D&O ohne Nachhaftung - ein fragwürdiger Plan - Managerhaftpflicht - WILHELM ...

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Managerhaftpflicht

                     D&O ohne Nachhaftung –
                        ein fragwürdiger Plan

www.wilhelm-rae.de                            März 2021
D&O ohne Nachhaftung - ein fragwürdiger Plan - Managerhaftpflicht - WILHELM ...
Von Dr. Fabian Herdter, LL.M. Eur.

Managerhaftpflicht

D&O ohne Nachhaftung – ein fragwürdiger Plan

Schlechte Schadenquoten in den letzten Jahren,             Das komplette Streichen der Nachmeldefrist, das
Corona-Krise und ein sich abzeichnender starker            Entfallenlassen der Nachmeldefrist im Insolvenz-
Anstieg von Unternehmensinsolvenzen haben zu               fall oder der Wegfall der Nachmeldefrist bei Ab-
einer explosiven Gemengelage auf dem deut-                 schluss einer Nachfolge-D&O-Police rückt eine ei-
schen D&O-Markt geführt. Die Unternehmen se-               gentlich schon fast vergessene Frage wieder in den
hen sich in den Renewals einer Mischung aus                Mittelpunkt: Ist das aus dem anglo-amerikani-
stark ansteigenden Prämien, sinkenden Kapazitä-            schen Versicherungsmarkt nach Deutschland im-
ten und einem fallenden Deckungsniveau auf Be-             portierte Claims-made- oder Anspruchserhe-
dingungsseite ausgesetzt.                                  bungsprinzip überhaupt mit dem deutschen Versi-
                                                           cherungsrecht vereinbar und wenn ja, unter wel-
Auf der Haftpflichttagung des Euroforums im Ja-            chen Voraussetzungen?
nuar dieses Jahres vernahm man von Seiten der
AIG, einem der – nach eigenen Angaben – Markt-             Die folgenden Ausführungen sollen klären, ob eine
führer in der D&O-Sparte in Deutschland, dass der          – wie von der AIG angekündigte Deckungsbe-
Versicherer zukünftig – einzelfallabhängig – Nach-         schränkung – überhaupt rechtlich zulässig wäre
meldefristen streichen oder verfallen lassen               bzw. was die Konsequenzen eines solchen Vorge-
werde und das Insolvenzrisiko ggf. aus den Verträ-         hens sein könnten.
gen ausschließen wolle.1

1   Versicherungsmonitor vom 21. Januar 2021, „D&O: AIG
    will Deckungen einschränken“, abrufbar unter:
    https://versicherungsmonitor.de

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1.    Das Claims-made-Prinzip der D&O Versiche-               schaden verwirklicht. Entscheidend ist der Mo-
      rung                                                    ment, in dem der Anspruch (claim) schriftlich er-
                                                              hoben wird (is made). Die D&O-Versicherung folgt
Die D&O-Versicherung ist eine (Berufs-)Haft-                  daher dem Claims-made-Prinzip.
pflichtversicherung für Manager, Geschäftsführer,
Aufsichtsräte etc. (= die Versicherten), die das Un-          1.1      Probleme des Claims-made-Prinzips
ternehmen für fremde Rechnung – also für die
Versicherten – abschließt.                                    Das Claims-made-Prinzip hat einen gewichtigen
                                                              Nachteil: Haftpflichtansprüche gegen Versicherte,
In vielen Versicherungssparten tritt der Versiche-            die erst nach der Ablauf der Versicherungsperiode
rungsfall mit dem Eintritt des Schadens ein, bei-             geltend gemacht werden, sind nicht mehr vom
spielsweise mit dem Brand eines Gebäudes (das                 Versicherungsschutz umfasst – unabhängig davon,
sogenannte Occurrence-Prinzip). Nicht so in der               dass die Pflichtverletzung im Zeitraum der Versi-
D&O-Versicherung: In der D&O-Versicherung in                  cherungsperiode stattfand.
Deutschland tritt der Versicherungsfall ganz über-
wiegend mit der schriftlichen Inanspruchnahme                 Dieses dem Claims-made-Prinzip innewohnende
der versicherten Person durch den Geschädigten                Problem wirkt sich auch beim Abschluss einer
(Unternehmen oder Dritten) ein. So heißt es in den            nachfolgenden neuen D&O-Police bei einem an-
Musterbedingungen des GDV zur D&O-Versiche-                   deren Versicherer aus. Wenn ein Unternehmen
rung2 unter Ziffer A-2 AVB D&O exemplarisch:                  eine neue D&O-Versicherung abschließt, sind
                                                              zwar grundsätzlich Anspruchserhebungen wäh-
„Versicherungsfall ist die erstmalige Geltendma-              rend der (neuen) Versicherungsperiode gedeckt –
chung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine ver-              auch solche aufgrund von Pflichtverletzungen vor
sicherte Person während der Dauer des Versiche-               Versicherungsbeginn. Für den Eintritt des Versi-
rungsvertrages oder einer sich ggf. hieran an-                cherungsfalls kommt es nicht darauf an, wann die
schließenden Nachmeldefrist.“                                 versicherte Person die Pflichtverletzung beging,
                                                              und ob die Pflichtverletzung vor dem Versiche-
Maßgeblich in der D&O ist also nicht der Zeitpunkt            rungsbeginn lag. Entscheidend ist nur, wann es zur
der Pflichtverletzung des Versicherten oder der               Anspruchserhebung kommt.
Zeitpunkt, in dem sich hieraus ein Vermögens-

2    Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirt-               Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB
     schaft e.V. (GDV, Allgemeine Versicherungsbedingungen          D&O) Musterbedingungen des GDV (Stand: Mai 2020)
     für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von

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Verständlicherweise möchte ein D&O-Versicherer            wird oder Sachverhalte untersucht werden, dürfte
     aber bei seinem neuen Kunden kein „brennendes             die Schwelle „möglicherweise“ als „objektiv fehl-
     Haus“ versichern, also für Schäden aus Pflichtver-        sam erkannt“ oder als „fehlsam bezeichnet“,
     letzungen haften, die bereits bei Vertragsschluss         „auch wenn Schadenersatzansprüche weder erho-
     bekannt sind und bei denen bislang nur noch keine         ben noch angedroht noch befürchtet worden sind“
                                   schriftliche     Inan-      regelmäßig überschritten sein.
Bei Vertragsschluss                spruchnahme        des
                                   Versicherten       er-      Jeder Wechsel des D&O-Versicherers würde daher
bekannte Pflichtver-                                           die Gefahr bergen, dass Inanspruchnahmen aus
                                   folgte. Daher ist der
letzungen sind vom                  Versicherungsschutz        vergangenen Pflichtverletzungen nicht mehr ver-
Versicherungsschutz                für bereits bekannte        sichert wären, weder beim alten noch beim neuen
                                     Pflichtverletzungen       Versicherer. Ein Versichererwechsel wäre dadurch
ausgeschlossen.
                                   in der vorangegange-        mit hohen Hürden und Risiken versehen.
                                   nen Versicherungs-
                                                               1.2   Nachmeldefrist und Umstandsmeldung als
     periode regelmäßig ausgeschlossen. Als bekannt
                                                                     Ausgleich
     gilt eine Pflichtverletzung bspw. gemäß Ziffer A-5-
     2 AVB D&O, wenn                                           Um dem geschilderten Problem zu begegnen, se-
                                                               hen D&O-Versicherungen regelmäßig Nachmelde-
       „sie von dem Versicherungsnehmer oder der (den)
                                                               fristen vor, die bspw. wie Ziffer A-5-3 AVB D&O
       versicherten Person(en) als – wenn auch nur mög-
                                                               lauten:
       licherweise – objektiv fehlsam erkannt oder ihnen
       gegenüber, wenn auch nur bedingt, als fehlsam           „Der Versicherungsschutz umfasst auch solche An-
       bezeichnet worden ist, auch wenn Schadenersatz-         sprüche, die auf Pflichtverletzungen beruhen, die
       ansprüche weder erhoben noch angedroht noch             bis zum Ende des Versicherungsvertrages began-
       befürchtet worden sind.“                                gen und innerhalb eines Zeitraums von ... Jahren
                                                               nach Ende des Versicherungsvertrages erhoben
       Die Hürde, dass eine Pflichtverletzung in der vo-
                                                               und dem Versicherer gemeldet worden sind.“
       rangegangenen Periode als bekannt gilt, liegt also
       nicht sonderlich hoch. Eine solche Definition der       Versicherungsschutz besteht dann für die gesamte
       Kenntnis hebt die unbegrenzte Rückwärtsdeckung          Nachmeldefrist im Rahmen der bei Ablauf der letz-
       zu großen Teilen wieder auf, da nicht nachvollzieh-     ten Versicherungsperiode geltenden Vertragsbe-
       bar ist, ob und für welche Pflichtverletzungen in       stimmungen, und zwar in Höhe des unverbrauch-
       der Vergangenheit hier überhaupt noch Versiche-         ten Teils der Versicherungssumme der letzten Ver-
       rungsschutz besteht. Insbesondere, wenn im Un-          sicherungsperiode, A-5-3 Abs. 4 AVB D&O.
       ternehmen bereits über Sachverhalte gesprochen

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Zudem sehen D&O-Versicherungen regelmäßig                     2.     Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Claims-
die Möglichkeit vor, Umstandsmeldungen (Notice                       made-Prinzips
of Circumstance) während der Vertragslaufzeit
über konkrete Umstände abzugeben, die zu einer                Das Claims-made-Prinzip und die sich hieraus er-
späteren Inanspruchnahme des Managers führen                  gebenden Konsequenzen waren in den vergange-
könnten. So heißt es bspw. in Ziffer A-5.4 AVB                nen 15 Jahren Gegenstand einiger OLG-Entschei-
D&O:                                                          dungen.3 Es stellte sich die Frage, inwieweit das
                                                              Prinzip mit dem deutschen Versicherungsrecht
„Der Versicherungsnehmer und die versicherten                 vereinbar ist.
Personen haben die Möglichkeit, dem Versicherer
während der Laufzeit des Vertrages konkrete Um-               Den Maßstab für die Prüfung der AGB-rechtlichen
stände in Textform zu melden, die eine Inanspruch-            Zulässigkeit des Claims-made-Prinzips (nach dem
nahme der versicherten Personen hinreichend                   sich auch in späterem Entscheidungen das OLG
wahrscheinlich erscheinen lassen.“                            Frankfurt und OLG Hamburg richtete) stellte das
                                                              OLG München in seinem Urteil vom 8. Mai 2009
Konsequenz einer wirksamen Umstandsmeldung                    auf.
ist, dass im Fall einer tatsächlichen späteren Inan-
spruchnahme, die aufgrund eines gemeldeten                    2.1      Keine überraschende Klausel
Umstandes erfolgt, die Inanspruchnahme als zu
                                                              Das Gericht untersuchte zunächst, ob die Verein-
dem Zeitpunkt der Meldung des Umstandes als er-
                                                              barung des Claims-made-Prinzips eine überra-
folgt gilt. Der Eintritt des Versicherungsfalles wird
                                                              schende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB
also zeitlich zurück (auf den Zeitpunkt der Um-
                                                              darstellen kann.4 Gemäß § 305c Abs. 1 BGB wer-
standsmeldung) fingiert.
                                                              den Bestimmungen in AGB, die nach den Umstän-
                                                              den, insbesondere nach dem äußeren Erschei-
                                                              nungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind,
                                                              dass der Vertragspartner des Verwenders mit
                                                              ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbe-
                                                              standteil.

3   OLG München, Urt. vom 8. 5. 2009 – 25 U 5136/08, VersR    4     OLG München, Urt. vom 8. 5. 2009 – 25 U 5136/08, VersR
    2009, 1066; OLG Frankfurt/Main, Urt. vom 5.12.2012 - 7          2009, 1066
    U 73/11, r +s 2013, 329; OLG Hamburg, Beschluss vom
    8.07.2015 - 11 U 313/13, r + s 2015, 498.

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Das OLG München5 verneinte eine überraschende                    Das Gericht stellte fest, dass das Claims-made-
Klausel und stellte darauf ab, dass                              Prinzip für den Versicherungsnehmer einen erheb-
                                                                 lichen Nachteil aufweise, wenn während der Ver-
„es sich bei der D&O-Versicherung um ein beson-                  tragslaufzeit begangene, zu einem Schadenser-
deres Produkt aus dem Bereich der Haftpflichtver-                satzanspruch füh-
sicherungen handelt, das für ganz bestimmte Risi-                rende Pflichtverlet-    Der Versicherungsneh-
ken entwickelt und auf dem deutschen Markt und                   zungen nur dann          mer wird unangemes-
nur auf Grundlage des Claims-made-Prinzips ange-                 gedeckt       seien,
boten wird.“
                                                                                                sen benachteiligt,
                                                                 wenn die hierauf
                                                                 beruhenden An-
                                                                                          wenn Ansprüche noch
Daher könne nicht                                                                        während der Vertrags-
                                                                 sprüche noch wäh-
„auf den Erwartungshorizont eines durchschnittli-                rend der Vertrags-                laufzeit geltend
chen VN abgestellt werden, der eine Berufshaft-                  laufzeit geltend ge-            gemacht werden
                                                                 macht werden. Ge-
pflichtversicherung abschließen will. Vielmehr ist                                                           müssen.
auf den Erwartungshorizont eines typischen VN                    rade bei Ansprü-
abzustellen, der im speziellen Segment der Berufs-               chen gegen Unternehmensleiter seien die Folgen
haftpflichtversicherung für Unternehmensleiter                   häufig erst später erkennbar, so dass der Nachteil
Versicherungsschutz erlangen will.“6                             des Claims-made-Prinzips – ohne Kompensation –
                                                                 zu einer Unangemessenheit der Klausel führen
2.2      Unangemessene Benachteiligung fraglich                  könne.7

Das OLG München untersuchte weiter, ob die                       Die unangemessene Benachteiligung des Versi-
Claims-made-Klauseln im entschiedenen Fall, eine                 cherungsnehmers werde nach Ansicht des Ge-
entgegen den Geboten von Treu und Glauben un-                    richts kompensiert durch
angemessene Benachteiligung des Klägers gemäß
§ 307 Abs. 1 und 2 BGB darstellen könnten.

5     Ebenda                                                        + s 2015, 498, 499 schlossen sich der Rechtsprechung des
                                                                    OLG München an und übernahmen die Auffassung, dass
6     Ebenda                                                        das Claims-made-Prinzip grundsätzlich wirksam ist und ei-
                                                                    ner Inhaltskontrolle genügt, sofern die mit ihm verbunde-
7     Ebenda VersR 2009, 1066, 1067; Das OLG Frankfurt/Main,        nen Nachteile ausreichend kompensiert werden.
      Urt. vom 5.12.2012 - 7 U 73/11, r +s 2013, 329, 332 und
      OLG Hamburg, Beschluss vom 8.07.2015 - 11 U 313/13, r

                                                     www.wilhelm-rae.de                                                  6
   die unbegrenzte Rückwärtsversicherung        „Diese Nachmeldefrist stellt eine erhebliche Abmil-
           für (unbekannte) Pflichtverletzungen,        derung der Folgen des reinen Claims-made-Prin-
                                                        zips dar. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass
          die vereinbarte Nachhaftungszeit und         Pflichtverletzungen in dem versicherten Bereich
                                                        nicht oder oft nicht zeitnah zur Geltendmachung
          die Möglichkeit einer Umstandsmeldung.
                                                        von Schadensersatzansprüchen führen. Zu Recht
                                                        weist das LG in diesem Zusammenhang darauf hin,
Dogmatisch etwas fragwürdig ist, dass die unbe-
                                                        dass die Bekl. dem Kl. damit weiteren Versiche-
grenzte Rückwärtsdeckung für unbekannte
                                                        rungsschutz einräumt, der - wäre das reine Ver-
Pflichtverletzungen als Kompensation für das
                                                        stoßprinzip anwendbar - so nicht bestünde. Ge-
Claims-made-Prinzips hervorgehoben wird. Denn
eigentlich ist es ein Wesensmerkmal des Claims-         rade auch deswegen, weil diese Nachmeldefrist
                                                        alle Pflichtverletzungen erfasst, unabhängig da-
made-Prinzip, dass es auf den Zeitpunkt der Inan-
spruchnahme und nicht der Pflichtverletzung an-         von, wie weit diese zurückliegen, stellt sie einen
                                                        nicht unerheblichen Vorteil dar.“
kommt, so dass eigentlich ohnehin alle in der Ver-
gangenheit liegenden Pflichtverletzungen gedeckt
                                                        3.   Auswirkungen der derzeitigen Leistungskür-
sein müssten (da es auf den Zeitpunkt der Pflicht-
                                                             zungen
verletzung nicht ankommt). Die – vom OLG Mün-
chen hervorgehobene – unbegrenzte Rückwärts-            Legt man diese Grundsätze der OLG-Rechtspre-
versicherung für unbekannte Pflichtverletzungen         chung zu Grunde, so erscheinen die oben ausge-
ist also eigentlich keine Kompensation des Claims       führten Äußerungen der AIG, Nachmeldefristen zu
Made-Prinzips, sondern eine zusätzliche De-             streichen oder verfallen zu lassen problematisch.
ckungseinschränkung für bekannte Pflichtverlet-
zungen unter der neuen D&O-Police.                      Eine Streichung der Nachmeldefrist in der D&O-
                                                        Versicherung würde dazu führen, dass zur Kom-
Zutreffend an der Rechtsprechung des OLG Mün-           pensation der unangemessenen Benachteiligung
chen ist, dass eine Kompensation der Nachteile          des Versicherungsnehmers nicht mehr viel übrig
des Claims-made-Prinzips durch die Umstands-            bliebe. Denn – wie oben ausgeführt – führt die un-
meldung und insbesondere durch eine Nachmel-            begrenzte Rückwärtsdeckung für unbekannte
defrist erreicht werden kann. Zur Nachmeldefrist        Pflichtverletzungen eigentlich nicht zu einer Kom-
führt das OLG München aus8:                             pensation des Claims-made-Prinzips, sondern ist

8   Ebenda VersR 2009, 1066, 1068.

                                            www.wilhelm-rae.de                                          7
eine logische Konsequenz desselben. Streicht man                1 und Abs. 2 BGB darstellen und mithin nicht zur
       also die Nachmeldefrist, verbleibt eigentlich nur               Unwirksamkeit entsprechender VersBedingungen
       noch die Umstandsmeldung, um eine Kompensa-                     führen, sofern sie unter anderem durch eine Nach-
       tion im Sinne der o.g. OLG-Rechtsprechung zu er-                haftungsregelung kompensiert werden (…). Ge-
       reichen. Dies allein dürfte vermutlich nicht ausrei-            messen hieran ist der vollständige Ausschluss einer
       chen, um den Grundsätzen des OLG München zu                     Nachmeldefrist gerade für den für die Organe ei-
       genügen.                                                        ner Kapitalgesellschaft regelmäßig mit erhebli-
                                                                       chen Haftungsrisiken verbundenen Fall der Insol-
     Nicht weniger problematisch als die vollständige                  venzantragstellung nicht wirksam.“ [Hervorhe-
     Streichung der Nachmeldefrist stellt sich der aktu-               bung diesseits]
     ell wieder diskutierte Ausschluss der Nachmelde-
                                   frist im Insolvenzfall              Für eine AGB-rechtskonforme Streichung der
Streicht man die                   oder das Entfallen                  Nachmeldefrist für den Fall der Insolvenzantrag-
                                   der Nachmeldefrist                  stellung oder bei Neuabschluss bleibt danach we-
Nachmeldefrist,
                                   bei Abschluss einer                 nig Spielraum.
bleibt kaum eine                   Nachfolgepolice dar.
Kompensation für die Das OLG Hamburg                                   Als dritte Konstellation steht derzeit wohl der voll-
Nachteile des Claims- geht von einer AGB-                              ständige Ausschluss von Insolvenzrisiken von Ma-
                                   rechtswidrigen unan-                nagern in D&O-Deckungen im Raum. Ein solcher
made-Prinzips.
                                   gemessenen Benach-                  Ausschluss betrifft weniger die Frage der AGB-
     teiligung aus, wenn die dreijährige Nachmeldefrist                Rechtswidrigkeit des Claims-made-Prinzips. Viel-
     für den Versicherungsnehmer vollständig ausge-                    mehr dürfte hier die Frage betroffen sein, ob ein
     schlossen wird, und führte aus:9                                  Versicherungsprodukt, bei dem ein wesentliches
                                                                       Risiko (Ansprüche gegen Manager aus Insolvenzri-
       „Der Senat folgt insoweit der Auffassung der Ober-              siken) von vornherein ausgeschlossen ist, für den
       landesgerichte München und Frankfurt, dass die                  Versicherungsnehmer noch sinnhaft ist bzw. ob
       mit dem vorliegend in § 1 Ziffer 2.2 der VersBedin-             der Versicherungsnehmer damit den Erfordernis-
       gungen zugrunde gelegten sog. „Claims-Made-
       Prinzip“ verbundenen Nachteile nur dann keine un-
       angemessene Benachteiligung i. S. des § 307 Abs.

       9   OLG Hamburg, , r + s 2015, 498, 499 sowie 2. LS der Ent-
           scheidung.

                                                           www.wilhelm-rae.de                                           8
sen der „Verschaffungsklauseln“ in den Anstel-                    den. Denn eine ersatzlose Streichung der unwirk-
lungsverträgen mit den eigenen Managern ge-                       samen Klausel würde den typischen Parteiinteres-
nügt.10                                                           sen nicht angemessen Rechnung tragen.

4.     Rechtsfolge       unwirksamer         Claims-made-         Nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der
       Klauseln                                                   ergänzenden Vertragsauslegung ist die Vertragslü-
                                                                  cke in der Weise zu füllen, wie es die Parteien bei
Fraglich ist, welche Rechtsfolgen sich aus einer un-              sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Inte-
wirksamen Claims-made-Klausel ergeben würden.                     ressen unter Berücksichtigung von Treu und Glau-
                                                                  ben sowie der Ver-
Rechtsfolge einer unwirksamen Klausel ist grund-
                                                                  kehrssitte redlicher            Würde die Claims-
sätzlich, dass an ihre Stelle gemäß § 306 Abs. 2
                                                                  Weise       vereinbart    made-Klausel unwirk-
BGB das Gesetz tritt. Das VVG enthält jedoch in
                                                                  hätten, wenn ihnen
den §§ 100 ff. VVG keine eigene Definition des                                              sam, wären die recht-
                                                                  die Unwirksamkeit
Versicherungsfalls der Haftpflichtversicherung.
                                                                  der Klausel bei Ver-
                                                                                              lichen Folgen für den
Eine gesetzliche Definition des Versicherungsfalls                                                Vertrag ungewiss.
                                                                  tragsschluss bekannt
im VVG würde angesichts der Vielfältigkeit von
                                                                  gewesen wäre.11 Im
Haftpflichtversicherungen auch keinen Sinn erge-
                                                                  Hinblick auf das Claims-made-Prinzip erscheint es
ben und wird deshalb regelmäßig in den jeweili-
                                                                  fraglich, was die Parteien vereinbart hätten, wenn
gen Allgemeinen Versicherungsbedingungen vor-
                                                                  die Unwirksamkeit der Klausel bei Vertragsschluss
genommen.
                                                                  bekannt gewesen wäre.12
Wenn kein Gesetzesrecht zur Lückenfüllung vor-
                                                                  5.    Konsequenzen für die versicherungsneh-
handen ist, muss die Vertragslücke im Wege der
                                                                        mende Industrie
ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen wer-
                                                                  Die neuerdings aufgekommene Diskussion über
                                                                  die komplette Streichung von Nachmeldefristen,

10   Solche Verschaffungsklauseln in Anstellungsverträgen re-     12   Vgl. BGH, Urteil v. 26.3.2014, VersR 2014, 625, 626, der
     geln die Pflicht des Unternehmens, angemessene Berufs-            eine Inhaltskontrolle (auf Unangemessenheit) von Nr. 1
     haftpflichtversicherung für den Manager (D&O-Versiche-            AHB 2008 mit dem Argument ablehnt, dass sie sich nicht
     rung) zu besorgen.                                                auf den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung
                                                                       (die Definition des Versicherungsfalls) beziehen würde,
11   Vgl. statt vieler BGHZ 88, 78 = VersR 1983, 848; BGHZ 117,        die nicht kontrollfähig sei.
     92 = VersR 1992, 477; BGHZ 139, 333 = VersR 1999, 210.

                                                      www.wilhelm-rae.de                                                   9
Wegfall von Nachmeldefristen in der Insolvenz o-        Diesen Beitrag veröffentlichte die Zeitschrift Die
der den vollständigen Wegfall der Deckung von In-       Versicherungspraxis in ihrer Ausgabe 03/2021.
solvenzrisiken in der D&O-Versicherung führt in
eine Sackgasse. Das Claims-made-Prinzip und die         Für Rückfragen steht Ihnen der Autor gern zur Ver-
Nachhaftung sind zwei der tragenden Säulen der          fügung:
D&O-Versicherung und gehören untrennbar zu-
                                                                       Dr. Fabian Herdter, LL.M. Eur.
sammen. Versicherer, die solche Deckungsein-
                                                                       Rechtsanwalt und Partner
schränkungen durchsetzen, riskieren, dass die
Claims-made-Klauseln dieser Verträge eine unan-
                                                                       WILHELM Partnerschaft von
gemessene Benachteiligung des Versicherten ge-
                                                                       Rechtsanwälten mbB
mäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB darstellen.
                                                                       Tel: +49 211 687746 50
Auch für Unternehmen sind solche Verträge kri-                         fabian.herdter@wilhelm-rae.de
tisch, da sie ggf. nicht den Erfordernissen der je-
weiligen Verschaffungsklauseln in den Anstel-
lungsverträgen mit den jeweiligen Managern ge-
nügen, was zu Schadenersatzansprüchen des Ma-
nagers gegen das Unternehmen führen könnte.
Nicht zuletzt müssen auch Versicherungsmakler
im Hinblick auf die eigene Schadenersatzpflicht
gemäß § 63 VVG vorsichtig sein, wenn sie zu solch
lückenhaften Produkten Beratungsleistungen er-
bringen.

                                            www.wilhelm-rae.de                                       10
„Kluge Köpfe, die sehr engagiert und strategisch vorgehen“
       JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2016/17

       Das Team spezialisiert sich auf die Vertretung von Versicherungsnehmern in Groß-
       schadensfällen und gilt in diesem Bereich als „absolute Spitzenklasse“.
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       Über uns:

       Die Sozietät Wilhelm ist spezialisiert auf die Beratung von Unternehmen und deren Entschei-
       dungsträgern in kritischen Situationen – vom Großschaden über die persönliche Inanspruchnah-
       me bis hin zum Compliance-Verstoß im Unternehmen. Rund zwanzig Rechtsanwälte und Berater
       an zwei Standorten (Düsseldorf und Berlin) vereinen hierfür Expertise aus den Bereichen Versi-
       cherung, Haftung, Compliance und Gesellschaftsrecht. Weltweit kooperiert die Sozietät mit Kanz-
       leien unter anderem in den USA, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Belgien, Schweden und
       Polen.

       WILHELM Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB

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