigen öffentlichen
Protesten gegen ein solches totalitäres „Sicherheitsministerium“ davon ab19. Auch hält er die
repräsentative Demokratie für überholt, da ineffektiv, und bevorzugt starke plebiszitäre
Elemente im Zusammenspiel mit einem über allen Parteiungen stehenden starken
Präsidenten20. Nur der könne die geforderte innerstaatliche Homogenität gegen alle Feinde
von innen und außen durchsetzen. Ein solches Feind-Freund-Denken, für Carl Schmitt das
Wesensmerkmal von Politik überhaupt, ist für Haider wie für Schill ebenfalls typisch. Ihre
Suche nach Sündenböcken, etwa in Gestalt von Ausländern, Minderheiten, Künstlern sowie
Medien, ist bei Haider sicherlich schriller als bei Schill, wenn ersterer z.B. in
kulturrassistischer Art die Gefahr einer „Umvolkung“21 in Österreich sieht. Aber Schills
Vorwurf gegen Ausländer, sie „verfrühstücken unseren Wohlstand“22, oder seine Skandalrede
im Deutschen Bundestag (August 2002), die selbst beim CDU-Koalitionspartner den
Eindruck „unterschwelliger Ausländerfeindlichkeit“23 hervorrief, erleichtert auch nicht gerade
die notwendigen und von ihm selbst geforderten Integrationsprozesse.

15
   Vgl. Gessenharter, a.a.O.
16
   „Das protego ergo obligo ist das cogito ergo sum des Staates, und eine Staatslehre, die sich dieses Satzes nicht
systematisch bewußt ist, bleibt ein unzulängliches Fragment.“ So C. Schmitt, zit. bei Gessenharter: Kippt...,
S.80. Man beachte, dass Schmitt den Staat hier in der Ich-Form sprechen lässt, gleichsam als säkularisierten
absoluten Monarchen.
17
   Vgl. Parteiprogramm, s.v. Ausländerkriminalität und Ausländerrecht
18
   Vgl. Gessenharter: Kippt..., a.a.O., S.243-249
19
   Vgl. Gessenharter: „So etwas wie ein rot-weiß-roter Volkstribun“, a.a.O.
20
   Vgl. Bailer-Galanda, Brigitte: a.a.O., S.67ff; Scharsach: a.a.O., S.30ff; Zöchling, Christa: a.a.O., S.37.
21
   Vgl. Scharsach: a.a.O., S.24.
22
   Zit. bei Carini/Speit: a.a.O., S.141.
23
   So Bürgermeister Ole von Beust im Interview mit dem Hamburger Abendblatt v. 31.8.2002.
5

Des weiteren reklamiert die NRR in elitärer Weise für sich einen „Verismus“, d.h. eine
Haltung, die die Wirklichkeit so sehe, „wie sie ist“. Sie erfasse diese nämlich ohne
ideologische Spitzfindigkeiten. Hier hat sicherlich der bewusste Populismus bei Schill und
Haider seinen Platz. Ganz wie Rousseau erkennen sie im einfachen Volk den wahren Träger
von Wahrheit24. An diesem und nicht am politisch-kulturellen Establishment wollen sie sich
orientieren. Schill: „Ich empfinde es nicht als Beleidigung, als Populist bezeichnet zu werden.
Der Begriff leitet sich von populär ab. Und das heißt immer noch beliebt. Ich habe an
manchen Stammtischen übrigens intelligentere und sinnvollere Argumente gehört, als sie von
manchem grünen Politiker geäußert wurden.“25 Aus diesem elitären Verismus bzw.
Populismus leitet sich übrigens die Unwilligkeit ab, Kompromisse bei Interessenkonflikten zu
schließen. Denn wer von der Wahrheit seiner Erkenntnisse überzeugt ist, kann von ihr
keinerlei Abstriche machen.

Nach der – sicherlich nur knappen – Analyse der politisch-ideologischen Aussagen von Schill
und Haider anhand dieser sieben Charakteristika der Programmatik der NRR ist deutlich
geworden, dass die häufig genannten Hauptthemen des Rechtspopulismus, nämlich
Sicherheit, Zuwanderung und nationale Identität, hier ständig präsent, aber in einer
bestimmten Weise, für die insbesondere Carl Schmitt steht, gewendet sind. D.h.: Die NRR
und hier beispielhaft Schill und Haider (als Mitglieder der Bewegungselite) knüpfen durchaus
an vorhandene Probleme von Modernisierung und Globalisierung an, darüber hinaus auch
noch an Skandale und Filz in den großen Parteien, die sich angeblich den Staat zur Beute
machen.26 Ihre Vorschläge zur Remedur können ihr ideologisches Hinterland, die NRR, indes
kaum verleugnen.

Wie könnte es weitergehen? Protest- und Regierungspartei passen auf Dauer nicht zusammen.
Die Strategien der Skandalisierung, die populistische Forderung nach einfachen und schnellen
Lösungen, die Suche nach Sündenböcken und das Beharren auf völlig unbezweifelbaren
‚wahren’ Situationsanalysen taugen für Protestparteien. Koalitionsfähige Parteien hingegen
benötigen Kompromissfähigkeit, detaillierten Sachverstand, Geduld und Toleranz beim
Aushandeln komplexer Probleme. Hier stoßen Schill wie Haider, denen im übrigen ein
durchaus autoritärer Führungsstil nachgesagt wird, in ihren Parteien, also bei ihren eigenen
Miteliten und Unterstützern, an Grenzen. Haider hat die FPÖ gespalten, nämlich hier
regierungsfähige Mitglieder, wie etwa Susanne Riess-Passer, die später entnervt aufgab, dort
Haider-Verehrer, über die jüngst der ehemalige Generalsekretär Peter Sichrovsky nach seinem
Parteiaustritt in einem Interview27 scharf herzog: Die FPÖ habe „einen katastrophalen
Mittelbau, eine z.T. völlig unfähige Funktionärsschicht... Die Führung unter Haider hat den
Fehler begangen, alles an sich zu reißen, mit einer vollkommen monolithischen
Entscheidungsstruktur... Wenn Herr Haider etwas sagte, dann hatte er – nach Meinung der
24
   „Friede, Einigkeit und Gleichheit sind Feindinnen politischer Spitzfindigkeiten. Aufrichtige und einfache
Menschen sind gerade ihrer Einfachheit wegen schwer hinter das Licht zu führen; für Betrügereien und
bestechende Vorspiegelungen sind sie nicht empfänglich; sie sind nicht einmal fein genug, um sich überlisten zu
lassen“, so Rousseau im Gesellschaftsvertrag IV,1. Menschen dieser Art haben keine „Privatinteressen“, sondern
betrachten sich zusammen „als einen einzigen Körper“. Man beachte auch hier die Homogenitätsvorstellung.
25
   Zit. bei Carini/Speit: a.a.O., S.139.
26
   vgl. Decker, Frank: Perspektiven des Rechtspopulismus in Deutschland am Beispiel der „Schill-Partei“, in:
Aus Politik und Zeitgeschichte, B21/2002, S.22-31, S.24, der drei Hauptthemen nennt: Parteienherrschaft,
Wohlfahrtsstaat, Migration. Das Thema „Schutz der eigenen kulturellen und nationalen Identität“ wird besonders
hervorgehoben von Betz, Hans-Georg: Rechtspopulismus in Westeuropa: Aktuelle Entwicklungen und politische
Bedeutung, in: Österr. Zeitschrift für Politikwissenschaft 2003/2, S.251-264.
27
    Peter Sichrovsky, 1996 FPÖ-Spitzenkandidat für das Europaparlament, dann dort Mitglied, FPÖ-
Generalsekretär und zuständig für Außenpolitik, am 14.2.03 aus der FPÖ ausgetreten, im Interview mit der
neurechten Jungen Freiheit Nr.18/03 v. 25.4.03, S.7.
6

Funktionäre – seine Gründe dafür, und alles würde schon gutgehen.“ Bei der Schill-Partei
zeigt sich, dass der Streit um die bundesweite Ausdehnung der Partei und die inzwischen
dürftigen Wahlergebnisse nur schwer eine beständige Organisationsbasis aufbauen lassen und
dies insbesondere bei der „Gemengelage“ von „Rechtsradikalismus, Richtungsstreit,
Inkompetenz und Querulantentum“ (Raschke/Tils28). Im Gegensatz zu Haider, der als
umtriebig und als politisches Naturtalent gilt, scheint Schill eher, wie Raschke und Tils
urteilen, „der Typ des Fachmanns (Fachidiot der Kriminalität) und politischen Amateurs“29 zu
sein. Haider wie Schill erklommen ihre Popularitätsgipfel nicht zuletzt mit Hilfe jeweils sehr
auflagenstarker und einflussreicher konservativer Medien (Neue Kronenzeitung bzw.
Springer-Blätter), unterstützt und aufgewertet durch die unumwundene Koalitionsbereitschaft
der konservativen Politiker. Diese mussten dann zwar Einbrüche in ihre Wählerschaft
hinnehmen, Schill und Haider drangen jedoch auch in sozialdemokratisches Wählerreservoir
ein. Beide erhielten überproportional Stimmen aus dem Feld von Modernisierungsverlierern
bzw. von solchen, die um ihren bisherigen beruflichen und sozialen Status fürchteten. In
Hamburg waren dies besonders ältere Männer, während Haider bei seinem legendären
Wahlerfolg 1999 überproportional junge Männer ansprach.30 Haider und seine FPÖ werden
mit großer Wahrscheinlichkeit auf längere Sicht in der österreichischen Politik mitmischen.
Die dortige 4%-Sperrklausel hält der FPÖ rechte Kleinstparteien vom Hals, bringt sie selbst
als eingeführte Rechtspartei aber nicht in Bedrängnis. Anders bei der Schill-Partei: Die
deutsche 5%-Hürde kann für sie zum Fallbeil werden, weil ein Ende der ideologischen und
organisatorischen Zerstrittenheit des rechten Lagers derzeit nicht abzusehen ist. So
distanzieren sich nicht nur die „Republikaner“ von der Schill-Partei, weil sie nicht „rechts“ sei
und über kein klares Profil verfüge31.

Raschke und Tils haben in einer ersten Analyse nach dem Hamburger Wahlerfolg das
Programmprofil der Schill-Partei als „eindeutig zweideutig“ charakterisiert. Einerseits gebe
sich die Partei moderat, andererseits leiste das Programm dumpfen Vorurteilen und
Ressentiments Vorschub.32 Rechtsextrem sei es aber nicht, sondern „rechtskonservativer
Populismus“33. Es weise „insgesamt eine unübersehbare Nähe zur CSU auf“.34 Andere
Beobachter sprechen der Schill-Partei überhaupt einen „ideologischen Fundus“ (Frank
Decker35) ab. Demgegenüber ergibt jedoch die hier vorgenommene Analyse der Rhetorik und
Programmatik von Haider und Schill36: Programmatisch besitzen beide die wesentlichen

28
   Raschke, Joachim/Tils, Ralf: CSU des Nordens. Profil und bundespolitische Perspektiven der Schill-Partei, in:
Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2002, S.49-58, S.55.
29
   A.a.O., S. 55.
30
   Vgl. als kurze Wahlanalyse für Schills Hamburger Erfolg: Schmitz, Michael: Die „Schill-Partei“, a.a.O.
Ausführlicher dazu Horst, Patrick: Die Hamburger Bürgerschaftswahl vom 23. September 2001: Schillerndem
„Bürger-Block“ gelingt der Machtwechsel, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 1/2002, S. 43-63; Klein,
Markus/Ohr, Dieter: Der Richter und sein Wähler. Ronald B. Schills Wahlerfolg als Beispiel extremer
Personalisierung der Politik, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 1/2002, S. 64-79. Zu Haiders FPÖ vgl.
Plasser, Fritz: Das österreichische Wahlverhalten. Wien 2000.
31
   Vgl. z.B. das Interview von Haymo Hoch, Vorsitzender der Programmkommission der „Republikaner“ und ihr
Landesvorsitzender in Hessen, in: Junge Freiheit Nr. 21/02 v. 17.5.02, S.4. Zur Zerstrittenheit des rechten Lagers
in Deutschland finden sich ständig klagende Artikel, z.B. in der Jungen Freiheit oder in Nation&Europa, einer
der ältesten Zeitschriften im rechten Lager. Zur Zerstrittenheit der Euro-Rechten vgl. Mölzer, Andreas: Europas
Rechtsparteien sind trotz nationaler Erfolge noch lange nicht bündnisfähig, in: Junge Freiheit Nr. 21/02 v.
17.5.02, S.1.
32
   Vgl. Raschke/Tils: a.a.O., S.50.
33
   A.a.O., S.53.
34
   A.a.O., S.54.
35
   Decker, Frank: a.a.O., S.30.
36
   Damit kann die Analyse von Hans-Georg Betz partiell unterstützt werden, der bei der europäischen
populistischen Rechten in den letzten Jahren eine Abnahme von „politischem Opportunismus und
programmatischer Beliebigkeit“ zugunsten eines „ideologisch gestützten, alternativen Modells der
7

Elemente der NRR, wobei Haider schärfer neurechts ausgeprägt ist als Schill. Beide sind im
rechten konservativen Lager ideologisch durchaus anschlussfähig. Andererseits ist es wohl
nicht zufällig, dass sie in einer der mittlerweile wichtigsten Zeitschriften der Neuen Rechten,
der Jungen Freiheit, umworben werden und gerne für Interviews zur Verfügung stehen. Dies
ist insofern bemerkenswert, als mit Schill ein Innensenator eine Bühne betritt, von der der
Verfassungsschutzbericht 2001 des Bundesinnenministers (in der offiziellen Broschur 2002,
S.118f)37 sagt: „Die JF bot [...] auch 2001 ein Forum für rechtsextremistische
Meinungsäußerungen und trug insofern weiterhin zur Erosion der Grenze zwischen
rechtsextremistischen und demokratisch-konservativen Positionen bei.“ Schill und Haider
gehören zu solchen Politikern, die neurechtes Denken in mehr oder minder scharfer Form in
die politische Verhandlungsarena einbringen. Ob dies immer Schills bewusste Absicht ist, sei
dahingestellt. Fakt ist es allemal. Man unterschätzt jedenfalls Schills (insofern gewollten bzw.
ungewollten) Beitrag zu einer Relativierung des von den Verfassungsvätern und –müttern
vorgeschlagenen Grundkonsenses in der politischen Kultur, wenn man urteilt, er sei „nichts
als ein Maulheld“ (SZ 4.11.02). Und wenn die FAZ (v.25.9.01) zwei Tage nach der Hamburg-
Wahl die Schill-Partei als „die neuen Staatsfreunde“ verharmlost und Schill gar einen
„Liberalen nach europäischem Maß“ nennt, übersieht sie geflissentlich, wie sehr der
Erzhasser des Grundgesetzes, Carl Schmitt, durch die Äußerungen Schills und seiner Partei
geistert. Schill und Haider sind keine rechtsextremen Politiker, aber auch nicht bloße Stil-
Populisten. Und Schill ist nicht der deutsche Haider. Aber beide sind Brüder im neurechten
Geist und Unterstützer des neurechten Kampfes gegen die besten Traditionen einer
europäischen pluralistisch-freiheitlichen Demokratie – und sei es auch nur in der Rolle des
‚nützlichen Idioten‘.

westeuropäischen Identität und Gesellschaft“ feststellt, dessen Wurzeln zum Teil bis in die
Gemeinschaftsvorstellungen der Romantik zurückreichen.“ (a.a.O., 1. Abschnitt). Genauer zu überprüfen wäre
dabei, ob und inwieweit auch für manch anderen europäischen Populisten das hier explizierte neurechte Denken
i.S. der konservativen Revolution vorliegt, wie dies weitgehend für die französische Nouvelle Droite gelten
dürfte.
37
   Ganz ähnlich auch der neueste Verfassungsschutzbericht 2002, der bisher nur in der Internet-Fassung vorliegt.
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