Heute, morgen, übermorgen - Boden- und Wohnungspolitik im Aufbruch!? - vhw
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Immobilienwirtschaft Boden- und Wohnungspolitik im Aufbruch!? Jürgen Aring, Diana Coulmas, Fabian Rohland Heute, morgen, übermorgen – Boden- und Wohnungspolitik im Aufbruch!? Boden- und Wohnungspolitik sind drängende gesellschaftliche Themen, der öffentliche Diskurs da- rüber ist umfangreicher und fordernder geworden. Nach der Regierungsbildung auf Bundesebene und zusätzlich angetrieben durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts stehen wichtige boden- und wohnungspolitische Entscheidungen an. Die Autoren des Beitrags stecken zunächst den aktuel- len Diskurs ab. Danach richten sie den Blick auf die anstehende Grundsteuerreform, die ein Element einer neuen Bodenpolitik werden könnte. Abschließend betten sie die bodenpolitischen Überlegun- gen in eine umfassendere Idee einer sozialen und resilienten Wohnungspolitik ein, wobei auch lang- fristig veränderte Kontexte wie Alterung und Digitalisierung bedeutsam sind. Nach der langwierigen Regierungsbildung auf Bundesebe- neuen Artikels 104d GG soll die Grundlage dafür geschaffen ne zeichnen sich neue Impulse für den wohnungspolitischen werden, dass der Bund auch über 2019 hinaus die Länder Diskurs und zur Überwindung der Wohnungsmarktengpäs- beim Sozialen Wohnungsbau unterstützen kann (Bundesre- se in den deutschen Ballungsräumen ab. So sendet die neue gierung 2018). Bundesregierung Signale, dass sie die Probleme auf den Der öffentliche Diskurs rückt Bodenpolitik ins Wohnungsmärkten erkannt hat und in der bevorstehenden Zentrum Legislaturperiode angehen möchte. Deutlich wird dies u.a. in Wenn nun die politischen Verantwortlichen umfassender und der Gründung eines eigenständigen Bauausschusses im Bun- sichtbarer auf die Wohnungsmarktengpässe reagieren, dann destag und in den im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und liegt dies vor allem darin begründet, dass der öffentliche Dis- SPD aufgezeigten wohnungspolitischen Maßnahmen (Ko- kurs über Boden- und Wohnungspolitik wesentlich an gesell- alitionsvertrag 2018, S. 107 ff.). In der öffentlichen Debatte schaftlicher Bedeutung gewonnen hat. Diese Entwicklung wird das gestiegene politische Engagement zur Beseitigung findet deutlichen Ausdruck in einem höheren Engagement des Mangels an bezahlbaren Wohnungen begrüßt, allerdings betroffener Akteure auf den Wohnungsmärkten und einer gibt es auch Stimmen, die umfassendere wohnungspolitische gestiegenen Präsenz dieser Debatte in den großen deutschen Maßnahmen einfordern. (Fach-)Medien. Wer den wohnungspolitischen Diskurs ver- Ein weiterer weitreichender Impuls für notwendige bodenpo- folgt, dem wird kaum entgehen, dass dem gemeinwohlori- litische Neuerungen geht vom Urteil des Bundesverfassungs- entierten Umgang mit dem knappen und nicht vermehrbaren gerichts vom 10. April 2018 aus, in dem die jetzige Einheits- Gut „Boden“ eine Schlüsselrolle zufällt. bewertung bei der Grundsteuer für verfassungswidrig erklärt Viele Experten sind sich einig: Fehlende Grundstücke, hohe wurde (Bundesverfassungsgericht 2018). Intensiv diskutiert Bodenpreise und die Spekulation mit Bauland sind die größ- wird eine Grundsteuerreform bereits seit mindestens 20 Jah- ten Hürden für allgemein bezahlbare neue Wohnungen in ren. Allerdings hat im Laufe der Jahre kein Reformmodell eine Deutschlands Großstädten. Exemplarisch für diesen Befund politische Mehrheit gewinnen können, sodass bislang alle steht eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Reformbemühungen im Sande verliefen. Mit der Fristsetzung Raumforschung (BBSR), wonach die mangelnde Verfügbarkeit für eine Neuregelung bis zum 31.12.2019 und einer entspre- von geeignetem und nicht spekulativ überteuertem Bauland chenden Umsetzung (bis spätestens 31.12.2024) hat das Bun- und fehlendes Baurecht für vorhandene Grundstücke die zen- desverfassungsgericht den Druck auf den Gesetzgeber jetzt tralen Engpassfaktoren für mehr bezahlbaren Wohnungsbau erheblich erhöht. In die Landschaft wohnungs- und bodenpo- sind (Waltersbacher 2017, S. 2). Weniger das Gebäude als litischer Impulse passt auch die geplante Grundgesetzände- vielmehr der Boden ist damit ausschlaggebend für den rasan- rung für den Sozialen Wohnungsbau. Mit der Schaffung eines ten Preisanstieg von Immobilien in den Ballungsräumen. Dass 114 vhw FWS 3 / Mai – Juni 2018
Immobilienwirtschaft Boden- und Wohnungspolitik im Aufbruch!? die Städte heute unter dem „Druck des Kapitals“ stehen, hat dürfe nicht länger ungezügelten Marktkräften überlassen der Soziologe Heinz Bude in seinem Essay über das Gefüge werden (Maak 2018). Plakativ heißt es in einem Beitrag von der Stadt festgestellt, um von dieser Beobachtung ausgehend Laura Weißmüller in der Süddeutschen Zeitung: „Es braucht seine Überlegungen zu Polarisierung, Fragmentierung und einen Sinneswandel. Bislang ist es gesellschaftlich akzeptiert, Festivalisierung zu entwickeln (vgl. Bude 2018, S. 58 ff.) mit dem Kauf und Verkauf von Boden Gewinne zu erzielen. Das dürfte es nicht. Denn Boden ist keine Ware wie jede an- Angesichts der immer stärker greifbaren Fehlentwicklungen dere, schon allein, weil er nicht vermehrbar und auch nicht ist eine breite und engagierte Diskussion um Gegenmaßnah- verzichtbar ist. […] Doch nicht einmal der Bund trägt dieser men entbrannt. Hierbei wird die Frage der Stadtentwicklung Bedeutung des Bodens Rechnung. Bundeseigene Grundstü- immer mehr zu einer sozialen Frage, nämlich der Frage, wer cke werden meistbietend verkauft. Auch viele Kommunen darf in der inneren Stadt wohnen. Klar ist: Nicht alle können sind per Satzung dazu verpflichtet, ihren Boden jeweils zum in attraktiven Innenstadtbereichen von Städten wohnen. Doch soll die finanzielle Leistungsfähigkeit auf Dauer das einzige Zu- Höchstpreis zu verkaufen, der Kämmerer wacht eifrig darüber. gangskriterium sein? So mahnt der Münchner Aufruf für eine Ob darauf dann ein Stück tote Stadt entsteht, interessiert ihn andere Bodenpolitik: „Der Bodenmarkt entfaltet eine zerset- nicht. Sollte es aber. Der Staat verscherbelt sein Fundament. zende Wirkung auf den sozialen Zusammenhalt der Stadtge- Das muss aufhören. […] Und die Grundsteuer […] muss durch sellschaft. Ganze Stadtteile […] unterliegen der ‚Aufwertung‘, eine Bodensteuer ersetzt werden, die den leistungslosen die Verdrängungsprozesse der angestammten Wohnbevölke- Wertzuwachs erfasst. Keine Angst: Es geht hier nicht um den rung und des kleinteiligen Gewerbes zur Folge haben. […] Umsturz der Eigentumsverhältnisse. Es geht um etwas Größe- Angesichts des Wachstums der Städte mit all seinen Facetten res: den sozialen Frieden in diesem Land.“ (Weißmüller 2017) und Herausforderungen wird die Bodenpolitik zum Dreh- und Die anstehende Grundsteuerreform ist bodenpolitisch Angelpunkt einer sozial gerechten und nachhaltigen Stadtent- von hoher Relevanz wicklung.“ (Münchner Aufruf 2017, S. 1 f.) In der Zeit, in der sich die Öffentlichkeit und Fachwelt mit Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Situation auf der Bodenpolitik und damit auch mit der Grundsteuer be- den Bodenmärkten und dem hohen Handlungsbedarf auf schäftigen, hat jetzt zudem das Bundesverfassungsgericht politischer Ebene haben sich in jüngerer Vergangenheit eine ein wegweisendes Urteil über die Verfassungsmäßigkeit der Vielzahl an Initiativen gegründet, zumeist mit dem Ziel, Sub- Grundsteuer gefällt und damit einen konkreten Auftrag an stanz für die öffentlichen und fachlichen Diskussionen im den Bundesgesetzgeber erteilt. Schon seit Jahren ist klar, dass vorpolitischen Raum zu erzeugen. Zu den Initiativen und die Grundsteuer reformiert werden muss. Aus diesem Grund Verbänden, die sich für eine gemeinwohlorientierte Neu- stehen auch seit geraumer Zeit zahlreiche Reformmodelle im ausrichtung der Bodenpolitik einsetzen, zählen neben dem Raum (Lehmbrock/Coulmas 2001; Färber/Salm/Hengstwerth Münchner Aufruf u.a. das Deutsche Institut für Urbanistik 2014; Henger/Schaefer 2015), über die fachlich und politisch (Difu) und der vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadt- gestritten wird. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsge- entwicklung (vgl. vhw/Difu 2017), der Deutsche Städtetag richts vom 10.4.2018 zur Verfassungswidrigkeit der Bemes- (vgl. Deutscher Städtetag 2017) sowie die Initiative Schwer- sungsgrundlage ist der Gesetzgeber am Zug. Bis Ende 2019 ter Erklärung: Eigentum verpflichtet – mehr Boden für das muss er sich für ein neues Bewertungsmodell entscheiden, auf Gemeinwohl (vgl. Schwerter Erklärung 2017). Auch der dessen Grundlage die Grundstücke und ggf. Gebäude künf- bundesweite Aufruf Grundsteuer: Zeitgemäß! und das In- tig besteuert werden. Von diesem Bewertungsmodell wird stitut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (Horn abhängen, welche Grundsteuer derjenige zahlen muss, der et al. 2017, S. 10 f.) der Hans-Böckler-Stiftung sprechen sich wohnt – d.h. so ziemlich jeder. Denn nach geltendem Recht für eine neue Bodenpolitik aus, indem sie für eine reine Bo- zahlt die Steuer nicht nur der Eigentümer, sie wird auch auf denwertsteuer plädieren. die Mieter umgelegt.2 Dabei findet der bodenpolitische Diskurs mitnichten nur auf Hinsichtlich der in Frage kommenden Reformmodelle findet der Ebene organisierter wohnungsmarktaffiner Akteure statt. sich im Koalitionsvertrag von Union und SPD keine Festlegung. Er ist vielmehr merklich in der öffentlichen Wahrnehmung an- Man darf damit rechnen, dass mit harten Bandagen gestritten gekommen und damit in der Mitte der Gesellschaft.1 Hierbei werden wird. Denn – trotz Aufkommensneutralität – wird es spiegelt sich seine wachsende Bedeutung nicht nur in den the- durch Belastungsverschiebungen unweigerlich Gewinner und mennahen Fachmedien wider, sondern auch in den großen Verlierer geben. Schließlich liegt der Grund, warum das Ver- deutschen (Tages-)Zeitungen. Wie auch seitens der Initiativen fassungsgericht die derzeitigen Regeln beanstandet hat, ja ge- und Verbände wird dabei vehement ein veränderter Umgang rade darin, dass diese zu ungerechtfertigten Privilegierungen mit dem knappen Gut Fläche gefordert. Grund und Boden 2 Diskutiert wird allerdings auch die Möglichkeit, die Regelung in der Betriebskos- 1 Hanno Rauterberg verweist darauf, „dank der Wohnkrise sind nun zum Glück ten- bzw. Mietnebenkostenverordnung so zu verändern, dass die Grundsteuer viele aufgewacht“ (Rauterberg 2018). nicht oder nur teilweise umlagefähig ist. vhw FWS 3 / Mai – Juni 2018 115
Immobilienwirtschaft Boden- und Wohnungspolitik im Aufbruch!? Äquivalenz- bzw. sozial und zeitgemäß?“ Kostenwert-Modell flächenbezogenes Bodenwertmodell in diesem Heft ausführt.6 Grundsteuermodell Vor allem folgende Argu- Erhebungsmethode / Grundstücksfläche per mente werden für eine Bemessungsgrundlage Bodenrichtwert & Gebäudefläche per Kostenwert Bodenwertsteuer ins Feld (Baukosten je qm Grundstücksfläche & Bodenrichtwerte geführt: ihr reiner Fiskal- Bruttogrundfläche pauschal Gebäudefläche nach Gebäudeart) abzügl. charakter, der deutlich Alterswertminderung überschaubare Verwal- Verwaltungsaufwand sehr hoch Eher gering Sehr gering tungsaufwand, die In- (Gebäudekomponente) (BRW liegen fast vestitionsfreundlichkeit, flächendeckend vor) der Anreiz, bestehende Lenkungswirkung Bodenmobilisierend, (Mobilisierung) - - bodenpreisdämpfend Baurechte auszunutzen, sowie die Beteiligung Sonstige Effekte Neubauten ungleich höher Wertvolle Immobilien in Investitionsfreundlich, der Grundeigentümer an besteuert („Strafsteuer“ für Toplagen würden genauso Beteiligung der den Kosten der Inwert- Investitionen) hoch besteuert wie andere Eigentümer an in minderwertigen Lagen Inwertsetzung ihrer setzung ihrer Grundstü- Immobilie cke. Interessant ist, dass im Koalitionsvertrag eine Tab. 1: Eckpunkte von Grundsteuer-Reformmodellen neue Grundsteuer C ver- Tab. 1: Eckpunkte der einen vonim und einer Grundsteuer-Reformmodellen Verhältnis zur Wertentwicklung zu ho- einbart wurde, um „die Verfügbarmachung von bebaubaren hen Besteuerung der anderen führen, weil jahrzehntelang auf Grundstücken für Wohnbauzwecke zu verbessern“.7 Genau völlig überholte Einheitswerte zurückgegriffen wurde.3 das würde am ehesten die Bodenwertsteuer leisten. Wenn auf diese Weise zweifellos auch nicht alle drängenden bodenpo- An einer Neuregelung der Grundsteuer innerhalb der vom Verantwortungsvoller Umgang„mit mit öffentlichem litischen Probleme gelöst werden können, sollte die mit der Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist werde Hoch- Boden – aktive Liegenschaftspolitik ermöglichen anstehenden Reform bestehende Chance für eine sozial ge- druck“ gearbeitet, ließen (1) Vertreter der Bundesregierung un- Gemeinwohlorientierte Vergabe von Grundstücken der längst wissen.4 Eine Neuordnung öffentlichen des HandBodenrechts ist zwar rechte Ausgestaltung der Grundsteuer unbedingt ergriffen (2) Einrichtung von Boden- und Infrastrukturfonds werden. nicht die Hauptstoßrichtung des Karlsruher Urteils. Die Refor- (3) Vorfahrt für gezielte Bodenbevorratung und men, die jetzt umzusetzenZwischenerwerb: sind, bietenKommunales jedoch dieBodeneigentum Gelegen- alsBodenpolitik Schlüssel ist weit mehr als eine heit – neben dem Auflösenfürvon eine gezielte Steuerung der Bodennutzung Bewertungsdisparitäten durch Grundsteuerreform die veraltete Einheitsbewertung Handlungsfähigkeit –, auch den der Kommunen Umgang mit stärken den– planungsrechtliche Instrumente schärfen Die Gründe für eine zu geringe Neubauaktivität im preis- begehrten und dringend benötigten Flächen (4) Weiterentwicklung desklug zu steuern kommunalen Vorkaufsrechts günstigen Wohnsegment sind äußerst facettenreich. Nach (Prantl 2018). Die Reform der (5) Stärkung der Gemeinwohlziele Grundsteuer bei deraus ist mithin auch allgemeiner Auffassung liegen sie in einer mangelnden Bau- Wohnungsbautätigkeit im Innenbereich auf der Grundlage bodenpolitischer Sicht vonvon nicht unerheblicher Relevanz (vhw/ § 34 BauGB. landbereitstellung, in einer unzureichenden Mobilisierung be- Difu 2017, S. 6 u. 20). Bei(6) der anstehenden Zeitnahe EinführungReform steht der der Innenentwicklungsmaßnahme stehender Baurechte, in geringen Umsetzungsmöglichkeiten Gesetzgeber vor einer Richtungsentscheidung: Steuerung der Bodenentwicklung Es ist zurückgewinnen der Mo- – Gemeinwohlbelangen bei der Realisierung von Bauvor- von ment für die Diskussion Bodenentwicklung einer bodenpolitisch bessermotivierten (be)steuern Re- (7) Einführung einer Bodenwertsteuer haben und in Bodenspekulationen, bei denen investive Ab- form der Grundsteuer! (8) Bundesweite Absenkung des Grunderwerbsteuersatzes sichten für den Wohnungsbau keine Rolle spielen. Vor diesem auf 3,5 % Während sich die jahrelangen Reformüberlegungen der Fi- (9) Stärkung interkommunaler Zusammenarbeit durch Hintergrund kann die Grundsteuerreform zwar einen wich- nanzminister des Bundes Schärfung und der der Instrumente Länder der Landes- auf sog. und „verbun- tigen Beitrag für eine am Gemeinwohl orientierte Neuaus- Regionalplanung dene Bemessungsgrundlagen“, die zugleich Grund und Bo- richtung der Bodenpolitik leisten, angesichts der vielfältigen den sowie das aufstehende Gebäude steuerlich erfassen, Herausforderungen jedoch nur an einzelnen Ursachen für die konzentrierten,5 sprechen sich immer mehr Stimmen für die Angebotsengpässe beim bezahlbaren Wohnraum ansetzen. Tab. Reform 2: Roadmap Bodenpolitik von vhw zu einer Bodenwertsteuer aus.undDieseDifu – 9 Kernforderungen biete in planeri- Um(Quelle: vhw/Difu 2017, S. 1 ff.) die Bodenfrage umfassender anzugehen und ein aufein- scher, ökonomischer und sozialer Hinsicht die meisten Vortei- ander abgestimmtes Maßnahmenpaket zu formulieren, haben le, wie auch Dirk Löhr in seinem Beitrag „Grundsteuerreform: vhw und das Difu einen Arbeitskreis von unabhängigen Exper- ten initiiert, der im Herbst 2017 die Bodenpolitische Agenda 3 Wesentlicher für die Frage, wie hoch die Steuerbelastung im Einzelfall ausfällt, ist 2020–2030 veröffentlicht hat (vgl. vhw/Difu 2017). Ziel und allerdings die Höhe des Hebesatzes in der jeweiligen Gemeinde; die Hebesatzau- wesentliche Grundlinie der Arbeit des Expertenkreises war es, tonomie der Gemeinden wird durch die Reform der Grundsteuer nicht berührt. 4 Vgl. Hib (Newsletter „Heute im Bundestag“) Nr. 240 Ziff. 1 vom 18.4.2018. 6 S. Beitrag von Dirk Löhr in diesem Heft auf Seite 123 ff. 5 Dies fand zuletzt seinen Niederschlag im „Bundesratsmodell“ (Bundesrat 2016a 7 Zur Einführung einer Grundsteuer C wird allerdings eingewandt, dass sie sich im und 2016b), das im Herbst 2017 vom Bundesrat in den Gesetzgebungsprozess Zweifel gegen hohe und weiter steigende Baulandpreise ohnedies nicht werde eingebracht, aufgrund des Widerstandes von Hamburg und Bayern jedoch nicht durchsetzen können. Innerhalb des jetzigen, noch nicht reformierten Systems sei zum Abschluss gebracht wurde. sie im Übrigen kaum umzusetzen. 116 vhw FWS 3 / Mai – Juni 2018
Immobilienwirtschaft Boden- und Wohnungspolitik im Aufbruch!? einen Beitrag zu einer vertiefenden Fachdiskussion und An- Ausblick: konkrete Problemlösungen, große Linien stöße für die Politik auf allen staatlichen Ebenen zu leisten, und Zukunftsdiskurse verbinden um die verloren gegangene Steuerungskraft der Städte im Im bodenpolitischen Diskurs treffen viele unterschiedliche In- Äquivalenz- bzw. Umgang mit öffentlichem Boden zurückzugewinnen (ebenda, teressen aufeinander. Dementsprechend hart und zäh wird Kostenwert-Modell flächenbezogenes Bodenwertmodell S. 4.). Zum einen fordern die Experten Rückbesinnung dar- Grundsteuermodell sich das politische Ringen um neue Lösungen ausgestalten. Zu auf, dass der Boden ein wesentlicher Bestandteil der Daseins- welchen Entscheidungen die Politik in der kommenden Legis- / Grundstücksfläche grundvorsorge perZum anderen sehen sie die Aufgabe, bildet. laturperiode finden wird, ist noch offen. An der Situation, dass age Bodenrichtwert & die kommunale Handlungsfähigkeit dadurch zu stärken, dass in spätmodernen Gesellschaften Prozesse der Stadtentwick- Gebäudefläche per Kostenwert planungsrechtliche (Baukosten je qm Instrumente geschärft und die für &ihre An- Grundstücksfläche Bodenrichtwerte lung komplex und vielschichtig sind, lässt sich – allen Verfah- Bruttogrundfläche wendung pauschal notwendigen finanziellenGebäudefläche Rahmenbedingungen ge- rensbeschleunigungs- und Normenabbauinitiativen zum Trotz nach Gebäudeart) schaffen abzügl. werden. Bodenpolitische Reformen werden bereits – wohl nichts Wesentliches ändern. Komplexe Einzelfälle, in Alterswertminderung seit Jahrzehnten intensiv diskutiert. Daher war ein wichtiges denen immer wieder aufs Neue die Kämpfe zu Flächenmobi- d Anliegen sehr hochdes Arbeitskreises, mehrheitsfähige Eher geringAnsätze zu erar- Sehr gering lisierung, Flächenschutz, Anwohnerinteressen und zur gesell- (Gebäudekomponente) beiten, die nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs bestehen (BRW liegen fast schaftlichen Verpflichtung des Immobilienbesitzes ausgefoch- können, sondern auch in der Anwendungspraxis umgesetzt flächendeckend vor) ten werden, bleiben normal. Dementsprechend zäh ist die werden können. Bodenmobilisierend, Praxis von Stadtentwicklung und Wohnungsneubau. - - bodenpreisdämpfend Im Ergebnis beinhaltet die Bodenpolitische Agenda 2020– Gerade deswegen kommt es aber auf die Rahmenbedingun- 2030 eine Roadmap mit neun Kernforderungen (s. Tab. 2). Sie gen für eine soziale und resiliente Wohnungspolitik an, die Neubauten zeigen den Wegungleich für höher Wertvolle Immobilien in Um- einen sozial verantwortungsvollen Investitionsfreundlich, eben doch „im Großen“ gesetzt werden können. In diesem besteuert („Strafsteuer“ für gang mit Grund und Boden im Kontext Toplageneiner würden genauso nachhaltigen Beteiligung der Investitionen) hoch besteuert wie andere Sinne ist dieanPolitik des Bundes in der kommenden Legisla- Eigentümer und wirksamen Stadtentwicklungs-inund Wohnungspolitik. Die minderwertigen Lagen turperiode Inwertsetzunggefordert. ihrer Hier kann etwas bewegt werden! Oder Forderungen der Experten machen vor allem deutlich, dass –Immobilie wenn lediglich Symbolpolitik gemacht wird – auch nicht! eine funktionale, an den Wirkungen auf die Stadtplanung Deswegen scheint es angebracht, zum Schluss dieses Beitra- oder den Wohnungsmarkt orientierte „technische“ Debatte ges den Blick über die aktuellen Herausforderungen hinaus zu dem Gegenstand nicht gerecht wird. Zu führen ist auch eine richten. Sowohl die Vorstellung einer ganzheitlichen Idee von on Grundsteuer-Reformmodellen Werte-Debatte! Denn es geht um Gerechtigkeit, Solidarität, Wohnungspolitik als auch das frühzeitige Erkennen größerer Gemeinwohl und Nachhaltigkeit – Werte, die das Fundament zukünftiger Veränderungen kann Orientierung für die aktuelle einer demokratischen, offenen und zum rationalen Interes- Politik bieten. In der Wohnungspolitik ist das Heute mit dem senausgleich fähigen Gesellschaft bilden. (Ebenda, S. 33) Morgen und Übermorgen verflochten. Was ist mit einer ganzheitlichen Wohnungspolitik gemeint? Verantwortungsvoller Umgang mit öffentlichem Boden – aktive Liegenschaftspolitik ermöglichen In dem Plädoyer von vhw und Difu (2017) haben die Autoren (1) Gemeinwohlorientierte Vergabe von Grundstücken der gefordert, Wohnungspolitik umfassend zu denken: „Die aktu- öffentlichen Hand elle Aufgabe besteht darin, eine resiliente, zukunftsgewandte (2) Einrichtung von Boden- und Infrastrukturfonds Wohnungspolitik zu formulieren, die unabhängig von zykli- (3) Vorfahrt für gezielte Bodenbevorratung und Zwischenerwerb: Kommunales Bodeneigentum als Schlüssel schen Entwicklungen am Wohnungsmarkt sowie gesellschaft- für eine gezielte Steuerung der Bodennutzung lichen und politischen Veränderungen die soziale Wohnraum- versorgung sicherstellt.“ (Ebenda, S. 2) Sie umfasst zunächst Handlungsfähigkeit der Kommunen stärken – planungsrechtliche Instrumente schärfen wohnungspolitische Kernelemente, zu denen Bodenpolitik, (4) Weiterentwicklung des kommunalen Vorkaufsrechts Mengenstrategien, Kostensenkung, Sozialorientierung, Kapi- (5) Stärkung der Gemeinwohlziele bei der talmobilisierung, Bestandspolitik sowie Handlungsspielräume Wohnungsbautätigkeit im Innenbereich auf der Grundlage der öffentlichen Hand zählen. Gleichzeitig sind das Zusam- von § 34 BauGB. menspiel von Öffentlich und Privat sowie der Mehrebenen- (6) Zeitnahe Einführung der Innenentwicklungsmaßnahme charakter von Politik und Verwaltung zu berücksichtigen, um Steuerung der Bodenentwicklung zurückgewinnen – ein effizientes Miteinander zu ermöglichen. Schließlich ist Bodenentwicklung besser (be)steuern auch eine integrierte und nachhaltige Perspektive gefordert, (7) Einführung einer Bodenwertsteuer (8) Bundesweite Absenkung des Grunderwerbsteuersatzes die den Wechselwirkungen zwischen Wohnungspolitik und auf 3,5 % Stadtentwicklung, Sozialpolitik, Mobilitätsplanung und Um- (9) Stärkung interkommunaler Zusammenarbeit durch weltpolitik Rechnung trägt – wahrlich eine schwierige Auf- Schärfung der Instrumente der Landes- und gabe, bei der Handlungsfähigkeit den Vorrang vor Perfektion Regionalplanung haben muss. Das impliziert auch, von sektoralen Maximalfor- Tab. 2: Roadmap Bodenpolitik von vhw und Difu – 9 Kernforderungen derungen abzurücken, selbst wenn sie für sich bestens be- (Quelle: vhw/Difu 2017, S. 1 ff.) gründet werden können. Bodenpolitik von vhw und Difu – 9 Kernforderungen (Quelle: vhw/Difu 2017, S. 1 ff.) vhw FWS 3 / Mai – Juni 2018 117
Immobilienwirtschaft Boden- und Wohnungspolitik im Aufbruch!? Richtet man den Blick weiter nach vorn, so ist auch dem formationsprozesses wähnt. Forschung und Politik sind jedoch Wandel von Technologien, Ideen und Gesellschaft viel Auf- gefordert, weiter zu denken und den Wandel in die aktuellen merksamkeit zu widmen, denn es sind tiefgreifende Verän- boden- und wohnungspolitischen Strategieentscheidungen derungen absehbar, die dann auf eine träge Wohnungsbe- standsstruktur treffen. Dazu zwei Gedanken: Die Alterung Prof. Dr. Jürgen Aring, Vorstand vhw e.V., Berlin der Gesellschaft beinhaltet auch eine „neue soziale Frage“. Alt werden bedeutet für alle, die von monatlichen Gehältern Ass. iur. Dr.-Ing. Diana Coulmas, und nicht von Kapitaleinkünften oder Transfers leben, dass Fortbildungsreferentin, vhw e.V., Berlin, Verlagsgeschäfts- ihr verfügbares Einkommen mit dem Eintritt des Renten- oder führerin vhw-Dienstleistung GmbH, Bonn Pensionsalters erheblich schrumpft. Einen Rückgang auf etwa Fabian Rohland, Wissenschaftler vhw e.V., Berlin 60% des Bruttoeinkommens kann man als Orientierungswert ansetzen, wenngleich die konkrete Situation je nach Lebens- arbeitszeit, Beamten- oder Angestelltenstatus, ergänzenden einzubeziehen. Betriebsrenten oder individueller Zusatzrenten stark variieren Quellen: kann. Und durch die Progression der Einkommenssteuer ist Bude, H. (2018): Das Gefüge der Stadt, in: vhw Forum Wohnen und Stadtentwick- der Nettoeffekt weniger stark als der Bruttoeffekt. Dennoch: lung 2/2018, S. 58 ff. Der Übergang ins Renten- und Pensionsalter zwingt viele, ihre Bundesrat (2016a): Entwurf eines Gesetzes zur konkurrierenden Gesetzgebungs- Ausgabenstruktur neu zu bedenken. Wenn dann Mietkosten kompetenz des Bundes für die Grundsteuer. Bundesratsdrucksache 514/16 vom 12.09.2016, Berlin. bei 30 und mehr Prozent des Arbeitseinkommens liegen, ist für Bundesrat (2016b): Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes, viele Neurentner Wohnen in der bisherigen Form nicht mehr 2016. Bundesratsdrucksache 515/16 vom 4.11.2016, Berlin. bezahlbar. Der Wunsch nach kostengünstigeren Alternativen Bundesregierung (2018): Mehr Geld für Länder und Gemeinden. Finanzbeziehun- wird steigen. Ob das Problem dann durch Zusammenrücken gen neu regeln. bzw. Reduktion der Wohnfläche, Abwanderung an preisgüns- Bundesverfassungsgericht (2018): Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14, Karlsruhe. tigere Standorte nach außen oder staatliche Zuschüsse gelöst Deutscher Städtetag (2017): Neuausrichtung der Wohnungs- und Baulandpolitik. wird, sei dahingestellt. So oder so sind Verwerfungen und Positionspapier des Deutschen Städtetages, Berlin. Konflikte absehbar. Färber, G./Salm, M./Hengstwerth, S. (2014): Grundsteuerreform in Deutschland: eine unendliche Geschichte?, in: Wirtschaftsdienst 2014 (10), S. 740 ff. Ein anderes Feld stellt die Digitalisierung dar, die rasch und Henger, R./Schaefer, T. (2015): Mehr Boden für die Grundsteuer – Eine Simulations- weitreichend Alltags- und Arbeitswelten verändert. Noch analyse verschiedener Grundsteuermodelle, IW policy paper 32/2015. wird im Kontext von Wohnen bei Digitalisierung vorrangig an Horn, G. A./Behringer, J./Gechert, S./Rietzler, K./Stein, U. (2017): Was tun gegen die Smart Homes gedacht, also vernetzte und responsive Mess- Ungleichheit? Wirtschaftspolitische Vorschläge für eine reduzierte Ungleichheit, IMK Report 129/2017. und Steuerungssysteme, mit denen sich Raumklima, Sicher- Koalitionsvertrag (2018): Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für heit, Beleuchtung und dergleichen mehr optimieren lassen. Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen Im Kontext der Stadtentwicklung lautet der komplementäre CDU, CSU und SPD. 19. Legislaturperiode, Berlin. Begriff Smart City. Auch dahinter steht zunächst eine von di- Lehmbrock, M./Coulmas, D. (2001): Grundsteuerreform im Praxistest – Verwal- gitaler Mess- und Regeltechnik getriebene Form von Stadt- tungsvereinfachung, Belastungsänderung, Baulandmobilisierung, Difu-Beiträge zur Stadtforschung, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin. entwicklung, wobei jedoch der entsprechende Diskurs zuneh- Maak, N. (2018): Leben im Aktenordner. Architektur in der Krise, in: Frankfurter mend „sozial aufgeladen“ wird. Es ist jedoch angebracht, die Allgemeine Zeitung vom 16.04.2018. digitale Transformation von Wohnen und Stadtentwicklung Münchner Aufruf (2017): Ein soziales Bodenrecht. Für bezahlbaren Wohnraum noch weiter zu denken. Was bewirkt die Digitalisierung der und lebenswerte Städte. Münchner Aufruf für eine andere Bodenpolitik, München. Arbeitswelt mit wegfallenden und neu entstehenden Arbeits- Prantl, H. (2018): Reform der Grundsteuer – Eine Chance für mehr Gerechtigkeit, in: Süddeutsche Zeitung vom 10.4.2018. plätzen? Was bewirkt die Digitalisierung des Konsums, sprich: Rauterberg, H. (2018): Der letzte Grund, in: DIE ZEIT (2018), Nr. 3. Online-Shopping? Was bewirken Plattformökonomien wie Schwerter Erklärung (2017): Eigentum verpflichtet – mehr Boden für das Ge- Airbnb? Die Auswirkungen auf Wohnen und Stadtentwick- meinwohl. lung können tiefgreifend sein, wobei neben einfachen und vhw/Difu (2017): Bodenpolitische Agenda 2020–2030, https://www.vhw.de/fi- offensichtlichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen (z.B. leadmin/user_upload/06_forschung/Wohnungspolitik_und_Wohnungsmarkt/PDF/ Roadmap_Bodenpolitik_10_2017.pdf (Letzter Zugriff: 16.05.2018). mehr Online-Shopping = weniger Läden) auch komplexere Waltersbacher, M. (2017): Bauland als Engpassfaktor für mehr bezahlbaren Umwälzungen zu vermuten sind. So wird man der Frage nach- Wohnraum. Analyse der Baulandpreise aus den Kaufpreissammlungen der Gut- spüren, wie sich mit der digitalen Transformation Zeitstruk- achterausschüsse, Bonn. turen, Flächenbedarfe, Standortsysteme und Raumnutzungen Weißmüller, L. (2017): Die Spekulation mit Grund und Boden schadet dem sozialen ändern. Frieden, in: Süddeutsche Zeitung vom 30.11.2017. Stadtanalytiker mögen die hier angedeuteten Veränderungen einfach als „spannend“ bezeichnen. So kann man es nennen, zumindest, wenn man sich auf der Gewinnerseite des Trans- 118 vhw FWS 3 / Mai – Juni 2018
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