Das akute Subduralhämatom bei geriatrischen Patienten: Wieviel Neurochirurgie brauchen wir? // The role of age in the treatment of traumatic brain ...
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Das akute Subduralhämatom bei Homepage: geriatrischen Patienten: Wieviel www.kup.at/ Neurochirurgie brauchen wir? // The JNeurolNeurochirPsychiatr role of age in the treatment of Online-Datenbank traumatic brain injury mit Autoren- und Stichwortsuche Unterhofer C, Hartmann S Wittlinger K, Freyschlag C Ortler M, Thome C Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2018; 19 (2), 53-58 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH. Das akute Subduralhämatom bei geriatrischen Patienten: Wieviel Neurochirurgie brauchen wir? C. Unterhofer, S. Hartmann, K. Wittlinger, Ch. F. Freyschlag, M. Ortler, C. Thomé Kurzfassung: Man kann vom neurochirurgi- umstände der Patienten in der Entscheidung Schlüsselwörter: Schädel-Hirn-Trauma, geri- schen Dilemma sprechen, wenn ein geriatri- zur weiteren Therapie miteinfließen. atrische Patienten, akutes Subdural-Hämatom scher Patient mit einem schweren Schädel- Aufgrund all dieser Fragen ist es umso ver- Hirn-Trauma und einem akuten Subduralhäma- ständlicher, dass in der Akutsituation die „rich- tom in den Schockraum kommt. Vor allem bei tige“ Entscheidung oft schwer zu treffen ist – Abstract: The role of age in the treatment of Patienten, die sich in einem schlechten neuro- man will doch nur das „Beste“ für die schwer traumatic brain injury. Increasing life expec- logischen Zustand befinden und zum Zeitpunkt verletzten Patienten erreichen. tancy leads to aging of the population. It re- der Therapieentscheidung nicht mehr bei Be- Die Vielzahl an kontroversen Fragestellungen, mains unclear, which factors influence neuro- wusstsein sind, kann das Erstellen eines Be- die bei der Entscheidung zum weiteren Procede- surgical decision-making when it comes to in- handlungsplanes aus vielerlei Gründen er- re entstehen können, die unterschiedlichen Ope- dications for e.g. evacuation of subdural hema- schwert sein. Es werden bereits im Schock- rationsarten, die gewählt werden können und tomas in very old patients. Therefore, we aimed raum Fragen aufgeworfen, wie zum Beispiel, ob den persönlichen Zugang von Neurochirurgen zu to investigate first, the importance of imaging in Anbetracht des Alters überhaupt eine opera- geriatrischen Patienten nahmen wir zum Anlass, criteria, patients’ wishes or their next of kin’ tive Behandlung in Betracht gezogen wird. Soll- unsere Umfragen zu starten: In unserer ersten wishes and patient demographics on therapeu- te man sich zu einer Operation entscheiden, ist Studie haben wir Neurochirurgen zu Indikations- tic decisions made by neurosurgeons. Second, auch die Invasivität der Behandlung (große stellungen und Therapie beim akuten Subdural- to explore personal preferences regarding life- Entlastungskraniotomie vs. Versuch einer Ent- hämatom bei einer geriatrischen Patientin be- prolonging neurosurgical interventions among leerung über eine kleinere osteoplastische Kra- fragt. In der zweiten Umfragestudie haben wir ambulatory, autonomous elderly people. J Neu- niotomie, Einsatz von multimodalem invasivem geriatrische Menschen interviewt, bezüglich ih- rol Neurochir Psychiatr 2018; 19 (2): 53–8. Monitoring) eine Einzelentscheidung. Des Wei- rer Wünsche und Ängste, sollten sie selbst ein teren stellt sich die Frage, ob patientenbezoge- schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Bewusst- ne Faktoren für Neurochirurgen eine Rolle spie- seinsverlust erleiden. Die Ergebnisse finden wir Keywords: craniocerebral injury, geriatric pati- len und inwiefern soziale Faktoren und Lebens- erstaunlich und widersprüchlich zugleich. ents, acute subdural hematoma Einleitung fordernden akuten Subduralhämatom (aSDH) eine relevante Rolle spielen. Andererseits wollten wir von geriatrischen Pa Aus den Prognosen des Berliner Institutes für Evolution und tienten selbst erfahren, was sie für sich wünschen oder fürch- Entwicklung (www.berlin-institut.org) geht hervor, dass in Eu- ten, sollten sie ein aSDH mit Bewusstseinsverlust erleiden. ropa die Einwohnerzahl im Jahre 2050 von 591 Millionen auf 542 Millionen zurückgehen wird, jedoch wird der Anteil jener Das akute Subduralhämatom Menschen, die älter als 65 Jahre sind, von 16 % auf 28 % an- wachsen. Die Lebenserwartung wird von 76 auf 82 Jahre stei- Das aSDH kann eine lebensbedrohliche Blutung sein [3–5]. gen. Durch das zunehmende Alter wird auch die Anzahl jener Das Auftreten dieser Blutungsart nimmt mit zunehmendem Patienten steigen, welche nach einem Unfall eine Verletzung Alter zu [3–7]. Die Wahrscheinlichkeit, sich von dieser Blutung des Schädels und des Gehirnes erleiden [1]. Dementsprechend zu erholen, nimmt aber mit zunehmendem Alter ab [4, 5]. Un- werden Neurochirurgen im Schockraum öfters mit dieser The- terschiedliche Faktoren können die Mortalität und die Morbi- matik konfrontiert werden [1]. dität nach einem aSDH bei alten Patienten erhöhen [7–9]: der initiale neurologische Zustand, das Vorhandensein von mehr Für diese fragile Patientenpopulation hängt das Wiedererlan- als drei Komorbiditäten, die Einnahme von gerinnungsbeein- gen eines selbstbestimmten Lebens an einem seidenen Faden: flussenden Medikamenten und die Latenz zwischen Trauma Komorbiditäten, reduzierte Reservemöglichkeiten und beein- und klinischer Verschlechterung [1, 6, 7]. trächtigte psychische und physische Funktionen können nach einem schweren Unfall den Weg zurück in die Selbständigkeit Beim aSDH kommt es zu einer rasch fortschreitenden Blut- und Unabhängigkeit erschweren [1, 2]. Die Herausforderun- ansammlung zwischen harter Hirnhaut (Dura mater) und gen für Neurochirurgen beginnen somit nicht im Operations- Hirnoberfläche (Cortex). Die Ursache ist meist traumatisch saal, sondern bereits im Schockraum oder zum Zeitpunkt der und bei geriatrischen Patienten häufig durch Sturzereignisse Erstvorstellung im Krankenhaus. bedingt [6, 7]. Im Rahmen unserer Umfragen wollten wir einerseits von un- Je größer und tiefer das Hämatom, umso mehr wird die seren neurochirurgischen Kollegen erfahren, welche Kriterien Hirnoberfläche komprimiert und das Gehirn zur Gegenseite für die Behandlung geriatrischer Patienten mit einem raum- verdrängt. Das Gehirn kann dem zunehmenden Druck nicht ausweichen, da es vom knöchernen Schädel umgeben ist. Der rasch auftretende intrakranielle Druckanstieg äußert sich kli- Eingelangt am 09.06.2017, angenommen nach Review am 26.07.2018 Aus der Universitätsklinik für Neurochirurgie, Medizinische Universität Inns- nisch in einer Bewusstlosigkeit und kann unbehandelt zum bruck Tode führen. Das Ausmaß der Hirnkompression und der Ver- Korrespondenzadresse: OA PD Dr. Claudia Unterhofer, Universitätsklinik für Neurochirurgie, Medizinische Universität Innsbruck, A-6020 Innsbruck, drängung wichtiger Hirnstrukturen bestimmt dann auch den Anichstraße 35, E-mail: claudia.unterhofer@tirol-kliniken.at klinischen Zustand des Patienten und seine Genesung. J Neurol Neurochir Psychiatr 2018; 19 (2) 53
Geriatrie und Schädel-Hirn-Trauma Abbildung 1: In die Befragung eingeschlossenes natives Schädel-CT der Patientin mit einem aSDH auf der rechten Seite und Mittellini- enverlagerung nach links. Aus Studien an jungen Menschen geht hervor, dass bei Pa- Hirndruckwerte und keine operationsbedingten Komplikatio- tienten, die sich nach einem stattgehabten SHT in einem nen [1]. Aus der Metaanalyse von Mak et al. geht auch hervor, schlechten neurologischen Zustand befinden, die größtmög- dass eine Entlastungskraniotomie bei geriatrischen Patienten liche Operation (große Entlastungskraniotomie mit Dura keinen Vorteil zeigt und dass sich 80 % der operierten Patien- erweiterungsplastik) angestrebt werden soll, um von Beginn ten innerhalb eines Jahres schlecht erholen [1]. an einem potenziellen Hirndruckanstieg entgegenzuwirken [10]. Über das Operationsausmaß bei sehr alten Patienten Methoden liegen bis dato noch keine prospektiv randomisierten Ergeb- nisse vor. Umfrage für Neurochirurgen Für die Online-Umfrage für Neurochirurgen starteten wir Im neurochirurgischen Alltag erlebt man, dass Neurochirur- eine Befragung aller Mitglieder der Österreichischen und der gen uneinheitlich an die Problematik eines sehr alten Patien- Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (ÖGNC, DGNC). ten mit raumfordernden aSDH herangehen. Sowohl über die Dargestellt wurde der reelle Fall einer 81-jährigen Frau nach Größe der durchzuführenden Kraniotomie, als auch über das einem SHT. Das Fallbeispiel wurde den Neurochirurgen fol- Einnähen einer Duraerweiterungsplastik und die Anlage von gendermaßen geschildert: „81-jährige Patientin, raumfordern- Messsystemen herrscht Uneinigkeit. des aSDH über der rechten Hemisphäre. Zustand nach mehr- fachen Stürzen unter Cumarin-Therapie. Der Notarzt wird Geriatrische Patienten und das schwere um 08:00 Uhr kontaktiert. Erstes CCT im peripheren Kran- kenhaus um 08:11. Initialer GCS 14. Verlegung der Patientin Schädel-Hirn-Trauma in den Schockraum der Uniklinik. Dort verschlechtert sich der Der Begriff Geriatrie wurde durch Ignaz Leo Nascher erstmals Zustand der Patientin akut, sie wird intubationspflichtig. Die im Jahre 1909 verwendet. Er publizierte seine erste Arbeit mit rechte Pupille ist nach der Intubation weit. 2. CCT um 09:17. dem Thema „The diseases of old age and their treatment“. Der Zusatzdiagnosen: Aortenklappenstenose, Herzinsuffizienz.“ geriatrische Patient ist heute definiert durch geriatrietypische Das durchgeführte Schädel-CT (Abb. 1) zeigte ein raumfor- Multimorbidität und höheres Lebensalter (überwiegend über derndes aSDH über die rechte Hemisphäre. Das Hämatom 70 und älter) [2]. Durch die Hervorhebung der alten, aber vor führte zu einer Mittellinienverlagerung nach links und zu allem sehr alten Menschen als eigenständige Patientenpopu- einer Kompression der Hirnoberfläche und der mittellinien- lation mit andersartigen Krankheitsverläufen und -prognosen nahen Strukturen. sollte durch eigene Behandlungspfade eine angepasste Thera- pie für diese Altersgruppe definiert werden [2]. Nun wurden den Kollegen 11 Fragen zur Operationsindika tion und zum Operationsausmaß gestellt und 5 Fragen zu den Laut Ergebnissen der World Health Organization (WHO) sozialen Umständen der Patientin. Die Antwortmöglichkeiten wird das SHT im Jahre 2020 die häufigste Todesursache und waren: sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig und unwichtig. die häufigste Ursache für Behinderung bei unfallbedingten Die Ergebnisse wurden in sehr wichtig/wichtig und weniger Verletzungen darstellen [1]. Bedingt durch das zunehmende wichtig/unwichtig dichotomisiert. Die 16 Fragen wurden fol- Altern der Gesellschaft wird somit auch die Anzahl geriatri- gendermaßen formuliert: scher Patienten ansteigen, die ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Würden Sie die Patientin akut operieren? erleiden [1]. Aus der Studie von Mak et al. [1] geht hervor, Spielt der bekannte Zeitpunkt der klinischen Verschlechterung dass sich geriatrische Patienten, verglichen mit jüngeren und in Ihrer Therapieentscheidung eine Rolle? älteren Patienten, schwerer von einem SHT erholen, häufiger Spielt die Ausdehnung des Hämatoms in Ihrer Therapieent- Langzeitpflege benötigen oder versterben [1]. Trotz erfolgrei- scheidung eine Rolle? cher Operation versterben über 80 % der geriatrischen Patien- Spielt die Ausdehnung der Mittellinienverschiebung in Ihrer ten, die sich vor der Operation in einem schlechten neurolo- Therapieentscheidung eine Rolle? gischen Zustand befanden und tief bewusstlos waren [1, 7–9]. Spielt das Alter der Patientin in Ihrer Therapieentscheidung Viele der verstorbenen Patienten hatten postoperativ stabile eine Rolle? 54 J Neurol Neurochir Psychiatr 2018; 19 (2)
Geriatrie und Schädel-Hirn-Trauma Welche Operation würden Sie bei der Patientin durchführen? Zum Zeitpunkt der Entscheidung, ob Operation oder nicht, sind −− große Entlastungskraniotomie mit Hämatomentleerung Sie nicht bei Bewusstsein und können deshalb keine weitere Ent- −− große Entlastungskraniotomie mit Hämatomentleerung scheidung treffen.“ und Duraerweiterungsplastik −− große osteoplastische Kraniotomie mit Hämatomentlee- Den Personen wurden zu diesem Fallbeispiel 19 Fragen ge- rung stellt: 11 Fragen wurden zu persönlichen und sozio-demogra- −− kleine osteoplastische Kraniotomie mit Hämatomentlee- phischen Daten, sowie zu Patientenverfügung und Gesund- rung heitsvollmacht gestellt. 8 Fragen wurden zu dem vorgestellten −− keine Patientenfall formuliert. Einige Fragen waren mit ja/nein zu beantworten, andere mit sehr sinnvoll, sinnvoll, weniger sinn- Würden Sie Messsysteme einbauen? voll oder nicht sinnvoll, oder mit sehr, kaum, eher nicht, nicht −− Überlaufdrainage zu beantworten. Die Ergebnisse wurden dichotomisiert. Die −− Hirndrucksonde Fragen wurden folgendermaßen formuliert: −− Multimodales Monitoring −− keine Wie leben Sie? −− alleine Spielen die Zusatzerkrankungen der Patientin in Ihrer Thera- −− bei Familienangehörigen pieentscheidung eine Rolle? −− mit einem Lebenspartner/Lebenspartnerin Spielt die Einnahme von Blutverdünnern in Ihrer Therapieent- −− in einem Altersheim scheidung eine Rolle? −− Anderes Über die Sozialanamnese der Patientin ist im Schockraum Haben Sie Personen (auch professionelle Helfer), auf die Sie noch nichts bekannt. Holen Sie vor Ihrer Therapieentschei- sich verlassen, und die Ihnen zuhause regelmäßig helfen kön- dung Informationen über die Lebensumstände der Patientin nen? ein? Haben Sie Haustiere? Spielen die Lebensumstände der Patientin (selbständiges Le- Halten Sie das Erstellen einer Patientenverfügung für sinnvoll? ben zu Hause, selbständiges Leben im Altersheim, Leben in Haben Sie eine Patientenverfügung? einer Pflegeeinrichtung mit hohem Pflegeaufwand) in Ihrer Wenn ja, wer hat Sie bei der Erstellung der Patientenverfügung Therapieentscheidung eine Rolle? unterstützt? Spielt das äußere Erscheinungsbild der Patientin (Gewicht, ku- −− Niemand tane Verfärbungen, Pflegezustand) in Ihrer Therapieentschei- −− Familie dung eine Rolle? −− Freunde Spielt der Wunsch der Angehörigen in Ihrer Therapieentschei- −− Hausarzt dung eine Rolle? −− Andere Spielt der Wille des Patienten (auf Nachfrage bei noch wachem Wenn nein, warum haben Sie keine Patientenverfügung? Patienten, Patientenverfügung) in Ihrer Therapieentscheidung −− Für mich nicht wichtig eine Rolle? −− Habe mich bisher nicht mit der Frage beschäftigt −− Habe zu wenig Informationen zum Thema erhalten Nach der Operation erleidet die Patientin eine Nachblutung. −− Wusste nicht wie man eine Patientenverfügung bearbeitet Würden Sie eine Revisionsoperation durchführen? −− Habe Angst vor einer Patientenverfügung Falls ja, würden Sie die Operation gegebenenfalls erweitern Haben Sie mit Ihren Angehörigen oder mit Freunden über (z. B. von einer kleinen Kraniotomie auf eine Entlastungskra- Ihren Willen und Ihre Ängste gesprochen, wie im Falle einer niotomie)? schweren Verletzung mit Bewusstseinsverlust und Unmög- lichkeit der Willensäußerung verfahren werden soll? Umfrage für geriatrische Patienten Sind Ihnen Gespräche über das Lebensende, Krankheit und Tod unangenehm? Für die Umfrage an über 75-jährigen Patienten haben wir Zum Fallbeispiel: Wovor fürchten Sie sich? (1 = sehr, 2 = kaum, nach Erhalt eines positiven Ethikvotums 100 konsekutive Pa- 3 = eher nicht, 4 = nicht) tienten zum Fall einer 81-jährigen Patientin nach einem SHT −− Vor Schmerzen interviewt. Bei den Befragten handelte es sich um Patienten, −− Nicht mehr aufzuwachen die aufgrund lumbaler Beschwerden die neurochirurgische −− Vor Behinderungen Ambulanz aufsuchten. Das Fallbeispiel wurde wie folgt for- −− Vor der Möglichkeit, kein selbständiges Leben mehr führen muliert: zu können −− Für die Familie eine Belastung zu sein „Stellen Sie sich vor, Sie sind 81 Jahre alt und stürzen zu Hause. −− zu sterben Sie ziehen sich eine schwere Blutung im Kopf zu und verlieren Würden Sie die Operation wünschen? dabei das Bewusstsein. Im Krankenhaus ergibt die Untersu- Würden Sie die Operation wünschen, auch wenn nach der chung eine ausgedehnte Hirnblutung an der Hirnoberfläche, die Operation ein längerer Aufenthalt auf einer Intensivstation zu einer Quetschung wichtiger Anteile des Gehirns führt. Eine nötig ist? Operation ist chirurgisch möglich, jedoch ist die Prognose nach Würden Sie die Operation wünschen, auch wenn Sie nach einer solchen Blutung sowohl fürs Überleben, als auch fürs Wie- der Operation mit einer körperlichen Beeinträchtigung leben dererlangen einer selbständigen Lebensführung sehr schlecht. müssen? J Neurol Neurochir Psychiatr 2018; 19 (2) 55
Geriatrie und Schädel-Hirn-Trauma Würden Sie die Operation wünschen, auch wenn Sie nach der als sehr wichtige/wichtige Faktoren für eine Operation ange- Operation mit einer geistigen Beeinträchtigung leben müssen? sehen. Die bevorzugte Operationstechnik war in diesem Falle Würden Sie die Operation wünschen, auch wenn Sie nach der eine große osteoplastische Kraniotomie und eine Hämatom- Operation kein selbständiges Leben mehr führen könnten? entleerung (44 %), gefolgt von einer großen Entlastungskra- Würden Sie die Operation wünschen, auch wenn Sie nach der niotomie mit Duraerweiterungsplastik (28 %). Auch hätten Operation nicht mehr sprechen könnten? 72 % der Befragten eine Hirndrucksonde im Rahmen der Würden Sie die Operation wünschen, auch wenn Sie nach der Operation implantiert. Operation intensive Neurorehabilitation benötigen? Haben Sie für den Fall der Entscheidungsunfähigkeit jeman- Die sozialen Umstände der Patientin, definiert als Leben allei- dem eine Gesundheitsvollmacht erteilt? ne zu Hause, Leben in einem Altersheim, Leben in einem Pfle- Wünschen Sie im Falle einer dauerhaften Hilflosigkeit oder geheim, wurden von den Befragten in 70 % der Fälle als sehr eines Komas die Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen? wichtig/wichtig angesehen. In 35 % der Fälle hätten die be- fragten Neurochirurgen präoperativ Informationen bezüglich Auch wurde bei jeder befragten Person ein Mini-Mental-Test der Lebensumstände der Patientin eingeholt. Diskussionen mit nach Folstein [11] zur Beurteilung der Kognition, ein Barthel- Angehörigen der Patientin über die Therapieoptionen werden Index [12] zur Beurteilung der Selbständigkeit im alltäglichen von 57 % der Fälle als weniger wichtig/unwichtig angesehen. Leben und ein Beck-Depression-Score [13] zur Beurteilung der Stimmungslage durchgeführt. Umfrage bei geriatrischen Patienten Befragt man Menschen über 75 Jahre bezüglich ihrer Wün- Der Patientenfall wurde den Menschen von einem Arzt oder sche und Ängste, sollten sie selbst ein schweres Schädel-Hirn- Medizinstudenten vorgetragen. Erst als die Personen angaben, Trauma mit Bewusstseinsverlust erleiden, sehen die Ergebnisse den Fall verstanden zu haben und den Sachverhalt wiederge- ganz anders aus: ben konnten, wurde mit der Befragung begonnen. Der Mini- Mental-Test, der Barthel-Index und der Beck-Depression- 51 % würden für sich in einem solchen Falle keine Operation Score wurden von ärztlichen Mitarbeitern in Anwesenheit der wünschen. Wenn sie postoperativ mit einer körperlichen Ein- Befragten erhoben (Tabelle 1). schränkung leben müssten, möchten 68 % keine Operation. Wenn sie mit einer kognitiven Einschränkung leben müssten, Ergebnisse antworten 91 % mit: „Nein, ich würde keine Operation wün- schen“. Am meisten fürchten die Patienten, eine Belastung für Umfrage bei Neurochirurgen die Familie zu sein, ihre Selbstständigkeit zu verlieren und eine 85 % der befragten Neurochirurgen würden die im Fallbeispiel Behinderung zu haben (29 %, 28 %, 25 %). Nur 3 % der Befrag- beschriebene Patientin operieren. Vor allem der vorhandene ten haben Angst vor dem Sterben. Mittellinienshift (84 %), die kurze Latenz zwischen Trauma und Operation (81 %) und die Hämatomtiefe (81 %) wurden Bezüglich der Patientenverfügung ergab die Befragung, dass 8 % der Patienten bereits eine Patientenverfügung besitzen. Die häufigsten genannten Ursachen für eine noch nicht abgeschlos- Tabelle 1: Ergebnisse aus dem Mini-Mental-Test, dem Barthel-Index und dem Beck-Depression-Score sene Patientenverfügung waren in erster Linie eine fehlende an Patienten älter als 75. [Std = Standard] Auseinandersetzung mit dieser Thematik (40 %) und zu wenig Information zum Thema Patientenverfügung (13 %). 17 % der Mean [Std. Abweichung] Befragten empfinden das Erstellen einer Patientenverfügung Barthel-Index 96,1 [+/- 10,6] als unwichtig. Auf die Frage, ob die Patienten mit Angehöri- Mini-Mental-State 27,6 [+/- 3,04] gen oder Freunden über ihren potentiellen Willen gesprochen Beck-Depression-Score 2,3 [+/- 2,3] hätten, sollte ihnen etwas zustoßen, antworteten 45 % mit „Ja“. Eine Gesundheitsvollmacht haben 39 % der Befragten erteilt. Abbildung 2: Operationsindikation unter den befragten Neurochi- Abbildung 3: Ängste geriatrischer Patienten im Falle eines schwe- rurgen vs. Operationswunsch unter den befragten Patienten ren SHT 56 J Neurol Neurochir Psychiatr 2018; 19 (2)
Geriatrie und Schädel-Hirn-Trauma Diskussion einer ganz anderen Perspektive gesehen: Hier zählt keine Wis- senschaft, keine Nachvollziehbarkeit, keine Messbarkeit und Unsere Untersuchungsergebnisse bei der Behandlung geria Reproduzierbarkeit. Hier steht der Mensch im Vordergrund, trischer Menschen nach einem schweren SHT sind kontro- seine Ängste, seine Familie. Eine Behinderung wird als ein in- vers. Für die Neurochirurgen sind bei der Musterpatientin alle akzeptabler Zustand angesehen. Kriterien für eine rasche und ausgedehnte Operation erfüllt. Geriatrische Patienten hingegen zeigen sich fatalistisch und Wie können wir Ärzte im Einzelfall und zudem noch in einer haben wenig Angst vor einem traumatisch bedingten und Notfallsituation für die einzelnen Patienten eine gute Entschei- schnellen Lebensende. Folgen für die Familie und Verlust an dung treffen? Wiederum aus wissenschaftlicher Sicht, indem Selbständigkeit nach einem schweren SHT dominieren die wir Wissen und Informationen zu Prognosen, Therapien und Gedanken geriatrischer Menschen. Aber warum kommt es zu Komplikationen kennen. Aus klinischer Sicht, indem wir vor solchen widersprüchlichen Ergebnissen? allem ältere Patienten ganzheitlich und interdisziplinär be- trachten. Durch das Vorhandensein geriatrietypischer Multi- Ergebnisse aus neurochirurgischer Sicht morbidität [2] ist das enge Zusammenarbeiten mit Kollegen Aus ärztliche Sicht kann man sagen, dass eine Entscheidung aus unterschiedlichen Fachdisziplinen sinnvoll, will man so- für eine aktive Therapie im Klinikalltag immer leichter zu tref- wohl den körperlichen, aber auch den psychischen und sozia- fen ist als eine Entscheidung zur Palliation. Mediziner werden len Teil des Menschen wahrnehmen und behandeln [2]. während der gesamten universitären Laufbahn und oft auch im Klinikalltag erzogen zum Handeln und Helfen. Die Stra- Aus ethischer Sicht, indem Ärzte im Falle nicht ansprechbarer tegie eines Therapierückzuges und palliativen Begleitung der Patienten die Gesamtverantwortung für die Patienten über- Patienten wird als Behandlungsziel nicht gelehrt und wird in nehmen. Die Behandlung soll an einem interdisziplinären chirurgischen Fächern erst seit wenigen Jahren öffentlich the- Behandlungsziel orientiert sein, das idealerweise auch das Ziel matisiert [1, 2, 14]. Drei weitere Gründe für ein prochirurgi- der Patienten darstellt [2]. sches Handeln könnten folgende sein: Erstens sind Mediziner Naturwissenschafter; das computerto- Relevanz für die Praxis mographische Bild stellt ein stichhaltiges Kriterium dar, wel- Die akute Behandlung geriatrischer Patienten nach einem SHT ches „schwarz auf weiß“ zeigt, dass dieses Hämatom raumfor- kann Neurochirurgen oftmals vor ein Dilemma stellen. Durch dernd ist und einer chirurgischen Entleerung bedarf. Somit ist das Zusammenfließen klinischer (Bildgebung, klinischer Zustand der Patienten, Komorbiditäten), sozialer (Lebens- die Definition von Wissenschaft erfüllt: „Ein geordnetes und umstände der Patienten, Vorhandensein einer Patientenver- gesichertes Wissen wird hervorgebracht, welches jederzeit fügung, Gesundheitsvollmacht) und persönlicher Kriterien überprüfbar ist und objektivierbar bleibt“. (Wille, mutmaßlicher Wille) kann gemeinsam mit einem in- terdisziplinär erstellten Behandlungsplan jenes Behandlungs- Zweitens ist im Schockraum, im Falle einer Operation, der ziel erreicht werden, welches idealerweise auch dem Ziel der Patienten entspricht [2]. Weg der Patientin vorgegeben: zuerst in den Operationssaal, dann auf die Intensivstation. Über den weiteren postoperativen Verlauf der Patientin können andere Ärzte entscheiden. Die Endentscheidung zu einem Therapierückzug kann auf andere PD Dr. med. univ. Claudia Unterhofer Ärzte (Intensivmediziner, Stationsärzte) delegiert werden [2]. 1996–2003 Medizinstudium an der Leopold-Fran- zens-Universität-Innsbruck. 2003 Promotion zum Doktor der gesamten Heilkunde. 2004–2010 Drittens könne Ärzte auch im Gespräch mit Angehörigen Assistenzärztin an der Abteilung für Neurochirurgie argumentieren: „Wir haben alles getan, was in unserer Macht der Medizinischen Universität Innsbruck. seit 2010 stand“. Oberärztin an der Abteilung für Neurochirurgie, der Medizinischen Universität Innsbruck. 2012 Additiv- fach für Neurochirurgische Intensivmedizin. Seit Sucht man in der medizinischen Fachliteratur nach stichhalti- 2014 Studium der Medizinethik an der Freien Uni- gen Daten, Prognosen oder Therapiemöglichkeiten neurochi- versität Hagen, Deutschland. 2017 Habilitation im Fach Neurochirurgie an der Medizinischen Univer- rurgischen Handelns an geriatrischen Patienten nach einem sität Innsbruck. Chirurgische Schwerpunkte: Vas- schweren SHT, ist die Datenlage dürftig [5]. Derzeit fehlen kuläre Neurochirurgie und Epilepsiechirurgie großangelegte Studien für geriatrische Patienten nach einem SHT, welche sowohl die geeigneten Operationstechniken als Interessenkonflikt auch das Outcome untersuchen [5]. Die bisher verfügbaren Prognosemodelle (mRS, GOS) sind an einer viel jüngeren Pa- Keiner. tientenpopulation erstellt worden. Meist liegt das Höchstalter der eingeschlossenen Patienten bei 65 [12, 14]. Für geriatrische Literatur: Patienten mit einem aSDH gibt es nur Daten der Evidenzklasse 1. Mak CH, Wong SK, Wong GK, Ng S et al. matic subdural hematoma: What is the Traumatic brain injury in the elderly: is it as risk? J Neurosurg 2015; 123: 1176–83. C (retrospektive Analysen, Expertenmeinungen) [5]. bad as we think? Curr Transl Geriatr Exp Gerontol Rep 2012; 1: 171–8. 4. Lee L, Ker J, Ng HY, Munusamy T, et al. Outcomes of chronic subdural hematoma Ergebnisse aus der Sicht geriatrischer Menschen 2. Nau R, Djukic M, Wappler M. Geriatrie drainage in nonagenarians and centenari- – eine interdisziplinäre Herausforderung. ans: A multicenter study. J Neurosurg Betrachtet man jedoch diesen geschilderten Fall aus der Au- Nervenarzt 2016; 87: 603–8. 2016; 124: 546–51. genwinkel eines Menschen, der bereits älter als 75 ist, wird 3. Bajsarowicz P, Prakash I, Lamoureux J, 5. Mulligan P, Raore B, Liu S, Olson JJ. diese kontroversielle Konstellation (hohes Alter und SHT) aus Saluja RS, et al. Nonsurgical acute trau- Neurological and functional outcomes of J Neurol Neurochir Psychiatr 2018; 19 (2) 57
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