Corona-Pandemie: Hat die Südwestwirtschaft das Gröbste schon hinter sich?
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Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021 Wirtschaft, Arbeitsmarkt Corona-Pandemie: Hat die Südwestwirtschaft das Gröbste schon hinter sich? Sebastian Debes Auch ein Dreivierteljahr nach dem Auftreten tionsgeschehen stellte sich etwa 4 Wochen der ersten Infektionen befindet sich der Süd- nach dem Hochpunkt wieder ein. Die ver westen im Bann der Corona-Pandemie. Nach gleichsweise schnelle Eindämmung im Früh- einem ruhigen Infektionsgeschehen über den jahr ist ein Ergebnis der deutlich verminderten Sommer, durchläuft Baden-Württemberg seit Mobilität und Verordnungen der baden-würt- dem Herbst 2020 die zweite Infektionswelle. tembergischen Landesregierung, durch die Glücklicherweise bewahrheiteten sich manche das öffentliche Leben heruntergefahren pessimistischen Wirtschaftsprognosen aus der wurde. Gleichzeitig zeigt die Infektionskurve Mitte des Jahres 2020 nicht, wenngleich das von März bis Mai 2020 auch, dass das Abklin- Dipl.-Volkswirt Sebastian Minus der Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 gen mehr als ein Drittel länger dauerte als der Debes ist Referent im eines der höchsten seit dem Zweiten Welt- Anstieg der Neuinfektionszahlen. Referat „Wirtschaftswissen- schaftliche Analysen, Arbeits- krieg sein dürfte. Der Einbruch in der Corona- markt, Außenhandel“ des Statistischen Landesamtes Krise fiel in etwa so stark aus wie in der Fi- Ab Mitte August 2020 entwickelte sich das In- Baden-Württemberg. nanzkrise 2008/2009, die einsetzende Erho- fektionsgeschehen seitwärts und stieg allmäh- lung war aber kräftiger. Neben dem Krisenver- lich von 10 auf 20 Infektionen, bevor ab Mitte gleich geht der nun folgende Beitrag auf die Oktober die zweite Welle begann. Von diesem Konjunkturlage im Südwesten auf Basis von Zeitpunkt dauerte es noch über 5 Wochen, bis Daten nach Ablauf der ersten 9 Monate der Mitte November mit 156 Infektionen je 100 000 Corona-Pandemie ein, soweit diese bereits Einwohner das bislang höchste kurzfristige In- zum Redaktionsschluss in der zweiten No- fektionsgeschehen gemessen wurde. Legt vemberhälfte verfügbar waren. man die Erfahrungen der ersten Viruswelle zu- grunde, so dürfte ein Abklingen der Infektio- nen auf unter 50 Infektionen nach der zweiten Welle im Dezember 2020 schwer zu erreichen Corona-Infektionen: Zweite Welle fällt sein, zumal die beschlossenen Einschränkun- im Südwesten deutlich höher aus gen bis Redaktionsschluss deutlich milder ausfielen als im Frühjahr. Das Infektionsgeschehen verschärfte sich innerhalb des 4. Quartals 2020 deutlich. Rangierte die 7-Tage-Inzidenz Mitte August1 Andere Staaten deutlich stärker betroffen in Baden-Württemberg und Deutschland noch unter 20 Neuinfektionen je 100 000 Einwoh- Gegenüber anderen Staaten fällt die Ent- ner, so gewann die Virusverbreitung im Laufe wicklung in Deutschland sehr moderat aus. des Monats Oktober deutlich an Dynamik. So verzeichneten Spanien, Frankreich und die Durch neue Einschränkungen im öffentlichen Schweiz als Spitzenreiter stark steigende In- Leben, die ab Anfang November in Kraft tra- fektionszahlen (Schaubild 1). Und auch in Län- ten, konnte die Dynamik gestoppt werden. dern im Osten Europas wie beispielsweise Allerdings bewegten sich die Neuinfektionen Polen, die glimpflich durch die erste Welle weiterhin auf sehr hohem Niveau (Baden- kamen, nahm die kurzfristige Inzidenz im Württemberg knapp 150, Deutschland leicht Herbst 2020 sehr hohe Werte an. In den USA darüber). blieb das Infektionsgeschehen über den Som- 1 Siehe Debes, Sebastian: mer auf stark erhöhtem Niveau. Mittlerweile Wirtschaftliche Entwick- Nicht nur im Niveau unterscheidet sich die befinden sich die USA in der dritten Welle, lung in Baden-Württem- berg während der Coro- zweite Welle von der Infektionsdynamik An- die deutlich höher ausfällt als die beiden na-Pandemie: Eine erste Zwischenbilanz, in: Sta- fang des Jahres 2020. So startete die expo- Wellen zuvor. tistisches Monatsheft nentielle Entwicklung im März 2020 von deut- Baden-Württemberg 9/2020., S. 4. lich niedrigeren Fallzahlen und der Anstieg Die bis zum 22. November 2020 registrierten bis zum Maximum verlief kürzer als aktuell. Gesamtinfektionen betrugen im Südwesten 2 Gemessen wird der Zeitpunkt ab dem Tag, Ebenso dauerte es im Frühjahr 3 Wochen, bis knapp 134 000. Damit haben sich die Fälle seit an dem das Infektions- geschehen einen Wert das Maximum von 70 Fällen je 100 000 Ein- dem 23. Oktober – innerhalb von 30 Tagen – von 10 je 100 000 Ein- wohnern erreicht wurde.2 Ein niedriges Infek- verdoppelt. Trotz der abgeflachten Infektions- wohnern überschritt. 29
Wirtschaft, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021 Arbeitsmarkt Kurzfristiges Corona-Infektionsgeschehen je 100 000 Einwohner seit Januar 2020 S1 in ausgewählten Volkswirtschaften Infektionen je 100 000 Einwohner (7-Tagessumme) 700 Polen 600 Schweiz USA Frankreich 500 Vereinigtes Königreich Spanien Deutschland 400 Baden-Württemberg China 300 200 100 0 14.01. 14.02. 14.03. 14.04. 14.05. 14.06. 14.07. 14.08. 14.09. 14.10. 14.11. Datenquellen: ECDC, Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg, eigene Berechnungen. Datenstand 22.11.2020. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 692 20 dynamik blieb die Virusverbreitung weiterhin tal noch knapp 10 % unter den Vorjahren, ver- auf hohem Niveau. Verändert hat sich auch besserte sich der Wert im 3. Quartal auf – 3,6 %. die Altersverteilung. War im Frühjahr das Im noch nicht vollständigen 4. Quartal (bis Gros der Infektionen in den Altersgruppen 17.11.2020) übertraf der Stromverbrauch die zwischen 50 und 60, sowie mit etwas zeit- Vorjahre sogar um 4,3 %. lichem Verzug in der Kohorte über 80 Jahren verteilt, so kommt aktuell neben den bereits im Frühjahr betroffenen Gruppen noch die Eindämmung der Pandemie und Gruppe der 20- bis 30-Jährigen hinzu. Wirtschaftswachstum ist kein Widerspruch Es zeigt sich, dass eine konsequente Eindäm- Kurzfristige Indikatoren mung der Pandemie durch verordnetes Her unterfahren der Wirtschaft nicht im Wider- Trotz der verglichen mit dem Frühjahr 2020 spruch zum realisierten Wirtschaftswachstum mehr als doppelt so hohen Fallzahlen schrän- steht. So erlitten Volkswirtschaften mit einer ken die Baden-Württembergerinnen und Ba- unkontrollierten Verbreitung des Virus – ge- den-Württemberger ihre Mobilität im Herbst messen an den Corona-Toten je 100 000 Ein- 2020 kaum ein. Eine ähnliche Entwicklung ist wohner – einen deutlich stärkeren Wachs- beim Stromverbrauch als hartem ökonomi- tumseinbruch als Volkswirtschaften, in denen schen Indikator zu beobachten. Zwar ging der das Virus vergleichsweise gut unter Kontrolle 3 Siehe Debes, Sebastian: Verbrauch gegenüber seinen Höchstständen blieb.4 Wirtschaftliche Entwick- lung in Baden-Württem- im Oktober und Anfang November zurück, lag berg während der Coro- na-Pandemie: Eine erste aber noch deutlich über den Werten der Vor- Gleichzeitig versuchte die Politik mit großen Zwischenbilanz, in: Sta- jahre. Analog zu den Mobilitätsdaten fand Ausgabenpaketen den Wirtschaftseinbruch so tistisches Monatsheft Baden-Württemberg auch hier kein Einbruch wie im Frühjahr statt,3 klein wie möglich ausfallen zu lassen. Den- 9/2020, S. 5. wo der Stromverbrauch zeitweise 25 % unter- noch sind die Volkswirtschaften aufgrund der 4 Siehe unter anderem halb der Vorjahre rangierte. Auf das Quartal Corona-Pandemie ärmer geworden. Deutlich https://ig.ft.com/corona- virus-global-data/ gerechnet hat sich die Situation ebenfalls wird dies beim Vergleich von Prognosen vor (Abruf: 15.12.2020). verbessert. Lag der Verbrauch im 2. Quar- und nach Auftreten der Pandemie. So prog- 30
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021 Wirtschaft, Arbeitsmarkt nostiziert die Bundesregierung für Deutsch- haben. Insgesamt befindet sich die Wirt land im Herbst 2020 einen Einbruch von 5,5 % schaftsleistung dennoch 4,4 % unter dem im Jahr 2020, gefolgt von einem Anstieg der Niveau des Vorjahresquartals. Für Deutsch- Wirtschaftsleistung in Höhe von 4,4 % im land (Schaubild 2) fiel die Entwicklung ähn- Jahr 2021. Danach dürfte das Vorkrisenniveau lich stark aus, auch wenn der Einbruch und frühestens zum Jahreswechsel 2021/2022 die anschließende Erholung schwächer aus wieder erreicht sein. Die Wirtschaftsleistung geprägt war als im Südwesten (2. Quartal: für das Jahr 2021 fiel – verglichen mit der – 9,4 %, 3. Quartal: + 8,0 % zum jeweiligen Herbstprognose 2019 – um 128 Milliarden Vorquartal6). (Mrd.) Euro5 geringer aus. Dies sind pro Kopf rund 1 500 Euro. Diese Lücke schließt sich im Jahr 2022. Pro Kopf beläuft sich der Verlust Corona- und Finanzkrise im Vergleich des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 1 000 Euro oder insgesamt 85 Mrd. Euro. Dies bedeutet Bei einem zweistelligen Einbruch der Wirt jedoch nicht, dass die fiskalpolitischen Ret schaftsleistung liegt es nahe, die aktuelle tungsprogramme wenig Effekt hatten. Viel- Situation mit der letzten großen Krise zu mehr wäre ohne diese Maßnahmen die Lücke vergleichen – nämlich der Finanzkrise von höchstwahrscheinlich deutlich größer ausge- 2008/2009 (Schaubild 3). Hierbei gilt es zu- fallen. nächst einen Hochpunkt bzw. ein Vorkrisen- niveau zu identifizieren, das als Referenz- 5 In Preisen von 2015. punkt für die zeitliche Entwicklung dient. In 6 Saisonbereinigung mit Erste BIP-Schnellrechnung der Finanzkrise war dies das 1. Quartal 2008, BV 4.1 aus Gründen der für das 3. Quartal 2020 in der Corona-Krise das 4. Quartal 2019.7 Hier- Vergleichbarkeit mit Baden-Württemberg. bei wird deutlich, dass der aktuelle Einbruch 7 Im Gesamtjahr 2019 Im Jahr 2020 dürften im Südwesten zwei Re- deutlich schneller und stärker vonstattenging wies die baden-württem- korde gefallen sein. Zum einen der stärkste als in der Finanzkrise. Seinerzeit vollzog sich bergische Wirtschaft kein Wachstum auf. Vorquartalseinbruch der Wirtschaftsleistung der Einbruch der Wirtschaftsleistung über Auch die unterjährige seit Beginn der Quartalsrechnung 1996. Zum 5 Quartale, während in der Corona-Krise ein Wachstumsdynamik entwickelte sich unein- anderen der stärkste Anstieg des Bruttoin ähnlich hoher Verlust innerhalb von nur heitlich, sodass der landsprodukts. Der Einbruch lag im 2. Quartal 2 Quartalen auftrat. Auch die bis jetzt sicht- Hochpunkt vor dem 4. Quartal 2019 lag. 2020 bei 11,5 % zum Vorquartal. Im 3. Quartal bare Erholung verlief schneller. Während sich Daher entspricht dieses Quartal dem Zeitpunkt, dürfte einer ersten Schnellrechnung zufolge die Aufschwungsphase nach der Finanzkrise der noch nicht von der die Erholung 10,3 % zum Vorquartal betragen über mehrere Quartale hinzog, stieg die Wirt- Krise beeinflusst war. S2 Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts in Baden-Württemberg und Deutschland 2008 bis 2020 2015 = 100, saison- und arbeitstäglich bereinigt 110 105 100 Deutschland Baden-Württemberg 95 90 85 80 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Datenquellen: Destatis, Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ (VGRdL), eigene Berechnungen. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 693 20 31
Wirtschaft, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021 Arbeitsmarkt Wachstumsvergleich des realen Bruttoinlandsprodukts und wichtiger Unterbereiche S3 während der Finanz- und der Corona-Krise in Baden-Württemberg Finanzkrise Abweichung vom Niveau des Vorkrisenquartals in % 10 5 0 – 5 – 10 – 15 – 20 Bruttoinlandsprodukt Dienstleistungsbereiche – 25 Verarbeitendes Gewerbe – 30 – 35 –6 –5 –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Quartale seit Hochpunkt (1. Quartal 2008) Corona-Krise Abweichung vom Niveau des Vorkrisenquartals in % 10 5 0 – 5 – 10 – 15 – 20 – 25 – 30 – 35 –6 –5 –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Quartale seit Hochpunkt (4. Quartal 2019) Datenquelle: Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ (VGRdL), eigene Berechnungen. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 694 20 schaftsleistung in der Corona-Krise von ihrem Verarbeitende Gewerbe fungiert in beiden Tiefpunkt wieder rasch an – wenngleich das Phasen als Haupttreiber. Den stabilisierenden Ausgangsniveau noch nicht erreicht wurde. Part nahmen in der Finanzkrise die Dienst leistungsbereiche ein, wo der Abschwung Des Weiteren befand sich die baden-würt- deutlich später einsetzte. In der Corona-Krise tembergische Wirtschaft in unterschiedlichen konnten die Dienstleistungsbereiche ihre Sta- Konjunkturphasen. Die Finanzkrise traf die bilisierungsfunktion nur eingeschränkt wahr- Südwestwirtschaft in einem Boom. Die nehmen. Denn dort wurde die wirtschaftliche 6 Quartale vor der Corona-Krise waren da- Aktivität bewusst heruntergefahren mit dem gegen von wirtschaftlicher Stagnation ge- Ziel, die Virusausbreitung einzudämmen. Ein prägt. Zudem unterscheidet sich die konjunk- Vergleich der beiden Krisen macht deutlich, turelle Dynamik der Wirtschaftsbereiche. Das dass diese unterschiedlichen Ursprungs sind. 32
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021 Wirtschaft, Arbeitsmarkt Während die Finanzkrise eine Störung inner- waren während des Frühjahrs 2020 von Liefer- halb des Wirtschaftssystems darstellte und kettenproblemen belastet. So konnten im sich zuvor massive Fehlentwicklungen aufge- März Vorprodukte beispielsweise aus Italien baut haben, kam die Störung bei der Corona- aufgrund von Fabrikschließungen nicht ge- Krise von außerhalb des Systems. Die Krise liefert werden, sodass auch die Produktion im wirkte als Brennglas, sodass Defizite, die aller- Südwesten teilweise stillstand. Dies zeigt sich dings schon vor der Krise bestanden, beson- in den realen Umsatzzahlen (Schaubild 4). So ders sichtbar wurden. Gleichzeitig besteht die brach der Umsatz im Fahrzeugbau zeitweise Hoffnung, dass mit einem effektiven Impfstoff auf unter 25 % des Niveaus vom Januar 2020 die wirtschaftliche Erholung deutlich rascher ein. In den ersten 9 Monaten des Jahres 2020 verlaufen wird, als dies bei der Finanzkrise der lag der Umsatz immer noch 20,8 % gegenüber Fall war. dem Vorjahr im Minus. Ebenfalls stark in Mit- leidenschaft gezogen war der Maschinenbau mit einem Jahresminus von 16,7 %. Es gibt Die Wirtschaftsbereiche im Einzelnen allerdings auch Profiteure der Krise. Zu nen- nen sind hier der Bereich DV-Technik, Elektro- Die zwei Schwergewichte des Verarbeitenden nik und Optik mit einer konstanten Umsatz Gewerbes – Fahrzeug- und Maschinenbau – entwicklung im Jahresverlauf und insbeson- Preisbereinigte Umsatzentwicklung in ausgewählten Branchen des Verarbeitenden Gewerbes S4 in Baden-Württemberg 2010 bis 2020 2015 = 100, saison- und arbeitstäglich bereinigt 140 130 120 110 100 90 80 70 Verarbeitendes Gewerbe insgesamt1) 60 Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen Herstellung von elektrischen Ausrüstungen 50 Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen Maschinenbau 40 30 20 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 1) Einschließlich Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden. Datenquelle: Monatsbericht für Betriebe im Verarbeitenden Gewerbe sowie im Bergbau und in der Gewinnung von Steinen und Erden, eigene Berechnungen. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 695 20 33
Wirtschaft, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021 Arbeitsmarkt dere die Pharmabranche. Dort legte der Um- stand in den ersten 9 Monaten 2020 auf Jah- satz vor allem im März 2020 stark zu und be- ressicht ein Minus von 9,7 % zum Vorjahr wegte sich von Januar bis September 2020 in den Büchern. Besser entwickelte sich der um 5,5 % über dem Vorjahr. Trotz der sehr Umsatz im Groß- und Einzelhandel mit ent positiven Entwicklung in beiden genannten sprechenden Zuwachsraten von 3,6 % und Bereichen reichte dies nicht aus, um die nega- 1,6 %. Das Plus im Einzelhandel war aller- tive Dynamik anderer Bereiche auszugleichen. dings zu einem großen Teil auf Online-Be Aufs Jahr gesehen lag der Umsatz im Verar stellungen zurückzuführen (Schaubild 5). Dort beitenden Gewerbe im Zeitraum Januar bis schoss der Umsatz im Zeitraum Januar bis September 2020 um 13,4 % unter dem ver September 2020 im Vergleich zum Vorjahres- gleichbaren Vorjahreswert. zeitraum um 17,8 % in die Höhe, der Umsatz im stationären Einzelhandel stagnierte da- gegen (– 0,4 %). Handelsbereiche: auch hier ist die Konjunktur gespalten Von Schließung betroffene Bereiche Der Umsatz im Handel mit Kraftfahrzeugen haben niedrigen Wertschöpfungsanteil war stark von der Produktionsseite geprägt. Zu den produktionsbedingten Engpässen Das Gastgewerbe war im besonderen Maße kamen die Schließungen der Autohäuser im von der Schließung betroffen. So fiel der März und April 2020 dazu, sodass in diesem Umsatz im Beherbergungsbereich im April 8 Saison- und arbeits Zeitraum der Umsatz einbrach, um sich da- und Mai 2020 auf 20 % bzw. 15 % des Niveaus täglich bereinigte Werte. nach wieder in V-Form zu erholen. Dennoch vom Januar 2020.8 Und auch die vermehrte S5 Reale Umsatzentwicklung in Unterbereichen des Einzelhandels in Baden-Württemberg 2015 bis 2020 2015 = 100, saison- und arbeitstäglich bereinigt 170 160 150 Versand- und Internet-Einzelhandel 140 Stationärer Einzelhandel Kaufhäuser 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Datenquelle: Monatserhebung im Einzelhandel, eigene Berechnungen. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 696 20 34
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021 Wirtschaft, Arbeitsmarkt Aufforderung, den diesjährigen Jahresurlaub IKT-Sektor robust, Leiharbeit im Sog im Inland zu verbringen konnte die ausblei- des Verarbeitenden Gewerbes benden Auslandsgäste bei weitem nicht aus- gleichen. Hinzu kam, dass ein regulärer Hotel- Im Dienstleistungssektor entwickelte sich der betrieb mit der Kapazität der Vorjahre nicht nominale Umsatz im Bereich Information und möglich war. Etwas besser entwickelte sich Kommunikation im Jahr 2020 vergleichsweise der Umsatz in der Gastronomie, wobei dies dynamisch, wenngleich die Wachstumsraten hier relativ zu sehen ist. Im September 2020 gegenüber den Vorjahren deutlich nachließen. rangiert der Umsatz 81 % unter dem Januar- Immerhin rangierte der Umsatz im 1. Halbjahr wert, in der Beherbergung sind dies nur 74 %. 2020 1,3 % über dem Vorjahreszeitraum. Stark rückläufig waren die Erlöse bei den sonstigen Die Umsatzeinbußen im Gastgewerbe sind wirtschaftlichen Dienstleistungen, die auch historisch einmalig. Betrachtet man den An- die Leiharbeit umfassen. Diese lagen 12,7 % teil dieses Bereichs an der Gesamtwirtschaft unter dem Vorjahr, wobei zu erwähnen ist, (Schaubild 6), so wird deutlich, dass dort dass sich die Umsätze dort seit Ende 2017 zwar viele Erwerbstätige beschäftigt sind, die seitwärts entwickelten. Wertschöpfung und das Arbeitnehmerentgelt dagegen unterproportional ausfallen. So ar- beiten in Deutschland knapp doppelt so viele Außenwirtschaft: Europa bremst, Erwerbstätige im Gastgewerbe wie im Fahr- Erholung kommt von den Schwellenländern zeugbau. Gleichzeitig beträgt die Wertschöp- fung nur ein Drittel und das Arbeitnehmerent- Auch der Außenhandel wurde stark von der gelt nur die Hälfte der Werte im Fahrzeugbau. Corona-Pandemie beeinträchtigt, wenngleich In Baden-Württemberg fällt dieser Vergleich die Zahlen des 3. Quartals 2020 Besserung noch stärker aus. So sind etwa gleich viele Er- anzeigten. Im 2. Quartal dominierten noch 9 Zahlen zum Arbeit nehmerentgelt liegen werbstätige im Gastgewerbe und im Fahr- tiefrote Zahlen. Um knapp ein Viertel sanken für den Südwesten auf zeugbau beschäftigt. Die Wertschöpfung liegt die Gesamtexporte zum Vorjahr. Zerlegt man dieser tiefen Gliederung aus Freigabegründen allerdings nur bei einem Sechstel.9 die Entwicklungen nach Ländergruppen, so nicht vor. S6 Bedeutung corona-betroffener Branchen in Deutschland und Baden-Württemberg Anteil an Gesamt in % (2017) 10 9 Bruttowertschöpfung (BW) Arbeitnehmerentgelt (BW) Erwerbstätige (BW) Bruttowertschöpfung (D) Arbeitnehmerentgelt (D) Erwerbstätige (D) 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Maschinenbau Fahrzeugbau Luftfahrt Gastgewerbe Reisebüros Kunst, Unterhaltung und Erholung Datenquellen: Destatis, Arbeitskreis „Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder“ (AK ETR), eigene Berechnungen. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 697 20 35
Wirtschaft, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021 Arbeitsmarkt nehmen die europäischen Handelspartner Staaten mit stagnierendem Wachstum hinzu einen Anteil von fast zwei Drittel am gesam- (zwischen – 1 % und 1 %), so steigt dieser An- ten Exportminus ein. Natürlich gab es bei teil auf über 90 %. Zum Vergleich: während anderen Ländergruppen, beispielsweise in der Finanzkrise setzten etwa 45 % aller Länder Nordamerika10 noch stärkere Rückgänge ihr bereits zuvor schon starkes Wachstum fort. (– 35 %). Aufgrund ihres relativ geringen An- Für 2021 wird nach Prognosen des Internatio- teils an den Gesamtausfuhren fällt das Minus nalen Währungsfonds (IWF) die Erholung brei- allerdings nicht so stark ins Gewicht. Nach ter ausfallen als 2010. Diese ist ähnlich wie in Asien gingen die Exporte um 10,3 % zurück. der Finanzkrise von den Schwellenländern Trotz eines robusten chinesischen Export- getragen, während die entwickelten Volks- marktes wurde dies durch negative Entwick- wirtschaften mehrere Jahre benötigen wer- lungen anderer asiatischer Volkswirtschaften den, um das Vorkrisenniveau zu erreichen. (beispielsweise Japan oder Südkorea) mehr als überkompensiert. Im 3. Quartal lagen die Gesamtausfuhren nur noch gut 8 % unter Arbeitsmarkt dank Kurzarbeit robust 10 Nordamerikanische Frei- dem entsprechenden Vorjahreszeitraum. Ins handelszone USCMA mit den Staaten Kanada, gesamt rangierten die Exporte in den ersten Die Corona-Krise dringt allmählich zum Ar- USA und Mexiko. 9 Monaten mehr als 10 % unter dem Vorjahr. beitsmarkt vor. Insbesondere gilt dies in den 11 Die Erwerbstätigkeit und USA, wo sehr flexible Arbeitsmarktregeln Ent- damit Erwerbslosigkeit reagiert in den USA in Die Weltwirtschaft verzeichnet das erste lassungen in kurzer Zeit ermöglichen. Inner- Abschwüngen stärker als Minus in der realen Wirtschaftsleistung seit halb weniger Wochen stieg daher die Er in europäischen Staaten. Siehe Debes, Sebastian: der Finanzkrise 2009. Allerdings fällt die werbslosenquote um über 10 Prozentpunkte.11 Erwerbstätigkeit und Rezession in der Corona-Krise globaler aus Zwar sank die Quote bis Oktober 2020 auf Wirtschaftsleistung im Konjunkturzyklus, in: als 2009. Aktuell wird für 82 % aller Volks unter 7 %, lag damit aber immer noch über Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg wirtschaften ein deutlich rückläufiges Brutto- dem deutschen Wert von 4,5 %. Schaubild 7 6+7/2020, S. 27. inlandsprodukt erwartet. Rechnet man noch zeigt neben der aktuellen Entwicklung auch S7 Entwicklung der Erwerbslosenquoten großer Volkswirtschaften 2007 bis 2020 Erwerbslosenquote in % 16 Italien Frankreich USA Deutschland Vereinigtes Königreich 14 12 10 8 6 4 2 0 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Datenquelle: OECD. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 698 20 36
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021 Wirtschaft, Arbeitsmarkt das deutsche Beschäftigungswunder seit der Das Verarbeitende Gewerbe verzeichnete be Finanzkrise. So lagen die Erwerbslosenzahlen reits seit der 2. Jahreshälfte 2018 eine deut- 2009 von Italien und Deutschland fast gleich- lich nachlassende Dynamik und baute im Zeit- auf bei unter 8 %, der französische Wert gut raum Januar bis September 2020 über 1 % der 2 Prozentpunkte darüber. Während die Er- Stellen zum Vorjahr ab. Mit über 2 % legte die werbslosigkeit in Deutschland Monat für Mo- Beschäftigung im Bausektor zu. Nahezu auf nat reduziert werden konnte, stieg sie in den Vorjahresniveau bewegte sich die Beschäfti- anderen beiden europäischen Ländern deut- gung in den Dienstleistungsbereichen. Hier lich bis 2016. Erst seit dem Abklingen der wurde bei den sonstigen wirtschaftlichen Eurokrise und damit höheren Wachstums- Dienstleistungen Personal abgebaut. Dieser raten in den europäischen Peripheriestaa- Bereich ist wegen der dazu gehörenden Leih- ten sanken auch deren Erwerbslosenquoten, arbeitsbranche eng mit dem Verarbeitenden blieben allerdings deutlich über den bundes- Gewerbe verbunden. Die Schwächephase deutschen Raten. setzte dort bereits 1 Jahr vor der nachlassen- den Beschäftigungsdynamik im Produzieren- Für Baden-Württemberg wird keine monat- den Gewerbe ein.12 liche Erwerbslosenquote ausgewiesen. Daher bietet sich ein Vergleich der von der Bundes- Deutlich sichtbar wird die Corona-Krise bei agentur für Arbeit berechneten Arbeitslo der Beschäftigungsentwicklung im Handel. senquoten für Deutschland und den Südwes- Dort stagniert das Wachstum seit Beginn des ten an. Hier verzeichnet man seit etwa Mitte Jahres 2020. Eine weiterhin positive Grund- 2019 steigende Quoten. So erhöhte sich der nachfrage nach Beschäftigten herrscht bei den saisonbereinigte Wert im Südwesten von öffentlichen Dienstleistern. Diese können 3,1 % auf 4,5 % im Oktober 2020. In Deutsch- allerdings nicht die negativen Impulse aus land stieg die Quote von 5,0 % auf 6,2 %. anderen Teilbereichen des Dienstleistungs- sektors kompensieren. Dass die Bilanz am Arbeitsmarkt trotz massi- ver Einschränkungen nicht schlechter ausfiel, Nach dieser Zwischenbilanz stellt sich die liegt an einem arbeitsmarktpolitischen Instru- Frage, ob die Südwestwirtschaft in der Co- ment, welches sich insbesondere während rona-Pandemie damit das Gröbste schon der Finanzkrise bewährt hat: die Kurzarbeit. Im hinter sich hat. Die Antwort auf diese Frage April 2020 wurden von den baden-württem- hängt davon ab, welchen Wirtschaftszweig bergischen Betrieben in der Spitze für 1,4 Mil- man betrachtet. So gibt es Krisengewinner lionen (Mill.) Personen Kurzarbeit angezeigt. wie den Online-Handel oder die Pharma- Im Oktober lag dieser Wert bei unter 15 000 branche. Aber eben auch Bereiche wie das Personen. Die realisierte Kurzarbeit umfasste Gastgewerbe, die über den betrachteten Zeit- in der Spitze im April und Mai knapp 1 Mill. raum hinaus unter den coronabedingten Ein- Personen. Damit war rechnerisch jeder fünfte schränkungen leiden werden. Ganz entschei- sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zu dend hängt die wirtschaftliche Entwicklung dieser Zeit in Kurzarbeit. Im August 2020 fiel jedoch vom weiteren Infektionsgeschehen ab dieser Anteil mit knapp 9 % deutlich geringer und wie schnell die Bevölkerung gegen das aus. Virus geimpft werden kann. Beschäftigung rückläufig 12 Weitere Informationen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit entwickeln zur Entwicklung der sich üblicherweise gegenläufig. So auch in Zeitarbeitsbranche seit 2009 sind hier zu finden: der Corona-Krise. Von Januar bis September Weitere Auskünfte erteilt www.statistik-bw.de/ Presse/Pressemitteilun 2020 lag die sozialversicherungspflichtige Be- Sebastian Debes, Telefon 0711/641-29 72, gen/2020218 schäftigung leicht über dem Vorjahresniveau. Sebastian.Debes@stala.bwl.de (Abruf: 15.12.2020). 37
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