Das Museum als Ort des Wissens Bodenseesymposium - Museums.ch

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Das Museum als Ort des Wissens Bodenseesymposium - Museums.ch
Das Museum als Ort des Wissens
Bodenseesymposium
ICOM Schweiz ICOM Österreich ICOM Deutschland

Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006
Das Museum als Ort des Wissens
                                                           Bodenseesymposium
                                                           ICOM Schweiz ICOM Österreich ICOM Deutschland

                                                           Bericht über ein internationales Symposium vom 22., 23. und 24. Juni 2006 in Schaffhausen,
                                                           veranstaltet von den ICOM-Nationalkomitees der Schweiz, Österreichs und Deutschlands.
                                                           Herausgegeben von Josef Brülisauer.

Impressum

Herausgeberin: ICOM Schweiz - Internationaler Museumsrat
Projektleitung: David Vuillaume
Adaption und Lektorat: Edmund Miedler
Gestaltung: Gregor Schneider, gschart.ch

ISBN 978-3-9523484-1-3

© 2008 ICOM Schweiz

museums.ch                                                 Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006
Inhaltsverzeichnis

Grussworte                                                   6   Vorträge

Marie Claude Morand, Präsidentin ICOM Schweiz                    Roger Fayet                                                                                       17
York Langenstein, Präsident ICOM Deutschland                     Der lahme Flügel der Eule? Überlegungen zur Tragfähigkeit wissenschaftlicher Museumsarbeit
Carl Aigner, Präsident ICOM Österreich
                                                                 Willi Xylander                                                                                     37
Hanspeter Lenherr, Regierungspräsident Kanton Schaffhausen       Sammlung oder Ansammlung – Forschung als tragende Säule der Museumsarbeit
Marcel Wenger, Stadtpräsident Schaffhausen
                                                                 Thomas Antonietti                                                                                  55
                                                                 Kooperation beginnt beim Forschen – Das Projekt Appenzell, Lötschental, überall

                                                                 Günter S. Hilbert, Hans-Jürgen Harras                                                              63
                                                                 The ICMS-Online-Vocabulary. Fachbegriff zur Sicherheit von Museen in 13 Sprachen. Ein Beispiel?

                                                                 Bernhard Graf                                                                                     71
                                                                 Forschung der Museen – Grundlagen und Perspektiven

                                                                 Gilbert Kaenel                                                                                     83
                                                                 Wissenschaftliche Forschung im Museum und die Verbindung zur Universität

                                                                 Bernd Lötsch                                                                                       93
                                                                 Naturmuseen in einer bedrohten Welt

                                                                 Stephan Gasser                                                                                    107
                                                                 Freie Forschung im Museum – Ein Nationalfondsprojekt zur
                                                                 spätmittelalterlichen Skulptur im Museum für Kunst und Geschichte Freiburg (CH)

                                                                 Carl Aigner                                                                                       117
                                                                 Museoentertainement

                                                                 Hannah Bröckers                                                                                   127
                                                                 Eventkultur – Lösung für Not leidende Museen?

                                                                 Carl Aigner, Udo Wiesinger                                                                        140
                                                                 ICOM-Generalkonferenz 2007 in Wien

                                                                 Schlussworte                                                                                      142

                                                                 Programm                                                                                          144

                                                                 Liste der Teilnehmenden                                                                           147

                                                             G   G
4                                                                Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006                            5
Grusswort                                                                                                  Grusswort
Marie Claude Morand, Präsidentin von ICOM Schweiz                                                          York Langenstein, Präsident von ICOM Deutschland

Sehr geehrter Herr Regierungspräsident, sehr geehrter Herr Präsident der Stadt Schaffhausen, sehr geehr-   Sehr geehrter Herr Regierungspräsident, Herr Stadtpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der
ter Herr Stadtrat für Kultur, liebe Präsidenten, liebe ICOM-Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland,      Schweiz, aus Österreich und aus Deutschland.
Österreich und der Schweiz.
                                                                                                           Sehr gerne begrüsse ich Sie im Namen von ICOM Deutschland und seines Vorstandes, der hier vertreten ist
Natürlich bemerken Sie sofort, dass Deutsch nicht meine Muttersprache ist. Aber mit meinen wenigen         durch Rosmarie Beier-de Haan, Annette Rain und Christoph Lindt und natürlich auch alle unsere deutschen
Worten möchte ich Sie heute im Namen von ICOM Schweiz mit viel Freude und Herz an unserer traditionel-     Kolleginnen und Kollegen, die schon seit langen Jahren hier im Rahmen der Bodenseetagungen mit Ihnen
len Bodenseetagung empfangen und begrüssen. Zuerst möchte ich dem Kanton und der Stadt Schaffhausen        im Kontakt stehen. Mein besonderer Dank gilt dem Vorstand von ICOM Schweiz und meiner Kollegin Marie
für das herzliche Willkommen danken, dann den Vorständen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz       Claude Morand sowie Josef Brülisauer für die Vorbereitung dieser Tagung. Wir freuen uns, dass wir uns
für Euer Engagement in Bezug auf diese Tagung und natürlich den Referenten, die dieses wichtige Thema      das erste Mal hier in der Schweiz treffen. Ihnen allen, zumindest der älteren Generation, ist die Entstehung
angegangen sind.                                                                                           der Bodenseetagung bekannt. Erst war es ein Unternehmen, das im Wesentlichen auf deutschem Boden
                                                                                                           stattgefunden hat, also in Lindau. Sie hiessen auch die Lindauer-Tagungen. Aber wir haben uns dann 2000
Gerne möchte ich ein paar Worte über das diesjährige Thema verlieren: «Das Museum als Ort des Wissens.»    entschlossen, turnusmässig den Tagungsort zu wechseln und die drei Länder zum Austragungsort der
Damit kommen wir zur Uridee des Museums zurück. Das Museum gegründet von Ptolemaios in Alexandria,         Tagungen zu machen. Ich freue mich sehr, dass hier im Rahmen der Rotation nun die Schweiz an der Reihe
also dem Silicon Valley der Antike, war klar ein Ort des Wissens, wo Menschen aus allen Disziplinen        ist, hier in Schaffhausen. Ich glaube, es ist auch ein sehr schöner Anfang und ich freue mich auch, dass sich
zusammen das Beste für die Entwicklung der Menschheit suchten. Diese Dimension des Suchens ist immer       die Gelegenheit ergibt, die Region rund um den Bodensee, wo die drei Nationen zusammenstossen oder
noch ein wichtiger Bestandteil der ICOM-Definition des Museums. Suchen und forschen, um die besten         besser zusammenwohnen und zusammenkommen, besser kennen zu lernen.
Objekte und Arten zu sammeln. Suchen und forschen, um die besten Technologien der Konservierungen zu
entdecken. Suchen und forschen, um den vielfältigen Sinn dieser Exponate zu erklären und zu vermitteln.    Wenn ich ein bisschen zurückgeblickt habe auf die Zeit seit 1973 (wir treffen uns jetzt bereits schon zum
Forschung ist, im breitesten Sinne, eine der wichtigsten Grundaufgaben des Museums. Heute, wo der Boom     zwölften Mal), darf ich auch meine beiden Vorgängerpräsidenten sehr herzlich begrüssen. Hans Martin
der Event-Ausstellungen und der Vermittlungen aller Art die kulturelle Szene Europas und der ganzen Welt   Hinz, Ihnen allen gut bekannt, sowohl als Präsident von ICOM Deutschland über zwei Wahlperioden, wie
besetzt, wollen wir erneut Platz machen in unseren Aktivitäten für die Forschung. Wir wollen neue Wege     auch als ehemaliger Präsident von ICOM Europa und heute Vertreter der deutschsprachigen Fraktion, der
entdecken, um die Forschung dem Publikum, aber auch unseren vorgesetzten Stellen zu kommunizieren. Ich     europäischen Fraktion, im Executive Council. Er gehört zu diesem Komitee, das die Tagungen rund um den
freue mich, zusammen mit den Referenten dieses Thema zu bearbeiten. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre      Bodensee herum internationalisiert hat. Auch seine damaligen Mitpräsidenten sind heute im Executive
freundliche Aufmerksamkeit.                                                                                Council an der Spitze von ICOM und tragen unsere Anliegen dort mit vor. Günter Dembski ist heute Präsident
                                                                                                           des Advisory-Committee und damit ganz entscheidend zuständig für die Politik von ICOM und Martin
                                                                                                           Schärer ist Vizepräsident des Executive Council. Insofern haben wir im Augenblick eine ganz gute Situation,
                                                                                                           wir können uns im Weltverband sehr schön artikulieren und das ist auch ein Punkt, auf den ich nachher am
                                                                   Marie Claude Morand                     Schluss noch kurz eingehen möchte. Ich glaube, die deutschsprachigen Länder (wobei die Schweiz auch die
                                                                   Präsidentin ICOM Schweiz                Brücke zu Frankreich und zu Italien ist) haben durchaus die Chance, auch innerhalb von ICOM für Europa
                                                                                                           noch deutlicher zu sprechen, als sie es bisher getan haben.

                                                                                                           Auch Hans Albert Treff, unseren Altpräsidenten, möchte ich sehr herzlich begrüssen. Er hat sich immer sehr
                                                                                                           für die Zusammenarbeit von ICOM Deutschland mit den anderen Komitees eingesetzt, sei es im Rahmen der
                                                                                                           Bodenseekonferenz oder von CEICOM, einer Arbeitsgemeinschaft von ICOM Deutschland mit den osteuro-
                                                                                                           päischen Ländern und hat sie unterstützt und gefördert.

                                                                                                           Zunächst einmal zum Inhalt unserer Tagung. Da hat mich Marie Claude Morand bereits entlastet. Sie hat
                                                                                                           uns gesagt, warum das Forum, das Museum, als Ort des Wissens so wichtig ist. Sie hat zurückgeblickt auf
                                                                                                           das Silicon Valley der Antike und tatsächlich glaube ich, ist das Museum ein Ort des Wissens, ein Ort des

                                                                                                     G     G
6                                                                                                          Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006                                   7
Suchens, in ganz vielfältigem Sinne; vom Sammeln, vom Sichten, vom Ordnen, vom Inventarisieren, bis zu         Weltverband. Wir stehen Ihnen in den Pausen gerne zur Verfügung, auch in den Zeiten, wo wir innerhalb des
den anspruchsvollen wissenschaftlichen Aufgaben, wie sie von den Museen wahrgenommen werden. Wir               Programms Diskussionen führen oder auch an den Abenden. Ich hoffe sehr auf Anregungen von der Basis
werden das im Laufe der Tagung noch deutlicher vorgestellt bekommen. Vielleicht sollte ich nicht selbst zu     her, die ICOM befruchten und weiterentwickeln können. Herzlichen Dank.
viel zum Thema Wissenschaft sagen, nachdem sich unsere ganze Konferenz damit befassen wird. Lieber
verweise ich auf unsere Referenten, Willi Xylander, den Direktor des Naturkundemuseums in Görlitz, der
heute zu uns sprechen wird und dann auf Bernhard Graf, auch ein ehemaliges Mitglied des Vorstands
von ICOM Deutschland und Direktor des Instituts für Museumskunde in Berlin, das bei uns ein bisschen
ein Zentrum der fachlichen und wissenschaftlichen Arbeit der Museen ist und für die Museen arbeitet.                                                                                      York Langernstein,
Bernhard Graf ist zugleich Berater des Deutschen Museums in München, als einer der Panzerkreuzer für die                                                                                  Präsident ICOM Deutschland
wissenschaftliche Arbeit der Museen und er betreut auch die Museen der blauen Listen in Deutschland,
also die grossen Institute der Wissenschaft. Aber die Wissenschaft ist, wie gesagt, nicht nur in den grossen
Institutionen zu Hause, sondern auch in den kleinen Häusern. Wo ein Lehrer seine Sammlung ordnet, wo
ein Heimatpfleger sich um die Bestände kümmert, auch das betrachte ich als eine Form von Wissenschaft
und Ordnung und Zuwendung zu den Gegenständen, die wir hier in gleicher Weise berücksichtigen soll-
ten. Museen sind ja nicht nur Orte der Wissenschaft, sondern vor allem auch Orte der Bildung. In dieser
Dimension spielen sie eine grosse Rolle.

Und nun also ein Wort zum Thema unserer engeren Arbeit im Rahmen der drei Komitees, die seit 1972 insti-
tutionalisiert ist. Ich hoffe, dass ICOM Deutschland zusammen mit ICOM Österreich und der Schweiz tat-
sächlich ein Nukleus für die Wahrnehmung unserer europäischen Museumsinteressen sein kann. Ein Thema
wäre etwa auch die Bindung des Museumsbegriffs an die Sammlung. Die Museen gehen doch sehr stark
vom Sammlungsbegriff aus und es gibt viele Tendenzen, die geeignet erscheinen, diesen Sammlungsbegriff
etwas aufzulösen. Ich glaube, das ist ein Punkt, den wir auch bei ICOM vortragen wollen. Das auch ein
Thema im Advisory Committee, also am Treffen der Nationalkomitees und der internationalen Komitees in
diesem Jahr. Dann wollen die Nationalkomitees, die die Gelder für die Arbeit des ICOM-Weltverbandes
beibringen, auch absichern, dass die jeweiligen nationalen Verbände die Möglichkeit haben, ihre Geschäfte
ordentlich zu besorgen, sich um die Mitglieder zu kümmern, um Tagungen durchzuführen und ähnliches.
Auch solche Anliegen werden wir verstärkt in dieser Gruppe, in Kooperation mit unseren europäischen
Nachbarländern, künftig bei ICOM vortragen. Liebe Marie Claude, Du bist auch eine derjenigen, die diesen
Gemeinschaftsgeist gepflegt hat, ebenso wie Carl Aigner, unser Mitpräsident aus Österreich. Wir wollen
dies zusammen mit unseren Nachbarn - gerade die Schweiz bietet da die Möglichkeit - versuchen, mit
Frankreich, mit Italien zu sprechen und über Deutschland haben wir den Blick in die Niederlande. Wir wol-
len ein bisschen enger zusammenrücken, um unsere gemeinsamen europäischen Interessen innerhalb von
ICOM zu formulieren. Das hat nicht unmittelbar etwas mit unserer heutigen Tagung zu tun. Aber Sie sollen
auch ein kleines bisschen Einblick in die Arbeit von ICOM Deutschland bekommen, in die Verbindungen mit
seinen Nachbar-Komitees und das Mitwirken im Weltverband. Auch da wollen wir etwas präsenter sein
oder noch präsenter werden, als wir es bisher gewesen sind. Ich glaube, wir haben hier in Schaffhausen
einen besonders schönen Rahmen für unsere Tagung.

In diesem Sinne wünsche ich uns eine schöne Tagung und gute Begegnungen. Die Bodenseetagung ist über
den wissenschaftlichen Kern hinaus immer auch ein Familientreffen, das uns eine Chance zum Austausch
gibt. Gerade in diesem kleineren Kreis haben wir durchaus Möglichkeiten zur Diskussion, einmal über
unser Tagungsthema selbst und vielleicht auch über die Arbeit unserer Verbände und ihrer Tätigkeit im

                                                                                                         G     G
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Grusswort
Carl Aigner, Präsident von ICOM Österreich

Geschätzter Herr Regierungspräsident, geschätzter Herr Stadtpräsident, geschätzter Herr Stadtrat für Kultur.    spannenden und vor allem intensiven Tagungsverlauf wünschen. Nützen wir auch die Gelegenheit, dass
                                                                                                                wir hier viel intensiver diskutieren können, als in megagrossen Symposien, dass hier ein viel intensiverer,
Ich darf mich den Begrüssungsworten meiner Vorrednerin Madame Marie Claude Morand und meines                    persönlicherer Austausch möglich ist. Danke für Ihre Gastfreundschaft hier in Schaffhausen.
Kollegen York Langenstein anschliessen. Ich darf Ihnen die besten Grüsse von ICOM Österreich, speziell
auch vom Vorstand, überbringen und gleichzeitig unsere Geschäftsführerin, Frau Armine Wehdorn, entschul-
digen, die kurzfristig nicht kommen konnte. Auch darf ich Ihnen die besten Grüsse von Günter Dembski, dem
Vorpräsidenten von ICOM Österreich, überbringen. Auch er hat dreimal die Bodenseekonferenz mitgetragen,
über die wir uns sehr freuen. Österreich war nicht ganz von Beginn an dabei, weil ICOM Österreich erst 1978                                                                                Carl Aigner,
gegründet wurde. Aber es ist bei uns ein ganz wesentliches Thema gewesen und ist es bis heute geblieben.                                                                                   Präsident ICOM Österreich
Es ist vor allem eine Veranstaltung für ICOM-Mitglieder. Das Wissen über das Museum ist ein Begriff, der
zumindest in Österreich über den Begriff der Bildung vermittelt wird. Ein amerikanischer Museumsphilosoph
hat einmal vor gar nicht so langer Zeit gesagt, «eine Gesellschaft ohne Museum ist eine Gesellschaft
ohne Zukunft». Das mag im ersten Moment sehr provokant klingen. Aber wir müssen bedenken, dass ganz
bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen dazu führen, dass sich Institutionen wie die Museen herausbil-
den. Wir dürfen nicht übersehen: das Museum ist zunächst eine europäische Angelegenheit, gerade wenn
wir global von Museen sprechen, dann ist dahinter schon ein ganz wesentlicher Kern. Mit dem Thema von
heute «Das Museum als Ort des Wissens», als Stätte des Wissens, sollten wir uns vor Augen halten, dass
wir immer weniger eine Wissensgesellschaft, sondern vielmehr zu einer Informationsgesellschaft geworden
sind, wie es seit langer Zeit, seit den siebziger und achtziger Jahren, heisst. Der entscheidende Unterschied
meiner Meinung nach ist, dass Information gewisserweise keinen kulturellen Kontext hat. Die Information
ist eine Mobilität des Wissens, aber ohne, dass die Kontexte des Wissens immer wieder mit eingebracht
werden. Museen sind Orte, wo das Wissen in vielfältiger Hinsicht kontextualisiert wird und das dürfen wir
uns nicht nehmen lassen. York Langenstein hat es angesprochen. Es wird immer mehr diskutiert, wie weit
Museen an Sammlung, an Forschung gebunden werden sollen. Wir müssen hier schon sehr aufmerksam
sein, weil das die Arbeit betrifft, die wir im Museum leisten. Wenn die Museumsarbeit negiert wird, kön-
nen wir eigentlich sehr rasch einpacken. Es geht hier um eine Arbeit, die im grossen Masse ehrenamtlich
geleistet wird, gerade in kleineren Museen. Insofern sollten wir mit dem Museum immer auch den Begriff
der Museumsarbeit ganz vorne hinstellen. Das können die Menschen rezipieren, dann verstehen sie auch,
warum Sammlung, warum Museum viel kostet, weil einfach dieses Kulturgut, um es zukünftig zu machen,
einen Aufwand braucht. Es gibt keine Diskussion, wie viele Autobahnkilometer wir erhalten, dann darf es
auch keine Diskussion sein, wie viele Museen wir erhalten, wenn es um Identitäten von Gesellschaften, von
Regionen, von Staaten oder auch von Städten geht.

Damit möchte ich schliessen. Ich darf mich auch den Dankesworten anschliessen, dass wir heute hier in
Schaffhausen mit der wunderbaren Kultur sein können. Wir durften gestern zu Gast im Museum Allerheiligen
sein und sind wirklich sehr beeindruckt von der Natur, genauso vom Rheinfall, der hier weltberühmt ist. Ich
habe gehört, vor drei Jahren waren 1,5 Millionen Besucher beim Rheinfall und wir garantieren uns, dass
das diesjährige ICOM-Seminar gewiss kein Reinfall sein wird. Aber wir werden gerne noch zum Rheinfall
aufbrechen und dieses wunderbare Naturschauspiel auch geniessen. Ich darf Ihnen allen einen ganz

                                                                                                          G     G
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Grusswort
Dr. Hans-Peter Lenherr, Regierungspräsident des Kantons Schaffhausen

Sehr geehrter Herr Stadtpräsident, sehr geehrte Frau Präsidentin und Herren Präsidenten der nationalen          finanzieren. Ich kann Ihnen kein Patentrezept als Lösung anbieten. Immerhin aber scheinen mir vernetzte
ICOM-Komitees der Schweiz, Deutschlands und Österreichs, sehr geehrte Damen und Herren, Mitglieder              Projekte, an denen mehrere Museen mit ihren Sammlungen, Universitäten, allenfalls auch Archive betei-
von ICOM.                                                                                                       ligt sind, ein Ansatz zu sein, wissenschaftliche Forschung weiterzutreiben. Ein komplementärer Ansatz
                                                                                                                wäre allenfalls auch im vermehrten Sponsoring solcher Forschungsprojekte durch Private resp. durch die
Im Namen der Regierung des Kantons Schaffhausen heisse ich Sie herzlich im Kanton Schaffhausen will-            Privatwirtschaft zu sehen, wobei selbstverständlich in diesem Bereich die Bedingungen besonders genau
kommen. Es freut uns sehr, dass Sie als Tagungsort die Hauptstadt des Kantons, nämlich Schaffhausen,            geprüft werden müssen.
gewählt haben.
                                                                                                                Denn die Institution Museum hat die einmalige Chance, Wissen nicht nur intellektuell, sondern anschaulich
Das Thema der Tagung «Das Museum als Ort des Wissens» tönt sehr interessant und verspricht aufschluss-          nachvollziehbar und damit unmittelbar sinnlich erlebbar zu machen. Diesen Vorteil haben die Museen allen
reiche Erkenntnisse für die zukünftige Entwicklung der Institution Museum. Museen als staatlich geförderte,     elektronischen Medien voraus. Wer zum Beispiel schon einmal eine Führung einer Kleinkinderklasse in
ja gewollte Institutionen sind bekanntlich vor allem auch Produkte des 19. Jahrhunderts, eigentliche Abbilder   einem Kunstmuseum miterleben durfte, weiss, wie direkt diese Erfahrung gemacht werden kann. Ich wähle
einer Gesellschaft, die Wissen nicht nur sammeln wollte, sondern in der Vermittlung des gesammelten             dieses Beispiel auch deshalb, weil diese Kleinkinder die Museumsbesucher und -besucherinnen von morgen
Wissens die kulturelle Entwicklung der eigenen Gesellschaft, ja der Menschheit gegründet sah. Nach den          sein werden, die hoffentlich als Erwachsene immer noch mit dem gleichen wachen Interesse am Wissen der
Katastrophen des 20. Jahrhunderts sind wir wohl vorsichtiger, den Erfolg dieses Anspruchs vorauszusetzen.       Institution Museum teilhaben werden.
Dies hat aber an der Bedeutung der Institution Museum nichts geändert.
                                                                                                                Ich wünsche Ihnen also im Namen der Regierung des Kantons Schaffhausen eine erfolgreiche Tagung,
Der Umkehrschluss scheint eher zuzutreffen. Je mehr sich unsere Gesellschaft fragmentiert, je schneller         gute Gespräche und schönes Wetter, damit die geplanten Exkursionen nicht nur inhaltlich, sondern auch
die technologische Entwicklung und weltweite Vernetzung abläuft, je rascher die Halbwertszeit von Wissen        stimmungsmässig stimmen.
abnimmt und je höher die Ansprüche an die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Menschen werden, desto
mehr entsteht das Bedürfnis nach einem Referenzort, den die Institution Museum bieten kann. Wie anders
wäre es sonst zu erklären, dass die Zahl der Museen zumindest in Europa stetig zunimmt und den Politikern,
die zu deren Finanzierung in vielen Fällen früher oder später aufgefordert werden, angesichts finanzieller                                                                                 Hanspeter Lenherr,
Restriktionen und Haushaltskürzungen steigende Schwierigkeiten machen. (Der Stadtpräsident weiss das).                                                                                     Regierungspräsident
                                                                                                                                                                                           Kanton Schaffhausen
Vor diesem Hintergrund stellt sich mit grösserer Vehemenz auch schon die Frage nach der Aufgabe der
Institution Museum in unserer Gesellschaft. Sicherlich hat sich die ursprüngliche Aufgabe der Museen,
kulturelles Erbe zu bewahren, auch heute nicht gewandelt. Die Bewahrung alleine freilich genügt nicht.
Die Bewahrung stellt vielmehr die unverzichtbare Grundlage dar, die erst die Erforschung des kultu-
rellen Erbes möglich macht, was wiederum Grundlage der adäquaten Vermittlung von Wissen ist. Die
Gegenstände im Sinne der blossen Bewahrung einfach nur zu sammeln, mag das Interesse eines Antiquars
sein. Diese Gegenstände aber so zu erforschen, dass sie Geschichten und Geschichte erzählen, dass sie
Zusammenhänge erhellen und diese in einen wissenschaftlichen Diskurs stellen, muss der Anspruch der
Institution Museum sein. Dies ist sowohl im Vorgehen wie im Anspruch mehr als die heute weit verbrei-
tete Eventkultur. Ihre Tagung betrachte ich daher auch als einen Versuch der Selbstvergewisserung der
Institution Museum und ihrer Mitarbeitenden.

Dies auch und gerade vor dem Hintergrund, dass finanzielle Restriktionen und Haushaltkürzungen die
adäquate Aufarbeitung des Wissens, das in den Museen liegt, zumindest nicht einfacher machen. Zu oft
wird hier nur auf das rasche Ergebnis geschielt. Breit angelegte Forschung wird so immer schwieriger zu

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Grusswort
Marcel Wenger, Stadtpräsident Schaffhausen

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren                                             regen zum Nachdenken an, sie laden zur Erforschung, zur Analyse aber auch zum kreativen Neubeginn ein.
                                                                                                                Der Museumsauftrag ist aus meiner Erfahrung heraus gemessen an dieser Aufgabe alles andere als statisch
Das Bodensee-Symposium des International Council of Museums findet dieses Jahr in Schaffhausen statt.           und alles andere als blosse Geschichtsdarstellung.
Als ich dies erfahren habe, hat mich das sehr gefreut. Ich heisse Sie sehr herzlich willkommen und habe den
Auftrag, Ihnen nun beizubringen, dass auch Schaffhausen am Bodensee liegt.                                      Und weil dem so ist, brauchen die Städte als die einzig wahren und authentischen Standorte für die
                                                                                                                Entwicklung unserer Geschichte auch gute und spannende Museen. Museen mit «Seele», denen die
Sie können ihn zwar nicht sehen, aber Sie können ihn fühlen. Seine Energie durchströmt dieses Gebiet west-      Botschaft wichtig ist und wo man spürt, dass es darum geht, aus Besucherfrequenzen eben nach-denkende
lich des eigentlichen Seebeckens seit der letzten Eiszeit in Form des Rheins, und die Schaffhauser haben        Individuen zu machen und nicht nur Futter für die Statistik und Kostenträger für Kiosk und Cafeteria.
die schwierige Aufgabe, aus dem Wasser des Bodensees als erste elektrischen Strom zu machen, auf dem
langen Weg des Rheins vom Bodensee bis in die Nordsee. So gesehen ist die Durchführung des Bodensee-            Sie werden jetzt möglicherweise finden, diese Äusserung sei für die Politik etwas unüblich, und ich muss
Symposiums in Schaffhausen mehr als gerechtfertigt, wenn man sich an neuzeitlichen Nutzungskriterien            Ihnen leider Recht geben. Es könnte sein, dass der allgemeine «Management-Furor» nun auch die Politik und
orientieren will.                                                                                               mit ihr die Taktgeber unter anderem auch für Kultureinrichtungen erreicht hat.

Aber auch ein kurzer Blick in die Kulturgeschichte unserer Stadt zeigt, wie eng die Beziehungen Schaffhausens   Selbstverständlich geht es auch um gute Führung und dabei um effizientes Verwalten der Häuser. Es geht
zum Kulturraum Bodensee seit jeher waren, vor allem vor dem Aufkommen der Nationalstaaten. Der mittelal-        aber auch und vor allem um den Auftrag, Inhalte und Botschaften zu vermitteln und auf Menschen zuzu-
terliche Handelsweg entlang des Rheins über den Bodensee nach Osten gewann Ende des 11. Jahrhunderts            gehen. Und mit den Menschen meine ich die Besucherinnen und Besucher, die neugierig, nachdenklich,
enorm an Bedeutung und verstärkte die Leistungsfähigkeit der Klosterbetriebe, die wiederum zusammen mit         angeregt oder schlicht weitergebildet werden sollen.
den Städten den Handel und Wandel jener Zeit voran brachten. Die Beziehungen des Klosters Allerheiligen
zum Bistum Konstanz, später die Beziehungen der reichsfreien Stadt Schaffhausen zu den Handelsplätzen           Ich möchte Ihnen heute in der kleinen, immer noch mittelalterlich anmutenden Stadt Mut machen für
in Baden und Württemberg lassen den Schluss durchaus zu, Schaffhausen auch heute noch als westlichste           Museumsarbeit mit Zukunft. Und das ist meines Erachtens nicht die Zukunft der Führungskonzepte,
Bodensee-Stadt zu verstehen, die lediglich durch die Helvetik und den prä-europäischen Irrtum der national-     auch nicht die Zukunft der Management-Ziel-Systeme und von was-weiss-ich-nicht noch allem, was
staatlichen Einschränkungen in ihrer Entfaltung als Bodenseestadt vorübergehen behindert wurde.                 Unternehmensberater erfinden, um zu einem Auftrag zu kommen. Schauen Sie Ihre Häuser an: Die Zukunft
                                                                                                                liegt in den Inhalten, in den Botschaften, die Sie daraus gewinnen. Und daraus machen Sie unverwechsel-
Das mag für Sie vielleicht etwas überspannt tönen. Aber seien wir uns bewusst: Wir sind im Begriff, über        bare Städte in einer immer beliebigeren Welt. Daraus gewinnen Sie für Ihren Standort jene Authentizität,
die regionale und transnationale Zusammenarbeit zurück zu finden zu den Wurzeln unserer kulturellen             die es für neue Ideen und mehr Lebensqualität in unserer Zeit braucht.
Zusammengehörigkeit. Und wenn wir dies gut machen, dann werden sich in den nächsten Jahrzehnten in
Europa vielleicht auch neue kulturelle und wirtschaftliche Gleichgewichte einstellen, die weniger an ideo-      Ich wünsche Ihnen dafür viel Erfolg und freue mich über Ihren Besuch in Schaffhausen.
logischer und nationalistischer Verblendung leiden als dies im 19. und noch 20. Jahrhundert der Fall war.
Sie haben sicher gehört, dass ich diese Aussage unter einem Vorbehalt gemacht habe, nämlich dem, dass
wir «es gut machen müssen».

Und diese Bedingung hat etwas damit zu tun, dass wir uns unserer kulturellen Gemeinsamkeiten, aber auch                                                                                    Marcel Wenger,
unserer Besonderheiten und Identitäten bewusst sind. Das Bewusstsein, wie nahe wir Schaffhauser den                                                                                        Stadtpräsident Schaffhausen
Menschen über der Grenze im Bodenseeraum und in Baden-Württemberg, aber auch denen in der unmit-
telbaren Nachbarschaft entlang des Rheins nach Südwesten sind, ist für die regionale Zusammenarbeit
eine wichtige Grundvoraussetzung. Und die Frage, auf welchem Boden wir kulturhistorisch stehen, kann
hilfreich sein bei der Antwort, wohin wir in Zukunft gehen. Dies alles hat sehr viel mit Ihnen zu tun, denn
die Museen sind die Katalysatoren im immerwährenden Prozess der Identitätsfindung. Sie sind wichtige
Transporteure kultureller Inhalte und damit auch kultureller Botschaften durch die jeweiligen Zeiten. Sie

                                                                                                          G     G
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Der lahme Flügel der Eule?
Überlegungen zur Tragfähigkeit wissenschaftlicher Museumsarbeit
Roger Fayet

The Two Art Histories: The Museum and the University – unter diesem Titel lud der Kunsthistoriker
Charles W. Haxthausen im Jahre 1999 Fachkollegen von Museen und Universitäten an ein Symposium
nach Williamstown im US-Bundesstaat Massachusetts.1 Mit der Wahl des Themas stellte Haxthausen die
Behauptung auf, die Kunstwissenschaft bestehe in Wahrheit aus zwei Kunstwissenschaften: aus jener der
Museen und jener der Universitäten. Zugleich suggerierte der Titel ein mehr oder minder symmetrisches
Verhältnis von museumsseitiger und universitärer Wissenschaft.

Doch wie symmetrisch ist das Verhältnis von musealer und universitärer Wissenschaft wirklich? Haben die
Museen den Universitäten im Bereich der wissenschaftlichen Arbeit überhaupt noch etwas nur halbwegs
Gleichgewichtiges entgegenzusetzen? Ist die Eule der Minerva, Symbol der Erkenntnisfähigkeit, auf der
Museumsseite nicht bereits lahm geworden?

Signale, die auf einen solchen Verkümmerungsprozess schliessen lassen, sind jedenfalls deutlich zu verneh-
men. Als Haxthausen mögliche Referenten für sein Symposium kontaktierte, erhielt er von einem bekannten
deutschen Museumsdirektor eine Absage mit folgender Begründung: «Wir – damit meine ich die Kuratoren
dieser Institution und vor allem mich selbst – sind zu beschäftigt mit Management, als dass wir die Zeit fin-
den würden, um mit der Fachliteratur mitzuhalten oder zumindest mehr oder weniger die Diskussion in unse-
ren jeweiligen Spezialgebieten zu verfolgen. Administration, Fundraising, organisatorische Angelegenheiten
bilden unsere Hauptbeschäftigungen. [...] An eigenes wissenschaftliches Arbeiten ist nicht mehr zu denken.
Der Anspruch, der uns an der Universität vermittelt wurde, hat sich in eine nebulöse Wolke verwandelt.»2

Der vormalige Direktor der Hamburger Kunsthalle, Uwe M. Schneede, fragt in der Einleitung zu seinem
Sammelband über den Zustand der Museen zu Beginn des 21. Jahrhunderts: «Und die Forschung – geht
sie im Tagesbetrieb, im Erfolgszwang, im Marketing unter?»3 Was bei Schneede noch als Frage formuliert
ist, wird beim Kunstkritiker Eduard Beaucamp bereits mit einem Ausrufezeichen versehen: «Die Kenner und
Spezialisten, auf die man früher stolz war, sind deutlich auf dem Rückzug. Sie gelten inzwischen als Sand
im Getriebe. Wissenschaftliche Stellen in den historischen Abteilungen der Museen, sogar im hochqualifi-
zierten Fachbereich eines Kupferstichkabinetts, werden eingespart – übrigens ganz im Gegensatz zur Praxis
der grossen amerikanischen Museen, die sich den Expertenluxus leisten und uns in ihren Forschungs- und
Erwerbskampagnen auch daher überlegen sind. Der moderne Museumschef braucht von Kunst nicht allzu
viel zu verstehen, er muss Manager sein, Virtuose der Geldbeschaffung, Magnetiseur der Sponsoren,
Salonlöwe, gelenkiger Szenenwechsler.»4 Ekkehard Mai vom Kölner Wallraf-Richartz-Museum warnt
in der Kunstchronik denn auch vor «alarmierenden Veränderungen» und «fatalen Konsequenzen»: «Das
Museum wird Produktionsbetrieb eines quasi-betriebswirtschaftlichen Denkens. Sein Bildungsauftrag wird
von seinem ursächlich wissenschaftlichen in einen wirtschaftlichen Status überführt bzw. empfängt von
dorther die Konditionen seiner Machbarkeit. Im Verteilungskampf ums Geld hat die Kultur eine schwache
Lobby und wenig Hilfe beim Gesetz. Doch das betriebswirtschaftliche Einmaleins von Beraterfirmen und

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Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006                                 17
Verwaltungsseminaren greift nur bedingt und hat neben kurzfristigem äusseren Erfolg langfristig Verarmung     hier fehlt es nicht an Beispielen, bei denen die Forschung als integraler Bestandteil der Museumsarbeit
im Inhaltlichen zur Folge.»5 Und im selben Heft resümiert Harald Siebenmorgen, Direktor des Badischen         charakterisiert wird, sei es in Form allgemeiner, leitbildartiger Aussagen, sei es über die Beschreibung
Landesmuseums: «‚Forschung‘ wird von vielen Museen doch ohnedies nur mehr als hehrer Begriff wie eine         konkreter Projekte oder die Erwähnung von Kooperationen mit Hochschulen und Forschungsinstituten.
Monstranz vor sich hergetragen, ohne diesen Anspruch wirklich erfüllen zu können.»6
                                                                                                              Doch wie verhält es sich nun wirklich mit der wissenschaftlichen Tätigkeit an den Museen? Ist sie tat-
                                                                                                              sächlich ein mit Nachdruck betriebenes Kerngeschäft, ohne dessen Ausführung ein Museum, wie es die
Forschung als «responsibility» des Museums                                                                    ICOM-Statuten postulieren, kein «echtes» Museum ist? Oder hat man sie inzwischen vom Kerngeschäft ins
Zu diesen Abgesängen auf Museen, die Wissen nicht nur vermitteln, sondern auch selbst produzieren,            Nebengeschäft verschoben, weil ersteres heute im Managen, Administrieren und, wie es bei Beaucamp
stehen in eigenartigem Kontrast die offiziellen Selbstdefinitionen der Museen, wie sie in Leitbildern,        heisst, im «Magnetisieren von Sponsoren» besteht?18 Forschungstätigkeit am Museum – noch immer eine
Strategiepapieren oder in den Verlautbarungen der Museumsorganisationen zu lesen sind.7 Bereits 1970          der «Verantwortlichkeiten» dieser Institution? Oder nur mehr eine «nebulöse Wolke», ein «hehrer Begriff»,
bezeichnete Joseph Veach Noble, späterer Präsident der American Association of Museums, in seinem             den die Museen «wie eine Monstranz vor sich hertragen»?
Museum Manifeste die «responsibilities» des Museums als «acquisition, conservation, study, interpretati-
on and exhibition».8 Gemäss der Museumsdefinition des International Council of Museums (ICOM) ist ein         Der Umstand, dass sich die ICOM-Nationalkomitees von Deutschland, Österreich und der Schweiz dazu
Museum eine Einrichtung, die «materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt» nicht nur sammelt,          entschlossen haben, das Bodensee-Symposium im Jahr 2006 dem Thema «Wissenschaftliche Arbeit am
bewahrt und ausstellt, sondern eben auch «erforscht» («researches», wie es in der englischen Version          Museum» zu widmen, kann als Indiz dafür gesehen werden, dass selbst die Museumsverbände es für
heisst).9 Sowohl die Statuten des Verbandes der Museen der Schweiz (VMS) als auch des Österreichischen        notwendig erachten, die Bedeutsamkeit der Forschung als eine conditio sine qua non zu bekräftigen und an
Museumsbundes (ÖMB) anerkennen explizit die Museumsdefinition von ICOM, so heisst es beim ÖMB:                diesem tragenden Pfeiler des Museums die nötigen Sicherungsarbeiten vorzunehmen.
«Unter Museen werden grundsätzlich nur Einrichtungen verstanden, die der gültigen Definition des
International Council of Museums entsprechen.»10 Laut den Statuten des VMS sind Museen «von unserer           Zweifellos werden die nachfolgenden Beiträge diesem Anliegen in hohem Masse gerecht werden, indem
Gesellschaft geschaffen worden, um Kulturgut zu bewahren, Erkenntnisse aufzuarbeiten und zu vermitteln        sie die Potentiale wissenschaftlicher Arbeit am Museum durch die Schilderung konkreter Projekte schlag-
[...].»11 Auch in den vom Deutschen Museumsbund erst kürzlich herausgegebenen Standards für Museen            kräftig beweisen werden. Da es in diesen einleitenden Ausführungen aber darum gehen muss, einige
wird die Forschung als eines der Kerngeschäfte des Museums bestimmt: «Die spezifischen Kernaufgaben           allgemeine Überlegungen zum Tagungsthema anzustellen, besteht die Gefahr, zur Hauptsache positive
der Museen sind: Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen/Vermitteln.»12 Und im Kapitel «Forschen und          Autosuggestion zu betreiben und – dem guten Zweck zu Liebe – mehr rhetorische, denn realitätsbezogene
Dokumentieren» wird ausgeführt: «Selbständiges Forschen, gleich welchen Umfangs, dient der wissen-            Beschwörungsformeln auf die museale Forschungsarbeit von sich zu geben. Oder aber den kulturpessimisti-
schaftlich begründeten Bildungsarbeit und der Verbesserung der Sammlungsdokumentation. Das setzt              schen Unkenrufer zu mimen, der die wissenschaftliche Arbeit am Museum unter den Magmaströmen finanz-
qualifiziertes Personal und ein ausreichendes Zeitbudget voraus. Entsprechende finanzielle Ressourcen         politischer Eruptionen und unter den Sedimenten eines nur mehr zahlenorientierten Kulturmanagements
für die Forschung werden eingeplant und ggf. durch Einwerbung von Drittmitteln erweitert.»13 Weiter           Verschütt gehen sieht. Für eine Annäherung an das Thema, die den Anspruch erhebt, nicht selbst schon auf
unten wird dann der Charakter der vom Museum geleisteten Forschungsarbeit präzisiert: «Dabei sind zwei        geradezu wissenschaftswidrigen Pfaden zu wandeln, dürfte es jedoch dienlich sein, diese beiden ideologi-
Ausprägungen der Forschungsarbeit zu nennen: Primärforschung, die durch unmittelbare wissenschaftliche        schen Positionen weiträumig zu umgehen.
Analyse der im Museum verwahrten Quellen [...] zur Wissensvermehrung beiträgt; Zusammenführende (kom-
pilierende) Forschung einzelner Themen- und Sachverhalte, die – auf bereits vorliegender Primärforschung      Stattdessen möchte ich Folgendes vorschlagen: erstens, die kritische Überprüfung der tatsächlichen
aufbauend – beispielsweise die Grundlage für das Konzept einer neuen Ausstellung bildet.»14 Ausdrücklich      Forschungsmöglichkeiten und ihrer effektiven historischen Entwicklung, zweitens, die Ausweitung der
wird die Publikationstätigkeit als notwendiger Bestandteil der Forschungsarbeit bezeichnet: «Zur Forschung    Perspektive bei der Suche nach den Ursachen mangelnder Forschung, so dass diese nicht vorschnell im
gehört die Veröffentlichung der Resultate. Sie erfolgt in der Regel in Zeitschriften, Büchern oder elektro-   Fehlen von finanziellen oder personellen Ressourcen geortet werden.
nischen Medien.»15 Besonders hervorzuheben ist im vorliegenden Kontext ferner, dass die Verfasser der
Standards für Museen die Wissenschaftlichkeit, nebst der Anwesenheit von Originalobjekten, als das
eigentliche Kennzeichen des Museums betrachten: «Die wissenschaftlich fundierte Herangehensweise und          Falsifikation statt Fälschung
die Arbeit an den originalen Objekten unterscheidet das Museum grundsätzlich auch von anderen Kultur-         Die kritische Bestandsaufnahme der tatsächlichen Forschungsmöglichkeiten wäre in dieser mit Wunsch-
und Freizeiteinrichtungen.»16                                                                                 denken einerseits, Angstphantasien andererseits stark durchsetzten Debatte dringend vonnöten. Zwar wird
                                                                                                              es wohl kaum je zu einer flächendeckenden statistischen Erfassung kommen, doch können wir wenigstens
Die Zugehörigkeit der Forschung zum Kanon der musealen Kernaufgaben wird aber nicht nur von den               die Institution, an der wir tätig sind, einer objektivierenden Überprüfung unterziehen und damit unseren
Museumsverbänden, sondern auch von zahlreichen Einzelinstitutionen hochgehalten.17 Nicht zuletzt sind es      eigenen subjektiven Eindruck verifizieren – oder eben falsifizieren. Als Indikatoren, oder sagen wir vor-
heute die Internetauftritte, die über das Selbstverständnis der jeweiligen Institution Auskunft geben. Auch   sichtiger, als Indizien hierfür können beispielsweise der Umfang der wissenschaftlichen Stellen oder die

                                                                                                        G     G
18                                                                                                            Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006                              19
geleistete Publikationstätigkeit und ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten dienen.        Während der ersten beiden Jahrzehnte von 1929 bis 1949 veröffentlichte das Museum zu Allerheiligen
Wende ich diesen Blick auf das Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen an, so ergibt sich folgendes Bild: In   im Mittel eine Schrift pro Jahr, in den darauf folgenden 20 Jahren waren es bereits vier Bücher pro Jahr.
den ersten Jahren des Museums, vom Beginn seiner inhaltlichen Konzeption 1918 bis zur Gesamteröffnung          In der Zeitspanne von 1969 bis 1989 lag der jährliche Durchschnitt bei nahezu sechs Publikationen, seit
1938, geschah die wissenschaftliche Betreuung nahezu allein durch den Direktor. Ab 1938 wurde dieser           1990 gibt das Museum etwa sieben Bücher pro Jahr heraus. Berücksichtigen wir zur genaueren Erfassung
durch einen Assistenten19 und im Bereich der Kunstsammlung durch einen spezialisierten Konservator20           der Entwicklung nicht bloss die Anzahl der Schriften, sondern die Gesamtseitenzahlen – denn es wäre ja
unterstützt, der bis 1986 allerdings nur im Nebenamt tätig war. 1942 wurde für den Fachbereich Geschichte      denkbar, dass zwar mehr publiziert wird, aber immer Dünneres –, so ergibt sich ein noch deutlicheres Bild:
ein Kurator angestellt, der aber zugleich die Leitung der Stadtbibliothek und der kantonalen Denkmalpflege     Die durchschnittlich pro Jahr publizierten Seiten steigen von etwa 50 Seiten in den dreissiger Jahren auf
innehatte21. Ab 1977 wurde die prähistorische Abteilung durch einen Archäologen betreut22, 1980 vergab         deutlich über 500 Seiten um das Jahr 2000 (Diagramm 1).26 Da hier aber wiederum Zweifel angemeldet
der Stadtrat einen Auftrag zur Erarbeitung einer naturkundlichen Abteilung.23 1986 baute man das bisher        werden können, ob diese Entwicklung nicht primär mit einer zunehmenden Produktion von bildreichen coffee
nebenamtliche Kuratorium der Kunstsammlung zu einer hauptamtlichen Stelle aus, 1988 erhielt die Grafische      table books zu tun haben könnte, ist der Blick zusätzlich auf die Entwicklung des Textseitenanteils zu richten.
Sammlung eine eigene Kuratorin, 1990 wurde erstmals ein Restaurator fest angestellt.24 In den neunziger        Doch auch unter diesem Kriterium weist die Entwicklung eine eindeutig steigende Tendenz auf: um das Jahr
Jahren kam es zu einer besseren Dotierung der Kuratorenstelle für die historische Abteilung und zu einer       2000 wird deutlich mehr Schriftliches produziert als noch vor 20 Jahren (Diagramm 2).
Erweiterung des wissenschaftlichen Personals der Kunstabteilung. Im Jahre 2001 schliesslich bewilligte der
Stadtrat eine zusätzliche Stelle für eine neu hinzugekommene archäologische Privatsammlung.                    Eines ist klar: Die angeführten Zahlen geben einzig Auskunft über die Quantität des Geschriebenen, über
                                                                                                               seinen Inhalt erlauben sie keine Rückschlüsse. Ebenso klar tritt aber in Erscheinung, dass Anzahl und
Zugegebenermassen kann die Entwicklung der Gesamtstellenprozente nicht absolut exakt nachvollzogen             Umfang der Publikationen am Museum zu Allerheiligen kontinuierlich zugenommen haben. Und das bedeu-
werden, da für die ersten Jahrzehnte genaue Angaben fehlen. Für Unklarheit sorgen überdies die öfters          tet auch, dass die Mittel, die für die Publikationstätigkeit zur Verfügung stehen, nicht etwa einen Abbau,
erfolgten Mehrfachanstellungen: So amtete der erste Museumsdirektor, Karl Sulzberger, zugleich als             sondern einen signifikanten Ausbau erfahren haben.
Kantonsarchäologe und als kantonaler Denkmalpfleger, und sein Nachfolger Walter Guyan war zusätzlich
als Konservator am Naturhistorischen Museum Schaffhausen und am kantonalen Amt für Vorgeschichte und           Noch einmal möchte ich hervorheben, dass aus dem geschilderten Einzelfall keine Aussagen über die allge-
Denkmalpflege tätig.25 Noch meine Vorgängerin Elisabeth Dalucas nahm neben der Museumsdirektion die            meine Entwicklung der wissenschaftlichen Arbeit an den Museen abgeleitet werden können. Doch soll das
Funktion der städtischen Kulturbeauftragten wahr. Doch trotz dieser relativierenden Faktoren ist offenkun-     Beispiel dazu anregen, die jeweiligen Möglichkeiten zur Ausübung wissenschaftlicher Museumsarbeit und
dig, dass der Umfang der wissenschaftlichen Stellen am Museum zu Allerheiligen seit seiner Teileröffnung       ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren möglichst objektivierend zur Kenntnis zu nehmen, statt sich
im Jahre 1928 von etwa 100 Prozent auf heute rund 670 Prozent, also um mehr als das Sechsfache, zuge-          vorschnell einer primär ideologisch motivierten Position zu verschreiben, bestehe sie nun in strahlendem
nommen hat. Der Grossteil dieser Zunahme ist in den letzten zwanzig Jahren zu verzeichnen. Zählt man die       Zweckoptimismus oder in düsterem Kulturpessimismus.
in den jüngsten Jahren geschaffenen längerfristigen Projektstellen hinzu, so ergibt sich gar ein Umfang von
850 Stellenprozent und damit eine Steigerung um mehr als das Achtfache.                                        Und für ein Zweites möchte ich plädieren: Für eine Ausdehnung des Blickwinkels, wenn es um die Suche
                                                                                                               nach den Ursachen effektiv rückläufiger oder mangelnder Forschungstätigkeit geht. Denn die Forderung
Es liegt mir fern, aus der Entwicklung am Museum zu Allerheiligen eine Gesamttendenz ableiten zu wollen.       nach einer Entideologisierung der Debatte impliziert keineswegs, dass es für die museale Wissenschaft
Auch sagt der blosse Anstellungsumfang noch nichts darüber aus, mit welchen Arbeiten die jeweiligen            landaus, landein zum Besten bestellt wäre. Wie aus der Diskussion hervorgeht, sind nicht wenige
Mitarbeiter beschäftigt sind. Im Falle des Museums zu Allerheiligen ist diesbezüglich anzumerken, dass         Museumsverantwortliche der begründeten Ansicht, ihr Museum leiste einen zu geringen Beitrag an die wis-
nicht nur die wissenschaftlichen Stellen einen markanten Ausbau erfahren haben: Neu geschaffen wurden          senschaftliche Erforschung seiner Gegenstände. Und es ist eine nicht zu übersehende Tatsache, dass diese
in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch spezialisierte Stellen für den Leihverkehr und die Betreuung          Defizite in vielen Fällen auf einen Mangel an personellen oder finanziellen Ressourcen zurückzuführen sind.
der Museumsdatenbank, für die Öffentlichkeitsarbeit sowie für das Veranstaltungswesen. Der deutliche           Dennoch möchte ich anregen, die Ursachen für fehlende Forschung nicht allzu unbedacht und vor allem nicht
Anstieg der Professionalitätsansprüche, der besonders in den Bereichen Publikumsverkehr und Werbung,           ausschliesslich im Fehlen der erforderlichen Mittel zu orten. Rasche Diagnosen sind zwar bequem für den
aber auch in technisch-administrativen Belangen zu konstatieren ist, dürfte daher nur beschränkt zu Lasten     Diagnostiker, aber nicht immer von grossem Nutzen für den Patienten. Eine Ausweitung der Perspektive – in
der wissenschaftlichen Arbeitsleistung gegangen sein.                                                          der Medizin würde man sagen: eine ganzheitlichere Betrachtungsweise, die auch die mentale Disposition
                                                                                                               der «Patienten» berücksichtigt –, könnte hier von Nutzen sein. Sobald wir aber darauf verzichten, bei
Es ergibt sich als Fazit: Aufgrund der effektiven Personalentwicklung am Museum zu Allerheiligen würde         Defiziten im Forschungsbereich geradezu reflexartig die ungünstigen finanziellen Rahmenbedingungen als
sich ein Lamento über angeblich schwindende wissenschaftliche Ressourcen an diesem Haus nicht recht-           Begründung anzuführen, rückt die Verantwortung der Museumsmacher in den Bereich der Aufmerksamkeit.
fertigen. Die personellen Mittel, die für die wissenschaftliche Arbeit eingesetzt werden können, sind im       So möchte ich denn auch behaupten, dass es wesentlich ihre Interessen und Ansprüche sind, beziehungs-
Verlaufe der letzten Jahre nicht geringer geworden, sondern haben im Gegenteil stetig zugenommen.              weise ihre Desinteressen und Bequemlichkeiten, die den Charakter der wissenschaftlichen Museumsarbeit
Ergänzen wir diese Feststellung mit Zahlen, welche die Publikationstätigkeit des Museums betreffen:            an den jeweiligen Institutionen bestimmen.

                                                                                                         G     G
20                                                                                                             Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006                                   21
Freiwillige Absage an die Aussage                                                                              tig ausgefallen ist und dass in der Realität die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Erkenntnisarbeit
Dabei muss ein geringes wissenschaftliches Interesse keineswegs mit der Knappheit der entsprechenden           und inhaltsarmer Selbstdarstellung nicht immer so trennscharf auszumachen sind. Wichtig aber ist die
Mittel einhergehen (etwa in dem Sinne, dass man sich eben an die unzureichenden Möglichkeiten gewöhnt          Feststellung, dass es paradoxerweise gerade die Üppigkeit der Publikationsmöglichkeiten sein kann, die zur
hätte). Vielmehr kann sich wissenschaftliche Bequemlichkeit auch bei vorhandenen Mitteln prächtig ent-         Entwissenschaftlichung der Museumsarbeit führt.
falten. Ich möchte gar die These wagen, dass es manchmal gerade das reichliche Vorhandensein der ent-
sprechenden Ressourcen ist, das zu einem Abbau der wissenschaftlichen Leistung führt. Das klingt absurd.       Wie man sich denken kann, ist dieses Phänomen nicht nur bei der museumsseitigen Wissenschaft zu konsta-
Wie also soll das möglich sein?                                                                                tieren. Ähnliche Beobachtungen lassen sich zum Beispiel an den schweizerischen Kunsthochschulen anstel-
                                                                                                               len: Seit sie aufgrund einer bildungspolitischen Gesamtstrategie des Bundesrates von Kunstgewerbeschulen
Hier spielt ein einfacher Mechanismus: Stehen dem Museum namhafte Mittel für eine wissenschaftliche            zu Fachhochschulen aufgewertet wurden, verfügen sie nun auch über die entsprechenden Forschungsmittel
Publikation zur Verfügung, so entscheidet es sich üblicherweise dafür, die entsprechenden Gelder auszuge-      – für viele ihrer Dozenten ein eher unerwartetes Geschenk, wo doch bislang die praktische Ausbildung
ben – dies selbst dann, wenn bezüglich des Forschungsgegenstandes gar kein echtes Erkenntnisinteresse          von Künstlern und Gestaltern im Vordergrund stand. Und so überrascht es wenig, dass gerade hier die
vorhanden ist. Da aber auch die Seiten eines solchen Buches mit Inhalt versehen werden müssen, wird            Forschungs- und Publikationstätigkeit eigenartige Stilblüten treibt. «Die Produktion von Bullshit wird also
etwas geschrieben. Dieses Etwas hat primär die Funktion, da zu sein, eine Leerstelle zu füllen. Meist dient    dann angeregt», so Frankfurt, «wenn ein Mensch in die Lage gerät oder gar verpflichtet ist, über ein Thema
es darüber hinaus auch dazu, die intellektuelle Potenz des Autors zu kommunizieren und dies umso vehe-         zu sprechen, das seinen Wissensstand hinsichtlich der für das Thema relevanten Tatsachen übersteigt.»30
menter, je geringer die vorgängig geleistete Erkenntnisarbeit ist.
                                                                                                               Zum Ersatz wissenschaftlicher Inhalte durch Bullshit kommt es aber nicht nur, wenn der Umfang der
Das so Geschriebene vermittelt keine wissenschaftlichen Ergebnisse, denn die Kriterien der Wissenschaft-       zur Verfügung stehenden Gefässe den Umfang der vorhandenen Inhalte übersteigt, sondern auch, wenn
lichkeit – Klarheit, Nachvollziehbarkeit, Berücksichtigung der bisherigen Beiträge zum Thema, Nennung          grundsätzliche Zweifel am Wert wissenschaftlicher Aussagen bestehen. Frankfurt gibt uns auch da einen
der Referenzen – sind für den Autor eines solchen Textes lediglich lästige Fesseln, die es abzustreifen        Hinweis: «Die gegenwärtige Verbreitung von Bullshit hat ihre tieferen Ursachen auch in diversen Formen
gilt, um das eigentliche Ziel, nämlich die Anwesenheit von Sprache, genauer: von eigener Sprache, mit          eines Skeptizismus, der uns die Möglichkeit eines zuverlässigen Zugangs zur objektiven Realität abspricht
möglichst geringem Aufwand erreichen zu können.27 Vor allem aber kommuniziert ein so Geschriebenes             und behauptet, wir könnten letztlich gar nicht erkennen, wie die Dinge wirklich sind. [...] Eine Reaktion auf
keine wissenschaftliche Forschung, denn es liegt gar kein echtes Erkenntnisinteresse vor, das mit wissen-      diesen Vertrauensverlust besteht in der Abkehr von jener Form der Disziplin, die für die Verfolgung eines
schaftlichen Methoden verfolgt worden wäre und dessen Ergebnisse entsprechend verbindlich mitgeteilt           Ideals der Richtigkeit erforderlich ist, und der Hinwendung zu einer Disziplin, wie sie die Verfolgung eines
werden könnten.                                                                                                alternativen Ideals erfordert, nämlich eines Ideals der Aufrichtigkeit. Statt sich in erster Linie um eine
                                                                                                               richtige Darstellung der gemeinsamen Welt zu bemühen, wendet der einzelne sich dem Versuch zu, eine
Natürlich bestehen solche Texte auch nicht einfach aus Falschheiten und schon gar nicht aus Lügen. Es geht     aufrichtige Darstellung seiner selbst zu geben.»31 Es ist anzunehmen, dass die naturhistorischen Museen
dem Autor ja nicht darum, den Leser von einer Sichtweise zu überzeugen, die er selbst für unwahr hielte. Der   gegenüber dieser Haltung in hohem Grade immun sind. Was jedoch die kultur- und insbesondere die kunst-
Charakter dieser Texte lässt sich eher mit Begriffen wie «Gerede» oder «Gefasel» umschreiben. Sie stellen      historischen Museen betrifft, so vertrauen viele der Verantwortlichen offenbar weniger auf den Wert sach-
eine Form der Täuschung, des Bluffs, der Camouflage dar. Sich einer etwas gröberen Sprache bedienend,          lich richtiger Informationen als auf die Aussagekraft wohlklingender, manchmal gar «kongenial» poetischer
könnten wir auch sagen, es handelt sich um «heisse Luft» oder, wie es der amerikanische Philosoph Harry        Beschreibungen. In solchen Fällen wird auf Kommentare zur Entstehung und Technik eines Kunstwerks, zu
G. Frankfurt nennen würde, um «Bullshit».28                                                                    möglichen Bezügen oder zur Rezeption grosszügig verzichtet. Anstelle dieser als platt empfundenen, da von
                                                                                                               jedermann nachvollziehbaren Aussagen, werden die subjektiven Assoziationen des Autors kommuniziert.
In Frankfurts Aufsatz über den Bullshit (einem kurzen Essay, der neben schwächeren Passagen auch einige        Der Schreibende präsentiert sich auf diese Weise als Eingeweihter, der aufgrund seiner aufrichtigen und
sehr luzide Stellen beinhaltet) lesen wir zur Motivation, Bullshit zu produzieren: «Der Bullshitter muss uns   intensiven Beschäftigung mit den Werken dazu legitimiert ist, zwischen dem Jenseits der Kunst und dem
nicht täuschen und nicht einmal täuschen wollen, weder hinsichtlich der Tatsachen noch hinsichtlich seiner     Diesseits der Betrachter zu vermitteln. Das Phänomen der inhaltlichen Leere, bei gleichzeitig hochgradiger
Vorstellung von den Tatsachen. Er versucht aber immer, uns über sein Vorhaben zu täuschen. Das einzige         Subjektivität, lässt sich übrigens sowohl beim Ausstellungskatalog, dem klassischen Vermittlungsinstrument
unverzichtbare und unverwechselbare Merkmal des Bullshitters ist, dass er in einer bestimmten Weise            wissenschaftlicher Museumsarbeit, als auch in den Texten der Ausstellungen selbst beobachten.
falsch darstellt, worauf er aus ist.»29 In unserem Falle bedeutet dies, dass der Autor so tut, als ginge es
ihm um das Verständnis eines bestimmten Sachverhalts und um seine richtige Darstellung, tatsächlich aber       Aus dem Gesagten ergibt sich meines Erachtens die Schlussfolgerung, dass die Frage nach den
hat es bloss um die Produktion von Text und um die möglichst positive Darstellung seiner Person zu tun.        Voraussetzungen wissenschaftlicher Museumsarbeit nicht ausschliesslich im Hinblick auf die zur Verfügung
Ihn interessiert, im Gegensatz zum Autor, der um Wissenschaftlichkeit bemüht ist, nicht der Wahrheitswert      stehenden Ressourcen diskutiert werden darf. Ein nicht zu unterschätzender Faktor stellt die Haltung derje-
seiner Aussagen, sondern allein die Präsenz, die möglichst vorteilhafte, ausgedehnte Präsenz seiner selbst.    nigen dar, die mit dieser Arbeit befasst sind. Je nachdem, wie ausgeprägt ihr wissenschaftlicher Anspruch
Mag sein, dass dieses Bild eines Bullshit produzierenden «Wissenschaftlers» etwas gar holzschnittar-           ist, werden die vorhandenen Mittel zu gehaltvolleren oder dünneren Ergebnissen führen. Voraussetzung für

                                                                                                         G     G
22                                                                                                             Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006                                 23
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