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Das Museum als Ort des Wissens Bodenseesymposium ICOM Schweiz ICOM Österreich ICOM Deutschland Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006
Das Museum als Ort des Wissens Bodenseesymposium ICOM Schweiz ICOM Österreich ICOM Deutschland Bericht über ein internationales Symposium vom 22., 23. und 24. Juni 2006 in Schaffhausen, veranstaltet von den ICOM-Nationalkomitees der Schweiz, Österreichs und Deutschlands. Herausgegeben von Josef Brülisauer. Impressum Herausgeberin: ICOM Schweiz - Internationaler Museumsrat Projektleitung: David Vuillaume Adaption und Lektorat: Edmund Miedler Gestaltung: Gregor Schneider, gschart.ch ISBN 978-3-9523484-1-3 © 2008 ICOM Schweiz museums.ch Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006
Inhaltsverzeichnis Grussworte 6 Vorträge Marie Claude Morand, Präsidentin ICOM Schweiz Roger Fayet 17 York Langenstein, Präsident ICOM Deutschland Der lahme Flügel der Eule? Überlegungen zur Tragfähigkeit wissenschaftlicher Museumsarbeit Carl Aigner, Präsident ICOM Österreich Willi Xylander 37 Hanspeter Lenherr, Regierungspräsident Kanton Schaffhausen Sammlung oder Ansammlung – Forschung als tragende Säule der Museumsarbeit Marcel Wenger, Stadtpräsident Schaffhausen Thomas Antonietti 55 Kooperation beginnt beim Forschen – Das Projekt Appenzell, Lötschental, überall Günter S. Hilbert, Hans-Jürgen Harras 63 The ICMS-Online-Vocabulary. Fachbegriff zur Sicherheit von Museen in 13 Sprachen. Ein Beispiel? Bernhard Graf 71 Forschung der Museen – Grundlagen und Perspektiven Gilbert Kaenel 83 Wissenschaftliche Forschung im Museum und die Verbindung zur Universität Bernd Lötsch 93 Naturmuseen in einer bedrohten Welt Stephan Gasser 107 Freie Forschung im Museum – Ein Nationalfondsprojekt zur spätmittelalterlichen Skulptur im Museum für Kunst und Geschichte Freiburg (CH) Carl Aigner 117 Museoentertainement Hannah Bröckers 127 Eventkultur – Lösung für Not leidende Museen? Carl Aigner, Udo Wiesinger 140 ICOM-Generalkonferenz 2007 in Wien Schlussworte 142 Programm 144 Liste der Teilnehmenden 147 G G 4 Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 5
Grusswort Grusswort Marie Claude Morand, Präsidentin von ICOM Schweiz York Langenstein, Präsident von ICOM Deutschland Sehr geehrter Herr Regierungspräsident, sehr geehrter Herr Präsident der Stadt Schaffhausen, sehr geehr- Sehr geehrter Herr Regierungspräsident, Herr Stadtpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der ter Herr Stadtrat für Kultur, liebe Präsidenten, liebe ICOM-Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Schweiz, aus Österreich und aus Deutschland. Österreich und der Schweiz. Sehr gerne begrüsse ich Sie im Namen von ICOM Deutschland und seines Vorstandes, der hier vertreten ist Natürlich bemerken Sie sofort, dass Deutsch nicht meine Muttersprache ist. Aber mit meinen wenigen durch Rosmarie Beier-de Haan, Annette Rain und Christoph Lindt und natürlich auch alle unsere deutschen Worten möchte ich Sie heute im Namen von ICOM Schweiz mit viel Freude und Herz an unserer traditionel- Kolleginnen und Kollegen, die schon seit langen Jahren hier im Rahmen der Bodenseetagungen mit Ihnen len Bodenseetagung empfangen und begrüssen. Zuerst möchte ich dem Kanton und der Stadt Schaffhausen im Kontakt stehen. Mein besonderer Dank gilt dem Vorstand von ICOM Schweiz und meiner Kollegin Marie für das herzliche Willkommen danken, dann den Vorständen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Claude Morand sowie Josef Brülisauer für die Vorbereitung dieser Tagung. Wir freuen uns, dass wir uns für Euer Engagement in Bezug auf diese Tagung und natürlich den Referenten, die dieses wichtige Thema das erste Mal hier in der Schweiz treffen. Ihnen allen, zumindest der älteren Generation, ist die Entstehung angegangen sind. der Bodenseetagung bekannt. Erst war es ein Unternehmen, das im Wesentlichen auf deutschem Boden stattgefunden hat, also in Lindau. Sie hiessen auch die Lindauer-Tagungen. Aber wir haben uns dann 2000 Gerne möchte ich ein paar Worte über das diesjährige Thema verlieren: «Das Museum als Ort des Wissens.» entschlossen, turnusmässig den Tagungsort zu wechseln und die drei Länder zum Austragungsort der Damit kommen wir zur Uridee des Museums zurück. Das Museum gegründet von Ptolemaios in Alexandria, Tagungen zu machen. Ich freue mich sehr, dass hier im Rahmen der Rotation nun die Schweiz an der Reihe also dem Silicon Valley der Antike, war klar ein Ort des Wissens, wo Menschen aus allen Disziplinen ist, hier in Schaffhausen. Ich glaube, es ist auch ein sehr schöner Anfang und ich freue mich auch, dass sich zusammen das Beste für die Entwicklung der Menschheit suchten. Diese Dimension des Suchens ist immer die Gelegenheit ergibt, die Region rund um den Bodensee, wo die drei Nationen zusammenstossen oder noch ein wichtiger Bestandteil der ICOM-Definition des Museums. Suchen und forschen, um die besten besser zusammenwohnen und zusammenkommen, besser kennen zu lernen. Objekte und Arten zu sammeln. Suchen und forschen, um die besten Technologien der Konservierungen zu entdecken. Suchen und forschen, um den vielfältigen Sinn dieser Exponate zu erklären und zu vermitteln. Wenn ich ein bisschen zurückgeblickt habe auf die Zeit seit 1973 (wir treffen uns jetzt bereits schon zum Forschung ist, im breitesten Sinne, eine der wichtigsten Grundaufgaben des Museums. Heute, wo der Boom zwölften Mal), darf ich auch meine beiden Vorgängerpräsidenten sehr herzlich begrüssen. Hans Martin der Event-Ausstellungen und der Vermittlungen aller Art die kulturelle Szene Europas und der ganzen Welt Hinz, Ihnen allen gut bekannt, sowohl als Präsident von ICOM Deutschland über zwei Wahlperioden, wie besetzt, wollen wir erneut Platz machen in unseren Aktivitäten für die Forschung. Wir wollen neue Wege auch als ehemaliger Präsident von ICOM Europa und heute Vertreter der deutschsprachigen Fraktion, der entdecken, um die Forschung dem Publikum, aber auch unseren vorgesetzten Stellen zu kommunizieren. Ich europäischen Fraktion, im Executive Council. Er gehört zu diesem Komitee, das die Tagungen rund um den freue mich, zusammen mit den Referenten dieses Thema zu bearbeiten. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Bodensee herum internationalisiert hat. Auch seine damaligen Mitpräsidenten sind heute im Executive freundliche Aufmerksamkeit. Council an der Spitze von ICOM und tragen unsere Anliegen dort mit vor. Günter Dembski ist heute Präsident des Advisory-Committee und damit ganz entscheidend zuständig für die Politik von ICOM und Martin Schärer ist Vizepräsident des Executive Council. Insofern haben wir im Augenblick eine ganz gute Situation, wir können uns im Weltverband sehr schön artikulieren und das ist auch ein Punkt, auf den ich nachher am Marie Claude Morand Schluss noch kurz eingehen möchte. Ich glaube, die deutschsprachigen Länder (wobei die Schweiz auch die Präsidentin ICOM Schweiz Brücke zu Frankreich und zu Italien ist) haben durchaus die Chance, auch innerhalb von ICOM für Europa noch deutlicher zu sprechen, als sie es bisher getan haben. Auch Hans Albert Treff, unseren Altpräsidenten, möchte ich sehr herzlich begrüssen. Er hat sich immer sehr für die Zusammenarbeit von ICOM Deutschland mit den anderen Komitees eingesetzt, sei es im Rahmen der Bodenseekonferenz oder von CEICOM, einer Arbeitsgemeinschaft von ICOM Deutschland mit den osteuro- päischen Ländern und hat sie unterstützt und gefördert. Zunächst einmal zum Inhalt unserer Tagung. Da hat mich Marie Claude Morand bereits entlastet. Sie hat uns gesagt, warum das Forum, das Museum, als Ort des Wissens so wichtig ist. Sie hat zurückgeblickt auf das Silicon Valley der Antike und tatsächlich glaube ich, ist das Museum ein Ort des Wissens, ein Ort des G G 6 Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 7
Suchens, in ganz vielfältigem Sinne; vom Sammeln, vom Sichten, vom Ordnen, vom Inventarisieren, bis zu Weltverband. Wir stehen Ihnen in den Pausen gerne zur Verfügung, auch in den Zeiten, wo wir innerhalb des den anspruchsvollen wissenschaftlichen Aufgaben, wie sie von den Museen wahrgenommen werden. Wir Programms Diskussionen führen oder auch an den Abenden. Ich hoffe sehr auf Anregungen von der Basis werden das im Laufe der Tagung noch deutlicher vorgestellt bekommen. Vielleicht sollte ich nicht selbst zu her, die ICOM befruchten und weiterentwickeln können. Herzlichen Dank. viel zum Thema Wissenschaft sagen, nachdem sich unsere ganze Konferenz damit befassen wird. Lieber verweise ich auf unsere Referenten, Willi Xylander, den Direktor des Naturkundemuseums in Görlitz, der heute zu uns sprechen wird und dann auf Bernhard Graf, auch ein ehemaliges Mitglied des Vorstands von ICOM Deutschland und Direktor des Instituts für Museumskunde in Berlin, das bei uns ein bisschen ein Zentrum der fachlichen und wissenschaftlichen Arbeit der Museen ist und für die Museen arbeitet. York Langernstein, Bernhard Graf ist zugleich Berater des Deutschen Museums in München, als einer der Panzerkreuzer für die Präsident ICOM Deutschland wissenschaftliche Arbeit der Museen und er betreut auch die Museen der blauen Listen in Deutschland, also die grossen Institute der Wissenschaft. Aber die Wissenschaft ist, wie gesagt, nicht nur in den grossen Institutionen zu Hause, sondern auch in den kleinen Häusern. Wo ein Lehrer seine Sammlung ordnet, wo ein Heimatpfleger sich um die Bestände kümmert, auch das betrachte ich als eine Form von Wissenschaft und Ordnung und Zuwendung zu den Gegenständen, die wir hier in gleicher Weise berücksichtigen soll- ten. Museen sind ja nicht nur Orte der Wissenschaft, sondern vor allem auch Orte der Bildung. In dieser Dimension spielen sie eine grosse Rolle. Und nun also ein Wort zum Thema unserer engeren Arbeit im Rahmen der drei Komitees, die seit 1972 insti- tutionalisiert ist. Ich hoffe, dass ICOM Deutschland zusammen mit ICOM Österreich und der Schweiz tat- sächlich ein Nukleus für die Wahrnehmung unserer europäischen Museumsinteressen sein kann. Ein Thema wäre etwa auch die Bindung des Museumsbegriffs an die Sammlung. Die Museen gehen doch sehr stark vom Sammlungsbegriff aus und es gibt viele Tendenzen, die geeignet erscheinen, diesen Sammlungsbegriff etwas aufzulösen. Ich glaube, das ist ein Punkt, den wir auch bei ICOM vortragen wollen. Das auch ein Thema im Advisory Committee, also am Treffen der Nationalkomitees und der internationalen Komitees in diesem Jahr. Dann wollen die Nationalkomitees, die die Gelder für die Arbeit des ICOM-Weltverbandes beibringen, auch absichern, dass die jeweiligen nationalen Verbände die Möglichkeit haben, ihre Geschäfte ordentlich zu besorgen, sich um die Mitglieder zu kümmern, um Tagungen durchzuführen und ähnliches. Auch solche Anliegen werden wir verstärkt in dieser Gruppe, in Kooperation mit unseren europäischen Nachbarländern, künftig bei ICOM vortragen. Liebe Marie Claude, Du bist auch eine derjenigen, die diesen Gemeinschaftsgeist gepflegt hat, ebenso wie Carl Aigner, unser Mitpräsident aus Österreich. Wir wollen dies zusammen mit unseren Nachbarn - gerade die Schweiz bietet da die Möglichkeit - versuchen, mit Frankreich, mit Italien zu sprechen und über Deutschland haben wir den Blick in die Niederlande. Wir wol- len ein bisschen enger zusammenrücken, um unsere gemeinsamen europäischen Interessen innerhalb von ICOM zu formulieren. Das hat nicht unmittelbar etwas mit unserer heutigen Tagung zu tun. Aber Sie sollen auch ein kleines bisschen Einblick in die Arbeit von ICOM Deutschland bekommen, in die Verbindungen mit seinen Nachbar-Komitees und das Mitwirken im Weltverband. Auch da wollen wir etwas präsenter sein oder noch präsenter werden, als wir es bisher gewesen sind. Ich glaube, wir haben hier in Schaffhausen einen besonders schönen Rahmen für unsere Tagung. In diesem Sinne wünsche ich uns eine schöne Tagung und gute Begegnungen. Die Bodenseetagung ist über den wissenschaftlichen Kern hinaus immer auch ein Familientreffen, das uns eine Chance zum Austausch gibt. Gerade in diesem kleineren Kreis haben wir durchaus Möglichkeiten zur Diskussion, einmal über unser Tagungsthema selbst und vielleicht auch über die Arbeit unserer Verbände und ihrer Tätigkeit im G G 8 Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 9
Grusswort Carl Aigner, Präsident von ICOM Österreich Geschätzter Herr Regierungspräsident, geschätzter Herr Stadtpräsident, geschätzter Herr Stadtrat für Kultur. spannenden und vor allem intensiven Tagungsverlauf wünschen. Nützen wir auch die Gelegenheit, dass wir hier viel intensiver diskutieren können, als in megagrossen Symposien, dass hier ein viel intensiverer, Ich darf mich den Begrüssungsworten meiner Vorrednerin Madame Marie Claude Morand und meines persönlicherer Austausch möglich ist. Danke für Ihre Gastfreundschaft hier in Schaffhausen. Kollegen York Langenstein anschliessen. Ich darf Ihnen die besten Grüsse von ICOM Österreich, speziell auch vom Vorstand, überbringen und gleichzeitig unsere Geschäftsführerin, Frau Armine Wehdorn, entschul- digen, die kurzfristig nicht kommen konnte. Auch darf ich Ihnen die besten Grüsse von Günter Dembski, dem Vorpräsidenten von ICOM Österreich, überbringen. Auch er hat dreimal die Bodenseekonferenz mitgetragen, über die wir uns sehr freuen. Österreich war nicht ganz von Beginn an dabei, weil ICOM Österreich erst 1978 Carl Aigner, gegründet wurde. Aber es ist bei uns ein ganz wesentliches Thema gewesen und ist es bis heute geblieben. Präsident ICOM Österreich Es ist vor allem eine Veranstaltung für ICOM-Mitglieder. Das Wissen über das Museum ist ein Begriff, der zumindest in Österreich über den Begriff der Bildung vermittelt wird. Ein amerikanischer Museumsphilosoph hat einmal vor gar nicht so langer Zeit gesagt, «eine Gesellschaft ohne Museum ist eine Gesellschaft ohne Zukunft». Das mag im ersten Moment sehr provokant klingen. Aber wir müssen bedenken, dass ganz bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen dazu führen, dass sich Institutionen wie die Museen herausbil- den. Wir dürfen nicht übersehen: das Museum ist zunächst eine europäische Angelegenheit, gerade wenn wir global von Museen sprechen, dann ist dahinter schon ein ganz wesentlicher Kern. Mit dem Thema von heute «Das Museum als Ort des Wissens», als Stätte des Wissens, sollten wir uns vor Augen halten, dass wir immer weniger eine Wissensgesellschaft, sondern vielmehr zu einer Informationsgesellschaft geworden sind, wie es seit langer Zeit, seit den siebziger und achtziger Jahren, heisst. Der entscheidende Unterschied meiner Meinung nach ist, dass Information gewisserweise keinen kulturellen Kontext hat. Die Information ist eine Mobilität des Wissens, aber ohne, dass die Kontexte des Wissens immer wieder mit eingebracht werden. Museen sind Orte, wo das Wissen in vielfältiger Hinsicht kontextualisiert wird und das dürfen wir uns nicht nehmen lassen. York Langenstein hat es angesprochen. Es wird immer mehr diskutiert, wie weit Museen an Sammlung, an Forschung gebunden werden sollen. Wir müssen hier schon sehr aufmerksam sein, weil das die Arbeit betrifft, die wir im Museum leisten. Wenn die Museumsarbeit negiert wird, kön- nen wir eigentlich sehr rasch einpacken. Es geht hier um eine Arbeit, die im grossen Masse ehrenamtlich geleistet wird, gerade in kleineren Museen. Insofern sollten wir mit dem Museum immer auch den Begriff der Museumsarbeit ganz vorne hinstellen. Das können die Menschen rezipieren, dann verstehen sie auch, warum Sammlung, warum Museum viel kostet, weil einfach dieses Kulturgut, um es zukünftig zu machen, einen Aufwand braucht. Es gibt keine Diskussion, wie viele Autobahnkilometer wir erhalten, dann darf es auch keine Diskussion sein, wie viele Museen wir erhalten, wenn es um Identitäten von Gesellschaften, von Regionen, von Staaten oder auch von Städten geht. Damit möchte ich schliessen. Ich darf mich auch den Dankesworten anschliessen, dass wir heute hier in Schaffhausen mit der wunderbaren Kultur sein können. Wir durften gestern zu Gast im Museum Allerheiligen sein und sind wirklich sehr beeindruckt von der Natur, genauso vom Rheinfall, der hier weltberühmt ist. Ich habe gehört, vor drei Jahren waren 1,5 Millionen Besucher beim Rheinfall und wir garantieren uns, dass das diesjährige ICOM-Seminar gewiss kein Reinfall sein wird. Aber wir werden gerne noch zum Rheinfall aufbrechen und dieses wunderbare Naturschauspiel auch geniessen. Ich darf Ihnen allen einen ganz G G 10 Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 11
Grusswort Dr. Hans-Peter Lenherr, Regierungspräsident des Kantons Schaffhausen Sehr geehrter Herr Stadtpräsident, sehr geehrte Frau Präsidentin und Herren Präsidenten der nationalen finanzieren. Ich kann Ihnen kein Patentrezept als Lösung anbieten. Immerhin aber scheinen mir vernetzte ICOM-Komitees der Schweiz, Deutschlands und Österreichs, sehr geehrte Damen und Herren, Mitglieder Projekte, an denen mehrere Museen mit ihren Sammlungen, Universitäten, allenfalls auch Archive betei- von ICOM. ligt sind, ein Ansatz zu sein, wissenschaftliche Forschung weiterzutreiben. Ein komplementärer Ansatz wäre allenfalls auch im vermehrten Sponsoring solcher Forschungsprojekte durch Private resp. durch die Im Namen der Regierung des Kantons Schaffhausen heisse ich Sie herzlich im Kanton Schaffhausen will- Privatwirtschaft zu sehen, wobei selbstverständlich in diesem Bereich die Bedingungen besonders genau kommen. Es freut uns sehr, dass Sie als Tagungsort die Hauptstadt des Kantons, nämlich Schaffhausen, geprüft werden müssen. gewählt haben. Denn die Institution Museum hat die einmalige Chance, Wissen nicht nur intellektuell, sondern anschaulich Das Thema der Tagung «Das Museum als Ort des Wissens» tönt sehr interessant und verspricht aufschluss- nachvollziehbar und damit unmittelbar sinnlich erlebbar zu machen. Diesen Vorteil haben die Museen allen reiche Erkenntnisse für die zukünftige Entwicklung der Institution Museum. Museen als staatlich geförderte, elektronischen Medien voraus. Wer zum Beispiel schon einmal eine Führung einer Kleinkinderklasse in ja gewollte Institutionen sind bekanntlich vor allem auch Produkte des 19. Jahrhunderts, eigentliche Abbilder einem Kunstmuseum miterleben durfte, weiss, wie direkt diese Erfahrung gemacht werden kann. Ich wähle einer Gesellschaft, die Wissen nicht nur sammeln wollte, sondern in der Vermittlung des gesammelten dieses Beispiel auch deshalb, weil diese Kleinkinder die Museumsbesucher und -besucherinnen von morgen Wissens die kulturelle Entwicklung der eigenen Gesellschaft, ja der Menschheit gegründet sah. Nach den sein werden, die hoffentlich als Erwachsene immer noch mit dem gleichen wachen Interesse am Wissen der Katastrophen des 20. Jahrhunderts sind wir wohl vorsichtiger, den Erfolg dieses Anspruchs vorauszusetzen. Institution Museum teilhaben werden. Dies hat aber an der Bedeutung der Institution Museum nichts geändert. Ich wünsche Ihnen also im Namen der Regierung des Kantons Schaffhausen eine erfolgreiche Tagung, Der Umkehrschluss scheint eher zuzutreffen. Je mehr sich unsere Gesellschaft fragmentiert, je schneller gute Gespräche und schönes Wetter, damit die geplanten Exkursionen nicht nur inhaltlich, sondern auch die technologische Entwicklung und weltweite Vernetzung abläuft, je rascher die Halbwertszeit von Wissen stimmungsmässig stimmen. abnimmt und je höher die Ansprüche an die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Menschen werden, desto mehr entsteht das Bedürfnis nach einem Referenzort, den die Institution Museum bieten kann. Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass die Zahl der Museen zumindest in Europa stetig zunimmt und den Politikern, die zu deren Finanzierung in vielen Fällen früher oder später aufgefordert werden, angesichts finanzieller Hanspeter Lenherr, Restriktionen und Haushaltskürzungen steigende Schwierigkeiten machen. (Der Stadtpräsident weiss das). Regierungspräsident Kanton Schaffhausen Vor diesem Hintergrund stellt sich mit grösserer Vehemenz auch schon die Frage nach der Aufgabe der Institution Museum in unserer Gesellschaft. Sicherlich hat sich die ursprüngliche Aufgabe der Museen, kulturelles Erbe zu bewahren, auch heute nicht gewandelt. Die Bewahrung alleine freilich genügt nicht. Die Bewahrung stellt vielmehr die unverzichtbare Grundlage dar, die erst die Erforschung des kultu- rellen Erbes möglich macht, was wiederum Grundlage der adäquaten Vermittlung von Wissen ist. Die Gegenstände im Sinne der blossen Bewahrung einfach nur zu sammeln, mag das Interesse eines Antiquars sein. Diese Gegenstände aber so zu erforschen, dass sie Geschichten und Geschichte erzählen, dass sie Zusammenhänge erhellen und diese in einen wissenschaftlichen Diskurs stellen, muss der Anspruch der Institution Museum sein. Dies ist sowohl im Vorgehen wie im Anspruch mehr als die heute weit verbrei- tete Eventkultur. Ihre Tagung betrachte ich daher auch als einen Versuch der Selbstvergewisserung der Institution Museum und ihrer Mitarbeitenden. Dies auch und gerade vor dem Hintergrund, dass finanzielle Restriktionen und Haushaltkürzungen die adäquate Aufarbeitung des Wissens, das in den Museen liegt, zumindest nicht einfacher machen. Zu oft wird hier nur auf das rasche Ergebnis geschielt. Breit angelegte Forschung wird so immer schwieriger zu G G 12 Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 13
Grusswort Marcel Wenger, Stadtpräsident Schaffhausen Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren regen zum Nachdenken an, sie laden zur Erforschung, zur Analyse aber auch zum kreativen Neubeginn ein. Der Museumsauftrag ist aus meiner Erfahrung heraus gemessen an dieser Aufgabe alles andere als statisch Das Bodensee-Symposium des International Council of Museums findet dieses Jahr in Schaffhausen statt. und alles andere als blosse Geschichtsdarstellung. Als ich dies erfahren habe, hat mich das sehr gefreut. Ich heisse Sie sehr herzlich willkommen und habe den Auftrag, Ihnen nun beizubringen, dass auch Schaffhausen am Bodensee liegt. Und weil dem so ist, brauchen die Städte als die einzig wahren und authentischen Standorte für die Entwicklung unserer Geschichte auch gute und spannende Museen. Museen mit «Seele», denen die Sie können ihn zwar nicht sehen, aber Sie können ihn fühlen. Seine Energie durchströmt dieses Gebiet west- Botschaft wichtig ist und wo man spürt, dass es darum geht, aus Besucherfrequenzen eben nach-denkende lich des eigentlichen Seebeckens seit der letzten Eiszeit in Form des Rheins, und die Schaffhauser haben Individuen zu machen und nicht nur Futter für die Statistik und Kostenträger für Kiosk und Cafeteria. die schwierige Aufgabe, aus dem Wasser des Bodensees als erste elektrischen Strom zu machen, auf dem langen Weg des Rheins vom Bodensee bis in die Nordsee. So gesehen ist die Durchführung des Bodensee- Sie werden jetzt möglicherweise finden, diese Äusserung sei für die Politik etwas unüblich, und ich muss Symposiums in Schaffhausen mehr als gerechtfertigt, wenn man sich an neuzeitlichen Nutzungskriterien Ihnen leider Recht geben. Es könnte sein, dass der allgemeine «Management-Furor» nun auch die Politik und orientieren will. mit ihr die Taktgeber unter anderem auch für Kultureinrichtungen erreicht hat. Aber auch ein kurzer Blick in die Kulturgeschichte unserer Stadt zeigt, wie eng die Beziehungen Schaffhausens Selbstverständlich geht es auch um gute Führung und dabei um effizientes Verwalten der Häuser. Es geht zum Kulturraum Bodensee seit jeher waren, vor allem vor dem Aufkommen der Nationalstaaten. Der mittelal- aber auch und vor allem um den Auftrag, Inhalte und Botschaften zu vermitteln und auf Menschen zuzu- terliche Handelsweg entlang des Rheins über den Bodensee nach Osten gewann Ende des 11. Jahrhunderts gehen. Und mit den Menschen meine ich die Besucherinnen und Besucher, die neugierig, nachdenklich, enorm an Bedeutung und verstärkte die Leistungsfähigkeit der Klosterbetriebe, die wiederum zusammen mit angeregt oder schlicht weitergebildet werden sollen. den Städten den Handel und Wandel jener Zeit voran brachten. Die Beziehungen des Klosters Allerheiligen zum Bistum Konstanz, später die Beziehungen der reichsfreien Stadt Schaffhausen zu den Handelsplätzen Ich möchte Ihnen heute in der kleinen, immer noch mittelalterlich anmutenden Stadt Mut machen für in Baden und Württemberg lassen den Schluss durchaus zu, Schaffhausen auch heute noch als westlichste Museumsarbeit mit Zukunft. Und das ist meines Erachtens nicht die Zukunft der Führungskonzepte, Bodensee-Stadt zu verstehen, die lediglich durch die Helvetik und den prä-europäischen Irrtum der national- auch nicht die Zukunft der Management-Ziel-Systeme und von was-weiss-ich-nicht noch allem, was staatlichen Einschränkungen in ihrer Entfaltung als Bodenseestadt vorübergehen behindert wurde. Unternehmensberater erfinden, um zu einem Auftrag zu kommen. Schauen Sie Ihre Häuser an: Die Zukunft liegt in den Inhalten, in den Botschaften, die Sie daraus gewinnen. Und daraus machen Sie unverwechsel- Das mag für Sie vielleicht etwas überspannt tönen. Aber seien wir uns bewusst: Wir sind im Begriff, über bare Städte in einer immer beliebigeren Welt. Daraus gewinnen Sie für Ihren Standort jene Authentizität, die regionale und transnationale Zusammenarbeit zurück zu finden zu den Wurzeln unserer kulturellen die es für neue Ideen und mehr Lebensqualität in unserer Zeit braucht. Zusammengehörigkeit. Und wenn wir dies gut machen, dann werden sich in den nächsten Jahrzehnten in Europa vielleicht auch neue kulturelle und wirtschaftliche Gleichgewichte einstellen, die weniger an ideo- Ich wünsche Ihnen dafür viel Erfolg und freue mich über Ihren Besuch in Schaffhausen. logischer und nationalistischer Verblendung leiden als dies im 19. und noch 20. Jahrhundert der Fall war. Sie haben sicher gehört, dass ich diese Aussage unter einem Vorbehalt gemacht habe, nämlich dem, dass wir «es gut machen müssen». Und diese Bedingung hat etwas damit zu tun, dass wir uns unserer kulturellen Gemeinsamkeiten, aber auch Marcel Wenger, unserer Besonderheiten und Identitäten bewusst sind. Das Bewusstsein, wie nahe wir Schaffhauser den Stadtpräsident Schaffhausen Menschen über der Grenze im Bodenseeraum und in Baden-Württemberg, aber auch denen in der unmit- telbaren Nachbarschaft entlang des Rheins nach Südwesten sind, ist für die regionale Zusammenarbeit eine wichtige Grundvoraussetzung. Und die Frage, auf welchem Boden wir kulturhistorisch stehen, kann hilfreich sein bei der Antwort, wohin wir in Zukunft gehen. Dies alles hat sehr viel mit Ihnen zu tun, denn die Museen sind die Katalysatoren im immerwährenden Prozess der Identitätsfindung. Sie sind wichtige Transporteure kultureller Inhalte und damit auch kultureller Botschaften durch die jeweiligen Zeiten. Sie G G 14 Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 15
Der lahme Flügel der Eule? Überlegungen zur Tragfähigkeit wissenschaftlicher Museumsarbeit Roger Fayet The Two Art Histories: The Museum and the University – unter diesem Titel lud der Kunsthistoriker Charles W. Haxthausen im Jahre 1999 Fachkollegen von Museen und Universitäten an ein Symposium nach Williamstown im US-Bundesstaat Massachusetts.1 Mit der Wahl des Themas stellte Haxthausen die Behauptung auf, die Kunstwissenschaft bestehe in Wahrheit aus zwei Kunstwissenschaften: aus jener der Museen und jener der Universitäten. Zugleich suggerierte der Titel ein mehr oder minder symmetrisches Verhältnis von museumsseitiger und universitärer Wissenschaft. Doch wie symmetrisch ist das Verhältnis von musealer und universitärer Wissenschaft wirklich? Haben die Museen den Universitäten im Bereich der wissenschaftlichen Arbeit überhaupt noch etwas nur halbwegs Gleichgewichtiges entgegenzusetzen? Ist die Eule der Minerva, Symbol der Erkenntnisfähigkeit, auf der Museumsseite nicht bereits lahm geworden? Signale, die auf einen solchen Verkümmerungsprozess schliessen lassen, sind jedenfalls deutlich zu verneh- men. Als Haxthausen mögliche Referenten für sein Symposium kontaktierte, erhielt er von einem bekannten deutschen Museumsdirektor eine Absage mit folgender Begründung: «Wir – damit meine ich die Kuratoren dieser Institution und vor allem mich selbst – sind zu beschäftigt mit Management, als dass wir die Zeit fin- den würden, um mit der Fachliteratur mitzuhalten oder zumindest mehr oder weniger die Diskussion in unse- ren jeweiligen Spezialgebieten zu verfolgen. Administration, Fundraising, organisatorische Angelegenheiten bilden unsere Hauptbeschäftigungen. [...] An eigenes wissenschaftliches Arbeiten ist nicht mehr zu denken. Der Anspruch, der uns an der Universität vermittelt wurde, hat sich in eine nebulöse Wolke verwandelt.»2 Der vormalige Direktor der Hamburger Kunsthalle, Uwe M. Schneede, fragt in der Einleitung zu seinem Sammelband über den Zustand der Museen zu Beginn des 21. Jahrhunderts: «Und die Forschung – geht sie im Tagesbetrieb, im Erfolgszwang, im Marketing unter?»3 Was bei Schneede noch als Frage formuliert ist, wird beim Kunstkritiker Eduard Beaucamp bereits mit einem Ausrufezeichen versehen: «Die Kenner und Spezialisten, auf die man früher stolz war, sind deutlich auf dem Rückzug. Sie gelten inzwischen als Sand im Getriebe. Wissenschaftliche Stellen in den historischen Abteilungen der Museen, sogar im hochqualifi- zierten Fachbereich eines Kupferstichkabinetts, werden eingespart – übrigens ganz im Gegensatz zur Praxis der grossen amerikanischen Museen, die sich den Expertenluxus leisten und uns in ihren Forschungs- und Erwerbskampagnen auch daher überlegen sind. Der moderne Museumschef braucht von Kunst nicht allzu viel zu verstehen, er muss Manager sein, Virtuose der Geldbeschaffung, Magnetiseur der Sponsoren, Salonlöwe, gelenkiger Szenenwechsler.»4 Ekkehard Mai vom Kölner Wallraf-Richartz-Museum warnt in der Kunstchronik denn auch vor «alarmierenden Veränderungen» und «fatalen Konsequenzen»: «Das Museum wird Produktionsbetrieb eines quasi-betriebswirtschaftlichen Denkens. Sein Bildungsauftrag wird von seinem ursächlich wissenschaftlichen in einen wirtschaftlichen Status überführt bzw. empfängt von dorther die Konditionen seiner Machbarkeit. Im Verteilungskampf ums Geld hat die Kultur eine schwache Lobby und wenig Hilfe beim Gesetz. Doch das betriebswirtschaftliche Einmaleins von Beraterfirmen und G Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 17
Verwaltungsseminaren greift nur bedingt und hat neben kurzfristigem äusseren Erfolg langfristig Verarmung hier fehlt es nicht an Beispielen, bei denen die Forschung als integraler Bestandteil der Museumsarbeit im Inhaltlichen zur Folge.»5 Und im selben Heft resümiert Harald Siebenmorgen, Direktor des Badischen charakterisiert wird, sei es in Form allgemeiner, leitbildartiger Aussagen, sei es über die Beschreibung Landesmuseums: «‚Forschung‘ wird von vielen Museen doch ohnedies nur mehr als hehrer Begriff wie eine konkreter Projekte oder die Erwähnung von Kooperationen mit Hochschulen und Forschungsinstituten. Monstranz vor sich hergetragen, ohne diesen Anspruch wirklich erfüllen zu können.»6 Doch wie verhält es sich nun wirklich mit der wissenschaftlichen Tätigkeit an den Museen? Ist sie tat- sächlich ein mit Nachdruck betriebenes Kerngeschäft, ohne dessen Ausführung ein Museum, wie es die Forschung als «responsibility» des Museums ICOM-Statuten postulieren, kein «echtes» Museum ist? Oder hat man sie inzwischen vom Kerngeschäft ins Zu diesen Abgesängen auf Museen, die Wissen nicht nur vermitteln, sondern auch selbst produzieren, Nebengeschäft verschoben, weil ersteres heute im Managen, Administrieren und, wie es bei Beaucamp stehen in eigenartigem Kontrast die offiziellen Selbstdefinitionen der Museen, wie sie in Leitbildern, heisst, im «Magnetisieren von Sponsoren» besteht?18 Forschungstätigkeit am Museum – noch immer eine Strategiepapieren oder in den Verlautbarungen der Museumsorganisationen zu lesen sind.7 Bereits 1970 der «Verantwortlichkeiten» dieser Institution? Oder nur mehr eine «nebulöse Wolke», ein «hehrer Begriff», bezeichnete Joseph Veach Noble, späterer Präsident der American Association of Museums, in seinem den die Museen «wie eine Monstranz vor sich hertragen»? Museum Manifeste die «responsibilities» des Museums als «acquisition, conservation, study, interpretati- on and exhibition».8 Gemäss der Museumsdefinition des International Council of Museums (ICOM) ist ein Der Umstand, dass sich die ICOM-Nationalkomitees von Deutschland, Österreich und der Schweiz dazu Museum eine Einrichtung, die «materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt» nicht nur sammelt, entschlossen haben, das Bodensee-Symposium im Jahr 2006 dem Thema «Wissenschaftliche Arbeit am bewahrt und ausstellt, sondern eben auch «erforscht» («researches», wie es in der englischen Version Museum» zu widmen, kann als Indiz dafür gesehen werden, dass selbst die Museumsverbände es für heisst).9 Sowohl die Statuten des Verbandes der Museen der Schweiz (VMS) als auch des Österreichischen notwendig erachten, die Bedeutsamkeit der Forschung als eine conditio sine qua non zu bekräftigen und an Museumsbundes (ÖMB) anerkennen explizit die Museumsdefinition von ICOM, so heisst es beim ÖMB: diesem tragenden Pfeiler des Museums die nötigen Sicherungsarbeiten vorzunehmen. «Unter Museen werden grundsätzlich nur Einrichtungen verstanden, die der gültigen Definition des International Council of Museums entsprechen.»10 Laut den Statuten des VMS sind Museen «von unserer Zweifellos werden die nachfolgenden Beiträge diesem Anliegen in hohem Masse gerecht werden, indem Gesellschaft geschaffen worden, um Kulturgut zu bewahren, Erkenntnisse aufzuarbeiten und zu vermitteln sie die Potentiale wissenschaftlicher Arbeit am Museum durch die Schilderung konkreter Projekte schlag- [...].»11 Auch in den vom Deutschen Museumsbund erst kürzlich herausgegebenen Standards für Museen kräftig beweisen werden. Da es in diesen einleitenden Ausführungen aber darum gehen muss, einige wird die Forschung als eines der Kerngeschäfte des Museums bestimmt: «Die spezifischen Kernaufgaben allgemeine Überlegungen zum Tagungsthema anzustellen, besteht die Gefahr, zur Hauptsache positive der Museen sind: Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen/Vermitteln.»12 Und im Kapitel «Forschen und Autosuggestion zu betreiben und – dem guten Zweck zu Liebe – mehr rhetorische, denn realitätsbezogene Dokumentieren» wird ausgeführt: «Selbständiges Forschen, gleich welchen Umfangs, dient der wissen- Beschwörungsformeln auf die museale Forschungsarbeit von sich zu geben. Oder aber den kulturpessimisti- schaftlich begründeten Bildungsarbeit und der Verbesserung der Sammlungsdokumentation. Das setzt schen Unkenrufer zu mimen, der die wissenschaftliche Arbeit am Museum unter den Magmaströmen finanz- qualifiziertes Personal und ein ausreichendes Zeitbudget voraus. Entsprechende finanzielle Ressourcen politischer Eruptionen und unter den Sedimenten eines nur mehr zahlenorientierten Kulturmanagements für die Forschung werden eingeplant und ggf. durch Einwerbung von Drittmitteln erweitert.»13 Weiter Verschütt gehen sieht. Für eine Annäherung an das Thema, die den Anspruch erhebt, nicht selbst schon auf unten wird dann der Charakter der vom Museum geleisteten Forschungsarbeit präzisiert: «Dabei sind zwei geradezu wissenschaftswidrigen Pfaden zu wandeln, dürfte es jedoch dienlich sein, diese beiden ideologi- Ausprägungen der Forschungsarbeit zu nennen: Primärforschung, die durch unmittelbare wissenschaftliche schen Positionen weiträumig zu umgehen. Analyse der im Museum verwahrten Quellen [...] zur Wissensvermehrung beiträgt; Zusammenführende (kom- pilierende) Forschung einzelner Themen- und Sachverhalte, die – auf bereits vorliegender Primärforschung Stattdessen möchte ich Folgendes vorschlagen: erstens, die kritische Überprüfung der tatsächlichen aufbauend – beispielsweise die Grundlage für das Konzept einer neuen Ausstellung bildet.»14 Ausdrücklich Forschungsmöglichkeiten und ihrer effektiven historischen Entwicklung, zweitens, die Ausweitung der wird die Publikationstätigkeit als notwendiger Bestandteil der Forschungsarbeit bezeichnet: «Zur Forschung Perspektive bei der Suche nach den Ursachen mangelnder Forschung, so dass diese nicht vorschnell im gehört die Veröffentlichung der Resultate. Sie erfolgt in der Regel in Zeitschriften, Büchern oder elektro- Fehlen von finanziellen oder personellen Ressourcen geortet werden. nischen Medien.»15 Besonders hervorzuheben ist im vorliegenden Kontext ferner, dass die Verfasser der Standards für Museen die Wissenschaftlichkeit, nebst der Anwesenheit von Originalobjekten, als das eigentliche Kennzeichen des Museums betrachten: «Die wissenschaftlich fundierte Herangehensweise und Falsifikation statt Fälschung die Arbeit an den originalen Objekten unterscheidet das Museum grundsätzlich auch von anderen Kultur- Die kritische Bestandsaufnahme der tatsächlichen Forschungsmöglichkeiten wäre in dieser mit Wunsch- und Freizeiteinrichtungen.»16 denken einerseits, Angstphantasien andererseits stark durchsetzten Debatte dringend vonnöten. Zwar wird es wohl kaum je zu einer flächendeckenden statistischen Erfassung kommen, doch können wir wenigstens Die Zugehörigkeit der Forschung zum Kanon der musealen Kernaufgaben wird aber nicht nur von den die Institution, an der wir tätig sind, einer objektivierenden Überprüfung unterziehen und damit unseren Museumsverbänden, sondern auch von zahlreichen Einzelinstitutionen hochgehalten.17 Nicht zuletzt sind es eigenen subjektiven Eindruck verifizieren – oder eben falsifizieren. Als Indikatoren, oder sagen wir vor- heute die Internetauftritte, die über das Selbstverständnis der jeweiligen Institution Auskunft geben. Auch sichtiger, als Indizien hierfür können beispielsweise der Umfang der wissenschaftlichen Stellen oder die G G 18 Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 19
geleistete Publikationstätigkeit und ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten dienen. Während der ersten beiden Jahrzehnte von 1929 bis 1949 veröffentlichte das Museum zu Allerheiligen Wende ich diesen Blick auf das Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen an, so ergibt sich folgendes Bild: In im Mittel eine Schrift pro Jahr, in den darauf folgenden 20 Jahren waren es bereits vier Bücher pro Jahr. den ersten Jahren des Museums, vom Beginn seiner inhaltlichen Konzeption 1918 bis zur Gesamteröffnung In der Zeitspanne von 1969 bis 1989 lag der jährliche Durchschnitt bei nahezu sechs Publikationen, seit 1938, geschah die wissenschaftliche Betreuung nahezu allein durch den Direktor. Ab 1938 wurde dieser 1990 gibt das Museum etwa sieben Bücher pro Jahr heraus. Berücksichtigen wir zur genaueren Erfassung durch einen Assistenten19 und im Bereich der Kunstsammlung durch einen spezialisierten Konservator20 der Entwicklung nicht bloss die Anzahl der Schriften, sondern die Gesamtseitenzahlen – denn es wäre ja unterstützt, der bis 1986 allerdings nur im Nebenamt tätig war. 1942 wurde für den Fachbereich Geschichte denkbar, dass zwar mehr publiziert wird, aber immer Dünneres –, so ergibt sich ein noch deutlicheres Bild: ein Kurator angestellt, der aber zugleich die Leitung der Stadtbibliothek und der kantonalen Denkmalpflege Die durchschnittlich pro Jahr publizierten Seiten steigen von etwa 50 Seiten in den dreissiger Jahren auf innehatte21. Ab 1977 wurde die prähistorische Abteilung durch einen Archäologen betreut22, 1980 vergab deutlich über 500 Seiten um das Jahr 2000 (Diagramm 1).26 Da hier aber wiederum Zweifel angemeldet der Stadtrat einen Auftrag zur Erarbeitung einer naturkundlichen Abteilung.23 1986 baute man das bisher werden können, ob diese Entwicklung nicht primär mit einer zunehmenden Produktion von bildreichen coffee nebenamtliche Kuratorium der Kunstsammlung zu einer hauptamtlichen Stelle aus, 1988 erhielt die Grafische table books zu tun haben könnte, ist der Blick zusätzlich auf die Entwicklung des Textseitenanteils zu richten. Sammlung eine eigene Kuratorin, 1990 wurde erstmals ein Restaurator fest angestellt.24 In den neunziger Doch auch unter diesem Kriterium weist die Entwicklung eine eindeutig steigende Tendenz auf: um das Jahr Jahren kam es zu einer besseren Dotierung der Kuratorenstelle für die historische Abteilung und zu einer 2000 wird deutlich mehr Schriftliches produziert als noch vor 20 Jahren (Diagramm 2). Erweiterung des wissenschaftlichen Personals der Kunstabteilung. Im Jahre 2001 schliesslich bewilligte der Stadtrat eine zusätzliche Stelle für eine neu hinzugekommene archäologische Privatsammlung. Eines ist klar: Die angeführten Zahlen geben einzig Auskunft über die Quantität des Geschriebenen, über seinen Inhalt erlauben sie keine Rückschlüsse. Ebenso klar tritt aber in Erscheinung, dass Anzahl und Zugegebenermassen kann die Entwicklung der Gesamtstellenprozente nicht absolut exakt nachvollzogen Umfang der Publikationen am Museum zu Allerheiligen kontinuierlich zugenommen haben. Und das bedeu- werden, da für die ersten Jahrzehnte genaue Angaben fehlen. Für Unklarheit sorgen überdies die öfters tet auch, dass die Mittel, die für die Publikationstätigkeit zur Verfügung stehen, nicht etwa einen Abbau, erfolgten Mehrfachanstellungen: So amtete der erste Museumsdirektor, Karl Sulzberger, zugleich als sondern einen signifikanten Ausbau erfahren haben. Kantonsarchäologe und als kantonaler Denkmalpfleger, und sein Nachfolger Walter Guyan war zusätzlich als Konservator am Naturhistorischen Museum Schaffhausen und am kantonalen Amt für Vorgeschichte und Noch einmal möchte ich hervorheben, dass aus dem geschilderten Einzelfall keine Aussagen über die allge- Denkmalpflege tätig.25 Noch meine Vorgängerin Elisabeth Dalucas nahm neben der Museumsdirektion die meine Entwicklung der wissenschaftlichen Arbeit an den Museen abgeleitet werden können. Doch soll das Funktion der städtischen Kulturbeauftragten wahr. Doch trotz dieser relativierenden Faktoren ist offenkun- Beispiel dazu anregen, die jeweiligen Möglichkeiten zur Ausübung wissenschaftlicher Museumsarbeit und dig, dass der Umfang der wissenschaftlichen Stellen am Museum zu Allerheiligen seit seiner Teileröffnung ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren möglichst objektivierend zur Kenntnis zu nehmen, statt sich im Jahre 1928 von etwa 100 Prozent auf heute rund 670 Prozent, also um mehr als das Sechsfache, zuge- vorschnell einer primär ideologisch motivierten Position zu verschreiben, bestehe sie nun in strahlendem nommen hat. Der Grossteil dieser Zunahme ist in den letzten zwanzig Jahren zu verzeichnen. Zählt man die Zweckoptimismus oder in düsterem Kulturpessimismus. in den jüngsten Jahren geschaffenen längerfristigen Projektstellen hinzu, so ergibt sich gar ein Umfang von 850 Stellenprozent und damit eine Steigerung um mehr als das Achtfache. Und für ein Zweites möchte ich plädieren: Für eine Ausdehnung des Blickwinkels, wenn es um die Suche nach den Ursachen effektiv rückläufiger oder mangelnder Forschungstätigkeit geht. Denn die Forderung Es liegt mir fern, aus der Entwicklung am Museum zu Allerheiligen eine Gesamttendenz ableiten zu wollen. nach einer Entideologisierung der Debatte impliziert keineswegs, dass es für die museale Wissenschaft Auch sagt der blosse Anstellungsumfang noch nichts darüber aus, mit welchen Arbeiten die jeweiligen landaus, landein zum Besten bestellt wäre. Wie aus der Diskussion hervorgeht, sind nicht wenige Mitarbeiter beschäftigt sind. Im Falle des Museums zu Allerheiligen ist diesbezüglich anzumerken, dass Museumsverantwortliche der begründeten Ansicht, ihr Museum leiste einen zu geringen Beitrag an die wis- nicht nur die wissenschaftlichen Stellen einen markanten Ausbau erfahren haben: Neu geschaffen wurden senschaftliche Erforschung seiner Gegenstände. Und es ist eine nicht zu übersehende Tatsache, dass diese in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch spezialisierte Stellen für den Leihverkehr und die Betreuung Defizite in vielen Fällen auf einen Mangel an personellen oder finanziellen Ressourcen zurückzuführen sind. der Museumsdatenbank, für die Öffentlichkeitsarbeit sowie für das Veranstaltungswesen. Der deutliche Dennoch möchte ich anregen, die Ursachen für fehlende Forschung nicht allzu unbedacht und vor allem nicht Anstieg der Professionalitätsansprüche, der besonders in den Bereichen Publikumsverkehr und Werbung, ausschliesslich im Fehlen der erforderlichen Mittel zu orten. Rasche Diagnosen sind zwar bequem für den aber auch in technisch-administrativen Belangen zu konstatieren ist, dürfte daher nur beschränkt zu Lasten Diagnostiker, aber nicht immer von grossem Nutzen für den Patienten. Eine Ausweitung der Perspektive – in der wissenschaftlichen Arbeitsleistung gegangen sein. der Medizin würde man sagen: eine ganzheitlichere Betrachtungsweise, die auch die mentale Disposition der «Patienten» berücksichtigt –, könnte hier von Nutzen sein. Sobald wir aber darauf verzichten, bei Es ergibt sich als Fazit: Aufgrund der effektiven Personalentwicklung am Museum zu Allerheiligen würde Defiziten im Forschungsbereich geradezu reflexartig die ungünstigen finanziellen Rahmenbedingungen als sich ein Lamento über angeblich schwindende wissenschaftliche Ressourcen an diesem Haus nicht recht- Begründung anzuführen, rückt die Verantwortung der Museumsmacher in den Bereich der Aufmerksamkeit. fertigen. Die personellen Mittel, die für die wissenschaftliche Arbeit eingesetzt werden können, sind im So möchte ich denn auch behaupten, dass es wesentlich ihre Interessen und Ansprüche sind, beziehungs- Verlaufe der letzten Jahre nicht geringer geworden, sondern haben im Gegenteil stetig zugenommen. weise ihre Desinteressen und Bequemlichkeiten, die den Charakter der wissenschaftlichen Museumsarbeit Ergänzen wir diese Feststellung mit Zahlen, welche die Publikationstätigkeit des Museums betreffen: an den jeweiligen Institutionen bestimmen. G G 20 Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 21
Freiwillige Absage an die Aussage tig ausgefallen ist und dass in der Realität die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Erkenntnisarbeit Dabei muss ein geringes wissenschaftliches Interesse keineswegs mit der Knappheit der entsprechenden und inhaltsarmer Selbstdarstellung nicht immer so trennscharf auszumachen sind. Wichtig aber ist die Mittel einhergehen (etwa in dem Sinne, dass man sich eben an die unzureichenden Möglichkeiten gewöhnt Feststellung, dass es paradoxerweise gerade die Üppigkeit der Publikationsmöglichkeiten sein kann, die zur hätte). Vielmehr kann sich wissenschaftliche Bequemlichkeit auch bei vorhandenen Mitteln prächtig ent- Entwissenschaftlichung der Museumsarbeit führt. falten. Ich möchte gar die These wagen, dass es manchmal gerade das reichliche Vorhandensein der ent- sprechenden Ressourcen ist, das zu einem Abbau der wissenschaftlichen Leistung führt. Das klingt absurd. Wie man sich denken kann, ist dieses Phänomen nicht nur bei der museumsseitigen Wissenschaft zu konsta- Wie also soll das möglich sein? tieren. Ähnliche Beobachtungen lassen sich zum Beispiel an den schweizerischen Kunsthochschulen anstel- len: Seit sie aufgrund einer bildungspolitischen Gesamtstrategie des Bundesrates von Kunstgewerbeschulen Hier spielt ein einfacher Mechanismus: Stehen dem Museum namhafte Mittel für eine wissenschaftliche zu Fachhochschulen aufgewertet wurden, verfügen sie nun auch über die entsprechenden Forschungsmittel Publikation zur Verfügung, so entscheidet es sich üblicherweise dafür, die entsprechenden Gelder auszuge- – für viele ihrer Dozenten ein eher unerwartetes Geschenk, wo doch bislang die praktische Ausbildung ben – dies selbst dann, wenn bezüglich des Forschungsgegenstandes gar kein echtes Erkenntnisinteresse von Künstlern und Gestaltern im Vordergrund stand. Und so überrascht es wenig, dass gerade hier die vorhanden ist. Da aber auch die Seiten eines solchen Buches mit Inhalt versehen werden müssen, wird Forschungs- und Publikationstätigkeit eigenartige Stilblüten treibt. «Die Produktion von Bullshit wird also etwas geschrieben. Dieses Etwas hat primär die Funktion, da zu sein, eine Leerstelle zu füllen. Meist dient dann angeregt», so Frankfurt, «wenn ein Mensch in die Lage gerät oder gar verpflichtet ist, über ein Thema es darüber hinaus auch dazu, die intellektuelle Potenz des Autors zu kommunizieren und dies umso vehe- zu sprechen, das seinen Wissensstand hinsichtlich der für das Thema relevanten Tatsachen übersteigt.»30 menter, je geringer die vorgängig geleistete Erkenntnisarbeit ist. Zum Ersatz wissenschaftlicher Inhalte durch Bullshit kommt es aber nicht nur, wenn der Umfang der Das so Geschriebene vermittelt keine wissenschaftlichen Ergebnisse, denn die Kriterien der Wissenschaft- zur Verfügung stehenden Gefässe den Umfang der vorhandenen Inhalte übersteigt, sondern auch, wenn lichkeit – Klarheit, Nachvollziehbarkeit, Berücksichtigung der bisherigen Beiträge zum Thema, Nennung grundsätzliche Zweifel am Wert wissenschaftlicher Aussagen bestehen. Frankfurt gibt uns auch da einen der Referenzen – sind für den Autor eines solchen Textes lediglich lästige Fesseln, die es abzustreifen Hinweis: «Die gegenwärtige Verbreitung von Bullshit hat ihre tieferen Ursachen auch in diversen Formen gilt, um das eigentliche Ziel, nämlich die Anwesenheit von Sprache, genauer: von eigener Sprache, mit eines Skeptizismus, der uns die Möglichkeit eines zuverlässigen Zugangs zur objektiven Realität abspricht möglichst geringem Aufwand erreichen zu können.27 Vor allem aber kommuniziert ein so Geschriebenes und behauptet, wir könnten letztlich gar nicht erkennen, wie die Dinge wirklich sind. [...] Eine Reaktion auf keine wissenschaftliche Forschung, denn es liegt gar kein echtes Erkenntnisinteresse vor, das mit wissen- diesen Vertrauensverlust besteht in der Abkehr von jener Form der Disziplin, die für die Verfolgung eines schaftlichen Methoden verfolgt worden wäre und dessen Ergebnisse entsprechend verbindlich mitgeteilt Ideals der Richtigkeit erforderlich ist, und der Hinwendung zu einer Disziplin, wie sie die Verfolgung eines werden könnten. alternativen Ideals erfordert, nämlich eines Ideals der Aufrichtigkeit. Statt sich in erster Linie um eine richtige Darstellung der gemeinsamen Welt zu bemühen, wendet der einzelne sich dem Versuch zu, eine Natürlich bestehen solche Texte auch nicht einfach aus Falschheiten und schon gar nicht aus Lügen. Es geht aufrichtige Darstellung seiner selbst zu geben.»31 Es ist anzunehmen, dass die naturhistorischen Museen dem Autor ja nicht darum, den Leser von einer Sichtweise zu überzeugen, die er selbst für unwahr hielte. Der gegenüber dieser Haltung in hohem Grade immun sind. Was jedoch die kultur- und insbesondere die kunst- Charakter dieser Texte lässt sich eher mit Begriffen wie «Gerede» oder «Gefasel» umschreiben. Sie stellen historischen Museen betrifft, so vertrauen viele der Verantwortlichen offenbar weniger auf den Wert sach- eine Form der Täuschung, des Bluffs, der Camouflage dar. Sich einer etwas gröberen Sprache bedienend, lich richtiger Informationen als auf die Aussagekraft wohlklingender, manchmal gar «kongenial» poetischer könnten wir auch sagen, es handelt sich um «heisse Luft» oder, wie es der amerikanische Philosoph Harry Beschreibungen. In solchen Fällen wird auf Kommentare zur Entstehung und Technik eines Kunstwerks, zu G. Frankfurt nennen würde, um «Bullshit».28 möglichen Bezügen oder zur Rezeption grosszügig verzichtet. Anstelle dieser als platt empfundenen, da von jedermann nachvollziehbaren Aussagen, werden die subjektiven Assoziationen des Autors kommuniziert. In Frankfurts Aufsatz über den Bullshit (einem kurzen Essay, der neben schwächeren Passagen auch einige Der Schreibende präsentiert sich auf diese Weise als Eingeweihter, der aufgrund seiner aufrichtigen und sehr luzide Stellen beinhaltet) lesen wir zur Motivation, Bullshit zu produzieren: «Der Bullshitter muss uns intensiven Beschäftigung mit den Werken dazu legitimiert ist, zwischen dem Jenseits der Kunst und dem nicht täuschen und nicht einmal täuschen wollen, weder hinsichtlich der Tatsachen noch hinsichtlich seiner Diesseits der Betrachter zu vermitteln. Das Phänomen der inhaltlichen Leere, bei gleichzeitig hochgradiger Vorstellung von den Tatsachen. Er versucht aber immer, uns über sein Vorhaben zu täuschen. Das einzige Subjektivität, lässt sich übrigens sowohl beim Ausstellungskatalog, dem klassischen Vermittlungsinstrument unverzichtbare und unverwechselbare Merkmal des Bullshitters ist, dass er in einer bestimmten Weise wissenschaftlicher Museumsarbeit, als auch in den Texten der Ausstellungen selbst beobachten. falsch darstellt, worauf er aus ist.»29 In unserem Falle bedeutet dies, dass der Autor so tut, als ginge es ihm um das Verständnis eines bestimmten Sachverhalts und um seine richtige Darstellung, tatsächlich aber Aus dem Gesagten ergibt sich meines Erachtens die Schlussfolgerung, dass die Frage nach den hat es bloss um die Produktion von Text und um die möglichst positive Darstellung seiner Person zu tun. Voraussetzungen wissenschaftlicher Museumsarbeit nicht ausschliesslich im Hinblick auf die zur Verfügung Ihn interessiert, im Gegensatz zum Autor, der um Wissenschaftlichkeit bemüht ist, nicht der Wahrheitswert stehenden Ressourcen diskutiert werden darf. Ein nicht zu unterschätzender Faktor stellt die Haltung derje- seiner Aussagen, sondern allein die Präsenz, die möglichst vorteilhafte, ausgedehnte Präsenz seiner selbst. nigen dar, die mit dieser Arbeit befasst sind. Je nachdem, wie ausgeprägt ihr wissenschaftlicher Anspruch Mag sein, dass dieses Bild eines Bullshit produzierenden «Wissenschaftlers» etwas gar holzschnittar- ist, werden die vorhandenen Mittel zu gehaltvolleren oder dünneren Ergebnissen führen. Voraussetzung für G G 22 Das Museum als Ort des Wissens, Schaffhausen, 22., 23. und 24. Juni 2006 23
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