Christine Katz - gender thoughts New Perspectives in Gender Research Caring with Nature/s: Zur transformativen Bedeutung von Care in More Than ...

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gender
   thoughts

  New Perspectives in
  Gender Research
  Working Paper Series
  2020, Volume 1

  Daniela Gottschlich
  Christine Katz
  Caring with Nature/s: Zur
  transformativen Bedeutung
  von Care in More Than
  Human Worlds
gender
            thoughts
            New Perspectives in Gender Research
            Working Paper Series

            (ISSN 2509-8179)

EDITORS-IN-CHIEF
Christoph Behrens, Julia Gruhlich, Solveig Lena Hansen, and Susanne Hofmann

By 2017 the Göttingen Centre for Gender Studies starts a new working paper series called Gender(ed)
Thoughts Goettingen as a scholarly platform for discussion and exchange on Gender Studies. The series

project-related results.
All contributions to the series will be thoroughly peer-reviewed. Wherever possible, we publish com-
ments to each contribution. The series aims at interdisciplinary exchange among Humanities, Social
Sciences as well as Life Sciences and invites researchers to publish their results on Gender Studies. If you
would like to comment on existing or future contributions, please get in touch with the editors-in-chief.
The series is open to theoretical discussions on established and new approaches in Gender Studies as

as an individual and social perspective in academia and day-to-day life.
All papers will be published Open Access with a Creative Commons License, currently cc-by-sa 4.0,
with the license text available at https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/de/.

2020, Volume 1
Daniela Gottschlich, Christine Katz
Caring with Nature/s : Zur transformativen Bedeutung von Care in More Than Human
Worlds

 Suggested Citation
 Gottschlich, D. & Katz, Ch. (2020) Caring with Nature/s : Zur transformativen Bedeutung von Care in More
 Than Human Worlds. Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series, Vol. 1 https://dx.doi.org/10.3249/2509-
 8179-gtg-11

Göttingen Centre for Gender Studies

Georg-August-Universität Göttingen
Centrum für Geschlechterforschung
Platz der Göttinger Sieben 7 D - 37073 Göttingen
Germany
gender thoughts
                                                                           New Perspectives in Gender Research
                                                                           Working Paper Series 2020, Volume 1
                                                                               DOI: 10.3249/2509-8179-gtg-11

Caring with Nature/s1:
Zur transformativen Bedeutung von Care in
      Than Human Worlds
Daniela Gottschlich1, Christine Katz2
1 Institut für Diversity, Natur, Gender und Nachhaltigkeit Lüneburg; gottschlich@diversu.org
2 Institut für Diversity, Natur, Gender und Nachhaltigkeit Lüneburg; katz@diversu.org

Zusammenfassung
Der Beitrag geht davon aus, dass Menschen in die organische, anorganische und technisch veränderte
Welt in wechselseitiger Abhängigkeit eingebettet bzw. von dieser materiell-physisch wie auch diskur-
siv durchdrungen sind. Analog zu Puig de la Bellacasa wird Caring daher nicht als wählbare Option
beschrieben, sondern als eine unverzichtbare Notwendigkeit für alle Wesen, eine übergeordnete Prak-
tik von ontologischer Signifikanz, die auch eine politische Dimension beinhaltet. Denn darüber wer-
den Qualitäten und Strukturen des Kollektiven mitgestaltet. In diesem Artikel wird begründet, warum
ontologische Relationalität zum Ausgangspunkt politischer Gestaltungspraxis von Natur/en gemacht
werden sollte, und es wird diskutiert, wie die politisch-ökologische Dimension von Care weiterentwi-
ckelt und für die sozial-ökologische Transformation in Richtung Nachhaltigkeit genutzt werden kann.
In diesem Zusammenhang werden die konzeptionellen Eckpfeiler und Schlüsselbegriffe einer poli-
tisch-ökologischen Theorie von Care entfaltet und zur Diskussion gestellt. Konkretisiert wird ihre
Bedeutung für die politische Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse am Beispiel des Kampfes
um den Hambacher Forst.

Schlagworte
Care/Caring with, Natur/en, politisch-ökologische Theorie von Care, ontologische Relationalität,
sozial-ökologische Transformation

Abstract
The article assumes that humans are embedded in the organic, inorganic and technically altered world
in mutual dependence and are materially-physically as well as discursively permeated by it. Analogous

1   Wir verstehen unter Natur sowohl Physisch-Materielles als auch Diskursiv-Symbolisches, halten beide Sphären, das
    Gesellschaftliche und das Physische, für unentrinnbar und multipel miteinander verwoben, historisch und regional
    unterschiedlich. Deswegen handelt es sich eher m Nat ren im Pl ral, denn m eine einde tig abgren bare Na-
    t r b . ir sprechen daher a ch on gesellschaftlichen Naturverhältnissen (Becker/Jahn 2006). Wir distanzieren uns
    darüber hinaus von einem rein anthropozentrischen Naturverständnis als Ausgangspunkt für Theorie und gesell-
    schaftliches Handeln.

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 1                                                          7
Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

to Puig de la Bellacasa, caring is therefore not described as a selectable option, but as an indispensable
necessity for all beings, a superordinate practice of ontological significance that also includes a politi-
cal dimension. For qualities and structures of the collective are shaped in this way. This article ex-
plains why ontological relationality should be made the starting point of political design practice of
nature/s and discusses how the political-ecological dimension of care can be further developed and
used for social-ecological transformation towards sustainability. In this context, the conceptual cor-
nerstones and key elements of a political-ecological theory of care are developed and put forward for
discussion. Its significance for the political shaping of societal relations to nature is illustrated with the
concrete example of the struggle for the Hambacher forest.

Keywords
Care/Caring, Nature/s, Political-Ecological Theory of Care, Ontological Relationality, Social-
Ecological Transformation

                                                         Ozean gelingt. In The Shape of Water verbünden
                                                         sich die Außenseiter_innen (die Stumme, der
Prolog: Zum Kulturkampf um die                           Schwule, die Schwarze und der sowjetische
  Ausgestaltung von Gesell-                              Wissenschaftler, der sich gegen den eigenen
                                                         Geheimdienst auflehnt) gegen ein lebensfeindli-
  schaftsentwicklung
                                                         ches-technokratisches System. Sie befreien nicht
Türkis, blau, grün: Die Kinoleinwand zeigt alle          nur den AmphibienMann aus dem Labor, son-
Farben des Wassers. Ein Badezimmer und                   dern haben auch Freude daran, ein rassistisches,
schließlich die gesamte Wohnung werden geflu-            faschistisches, frauenverachtendes, homophobes, einge-
tet, um die körperliche Vereinigung der stum-            bildetes weißes Arschloch zu be-siegen (Nicodemus
men Elisa mit dem namenlosen Amphibien-                  2017: o.S.). Del Toro selbst erklärte in einem
Mann im Wasser zu ermöglichen. In wunderbar              Interview:
poetischen Bildern wird in dem Film The Shape
                                                          Ich mache gerne Filme, die befreiende Wirkung haben,
of Water das Liebesspiel zweier Außensei-
                                                         die aussagen, dass man okay ist, genauso wie man ist.
ter_innen gezeigt, deren Liebe selbst die Gat-           Und das, scheint mir, ist gerade in der heutigen Zeit sehr
tungsgrenze überwindet. Das 2017 uraufgeführ-            wichtig (vgl. Shape of Water Das Flüstern des
te M rchen f r Er achsene des me ikani-                  Wassers 2018)2
schen Regisseurs Guillermo del Toro Gómez,               Del Toros mit zahlreichen Preisen aus-
das 2018 auch in deutschen Kinos zu sehen                gezeichnetes Plädoyer für Diversität und einen
war, handelt von einer stummen Reinigungs-               neuen Gattungsgrenzen übersteigenden (Post-)
kraft in einem US-amerikanischen Geheimlabor             Humanismus steht beispielhaft für eine kritisch-
Anfang der 1960er Jahre, die sich in eine dort           emanzipatorische Position im immer deutlicher
gefangengehaltene und misshandelte amphibi-              zutage tretenden Kulturkampf um die Gestal-
sche Kreatur verliebt. Mit Hilfe ihres Nachbarn          tung von Gesellschaft und krisenhaft geworde-
Giles, einem homosexuellen Graphiker, und                nen gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Die
ihrer schwarzen Arbeitskollegin und Freundin             gegenwärtigen Krisen3 haben damit zu tun, dass
Zelda befreit Elisa den AmphibienMann aus
den Händen der US-Regierung, die sich die                2 Vgl. https://www.fbw-filmbewertung.com/
heilenden Kräfte des außergewöhnlichen Ge-                 film/shape_of_water_
                                                           das_fluestern_des_wassers, Zugriff am 22.02.2019
schöpfs gegen die Sowjets zu Nutze machen                3 Wir denken hier an den Klimawandel und das Arten-

wollen. Der brutale Sicherheitschefs Strickland          sterben, an die Millionen von Menschen, die zur Flucht
jagt das Paar, dem dennoch die Flucht in den             gezwungen werden und die vielen, die dabei ihr Leben

8                                                Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2019, Volume 1
Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

die Lebensweise einiger auf Kosten anderer                 Natur als Suche nach anderen alternativen For-
geht, dabei Menschen und Natur ausgebeutet                 men sozial-ökologischer Transformation
und Kosten auf die Allgemeinheit, andere Regi-             Formen, die sich emanzipatorisch und solida-
onen und nachfolgende Generationen verlagert               risch zeigen und die die Spannungsverhältnisse
werden. Die durch diese Externalisierungspro-              zwischen Autonomie und aufeinander Angewie-
zesse bedingten krisen-haften Verhältnisse sind            sensein, zwischen gemeinschaftsorientierten
von feministischer Seite bereits in den 1980er             Strukturen und individueller Entfaltung, zwi-
und 1990er Jahren im Diskurs um Umwelt und                 schen Naturnutzung und erneuernder Naturer-
Entwicklung thematisiert worden (vgl. Benn-                haltung auf eine Art und Weise gestalten, dass
holdt-Thomsen et al. 1983), in den letzten Jah-            sie ein gutes Leben für alle ermöglichen. Der
ren sind sie verstärkt zum Gegenstand sozial-              Fokus auf Care      verstanden als existenzielle
wissenschaftlicher Analysen geworden (vgl.                 Notwendigkeit, Handlungspraxis und ethische
allein aus dem deutschsprachigen Raum z.B.                 Haltung, die sich nicht nur auf Menschen, son-
Massarrat 2006; Brand/Wissen 2011, 2017;                   dern auch auf die nicht-menschlichen Welten5
Biesecker/von Winterfeld 2014; Lessenich                   bezieht scheint uns aufschlussreich und anre-
2016; Wichterich 2016; Gottschlich 2017).                  gend bei der Suche nach neuen oder aus dem
    Die sozial-ökologischen Krisen lassen eine             Blick geratenen Beziehungsqualitäten innerhalb
Transformation des aktuell dominanten Wirt-                der materiell-physischen und diskursiv verwo-
schafts-, Gesellschafts- und Kulturmodells un-             benen Welten, um sozial-ökologische Trans-
ausweichlich erscheinen. Die Frage ist nach                formationsprozesse in Richtung Nachhaltigkeit
Sommer und Welzer lediglich,                               zu erreichen und damit auch die politische Be-
 ob sie eher von Menschen auf Basis von zivilisatori-      deutung von Care hervorzuheben.
schen Errungenschaften wie Demokratie, Freiheit,
Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gleichheit und Solidarität
gestaltet werden kann oder ob sie stärker von den Ver-     1. Einleitung
hältnissen erzwungen wird; kurz, ob die Transformation
 by design or by disaster erfolgt (ebd. 2017: 12f.).        (…) nothing holds together without relations of care
                                                           (Puig de la Bellacasa 2017: 67).
Doch über eine solidarische Gestaltung herrscht
                                                           Theoretischer Ausgangspunkt unserer Überle-
keineswegs Einigkeit: Wir erleben derzeit welt-
                                                           gungen ist, dass wir mit der Welt, in der wir
weit eine zunehmende Ablehnung und Zerset-
                                                           leben, grundsätzlich verbunden und unabänder-
zung liberaler Demokratien und das Erstarken
reaktionärer, nationalistischer und rechtsextre-           5 In Ermangelung trennscharfer Begrifflichkeiten be-
mer Kräfte, die an einem Wirtschafts-, Gesell-             zeichnen wir nach Puig de la Bellacasa (2017) die nicht-
schafts- und Kulturmodell festhalten wollen,               menschlichen Natur/en, d.h. nicht nur das sogenannte
das die sozialen und ökologischen Grundlagen               Lebendige, sondern all das an organischen und anorga-
zerstört.                                                  nischen Wesens- und Daseinsformen, das Voraus-
                                                           setzung für Leben ist, ohne selbst als lebendig klassifi-
    Als Gegenmodell dazu verstehen wir unsere
                                                           ziert zu werden, als mehr als menschliche Welten ( more
Überlegungen in Zusammenhang mit Care4 und                 than human worlds in technoscience and naturecultures , ebd.:
                                                           12). Auch den Ausdruck Nichtmenschen bzw. Nicht-
lassen. Aber auch die wachsende soziale Ungleichheit       menschliches benutzen wir synonym und schließen
und den (wieder-)erstarkenden Rassismus und Sexis-         erkenntnistheoretisch an das NatureCulture-Konzept
mus zählen wir dazu.                                       von Haraway (2003) und an den Ansatz des agentiellen
4 Im Folgenden benutzen wir Care, wenn wir über den        Realismus (Barad 2017) an, der ebenfalls den Dualis-
theoretischen Ansatz und Rahmen sprechen und Ca-           mus von Natur und Kultur überwinden will und auf
ring, wenn es um das konkrete Tun und das (durch           eine ontologische Relation als wechselseitige Abhän-
Care-Ethik geprägte) Handeln geht. Da beide Begriffe       gigkeit von nicht unabhängigen Relata abhebt. Uns
jedoch auch ineinander übergehen, ist eine scharfe         geht es jedoch primär um die Konsequenzen der An-
begriffliche Trennung nicht möglich.                       sätze für ein politisch-ökologisches Konzept von Care.

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 1                                                              9
Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

lich aufeinander angewiesen (emotional wie                    und damit alle Facetten der Care-Krise8, die
materiell) sind. Menschen sind in diese wechsel-              durch neoliberale Politiken in den letzten Jahren
seitigen Abhängigkeiten aller organischen, anor-              noch verschärft wurden, zu analysieren und zu
ganischen und technisch veränderten Daseins-                  bearbeiten.
formen eingebettet bzw. von diesen materiell-                     Mit unseren Überlegungen wollen wir
physisch wie auch diskursiv durchdrungen.                     Schlüsselbegriffe und Ansatzpunkte für eine
Damit ist Caring keine wählbare Option, son-                  politisch-ökologische Theorie von Care entwer-
dern eine unverzichtbare Notwendigkeit für alle               fen. Letztlich geht es uns dabei um die Frage,
Wesen, eine übergeordnete Praktik von ontolo-                 wie Caring in politisch-ökologische Zusammen-
gischer Signifikanz, wie Maria Puig de la Bel-                hänge zur Gestaltung gesellschaftlicher Natur-
lacasa (2017: 3) es ausdrückt.                                verhältnisse hineingedacht werden kann (und
    Care adressiert nicht nur den privaten Be-                muss), welche Herausforderungen damit auf der
reich, sprich das Individuum in seiner ethischen              Ebene von Theorie und Praxis einhergehen und
Haltung und sorgenden Handlungspraxis. Es                     welcher Gewinn für eine gesellschaftliche
hat auch eine politische Dimension, weil es als               Transformation in Richtung Nachhaltigkeit
Aktivität Qualitäten und Strukturen von Bezie-                davon zu erwarten ist.
hungsverhältnissen und damit das Kollektive                       Wir sind nicht die ersten, die sich intensiver
mitgestaltet, in anderen Worten: Care is a perso-             damit auseinandersetzen. Unsere Arbeit wird
nal affair but one that is only noble insofar as it aspires   insbesondere beeinflusst von der politischen
to leave a mark in a collective that is, a polis (ebd.:       Philosophie, vor allem von feministischer Care-
134).6 Caring als Haltung und Praxis mit auch                 Ethik, ökofeministischen Ansätzen, der relativ
politischer Dimension ist also existentiell, fand             jungen Strömung des Posthumanismus sowie
und findet (schon) immer statt auch wenn das                  von Arbeiten feministischer Neomatera-
Politische daran häufig nicht benannt wurde                   list_innen. Wir orientieren uns maßgeblich an
und wird.                                                     den Ausführungen von Puig de la Bellacasa
    Wir gehen davon aus, dass es für eine gesell-             (2017), die einen weiten Theorierahmen für Care
schaftliche Transformation in Richtung Nach-                  als radikal anti-anthropozentrische spekulative
haltigkeit unerlässlich ist, diese ontologische               Ethik aufspannt und dabei Care weniger als
Relevanz von Care aufgrund der grundlegenden                  moralische Bereitschaft, denn als Handeln, als
Interdependenzen von menschlichen und nicht-                  Caring, zur Aufrechterhaltung und zum Wieder-
menschlichen Welten sowie der Angewiesenheit                  herstellen der Erfordernisse des täglichen Le-
und Verletzlichkeit allen Lebens anzuerkennen.                bens begreift, in der emotionale Betroffenheiten
Care zum Ausgangspunkt politischer Gestal-                    berücksichtigt und vernachlässigte Praktiken,
tungspraxis zu machen und nach gesellschaftli-                Dinge, Objekte und Erfahrungen einbezogen
chen Rahmenbedingungen für gutes Caring7 zu                   werden. Care ist dabei konsequent situiert ange-
fragen, bedeutet auch, sich der anhaltenden                   legt (vgl. ebd.: 160ff.).
Zerstörung der verbundenen sozialen und öko-                      Anders als Puig de la Bellacasa verorten wir
logischen Lebensgrundlagen entgegen zu stellen                uns in der Politischen Theorie und wollen mit
                                                              unseren Überlegungen zu einer Weiterentwick-
                                                              lung der politisch-ökologischen Dimension von
6  Diese Argumentation findet sich auch bei Giddens           Care beitragen.
(1984), der bereits Mitte der 1980er Jahre auf die Duali-
                                                                  Im nächsten Kapitel umreißen wir zunächst
tät der Struktur hinwies: Gesellschaft konstituiert sich
über menschliches Handeln, das sowohl als strukturiert
                                                              kurz unsere theoretische Verortung in der kriti-
als auch als strukturierend zu begreifen ist.
7 Denn Caring ist nicht per se immer harmonisch oder          8  Vgl. zur Care-Krise, die Ausführungen im Care-
nachhaltig, sondern kann unter bestimmten Bedingun-           Manifest (https://care-macht-mehr.com/), zur Krise
gen auch gewaltvolle Züge annehmen.                           des Reproduktiven (Biesecker/Hofmeister 2006).

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Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

schen Politischen Theorie. Wir begründen an-                 meinsamen Aufsatz mit Fisher (1990) all jene
schließend in Kapitel 3 zentrale Ausgangspunk-               Tätigkeiten als Care bezeichnet, die wir tun, um
te unserer weiteren theoretischen Überlegungen.              unsere Welt zu erhalten, zu reparieren und so
In Kapitel 4 entfalten wir die konzeptionellen               weiter zu entwickeln, damit wir so gut wie mög-
Eckpfeiler und Schlüsselbegriffe unserer poli-               lich in ihr leben können. Zu dieser Welt gehö-
tisch-ökologischen Theorie von Care und veran-               ren für Fisher und Tronto nicht nur wir und
schaulichen ihre Bedeutung für die politische                unsere Körper, sondern auch unsere Umwelt
Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse              alles verwoben in und zu einem komplexen,
am Beispiel des Kampfes um den Hambacher                     lebenserhaltenden Netz (Fisher/Tronto 1990:
Forst (Kapitel 5). Wir geben im letzten Kapitel              40, Tronto 1993: 103).
6 einen kurzen Ausblick.                                         Uns als Autorinnen geht es um die Neu-
                                                             Konzeptualisierung des ontologischen Funda-
                                                             ments von und für Politik. Laut Vosman richtet
2. Warum sprechen wir von einer                              eine Politische Theorie von Care ihre Aufmerk-
   Politischen Theorie von Care im                           samkeit auf Beziehungen, Emotionen und kon-
                                                             krete Alltagskontexte (2016: 42f.). Wir gehen
   Allgemeinen und von der poli-                             darüber hinaus und beziehen in unseren Aus-
   tisch-ökologischen Theorie von                            führungen die Politische Theorie von Care, wie
   Care im Besonderen?                                       Vosman und Conradi sie verstehen, auf gesell-
                                                             schaftliche Naturverhältnisse und damit auch
 On the most general level, we suggest that caring be
viewed as a species activity that includes everything that   auf alle nicht-menschlichen Welten.9 Das beste-
we do to maintain, continue, and repair our world so         hende kapitalistische System, das auf permanen-
that we can live in it as well as possible. That world       tem Wachstum, Produktivkraftsteigerung und
includes our bodies, our selves, and our environment, all    Beschleunigung beruht, vereinnahmt einerseits
of which we seek to interweave in a complex, life-           unbezahlte und/oder schlecht bezahlte Care-
sustaining web (Fisher/Tronto 1990: 40, zit. n.              Akti it ten, be tet sie sorglos a s nd k m-
Tronto 1993: 103).                                           mert sich nicht um die Wiederherstellung der
Im kontinuierlich breiter und dynamischer wer-               Basis.10 Damit erschwert es andererseits gleich-
denden Diskurs um Care lassen sich drei unter-               zeitig sorgende Grundhaltungen. Denn vielfach
schiedliche Diskursstränge identifizieren, die               verunmöglichen die vom System generierten
den Care-Begriff in seiner ökonomischen, ethi-               Zwänge ein Caring with, ein Sich-in-Beziehung-
schen und politischen Bedeutung fokussieren.                 setzen und fördern und erfordern Grundhal-
Alle Diskurse sind miteinander verwoben und                  tungen, die eben das Relationale als ontologi-
nicht voneinander zu trennen. Mit unserem                    sche Realität leugnen (vgl. dazu das Interview
Beitrag verorten wir uns im Diskursstrang zur                mit Hartmut Rosa 2018: 94). Die Grausamkei-
politischen Transformation und schließen dabei
neben Puig de la Bellacasa vor allem an die Ar-              9  Wir schließen mit unseren Überlegungen an den
beiten von Joan Tronto (1993, 2013, 2016) an,                Ausdruck more than human worlds von Puig de la Bel-
die Care als transformative politische Praxis                lacasa (2017) an, wohl wissend, dass die Frage der
versteht. Der Transformationsanspruch richtet                Grenzziehung und Unterscheidbarkeit schwierig ist
sich an den Aufbau von caring democrac[ies]                  (vgl. z.B. Hybridnatur bei u.a. Haraway (1995) oder
(Tronto 2013). Das von Tronto eingebrachte                    implosive holism bei Morton (2017) und fokussieren auf
                                                             die Frage nach der Gestaltung der (Verantwortung für
 caring with als neuer Begriff hat uns inspiriert,
                                                             die) Qualität der Mensch-Nichtmensch-Relationen.
über Politik in einem nicht-anthropozentrischen              10 Dieser Aspekt ist zentral für die sozial-ökologische
Rahmen nachzudenken. Denn Tronto hat von                     feministische Ökonomik und von vielen Kolleg_innen
Anfang an Care nicht nur auf menschliche Be-                 herausgearbeitet worden; vgl. dazu exemplarisch Benn-
ziehungen beschränkt, sondern in einem ge-                   holdt-Thomsen et al. (1983).

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 1                                                         11
Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

ten etwa, die Tieren und Menschen in der in-            3. Ausgangspunkte für eine poli-
dustriellen Fleischproduktion widerfahren, sind
                                                           tisch-ökologische Theorie von
ein Beispiel dafür. Zunehmend richtet sich in
Analysen nun der Blick auch auf die Arbei-                 Care
ter_innen in den Produktionsverhältnissen: Es             It matters what stories we tell to tell other stories with;
sind in der Regel schlecht bezahlte Arbei-              it matters what concepts we think to think other concepts
ter_innen aus der europäischen Peripherie (z.B.         with (Haraway 2016: 118).
Rumänien), die nach Deutschland migrieren,              Die Arbeit an einer politisch-ökologischen The-
um Schlachtarbeiten zu übernehmen, die sonst            orie von Care, die Antworten auf diese Fragen
niemand machen möchte und die den Gestank,              gibt, steht am Anfang. Bei unseren ersten Über-
Schreie, Panik und Angst der Tiere aushalten            legungen zur Begründung der Zusammenhänge
müssen und selbst davon krank werden (vgl.              leitet uns das vorangestellte Zitat von Donna
Honnigfort 2014; Ulrich 2018).                          Haraway auf zweifache Weise: Erstens ruft es
    Im härter werdenden Kulturkampf, in dem             uns die Wirkmächtigkeit begrifflicher Ordnun-
Caring with-Praxen sich bewegen müssen, geht es         gen ins Bewusstsein. Es bedarf einer Umwäl-
um nicht weniger als um die Leugnung und                zung einiger bestehender Konzepte und Begriff-
Bekämpfung von Mitgefühl, Sorge für einander            lichkeiten wie beispielsweise der Idee des auto-
und für die mehr als menschlichen Welten, in            nomen Menschen-Subjekts, das die Vormacht-
die wir eingebettet und von denen wir durch-            stellung des Menschen auf der Erde begründet,
drungen sind. Die instrumentelle Logik eines            eines Verständnisses von Evolution als Kampf
auf stetige Optimierung und Effizienzsteigerung         ums Überleben wie es seit Darwin die gesell-
setzenden Neoliberalismus gipfelt dabei in Tei-         schaftlichen, ökonomischen und wissenschaftli-
len bereits in einen sozial-ökologisch zerstöreri-      chen Diskurse prägt. Zweitens macht Haraway
schen Neofaschismus, wie wir ihn derzeit in             damit klar, dass die Konzepte, in denen wir uns
Brasilien erleben. Die Politische Ökologie, wie sie     bereits bewegen, nicht einfach durch neue er-
sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat          setzt werden können. Der Hinweis, dass wir
(vgl. stellvertretend Perreault et al. 2015), macht     Konzepte mit Konzepten denken, Geschichten
genau solche Konflikte und Kämpfe um eine               mit Geschichten erzählen usf., beinhaltet auch
Demokratisierung gesellschaftlicher Naturver-           das Bewusstsein darüber, dass unsere Konzepte
hältnisse zum Ausgangspunkt. Sie fragt, wer             und Geschichten historisch situierte sind und
von welchen Maßnahmen profitiert, wer die               wir aus genau dieser Situation heraus anfangen
Last trägt, ergreift Partei für die Marginalisierten    und weiterdenken müssen. Wir schließen im
und verbindet in der Analyse und der Erarbei-           Folgenden zunächst an die Dualismus- und
tung von Transformationsstrategien individuel-          Subjektkritik an.
le, strukturelle und symbolische Ebenen. Mit
unserer Frage danach, welche Rahmenbedin-
gungen es braucht, damit Caring with sich in            3.1 Dualismus- und Subjektkritik
seinen nachhaltigen Qualitäten entfalten kann,            In der Transformationsdebatte setzen sich alte Ratio-
erweitern wir das Spektrum der Politischen              nalitätsmuster fort. […] Sie erscheinen in der Morgenrö-
Ökologie.                                               te der Moderne […] und sind bis heute wirkmächtig
                                                        (Biesecker/von Winterfeld 2013: 160).
                                                        Damit Transformationsdiskurse und -pfade eine
                                                        sozial-ökologische, demokratische und emanzi-
                                                        patorische Richtung einschlagen (können), ist es
                                                        notwendig, dass bereits in der Krisendiagnostik
                                                        auch auf vorhandene Erkenntnisse kritischer

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Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

Forschung zurückgriffen wird, insbesondere auf             Entwicklung von Hybridsorten Umbewertun-
die feministische Kritik am:                               gen und Abwertungen stattfinden: Sich selbst-
      westlich-abendländischen Erkenntnis-modell, das      regenerierendes Saatgut wird in der modernen
auf hierarchischen Trennungsverhältnissen be-              Pflan en cht ng als primiti        nd als rohes
ruht, wonach die Wirklichkeit entlang dualisti-            A sgangsmaterial konstr iert, das nicht mehr
scher geschlechterkonnotierter Gegensatzpaare              aus sich heraus reproduzierbare Hybridsaatgut
sortiert wird und eine Herrschaftsmatrix konsti-           wird jedoch aufgrund seiner züchtungstechni-
tuiert. Das weiblich Konnotierte (wie z.B. auch            schen Herstellbarkeit als fortschrittlich oder
Natur und alles Naturnahe) wird in dieser Logik               erbessert dargestellt. Damit ird eine kreati-
abgewertet (vgl. stellvertretend Merchant 1987;            ve Natur bzw. werden Orte der schöpferischen
Braidotti 2013; Plumwood 1991);                            Erneuerung in einen passiven Ort verwandelt
      Subjekt der Moderne, das autonom, rational,          (Shiva 1995: 40). Pflanzlicher Samen verliert
souverän und unabhängig entworfen ist. Von                 damit seinen Status als vollständige, sich selbst
feministischer und postkolonialer Kritik sind              erneuernde Natur (natura naturans), denn die
insbesondere jene Prozesse der Identitätsbil-              daraus erwachsenden Pflanzen tragen keinen
dung problematisiert worden, die Identität über            potenziell keimenden Samen mehr. Die Klein-
hierarchisierende Aus- und Abgrenzung herstel-             bäuer_innen verlieren durch dieses sterile Saat-
len.11 Charakteristisch für solche othering-Prozesse       gut, die Möglichkeit einen Teil der Ernte als
ist, dass im Sinne der dualistischen Herrschafts-          Saatgut für die nächste Pflanzsaison zurückzu-
logik das nicht zur Identität Gehörige als das             halten und geraten in die Abhängigkeit von
fremde Andere abgewertet, unterdrückt, verein-             Agrarkonzernen. Den Pflanzen selbst wird die
nahmt oder verdinglicht wird, was mit Blick auf            Möglichkeit zur Vermehrung genommen. Ein
Natur deren Vernutzung und destruktive Ex-                 zentrales Merkmal von lebendiger Natur, sich
ploration erleichtert (vgl. Spivak 1988; Plum-             aus sich selbst zu erneuern, wird damit zerstört.
wood 1991; von Winterfeld 2006);                           Herkömmliches Saatgut wird so zum bloßen
      darauf rekurrierenden Wirtschaftsmodell,             passiven Rohstoff für die Produktion einer
das Natur sowie die soziale Reproduktionsarbeit            marktfähigen Ware, dem Hybridsaatgut, abge-
als kostenlose und dauerhaft verfügbare Res-               wertet. Nur diejenigen natur(re)produktiven
sourcen betrachtet, zugleich aber aus der öko-             Eigenschaften erfahren sozio-ökonomische
nomischen Bewertung ausklammert und die                    Anerkennung, deren Ausbeutung Profit ver-
sozialen und ökologischen Folgekosten zu Las-              spricht oder/und für die grenzüberschreitende
ten der Allgemeinheit, einzelner Gruppen und               Märkte geschaffen werden können. Damit ein-
zukünftiger Generationen externalisiert, und das           her geht auch eine Nicht-Anerkennung und
mit seinem Fokus auf Gewinnmaximierung,                    Entwertung all der naturnahen Arbeiten und
Verwertung und Leistungsoptimierung alles                  derjenigen, die sich bisher um das Saatgut ge-
nicht Zweckdienliche ausschließt (vgl. stellver-           kümmert haben        und das sind mehrheitlich
tretend Biesecker/Hofmeister 2006).                        Frauen (vgl. Katz et al. 2004; Inhetveen 2004;
    Die vielfältigen Folgen der dualistischen              Katz/Mölders 2013). Die Arbeitsbereiche züch-
herrschaftsförmigen Trennungsmatrix für die                tungstechnischer Innovationen sind hingegen
gesellschaftlichen Naturverhältnisse sind von              stark männerdominiert bzw. kulturell männlich
feministischer Seite an den unterschiedlichsten            assoziiert.
Beispielen gezeigt worden. So kritisierte Vanda-               Neben der gerade beschriebenen Dualis-
na Shiva bereits 1995, dass im Kontext der                 muskritik bildet die Subjektkritik für uns einen
                                                           entscheidenden Ausgangspunkt für eine Neu-
                                                           ausrichtung von Konzepten, zentralen Begriffen
11   Ebenso kritisiert wurde (und wird) die Vorstellung
     von Identität als abgeschlossene Entität (vgl. z.B.   und Praktiken sozial-ökologischer Transforma-
     Butler 1991; Bhabha 2000).

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Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

tion. Die feministische Kritik am Entwurf des                    Was bedeutet diese Kritik nun mit Blick auf
Subjekts ist vielfältig. Sie bezieht sich zum einen          die Frage nach einer Gestaltung von gesell-
auf Aspekte, die mit einer Herausbildung zu                  schaftlichen Naturverhältnissen und für eine
Beginn der Moderne zusammenhängen, und                       politisch-ökologische Theorie von Care?
insbesondere seine epistemologische Verfasst-                    1) Zunächst ist davon die Frage berührt, wie
heit, die darauf fußenden Identitäts-                        Natur konzeptualisiert wird als Subjekt oder
konstruktionen sowie den Anspruch einer exis-                als Objekt und welche Folgen damit für Care
tierenden intersubjektiven und adressierbaren                als Haltung und Praxis verbunden sind. Bei-
Identität betreffen (vgl. Plumwood 1991;                     spielsweise prägt die Vorstellung von Natur als
Braidotti 2013). Die Kritik bezieht sich jedoch              einer wilden, gewaltigen unberechenbaren,
zum anderen auf eine postmoderne Position,                   gleichermaßen jedoch fürsorglichen, ernähren-
die sowohl die Existenz eines erkennenden Sub-               den bzw. potenten, mitgestaltenden, dem Men-
jekts ablehnt, als auch die eines Subjekts, das              schen quasi wesenhaft gegenübergestellten Sub-
praktische (z.B. moralische) Ansprüche stellt.               jektnatur die Gesellschafts-Natur-Beziehungen
Während im letztgenannten Fall das Subjekt                   auf andere Art und Weise, als Verständnisse
(wie auch das Objekt) im Diskurs verschwindet,               von Natur als ein funktionales organismenloses
versteht die erstgenannte Konzeptualisierung                 Energie- und Stoffflusssystem (z.B. als CO2-
den Menschen als frei und unabhängig. Von                    Senke, Luftfilter, Ressourcenlager) bzw. als
seinem Willen und seiner Vernunft hängen auch                Nutz- oder Optimierungsobjekt, das von außen
alle Nichtmenschen ab. Diese werden damit zu                 kontrolliert und gesteuert werden muss (vgl.
Objekten, mit deren Hilfe das menschliche Sub-               Katz/Winterfeld 2006). Natur als verdinglichtes
jekt seine praktischen Ziele zu erreichen ver-               Funktionssystem, wie sie in den Schutz-
sucht. Aus feministischer Sicht ist jedoch auch              /Nutzungsdebatten und in vielen naturwissen-
das unkritische Pochen auf Differenz und das                 schaftsbasierten Diskussionen zu Nachhaltigkeit
reflexhafte Anerkennen jedweder Andersartig-                 aufscheint, trägt zudem die Gefahr der unzuläs-
keit mit großer Vorsicht zu genießen. Nancy                  sigen Reduzierung in sich mit weitreichenden
Fraser (1996: 206f.) hat bereits Ende der 2000er             Konsequenzen für die gesellschaftlichen Natur-
Jahre dazu aufgerufen, differenziert zu untersu-             verhältnisse: Gemessen in Substanz- und Ener-
chen, welche Identitätsansprüche in der Vertei-              gieflüssen, reduziert auf den Funktionserhalt
digung sozialer Beziehungen der Ungleichheit                 sowie auf Informationen, bei denen Struktur-
und Herrschaft zum Ausdruck kommen und                       und Qualitätsmerkmale an Bedeutung verlieren,
welche für bzw. gegen eine Demokratisierung                  wird Natur ort-, arten- und körperlos (vgl.
arbeiten. Denn Subjekt-positionen und die da-                Jungkeit et al. 2002). Dies erleichtert es, sie einer
mit verknüpften Identitäten sind immer das                   allumfassenden Kontrolle zu unterstellen im
Produkt von Herrschafts-beziehungen, d.h. sie                Dienst einer absoluten Verwertungslogik. Denn
werden von gesellschaftspolitischen Machtkons-               mit dem Schutz dieser Funktionen rückt auch
tellationen konstituiert.12                                  alles, was potenziell ökonomisch nutzbar ge-
                                                             macht werden kann, in den Vordergrund des
                                                             Schutzinteresses (z.B. die Hotspots der Bio-
12    Feministische Subjektkritik steht damit in einem       diversität, die geographisch vor allem rund um
     nahezu unauflöslichen Spannungsverhältnis von Dif-      den Äquator verteilt sind). Care wird in dieser
     ferenzbezug einerseits und dessen (vollständiger)       Lesart von Natur zu einer Schutzpraxis, die
     Auflösung andererseits (vgl. u.a. Cornell 1991; Baer
     2013: 55): Die Forderung nach gleichwertiger Aner-      dringend erforderlich ist, um in fürsorglicher
     kennung und Teilhabe bedient sich des Bezugs auf        Manier die Hand über eine ausgebeutete Ob-
     eine Gruppe und den Verweis auf ein geteiltes (Dis-     jektnatur zu halten, d.h. bestimmte, als schüt-
     kriminierungs-)Schicksal und gemeinsame Merkmale.
     Zugleich geht es jedoch genau darum, solcherart Re-     zenswert festgelegte Zustände von Natur zu
     duktion zu vermeiden.

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Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

konservieren. Ein solches auf Zustands-, Arten-          (Steinen, Viren, Gewässern?) ist jedoch unklar
bzw. Objektschutz bezogenes Verständnis von              und wird kontrovers diskutiert und behandelt
Care wird von einigen feministischen For-                (vgl. Weber 2007).
scher_innen äußerst kritisch betrachtet, da                  2) Zweitens gehen allerdings mit der feminis-
  dadurch sowohl die Schutz-Nutzen-Dichotomie als        tischen Kritik am Subjektentwurf der Moderne
auch der herrschaftliche Umgang mit Natur/en nicht       die Adressat_innen der politischen Naturgestal-
nur nicht überwunden, sondern womöglich sogar manifes-   tung und diejenigen verloren, die Care als Hal-
tiert (Hofmeister/Mölders 2017: 66) werde.               tung und Handlungspraxis betreiben: Wer kann
Allerdings wird hier eine Konstruktion von               als handelndes und verantwortliches Subjekt
Natur als unabhängig vom Menschen zugrunde               bestimmt, adressiert und kritisiert werden, wenn
gelegt und damit von vornherein die dualisti-            das Subjekt grundsätzlich als fluide und kontin-
sche Trennung zwischen Natur-Kultur weiter               gent gilt? Wie können dann Unterschiede jen-
aufrechterhalten. Die genannte Problematisie-            seits kategorialer Zu- oder gar Festschreibungen
rung entspricht auch einem Konzept von Care,             beschrieben werden? Und wie sieht dann ein
das die Asymmetrie der Beziehungen zum Aus-              kollekti es, politikrele antes Wir a s? Das
gangspunkt der Kritik macht, und mit der Kon-            sind Fragen, die bereits herausforderungsreich
zeption von Care-Taker und Care-Giver ebenfalls          sind, wenn man lediglich an den Menschen und
stets dualistisch angelegt ist (vgl. ebd.: 69ff.) und    seine sozialen Interaktionen denkt. Die Kom-
Interdependenzen ausblendet.                             plexität und Schwierigkeiten vergrößern sich
     Natur in der Vorstellung als wildes eigen-          jedoch um ein Vielfaches, bezieht man die
ständiges, selbstregenerierbares potentes Sub-           nicht-menschlichen Welten in diese Überlegun-
jekt, mit dem wir Menschen unabdingbar (weil             gen ein. In den nachfolgenden Absätzen setzen
relational entworfen) verwoben sind, hat völlig          wir uns etwas genauer damit auseinander.
andere Bezugspunkte zu Care. Fürsorge meint
hier, für Bedingungen zu sorgen, Verhältnisse
zu schaffen bzw. zu erhalten, die es ermögli-            3.2 Ansätze und Bezüge aus der
chen, dass auch bestimmte nicht-menschliche              Forschung um Natur und Care
Bereiche sich selber berlassen bleiben, sein
und sich ohne Einmischung und Steuerung von               Unsere wissenschaftliche Analyse muss relational sein,
                                                         indem sie die Verhältnisse an einem Ort der Welt mit
außen entwickeln können. Es ist bezogen auf
                                                         denen an anderen Orten zusammendenkt. Und ebenso
Naturschutz das, was wir unter Wildnis verste-           relational muss unsere politische Aktion sein, indem sie
hen, es sind aber auch wirtschaftsorientierte            das Handeln der Akteure an einem Ort der Welt mit
Praktiken angesprochen, die einen prozessorien-          dem von Akteuren an anderen Orten zusammenbringt.
tierten Ansatz (ökologische Waldwirtschaft, vgl.         Anderes Denken und anderes Handeln entstehen nicht
Sturm 1993) oder ein solidarisches Wirtschaften          aus sich selbst heraus, sondern nur aus dem Austausch
mit einem Caring with Natures-Ansatz (biologi-           und in der Auseinandersetzung mit dem Denken und
sche Landwirtschaft, artgerechte Tierhaltung,            Handeln anderer (Lessenich 2018: 7).
vgl. Well/Gradwell 2001; Curry 2002; Puig de la          Ausgehend von der Kritik an der androzentri-
Bellacasa 2017: 169ff.) verfolgen. Die Anerken-          schen Trennungsmatrix der Moderne mit ihrer
nung von Naturen als (relationales) Subjekt              Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft,
beinhaltet stets auch das Akzeptieren von                von Subjekt und Objekt gab (und gibt) es etli-
Nichtwissen bzw. die Grenzen der Erkennbar-              che Anstrengungen, die dualistische Ordnung
keit und des Verstehens des subjekthaften Ge-            zu überwinden und Brücken zwischen den als
genübers. Welchen Naturen Subjektstatus zuer-            Gegensatzpaare entworfenen Kategorien herzu-
kannt werden kann/soll (Pflanzen, Tieren, aber           stellen: Beispielsweise haben vor mehr als 25
auch Bakterien? Pilzen?) und welchen nicht               Jahren Ökofeministinnen wie Val Plumwood
                                                         (1991) mit dem auf Gilligans Ethics of Care

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 1                                                      15
Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

(Gilligan 1982) fußenden Konzept des Self-in-            politisch-ökologischen Theorie zu Care und
Relationship eine Alternative entworfen, in der          ihren Schlüsselbegriffen, auf die wir im Folgen-
die Verbindung zwischen allem, was organisch             den etwas genauer eingehen, bauen auf diesen
und anorganisch mit Leben zusammenhängt, in              auf.
den Mittelpunkt rückt. Die Idee der relationa-
len, interdependenten Verbundenheit aller We-
sen und aller Naturen findet sich auch in den            4. Schlüsselbegriffe und konzepti-
Philosophien und Traditionen zahlreicher Kul-               onelle Eckpfeiler einer poli-
turen außerhalb der westlichen Welt (vgl. z.B.
Shiva 1989). Sowohl in Ecuador als auch in                  tisch-ökologischen Theorie von
Bolivien hat die Natur den Status eines Rechts-             Care
subjekts erlangt durch die Aufnahme indigener             Kein Gemeinsames ist möglich, sofern wir uns nicht
Konzepte wie dem Buen Vivir (dem guten Le-               weigern, unser Leben und unsere Reproduktion auf dem
ben für alle im Einklang mit der Natur). In ex-          Leid anderer zu gründen und uns als von ihnen getrennt
pliziter Auseinandersetzung mit dem Naturbe-             wahrzunehmen (Federici 2012: 100).
griff des abendländischen Rationalismus wird
damit ein anderes Verständnis von Natur in die
Politik eingebracht (vgl. z.B. Acosta 2009;              4.1 Ontologische Relationalität
Gudynas 2009). Neuere und vielfältige Arbeiten             als Dreh- und Angelpunkt
von sog. Posthumanist_innen (vgl. z.B. Braidot-
                                                         Unserer Argumentation für eine politisch-
ti 2013; Haraway 2016; Puig de la Bellacasa
                                                         ökologische Theorie von Care liegt ein relationa-
2017) befassen sich mit einer anderen philoso-
                                                         ler Subjektbegriff zugrunde, der mit dem Wis-
phischen Genealogie          einer Genealogie, die
                                                         sen um die Verletzlichkeit aller Daseinsformen
  die Beziehungen von Menschen zur Natur […] be-
                                                         und -zustände die verschiedenen Formen des
rücksichtigt, ohne den Menschen selbst ins Zentrum zu
                                                         Angewiesenseins berücksichtigt, sie aber gleich-
rücken (Janicka 2017: 22; vgl. auch Chimaira
                                                         zeitig als eingebettet in und strukturiert durch gesell-
2011; Donaldson/Kymlicka 2011; Koechlin/
                                                         schaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse betrach-
Battaglia 2012; Sezgin 2016; Irigaray/Marder
                                                         tet (Conradi 2016: 85).
2016). Auch in den Naturwissenschaften (Bio-
logie, Medizin, Quantenphysik) werden seit                Relationships are not something extrinsic to who we
                                                         are, not an add on feature of human nature; they play
etlichen Jahren Ansätze diskutiert, die von einer
                                                         an essential role in shaping what it is to be human
umfassenden Verbindung der Lebenselemente                (Warren 1990: 143, zit. n. Plumwood 1991: 20).
ausgehen. Die Grundlage des stofflichen Le-
                                                         Ontologische Relationalität          den Ausdruck
bens wird nicht in mikroskopisch kleinster Sub-
                                                         übernehmen wir von Rosi Braidotti 2013 be-
stanz gesehen, sondern als dynamisch, im dau-
                                                         deutet: Die Vorstellung vom Menschen und der
ernden Wandel begriffen (vgl. Feyerabend 2009;
                                                         Natur als in sich geschlossene, voneinander
Dürr 2011). Neomaterialistinnen wie Karen
                                                         abgetrennte Entitäten ist eine Illusion. Erkennt-
Barad (2017) nehmen Abstand von der Idee
                                                         nisse aus der Quantenphysik (Bohr, Dürr), phi-
abgeschlossener Entitäten und betonen statt-
                                                         losophische (Feyerabend, Butler, Warren, A.
dessen die Relationalität der unentrinnbar mit-
                                                         Weber, Plumwood, Barad) und psychologische
einander verwobenen materiell-diskursiven
                                                         Ansätze (Gilligan) legen nahe, dass wir sowohl
Phänomene. Auch der Biologe und Philosoph
                                                         als Menschen untereinander, aber auch mit der
Andreas Weber (2016) liefert mit seinem Kon-
                                                         nicht-menschlichen organischen und anorgani-
zept Enlivenment Bausteine für ein Theoriemo-
                                                         schen Natur unausweichlich verbunden, radikal
dell lebendiger Beziehungen jenseits toter Mate-
                                                         relational sind. Das heißt jedoch nicht, dass
rie der Moderne. Unsere Überlegungen zu einer
                                                         damit zugleich Unterschiede zwischen den rela-

16                                                Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2019, Volume 1
Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

tionalen Daseinsformen und -zuständen geleug-                 als eine deskriptive oder historische Tatsache unserer
net werden. Wir sind selbstverständlich mit mit               Formierung, sondern auch als eine dauerhaft normative
uns zusammenlebenden Menschen physisch,                       Dimension, in der wir gezwungen sind, uns über unsere
psychisch, emotional und geistig anders verwo-                wechselseitigen Abhängigkeiten klarzuwerden (Butler
ben als mit räumlich weit entfernten, uns nicht               2012: 44; Herv. DG./C.K.).
bekannten, mit Haustieren mehr, als mit den in                Ontologische Relationalität anzuerkennen, be-
völlig anderen Gefilden vorkommenden Wild-                    deutet, sich der damit einhergehenden Interde-
tieren. Und es gibt nicht-menschliche Welten,                 pendenzen, des aufeinander Angewiesenseins
die wir meiden, ablehnen oder sogar bekämp-                   und der grundsätzlichen Verletzlichkeit allen
fen, wie beispielsweise Bakterien oder Insekten,              Daseins deutlich bewusst zu werden. Es bedeu-
die lebensbedrohliche Krankheiten übertragen.                 tet, Caring für sich und andere als essentialisti-
Die Qualität der Relationalität ist von vielerlei             sche Notwendigkeit zu begreifen, als etwas, das
Faktoren abhängig, u.a. von der Betrach-                      wir alle lebensphasenabhängig und unterschied-
ter_innen-Perspektive (wer beurteilt aus welcher              lich intensiv ausüben aber auch annehmen müs-
Perspektive das Verhältnis), von Vertrautheit,                sen.
vom Grad des Angewiesenseins, von der be-                         Neben das relationale Sein tritt damit auch
wussten Reflexion von Relationalität als Tatsa-               ein Sollen, eine dauerhaft normative Dimension ,
che, vom Wissen über die Interdependenzen                     wie Butler es nennt, das einer entsprechenden
und nicht zuletzt von den gesellschaftlichen                  ethischen Rahmung für die Praxis bedarf. Diese
Machtverhältnissen. Denn eine relationale Sub-                Praxis des Sich-bewusst-Werdens und In-
jekt-konzeptualisierung bedeutet nicht Macht-                 Beziehung-Setzens zu den eigenen Bedürfnissen
freiheit.                                                     und Gefühlen und zu anderen Menschen aber
    Der Ansatz einer radikalen ontologischen                  auch zu nicht-menschlichen Welten               muss
Subjektrelationalität sprengt also zwar das dua-              geübt und reflektiert werden. Die Frage, wie
listische Subjekt-Objekt-Trennungs-verhältnis.                sichergestellt werden kann, dass Caring-Prozesse
Er zeigt uns jedoch nicht, wie wir diese Relatio-             von allen Beteiligten als befriedigend erlebt
nalitäten gestalten sollen oder wie wir mit den               werden, bleibt daher zentral (vgl. Conradi 2016:
dabei auftretenden Widersprüchen und Ambi-                    85f.).
valenzen umgehen können oder sollten, wie wir                     Wie kann man nun aber gesellschaftliche
das Ideal der Autonomie als änderungs- bzw.                   Naturverhältnisse und diesbezüglich Politik
ergänzungs-bedürftig kritisieren können, ohne                 gestalten (z.B. auch Herrschaftskritik üben),
es vollends aufzugeben. Bereits an anderer Stelle             wenn das adressierbare Subjekt bzw. Gestal-
(vgl. Gottschlich/Katz 2018) haben wir in die-                tungsobjekt so nicht mehr abgrenzbar ist, son-
sem Zusammenhang auf Judith Butler verwie-                    dern nur in seiner Relationalität zu anderen oder
sen, die fragt:                                                    darüber hinausgehend                zu nicht-
                                                              menschlichen Daseinsformen existiert? Bisher
  Gibt es eine Möglichkeit, wie ich in vielen Bereichen für
Autonomie kämpfen, aber auch die Forderungen13 be-            laufen die politischen Prozesse und Mechanis-
rücksichtigen kann, die uns auferlegt werden, weil wir in     men über eine identitätsorientierte Adressierung
einer Welt von Wesen leben, die per definitionem phy-         von Menschen bzw. von spezifischen sozialen
sisch voneinander abhängig sind und wechselseitig phy-        Gruppen als handelnde Subjekte oder Kollekti-
sisch verletzbar sind? […] Diese Art, sich Gemein-            ve. Was bedeutet relationale Subjektivität für
schaft vorzustellen, bejaht die Relationalität nicht bloß     das Verständnis von Care und Caring with Natu-
                                                              re/s? Wie können beispielsweise Caring-Prozesse
13    Diese Forderungen beziehen sich auf die Dispo-          als befriedigend erlebt werden, wenn Beteiligte
     niertheit des menschlichen körperlichen Selbst au-       sich nicht (mehr) verbal äußern können oder
     ßerhalb seiner Selbst, d.h. auf das Angewiesensein       noch nie konnten?
     auf Andere aufgrund von Sterblichkeit, Verwundbar-
     keit und zeitweiliger Handlungsunfähigkeit.

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 1                                                         17
Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

4.2 Relationale Identitätsbildung,                                 Herausbildung von Identität wirkt fundamental
                                                                   auf diese durch Abgrenzung und Trennung
  Naturgestaltung und Caring
                                                                   generierte Art der Identitätskonstruktion. Sie
Der Vorstellung einer geteilten weiblichen Iden-                   erfordert demgegenüber eine Orientierung an
tität aufgrund gemeinsamer Diskriminierungs-                       Praktiken, die Unterschiedsbildung als Bestand-
und Ungleichheits-erfahrungen als Basis für                        teil einer einbindenden, kontextabhängigen,
politisches Handeln wurde bereits vor mehr als                     kontingent materiell-diskursiven und ethisch
30 Jahren eine Absage erteilt (vgl. z.B. hooks                     gerahmten Praxis begreifen, die Kollektivität
1985; Assmann 1998; Johnson Reagon 2000).                          nicht grundsätzlich in Frage stellen, ohne jedoch
Was daraus für die Artikulation gemeinsamer                        (kategoriale) Differenzen einzuebnen oder zu
politischer Forderungen bzw. Kritik folgt, ist bis                 ignorieren. Mit Blick auf das gesellschaftspoliti-
heute einer der strittigsten Diskurse in der fe-                   sche Handeln ist das noch halbwegs vorstellbar.
ministischen (Forschungs- und Bewegungs-                           Denn dies ist von Pluralität aber auch von Kol-
)Szene (vgl. z.B. Hark 2013). Die Kritik an der                    lektivität bestimmt. Mit Blick auf die Wechsel-
Identitätspolitik lässt sich auch auf andere Be-                   beziehungen15 mit nicht-menschlichen Daseins-
reiche übertragen, wie z.B. Immigration oder                       formen bzw. der Vorstellung ontologischer
eben den Umgang mit Natur/en. Dass und wie                         Relationalität wird es schwieriger. Schwierig
wir als Gesellschaft unsere Naturbeziehungen                       zum einen deswegen, weil die epistemologische
gestalten, ist eng verbunden mit einer Identi-                     Verfasstheit, begriffliche Fassung und Eingren-
tätsvorstellung, die auf der Grundlage des oben                    zung dessen, was und wer dann als handelndes
skizzierten und von uns kritisierten modernen                      Subjekt mit welcher Verantwortung wofür zu
Subjektentwurfs fußt. Es stellt sich nun die Fra-                  bezeichnen ist, kompliziert ist.16 Schwierig aber
ge, wie sich Identitätskonstruktionen (als Vo-                     zum zweiten auch, weil selbst, wenn Natur-
raussetzung für politisch adressierbare Gestal-                    Mensch-Gesellschaftsbeziehungen als interde-
ter_innen von gesellschaftlichen Natur-                            pendent und aufeinander bezogen verstanden
beziehungen) auf der Basis einer relationalen                      werden (vgl. Becker/Jahn 2006), ein solches
Subjektkonzeption ändern und was das für Care                      Verständnis von Natur- und Umweltkontexten
als politisch-ökologische Transformationspraxis                    als durchweg sozial-ökologische Handlungsfel-
bedeutet.                                                          der nicht notwendigerweise mit einem relationa-
    Als Ergebnis des oben skizzierten Tren-                        len Identitätsverständnis einhergehen muss.17
nungsparadigmas wird Identität über eine in                        Aber was bedeutet es, bei der Betrachtung ge-
gesellschaftliche Machtverhältnisse eingebettete                   sellschaftlicher Naturverhältnisse konsequent
Verhältnisbestimmung aus Gemeinsamkeiten                           von einem relationalen Gestaltungssubjekt aus-
und Unterschieden hergestellt, die nie abge-                       zugehen?
schlossen ist.14 Es finden dabei dauernd neue                          Es bedeutet zunächst sich genau dieser Rela-
und andere Grenzziehungen zwischen dem                             tionalität und des aufeinander Angewiesenseins
Eigenen und dem Anderen statt, Grenzziehun-
gen, die machtvoll auf der symbolischen, der
individuellen und strukturellen Ebene das Zu-                      15 Nach Barad (2017) gibt es keine Beziehungen zwi-
gehörige vom Nichtzugehörigen trennen und                             schen abgrenzbaren Entitäten, weil es keine materi-
                                                                      ell-physisch und diskursiv abgrenzbaren Entitäten
das gesellschaftlich Anerkannte vom Marginali-                        gibt. Entsprechend wählt sie dafür den Begriff der
sierten scheiden. Eine auf Relationalität fußende                     Intraaktion.
                                                                   16 Man denke hier nur an Latours Akteur-Netzwerk-

                                                                      Theorie (Latour 2001) oder Haraways Hybride Na-
14    Lorde (1988) gibt zu bedenken, dass Identität als               tureCultures (Haraway 1997).
     sicherer Ort niemals erreicht werden wird, weil die           17 Der Ansatz des Frankfurter Instituts für Soziale

      Differenzen, die im Ich herumliegen, die das Ich ausmachen      Ökologie (vgl. Becker/Jahn 2006) ist eher dialektisch
     […] verhindern, dass Identität sich je runden könnte (Hark       angelegt. Über erforderliche Subjektpositionen und
     2013: 44 bezugnehmend auf Lorde).                                Identitätskonstruktionen gibt er keine Auskunft.

18                                                          Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2019, Volume 1
Gottschlich und Katz: Caring with Nature/s

bewusst zu werden und sich damit die existenti-              mit dem Fokus auf solcherart Vernachlässigun-
elle Notwendigkeit von Care als Praxis und Hal-              gen und Verwerfungen, werden Identitäts-
tung zu vergegenwärtigen. Damit verbindet sich               kategorien überschritten, und es verbindet sich
zum einen ein Fokus auf das durch den Er-                    damit die Hoffnung auf neue Koalitionen, die
kenntnisweg der Moderne Vernachlässigte,                       sich nicht in allen Fragen des Begehrens, der Überzeu-
Ausgeblendete und Abgespaltene und zum an-                   gungen oder der jeweils eigenen Identität einig sein (müss-
deren dessen aktive Berücksichtigung zur Kon-                ten) (Butler 2010: 37f.). Es handelt sich dabei
struktion von Wirklichkeit und eigener Identität.            um Möglichkeiten des kollektiven Handelns, bei
Denn die als unvereinbare Gegensätze konstru-                denen nicht eine maximale Annäherung aller
ierten Verhältnisse sind grundsätzlich und un-               Teilnehmer_innen Voraussetzung ist, sondern
auflösbar miteinander verwoben: Das Andere                   um Bündnisse, die die Gegensätze ihrer Mit-
mit dem Eigenen, das Objekt mit dem Subjekt,                 glieder produktiv und als belebend integrieren.
das Reproduktive mit dem Produktiven, das                    Hark (2013: 42), die sich auf Johnson Reagon
Emotionale mit dem Rationalen.                               (2000) beruft, sieht solcherart Allianzen als ein-
     Welche Konsequenzen sich daraus für die                 zige Alternativen für das Überleben . Es gehe nicht
politische Gestaltung gesellschaftlicher Natur-              um Komfort, Selbst-Bestätigung, Heimat und die
verhältnisse ergeben, ist noch weitgehend unbe-              Stabilisierung von Identität sondern, um harte
arbeitet. Eine wesentliche Konsequenz er-                    Arbeit, [die beinhaltet] von anderen in Frage gestellt
scheint uns, das jeweils Ausgegrenzte und Ab-                [zu] werden und sich dennoch um diese anderen [zu]
gespaltene aus der eigenen Identitätsposition in             sorgen (ebd.). In diesen Koalitionen kommt es
Zusammenhang mit sozial-ökologischen Wech-                   darauf an, das Unerwartete in die Welt zu brin-
selwirkungen sei es bezogen auf Wirtschaftli-                gen. Denn dabei wird etwas hervorgebracht, das
ches, Politisches oder Wissenschaftliches be-                vorher nicht existierte und auf einer relationa-
wusst mit einzubeziehen und im praktischen                   len, kontingenten und der jeweils anderen über-
Handeln berücksichtigen zu lernen. Dafür müs-                eigneten Identität beruht als das jederzeit an-
sen Räume geschaffen und bestehende Struktu-                 fechtbare Ergebnis von Politik (ebd.: 43).
ren umgebaut bzw. neue geschaffen werden.                         In einem solchen Verständnis von Allianzen
Die bereits erwähnten Care-Ansätze in den Be-                hätten auch nicht-menschliche Welten Platz.
reichen solidarische Landwirtschaft und ökolo-               Kollektiv zu handeln, würde dann nicht bedeu-
gische Waldwirtschaft (vgl. Well/Gradwell                    ten, bereits bestehende Differenzen zu reprodu-
2001; Curry 2002; Puig de la Bellacasa 2017;                 zieren, sondern jene Differenzen, von denen wir noch
Sturm 1993; Katz 2016) sind noch nicht als                   nichts wissen, ins Leben zu heben (ebd.).
Möglichkeitsräume für ein bewusstes Einüben,                      Was dies dann für die Frage nach der Ver-
sich als relationales Subjekt zu begreifen, analy-           antwortung des Handelns bedeutet und welche
siert worden.                                                konkreten Transformationsstrategien für die
     Statt auf eine Politik der (geteilten und damit         Praxis sich daraus ableiten ließen, müsste weiter
von anderen abgegrenzten) Identität bzw. da-                 untersucht werden. Hier sehen wir vielfältigen
rauf bezugnehmender Interessen, Ansprüche                    Forschungsbedarf.
und Haltungen zu rekurrieren, halten wir es mit                   Allerdings werden auch relationale Identitä-
Blick auf die politische Gestaltung gesellschaft-            ten weiterhin widersprüchlich sein, denn sie
licher Naturverhältnisse für zielführender, die              sind ebenfalls in Machtverhältnisse eingebun-
  differenziell verteilte Verletzlichkeit und deren Nicht-   den. Nach Gayatri Spivak (1988: 283) existiert
wahrnehmung (Hark 2013: 41), zum Ausgangs-                   keine Möglichkeit, Identitätsansprüche und -
punkt feministischer Interventionen zu machen                differenzen jenseits von gesellschaftlicher Herr-
und dies für eine nachhaltigkeitsorientierte                 schaftsordnung zu entwickeln, da jede Identi-
Transformation produktiv einzusetzen. Denn                   tätskonstruktion als Ausgangspunkt einer politi-

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 1                                                             19
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