Das deutsche Arbeitszeitgesetz im Spannungsfeld von COVID-19 und der europäischen Rechtsprechung
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DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie Das deutsche Arbeitszeitgesetz im Spannungsfeld von COVID-19 und der europäischen Rechtsprechung Key Facts Autorin • Die befristete Verlängerung der Arbeitszeit ist im aktuellen außergewöhnlichen Prof. Dr. Katrin Kanzenbach Notfall möglich • Die EU-Mitgliedsstaaten müssen sicherstellen, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die tägliche Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen • Entsteht durch die Pandemie ein Anpassungsbedarf des Arbeitszeitgesetzes? COVID-19 hat nicht nur dafür gesorgt, dass sich Arbeit in die eigenen vier Wände verlagert, sondern führt in vielen Bereichen auch zu einer Ausweitung der Arbeitszeit. M it Urteil vom 14. Mai 2019 hat der gelte Arbeitszeit für Beschäftigte in soge- Arbeiten im Homeoffice in COVID-19-Zeiten Europäische Gerichtshof (EuGH) nannten „systemrelevanten“ Bereichen erwartungsgemäß zugenommen.[9] Wäh- entschieden, dass die Mitglied- gemäß §§ 3 und 6 Abs. 2 ArbZG. Hierauf rend von den in dieser Studie Befragten staaten die Arbeitgeber verpflichten müs- hat der Gesetzgeber kurzfristig mit einer momentan mehr als die Hälfte fünf Tage sen, ein „objektives, verlässliches und zu- Einfügung des § 14 Abs. 4 ArbZG[4] und mit in der Woche von zu Hause aus arbeitet, gängliches System“ einzurichten, um die dem Erlass einer COVID-19-Arbeitszeitver- waren es vor der Krise lediglich vier Pro- von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche ordnung – (COVID-19-ArbZV)[5] zur Flexi- zent. Es wird verstärkt in virtuellen Teams, Arbeitszeit zu messen.[1] Der EuGH betont bilisierung der Arbeitszeit reagiert. Die Besprechungen, Konferenzen, Webinaren dabei, dass die Aspekte der Arbeitszeitge- Verordnung ist befristet und greift nicht und mobil mit flexiblen Arbeitszeitrege- staltung entsprechend der Grundrechte- in Arbeitsverträge und Tarifverträge ein. lungen gearbeitet. Nach Auswertung der charta der EU (GRCh) im Sinne des Art. Dieser Beitrag beleuchtet die aktuellen Autoren der Studie passt sich dabei aber 31 Abs. 2 und der Art. 4 Abs. 1, 11 Abs. 3 Herausforderungen für die werktägliche der New Culture Index kaum an. Dieser und Art. 16 Abs. 3 der Arbeitsschutz- Rah- Arbeitszeit der Beschäftigten während und zeigt, wie sich die Beschäftigten fühlen, menrichtlinie 89/391/EWG des Rates vom nach der Pandemiezeit durch die europäi- die in diesen Unternehmen arbeiten. Es 12. Juni 1989[2] zur Verbesserung der Si- sche Rechtsprechung. werden innerhalb der Unternehmen zwar cherheit und des Gesundheitsschutzes der flexiblere Strukturen ermöglicht, aber die Beschäftigten bei der Arbeit auszulegen 1. Ausgangssituation Vertrauenskultur wurde nicht gestärkt.[10] sind.[3] Das bedeutet, der jeweilige Gesetz- geber muss eventuellen Anpassungsbedarf In der heutigen Arbeitswelt gehört das Damit zeigt dieses erhobene Meinungsbild, für die gesetzlich geregelte Arbeitszeit Arbeiten in flexiblen Arbeitszeitmodellen dass flexibles Arbeiten schnell umsetzbar überprüfen und die nationalen Arbeits- mittlerweile für viele Beschäftigte zum be- ist und das Bewusstsein zum Kulturwandel gerichte müssen chartawidriges nationa- trieblichen Alltag.[6] In einigen Branchen mit der Änderung von Einstellungen ein- les Recht unangewendet lassen. und im öffentlichen Dienst sind Telearbeit hergehen muss. Nach dem IAB-Betriebs- gemäß § 2 Abs. 7 Arbeitsstättenverordnung panel 2018 wird als Hinderungsgrund für Anfang dieses Jahres ergab sich für das na- (ArbStättV),[7] mobiles Arbeiten und Ho- Homeoffice-Tätigkeiten immer noch die tionale Arbeitszeitgesetz (ArbZG) aufgrund meoffice-Regelungen [8] verbunden mit fehlenden Kontrolle und Führung ange- des festgestellten aktuellen außergewöhn- Vertrauensarbeitszeit inzwischen in ar- geben.[11] Dabei profitieren von den posi- lichen Notfalls wegen des Coronavirus beitsvertragliche Regelungen oder in Be- tiven Erfahrungen mit dem Arbeiten im (COVID-19) eine weitere Herausforderung triebs- und Dienstvereinbarungen integ- Homeoffice nicht nur die Beschäftigten, in Bezug auf die derzeit gesetzlich gere- riert. Nach einer aktuellen Studie hat das sondern auch die Arbeitgeber. Mit dem 23
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie Die technische und digitale Entwicklung sowie die Veränderung der Arbeitswelt schreiten schneller fort, als der Gesetzgeber mit rechtlichen Anpassungen im Arbeitszeitgesetz darauf reagieren kann.“ Gewinn an Arbeitszeit, auch aufgrund des bart worden war. Auch war bei der Umset- toreien (vgl. §§ 10 ArbZG Abs. 1 Nr. 1 bis Wegfalls von Anfahrtswegen, erwarten die zung der europäischen RL 2003/88/EG an 16, Abs. 2 und 3 ArbZG). Von einigen Be- Arbeitgeber eine höhere Arbeitsproduktivi- neue Arbeitsformen, wie Crowdworking, stimmungen des Arbeitszeitgesetzes, wie tät der Beschäftigten.[12] Die Beschäftigten das Arbeiten im Homeoffice via VPN und/ zum Beispiel von der täglichen Arbeitszeit im Homeoffice arbeiten durchaus bis an oder über Cloud-Lösungen sowie E-Tools gemäß § 3 ArbZG und der Kürzung der Ru- ihr Limit, die Grenzen zwischen Privatem und Konferenztools, noch nicht zu denken. hezeit gemäß § 5 Abs. 2 ArbZG, kann unter inklusive Kinderbetreuung auf der einen Die technische und digitale Entwicklung so- bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen und Arbeit auf der anderen Seite sind flie- wie die Veränderung der Arbeitswelt schei- durch „einen Tarifvertrag oder auf Grund ßend. Bereits eine Studie (Nadeem & Ab nen momentan schneller fortzuschreiten, eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder bas, 2009) empfiehlt den Führungskräften, als der Gesetzgeber mit rechtlichen An- Dienstvereinbarung“, abgewichen werden. die Arbeitsstunden ihrer Mitarbeiterinnen passungen im Arbeitszeitgesetz darauf So kann etwa die Arbeitszeit über zehn und Mitarbeiter flexibel zu handhaben.[13] reagieren kann. Um mit betrieblichen An- Stunden werktäglich verlängert oder die Die Ergebnisse der Studie haben gezeigt, forderungen adäquat umzugehen, sollten Ruhezeit um bis zu zwei Stunden gekürzt dass Beschäftigte durchaus selbstständig die Sozialpartner auf betrieblicher Ebene werden (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 3 ArbZG). die Prioritäten ihrer Anstrengungen bei fle- flexible Lösungen für die Beschäftigten ver- xibler Optimierung ihrer Arbeitszeit setzen einbaren. Beim Fehlen der Arbeitnehmer- Ein detaillierter Blick in das deutsche können und damit ihre Arbeitsergebnisse vertretung im Betrieb bleibt den Beschäf- ArbZG lässt schnell erkennen, dass Fle- erhöhen. Dies ist ein Faktor, der zur Steige- tigten noch die Möglichkeit, direkt mit der xibilität im Hinblick auf die werktägliche rung der Beschäftigtenzufriedenheit bei- Arbeitgeberin, dem Arbeitgeber individuelle Arbeitszeit der Beschäftigten bis auf die ge- tragen kann.[14] Welche Unterstützung hat arbeitsvertragliche Regelungen zur flexiblen gebenenfalls abweichenden tarifvertragli- der Gesetzgeber bereits gegeben und wel- Gestaltung der Arbeitszeit beispielsweise im chen Regelungen gemäß § 7 ArbZG nur im che kann er im deutschen Arbeitszeitge- Homeoffice auszuhandeln. begrenzten Umfang mit entsprechendem setz unter COVID-19 und der europäischen Ausgleich möglich ist. Gemäß Art. 6 lit. b) Rechtsprechung dazu geben? Das deutsche Arbeitszeitgesetz enthält Re- der Arbeitszeit-Richtlinie (RL 2003/88/EG) gelungen über die werktägliche Arbeits- [17] haben die Mitgliedstaaten die erforder- 2. Das deutsche Arbeitszeit- zeit (vgl. § 3 ArbZG) und die tägliche un- lichen Maßnahmen, nach Maßgabe der gesetz unterbrochene Ruhezeit (vgl. § 5 ArbZG) Erfordernisse der Sicherheit und des Ge- sowie Bestimmungen für Ausnahmetat- sundheitsschutzes der Arbeitnehmer und Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) von 1994[15], bestände. Das Beschäftigungsverbot an Arbeitnehmerinnen bezüglich der durch- aktualisiert durch die europäische Richtli- Sonn- und Feiertagen gilt beispielsweise schnittlichen Arbeitszeit pro Siebentage- nie 2003/88/EG[16], gilt in Zeiten einer Krise in besonderen Branchen nicht für Tätigkei- zeitraum zu regeln. Diese darf 48 Stun- weiterhin. Im Jahr des Inkrafttretens des Ge- ten in Krankenhäusern, in Not- und Ret- den einschließlich der Überstunden nicht setzes stand die Durchdringung der Arbeits- tungsdiensten sowie bei der Feuerwehr, überschreiten.[18] Die Richtlinie 2003/88/EG welt mit derDigitalisierung am Anfang und sondern auch in Gaststätten, Verkehrsbe- stellt somit auf die wöchentliche Höchst- der gewöhnliche Arbeitsort der Beschäftig- trieben, Sport-, Freizeit-, Erholungs- und arbeitszeit, nicht aber auf die werktägliche ten war am Standort des Unternehmens, Vergnügungseinrichtungen, bei Produk- Arbeitszeit ab. Sie sieht für die werktägli- wenn keine Einsatzwechseltätigkeit verein- tionsarbeiten, in Bäckereien und Kondi- che Arbeitszeit unmittelbar keine Höchst- 24
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie Ein detaillierter Blick in das deutsche ArbZG lässt schnell erken- nen, dass Flexibilität im Hinblick auf die werktägliche Arbeitszeit der Beschäftigten bis auf die abweichenden tarifvertraglichen Regelungen nur im begrenzten Umfang mit entsprechendem Aus- gleich möglich ist.“ grenzen vor.[19] Ein Werktag ist jeder Kalen- 14 Abs. 1 ArbZG vorgenommen werden. Versorgung, der Daseinsvorsorge oder zur dertag außer Sonn- und Feiertag (vgl. § 3 Nach der Literatur ist der Notfall ein „für Versorgung der Bevölkerung mit existen- Abs. 2 Bundesurlaubsgesetz). Der nationale den Betrieb nachteiliges, ungewöhnliches, ziellen Gütern notwendig sein.[27] Die be- Gesetzgeber geht somit von der Sechsta- unvorhergesehenes und plötzlich eintre- sonderen Arbeitszeitschutzregelungen des gewoche aus.[20] § 3 Satz 1 ArbZG legt eine tendes Ereignis, das die Gefahr eines un- Mutterschutzgesetzes (MuSchG) und des werktägliche Höchstarbeitszeit von acht verhältnismäßigen Schadens mit sich Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) Stunden fest, die nur im Ausnahmefall bringt“.[23] Keine Notfälle sind nach herr- sowie die Mitbestimmungsrechte des Be- nach Satz 2 und mit einer Ausgleichspflicht schender Meinung Ereignisse, die sich als triebsrates oder des Personalrates nach auf bis zu zehn Stunden ausgedehnt wer- Folge von Organisationsmängeln einstellen dem Betriebsverfassungsgesetz oder den den kann. Der Gesetzgeber hat in § 3 Satz oder die auf fehlerhaften Entscheidungen Personalvertretungsgesetzen des Bundes 1 ArbZG den seit 1918 geltenden Grundsatz des Arbeitgebers beruhen.[24] Ein außerge- und der Länder bleiben unberührt.[28] des Achtstundentages aus § 3 Satz 1 Arbeits- wöhnlicher Fall ist eine „besondere Situ- zeitordnung (AZO) übernommen, verzichtet ation, die weder regelmäßig eintritt noch Die neue COVID-19-Arbeitszeitverordnung aber auf das Merkmal der Regelmäßigkeit. rechtzeitig vorhersehbar ist“ und „die Ge- (COVID-19-ArbZV)[29] trat am 10. April 2020 Mit § 3 Satz 2 ArbZG wurde eine Regelung fahr von Schäden mit sich bringt“. Das Er- in Kraft und ist vorerst bis zum 31. Juli 2020 zur Flexibilisierung der werktäglichen Ar- eignis muss zudem vorübergehender Art befristet. Die Ausnahmen dürfen aber zu- beitszeit auf zehn Stunden innerhalb eines sein.[25] In außergewöhnlichen Fällen, „die nächst nur bis zum 30. Juni 2020 angewen- Arbeitsverhältnisses eingeführt.[21] unabhängig vom Willen der Betroffenen det werden. Über eine Verlängerung der eintreten und deren Folgen nicht auf an- ArbZV kann noch entschieden werden. Trotz dieses eingeräumten Spielraums dere Weise zu beseitigen sind,“ darf von bleibt das deutsche Arbeitszeitgesetz hinter den §§ 3 bis 6 Abs. 2, 7, 9 bis 11 ArbZG ab- Nach der ArbZV kann abweichend von den dem eingeräumten Korridor der wöchentli- gewichen werden. §§ 3 und 6 Abs. 2 ArbZG die werktägliche chen Höchstgrenze zurück. Es bleibt abzu- Arbeitszeit der Arbeitnehmer und Arbeit- warten, ob der Gesetzgeber das Vorhaben Mit dem am 28. März 2020 in Kraft getre- nehmerinnen auf bis zu zwölf Stunden ver- aus dem Koalitionsvertrag für mehr selbst- tenen Abs. 4 des § 14 ArbZG,[26] wird das längert und die Mindestruhezeit zwischen bestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer Bundesministerium für Arbeit und Soziales zwei Arbeitstagen des 5 Abs. 1 und § 7 Abs. und Arbeitnehmerinnen aufgreifen und (BMAS) zeitlich befristet ermächtigt, „im 9 ArbZG von elf auf neun Stunden verkürzt für eine erhöhte Flexibilisierung der Lage aktuellen außergewöhnlichen Notfall“, werden. Wird von diesen ermöglichten Ab- der Arbeitszeit in der digitalisierten Arbeits- insbesondere in epidemischen Lagen von weichungen Gebrauch gemacht, darf die welt gesetzlich verankern wird.[22] nationaler Tragweite, gemäß § 5 Abs. 1 In- Arbeitszeit von 60 Stunden wöchentlich fektionsschutzgesetz (IfSG) für bestimmte nicht überschritten werden und jede Ver- 3. Die Herausforderung für die Tätigkeiten der Arbeitnehmer und Arbeit- kürzung der Ruhezeit ist innerhalb von vier werktägliche Arbeitszeit unter nehmerinnen bundeseinheitliche Ausnah- Wochen auszugleichen (vgl. §§ 1 Abs. 3, 2 COVID-19 men vom Arbeitszeitgesetz zu erlassen. Die COVID-19-ArbZV). Die Arbeitszeit kann nur Abweichungen von der werktäglichen Ar- Tätigkeiten müssen zur Aufrechterhaltung in dringenden Ausnahmefällen auf über beitszeit können aufgrund von Notfällen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, 60 Wochenstunden verlängert werden, und in außergewöhnlichen Fällen nach § des Gesundheitswesens, der pflegerischen nämlich dann, wenn sich diese Verlänge- 25
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie Die Arbeitszeit kann nur auf über 60 Wochenstunden verlän- gert werden, wenn sich dies nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen vermeiden lässt.“ rung nicht durch vorausschauende organi- Der Ersatzruhetag ist aber spätestens bis 19-Epidemie wahrscheinlich zu bejahen satorische Maßnahmen, durch Einstellung zum 31. Juli 2020 zu gewähren. sein. Etwaige Einschränkungen werden die von Personal oder sonstige personalwirt- Beschäftigten zum Schutz ihrer Gesundheit schaftliche Maßnahmen vermeiden lässt. 4. Arbeitszeit und Homeoffice hinzunehmen haben.[30] Diese Ausnahmen gelten nach § 1 Abs. 2 unter COVID-19 COVID-19-ArbZV beispielsweise für Tätig- 4.2 Der Anspruch auf Home keiten in Not- und Rettungsdiensten, der Aufgrund des momentanen aktuellen In- office/Telearbeit Feuerwehr sowie beim Zivilschutz, für das fektionsgeschehen durch das neuartige Co- Herstellen, Verpacken, Abfüllen, Kommis- ronavirus SARS-CoV-2 sowie die hierdurch Überlegungen zum Recht auf mobiles Ar- sionieren, Be- und Entladen sowie für das verursachte Krankheit COVID-19 und der beiten wurden im Koalitionsvertrag von Einräumen der aufgeführten Produkte so- Herausforderung, die damit einhergehen- 2018 festgehalten. Es ist das „mobile Ar- wie für das Liefern an Unternehmen vor den Ansteckungsrisiken zu vermindern, beiten zu fördern und zu erleichtern.“[31] allem im Einzelhandel. Betroffen sind hier wurde seit März 2020 in Unternehmen und Den Tarifparteien sollen dabei Freiräume im Wesentlichen Lebensmittel, Waren des Organisationen zwischen den Beschäftig- für eine Tariföffnungsklausel zur Vereinba- täglichen Bedarfs, Arzneimittel, Medizin- ten sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitge- rung von „mehr selbstbestimmter Arbeits- produkte und apothekenübliche Waren, bern verstärkt vereinbart, dass die Arbeits- zeit der Arbeitnehmer und mehr betrieb- Produkte, die zur Eingrenzung, Bekämp- zeit im Homeoffice erbracht werden kann, liche Flexibilisierung in der zunehmend fung und Bewältigung der COVID-19-Pan- wenn die Tätigkeit dazu geeignet und die digitalisierten Arbeitswelt“[32] für die Erpro- demie eingesetzt werden sowie dazugehö- infrastrukturelle Ausstattung vorhanden bung eingeräumt werden. Damit könnte rige Stoffe, Materialien, Behältnisse und ist. Die COVID-19-Epidemie verlangt dabei dann „mittels Betriebsvereinbarungen ins- Verpackungsmaterialien. den Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen besondere die Höchstarbeitszeit wöchent- sowie den Beschäftigten besondere An- lich flexibler geregelt werden.“[33] Dazu soll Eine weitere Modifikation wurde für die strengungen ab. ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden. Sonn- und Feiertagsbeschäftigung geschaf- Dieser umfasst auch einen „Auskunftsan- fen. In den aufgelisteten Tätigkeiten des 4.1 Das Direktionsrecht des spruch der Arbeitnehmer gegenüber ihrem § 1 Abs. 2 COVID-19-ArbZV dürfen Arbeit- Arbeitgebers Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe nehmer und Arbeitnehmerinnen auch an der Ablehnung sowie Rechtssicherheit für Sonn- und Feiertagen beschäftigt wer- Zum Schutz der Beschäftigten kann der Arbeitnehmer wie Arbeitgeber im Umgang den, sofern die Arbeiten nicht an Werk- Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin anord- mit privat genutzter Firmentechnik“. Auch tagen vorgenommen werden konnten und nen, dass die Arbeitsleistung zu Hause zu die Tarifpartner sollen Vereinbarungen zu Ladenschlusszeiten dem nicht entgegen- erbringen ist, wenn dies kollektiv- oder in- mobiler Arbeit treffen können. Der Rah- stehen. Sollte dieser Fall eintreten, kann dividualvertraglich vereinbart ist. Andern- men dient dazu, den vielfältigen Wünschen der Ersatzruhetag für Arbeitnehmer und falls stellt sich hier die Frage, ob diese Wei- und Anforderungen in der Arbeitszeitge- Arbeitnehmerinnen, die an einem Sonntag sung vom Direktionsrecht des Arbeitgebers staltung gerecht zu werden.[34] beschäftigt werden, innerhalb eines den im Sinne des § 106 Abs. 1 Gewerbeordnung Beschäftigungstag einschließenden Zeit- (GewO) umfasst ist. Dies wird bei einer In- Bis heute gibt es, außer einem Anspruch raums von acht Wochen gewährt werden. teressensabwägung während der COVID- auf ermessensfehlerfreie Entscheidung 26
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie Schwerbehinderte Menschen können in Einzelfällen unter bestimmten Voraussetzungen eine Beschäfti- gung in Telearbeit durchsetzen.“ im Rahmen der dienstlichen Möglichkei- betriebliche oder dienstliche Belange ent- che Nebenpflicht gemäß §§ 241 Abs. 2, 242 ten gemäß §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 2 Bundes- gegenstehen. Der Arbeitgeber ist dabei ver- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbin- gleichstellungsgesetz (BGleiG),[35] keinen pflichtet, das Verlangen ernsthaft zu prüfen dung mit §§ 611, 611a BGB der Arbeitneh- individuellen Anspruch der Beschäftigten und mit dem Antragsteller zu beraten.[38] mer und Arbeitnehmerinnen zum Nach- auf die Einrichtung eines Telearbeitsplat- weis von Arbeitsergebnissen anerkannt.[43] zes oder auf Homeoffice. Schwerbehin- Ende 2019 wurde ein Antrag an den Deut- Vor diesem Hintergrund hat der Arbeitge- derte Menschen können in Einzelfällen schen Bundestag zur Vorlage eines Gesetz- ber auch die Möglichkeit, von Arbeitneh- unter bestimmten Voraussetzungen eine entwurfs „Recht auf Homeoffice einfüh- mern und Arbeitnehmerinnen die Führung Beschäftigung in Telearbeit durchsetzen, ren – Mobiles Arbeiten erleichtern“ mit und Vorlage von Tätigkeitsnachweisen zu da sie Anspruch auf eine behinderungsge- acht Eckpunkten eingebracht.[39] Mit der verlangen. rechte Einrichtung und Unterhaltung sowie vielfältigen Ermöglichung des Arbeitens Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeits- im Homeoffice für die Beschäftigten in der Die Arbeit im Homeoffice sollte zwischen umfelds, der Arbeitsorganisation und der betrieblichen Praxis in COVID-19-Zeiten Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Ar- Arbeitszeit haben, wenn es für den Arbeit- wird dieses Thema politisch an Fahrt auf- beitnehmerinnen schriftlich vereinbart, geber zumutbar ist. (vgl. § 164 Abs. 4 Nr. 4 nehmen. Das BMAS hat aktuell die Pläne die wichtigsten Rahmenbedingungen ein- SGB IX).[36] Ein allgemeiner Anspruch auf aus dem Koalitionsvertrag[40] wieder auf- vernehmlich geregelt werden. Dies gilt Homeoffice oder Telearbeit besteht nach gegriffen und bereitet zum Herbst einen beispielsweise für die Fragen, in welchem deutschem Arbeitsrecht nicht. entsprechenden Gesetzesentwurf vor.[41] befristeten Zeitraum die Arbeitsleistung im Homeoffice zu erbringen ist und wann Auch das niederländische Gesetz über die 4.3 Die Arbeitszeit im Home diese automatisch endet, wie Pausen gere- Flexibilität am Arbeitsplatz der Arbeitneh- office gelt sind, wer die Hardware und Software mer auf Telearbeit, das seit dem 1. Januar stellt und welche Bedingungen für die An- 2016 existiert, enthält nach dem Sachstand Von einem möglichen „Recht auf Homeof- bindung an den Betriebsrechner und an des Wissenschaftlichen Dienstes des Deut- fice“ abgesehen, unterliegt die Arbeitszeit den Datenschutz vorliegen müssen.[44] Im schen Bundestages keine Verpflichtung des gemäß § 3 ArbZG im Homeoffice den ge- Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 Arbeitgebers, dem Verlangen auf Telearbeit setzlichen Regelungen nach dem ArbZG. Abs. 1 GewO kann der Arbeitgeber verlan- oder Homeoffice stattzugeben. Der Antrag Die Ruhepausen gemäß § 4 ArbZG sind gen, dass beispielsweise nach der Aufhe- der Beschäftigten ist ernsthaft unter Be- genauso einzuhalten und zu dokumen- bung der Gefahrenlage, der oder die Be- rücksichtigung der Interessen zu prüfen.[37] tieren und sind nicht Teil der Arbeitszeit. schäftigte an den Arbeitsplatz zurückkehren Danach können unter bestimmten Voraus- Wer während der Arbeitszeit private Sa- muss. Dabei sollten begründete und nach- setzungen Arbeitnehmer und Arbeitnehme- chen erledigt, muss diese Unterbrechung gewiesene Anhaltspunkte, etwa bei Vorlage rinnen bei ihrem Arbeitgeber Änderungen selbstverständlich dokumentieren. Es ist eines amtsärztlichen Attests durch den Be- der Arbeitszeit, der Lage der Arbeitszeit so- durchaus üblich, von den Beschäftig- schäftigten, beachtet und die gegenseitigen wie des Arbeitsplatzes (Telearbeitsplatz) ten in regelmäßigen Abständen Berich- Interessen sorgfältig abgewogen werden. verlangen. Der Antrag ist schriftlich zu te über den Arbeitsfortschritt und/oder Die bei der Ausübung des Direktionsrechts stellen. Der Arbeitgeber muss diesen zu- Teilarbeitsergebnisse anzufordern.[42] Die gebotene Interessenabwägung darf nicht stimmen, wenn nicht schwerwiegende Rechtsprechung hat eine arbeitsvertragli- offensichtlich rechtswidrig erfolgen.[45] 27
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie Das EuGH-Urteil fordert die Mitgliedstaaten auf, die konkreten Bedingungen zur Umsetzung eines Systems der Arbeitszeiterfassung zu bestimmen.“ 4.4 Die Feiertagsregelung im maßgebend.[46] Maßgeblich für die Feier- dass die Mitgliedstaaten gewährleisten Homeoffice tage sind somit weder der Sitz des Unter- müssen, die geleistete tägliche Arbeits- nehmens noch der Wohnsitz des Beschäf- zeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehme- Aus der gesetzlichen Einhaltung der Feier- tigten, sondern der tatsächliche Arbeitsort. rinnen vom Arbeitgeber messen und auf- tagsruhe nach § 9 ArbZG auch im Homeof- zeichnen zu lassen sowie um die Prüfung fice, meist am Wohnsitz der Beschäftigten, Mit der schnellen Einführung des neuen der Auslegung, ob nationale Regelungen und des vom Wohnsitz der Beschäftigten § 14 Abs. 4 ArbZG und der befristeten CO- dem entgegenstehen.[48] Im Tenor fordert abweichenden unterschiedlichen Lage des VID-19-ArbZV durch den Gesetzgeber und dieses Urteil die Mitgliedstaaten auf, die Stammsitzes des Unternehmens oder der den vielfältigen, zügigen und einvernehm- konkreten Bedingungen zur Umsetzung ei- Organisation in unterschiedlichen Bun- lichen betrieblichen Regelungen zwischen nes Systems der Arbeitszeiterfassung zu desländern kann sich durchaus die Frage Arbeitgeber sowie Arbeitnehmern und Ar- bestimmen. Der EuGH betont, dass das ergeben, welche Feiertagsregelung anzu- beitnehmerinnen im Zusammenspiel mit Recht der Arbeitnehmer und Arbeitneh- wenden ist. den Beschäftigtenvertretungen zum Ho- merinnen auf eine Begrenzung der Höchst- meoffice in COVID-19-Zeiten hat sich ge- arbeitszeit und auf tägliche und wöchent- Hier gilt grundsätzlich die Anzahl der Fei- zeigt, dass das nationale Arbeitszeitgesetz liche Ruhezeiten nicht nur eine besonders ertage am Arbeitsort. Das bedeutet, wenn durchaus im gewissen Rahmen flexibel im wichtige Regel des Sozialrechts der Union der oder die Beschäftigte mit der Homeof- aktuellen außergewöhnlichen Notfall an- ist, sondern auch ausdrücklich in Art. 31 fice-Regelung an seinen Wohnsitz in Ham- gepasst und ausgelegt werden kann. Wün- Abs. 2 der europäischen Grundrechtecharta burg, der auch sein tatsächlicher Arbeitsort schenswert wäre zukünftig eine klare ge- (GRCh) verankert ist, in dessen Licht die ist, arbeitet, der Stammsitz des Unterneh- setzliche Regelung für die Arbeitnehmer RL 2003/88/EG auszulegen ist, wobei eine mens sich aber in München befindet, wird und Arbeitnehmerinnen, unter welchen unmittelbare Geltung in die Arbeitsverhält- er beispielsweise an Fronleichnam, einem Bedingungen eine Arbeit im Homeoffice nisse ausscheidet.[49] Feiertag in Bayern, in Hamburg seine Ar- vom Arbeitgeber abgelehnt werden kann. beitszeit erbringen müssen. Ein Beschäf- 5.1 Das „objektive, verlässliche tigter mit Homeoffice (Arbeitsort) in Bayern 5 Die europäische Herausforde- und zugängliche System“ zur erhält an diesem Feiertag Entgelt nach § rung – Die CCOO-Entscheidung Arbeitszeiterfassung 2 Abs. 1 EFZG, ohne die werktägliche Ar- beitszeit erbringen zu müssen. Befinden Große Beachtung und Diskussionen rief Der EuGH formuliert die Anforderungen sich Wohnsitz des Beschäftigten und der das EuGH-Urteil vom Mai 2019, die soge- mittels dreier Adjektive. Das Arbeitszeit- Sitz des Unternehmens und der Arbeits- nannte „CCOO-Entscheidung“[47] zur Er- erfassungssystem soll „objektiv“, „ver- ort nicht im selben Bundesland und gibt fassung der Arbeitszeit von Arbeitneh- lässlich“ und „zugänglich“ sein. Wie ein es in den betroffenen Bundesländern eine mern und Arbeitnehmerinnen mittels „zugängliches“ System in der Praxis aus- unterschiedliche Anzahl an gesetzlichen eines „objektiven, verlässlichen und zu- gestaltet sein soll, lässt das Gericht weitest- Feiertagen, so sind die tatsächlichen und gänglichen Systems“ durch den Arbeitge- gehend offen. Denkbar ist die Auslegung, rechtlichen Verhältnisse am Arbeitsort ber, hervor. Im Grundsatz ging es darum, dass alle Beschäftigten einerseits Zugang 28
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie zur Nutzung des Erfassungssystems haben zestextes die Ansicht, dass nur bei Über- sion im Jahr 2019 über die Arbeitszeiterfas- und anderseits das Recht zur Einsicht in schreitung der werktäglichen Arbeitszeit sung von anderen wichtigen Regelungsthe- die persönlichen Erfassungsdaten erhal- nach § 3 Abs. 1 ArbZG von acht Stunden, die men bezüglich des Infektionsschutzes in ten. Ein solcher Anspruch der Beschäf- gesamte tägliche Arbeitszeit des Arbeitneh- Unternehmen und Organisationen überla- tigten könnte sich aus §§ 611a, 241 Abs. 2, mers und der Arbeitnehmerin zu erfassen gert. Gerade während dieser Zeit ist noch- 242, 618 BGB, §§ 7, 12 und 14 ArbSchG er- ist.[52] Arbeitet der Arbeitnehmer an einem mals deutlich geworden, wie flexibel Ar- geben.[50] Die Zugänglichkeit des Systems Werktag länger als acht Stunden, löst dies beitszeit gestaltet werden muss, um den kann auch die Kontrollmöglichkeit von die Aufzeichnungspflicht, an diesem Tag, Anforderungen der Arbeitnehmer und Aufsichtsbehörden umfassen. Ein System aus. Auch an Sonn- und Feiertagen ist die Arbeitnehmerinnen und der Arbeitgeber kann „objektiv“, also sachlich korrekt, und gesamte Arbeitszeit aufzuzeichnen.[53] Für gerecht zu werden. Die geführte Diskussion „verlässlich“ sein, wenn es richtig minu- eine Dokumentationspflicht, die das Auf- zur vollständigen Erfassung der Arbeitszeit tengerecht und nachvollziehbar die Daten zeichnen der Arbeitsstunden innerhalb der bezog sich auf das Nichtübereinkommen der Arbeitszeit dokumentiert und jederzeit acht werktäglichen Arbeitszeitstunden ver- von Vertrauenszeit und eine Dokumen- einsatzbereit ist. Schätzungen, Pauschali- langt, findet sich im Arbeitszeitgesetz keine tation als Nachweis sowie den Aufwand, sierungen oder ungefähre Angaben erfül- Regelung.[54] Damit lässt die Auslegung der den diese mit sich bringt.[59] Eine gesetz- len diese Anforderungen nicht.[51] In der Regelung des § 16 Abs. 2 ArbZG ein Defizit liche Verpflichtung zur Aufzeichnung der betrieblichen Praxis dürften die meisten erkennen. Die Limitierung der Aufzeich- Arbeitszeit würde auch zunächst Arbeit- elektronischen Zeiterfassungssysteme die- nungspflicht auf die über die werktägliche nehmer und Arbeitnehmerinnen miteinbe- sen drei Anforderungen, mit Einrichtung Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausge- ziehen, die Vertrauensarbeitszeit leisten.[60] der entsprechenden Berechtigungen und hende Arbeitszeit verstößt in der Ausle- Eine Lösung könnte sein, bestimmte Aus- datenschutzrechtlicher konformer Ausge- gung durch den EuGH gegen die Arbeits- nahmetatbestände gesetzlich zu regeln. staltung, bereits gerecht werden. Die Frage zeit-RL 2003/88/EG.[55] Die Intention des bleibt offen, wie der Gesetzgeber das ArbZG Gesetzgebers war es damals, unnötigen In einer zunehmend digitalen Arbeitswelt an diese Anforderungen anpassen wird. Verwaltungsaufwand zu vermeiden.[56] Die muss es im Interesse des Gesundheits- Literatur vertritt überwiegend die Ansicht, schutzes der Beschäftigten praktikabel 5.2 Die nationalen Aufzeich- dass der Wortlaut des § 16 Abs. 2 ArbZG der möglich sein, mit einem elektronischen nungspflichten im Arbeitszeit- Anforderung des EuGH, dass der Arbeitge- datenschutzkonformen Zeiterfassungs- gesetz ber die tägliche Arbeitszeit eines Beschäf- system, das objektiv, verlässlich und zu- tigten aufzuzeichnen hat, nicht genügt.[57] gänglich ist, die tägliche Arbeitszeit der Das deutsche Arbeitszeitrecht kennt mit Beschäftigten relativ unkompliziert zu er- der Regelung des § 16 Abs. 2 ArbZG bereits Dieser Auslegung ist im Ergebnis zuzustim- fassen. Der Verwaltungsaufwand wird in eine Pflicht zur Aufzeichnung bestimmter men, da die Intention der europäischen der Beschaffung, einer rechtskonformen Arbeitszeiten von Arbeitnehmern und Ar- Arbeitszeitrichtlinie an die Mitgliedstaaten Einrichtung und der Sicherstellung der beitnehmerinnen. Die besonderen Nach- vorgibt, erforderliche Maßnahmen zur Si- Nutzung des Systems liegen. Die flexible weis- und Dokumentationspflichten für cherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitszeitgestaltung kann erhalten blei- bestimmten Arbeitsverhältnisse nach Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ben, indem die Arbeitszeit der Beschäftig- § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLOG) zu treffen. Das beinhaltet durchaus, eine ten ihren individuellen Bedürfnissen je und § 19 Arbeitnehmer-Entsendegesetz Überschreitung der wöchentlichen Höchst- nach betrieblicher Machbarkeit angepasst (AEntG) sollen hier nicht Gegenstand der arbeitszeit nach Art. 6 lit b) RL 2003/88/EG wird. Durch eine Anpassung des ArbZG zur Betrachtung sein. Nach der Regelung des für die Beschäftigten zu verhindern. Dies täglichen Erfassung der Arbeitszeit wäre deutschen Arbeitszeitgesetzes ist der Ar- ist nur möglich, wenn die wöchentliche weiterhin eine flexiblere Arbeitswelt ge- beitgeber schon jetzt verpflichtet, „die über Höchstarbeitszeit zuvor täglich korrekt währleistet bei gleichzeitigem Schutz der die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 gemessen wurde. Bei Nichtmessung der Gesundheit der Beschäftigten. hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitneh- täglichen Überstunden des Arbeitnehmers mer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der und Einforderung der Vergütung obliegt 7. Fazit und Ausblick Arbeitnehmer zu führen“, die in eine Ver- diesem momentan die Darlegungslast.[58] längerung schriftlich eingewilligt haben. Letztendlich bleibt festzuhalten, dass das 6. Das Spannungsfeld der Her- langjährig beständige Arbeitszeitrecht an Die entsprechenden Nachweise sind nach ausforderungen unter COVID-19 aktuelle Gegebenheiten in der heutigen der gesetzlichen Vorgabe mindestens zwei und der CCOO-Entscheidung Arbeitswelt und deren Rahmenbedingun- Jahre aufzubewahren. Verstöße können mit gen der Digitalisierung angepasst werden einem Bußgeld geahndet werden (vgl. § 22 Mit Eintritt des aktuellen außergewöhnli- muss, um der Sicherheit und dem Gesund- Abs. 1 Nr. 9 ArbZG). Die herrschende Mei- chen Notfalls und dessen Auswirkung auf heitsschutz der Arbeitnehmer und Arbeit- nung vertritt in der Auslegung des Geset- die betriebliche Praxis wurde die Diskus- nehmerinnen gerecht zu werden und damit 29
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unter- beitszeitkonten, Sabbaticals und Blockfrei- das Arbeitszeitrecht beweglicher zu gestal- nehmen und Organisationen zu erhalten. zeiten, reagiert.[61] Der deutsche Gesetzge- ten und trotzdem den Gesundheitsschutz Viele Unternehmen und Organisationen ber hat mit den Erfahrungen der aktuellen der Beschäftigten zu gewährleisten. Das haben auf die neuen Herausforderungen Herausforderungen die Möglichkeit, die wäre gleichzeitig eine Möglichkeit, die Ver- zur Arbeitszeit in den vergangenen Jahren bereits vorhandenen Pläne für eine mo- trauenskultur im Unternehmen zu stärken, und in COVID-19-Zeiten bereits mit betrieb- derne Arbeitswelt an die tatsächlichen Ge- da die flexible Arbeitszeit nachvollziehbar lich flexiblen Arbeitszeitmodellen, wie gebenheiten anzupassen. Die Chancen der gemessen würde und sich so weniger An- Gleitzeit, flexible Arbeitszeitrahmen, Ar- Digitalisierung eröffnen eine Gelegenheit, lässe für Rechtsstreitigkeiten ergäben. ← Fußnoten Winzer, ArbZG § 3 Rn. 7 detail.aspx?g=59e9aaf0-5542-42d5-a2ed- [1] EuGH, NZA 2019, 683, 686 [20] Baeck/Deutsch/Winzer/Baeck/Deutsch/ 15dd287a8cbd (abgerufen am 12.06.2020) [2] ABI. 1989 L 183, 1 Winzer, ArbZG § 3 Rn. 14 [38] Ebda [3] EuGH, NZA 2019, 683 [21] BT-Drs. 12/5888, S. 24; Baeck/Deutsch/ [39] BT-Drs. 19/13077 [4] BGBl. I 2020, 575 Winzer/Baeck/Deutsch/Winzer, ArbZG § 3 Rn. [40] S. Fn. 32 [5] BAnz AT 09.04.2020 V2 18; LAG Saarland v. 09.04.2014 – 2 Sa 145/13, [41] Haufe Online Redaktion, Recht auf Ho- [6] Maschke, M.: Flexible Arbeitszeitgestal- BeckRS 2014, 69776 meoffice-Arbeitsplatz: Kommt das Gesetz?, tung, (Friedrich-Ebert-Stiftung, Hrsg.), https:// [22] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und https://www.haufe.de/personal/arbeitsrecht/ library.fes.de/pdf-files/wiso/12491.pdf (ab- SPD,19. Legislaturperiode, 12.03.2018, S. 52 homeoffice-was-beim-arbeiten-von-zuhause- gerufen am 12.06.2020) [23] Baeck/Deutsch/Winzer/Baeck/Deutsch/ zu-beachten-ist_76_301172.html (abgerufen [7] „Telearbeitsplätze sind vom Arbeitgeber Winzer ArbZG § 14 Rn. 7; Schaub ArbR-HdB/ am 12.06.2020) fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze Vogelsang, § 156 Rn. 41 [42] Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, im Privatbereich der Beschäftigten, für die [24] Schaub ArbR-HdB/Vogelsang, § 156 Rn. 186, 188 der Arbeitgeber eine mit den Beschäftigten 41 [43] LAG MVP, 15.09.2011 – 5 Sa 53/11 - NZA-RR vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die [25] Baeck/Deutsch/Winzer/Baeck/Deutsch/ 2012, 246 Dauer der Einrichtung festgelegt hat.“ Winzer ArbZG § 14 Rn. 11 [44] Eckert, DStR 2020, 987, 991 [8] Gesetzlich nicht definiert [26] BGBl. I S. 575 [45] LAG Köln, 24.06.2010 – 9 Ta 192/10 – [9] Bruch & Meifert (2020): Corona - New Work [27] BMAS, Die Verordnung zu Abweichun- BeckRS 2012, 67572 in der Bewährungsprobe, https://hrpepper. gen vom Arbeitszeitgesetz infolge der [46] ErfK/Reinhard EFZG § 2 Rn. 5 de/corona-new-work-in-der-bewaehrungspro- COVID-19-Epidemie (COVID-19-Arbeitszeit- [47] EuGH, NZA 2019, 683 be-naheliegendes-wird-umgesetzt-ein-kultu- verordnung), S. 2, https://www.bmas.de/ [48] EuGH, NZA 2019, 683, 684 reller-wandel-bleibt-bisher-aus/ (abgerufen SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Gesetze/ [49] Baeck/Winzer, NZA 2020, 96, 101 am 12.06.2020) arbeitszeitverordnung-fragen-und-antworten. [50] Bayreuther, NZA 2020, 1, 6 [10] Ebda pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen [51] Bayreuther, NZA 2020, 1, 6 [11] Grunau, Ruf, Steffes, & Wolter (2019): am 12.06.2020) [52] Baeck/Deutsch/Winzer/Baeck/Deutsch/ Mobile Arbeitsformen aus Sicht von Betrieben [28] Ebd.,S. 3 Winzer ArbZG § 16 Rn. 21; ausf. 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