Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie

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Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Darwinismus als Wissenschaft und
           Weltanschauung I:
Charles Darwin und die Evolutionstheorie

 Literatur
 Charles Darwin, Über die Entstehung der Arten durch
 natürliche Zuchtwahl (Erstmals erschienen 1859),
 Auszüge. Kopiervorlage in der W-1 Kursmappe!
 Adrian Desmond und James Moore, Darwin (Reinbek b.
 Hamburg 1994), Auszüge. Kopiervorlage in der
 Vorlesungsmappe!
 Julia Voß, Darwins Bilder. Frankfurt a.M. 2007.
Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
I. Einleitung –
     Fragen der Darwin-Forschung
A. Die traditionelle Auffassung - ein Genie, der's mit
   'seiner Zeit' genau traf
B. Neuere Ansätze
   1. Sozialgeschichte. Der „Common Context“:
   victorianische Naturforschung und britisches
   Bürgertum treffen sich
Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Fragen der Darwin-Forschung (Forts.)

2. Kulturgeschichtliche Perspektiven
  (a) Die Welt der publizistischen
  Sensationen im Industriezeitalter
  (b) Nicht NUR Wissenschaft versus
  Religion – Wertorientierungen und
  politische Implikationen der Debatte um
  die Geschichte der Lebensformen
  (c) Die Text- und Bildernetzwerke Darwins
Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
II. Die wissenschaftlichen und
    kulturellen Hintergründe

 A. Die Historisierung der Erde

 (Parallel zur Historisierung des Lebens seit Buffon)
 Das ‚Problem‘: Offenkundige Wandlungen der
 Erdoberfläche seit der Schöpfung
 Aus welcher Substanz (welchem Element) ist alles
 entstanden?
Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Abraham Gottlob Werner
1749 – 1817
Kurze Klassifikation und Beschreibung
 der verschiedenen Gebirgsarten,1787

Sedimentäre Gesteine
Neptunismus
Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
James Hutton – Vulkanismus
1726 -1797

Plutonismus
Aktualismus
Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Georges Cuvier 1769 - 1832
Director am Musée Nationale de
   Histoire Naturelle in Paris

Verbindung der Erdgeschichte mit
  einer Historisierung der
  Lebewesen – Das Problem der
  Fossilien

– Katastrophismus
Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Diagramm Cuviers
der Schichten
(Strata) des
Gesteins im Tal
der Seine (1811),
mit Skizzen der
jeweils vorhanden-
en Fossilien
Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
„Extinct Animals“ in der Gegend von Devonshire
Darwinismus als Wissenschaft und Weltanschauung I: Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Weitere „Extinct Animals“
-aus einer populären Darstellung
von 1832
Charles Lyell (1797 - 1875)

    Principles of Geology, 3 Bände 1830 -
    33

    – Uniformitarianismus
•   Dieselben Kräfte und Vorgänge, die
    seit dem Beginn der Erdgeschichte
    gewirkt haben, wirken heute noch
    weiter.
B. Die 'Arten-Frage' („species question“)
 oder: Die Historisierung des Lebens

„Spezielle Schöpfung“ („special creation“) oder
„Transmutation“ (= Artenverwandlung)?
Jean Baptiste Lamarck
(1744 - 1829)
Leiter der Abteilung für
wirbellose Tiere am Musée
Nationale de Histoire Naturelle
in Paris

Zoologische Philosophie (1809)
Aus „Zoologische Philosophie“ (1809)

• „Eine lange Stufenfolge der Lebewesen, von
  den einfachen zu den komplexen“.
• Wandlungen verursacht durch Einflüsse der
  Umgebung vermittelt durch feine „Fluida“.

  „Da sich jede Art … in Harmonie mit ihrer
  Umgebung befinden muss und sich diese
  Umgebung ständig ändert, muss jede Art, wenn
  sie in … Ausgewogenheit mit ihrer Umgebung
  bleiben will, gleichfalls einen stetigen Wandel
  durchmachen. Täte sie das nicht, geriete sie in
  Gefahr, auszusterben.“
C. Die sozialen und politischen
   Implikationen (in England nach 1815)
• Aufruhr in der neuen Industriegesellschaft
  (z.B.: Peterloo Massacre 1819, später:
  Chartism)
• Das Wirtschaftsbürgertum drängt an die
  Macht
• Offene Herausforderungen an die
  Anglikanische Kirche: Die Radikalen
  Richard Carlile und Reverend Robert
  Taylor werden der „Blasphemie“ überführt.
III. Charles Darwin
(1809 -1882)

Sohn des wohlhabenden
Landarztes Robert Darwin

Enkel des Naturalisten (und
Gegner der Sklaverei)
Erasmus Darwin
Robert Darwin
Studium
der
Medizin in
Edinburgh

Mentor:
der radi-
kale
Lamarck-
ist
Robert
Grant
Studien der Philosophie und Theologie (!) am Christ‘s
                 College Cambridge
Vorlesungen u.a. bei
James Henslow –
Zoologe
und
Adam Sedgwick –
Geologe
• Prüfungslektüre u.a.:
• William Paley – Evidences of Christianity +
  Principles of Moral and Political Philosophy
• John Locke, Essay on Human Understanding
  Legt die theologische Prüfung ab, nimmt den
  Talar (“holy orders”) aber nicht an.
B. Die Weltreise auf der HMS 'Beagle'
                 (1831-1836)

• Reise als ‚Naturalist‘ (Naturkundler) auf dem HMS
  'Beagle‚
• Eigentliche Aufgabe der Besatzung: Ausmessungen von
  Meeresströmungen, Küsten und Häfen (Seemacht
  Grossbritannien)
• Mitgenommene Lektüre u.a. Lyell‘s „Principles of
  Geology“, Band 1
Das HMS
‚Beagle‘
(zeitgenössiches
Bild)
Die Route der ‚Beagle‘
Captain Robert Fitzroy
zunächst Vorgesetzter,
dann Freund Darwins

Exzellenter
Zeichner
‚Beagle‘ - Befunde

1: Fossile Säugetiereknochen
‚Beagle‘-Befunde

2: Fossile Überreste von Meerestieren in den Anden
‚Beagle‘-Befunde

3: Vielfalt verwandter Arten in derselben geographischen
   Umgebung
Das Galapagos-
Archipel
Die Galapagos-Finken

• Anatomische und Verhaltensunterschiede verwandter
  Arten in einer ähnlichen geographischen und
  klimatischen Umgebung
Finkenarten mit unterschiedlichen Schnabelformen
 (korrespondierend mit unterschiedlichen Beutearten)

Alles zunächst NUR „interessante Beobachtungen“, noch
ohne theoretische Interpretation in den Tagebüchern notiert.
IV. Die Entstehung der 'Entstehung
       der Arten' (1836-1859)

 A. Warum dauerte es so lange?
 Die Wissenschaftsauffassung Darwins und
 seiner Kollegen

 Aus der Autobiographie Darwins:
 „I worked on true Baconian principles, and
 without any theory collected facts on a
 wholesale scale…“
B. Der gesellschaftliche Kontext

Das bürgerliche Leben in London

z.B.: Der Garten der ‚Zoological Society‘
im Regents‘ Park (gegründet 1828)
Der politische Hintergrund

    Debatte um die Reform der Armenfürsorge (seit 1834)
    Position der „Benthamites“
•   Thomas Malthus – On Population (1798)
•   Das Malthusianische “Gesetz”:
    Nahrungskapazität der Erde wächst “arithmetisch”
    “Natürliches” Bevölkerungswachstum “geometrisch”
•   “Natürliche” “checks on population”: Klimakatastrophen,
    Seuchen, aber auch Kriege
•   Malthus’ Programm: “moral restraint” als weiteres
    “check” gegen Bevölkerungswachstum
•   Die Verbindung zum Reformprogramm: Arbeitshäuser
Harriet Martineau
(1802 – 1876)
Schriftstellerin und
Journalistin
Macht Darwin mit den
Auffassungen von
Malthus bekannt
Nach der Lektüre Malthus’

Aus der Autobiographie Darwins:

“I had at last got a theory by which to work; but I was so
anxious to avoid prejudice, that I determined not for some
time to write even the briefest sketch of it.”
C. Von den ersten Manuskripten zur
      induzierten Veröffentlichung

a. Darwin heiratet und zieht nach Down (in Kent)
Emma Wedgwood
1839, zur Zeit der
Eheschließung mit
Darwin
Emma als
ältere Ehefrau
(ca. 50),
nach der Geburt
des zehnten
Kindes
Down – Landhaus der Familie Darwin
Charles Darwin
mit seinem ältesten
Sohn William -
Daguerreotyp 1842
Darwins
Lieblings-
tochter
Annie
(1841-1851)
Von Down aus:
Korrespondenz-
netzwerke (mit
Wissenschaftlern
und Züchtern)
z.B.: Joseph Dalton
Hooker
(1817-1911)
Forschungsreisender
Botaniker
Ab 1865 Direktor des
Royal Botanical Gardens
in Kew
Gezüchtete Taubenarten
Robert Chambers, Vestiges of the Natural History of
Creation (1844) – eine publizistische Sensation, anonym
erschienen aus Angst vor Skandalen
Alfred Russell Wallace
(1823 – 1913)
Gemeinsame Präsentation
vor der Linnean Society
1858,
Publikation der beiden
Kurzdarstellungen 1859
V. "One long argument" - Logik und
 Metapher im Hauptwerk Darwins

Über die Entstehung der Arten durch natürliche
 Zuchtwahl (Erstmals erschienen 1859)
„Die Entstehung der Arten“

Titelblatt der Erstausgabe
A.   Das Kontinuitätsprinzip - zwei Bedeutungsebenen

       1. Keine rigiden Abgrenzungen zwischen
              den Arten (Buffon contra Linne)
              2. Kontinuierliche Variabilität auch innerhalb
                     jeder Art
B.
A. Das Kontinuitätsprinzip - zwei
       Bedeutungsebenen

• Keine rigiden Abgrenzungen
  zwischen den Arten (Buffon contra
  Linne)
• Kontinuierliche Variabilität auch
  innerhalb jeder Art
B. Variabilität unter Domestizierung
       und im ‚Naturzustand‘
• eine zentrale Analogie
• dokumentiert durch die Erfahrungen der
  Züchter, sowie (indirekt) durch die
  Feldbeobachtungen der Naturhistoriker
  („Naturalisten“)
C. ‚Kampf ums Dasein‘ und
          ‚natürliche Zuchtwahl‘
       1. als Mechanismen der Evolution

•   Ebenen des ‚Kampfes ums Dasein’ („Struggle for life“):
•   Kampf mit den Lebensbedingungen („conditions of life“),
    d.h. mit der natürlichen Umwelt (Geographie, Klima
    usw.)
•   Kampf mit anderen Arten um dieselben
    Nahrungsmöglichkeiten (Nischen)
•   Kampf ums Überleben unter der Individuen einer Art
2. als Analogie aus der politischen Ökonomie

       „nichts anderes als die Lehre von Malthus,
       angewandt auf die gesamte Pflanzen- und
       Tierreiche…“

3. als Personifizierung der Natur (wer 'selektiert'?)
Aus der „Entstehung der Arten“

• „Es unterliegt allerdings keinem Zweifel, dass
  buchstäblich genommen, natürliche Zuchtwahl der
  falsche Ausdruck ist; wer hat aber je den Chemiker
  getadelt, wenn er von den Wahlverwandtschaften der
  verschiedenen Elemente spricht? Und doch kann man
  nicht sagen, das eine Säure sich die Basis auswähle, mit
  der sie sich vorzugsweise verbinden wolle….Eben so
  schwer ist es, eine Personifizierung des Wortes Natur zu
  vermeiden; und doch verstehe ich unter Natur bloss die
  vereinte Tätigkeit und Leistung der mancherlei
  Naturgesetze…“
Nur wenige Zeilen weiter:

• „Man kann figürlich sagen, die natürliche
  Zuchtwahl sei täglich und stündlich durch die
  ganze Welt beschäftigt, eine jede, auch die
  geringste Änderung zu prüfen, sie zu verwerfen,
  wenn sie schlecht, und sie zu erhalten und zu
  vermehren, wenn sie gut ist. Still und
  unbemerkbar ist sie überall und allezeit, wo sich
  die Gelegenheit darbietet, mit der
  Vervollkommnung eines jeden organischen
  Wesens in Bezug auf dessen organischen und
  unorganischen Lebensbedingungen
  beschäftigt.“
Das „Baumzweigmodell“ der
        Evolution
E. Probleme mit dem Argument –
    von Darwin selbst genannt
• Wie werden Adaptationsvorteile weiter
  gegeben? Hybridizierung und die Bestimmung
  des Erbgangs
• Das Verhältnis des Individuums zur
  Artenentwicklung (Ontogene + Phylogenese)
• Wo sind die Beweise? Die lange Dauer der
  Evolution, die Schwierigkeit oder scheinbare
  Unmöglichkeit eines experimentellen Beweises
• Lücken im Fossilienniederschlag - Natura non
  fecit saltum?
Resumee - Glaubte Darwin an
         einem Schöpfer?
• Brief an Asa Gray: „Es ist kaum zu glauben, dass das
  Ganze sich ohne Design ergeben haben sollte…“

• Schluss der „Entstehung der Arten“: „Es ist wahrlich eine
  großartige Ansicht, dass der Schöpfer den Keim alles
  Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer
  einzigen Form eingehaucht hat, und dass, während
  unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft
  folgend sich im kreise schwingt, aus so einfachem
  Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und
  wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer
  entwickelt.“

• Später - Darwin: ein „Agnostiker“?
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