Corporate Web-Video - Chancen, Risiken und gesellschaftlicher Sinn

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Corporate Web-Video – Chancen, Risiken und gesellschaftlicher Sinn
Management-Summary Dissertation Matthias Kunert

Ziel
Die Globalisierung steigert die Innovationsgeschwindigkeit und weckt den Bedarf nach
beschleunigter Kommunikation und Synchronisation von Prozessen in Unternehmen.
Verbesserte IT-Netze bieten für diese Nachfrage jetzt eine Lösung an: Corporate Web-
Video, die Videoübertragung über Intra- und Internet für Unternehmenszwecke. Die
Einsatzbereiche von Corporate Web-Video sind Unternehmenskommunikation,
eLearning, Human-Resource sowie Sales & Marketing, die hohe Erwartungen in eine
neue Kommunikationskultur wecken. DaimlerChrysler hat bereits täglich einen aktuellen
Videobeitrag im Internet. Forschungsziel der Untersuchung ist deshalb eine Einschätz-
ung, welche Bedeutung Corporate Web-Video erlangen kann sowie welche Chancen und
Risiken damit auf dem Weg in die Informations- und Selbstorganisationsgesellschaft
verbunden sind. Dabei soll der gesellschaftliche Sinn ausgelotet werden zwischen dem
Hoffnungsszenario von Produktivitätszuwachs und Wohlstand sowie der Annäherung an
das Ideal von Information und Bildung für alle, und dem Beunruhigungsszenario von
verschärften, ungleichen sozialen und regionalen Chancen sowie sozial verarmten
Lernwelten und Kommunikationsformen.

Forschungsfragen
Welche Herausforderungen kann Corporate Web-Video lösen? Dazu stellt diese Arbeit
vier forschungsleitende Fragen: Wie steht es um die technische und organisatorische
Machbarkeit, das betriebswirtschaftliche Kosten- und Nutzenverhältnis, unternehmens-
interne Machtverschiebungen und den gesellschaftlichen Sinn von Corporate Web-Video?

Methode
Für das methodische Vorgehen wird – wegen des noch jungen Forschungsgebietes – eine
hypothesenfindende Untersuchung als Untersuchungstyp festgelegt und als Explora-
tionsstrategie die empirisch-qualitative Exploration ausgewählt. Dabei kommt eine
Kombination zum Einsatz: Ein qualitatives Experiment als exemplarische Fallstudie,
ergänzt durch die seit dem Experiment in der Allianz realisierten Anwendungen, sowie
leitfadengeführte Experteninterviews.

Ergebnisse

Technische Machbarkeit
Die technische Reichweite der Mitarbeitererreichbarkeit mittels intranetbasiertem PC
schwankt in den untersuchten Unternehmen sehr stark – bedingt durch teilweise
veraltete Client-PCs und inhomogene Betriebssysteme und Firmennetze. Die inter-
nationale Verbreitung über Serverstrukturen in Kaskaden ist aufgrund von regional
leistungsschwachen Netzen inhomogen, doch verbessert sich die technische Machbarkeit

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mit der zunehmenden Verbreitung von Breitband-Anschlüssen (insbesondere DSL) und
verbesserter Video-Datenkompression. Vertrauliche Videoübertragung – unter anderem
für strategische Managementinformationen – ist im Entstehen.

Organisatorische Machbarkeit
Die organisatorische Machbarkeit von Web-Video und insbesondere eLearning mit multi-
medialen Inhalten ist wegen seiner außerordentlichen Komplexität eine besondere Her-
ausforderung. Sehr unterschiedliche Menschentypen – Techniker, Pädagogen, Fachmit-
arbeiter und Kreative – müssen zusammenarbeiten. Web-Video schöpft seine Effizienz
aus der Zentralisierung, die jedoch in dezentralen Organisationen auf Widerstände trifft.
Ressortdenken, Festhalten an Wissensmonopolen und Angst vor Arbeitsplatzverlust bei
Trainern behindern die – aus Skalenvorteilsgründen – nötige Implementierung einer
ressortübergreifenden Plattform. Die Veränderung in Richtung elektronischer
Informations-, Lern- und Arbeitsprozesse verlangt Mitarbeiterschulung und -betreuung
für mehr Medienkompetenz und teilweise einen anderen Mitarbeitertypus, da bislang oft
Technikaffinität fehlt. Im Idealfall wird versucht, neue Prozesse möglichst mit neuen
Mitarbeitern durchzuführen, denn eLearning erfordert wesentlich mehr Lerndisziplin als
normales Präsenztraining. Dies betrifft auch die Trainer, die zu eTutoren geschult
werden müssen. Neues Lernen lehren und Lehren lernen ist gefordert.
   Die Implementierung von Web-Video ist auf Betreiben des Vorstands („top-down“) als
auch aus den Fachbereichen heraus („bottom-up“) möglich. Im ersten Fall liegt der
Vorteil in der besseren strategischen Planung, im zweiten Fall in der besseren Unter-
stützung und Akzeptanz. Erforderliche Maßnahmen der Implementierung sind der
Aufbau von Koordinierungsgremien und die konzernweite Homogenisierung von PC-
Technik, Netzwerken, Pflichtenheften sowie von Personalstammdaten für personalisierte
Anwendungen und Nutzerverwaltung.
   Die größten Hindernisse für eLearning und damit auch für die Implementierung von
Web-Video, liegen in der – häufig bei lernungeübten Mitarbeitern – geringen Motivation
zum Selbstlernen. So muss das Erkennen der Lernnotwendigkeit und die Selbstlern-
motivation noch gesteigert werden. Selbstlernen funktioniert in der Regel nur unter
Druck, weil es von den Mitarbeitern als auch von Vorgesetzten gegenüber der Arbeit als
nachrangig angesehen wird. Eine Festlegung der Nutzung in der Mitarbeiter-Zielverein-
barung ist deshalb hilfreich. Zudem wird der Zeitaufwand sowohl von Trainern als auch
von Teilnehmern unterschätzt. Die hohe Bedeutung der sozialen Aspekte des Lernens als
Gemeinschaftserlebnis – Lernerlebnis und nicht nur Lernergebnis – ist mittlerweile
erkannt und eTutoren bemühen sich deshalb zu der isolierten eLearning-Situation einen
sozialen Ausgleich zu schaffen. So wird eLearning zunehmend zu „Blended-Learning“,
einer Mischform mit Präsenzunterricht. Ein eLearning-Anteil von 75% wie bei IBM gilt
als Obergrenze, da für manche Lernformen mehr Interaktion nötig ist, als dies eLearning
bietet. Ein Problem stellt die Ablenkungsgefahr am Arbeitsplatz dar. Zu Hause kann für
manche Mitarbeiter deshalb der bessere Lernort sein. IBM fördert lernen zu Hause
bereits erfolgreich durch kostenlose PCs im Tausch gegen Heim-Lernstunden in der
Freizeit. Die Anwenderakzeptanz ist hoch, wenn die Vorteile erkannt werden und zudem

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der Inhalt kreativ aufbereitet ist, das Angebot als Ergänzung und nicht als Ersatz
angeboten wird und eine Zertifizierung sichergestellt ist. Die Erwartungen an eLearning
sind sehr hoch. Dies betrifft die journalistische, optische und die Moderatorenqualität
ebenso wie die Usability. Web-Video hat innerhalb des eLearnings dort eine wichtige
Funktion, wo es um Vermittlung von visualisierten Abläufen und Körpersprache geht.
Bei der Nutzung im eLearning-Bereich ist, aufgrund der Möglichkeit personenbezogene
Daten in Onlinetests zu speichern, eine Abstimmung mit dem Betriebsrat erforderlich.
   Wichtig für die Akzeptanz von Web-Video in der Unternehmenskommunikation ist
ein Einführungsmarketing, wobei gilt: „Nur wenn der Chef es benutzt, benutzt es auch
der Mitarbeiter“. Zusätzlich hilft der sanfte Druck, andere Informationskanäle abzu-
schalten, sowie die Nutzung von Web-Video in der Zielvereinbarung der Mitarbeiter
festzulegen. In kurzen Beiträgen müssen „Kopf und Herz“ angesprochen werden –
sowohl beim Lernen wie beim Informieren, wobei z.B. Chrysler zwischen Lernen und
Informieren kaum unterscheidet. Kritische Berichte – nicht nur Hofberichterstattung –
sind wichtig für die Glaubwürdigkeit der Beiträge. Die Akzeptanz von Web-Video nimmt
für die Unternehmenskommunikation mit zunehmender Entfernung von der Firmen-
zentrale zu, weil regionale Abteilungen sich oft vom Entscheidungszentrum abgeschnit-
ten fühlen und zusätzliche Informationsquellen nutzen möchten. Insbesondere lockere
und emotionale Themen zeigen die höchsten Nutzungszahlen. Zum Beispiel: 500
Zugriffe/Monat Allianz-Internet-Expertenrunde zur Managerhaftpflichtversicherung,
1.000-2.000 Zugriffe/Event Aventis-Führungskräftesendung, Pressekonferenz, 4.000
Zugriffe/Event Allianz-Hauptversammlung, 10.000 Zugriffe pro Monat „Allianz-Arena“
Fußballstadion-Clip. Die Verweildauer liegt bei 3-6 Minuten, bei Live-Übertragungen bis
ca. 12 Minuten – mit steigender Tendenz begünstigt durch Flatrate-Netztarife.

Kosten-Nutzenverhältnis
Eine Kosten-Nutzen-Analyse macht frei gewählte Annahmen erforderlich, da eine
aufwandsgerechte Kostenzuordnung für mehrfachgenutze Infrastruktur – wie PC und
Netzwerke – auf verschiedene Arbeitsprozesse nicht eindeutig möglich ist. Die durch-
geführte Investitionsrechnung für Corporate Web-Video in der Allianz erreicht einen
Break-Even nach 3 Jahren, wenn die Aus- und Fortbildungskostensenkungen 20%
betragen, und nach 7 Jahren bei einer Reduktion um 5%. Aufgrund der vielen variablen
Faktoren gibt es aber auch andere Berechnungen, die keinen bezifferbaren finanziellen
Vorteil sehen. Die Schulungskostensenkungen werden von Experten mit mindestens
20% beziffert. Das Beispiel IBM zeigt, dass eLearning für die Eliten zuerst eingesetzt
wurde und die fünffache Lernmenge zu einem Drittel der Kosten vermittelt werden
konnte. Ein entscheidender Faktor aus Kostensicht ist die Bündelung verschiedener
Anwendungen auf der gleichen technischen Basis.
   Relevanter noch als die Einsparungen und Produktivitätssteigerungen ist jedoch der
strategischen Vorteil von Web-Video: Die Beschleunigung, Standardisierung und
Synchronisation der Informations-, Lern-, Entwicklungs-, und Arbeitsprozesse sowie der
Softwareupdates in der Bündelung der Anwendungen verbessert die Wettbewerbsfähig-
keit des Unternehmens. Diesen Vorteil können vor allem Vorstände für ihre Kom-

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munikation nutzen, bietet doch Web-Video rein logistisch die einzige Chance im
globalen Maßstab für emotionale Vorstandspräsenz vor Ort und Führung, zumindest per
Video. Verbesserte Wettbewerbsfähigkeit stellt das wichtigste Argument für Corporate
Web-Video dar.
   Mittels Emotionalisierung verstärkt Corporate Web-Video die Mitarbeitermotivation
durch Identifikation mit dem Unternehmen und verfestigt das internationale Gemein-
schaftsgefühl. Außerdem erhöht Businessvermittlung die Transparenz im Unternehmen.
Berichte über ihren Arbeitsbereich machen Mitarbeiter stolz: In eine interne Liste bei
BMW haben sich rund 1.000 Mitarbeiter für ein Mitwirken bei der Vorstellung ihres
Arbeitsfeldes eingetragen.

Machtverschiebungen
Wegen der noch geringen Frequenz von Corporate Web-Video sprechen Experten eher
zurückhaltend von Machtverschiebungen, beobachten aber Darstellungs- und Wahr-
nehmungsverschiebungen von Vorständen (vgl. Agenda-Setting Theorie) durch
unterschiedliche Präsenz. Ist ein CEO nicht sichtbar, motiviert er auch nicht.
Angelsächsische Vorstände gelten gern als „Natural born Speaker“ und können sich
oftmals besser präsentieren. Eine externe Untersuchung bescheinigt dagegen deutschen
Vorstandsvorsitzenden einen eher ängstlichen „Rollback aus der Öffentlichkeit“, der den
Anlegern und dem Unternehmen schade, da der CEO persönlich für das Image eines
Konzerns verantwortlich sei.
   Corporate Web-Video standardisiert die Information, unterbindet Verfälschungen in
der Informationsweitergabe und strafft so die Führung. Dies begründet jedoch einen
Konflikt mit dem mittleren Management, denn mittlere Führungskräfte verlieren die
Informationsweitergabe als Aufgabe und damit einen Teil ihrer Existenzberechtigung,
sowie den Informationsvorsprung als Privileg. Vorgezogene exklusive Führungskräfte-
Informationssendungen federn diesen Konflikt bei IBM ab. Die Vermeidung des „Stille
Post Effekts“ stellt jedoch ein erhebliches Effizienzsteigerungspotential dar.
   Bei dezentraler Aus- und Fortbildung entstehen beim Aufbau von zentralen Lernplatt-
formen Verteilungsrivalitäten um die Betreuung. Trainer fürchten den Verlust des
Bildungs- und Zertifizierungsmonopols und empfinden eLearning als Jobkiller. Für
den Lehrerberuf ist eine Verschiebung vom Lehren zu mehr Betreuung und Lern-
anleitung absehbar.

Gesellschaftlicher Sinn
Corporate Web-Video bietet, wie jeder technologische Wandel, Chancen und Risiken und
bringt Verlierer und Gewinner hervor. Auf der Chancen-Seite stehen zunehmende Trans-
parenz und Informationsgleichheit sowie erweiterte Freiräume von mehr zeitlicher und
räumlicher Flexibilität. Auf der Risiken-Seite stehen einseitige Produktivitätsgewinne für
die Unternehmen durch Verlagerung der Lernzeit in die Freizeit und Beschleunigung
diverser Prozesse. Die Standardisierung des Lernens durch eLearning führt zudem zu
verringerter Lehrvielfalt, sichert aber auch einen Mindeststandard an Lerninhalten.

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Außerdem sprechen die Untersuchungsergebnisse für eine – teilweise durch technische
Engpässe bedingte – steigende Chancenungleichheit, die abhängig ist von der Region,
dem Ausbildungsniveau, der Hierarchie, dem Arbeitsort und der Unternehmensgröße.
Dadurch droht eine Zweiklassengesellschaft („Digital Divide“) mit einer Informations-
und Selbstorganisationselite bei zugleich hoher struktureller Arbeitslosigkeit von
Lernschwachen. Doch gerade weil immer mehr Arbeitsprozesse an den PC gebunden
sind, gibt es auch eine Renaissance von Face-to-Face-Veranstaltungen, die für eine
ausgewogene Balance zwischen elektronischer und persönlicher Kommunikation sorgen.

Theoretische Folgerungen
Der technologische Wandel zu beschleunigtem Fluss unserer Tätigkeiten schafft eher
mehr Arbeit statt mehr Zeit frei zu setzen und führt so zu einer Zivilisation der Unge-
duld mit erhöhtem psychischem Druck. Die aktuelle Diskussion zur Arbeitszeitverlänger-
ung trotz gestiegener Produktivität bestätigt dies. Für die ökologische Seite des Ziels
einer nachhaltigen Entwicklung ist eine Dematerialisierung des Lernprozesses eine
wichtige Voraussetzung und ein guter Fortschritt weil sie Ressourcen schont, doch für
den sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit stellt sich insbesondere beim eLearning die Frage,
wer die Kontrolle über die Gestaltung der Inhalte hat. Denn die kostengünstigste Bereit-
stellung von Content durch Zentralisierung erlaubt keine Berücksichtigung kultureller
Unterschiede und wird in einigen Regionen zu Ablehnung führen. Deshalb sind
regionale Einbindung und Anpassungen erforderlich. Die Homogenisierung von nicht
kompatiblen Gesetzmäßigkeiten und Strukturen unter Berücksichtigung und Aus-
balancierung kultureller Interessen ist Kerndilemma und zugleich zukünftige Aufgabe.
So wird das Management von kulturellen Ressourcen und die Steuerung kultureller Pro-
zesse an Bedeutung gewinnen. Interkulturelle Kompetenz und Empathie, die Fähigkeit
den anderen zu verstehen, wird deshalb zu einer Schlüsselqualifikation werden.

Fazit
Als wichtigste Hypothese ergibt die Untersuchung, dass Corporate Web-Video Kom-
munikations-, Lern-, Entwicklungs- und Arbeitsprozesse beschleunigen und weltweit
standardisieren sowie synchronisieren kann. Dadurch kann die Produktivität erhöht
werden, welches zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beiträgt,
Diese Beschleunigung kann jedoch teilweise, vor allem im Bereich eLearning, mit einer
Reduzierung der arbeitssozialen Qualität und persönlichen Kontakte einhergehen.
Beobachtungen lassen eine Bestätigung der Hypothese erahnen. Dies zu untersuchen
wäre Aufgabe weiterführender hypothesenprüfender Forschungsprojekte. Wichtig ist in
jedem Fall eine ausgewogene Balance zwischen sozialer Verträglichkeit und gesteigerter
Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen, denn aufgrund des wachsenden Bedarfs nach schnel-
lerer Kommunikation ist ein zunehmender Einsatz von elektronischen Kommunikations-
formen zu erwarten. Es gilt nun, die damit verbundenen Chancen richtig zu nutzen.

© alle Rechte Matthias Kunert, Vervielfältigung nur nach Rücksprache
Isabellastr.17, 80798 München, kunertma@aol.com, 089-33 99 55 44, 0173-389 03 36

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