Das Ulmer Münster in Ludwigsburg Entdeckungen bei der Instandsetzung eines Bürgerhauses aus dem 19. Jahrhundert
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Das Ulmer Münster in Ludwigsburg Entdeckungen bei der Instandsetzung eines Bürgerhauses aus dem 19. Jahrhundert Württembergisches Residenzschloss, Alleensystem, repräsentativer Markt- platz und einheitliches Straßenbild zeichnen die Barockstadt Ludwigsburg aus, der Ausbau zur Garnisonsstadt im 19. Jahrhundert führte zur Bezeichnung „schwäbisches Potsdam“, aber auch klein- und großbürgerliche Wohnkultur des späten 19. Jahrhunderts hat hier ihre Spuren hinterlassen. Einige Gebäude aus dieser Zeit weisen typische historistische Dekorationsmalereien auf, so auch das Wohnhaus in der Leonberger Straße 17. Mit den Worten „Mama, ich glaub’ da kommt eine Kirche zum Vorschein“ entdeckte die Tochter der neuen Eigentümerin beim Ablösen der Tapeten im Flur des Obergeschosses eine Wandmalerei mit der Darstellung des Ulmer Münsters, später wurde auch noch der Kölner Dom freigelegt. Dem engagierten und gleichzeitig behut- samen Vorgehen der Bauherrin ist es zu verdanken, dass diese Befunde wie die übrige Ausstattung des Kulturdenkmals gesichert, restauriert und in ein Gesamtkonzept eingebunden werden konnten. Karsten Preßler Architektur-, Bau- und barocken Alleensystems innerhalb der südlichen Nutzungsgeschichte Stadterweiterung ist. Die Leonberger Straße öff- net sich nach Osten durch den Karlsplatz direkt zur 1 Baugesuch von 1893, Als das Wohnhaus 1864 für den Zimmermeister Stuttgarter Straße und war bis Mitte des 19. Jahr- „Fassade mit neuer Carl Seemüller errichtet wurde, handelte es sich hunderts Richtung Westen nur bis zur Kreuzung Verblendung und neuen noch um einen schlichten, zweigeschossigen Fach- Seestraße bebaut. Dachläden“, gezeichnet werk-Putzbau. Erst 30 Jahre später wurde er er- Bereits 1869 wurde das Haus an den Werkmeis- von Albert Bauder. weitert und dem Zeitgeschmack entsprechend de- ter und späteren Bauunternehmer Wilhelm Fried- 2 Ludwigsburg, Leon- korativ umgestaltet (Abb. 1). Zur Bauzeit war es ei- rich Hoffmann verkauft, der dort auch bis um 1900 berger Straße 17, nes der ersten Gebäude im westlichen Abschnitt wohnte. Nachdem man 1891 auf der Hofseite Ve- Straßenansicht des Tor- der Leonberger Straße, die Teil des unter Herzog randen angefügt hatte, wurden der einfache Putz- baus, Vorzustand (2012). Carl Eugen Mitte des 18. Jahrhunderts angelegten bau 1893/94 schließlich um einen aufwendig ge- 18 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2015
stalteten Torbau über der Hofeinfahrt erweitert, das Dach ausgebaut und mit kleinen Gaupen mit Rundbogenfenstern und mehrseitigen Pyramiden- dächlein bestückt (Abb. 2; 3). Die Toreinfahrt zeigt mit vielgestaltiger Sandstein-Werksteingliederung, bauchigem Erker, ädikulaartiger Fensterrahmung und Balustraden neubarocke Formen, die sich auch bei den profilierten Fensterrahmungen, -gie- beln und -verdachungen der Wohngeschosse wiederfinden. Eine Besonderheit stellt die Gestal- tung der Fassade dar, die auf den ersten Blick vie- len späthistoristischen Ludwigsburger Backstein- bauten ähnelt, hier aber nicht massiv gemauert, sondern laut Baugesuch von 1893 mit „Fassa- denverblendsteinen“ und „Mosaikplatten“ ver- kleidet wurde (Abb. 4). Polychrome Bänderungen in Gelb und Rot, Weiß und Blau, im Obergeschoss auch vertikal angeordnet, geben der Fassade tat- sächlich ein mosaikartiges Gepräge, die Dachde- ckung mit rotbraunen, glasierten Falzziegeln run- det das Bild ab. Kein Teil bleibt undekoriert, es herrscht der zeittypische „horror vacui“. Der Lud- wigsburger Architekt und Zeichenlehrer Wilhelm Albert Bauder (1853– 1930), der im Auftrag Hoff- manns die Pläne für diesen Umbau anfertigte, er- reichte im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts den Höhepunkt seines Schaffens, als er eine Viel- zahl von Villen und Stadthäusern entwarf. Seine bedeutendsten Werke, die in dieser Zeit in Lud- wigsburg entstanden, sind die Musikhalle (1889f., zusammen mit Johann Schmohl) in der Nähe des Bahnhofes sowie der Umbau der Villa Franck (1886– 1897) und die Villa Feyerabend (1898/99). 1898 verlegte Bauder Wohnsitz und Büro nach Stuttgart und trat später vor allem als Architekt in Freudenstadt in Erscheinung, wo sein Werk Ein- der zeitgenössischen Werbung als „erstes Auto- 3 Straßenansicht, flüsse der regionaltypischen Schwarzwaldhäuser bad Ludwigsburgs“ bezeichnet wurde. Nach ei- Nachzustand (2014). sowie von Heimat- und Jugendstil zeigt. nem weiteren Besitzerwechsel an die jüdischstäm- Bauders Ludwigsburger Villen und Wohnhäuser mige Familie Kirchhausen wurde die Hofanlage 4 Detail der Südfassade. zeichnen sich durch Form- und Stilvielfalt, material- 1938 erneut verkauft, als Autovermietung genutzt reiche Gliederungen in Backstein, Sandstein, Holz und um eine Zapfsäule innerhalb der Toreinfahrt und Metall sowie entsprechende Polychromie aus, ergänzt. Nach Kriegsende 1945 hielten zunächst der Historismus war in seine letzte Phase getreten. US-Truppen das Haus besetzt, bis der Nachweis er- Bemerkenswert ist auch die künstlerische und bracht war, dass die Familie Kirchhausen das An- kunsthandwerkliche Innenausstattung dieser Ge- wesen freiwillig veräußert hatte. In der Nachkriegs- bäude, die zum größten Teil noch gut überliefert zeit schließlich etablierte sich eine Autowerkstatt ist, auch in der Leonberger Straße 17, wie sich wäh- in der Hofanlage, die als „Auto Elektrik Siegfried rend der Sanierung herausstellen sollte. Dieses Schmid“ bis 2008 weitergeführt wurde. Baudenkmal – nicht als Adels- oder Fabrikanten- villa, sondern als bürgerliches Wohnhaus errich- Wandmalereibefunde tet – erlebte im Anschluss eine bewegte Nutzer- geschichte. Nicht nur bei historistischen Villen, sondern auch Bereits 1908 wurde es an den Kutschereibesitzer bei Wohn- und Mietshäusern dieser Zeit ist vor- Christian Marbach verkauft, der Stallungen auf der nehmlich in den Treppenhäusern stets mit Befun- großen Freifläche nördlich des Anwesens errichten den von dekorativen Wandmalereien zu rechnen, ließ. 1922 übernahm der Kraftwagenfahrer Fried- heute meist verborgen unter Farb-, Spachtel- und rich Marbach die Gebäude, und unter ihm ent- Tapetenschichten. Die Denkmalpflege fordert da- standen Garagen und ein Autowaschplatz, der in her im Vorfeld von Sanierungen in der Regel ent- Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2015 19
5 Ludwigsburg, Leon- Farbbefunde, wie sie daraufhin im Treppenhaus berger Straße 17, Treppen- freigelegt wurden, typischer Bestandteil bürger- haus, Podest zwischen licher Wohnhausausstattung der damaligen Zeit. Erd- und Obergeschoss. In der Leonberger Straße 17 bestehen diese wand- hohen Malereien aus einer Sockelzone von circa 80 cm Höhe in Form einer aufgemalten Brettver- kleidung (Lamperie) mit Maserierung. Darüber be- finden sich mit olivgrünen Voluten- und Rollwerk- elementen gerahmte Wandfelder mit Akanthus- blättern und floraler Ornamentik (Abb. 5). Bei der auch in den 1890er Jahren ebenfalls durch Bauder umgestalteten Villa Franck trifft man im Treppen- haus auf ein ähnliches Motiv, dort ist die Lampe- rie aber aus echtem Holz, während sie hier zwar weniger aufwendig, dafür aber nicht weniger kunstvoll illusionistisch aufgemalt wurde. Auch die Wohnräume im Erd- und Obergeschoss sind be- fundreich, die Deckenränder wurden Ende des 19. Jahrhunderts mit Schablonen- und Bandelie- rungsdekoren ausgemalt, was auch Farbspuren an den Wandflächen belegen, wo die Dekorations- maler damals Schablonen ausprobierten und ihre Pinsel ausdrückten. Da die Deckenmalereien im Gegensatz zu den in Ölfarbe ausgeführten Trep- penhaus- und Flurmalereien in der wenig bestän- digen Leimfarbtechnik angefertigt und später ab- sprechende Befunduntersuchungen – stratigrafi- gewaschen wurden, sind nur noch Fragmente er- sche Sondagen – und findet dafür bei den Bau- halten, die kein stimmiges Gesamtbild mehr herren nicht immer Verständnis, im Gegensatz ergeben. Die Wände der Wohnräume wurden zum vorliegenden Fall. Als man bei der Abnahme nach 1893 tapeziert, wie eine im Erkerzimmer als der Tapeten auf umfangreiche Wandmalereien im Makulatur verwendete Tageszeitung belegt und Treppenhaus und im Flur des Obergeschosses stieß, was auch zeitlich zum Umbau durch Albert Bauder wurden auf Initiative der Bauherrin Denkmal- passt. Das Gestaltungskonzept der Räume schließ- schutz- und Denkmalfachbehörde sowie ein Res- lich wurde vervollständigt durch die Holzausstat- taurator hinzugezogen. Wie schon erwähnt, sind tung (Fenster, Türen, Erker, Lamperien, Sockelleis- 6 Erkerzimmer über der Toreinfahrt. 7 Wandmalerei von 1889 mit Darstellung des Ulmer Münsters, Ober- geschoss, nördliche Flur- wand, Vorzustand nach Entfernung der Tapete, 2012. 20 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2015
ten), die dunkelbraun oder in einem dunklen Ockerton gefasst waren (Abb. 6). Ulmer Münster und Kölner Dom Kamen die Befunde im Treppenhaus und den Wohnräumen nicht unerwartet, so bestand die eigentliche Überraschung in der Entdeckung der Wandmalereien im Flur des Obergeschosses. An der nördlichen Flurwand trat zwischen zwei Tür- öffnungen das Ulmer Münster zum Vorschein, wie eine Vedute perspektivisch dargestellt mit flankie- renden Wohnhäusern, Bäumen, zeitgenössisch be- kleideten Passanten und mit „Ulm“ beschriftet (Abb. 7–9). An der gegenüberliegenden Flurwand wurde wohl von der Hand desselben Dekorations- malers in ähnlicher Manier der Dom zu „Cöln“ dar- gestellt. Das Bild ist mit dem leider nicht mehr leser- lichen Namen des Künstlers und der Jahreszahl (18)„89“ signiert worden und somit ein Jahr vor der Vollendung des Ulmer Münsterturms entstan- den. Der Kölner Dom präsentiert sich zwar weniger wirklichkeitsgetreu, was die Proportionen der Turm- oktogone und -helme und das zu niedrig geratene Querhaus betrifft, die Malerei ist dafür aber in deut- lich besserem Erhaltungszustand (Abb. 10–11). Wie im Treppenhaus sind auch die Darstellungen im Flur wandhoch und besitzen eine Sockelzone mit illusionistisch aufgemalten Kassetten mit Mä- andern, gerahmt von Vasen. Das Münsterbild dar- über wird flankiert von je zwei Säulchen in Kan- delaberform und je einem Bogen, rechts allerdings Bewohner ermitteln. Eigentümer und Bauherr war 8 Wandmalerei mit stark reduziert durch eine nachträglich verscho- der vermutlich aus dem Steinmetzhandwerk kom- Darstellung des Ulmer bene Türöffnung. Vollständig erhalten hingegen mende Werkmeister Wilhelm Friedrich Hoffmann, Münsters, Zustand 2014 ist die Rahmung des Dombildes, das mit einem der zusammen mit dem Architekten und Stadtbau- nach der Restaurierung. flachen Sprenggiebel mit Werkmeister-Attributen meister Julius Mößner (1846– 1935) das Haus in (Zirkel, Winkel und Senkblei) sowie Blattmasken in der Leonberger Straße 17 bewohnte. Dass Hoff- 9 Wandmalerei mit Seitenansicht bekrönt wird. Diese rahmende mann als Eigentümer und Vermieter in der höher- Darstellung des Ulmer Architektur, die beim Ulmer Münster leider nur wertigen „Beletage“ lebte, ist anzunehmen, sodass Münsters, Detail mit Ge- mehr fragmentarisch erhalten ist, suggeriert die er als Auftraggeber der Wandmalereien im Trep- bäude der Münsterbau- Öffnung einer Loggia beziehungsweise eines Fens- penhaus und Flur des Obergeschosses gelten kann. hütte, Turmvorhalle und tererkers mit „Domblick“. Weitere Wandabschnit- Die von romantischen und patriotischen Motiven Mesnerhaus (v.l.n.r.). te im Flur weisen eine ähnliche Sockelgliederung auf, während die Felder durch aufgemalte Pilaster unterteilt und mit Blumengirlanden sowie einem zeittypischen Sinnspruch in bekränzter Kartusche bemalt sind (Abb. 12). Sockelzone, Säulen und Pi- laster sind zum Teil mithilfe von Schablonen und Lochpausen aufgetragen, die Blumengirlanden und Veduten freihand in Grisailletechnik ausge- führt worden. Die Motivauswahl – Ulmer Münster und Kölner Dom –, der „betrachterunfreundliche“ Standort innerhalb eines Hausflurs im privaten Wohnbe- reich und der Ausführungszeitraum 1889, ein Jahr vor Fertigstellung des Münsterturms, erscheinen zunächst überraschend. Während der Künstler un- bekannt ist, lassen sich Hausbesitzer und damalige Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2015 21
als Bauplan herangezogen. August von Beyer, der seit 1880 Münsterbaumeister war, setzte diesen aber nicht exakt um, sondern „streckte“ den Turm- helm, sodass spätestens mit der Vorstellung des Ausbaumodells 1884 deutlich wurde, dass der Ul- mer Münsterturm selbst die Kölner Domtürme um einige Meter überragen würde. Der „Türmewett- streit“ zwischen dem katholischen Dom und der (seit 1531 protestantischen) Bürgerkirche war voll entbrannt, hatte doch Württembergs erster Lan- deskonservator Konrad Dietrich Haßler bereits 1859 geschrieben, das Münster zu Ulm sei „[…] der ebenbürtige protestantische Bruder des Do- mes zu Köln“. Den Vorwürfen aus Köln, die har- monischen Proportionen des Turms würden durch seine Überlängung zerstört, entgegnete man aus Ulm mit dem Argument, der Münsterturm sei schon durch Böblinger deutlich mächtiger ange- legt gewesen. 1886 schließlich stellte Beyer einen überarbeiteten Aufriss des Hauptturms vor, der mit über 161 m der höchste Kirchturm der Welt wer- den und anstelle der bisher vorgesehenen Salva- torstatue mit einer Kreuzblume als Spitze bekrönt werden sollte. Die Zeichnung fand damals in entsprechenden Zeitschriften große Verbreitung, sodass man davon ausgehen kann, dass auch die privat und beruflich miteinander verbundenen Lud- wigsburger Architekten beziehungsweise Werk- meister Hoffmann, Mößner und Bauder davon Kenntnis hatten (Abb. 14). Die jahrzehntelangen Planungs- und Baubemühungen in Köln und Ulm fanden Niederschlag in vielfältigen Publikationen mit Lithografien, Holzschnitten, Kupfer- und Stahl- stichen sowie Fotografien, nicht zuletzt, um Mit- streiter und Mäzene zu gewinnen (Abb. 13–16). Welche der zahlreichen möglichen Bildvorlagen 10 Wandmalerei von geleitete Vollendung gotischer Sakralbauten im nun in Ludwigsburg herangezogen wurden, oder 1889 mit Darstellung Deutschen Bund und späteren Deutschen Reich ob der Künstler sogar Ortskenntnis besaß, muss of- des Kölner Doms mit war sowohl ein fürstliches und königliches, als auch fen bleiben. Es ist aber davon auszugehen, dass aufgemalter Architektur- ein von bürgerlichen Gesellschaftsschichten mit- rahmung, Signatur, getragenes öffentliches Anliegen, das seit Mitte Datierung „(18)89“ und des 19. Jahrhunderts zur Gründung von Dom- und Werkmeister-Attributen; Obergeschoss, südliche Münsterbauvereinen und Bauhütten nach mittel- Flurwand, Zustand 2014 alterlicher Tradition geführt hat. Im Zuge des „Res- nach der Restaurierung. taurationsfiebers“ dieser Zeit wurde in der Fach- welt sogar die Errichtung des Südturms des Straß- burger Münsters diskutiert, die schließlich um 1880 zugunsten der Vollendung des Ulmer Müns- ters zurückgestellt wurde. Für die Gestaltung der Domtürme in Köln (1880 vollendet), Regensburg (1869 vollendet) und des Münsterturms in Ulm (1890) konnte man teilweise auf mittelalterliche Werkmeister-Risse zurückgreifen, die man dem neugotischen Zeitgeschmack und Selbstverständ- 11 Wandmalerei von nis der planenden Architekten entsprechend mo- 1889 mit Darstellung des difizierte und „perfektionierte“. Für die Vollen- Kölner Doms, Zustand dung des Ulmer Turms wurde der Riss von Mat- 2014. thäus Böblinger aus dem späten 15. Jahrhundert 22 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2015
dem Maler bei der Darstellung des Ulmer Münsters harzfirnis überzogen. Bei der Entscheidung für die eine aktuelle Vorlage nach Beginn der „Freistel- von der Bauherrin gewünschte Freilegung und Res- lung“ des Monumentalbaus durch Abbruch des taurierung anstelle einer nicht sichtbaren Konser- Barfüßerklosters 1875 gedient hat. Der erst nach vierung unter schützenden Schichten waren fol- 1900 beseitigte giebelständige Walmdachbau der gende denkmalpflegerische Kriterien relevant: Der alten Münsterbauhütte nördlich der Westfassade Zustand der Wandmalereien war und ist allgemein sowie das gleichfalls später entfernte Mesner- gut, eine schadensfreie Freilegung und Restaurie- häuschen rechts der Turmvorhalle sind gut zu er- rung waren möglich, und das Risiko einer Beschä- kennen und entsprechen ebenso wie die südöst- digung aufgrund der Nutzungsanforderungen ist lich des Münsters dargestellte Bebauung dem Zu- gering. Auch ist trotz des teils fragmentarischen stand der 1880er Jahre (Abb. 9; 14; 15). Zustands das Gesamtkonzept der Dekorations- Bei der Kölner Domumgebung hingegen wird auf malerei zusammen mit der übrigen Ausstattung dem Wandgemälde ein idealisiertes, mittelalterli- gut ablesbar und entspricht der auch als „Leit- ches Stadtbild gezeigt, das so nie bestand bezie- schicht“ geltenden maßgeblichen Ausbau- und 12 Wandmalerei im hungsweise im späten 19. Jahrhundert nicht mehr Ausstattungsphase des Kulturdenkmals Ende des Obergeschoss mit Sinn- existierte. Die Pappel, die etwas unvermittelt die 19. Jahrhunderts. spruch: „Freund sieh auf Szene rechts flankiert, und das Gebäude südöstlich Dich Und nicht auf mich Und fehle ich So bessre des Chors könnte der Künstler von Stichen aus der Gebäudebestand und Nutzungskonzept Dich“. Zeit vor dem Weiterbau am Dom übernommen ha- ben, während er die aus zahlreichen Publikationen Die häufigen Eigentümer- und Mieterwechsel so- bekannte, vollendete Doppelturmfassade in ein wie Nutzungsänderungen, in deren Folge Arzt- und platzartig erweitertes, aber „mittelalterliches“ Um- Massagepraxen, Büro- und Wohnräume einge- feld übertrug, ohne Wirklichkeitstreue anzustreben richtet wurden, hatten vor allem im Inneren ihre (Abb. 10; 13; 16). Spuren hinterlassen. So waren das ehemals fassa- Ob sich Werkmeister Hoffmann als Bauherr und denbündige Tor bereits 1938 zurückversetzt, das Auftraggeber der Wandmalereien nun von würt- Erdgeschoss um 1970 nach damaligem Zeitge- tembergischem Patriotismus, seiner Begeisterung schmack teilentkernt und renoviert sowie die Fens- für Bautechnik und Steinmetzkunst oder schlicht- ter im Hauptbau durch einflügelige Holzverbund- weg von seinem künstlerisch-ästhetischen Emp- fenster ausgetauscht worden. Wandfeste Aus- finden bei der Motivwahl für die Gestaltung seines stattung wie Türen, Stuckkehlen und Sockelleisten Hausflurs leiten ließ, sei dahingestellt. Als ausfüh- waren und sind vor allem noch im Obergeschoss render Künstler käme durchaus Albert Bauder in erhalten. Diese Teile sind ebenso wie das Treppen- Betracht, der nicht nur Architekt und Zeichenlehrer, haus und die Haustüre sowie die dunkel gebeizte 13 Der Kölner Dom in sondern auch allen Stilen einschließlich der Neu- innere Holzverkleidung des Fenstererkers über der seiner Vollendung, Holz- gotik gegenüber offen war und eine „malerische“ Toreinfahrt einschließlich der Fenster im Erkerzim- stich nach einem Ge- Architekturauffassung vertrat. mer der Ausbauphase um 1894 zuzuordnen. Mit mälde von C. E. Conrad Ausnahme einiger mit Blumen und Weinlaub de- von 1856, veröffentlicht Restaurierungskonzept korativ bemalter Putzfelder im Fenstererker waren in der Illustrierten Zeitung aber zunächst in keinem der Räume Wandmale- Leipzig, 2.10.1880. Trotz einiger in der Vergangenheit erfolgter Störun- gen und Eingriffe, zum Beispiel durch Leitungs- schlitze und Putzreparaturen, waren die in Ölfarbe aufgetragenen Fassungen in stabilem Zustand. Auf- liegende Tapeten, Leimschichten und Gipsspach- tel ließen sich durch Anfeuchten mit Wasser, Dis- persionsfarbschichten mit lösemittelfreiem Abbei- zer entfernen, ohne die Malereien zu beschädigen. Maßnahmen zur Sicherung der Fassungen waren nur vereinzelt nötig. Fehlstellen im Wandputz wur- den daraufhin mit Kalkmörtel geschlossen und mit Kalkglätte überspachtelt. Anschließend brachte man ein Grundiermittel auf und begann mit der Retusche, die in reiner Ölfarbe ausgeführt wurde und sich auf den jeweiligen Grundton der Wand- fassungen ohne Rekonstruktion der Binnenzeich- nungen beschränkte. Nach einer Trocknungszeit von rund sechs bis acht Wochen wurden die Wand- flächen mit einem seidenmatt glänzenden Natur- Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2015 23
reien oder Putzoberflächen mit historischen Farb- die aufwendige Wiederherstellung der nicht er- fassungen sichtbar. haltungsfähigen Baluster aus Gussstein nach ent- Die nicht in ursprünglichem Zusammenhang mit sprechender Aufzeichnung, Dokumentation und dem Wohnhaus stehende heterogene Hofbebau- Einlagerung der Teile verzichtet werden. Die neue ung mit Werkstatthallen und Garagen der 1930er Balustrade als Flachstahl-Konstruktion ist eine ge- bis 1960er Jahre besitzt keine Kulturdenkmaleigen- wollt ablesbare moderne Zutat, stellt aber auch den schaft. Obwohl demnach keine Erhaltungsver- für die Proportionen der Fassade wichtigen attika- pflichtung für diesen Teil der Anlage besteht, war ähnlichen Abschluss dar, der je nach Perspektive es beim Verkauf des Ensembles im Jahr 2011 auch mehr oder weniger massiv erscheint. Die als Natur- aus denkmalpflegerischer Sicht von großem Vor- steinimitat mit Voluten und Konsolen gestaltete teil, dass die ehemaligen Werkstattgebäude erhal- Blechverkleidung unterhalb des Erkers schließlich ten und zusammen mit dem denkmalgeschützten hatte im Laufe der Jahrzehnte durch den Werkstatt- Wohnhaus in das Nutzungskonzept einbezogen verkehr arg gelitten und wurde von einigen Flasch- wurden. Angeregt durch Kunstmärkte in Amster- nern schon aufgegeben. Sie konnte dennoch erhal- dam wollte die neue Eigentümerin und Bauherrin ten, mit einer neuen Unterkonstruktion versehen, in den Hofgebäuden einen Markt für „bezahlbare gelötet, laminiert, gesandelt und nach Befund neu Kunst“ regionaler Herkunft unterbringen, die beschichtet werden (Abb. 2; 3). Wohnungen nach heutigen Anforderungen mo- Eine besondere Herausforderung stellte einmal dernisieren und das Hauptgebäude als Boarding- mehr die energetische Sanierung des Kulturdenk- house nutzen. Ein im Gegensatz zu vielen Wohn- mals dar. Das Konzept wurde von einem entspre- bau-Investorenprojekten nachhaltiges, denkmal- chend zertifizierten „Energieberater für Baudenk- und altbaufreundliches Konzept, das den Gebäu- male und besonders erhaltenswerte Bausubstanz“ debestand mit einbezieht, anstatt ihn zur Schaf- erstellt, aber nur in Teilen umgesetzt, da auf den fung von Bauland zu überplanen. Einbau einer Holz-Pellets-Heizung verzichtet wur- de. Die wesentlichen Wärmedämmmaßnahmen Instandsetzung konzentrierten sich auf die Hof- und Giebelfassade und das Dach. Obwohl Kulturdenkmale grundsätz- Die Umsetzung des Nutzungs- und Sanierungs- lich als Ganzes zu betrachten sind, war in diesem 14 Ulmer Münster, Auf- konzeptes für die gesamte Anlage nahm rund zwei Fall die stark überformte Hoffassade mit den Win- riss des Hauptturms von Jahre in Anspruch. Die Grundrisseingriffe im Wohn- tergarten- und Veranda-Anbauten sowie der Eter- August von Beyer, 1886 haus waren insgesamt zurückhaltend, im Erdge- nitverkleidung von untergeordneter Bedeutung (aus: Münsterblätter, schoss wurde die ursprüngliche Raumaufteilung für den Denkmalwert. Hier wurde ebenso wie bei Heft 6/1889). wieder aufgenommen. Im Obergeschoss stellte der Ostfassade eine Außendämmung angebracht man den Wohnungsabschluss zwischen Treppen- und eine Putzfassade hergestellt. Die stadtbild- haus-Foyer und Flur wieder her, schloss aber auch prägende Südfassade mit ihrer mosaikartigen Ke- eine Tür der Enfilade, da das Erkerzimmer und zwei ramikverkleidung nicht zu verändern war schnell weitere Räume zu einer kleineren Wohnung zu- konsensfähig, sodass dort eine Innendämmung sammengefasst wurden. Stärkere Eingriffe gab es im Dachgeschoss, wo unter anderem eine hof- seitige Gaupe erneuert, Teile der Flurwand entfernt und der Spitzboden als offene Galerie hergestellt wurden, um die Belichtung und Raumwirkung zu verbessern. Die historische wandfeste Ausstat- tung – Türen, Fenster, Erkerverkleidung – blieb mit Ausnahme des Dachgeschosses vollständig im Ge- bäude erhalten. Die neuen Fenster der großen Wohnungen wurden analog zu den erhaltenen von 1894 als dreiflügelige Holzfenster mit „T“-Tei- lung hergestellt und nach Befund rotbraun lackiert. Der größte Sanierungsaufwand entstand bei der auf das Baujahr 1864 zurückgehenden Dach- und Fachwerkkonstruktion vor allem im nördlichen Teil des Gebäudes. Hier waren über Jahrzehnte ent- 15 Ulmer Münster standene Feuchteschäden im Bereich der 1891 an- während der Bauarbeiten gefügten Veranden und der Treppenhaus-West- am Hauptturm, Fotografie wand zu beheben, indem traditionell-zimmerer- von Mai 1889 (aus: Müns- mäßig repariert wurde. Bei den umfangreichen terblätter, Heft 6/1889). Steinrestaurierungsarbeiten am Torbau musste auf 24 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2015
zur Ausführung kam. Trotz des durch die Kombina- tion von Unter-, Zwischen- und Aufsparrendäm- mung verursachten zusätzlichen Dachaufbaus „versinken“ die zierlichen Gaupen nicht in der Dachfläche. Die glasierten Doppelmuldenfalzzie- gel konnten zu einem guten Teil wieder verwendet werden, während man die fehlenden durch be- standsähnliche neue Ziegel ersetzte. Fazit Das Ludwigsburger Wohnhaus in der Leonberger Straße zeigt auf beeindruckende Weise, dass im späten 19. Jahrhundert nicht nur Villenarchitektur, sondern auch die Wohnkultur der Mittelschicht künstlerisch anspruchsvolle Ausstattung hervor- brachte. Die Wandmalereien sind darüber hinaus ein faszinierendes Dokument für die zeitgenössi- sche Rezeption der Vollendung des Kölner Doms und des mit ihm konkurrierenden Ulmer Münsters vor 125 Jahren. Bauherren und Architekten wiede- rum sollten dadurch ermutigt werden, bei Sanie- rungen behutsam vorzugehen und die Denkmal- pflege beim Auftreten von Befunden rechtzeitig einzubinden. Die denkmalbedingten Mehraufwen- dungen bei der Instandsetzung wurden mit Mit- teln aus der Denkmalförderung des Landes bezu- schusst. Das Wohnhaus ist das einzige Kulturdenk- mal in der Leonberger Straße, deren Baubestand terplatzes, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 16 Kölner Dom in und Nutzung sehr heterogen sind. Bleibt zu hoffen, 15/2, 1986, S. 49–57. antizipierter Vollendung, dass sich das vorbildlich restaurierte Haupthaus Münsterblätter, herausgegeben im Auftrag des Müns- C.G.A. Hasenpflug, und der zugehörige Kunstmarkt in den Hofge- ter-Komitees von Friedrich Pressel (u. a.), Heft 1/1878– Öl auf Leinwand, um 1830. bäuden behaupten und einen städtebaulichen Im- 6/1889, gedruckt in Ulm, danach Erscheinen einge- puls geben können. stellt. Stadtarchiv Ludwigsburg: Güter-, Kauf- und Unter- Literatur und Quellen pfandbücher, 4. L 165, Bd. 24 u. Bd. 30; S. 61, Archi- tekt Wilhelm Albert Bauder (Sammlung Dieter Hor- Holger Krusch/ Stefan Mäule: Ludwigsburg, Haus Le- nig); Adress- und Geschäfts- Handbücher der Stadt onberger Straße 17, Restaurierungsarbeiten im Ober- Ludwigsburg, 1888 und 1892. geschossflur/ Treppenhaus, Januar– Dezember 2013, unveröffentlichter Bericht, Mai 2014. Der Verfasser dankt Dr. Judith Breuer für die Bereit- Hilke Lorenz: Halle gesucht – Kleinod gefunden, in: stellung von Materialien zur Kölner Domumgebung Stuttgarter Zeitung vom 04. 02. 2014. und Rita Wagner M.A. vom Kölnischen Stadtmuseum Siegfried Schmid/ Alexander Schmid: Chronik des Ge- für Hinweise zu historischen Bildvorlagen. bäudes mit Hofanlage Leonberger Straße 17, 71638 Ludwigsburg, unveröffentlichtes Manuskript, Februar Praktischer Hinweis 2013. Denkmaltopographie Baden-Württemberg, Band I.8.1, Öffnungszeiten Kunstmarkt: Do 12–20, Sa 10–18 Uhr Stadt Ludwigsburg, Stuttgart 2004. und nach Vereinbarung. Das Wohnhaus kann nur Alexander Wesle: Prof. W. A. Bauder: Ein Architekt der nach Terminabsprache besichtigt werden. Kaiserzeit in Freudenstadt, in: Freudenstädter Heimat- www.hof-kunst.de blätter, Heimatgeschichtliche Beilage zum Schwarz- Zum 125. Jubiläum der Vollendung des Ulmer Müns- wälder Bote, Bd. XXV, Nr. 6, Juni 1994. terturms: www.ulm125.de Steingewordene Träume – Vollendung gotischer Kirchtürme im 19. Jahrhundert, Ausstellungskatalog Ulm 1990. Dr. Karsten Preßler Hubert Krins: Die Freilegung des Ulmer Münsters und Landesamt für Denkmalpflege im ihre Folgen. Zur Geschichte und Gestaltung des Müns- Regierungspräsidium Stuttgart Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2015 25
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