Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung: Eine Wende der deutschen Klimapolitik? - De Gruyter
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Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2020; 21(1): 4–18 Aus aktuellem Anlass Ottmar Edenhofer, Matthias Kalkuhl und Axel Ockenfels* Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung: Eine Wende der deutschen Klimapolitik? https://doi.org/10.1515/pwp-2020-0001 durch ihre Schulstreiks das Thema Klimaschutz Woche für Woche bis in die Mitte der Gesellschaft getragen. Die Bun- Zusammenfassung: Das Klimaschutzgesetz hat einen Pa- desregierung hat ein Klimakabinett eingesetzt. Die Kanz- radigmenwechsel eingeleitet: den Einstieg in eine CO2-Be- lerin koordinierte die relevanten Ministerien, die in mehre- preisung als künftiges Leitinstrument der Klimapolitik. ren Arbeitstreffen intensiv über die klimapolitischen Auf den ersten Blick ist der CO2-Preis unter einer Fülle von Optionen diskutierten. Das Sondergutachten des Sachver- Fördermaßnahmen und ordnungsrechtlichen Regelungen ständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli- verschüttet, deren Wirksamkeit und Kosten höchst unsi- chen Entwicklung (SVR 2019) sowie die Expertise des Mer- cher sind. Der CO2-Preis ist aber so angelegt, dass er lang- cator Research Institute on Global Commons and Climate fristig das dominante Instrument einer europäisch harmo- Change (MCC) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgen- nisierten Klimapolitik werden kann. Der angedeutete forschung (PIK) (Edenhofer 2019a) wurden im Klimakabi- Paradigmenwechsel der deutschen Klimapolitik öffnet da- nett vorgestellt und ausführlich erörtert. Auf Fachebene mit die Tür, die europäische und internationale Kooperati- haben Ministerien und Kanzleramt zusammen mit Exper- on zu stärken. Dazu ist es aber notwendig, neben der tinnen und Experten Optionen erkundet, Kosten berechnet europäischen auch die globale Klimapolitik neu aus- und verteilungspolitische Konsequenzen der CO2-Beprei- zurichten. Auch dort sollten sich die Verhandlungen statt sung bewertet. Dabei wurde endlich das Tabu gebrochen, auf nationale Mengenziele auf CO2-Preise konzentrieren. das jahrelang auf diesem Thema lag. In den frühen Mor- Die erforderliche Kooperation wird möglich, wenn die Re- genstunden des 20. September 2019 beschloss der erwei- gierungen Transferzahlungen strategisch und reziprok terte Koalitionsausschuss schließlich das „Klimaschutz- nutzen. So könnte die Effektivität der Klimapolitik erhöht programm 2030“ der Bundesregierung – mit einem neuen werden und es ließen sich die entstehenden Verteilungs- CO2-Preisinstrument auch für die Sektoren Verkehr und konflikte entschärfen. Wärme in Deutschland. Im Vermittlungsausschuss zwi- schen Bundestag und Bundesrat wurde das Einstiegs- JEL-Klassifikation: H23, H41, H77, Q54, Q58 niveau der CO2-Bepreisung, auf das sich das Klimakabinett Schlüsselwörter: Klimaschutzgesetz, CO2-Preis, Emis- geeinigt hatte, am 16. Dezember 2019 substantiell erhöht. sionshandel, internationale Kooperation, Klimawandel, Das Klimapaket ist nicht der einst reklamierten Vor- Klimapolitik, EU, Deutschland reiterposition Deutschlands geschuldet. Es ist eine unmit- telbare Folge der Minderungsverpflichtung, die die Euro- päische Union (EU) im Paris-Abkommen von 2015 1 Vom Klimastreik zum eingegangen ist und durch die Europäische Lastentei- Klimakabinett lungsverordnung (Effort Sharing Regulation) implemen- tiert hat. Das Klimapaket soll Deutschland befähigen, sei- Das Jahr 2019 war ein Wendepunkt der deutschen Klima- ne aus dieser Verordnung entstehenden Verpflichtungen politik. Hunderttausende Schülerinnen und Schüler haben zu erfüllen. Die EU will damit sicherstellen, dass das euro- päische Minderungsziel erreicht und zugleich das Koope- *Kontaktperson: Axel Ockenfels, Universität zu Köln, Wirtschafts- rationsproblem zwischen den Mitgliedstaaten gelöst wird. und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Die Verordnung schafft einen erheblichen finanziellen Köln, E-Mail: ockenfels@uni-koeln.de Anreiz dafür, dass Deutschland Emissionen in den nicht Ottmar Edenhofer, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), vom EU-Emissionshandel erfassten Sektoren vermeidet – Telegrafenberg, 14473 Potsdam, E-Mail: edenhofer@pik-potsdam.de Matthias Kalkuhl, Mercator Research Institute on Global Commons also Verkehr, Wärme, Gebäude und Landwirtschaft. Wenn and Climate Change, EUREF Campus 19, Torgauer Straße 12-15,10829 ein EU-Mitgliedstaat seine Minderungsverpflichtungen Berlin, E-Mail: kalkuhl@mcc-berlin.net nicht erfüllen kann, ist er verpflichtet, Emissionsrechte bei
Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung: Eine Wende der deutschen Klimapolitik? 5 anderen Mitgliedstaaten zu kaufen. Daher hat Deutsch- dustrieunternehmen handeln dort Zertifikate, deren Preise land mit dem Klimaschutzgesetz zahlreiche Maßnahmen sich frei am Markt bilden. Daneben beginnt sich nun ein zur Senkung seiner (nationalen) CO2-Emissionen in diesen europäischer Emissionshandel zwischen den EU-Mitglied- Sektoren beschlossen. staaten zu etablieren. Dort müssen Regierungen Zertifikate Insgesamt werden bis zum Jahr 2023 62 Milliarden kaufen, wenn sie ihre Minderungsverpflichtungen nicht Euro für den Klimaschutz ausgegeben. Dabei setzt das einhalten. Es erscheint daher naheliegend, einen einheitli- Klimapaket vor allem auf Fördermaßnahmen und Ord- chen europäischen Markt mit einem einheitlichen Preis- nungsrecht. Mit dem Paket wird jedoch auch der Einstieg signal zu schaffen. in die nationale CO2-Bepreisung im Rahmen eines nationa- Wenn es gelingt, einen solchen einheitlichen CO2- len Emissionshandels für Wärme und Verkehr initiiert. Der Preis für Europa zu etablieren, könnte dies ein Grundstein Preis wird anfänglich auf 25 Euro pro Tonne CO2 im Jahr für die globalen Verhandlungen über Mindestpreise wer- 2021 festgesetzt. Er soll bis 2025 auf 55 Euro steigen. 2026 den. Die Teilnehmer an der UN-Klimakonferenz COP 25 in wird er im Rahmen eines Preiskorridors freigegeben; dies Madrid haben jüngst über Artikel 6 des Pariser Weltkli- soll dafür sorgen, dass Deutschland die von der EU vor- maabkommens verhandelt. Dieser soll es den Vertrags- gegebenen jährlichen Mengenziele erreicht. staaten ermöglichen, zu kooperieren und so ihre An- In der politischen Diskussion wurde vor einem hohen strengungen im Klimaschutz zu erhöhen. So sollen sie Einstiegspreis gewarnt, weil dieser einkommensschwache Minderungsmaßnahmen in anderen Ländern erbringen Haushalte überproportional belasten würde. In der Tat können, die ihnen dann auf die nationalen Anstrengungen wäre eine CO2-Bepreisung ohne Rückerstattung regressiv, angerechnet werden (Artikel 6.2). In diesem Rahmen könn- und auch das ursprünglich vom Klimakabinett beschlosse- ten grenzüberschreitende Kohlenstoffmärkte entstehen. ne Paket hätte eine erhebliche Belastung für Haushalte mit Zwar brachten die Verhandlungen in Madrid kein Er- geringem oder mittlerem Einkommen bedeutet (Edenhofer gebnis. Wie wir in diesem Papier zeigen werden (siehe 2019b, S. 7). Im Gegensatz zu anderen Klimapolitik-Instru- Abschnitte 3 und 4), ist es grundsätzlich sehr schwierig, menten der Bundesregierung hat die CO2-Bepreisung je- sich auf nationale Mengenziele und Anrechnungen zu ei- doch einen großen Vorteil: Wenn sie klug ausgestaltet ist, nigen. Doch vielversprechend wäre es, wenn in den kom- generiert sie Einnahmen, die einen sozialen Ausgleich menden COP-Runden der Einstieg in Verhandlungen über erlauben. Durch die Änderungen im Vermittlungsaus- CO2-Mindestpreise erfolgte. Dabei müssen auch strategi- schuss wird nun immerhin ein sozial verträglicher Einstieg sche Transferzahlungen, die bisher noch keine Rolle spiel- in die CO2-Bepreisung erreicht. Um auch bei steigenden ten, an Bedeutung gewinnen. Würde der CO2-Preis auch Preisen eine ausgewogene Verteilung der Belastung zu das Leitinstrument der internationalen Klimapolitik, wäre gewährleisten, müssen allerdings in späteren Jahren die eine echte Wende der Klimapolitik eingeleitet. Einnahmen aus der CO2-Bepreisung in größerem Umfang als bisher vorgesehen an die Bürgerinnen und Bürger zu- rückerstattet werden. 2 Das Klimaschutzpaket 2019 Insgesamt ist das von der Bundesregierung beschlos- sene Klimapaket aus drei Gründen nach wie vor unzuläng- Im Abkommen von Paris hat die EU zugesagt, ihre Emis- lich: (1) Die Maßnahmen sind wahrscheinlich nicht aus- sionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 2005 zu reduzie- reichend, um die europarechtlichen Verpflichtungen ren. Auch Staaten außerhalb der EU haben Zusagen ge- einzuhalten. (2) Das Klimapaket wird langfristig vor allem macht. Weil das Ambitionsniveau jedoch insgesamt gering für Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen ist und die Architektur des Paris-Abkommens bisher kaum eine starke Belastung darstellen. (3) Diese Unzulänglich- das Trittbrettfahrer-Problem der internationalen Klima- keiten wiegen umso schwerer, als die neue EU-Kommis- politik adressiert hat, sind hier grundlegende Änderungen sion ambitioniertere klimapolitische Ziele angekündigt hat nötig, auf die wir im Weiteren noch eingehen werden. Aber (Europäische Kommission 2019), die den Handlungsdruck schon aus dem völkerrechtlich verbindlichen Abkommen auf Deutschland dramatisch verstärken werden. von Paris ergibt sich für die EU Handlungsbedarf, auf den Mit der Europäischen Lastenteilungsverordnung sie auf zweifache Weise reagiert hat: Erstens hat sie im EU- kommt Bewegung in die grenzübergreifende Bepreisung ETS die Emissionsobergrenze gesenkt, und zweitens hat von CO2. In der EU-Klimapolitik gibt es nun zwei – bislang sie für die außerhalb dieses Systems liegenden Wirt- unverbundene – Preismechanismen. Schon seit 2005 exis- schaftszweige die notwendigen Emissionsminderungen tiert der europäische Emissionshandel für Industrie und mit der Lastenteilungsverordnung auf die Mitgliedstaaten Stromproduktion (EU-ETS). Kraftwerksbetreiber und In- verteilt. Dabei müssen wirtschaftlich stärkere Länder mehr
6 Ottmar Edenhofer, Matthias Kalkuhl und Axel Ockenfels Emissionen vermeiden als schwächere, sodass die Kosten Tonne CO2. Pessimistische Schätzungen gehen sogar da- des Klimaschutzes vor allem von den reicheren Ländern von aus, dass aufgrund der Knappheit gar keine Zertifikate getragen werden. gehandelt werden. Vor diesem Hintergrund steht zu ver- Im Jahr 2030 muss Deutschland im Rahmen der Las- muten, dass viele nationale Minderungsleistungen in tenteilungsverordnung die Emissionen im Verkehrs-, Wär- Deutschland billiger erbracht werden können als im Rah- me- und Agrarsektor insgesamt um 38 Prozent gegenüber men eines grenzüberschreitenden Handels. 2005 reduziert haben. Schon ab 2021 wird diese Obergren- Die Bundesregierung (2019) setzt nun in ihren Bemü- ze Jahr für Jahr gesenkt. Bei einem Verfehlen dieser jähr- hungen unter anderem auf einen Emissionshandel. Laut lichen Ziele droht ein Vertragsverletzungsverfahren mit dem ursprünglichen Gesetzesentwurf sollte dieser im Jahr finanziellen und institutionellen Kosten für die Bundes- 2021 mit einem fixen Preis von 10 Euro pro Tonne CO2 regierung. Zwar ist die Lastenverteilung flexibel gestaltet. beginnen; indes wurde dieser Startpreis im Vermittlungs- So können Ausgleichszahlungen mit anderen Regierungen ausschuss auf Drängen einzelner Bundesländer auf 25 vereinbart werden, deren Emissionen unterhalb des Euro erhöht. Bis 2025 soll der CO2-Preis auf 55 Euro pro Erlaubten liegen. Das entspricht praktisch einem Emis- Tonne CO2 wachsen und ab 2026 im Rahmen eines Preis- sionshandel zwischen Regierungen, wie es die Welt- korridors von zunächst 55 und 65 Euro pro Tonne CO2 gemeinschaft zum Beispiel im Kyoto-Protokoll von 1997 freigegeben werden (siehe Abbildung 1). Die Menge an vorgesehen hatte. auszugebenden Zertifikaten soll sich dabei ab 2026 an den Weil aber voraussichtlich auch andere EU-Länder nur Mengenzielen aus der Lastenteilungsverordnung ergeben. einen geringen Spielraum haben dürften (EEA 2018), und Der Preiskorridor für die Jahre nach 2026 wird dabei erst weil statt eines liquiden Emissionsmarktes grundsätzlich 2025 festgelegt. nur bilaterale Ausgleichsregelungen vorgesehen sind, ent- Ein Emissionshandel führt typischerweise zu großen steht hier ein erhebliches finanzielles Risiko für den deut- Preisvolatilitäten und entsprechenden Unsicherheiten. So schen Bundeshaushalt. Denn die anderen EU-Mitglied- werden bei sehr niedrigen Preisen Investitionen gehemmt. staaten, vor allem die reichen Länder, müssen ja ebenfalls Hohe Preise hingegen führen möglicherweise dazu, dass erhebliche Minderungsverpflichtungen erfüllen. Deshalb die Klimaziele zu sozialen und ökonomischen Kosten er- werden diese Emissionsrechte vermutlich knapp und so- reicht werden, die politisch nicht tragbar sind. In beiden mit teuer werden. Nach Schätzungen belaufen sich die Fällen sind diskretionäre Eingriffe nötig und richtig. Es Kosten auf bis zu 60 Milliarden Euro bis 2030 (Agora 2018) gibt nämlich weder ökonomisch noch klimawissenschaft- bei einem angenommenen CO2-Preis von 100 Euro pro lich einen Grund dafür, dass ein deutsches CO2-Mengen- Abbildung 1: CO2-Preispfad Quelle: Aktualisierte Darstellung basierend auf Edenhofer et al. 2019b
Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung: Eine Wende der deutschen Klimapolitik? 7 ziel exakt erreicht werden soll, koste es, was es wolle. Sind mentes Unsicherheit geschafften, die langfristige Investi- die Kosten sehr gering, sollte ein ambitionierteres Klima- tionen hemmt. ziel formuliert werden. Sind sie sehr hoch (zum Beispiel Neben der CO2-Bepreisung setzt die Bundesregierung, höher als die geschätzten sozialen Grenzkosten), sollte das um Emissionen zu senken, auf Ordnungsrecht und Förder- deutsche Reduktionsziel entsprechend angepasst werden. maßnahmen als zusätzliche Instrumente (Bundesregie- Im Rahmen des Emissionshandels kann ein dyna- rung 2019). Der ordnungspolitische Ansatz basiert auf zwei misch anwachsender Preiskorridor diese Probleme vermei- grundlegenden Irrtürmern, die die politische Debatte be- den helfen. Er ergänzt den Emissionshandel durch Ele- stimmen: (1) Durch Ordnungsrecht und Fördermaßnah- mente einer direkten Bepreisung, macht ihn somit einer men könne der notwendige CO2-Preis gesenkt und Klima- CO2-Abgabe ähnlicher (Edenhofer et al. 2019a). Wenn zum schutz günstiger gemacht werden. (2) Es ließen sich durch Beispiel der Preis für Ausgleichzahlungen zwischen Regie- diese Maßnahmen regressive Verteilungswirkungen ver- rungen im Vorhinein bekannt wäre, könnte dieser als meiden, die sich aus einem hohen CO2-Preis ergeben. Höchstpreis im nationalen Emissionshandel gesetzt wer- Bei nüchterner Betrachtung ist nicht plausibel, dass den. Da er jedoch unsicher ist, spiegelt die Festsetzung des die beschlossenen Maßnahmen im Gebäude- und Ver- Höchstpreises eine Abwägung wider: zwischen den hei- kehrsbereich, die auf private Kauf- und Investitionsent- mischen Vermeidungskosten und dem Risiko eines Ver- scheidungen zielen, die Kosten des Klimaschutzes senken. tragsverletzungsverfahrens für den Fall, dass nicht ausrei- Viele Maßnahmen im Bereich Gebäudesanierung, Subven- chend Zertifikate zugekauft werden können. Je höher tionen der Bahn oder E-Auto- Prämie sind kostenintensiv, dieses Risiko eingeschätzt wird, umso höher wird auch der dürften aber für den Klimaschutz weitgehend ineffektiv Höchstpreis im nationalen Emissionshandel angesetzt sein und dabei hohe Mitnahmeeffekte verursachen. Die werden. Er wird umso niedriger angesetzt, je höher die gesamten Verteilungswirkungen der einzelnen Program- nationalen Grenzvermeidungskosten im Vergleich zu den me lassen sich zwar schwer in ihrer vollen Inzidenz bewer- Grenzvermeidungskosten in anderen EU Ländern sind. Ein ten – tendenziell jedoch kommen Steuererleichterungen hoher nationaler CO2-Preis würde ansonsten die Wirt- wegen des höheren Grenzsteuersatzes reicheren Haushal- schaft besonders verwundbar machen und kaum zur euro- ten zugute. Auch Standards können regressiv wirken, wie päischen Emissionsminderung beitragen. empirische Untersuchungen für den Verkehrssektor in den Der Regierungsbeschluss hat nun eine institutionelle Vereinigten Staaten gezeigt haben (Davis und Knittel 2019, Grundstruktur für einen CO2-Preis geschaffen, die grund- Levinson 2019). So führen Flottenstandards zwar zu einer sätzlich tragfähig ist. Dennoch setzt sie den Preis noch zu höheren Energieeffizienz von Fahrzeugen, aber auch zu zaghaft ein – und dessen Anhebung in den Folgejahren ist höheren Fahrzeugkosten. Weil Haushalte mit einem gerin- trotz der Korrektur im Vermittlungsausschuss aller Vo- gen Einkommen tendenziell auch eine geringere Fahrleis- raussicht nach unzureichend, um die nationalen Ziele aus tung haben, fallen die Einsparungen durch die höhere der Lastenteilungsverordnung zu erreichen. Basierend auf Energieeffizienz relativ gering aus und gleichen die höhe- einem partiellen Gleichgewichtsmodell mit Nachfrageelas- ren Anschaffungskosten für Kraftfahrzeuge nicht aus. Bei tizitäten und Baseline-Emissionen für 2030, die sich aus reicheren Haushalten dagegen führt die sparsamere An- dem neusten Stand der einschlägigen Literatur ergeben, triebstechnik wegen der höheren Fahrleistungen zu deutli- schätzen Edenhofer et al. (2019a) die notwendigen Preise chen Einsparungen in den Kraftstoffkosten. im Jahr 2030 von 70 bis 350 Euro pro Tonne CO2, mit 130 Ärmere Haushalte haben im Durchschnitt einen höhe- Euro in einem mittleren Basisszenario. Der von der Regie- ren Anteil an Energieausgaben. Deshalb ist die Vertei- rung angestrebte Preispfad liegt indessen unterhalb des lungswirkung der CO2-Bepreisung ex ante regressiv (rote Notwendigen (siehe Abbildung 1). Daher werden die CO2- Linien in Abbildung 2). Doch ex post ergibt sich hier über Preise nach 2026 – vermutlich auch schon davor – stark die Ausgestaltung der Rückerstattung ein großer Spiel- steigen müssen, damit die Ziele erreicht werden. Für die raum, die Belastung progressiv umzusetzen und soziale Investoren besteht über die Preisentwicklung nach 2026 Härten weitestgehend zu vermeiden. Nahezu vollständig eine beträchtliche Unsicherheit. So sieht die entsprechen- ließe sich eine Mehrbelastung der unteren Einkommens- de rechtliche Regelung (Gesetz über den nationalen Zertifi- gruppen umgehen, wenn die Einnahmen aus der CO2-Be- katehandel für Brennstoffemissionen) vor, dass die Zertifi- preisung aufkommensneutral an die Haushalte rückerstat- kate versteigert werden (BEHG § 10). Der Gesetzgeber kann tet würden – entweder indem Steuern und Abgaben auf auch nach 2026 einen Preiskorridor beschließen, hat aber Strom sinken oder durch einen einheitlichen Pro-Kopf- die Umstände und Regeln nicht näher spezifiziert. So wird Transfer, wie in der Schweiz praktiziert. Auch mittlere Ein- trotz der Einführung eines marktwirtschaftlichen Instru- kommensgruppen würden in beiden Varianten kaum be-
8 Ottmar Edenhofer, Matthias Kalkuhl und Axel Ockenfels Abbildung 2: Verteilungseffekt des CO2-Preises in den Jahren 2021 und 2025 Anmerkungen: Dargestellt ist die durch Energieausgaben der Privathaushalte bedingte Belastung in Prozent des Netto-Einkommens bei 1) einem CO2-Preis ohne Rückerstattung (rot) und 2) mit der nach dem Vermittlungsausschuss vom 16.12.2019 vorgesehen Entlastung durch die Senkung der EEG-Umlage (1,75 Cent/kWh in 2021 und 2,90 Cent/kWh in 2025), Erhöhung des Wohngeldes und Anpassung der Heizkosten- erstattung von Sozialhilfeempfängern (orange). Darüber hinaus dargestellt sind die ursprünglich vom Klimakabinett (20.09.2019) beschlos- sene Entlastung mit einer geringeren Senkung der EEG-Umlage (um 0,25 Cent/kWh 2021 bzw. 1,375 Cent/kWh 2025) bei einem geringeren CO2-Preis (hellblau) sowie die in der MCC-PIK-Expertise (Edenhofer et al. 2019a) empfohlene aufkommensneutrale Rückerstattung über eine gleichmäßige Klimadividende pro Person (dunkelblau). Die Auswirkung der Förderprogramme sowie der Anhebung der Pendlerpauschale sind aufgrund fehlender Daten nicht berücksichtigt. Einkommensquintile beziehen sich auf das äquivalenzgewichtete Haushaltseinkommen. Quelle: Aktualisierte Darstellung basierend auf Edenhofer et al. 2019b
Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung: Eine Wende der deutschen Klimapolitik? 9 Abbildung 3: Finanztableau Klimapaket, Darstellung der Ausgabenkategorien Anmerkungen: Die schraffierten Flächen zeigen Ausgaben, die durch Haushaltsmittel und Steuer-Mindereinnahmen finanziert werden, während die vollen Flächen die Posten zeigen, die durch die nationale und europäische CO2-Bepreisung finanziert werden. Quelle: Knopf 2020 lastet (Edenhofer et al. 2019 a und SVR 2019). Dies ist unter len Gesamtvolumen von 62 Milliarden Euro bis zum Jahr dem Stichwort „Klimadividende“ durch die dunkelblauen 2023 nur 25 Prozent für die Entlastung der Haushalte auf- Linien in Abbildung 2 dargestellt. gewendet; für Klimaschutzmaßnahmen und Förderpro- Im ursprünglichen Beschluss des Klimakabinetts vom gramme werden dagegen 47 Milliarden Euro ausgegeben 20. September 2019 war ein geringer Einstiegspreis von 10 (Knopf 2020). Um bei weiterhin steigenden CO2-Preisen Euro vorgesehen, verbunden mit einer leichten Senkung eine gerechte Verteilung der Kosten zu gewährleisten, wä- der Umlage für die Erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) re daher eine stärkere direkte Rückerstattung notwendig: sowie der Anhebung des Wohngeldes und der Anpassung über die Senkung der Stromsteuer, der EEG-Umlage oder der Heizkostenzuschüsse von Transferempfängern. Dies auch über eine direkte Rückerstattung an die Haushalte. hätte dennoch eine leichte Belastung auch für ärmere Haushalte bedeutet (hellblaue Linien in Abbildung 2). Durch die Anhebung des CO2-Preises im Vermittlungsaus- 3 Eine zunehmend globale schuss erhöht sich einerseits die Belastung für die Haus- halte – doch wegen der stärkeren Senkung der EEG-Umla- Perspektive auf den Klimaschutz ge wird auch ein größerer Anteil der Einnahmen direkt an entwickeln die Haushalte zurückerstattet. Damit ergeben sich sogar eine Entlastung der ärmsten Haushalte 2021 und eine ge- Bislang war die deutsche Klimapolitik vor allem durch eine ringere Netto-Belastung der ärmsten Haushalte in 2025 nationale Perspektive bestimmt. Doch Deutschland ist in (orangefarbene Linien). die europäische und internationale Klimapolitik eingebun- Dennoch besteht weiterhin erhebliches Potenzial, die den. Dem kann die Regierung nur dann adäquat Rechnung Netto-Belastung insbesondere für Haushalte mit geringem tragen, wenn sie den Klimaschutz als ein Problem der oder mittlerem Einkommen zu senken. Zwar sieht auch das globalen Kooperation begreift. Klimaschutzgesetz eine vollständige Rückerstattung der Wir betrachten zunächst die europäische Perspektive Einnahmen vor. Doch werden diese zum überwiegenden und im Anschluss die internationale Ebene. Wie also sähe Teil für die Förderprogramme (siehe Abbildung 3) oder eine rationale, gesamteuropäische Klimapolitik aus, die es Steuerermäßigungen mit vermutlich regressiver Vertei- den Mitgliedstaaten erlaubt, ihren eigenen klima- und lungswirkung wie die Subventionierung von E-Autos oder energiepolitischen Präferenzen zu folgen? So zeigt die die Erhöhung der Pendlerpauschale (Edenhofer et al. Theorie des Fiscal Federalism: Einheitliche Energiesteuern 2019b) verwendet. Insgesamt werden damit vom finanziel- oder ein einheitlicher CO2-Preis sind nur dann optimal,
10 Ottmar Edenhofer, Matthias Kalkuhl und Axel Ockenfels wenn Transferzahlungen den unterschiedlichen Präferen- unwahrscheinlich, dass die Verhandlungen zwischen Re- zen der Mitgliedstaaten Rechnung tragen (Williams III gierungen zu transparenten Preisen führen und dass diese 2012). Mitgliedstaaten mit vergleichsweise hoher Präferenz dann auch noch an die Unternehmen weitergegeben wer- für Klimaschutz müssen jene mit geringer Zahlungsbereit- den. So ist damit zu rechnen, dass Regierungen schon schaft kompensieren (Chichilnisky und Heal 1994 sowie dann an andere Regierungen Transferzahlungen leisten, Kornek et al. 2019). Dabei sind regional oder sektoral diffe- wenn dies mit geringeren politischen Kosten verbunden ist renzierte Preise nur dann eine zweitbeste Lösung, wenn als eine Erhöhung der CO2-Preise im Inland. Das lässt sich ein Lastenausgleich zwischen den Mitgliedstaaten nicht vermeiden, wenn die Minderungsverpflichtungen in das möglich ist. Ist er jedoch möglich, können Wohlfahrts- EU-ETS integriert werden – statt zwischen Regierungen gewinne auch mittels zunehmender Harmonisierung von (aus-)gehandelt zu werden. CO2-Preisen realisiert werden. Welche Schritte müssten Aufgrund der unterschiedlichen Grenzvermeidungs- hier unternommen werden? kosten werden sich mit der Einführung des nationalen Im europäischen Kontext sorgt die Lastenteilungsver- Emissionshandels unterschiedliche CO2-Preise bilden: Der ordnung dafür, dass nunmehr zwei unverbundene Syste- Preis in den Sektoren Verkehr, Wärme und Landwirtschaft me der CO2-Bepreisung existieren: der europäische Emis- wird vermutlich sehr viel höher liegen als der Preis im sionshandel für Industrie und Stromproduktion sowie der europäischen Emissionshandel. Diese Sektoren in das EU- Emissionshandel zwischen den EU-Mitgliedstaaten, in ETS zu überführen, ist wegen des dafür wohl nötigen um- dem Regierungen Zertifikate handeln, wenn sie ihre Min- fassenden Beschlusses der Europäischen Union derzeit derungsverpflichtungen in den Sektoren Verkehr, Gebäu- nur zu realisieren, wenn Deutschland erhebliches politi- de, Wärme und Landwirtschaft entweder nicht voll erbrin- sches Kapital investiert (Edenhofer et al. 2019a). Nach der gen oder aber übererfüllen. Die Preisbildung erfolgt hier Logik der indirekten Bepreisung (im Emissionshandel wer- nicht auf einem Markt, sondern durch Verhandlungen zwi- den die Preise ja indirekt über Mengenziele implementiert) schen Regierungen. Die Erfahrungen im Rahmen des Kyo- ist es sinnvoll, den europäischen Emissionshandel mittel- to-Prozesses zeigen jedoch: Ein solcher Zertifikatehandel fristig um diese Sektoren zu erweitern. Es würde somit ein führt nicht dazu, dass die CO2-Emittenten auch tatsächlich einheitlicher europäischer Markt mit einem Preissignal mit einem einheitlichen Preis belastet werden. Denn es ist geschaffen (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Europäische CO2-Bepreisung Quelle: Edenhofer et al. 2019a
Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung: Eine Wende der deutschen Klimapolitik? 11 Zwar sieht der Regierungsbeschluss in der Tat die Inte- gration des nationalen Emissionshandels in das EU- ETS vor. Doch es bedarf dazu weiterer Schritte auf der europäischen Ebene. So könnte eine „Koalition der Wil- ligen“ in der EU ihre Emissionsmärkte verknüpfen und damit zunächst eine grenzüberschreitende Angleichung des CO2-Preises im Verkehrs- und Gebäudesektor bewirken. In einer Revision der Lastenteilungsverordnung könnte zu- dem die Möglichkeit geschaffen werden, Zertifikate aus dem EU-ETS zu kaufen, wenn das Mengenziel im Verkehrs- Abbildung 5: Mindeststeuersätze in der EU auf Energieträger und Gebäudesektor verfehlt wird (Edenhofer et al. 2019b). Quelle: Eigene Darstellung basierend auf EU Energiesteuerdirektive Allerdings muss die Politik auch im Falle eines umfas- 2003/96/EC senden europäischen Emissionshandelssystems dafür Sor- ge tragen, dass das CO2-Preissignal die Emittenten er- Diese Heterogenität zeigt sich auch in der tatsächlichen reicht. Die angedachte Handelsarchitektur für Zertifikate effektiven Besteuerung fossiler Energieträger: Zählt man leistet dies für sich genommen noch nicht. Denn trotz des CO2-Steuern, CO2-Preise im EU-Emissionshandel und die einheitlichen EU-ETS haben viele Länder eine unter- Energiesteuern zusammen, ergibt sich in den europäi- schiedliche Zahlungsbereitschaft für Klimaschutz gezeigt: schen OECD-Ländern eine Bepreisung fossiler Energien Einige haben beispielsweise über teure Zusatzprogramme von 0 Euro bis über 350 Euro je Tonne CO2 (siehe Abbil- erneuerbare Energien oder den Ausstieg aus der Kohle dung 6). Die nationalen Energiesteuern führen damit be- gefördert. Diese unilateralen Maßnahmen sind nicht effek- reits zu unterschiedlichen De-facto-CO2-Preisen. tiv. Sie führen bei einer unveränderten Emissionsober- Bei einem einheitlichen europäischen Emissionshan- grenze lediglich zu einer Verlagerung der Emissionen – im del würde der Zertifikatspreis auf diese Steuern zusätzlich Ergebnis sinken die Preise, und die Zusatzanstrengungen erhoben. Zwar kann es prinzipiell gerechtfertigt sein, für laufen ins Leere. bestimmte Energieträger zusätzliche Steuern einzuführen, Um diesen Wasserbett-Effekt zu vermeiden, müssten zum Beispiel wenn diese Externalitäten wie zum Beispiel die Zertifikate gelöscht werden, was als unilaterale Maß- die lokale Luftverschmutzung internalisieren. In den meis- nahme nur unter eingeschränkten Bedingungen möglich ten Fällen aber sind die Steuersätze nach politischen und ist. Dieser Wasserbett-Effekt wirkt auch nach der Einfüh- fiskalischen Gesichtspunkten gewählt. Zudem gibt es eine rung der Market Stability Reserve (MSR) weiter fort (Pahle zunehmende Verbreitung von Mautsystemen (Cramton et et al. 2019). Darüber hinaus führen diese unilateralen Maß- al. 2018): Wenn diese erklärtermaßen die Kosten der Infra- nahmen zu drastisch unterschiedlichen Grenzvermei- struktur und anderer verkehrsbezogener Externalitäten ab- dungskosten innerhalb von Ländergrenzen und über diese decken, gibt es für die Mineralölsteuern keine ökonomische hinweg. Ein europäischer Mindestpreis, verbunden mit Rechtfertigung mehr. Damit ein umfassendes europäisches entsprechenden Transferzahlungen, könnte sicherstellen, Emissionshandelssystem auch einen einheitlichen CO2- dass zusätzliche nationale Anstrengungen nicht vollstän- Preis schafft, müssen also die Energiesteuern stärker an dig verpuffen. ihren jeweiligen lokalen Externalitäten ausgerichtet wer- Auf EU-Ebene hat unterdessen schon eine weiterfüh- den. Andernfalls kommt es durch die sehr heterogenen De- rende Diskussion begonnen, maßgeblich mitgestaltet von facto-CO2-Preise zu erheblichen Wohlfahrtsverlusten. der neuen Präsidentin der Brüsseler Kommission, Ursula Zu der Ausweitung des EU-ETS gibt es auch eine Alter- von der Leyen. Nach der Ankündigung, die Emissionsziele native: Ein einheitlicher CO2-Preis in der EU könnte da- der EU zu verschärfen, geht es nun darum, womöglich das durch etabliert werden, dass man die Mindeststeuersätze EU-ETS zu erweitern (Europäische Kommission 2019). In auf Energie anhebt und harmonisiert; das EU-ETS würde einem solchen ambitionierteren Szenario ergibt sich auch dann abgeschafft (siehe Abb. 4 und Edenhofer et al. erheblicher Reformbedarf für die bestehenden europäi- 2019a). Allerdings wäre dabei das in der EU geltende Ein- schen Energiesteuern. So gibt die Energiesteuerdirektive stimmigkeitsprinzip in Steuerfragen eine erhebliche politi- den Mitgliedsländern Mindeststeuersätze vor, die, bezo- sche Hürde für eine dynamische Anpassung des CO2-Prei- gen auf den CO2-Gehalt, sehr heterogen hinsichtlich Ener- ses – im Rahmen eines EU-intern angepeilten Zeitpfades, gieträger und Einsatzgebiet sind (siehe Abbildung 5). aber auch mit Blick auf ein verändertes Ambitionsniveau anderer Länder außerhalb der EU. Immerhin wird über eine Reform des Einstimmigkeitsprinzips diskutiert. Wün-
12 Ottmar Edenhofer, Matthias Kalkuhl und Axel Ockenfels Abbildung 6: Effektive CO2-Preise in der EU-22 Anmerkungen: Dargestellt sind die effektiven Preise im Jahr 2015 umgerechnet auf Euro/tCO2 durch Energiesteuern, CO2-Steuern oder Emissionshandelssysteme für die energiebedingten Emissionen in jenen 22 EU Staaten, die auch Mitglied der OECD sind. Quelle: Daten basierend auf OECD 2018 schenswert wäre es, wenn dadurch die EU-Kommission ein wirtschaftlich erwünscht. Die Stromwirtschaft sieht nun starkes Verhandlungsmandat in den internationalen Kli- aber vor allem den Verkehrssektor in der Pflicht und sich maverhandlungen erhielte, sodass sich die dort erzielten selbst durch den Kompromiss der Kohlekommission von Vereinbarungen zügig in europäische Energie-Steuer- weiteren Belastungen befreit. Hier zeigt sich, wie dysfunk- anpassungen umsetzen ließen. tional starre Sektorziele sind, die sich primär an politi- Wichtig ist dabei der folgende Aspekt: Durch die zu- schen Opportunitäten orientieren und nicht an den volks- nehmende Dekarbonisierung trocknet die Einnahmequelle wirtschaftlichen Vermeidungskosten. Zu berücksichtigen der Energiesteuern aus, die für viele Regierungen seit Jahr- ist auch, dass der Industriesektor in Europa unter hohem zehnten eine signifikante Basis der Finanzierung von internationalen Wettbewerbsdruck steht, es also das Risi- Staatsaufgaben sind. Würde im Jahr 2030 das derzeit gel- ko von Produktionsverlagerung und damit Emissionsver- tende Emissionsziel nach der EU-Lastenteilungsverord- lagerung („Carbon Leakage“) gibt. Darüber hinaus würde nung erreicht, so würden sich die jährlichen Einnahmen ein einheitlicher europäischer CO2-Preis auch eine Kosten- aus den Energiesteuern um nahezu ein Viertel, also um verschiebung des Klimaschutzes zwischen den Mitglieds- mehr als 9 Milliarden Euro pro Jahr, verringern (Edenhofer ländern bewirken: Durch die Integration der bisherigen et al. 2019a). Es ist daher notwendig, das historisch ge- Nicht-ETS-Sektoren in den Emissionshandel müsste die wachsene Energiesteuersystem grundlegend zu reformie- Zuteilung von Emissionsrechten neu verhandelt werden. ren. In Zukunft sollte die Politik Energiesteuern nicht mehr Eine harmonisierte CO2-Steuer könnte zwar ohne ex- vorrangig als stabile Einnahmebasis für den Fiskus sehen, plizite Umverteilungsregelungen zwischen Ländern aus- sondern als ein Instrument zur Reduzierung externer Ef- kommen, da jedes Land die Einnahmen aus seiner natio- fekte. nal erhobenen CO2-Steuer behalten könnte. Doch werden In jedem Fall ist ein einheitlicher europäischer CO2- ohne Transferzahlungen nur geringe CO2-Preise zustim- Preis als Zwischenziel auf dem Weg zu einer globalen CO2- mungsfähig sein (Roolfs et al. 2019). Die politischen Hür- Bepreisung wünschenswert. Ihn zu realisieren, ist aber den bei einer CO2-Steuer sind hoch – wegen des Einstim- eben auch eine enorme politische Herausforderung. So migkeitsprinzips in der europäischen Steuerpolitik, aber stemmt sich vor allem die Stromwirtschaft dagegen, den auch wegen der weit verbreiteten Aversion gegen staatli- Verkehrs- und Wärmesektor in das EU-ETS zu integrie- che Intervention. Allerdings könnte die Zustimmung zu ren – denn wenn dort der Preis durch die Integration einer Steuerlösung massiv ansteigen, wenn die damit ver- steigt, führt das zu einem beschleunigten Ausstieg aus der bundenen Einnahmen in vollem Umfang und in sozial ver- Braun- und Steinkohleverstromung. Dieser Effekt ist volks- träglicher Weise zurückerstattet werden. Die Schaffung
Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung: Eine Wende der deutschen Klimapolitik? 13 eines einheitlichen europäischen CO2-Preises bleibt damit Trittbrettfahrerproblems, wenn es nicht in eine glaubwür- eine Herausforderung, wenn ambitionierter Klimaschutz dige, internationale Klimapolitik eingebettet wird. Jede gelingen soll. national oder international ausgerichtete politische Maß- Die europäische Klimapolitik muss internationale Ko- nahme muss daher darauf zielen, dass sie die maximale operation ermöglichen. Deutschland trägt mit etwa 2 Pro- Menge an globalen Emissionen reduziert, da nur diese für zent nur zu einem kleinen Teil zum Anstieg der globalen die globale Erderwärmung relevant sind. Treibhausgase bei: Selbst die komplette Klimaneutralität Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt essenziell, würde also den jährlichen Zuwachs an globalen Emissio- der unter den Begriff „Carbon Leakage“ subsumiert wer- nen, der 2018 rund 2 Prozent betrug (UNEP 2019), lediglich den kann. Dieses Ausweichen von CO2 erfolgt zum einen für ein Jahr pausieren lassen. Und auch dies nur dann, im Rahmen des bereits angesprochenen Wasserbett-Ef- wenn es zu keinen Produktionsverlagerungen käme, fekts, der in Emissionshandelssystemen auftritt und zu- durch die die deutschen Emissionen ebenfalls in andere sätzliche nationale Anstrengungen wie den deutschen Länder verlagert würden. Eine Verringerung der globalen Kohleausstieg neutralisiert. Aber es gibt auch einen Aus- Erwärmung im 21. Jahrhundert wäre damit kaum messbar. weicheffekt über den grenzüberschreitenden Handel: In der wissenschaftlichen Literatur (für einen Über- Durch den Import von Gütern konsumieren die OECD- blick siehe Schwerhoff et al. 2017) werden Argumente erör- Länder insgesamt deutlich mehr CO2-Emissionen, als sie tert, die eine unilaterale Klimapolitik dann rechtfertigen, territorial ausstoßen; auch wenn die im Güterexport ent- wenn diese zu Emissionsminderungen in anderen Ländern haltenen Emissionen abgezogen werden, verbleibt für führt. Von einer deutschen unilateralen Politik dürften die OECD-Länder ein Netto-Import von CO2-Emissionen aber quantitativ nur geringe Effekte ausgehen. Sie könnte (Edenhofer und Jakob 2019, S. 26). In Deutschland be- den Klimawandel sogar beschleunigen, weil sie tenden- trägt die Differenz zwischen den territorial produzierten ziell zu einer Verdrängung von CO2-intensiver Produktion Emissionen und den im Konsum enthaltenen Emissionen in Regionen mit weniger ambitionierter Klimapolitik füh- etwa 30 Prozent (Davis und Caldeira 2010). Maßnahmen, ren kann – und zu einer Schwächung der strategischen die den nationalen CO2-Ausstoß senken, könnten diese Position in internationalen Klimaverhandlungen (Wissen- Differenz weiter erhöhen, wenn kohlenstoffintensive In- schaftlicher Beirat 2017). Das wichtigste Ziel aller Klima- dustrien abwandern und deren Güter dann importiert politik ist daher, für internationale Kooperation zu sorgen werden. und Trittbrettfahren zu unterbinden. Nach Berechnungen anhand allgemeiner Gleichge- Darauf muss sich die gesamte deutsche Klimapolitik wichtsmodelle werden pro eingesparter Tonne CO2 im konzentrieren. Denn wenn alle Länder tatenlos bleiben, Heimatland etwa 0,05 bis 0,19 Tonnen CO2 mehr bei Han- steuern wir auf eine Welt mit bis zu 4 Grad Erwärmung delspartnern ausgestoßen (Böhringer et al. 2012). Öko- zum Ende des Jahrhunderts zu (IPCC 2014). Wie groß die nometrische Arbeiten ermittelten für das europäische daraus erwachsenden Schäden sind, wird kontrovers erör- Emissionshandelssystem keine oder nur äußerst geringe tert und ist Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten. Je- Produktionsverlagerungen (z. B. Koch und Mama 2019). Al- denfalls sind aber selbst bei konservativen ökonomischen lerdings waren dort die CO2-Preise über lange Zeit sehr Schadensabschätzungen erhebliche Emissionseinsparun- gering. Zudem haben die EU-Kommission und die Mitglied- gen angezeigt (Nordhaus mit Sztorc 2013). Die ökologi- staaten Maßnahmen gegen Abwanderung ergriffen, zum schen und sozialen Auswirkungen einer ungebremsten Beispiel die Zuteilung von Zertifikaten und die Strompreis- Erwärmung – ein massives Artensterben sowie Risiken kompensation. Bei steigenden CO2-Preisen könnten diese großer Migrationswellen oder gewaltsamer Konflikte um unzureichend sein. Land und natürliche Ressourcen – entziehen sich bislang Ein weiterer Ausweicheffekt, das Grüne Paradoxon, einer soliden ökonomischen Bewertung. Wir verfügen je- wirkt nicht über gehandelte Güter, sondern direkt über die doch über genügend historische Vorstellungskraft, um der Einsparung von fossilen Brennstoffen, was zu sinkenden Vermeidung dieser unkontrollierbaren Situationen einen Ressourcenpreisen auf dem Weltmarkt führt: Es besteht hohen Stellenwert einzuräumen. dann die Befürchtung, dass dies in Ländern mit fehlender Der geringe Anteil Deutschlands an den weltweiten oder wenig ambitionierter Klimapolitik die Nutzung fossi- Treibhausgasemissionen macht deutlich, dass die Klima- ler Brennstoffe erhöht (Sinn 2008). politik das globale Trittbrettfahrerproblem lösen muss. In der Klimapolitik geht es nicht nur um Effektivität, Alles, was in Deutschland an CO2-Zielen ausgerufen und sondern ebenfalls um Effizienz. Selbst wenn eine Maßnah- an Einsparungen erreicht wird, hilft weder dem Klima me wirksam die Emissionen senkt, stellt sich die Frage: noch der Wirtschaft und auch nicht bei der Lösung des Geht es auch zu geringeren Kosten? Hier spielt die globale
14 Ottmar Edenhofer, Matthias Kalkuhl und Axel Ockenfels Betrachtung gleichermaßen eine entscheidende Rolle. Bei 4 CO2-Bepreisung als Kernelement gegebener Zahlungsbereitschaft für die Begrenzung des (globalen) Temperaturanstiegs sollten die kostengünstigs- internationaler Klimaverhand- ten Vermeidungsoptionen zuerst genutzt werden. Diese lungen etablieren sind aber nur zu einem kleinen Teil in Deutschland und vor allem in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern Das Klimaschutzgesetz der Bunderegierung lässt sich un- zu finden (Morris et al. 2012). Nationale Emissionsziele, mittelbar auf das Paris-Abkommen zurückführen. Dort sind erst recht wenn sie auch noch auf einzelne Sektoren herun- nahezu alle Staaten der Welt Minderungsverpflichtungen tergebrochen werden, sind deshalb keine optimale Lö- bis 2030 eingegangen – sogenannte Nationally Deter- sung. Denn sie verhindern, dass die kostengünstigsten mined Contributions (NDCs). Diese Verpflichtungen basier- Vermeidungsoptionen zuerst genutzt werden. Angesichts ten auf zunächst freiwilligen Ankündigungen, die in künf- der begrenzten Mittel wird dann das Einsparpotenzial ins- tigen Verhandlungsrunden ehrgeiziger werden sollen. gesamt nicht voll ausgeschöpft. Die Kritik an nationalen Der Bottom-up-Ansatz der freiwilligen Selbstverpflich- oder sektoralen Zielen ist letztlich eine Kritik an differen- tungen hat seine offenkundigen Schwächen: Nach Berech- zierten (impliziten) CO2-Preisen. nungen der UNEP (2019) müssten die Emissionen, wenn Aus diesen Überlegungen lassen sich drei Schlussfol- das international vereinbarte 2-Grad-Ziel erreicht werden gerungen für die künftige Ausgestaltung der Klimapolitik soll, im Jahr 2030 um 36 Prozent niedriger ausfallen als im ziehen. Erstens: Die Klimapolitik muss sich letztlich am Business-as-usual-Szenario (siehe Abbildung 7, Kurve Rückgang der globalen – nicht der nationalen – Emissio- „2005-Policies scenario“). Nur weniger als die Hälfte da- nen messen lassen; die Klimapolitik muss daher immer von ist bisher im Rahmen des Paris-Abkommen zugesagt aus einer globalen Perspektive betrachtet werden, in der (Kurven „NDC scenario“). Eine weitere Lücke klafft zwi- Trittbrettfahrerverhalten und Carbon Leakage minimiert schen den zugesagten und den tatsächlich durch beschlos- werden; eine nationale Klimapolitik, die für andere Länder sene Maßnahmen prognostizierten Emissionsminderun- Anreize zum Trittbrettfahren schafft, gilt es zu vermeiden. gen („Current policy scenario“). Das Paris-Abkommen Zweitens: Die Klimapolitik sollte so effizient wie möglich bringt zwar eine leichte Verbesserung zum Business-as- gestaltet werden, damit bei einer begrenzten Zahlungs- usual-Szenario, konnte aber bis dato nicht das Kooperati- bereitschaft die Emissionen möglichst umfassend redu- onsproblem zwischen den Staaten lösen. Die Emissionen ziert werden; auch dies setzt eine stärkere globale Betrach- werden bis 2030 vermutlich um weitere 10 Prozent steigen, tung der günstigsten Vermeidungsoptionen voraus. statt – wie nötig – um 50 Prozent zu fallen (UNEP 2019). Drittens: Eine effektive und effiziente Klimapolitik sollte die mithin anfallenden Kosten sozial gerecht verteilen; dies erhöht die gesellschaftliche Akzeptanz und verringert zusätzliche Zielkonflikte, beispielsweise im Hinblick auf Armutsbekämpfung oder soziale Teilhabe. Grundsätzlich sinnvoll ist eine Flankierung durch eine europäisch koordinierte Innovationspolitik, also eine ge- meinsame Strategie beispielsweise für die Erforschung neuer Speichertechnologien, für negative Emissionen oder die Förderung der Diffusion von Technologien in neue Märkte. Innovationen senken die Kosten der Emissions- reduktion langfristig – und dies schafft keine Anreize für Trittbrettfahrer (vgl. beispielsweise Schwerhoff et al. 2017). Allerdings muss Investitionspolitik so ausgestaltet wer- den, dass sie keine dauerhaften Subventionstatbestände schafft. Und Technologiepolitik darf nicht als Ersatz für international koordinierte CO2-Preise verstanden werden, sondern nur als deren sinnvolle Ergänzung. Abbildung 7: Prognostizierte Emissionen und Emissionsziele in Gt CO2 Quelle: UNEP 2019
Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung: Eine Wende der deutschen Klimapolitik? 15 Auch mit Blick auf die Entwicklung des CO2-Preises zeigen damit auch proportional zum jeweiligen Entwicklungs- sich seit dem Abschluss des Paris-Abkommens kaum sub- stand eines Landes. Allerdings bedarf es gleichwohl der stantielle Verbesserungen. Zwar wurden in den vergange- Transferzahlungen. Diese schaffen bei richtiger Ausgestal- nen Jahren mehr und mehr CO2-Preissysteme eingeführt; tung starke Anreize gegen das Trittbrettfahrerverhalten sie decken derzeit etwa 15 Prozent der globalen CO2-Emis- (Kornek und Edenhofer 2019), und sie gleichen sowohl von sionen ab (Weltbank 2019). Allerdings zeigt sich, außer in Land zu Land unterschiedliche Zahlungsbereitschaften Europa, keine substantielle Erhöhung des Preisniveaus aus als auch unterschiedlich hohe Vermeidungskosten (siehe Abbildung 8). (Cramton et al. 2015, Kornek und Edenhofer 2019). Die bisherigen Ansätze, den Klimaschutz in Entwick- lungsländern zu fördern, waren überwiegend projektba- siert. So konnten über den Clean Development Mechanism (CDM) Zertifikate für Projekte generiert werden, die CO2 einsparen – beispielsweise für ein Aufforstungsprojekt oder einen Windpark. Doch dieser projektbasierte Ansatz birgt viele praktische Probleme: mit der Festlegung der Emissions-Baseline, mit dem Nachweis über tatsächlich reduzierte Emissionen und der Frage, wie dauerhaft diese Reduktionen sind. Trotz eines aufwendigen Monitorings und den damit verbundenen Transaktionskosten ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Das Management des im Abbildung 8: Globale Einnahmen aus der CO2-Bepreisung Jahr 2010 unter dem Dach der UNFCCC gegründeten Green Quelle: Eigene Abbildung nach Daten von World Bank Carbon Pricing Climate Fund zur Unterstützung von Vermeidungs- und Dashboard, https://carbonpricingdashboard.worldbank.org Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern sollte daher aus den Fehlern des CDM lernen. Statt Projekte zu Dabei könnten die Verhandlungen über CO2-Preise, ver- fördern, sollte man Regierungen unterstützen, wenn sie bunden mit konditionalen Transferzahlungen, die drei CO2-Preise einführen oder erhöhen. So könnte man den Probleme der internationalen Kooperation lösen (Cramton Regierungen armer Länder einen Teil der anfallenden et al. 2017c). volkswirtschaftlichen Kosten erstatten. Dadurch würden Erstens werden durch CO2-Preise die nationalen Emissionen innerhalb dieser Länder effizient gesenkt und Selbstverpflichtungen vergleichbar. Die bisher verwende- überdies ließe sich eine Annäherung der internationalen ten Mengen- und Intensitätsziele beziehen sich auf unter- CO2-Preisniveaus befördern. schiedliche Basisjahre und Baseline-Emissionen; außer- Insgesamt zeigt sich also: Um das Abkommen von dem sind sie für unterschiedliche Zeithorizonte definiert. Paris wirkungsvoller zu gestalten, sollte künftig nicht über Preise erlauben dagegen, das Anstrengungsniveau sowie Mengenziele verhandelt werden, sondern über CO2-Preise, die damit verbundenen Kosten verschiedener Länder so- ergänzt durch konditionale Transfers finanziert aus dem fort und kontinuierlich zu messen. Zudem können sie un- Green Climate Fund (Kornek und Edenhofer 2019, Cramton mittelbar als nationale Vorgabe verwendet werden. Denn et al. 2017a, c, Weitzman 2014, 2017). Vielversprechend es herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass sich der sind Verhandlungen über Mindestpreise. Dabei bleibt für CO2-Preis global angleichen sollte (Cramton et al. 2017a, b den einzelnen Staat offen, ob er sie durch eine Steuer sowie Schmidt und Ockenfels 2019). erreicht oder durch einen Emissionshandel, der ja auch um Zweitens unterstützen CO2-Preise das Prinzip der Rezi- einen Minimumpreis ergänzt werden kann. Entscheidend prozität (Ostrom 1994, MacKay et al. 2015). Ein System ist die Koordination der Politikinstrumente (Wissenschaft- reziproker Belohnungen und Bestrafungen ist für jede sta- licher Beirat 2017, Mehling et al. 2018). bile Kooperation grundlegend. Durch den geringeren CO2- In der UN-Klimakonferenz von Madrid 2019 (COP 25) Preis ist das Trittbrettfahrerverhalten eines Landes für alle stand die mögliche regionale Erweiterung von Emissions- sichtbar – und andere Länder könnten darauf reagieren, handelssystemen im Vordergrund. Dabei sollen insbeson- indem sie beispielsweise ihre eigenen Preise entsprechend dere Doppelzählungen vermieden werden, die durch den senken und damit die Kosten für Trittbrettfahrer erhöhen grenzüberschreitenden Handel mit Zertifikaten ausgelöst (Ockenfels und Schmidt 2019). werden (Schneider et al. 2019). Investiert zum Beispiel Drittens erzeugt ein CO2-Preis eine Last, die sich pro- Deutschland in einen Solarpark in Brasilien, muss geklärt portional zu den verursachten Emissionen verhält und werden, wie viele Emissionen dadurch zusätzlich vermie-
16 Ottmar Edenhofer, Matthias Kalkuhl und Axel Ockenfels den werden und wem die Emissionsminderung gut- aufgrund der langen Investitionszyklen – einen ehrgeizi- geschrieben wird. Die Verhandlungen zu Artikel 6.2 des gen Klimaschutz in der Zukunft verteuern. Paris-Abkommens, also zur Ausgestaltung von Emissions- Die Koordination über Steuern hat vor diesem Hinter- handelssystemen und die Vermeidung von Doppelzählun- grund im Prinzip gewisse Vorteile: Sie erfordert lediglich gen, blieben in Madrid allerdings ergebnislos und wurden Verhandlungen über die Steuerhöhe und die damit ver- auf die COP 26 vertagt. Trotzdem können und werden bundenen Transferzahlungen. Diese müssen gerade so Staaten auch schon vorher über Kooperationen mit ande- hoch sein, dass sie die Kooperationsbereitschaft erhöhen. ren Staaten verhandeln, gemeinsam Mindestpreise fest- Darüber hinausgehende Verteilungsprobleme müssen legen und die Anrechnung von Emissionsminderungen nicht gelöst werden, denn die verbleibenden Steuerein- klären. nahmen kommen anteilig den beteiligten Ländern zugute. Eine oft diskutierte Form der Kooperation ist die regio- Allerdings haben Finanzminister bislang wenig Interesse nale Erweiterung von Emissionshandelssystemen. Hiervon daran gezeigt, ihre Energiesteuern an den Erfordernissen erhofft man sich eine drastische Verminderung der Ver- der nationalen oder internationalen Klimapolitik aus- meidungskosten um bis zu 50 Prozent (Edmonds et al. zurichten. Auch eine internationale Koordination der Steu- 2019) – freilich stützen sich die entsprechenden Rechnun- ern erscheint schwierig, zumal sich an den Klimaverhand- gen auf Modelle, die vor allem die statische Allokations- lungen bisher vor allem die Umweltminister beteiligen. effizienz im Blick haben. Die dynamischen Probleme des Diese setzen wohl vor allem auf Emissionshandelssyste- Emissionshandels bleiben dieser statischen Perspektive me. Solange sich eine direkte Bepreisung nicht herbeifüh- verborgen (Edenhofer und Ockenfels 2019). So müssen ren lässt, wird es also darauf ankommen, die Emissions- Emissionshandelssysteme mit schwankenden Preisen zu- handelssysteme so auszugestalten, dass sie zwar die rechtkommen und beispielsweise aufgrund des Konjunk- Lenkungswirkung von Steuern entfalten, aber deren dar- turzyklus drastische Ab- und Zuflüsse von Zertifikaten ver- gestellte Nachteile vermeiden. kraften. Zudem müssen bei jeder Neujustierung der Ziele Wie könnten nun die nächsten Schritte in der interna- schwierige Fragen hinsichtlich der Zuteilung von Emis- tionalen Klimapolitik aussehen? China, die Vereinigten sionsrechten und Auktionserlösen geklärt werden. Wegen Staaten und die EU sind die größten Emittenten von CO2 des Wasserbett-Effekts bleiben einseitige zusätzliche Maß- und kommen insgesamt auf die Hälfte der globalen CO2- nahmen der beteiligten Regierungen weitgehend wir- Emissionen. Diese drei Regionen müssten einen Weg fin- kungslos und stören die Funktionsfähigkeit des Emissions- den, sich auf einen Mindestpreis für CO2 zu einigen, der handels. Zudem ist zu bedenken: Die Marktteilnehmer über die Zeit steigt. Dabei würde dem Trittbrettfahren bilden Erwartungen über die Glaubwürdigkeit der Emis- durch die Drohung vorgebeugt, dass einseitig geringere sionsobergrenze. Wenn sie das Mengenziel als wenig CO2-Preise mit Preissenkungen in anderen Ländern beant- glaubwürdig einschätzen, sinkt der Preis – was Investitio- wortet werden. Nähme man Indien, Russland und Japan nen in CO2-freie Optionen in ihrer Attraktivität mindert und mit in diese Verhandlungen auf, so wären bereits zwei damit die Glaubwürdigkeit des Mengenziels noch weiter Drittel der globalen Emissionen abgedeckt. Ergänzend unterminiert. Um diese Probleme zumindest einzudäm- zum CO2-Mindestpreis könnte ein Grenzsteuerausgleich men und den Emissionshandel funktionsfähig zu machen, für besonders kohlenstoffintensive Produkte wie Stahl und ist die Festlegung von Mindestpreisen erforderlich (Fuss et Aluminium eingeführt werden – für Einfuhren aus Län- al. 2018). dern, die keinen CO2-Preis erheben. Dies verringert Carbon Es wäre daher falsch, wenn Deutschland in den inter- Leakage und setzt für diese Länder einen zusätzlichen nationalen Verhandlungen nur auf die statischen Effi- Anreiz, einen CO2-Preis zu implementieren. Das Anfangs- zienzgewinne schaute und deshalb regional integrierte niveau des Mindestpreises kann dabei zunächst gering Emissionshandelssysteme forderte. Man darf die schwer- sein: Es ist wichtig, dieses Instrument als Hebel der inter- wiegenden dynamischen Probleme des Emissionshandels nationalen Kooperation überhaupt erst einmal zu etablie- nicht ignorieren. Der Blick auf statische Effizienz bei einem ren. In den folgenden Runden kann dann das Ambitions- unsicheren oder unglaubwürdigen langfristigen CO2-Preis- niveau weiter angehoben werden. Ärmere Länder werden niveau kann zu einer Fehlallokation bei Investitionen in dabei über den Green Climate Fund unterstützt, nationale emissionsarme Technologien und Infrastruktur führen CO2-Preise einzuführen. (Vogt-Schilb et al. 2018). Wenn sich Investoren und Regie- rungen nur am aktuellen CO2-Preisniveau orientieren, könnten wichtige Investitionen im Energiesektor und in der öffentlichen Infrastruktur ausbleiben. Das würde –
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