Das weibliche Böse1 Franziska Lamott - Pabst Science Publishers

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Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Volume 28, 2021 (1), 112-124

Das weibliche Böse1

Franziska Lamott

Zusammenfassung
Seit Jahrhunderten findet sich in den Künsten die Ästhetisierung einer verführerischen, aber
gefährlich „bösen“ Weiblichkeit, die auf ein implizites Spannungsverhältnis von Lust und
Angst verweist. Mit der Verwissenschaftlichung verlässt „das Böse“ die Kunst und begibt sich
unter die Ägide von Jurisprudenz und Psychiatrie. Und dennoch scheinen seine traditionellen
Bilder und die mit ihnen verbundenen Phantasmagorien zu überleben. Sie spielen nicht selten
eine unausgesprochene Rolle in Gerichtsverhandlungen, besonders bei der Beurteilung der Ent-
scheidung über „bad“ or „mad“ und infolgedessen über „Strafe“ oder „Therapie“.
Schlüsselwörter: Das weibliche Böse, Delinquenz der Frau, Weiblichkeitsmythen und weibli-
che Rollenmodelle, Infantizid, Serientäterin, Mörderin, Dämonisierung, Verharmlosung, kol-
lektive Abwehrstrategien.

The female evil

Abstract
For centuries, the arts have offered aesthetic renderings of a seductive, but dangerously evil
femininity. They point to an implicit tension between lust and fear. Due to its increasingly sci-
entific identification Evil leaves the arts and presents itself under the auspices of jurisprudence
and psychiatry. Nevertheless, its traditional images and the phantasmagoria associated there-
with seem to survive. Often enough, they play a tacit role in court sessions, especially when it
comes to assess decisions about bad or mad and, subsequently, about punishment and therapy.
Keywords: female evil, female delinquency, femininity myths, female role models, infanticide,
serial offender, homicide, demonization, belittling, collective defence strategies

1
    Vortrag im Rahmen der digitalen Tagung über „Das Böse. Facetten der Destruktivität“ des TFP Institutes
    München, vom 04/05.12.2020

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Franziska Lamott, info@franziska.lamott.de,
www.franziska-lamott.de
Das weibliche Böse                                                                                  113

Konfrontation und Heimsuchung
Caravaggio (1571–1610) zeigt in einem 1589/99 geschaffenen Gemälde2 in aller
Drastik den Mord Judiths an Holofernes. Der Barockmaler zwingt den Betrachter,
Zeuge dieser Enthauptung zu werden. Die Szene spielt sich vor einem dunklen Hinter-
grund ab, samtrote, weiche Volants umrahmen das Bett, auf dem Holofernes getötet
wird: Judith hält den Kopf des Holofernes am Haupthaar fest, während sie mit der
anderen Hand energisch das Schwert führt. In ihren Zügen spiegelt sich eine Mi-
schung aus kalter Entschiedenheit und leichtem Ekel, die steile Falte zwischen den
Augenbrauen markiert Anstrengung und Konzentration. Sie hält ihren Körper leicht
nach hinten gebogen, sichert ihren Abstand zu dem nackten Mann auf der Bettstatt.
An ihrer Seite steht eine alte, abstoßend wirkende Dienerin, die konzentriert zuschaut.
In den Händen hält sie den Sack, der für das Haupt des Mordopfers vorgesehen ist.
Während Caravaggios alte Magd an die betagten Kupplerinnen erinnert, die sich häu-
fig auf erotischen Gemälden in einer anteilnehmenden Rolle befinden, repräsentiert
Judith den Typus der anziehenden Frau. Der gewaltvollen Szene hat der Künstler
erotische Spannung verliehen, die auf eine Vorgeschichte sexueller Anziehung ver-
weist. Das verdeutlicht Judiths Kleidung: Das offenherzige Gewandt mit quer ver-
laufenden Schnüren unterhalb der Brust, betonen die sinnliche Wirkung. Judith wirkt
verführerisch-abstoßend und anziehend-brutal. Holofernes, das Opfer, trägt Züge des
Meisters Caravaggio3.
Durch eine Atmosphäre warmer, samtroter Farbgebung – an ein Boudoir erinnernd –
greift der Maler Elemente einer mysteriösen Atmosphäre auf. Selbst wenn Judith eine
berechnende Tat vollzieht, bleibt ein Rest des nicht fasslich Anziehenden.
In Caravaggios Kunstwerk sehen wir eine prägnante Konstellation des Bösen: in der
manifesten Gewalt zeigt sich das kausale Verhältnis der dargestellten Tötungsszene.
Doch das Böse kann sich auch unabhängig von einer manifesten Tat als dunkle, omi-
nöse Macht artikulieren, wie sie von Frauengestalten des 19. Jahrhunderts – z.B. der
Femme Fatale – repräsentiert wird. Die Meister der Dämonisierung und Ästhetisie-
rung der Jahrhundertwende, allen voran Franz von Stuck, August Strindberg und we-
nig später auch Friedrich Wilhelm Murnau, erzeugen mit künstlerischem Ausdruck
eine entsprechende Atmosphäre der Angstlust.
In einem Stummfilm von Frank Powell („A Fool There Was“, 1915) begegnet uns
Thea Bora (Sexsymbol ihrer Zeit) als anziehende, lüsterne, sexuell gefährliche, vam-
pirähnliche Frau. Ihre erotische Erscheinung lässt sie einen reichen, prominenten
Mann in ihren Bann ziehen. Das sexuelle Begehren des Mannes wird von der verfüh-
rerischen, selbstbewussten Frau entfacht. Im Spannungsfeld zwischen Anziehung und
Zurückweisung wird das Flehen des Mannes schließlich erhört. Der Auserwählte gibt
sich bedingungslos hin. Er gibt alles auf, um in ihrer Nähe zu sein. Er verliert Reich-
2
    Caravaggio ,1589/99 (Judith enthauptet Holofernes, Galleria Nazionale d’Arte Antica Palazzo Barberini,
    Rom). http://syndrome-de-stendhal.blogspot.com/2012/07/barock-splatter.html
3
    Kermani, N. (2015). Ungläubiges Staunen. Über das Christentum. München, C.H.Beck Verlag, S. 116.
114                                                                                 Franziska Lamott

tum, Familie und Ansehen, sein gesamtes bisheriges Leben. Die Verachtung seitens
der Geliebten ist ihm gewiss. Sie ist Widerschein seiner haltlosen Unterwerfung, der
zunehmenden Schwäche, die sie in ihm erzeugt hat. Ökonomischer Macht und Männ-
lichkeit beraubt, endet er würdelos in körperlichem Verfall und geistiger Umnach-
tung.
Das Böse in diesem filmischen Narrativ zeigt sich nicht in manifester Gewalttätigkeit,
nicht in augenfällig destruktiven Handlungen der Frau, sondern verbreitet sich in ei-
ner düsteren Atmosphäre tödlicher Verstrickung: Das unheimliche Zusammenspiel
zwischen Anpassung und Unterordnung auf der einen, Erniedrigung und Herabset-
zung auf der anderen Seite, entspricht einer bösen Lust der Frau am Untergang des
Mannes, der durch seine Hingabe an sie zum willfährigen Handlanger des eigenen
Verfalls wird4.
Wie kann man sich dieses weibliche Böse zugänglich machen, das faszinierend, aber
nicht fasslich ist? Wie kann man sich gegen einen Angriff wehren, wenn das Böse
kaum mehr als ominöse Erscheinung ist? Dieses Böse hat kein Wesen, das eindeutig
qualifizierbar wäre. Es ist nicht stabil und nicht berechenbar. Unberechenbares kann
man nicht identifizieren oder vorherbestimmen. Man kann es nicht vermessen. „Wenn
aber das Böse keine Berechnung zulässt, wenn es immer anders ist … dann scheint es,
dass der Begriff ‚böse‘ schlechterdings irreduzibel ist, ein absoluter Begriff. Böses
kann mit nichts anderem als mit der Evidenz erklärt werden, mit der es sich zeigt.“5
Geschichten über gefährliche Frauen, die nicht hilfreich und gut, sondern geheimnis-
voll und vielleicht abgrundtief böse sind, haben ihre Attraktivität bis heute nicht ver-
loren. Sie finden sich in zahlreichen filmischen Phantasmagorien, so zum Beispiel in
„Basic Instinct“ von Paul Verhoeven.
Zu Beginn dieses Thrillers ersticht eine Frau im Liebesakt einen Mann mit einem Eis-
pickel. Sie hatte ihn zuvor verführt und mit einem Seidenschal ans Bett gefesselt. Mit
dieser Eingangsszene wird in dem erfolgreichen Hollywoodfilm, ein Blick auf die
Beziehung zwischen den Geschlechtern eröffnet. Nick, der ermittelnde Kommissar,
gerät im Laufe der sich anschließenden Untersuchung zunehmend in den Bann der
Geliebten des Ermordeten, einer schönen, kühlen und gebildeten Frau. Catherine ist
der Tat verdächtig. Als Autorin von Trivialromanen hat sie in einem ihrer Bücher den
Tathergang genau geschildert, wie ein forensischer Psychiater anmerkt, eine teuflisch
raffinierte Strategie, sich dem Verdacht zu entziehen. Einen Mord kann man Catherine
nicht nachweisen. In ihrer Rätselhaftigkeit und erotischen Ausstrahlung fasziniert sie
den Hüter der Ordnung. Schon bald erliegt er ihr vollends. Doch da gibt es noch eine

4
    Zur gleichen Zeit entstehen als aktive Gegenbewegung männlicher Künstler weibliche Kunstpuppen und
    „weibliche“ Automaten. Die körpergroße Puppe von Oskar Kokoschkas, als Ersatz für seine verlorene
    Geliebte Alma Mahler oder die obsessiv erschaffenen, gequält wirkenden Kunstpuppen von Hans Bell-
    mer. Sie dienen den männlichen Schöpfern, wie Freud andeutet, ihrer Selbstkonturierung (Freud, S.,
    1919. Das Unheimliche. G.W. Bd. XII, 227-268.) und thematisieren gleichzeitig die Kompensation der
    Angst vor der Lebendigkeit der Frau.
5
    Colpe, C., Schmidt-Biggemann, W. (1993). Das Böse. Eine historische Phänomenologie des Unerklär-
    lichen. Suhrkamp, S. 8.
Das weibliche Böse                                                                               115

andere Schöne: Die Polizeipsychologin Beth, mit der Nick vor einigen Jahren ein Ver-
hältnis hatte. Wie er bald bemerkt, hatten die beiden Frauen gemeinsam Psychologie
studiert und waren durch eine kurze sexuelle Affäre verbunden. Und wie sich heraus-
stellt, ist auch der Ehemann der Polizeipsychologin unter mysteriösen Umständen
ums Leben gekommen ist. Nick ist überzeugt, dass beide Männer Opfer der bösen
Beth waren. Es kommt zum Showdown: Nick erschießt Beth, als sie ihre Pistole auf
ihn richtet. Die Schlussszene zeigt Nick und Catherine im Bett. Nun ist alles gut, das
Böse ist besiegt, die Liebe kann Einzug halten. Träume von Kindern äußert der Mann,
nicht die Frau. Von einer leidenschaftlichen Umarmung der beiden wird abgeblendet.
Dann ein Kameraschwenk, der den Blick auf einen Eispickel unter dem Bett freigibt.
Verhoeven setzt die Ambivalenz von Anziehung und Angst dramatisch in Szene. Ähn-
lich wie im Stummfilm inszeniert er das verführerisch Weibliche als Spannung zwi-
schen sehnsuchtsvoller Liebe und abgründigem Bösen, zwischen Leben und Tod.
Die Frau übernimmt die Führung. Sie manipuliert die Männer und benutzt sie zur Be-
friedigung ihrer Lust, und manchmal gibt sie sich ihnen auch hin. Sie ist draufgänge-
risch und nimmt sich, was sie haben will. Auch das macht Männern Lust, doch nicht
nur. Sie kennt die männlichen Schwächen, die sie berechnend und arglistig bedient:
Und schlussendlich, eine Frau kann einen Mann töten, der von ihr gefesselt, an sie
gebunden ist. Das filmische Narrativ verbindet Vorstellungen von selbstbestimmter
weiblicher Sexualität und drohend unkontrollierbarer Destruktivität.
Bislang dominierten beängstigende Phantasien die Geschichten über faszinierende,
begehrenswerte Frauen, die sich anders als das herrschende Rollenstereotyp einer lie-
bevollen Frau nicht bändigen lassen. Vorstellungen dieser Art finden sich nicht nur in
kulturellen Phantasmagorien und Alltagstheorien, sondern wurden auch in wissen-
schaftlichen Hypothesen aufgegriffen, die einen kausalen Zusammenhang behaupte-
ten: weibliche Emanzipation produziere weibliche Verbrechen6.

Die Verwissenschaftlichung des Bösen
Ein Blick zurück in die Anfänge der Verwissenschaftlichung des Bösen: Im 19. Jahr-
hundert setzte sich zunehmend ein Verständnis durch, dass das Böse als eine Qualität
von Personen annahm. Die Entwicklung der wissenschaftlichen Kriminologie und
Psychopathologie beförderte eine deutliche Verschiebung der Auffassung vom Ur-
sprung des Bösen: Von der Vernunft wurde das Böse in die Seele verlagert und damit
der Erkenntnis Rechnung getragen, dass es psychisch kranke Rechtsbrecher gibt. Das
Böse wurde auf diese Weise personalisiert, verdinglicht und zum Gegenstand psychi-
atrischer Analyse, während die Jurisprudenz über das Strafmaß zu entscheiden hatte.
Schon im deutschen Strafgesetzbuch von 1871 wurde Strafausschluss wegen psychi-
scher Erkrankung eingeräumt. In der Strafrechtsreform von 1933 wurde der gutach-
terlichen Prüfung der Zurechnungsfähigkeit neben Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB)
6
    Adler, F. (1975). Sisters in Crime: The Rise of the New Female Criminal. New York, McGraw Hill.
116                                                                                   Franziska Lamott

„verminderte Schuldfähigkeit“ (§ 21 StGB) an die Seite gestellt. Mithilfe psychiat-
risch-psychologischer Expertise konnte nun die böse Tat eingeordnet werden, ob sie
vernunftgeleitet (an Zwecken und Zielen ausgerichtet), also vorsätzlich geplant oder
im Zustand psychischer Störungen und Krankheit vollzogen wurde 7. Die Alternative
von „bad or mad“, von Strafe und Therapie hielt Einzug. Mit anderen Worten: Das
intendierte Böse, das moralische „bad“, setzt die Einsicht in das Unrecht der Tat, die
Schuld- und Steuerungsfähigkeit des Täters voraus, während man von „mad“ spricht,
wenn die Straffälligkeit auf eine krankheitswertige Störung rückführbar, die Schuld-
fähigkeit vermindert oder gänzlich aufgehoben ist.

Das Böse als Handlungsziel
In einem spektakulären Indizienprozess wurde in den 90er Jahren Monika Weimar
angeklagt, ihre beiden kleinen Töchter ermordet zu haben, „weil diese – so die Presse
– ihrer ehebrecherischen Beziehung zu einem US-Soldaten im Wege standen“8. Der
aufsehenerregende Kriminalfall wurde von Beginn an von einer moralisierenden An-
prangerung der ehelichen Untreue der Angeklagten begleitet. Diese Fokussierung war
nicht nur Ausdruck einer medienwirksamen Berichterstattung, sondern beeinflusste
ebenso die Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei vor Ort, die sich von Anfang an nur
auf die Frau konzentrierte. Die massenmediale Rhetorik und die narrativen Muster,
mit denen die Präsentation der mutmaßlichen Mörderin erfolgte, fokussierten ihre
Sexualität, brachten intime Details aus dem Privatleben der Beschuldigten ans Licht,
die in ihrer Ehe – so die Presse – wohl keine „sexuelle Erfüllung“ gefunden habe. Eine
Frau, die ihrem Mann nicht treu war, die ihre ehelichen und familiären Pflichten ver-
nachlässige, ihre Kinder nachts allein ließ, sexgierig und eiskalt das Haus verließ, um
sich zu amüsieren – „so eine ist zu allem fähig“. Die Verbindung von hemmungsloser
Sexualität und Mord kreiste um eine egoistische, rücksichtslose, eiskalte Frau, die die
Grenzen von Scham und Moral durchbrach. Besonders die interviewten Frauen vor
Ort ereiferten sich über Monika Weimar. Ihr wurden Charaktereigenschaften zuge-
schrieben, wie „berechnend, clever, egoistisch, rigoros und eiskalt“. „Der Moraldis-
kurs prangerte die vermeintliche sittliche Verkommenheit und Skrupellosigkeit der
Angeklagten an, verdichtete sich im Bild der Hure und kontrastierte dieses mit dem
gängigen entsexualisierten Mutterbild“9.
Verdachtsmomenten gegen den psychisch kranken, betrogenen, „armen“ Ehemann
wurde nicht nachgegangen, kriminalistische Spurensuche in diese Richtung nicht auf-
genommen. Obwohl Monika Weimar die Tat stets bestritt, wurde der auf Indizien
beruhende Prozess gegen sie mit dem Urteil „lebenslänglich“ geschlossen. Ein kurz

7
    Schulte, C. (1993). Böses und Psyche. In Colpe, C., Schmidt-Biggemann, W., Das Böse. Eine historische
    Phänomenologie des Unerklärlichen. Suhrkamp, S. 300-322, hier 321.
8
    Frankfurter Neue Presse, 9.1.88.
9
    Gransee, C. (2000) Weiblichkeit im Spannungsfeld von Anpassung, Aufbegehren und ‚sozialem Tod‘. In
    Querelles, Jahrbuch für Frauenforschung, S. 199-213.
Das weibliche Böse                                                                                  117

nach der Verurteilung angestrebtes Wiederaufnahmeverfahren – das sich u.a. auch der
fehlerhaften Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei annahm – endete sieben Jahre spä-
ter mit einem Freispruch für Monika Weimar. Doch dieser hatte nicht lange Bestand.
Nach zwei Jahren auf freiem Fuß wurde das Urteil in einem weiteren Verfahren auf-
gehoben. Monika Weimar wurde erneut verurteilt und nach insgesamt fünfzehn Jah-
ren Haft endgültig entlassen.
Der Prozess gegen Monika Weimar zeigt, welche Bedeutung der Sexualität der be-
schuldigten Frau, als einer Eigenschaft, im Sinne einer Böses verursachenden Quali-
tät, zugeschrieben wurde. Als treibendes Motiv für die Tat wurde ihr ein hemmungs-
loses sexuelles Verlangen unterstellt. Sie sei „sexgierig“, „triebhaft“ und dabei gänz-
lich „unweiblich“ (sic!) 10.
Metaphorisch wird das sogenannte weibliche Böse mit Eiseskälte assoziiert. Der Be-
deutungshof der Metapher reicht vom Maximum an Kälte, über Erstarrung bis hin
zum Verlust an Lebendigkeit. Die Eiseskälte, angespielt im Eispickel unter dem Lie-
besbett, im eiskalten Egoismus der Beschuldigten Monika Weimar und im Blick der
Beschuldigten von Perugia, Amanda Knox, dem „Engel mit den Eisaugen“. Auch
dieser Fall zeigt, welche zentrale Bedeutung die Unterstellung hemmungsloser, töd-
licher Sexualität bekommt. Ebenso wie im Fall Monika Weimar war der Prozess von
Phantasien über die Triebhaftigkeit der Beschuldigten begleitet und endete nach einer
Reihe von Revisionen schließlich nach zehn Jahren endgültig mit einem Freispruch.
Es wird deutlich, welchen Stellenwert kulturell geprägte Weiblichkeitsbilder haben.
Eine selbstbestimmte, von der Reproduktionsfunktion unabhängige Sexualität der
Frau ist – wie der Fall Monika Weimar besonders eindrücklich zeigt – in unserer Kul-
tur ein pathologisches Kontrastbild zur altruistischen, desexualisierten Mütterlich-
keit.11

Serientäterinnen
Die bisherigen Beispiele des weiblichen Bösen waren durch einen aktiven Bruch mit
herrschenden Weiblichkeitsmythen12 gekennzeichnet. Die nun folgenden Überlegun-
gen zielen auf das Gegenteil: auf einen instrumentellen Einsatz sogenannter weibli-
cher Eigenschaften. Unter vorgetäuschter Fürsorglichkeit und Pflege, nimmt das be-
trügerisch böse, meist tödlich endende Spiel seinen Lauf. So wähnten sich die Opfer
von Giftmörderinnen meist in einer mehr oder weniger wohlwollenden Beziehung zur
10
     Klein, U. (1994). Die Konstruktion von Frauenkriminalität in den Medien: Zum Fall Monika Weimar. In:
     Streit 3/1994, S. 108 - 115.
11
     Die moralische Verurteilung seitens der Öffentlichkeit hat sicher auch entlastende Funktionen. Beson-
     ders die der Frauen scheint eigene uneingestandene sexuelle Wünsche zu verdecken. Auf diese Weise
     lassen sich auch Aggressionen gegen aufgenötigte weibliche Anpassungsleistungen auf jene umlenken,
     die sich dem moralischen Korsett widersetzt haben.
12
     Lamott, F. (2019). Liliths Welt. Frauen im Maßregelvollzug. In Ulrich Kobbé (Hrsg.), Lilith im Maßre-
     gelvollzug – ein frauenforensischer Praxisreader. Lengerich, Pabst Verlag, S. 15-19.
118                                                                                Franziska Lamott

Täterin, die sich ihnen als Ehefrau, Mutter oder nahe Verwandte scheinbar arglos zu-
gewandt haben. Die Taten ließen sich weder vorhersehen noch abwenden.
So auch im Fall von Gesche Gottfried, der berühmten Bremer Serienmörderin des 19.
Jahrhunderts, die nach und nach insgesamt 15 Menschen aus ihrem nahen Umfeld mit
Arsen vergiftete: ihre verschiedenen Ehemänner, ihre Mutter, ihre Töchter, ihren Va-
ter, ihren Sohn und Bruder. Die vermeintlichen Unglücksfälle in der Familie trug
Gesche mit gefasster Trauer und „pflegte“ immer wieder hingebungsvoll den nächs-
ten tödlich Erkrankten. Man nannte sie den „Engel von Bremen“, da sie sich rührend
um die dahinsiechenden Verwandten und Freunde kümmerte. Irgendwann jedoch
wurde das Gift entdeckt und sie der vielen Morde überführt. 1831 endete ihr Leben
durch das Richtschwert. Sie war die letzte Person, die in Bremen öffentlich enthauptet
wurde.
Auch Martha Marek, ein bekannter Wiener Boulevard Star der 1930er Jahre, hatte
ebenso wie ihre Vorgängerin aus Bremen ihre Ehemänner und eine Reihe ihr nahe-
stehender Personen mit thaliumhaltigem Rattengift getötet. Sie liebte den Luxus und
reiche Männer, die ihr zu Glanz und testamentarisch verbrieftem Wohlstand verhal-
fen. 1938, nach dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland,
wurde Martha Marek als erste Delinquentin auf der kurz zuvor von Berlin nach Wien
gebrachten Guillotine hingerichtet.
Serielle Taten von Frauen sind, anders als die männlicher Serientäter, keineswegs se-
xuell motiviert. Meist spricht man ihnen ein Motiv der Habgier zu, um sich ein luxu-
riöses Leben – wie Martha Marek – zu finanzieren. Doch es gibt auch andere Fälle, in
denen – wie bei Gesche Gottfried – die finanziellen Vorteile eher geringfügig waren.
Ihr Verteidiger, gestützt auf ihre Aussagen, gab an, dass Gesche Gottfried einen inne-
ren Drang zum Töten verspürt habe. Auch Anselm von Feuerbach (1775–1835), einer
der ersten Kriminalpsychologen, vertrat 1828 in seiner Arbeit über eine vielfache
Giftmörderin, Anna Margaretha Zwanziger13, die Auffassung, dass es neben dem
Wunsch nach Bereicherung auch der Rausch sei, Macht über Menschen, über deren
Leben und Tod zu haben. Der Drang zur Wiederholung habe nahezu Suchtcharakter.
Weibliche Serientäterinnen bewegen sich im Schutz normativer, an Fürsorglichkeit
ausgerichteter Weiblichkeitsbilder. Die Täterinnen bleiben oft lange Zeit unentdeckt,
können sich in großem Maße auf die Arglosigkeit ihrer Opfer verlassen, da diese sich
ihnen vertrauensvoll hingeben. Das gilt nicht nur für den familiären Bereich, sondern
auch für die professionelle Betreuung in Heimen und Krankenhäusern. Im Schutz des
Heilauftrags einer Institution haben Krankenschwestern ihren Patienten im Schein
medizinischer Zuwendung, durch Insulin oder hohe Dosen an Beruhigungsmitteln,
den Tod gebracht. Motivisch erläutern sie ihre Taten oft als Erlösung der ihnen anver-
trauten leidenden Patienten. Die altruistisch klingende Begründung verdeckt nur
mühsam die Anmaßung, über Leben und Tod entscheiden zu können, Macht über an-
dere Menschen zu haben.
13
     von Feuerbach, P. J. A. (1828). Actenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen, Band 1, Gießen,
     S.1-53.
Das weibliche Böse                                                                                 119

Die Perfidie dieser seriellen Täterinnen besteht in ihrer Niedertracht, die fürsorgli-
chen, nährenden und mütterlichen Aspekte der weiblichen Rolle zu nutzen, um sich
des Vertrauens und der Loyalität ihrer Opfer sicher sein zu können.
In nahezu allen bekannt gewordenen Fällen ist das Gericht davon ausgegangen, dass
die Tötung der Menschen geplant, die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers heimtü-
ckisch ausgenutzt und die Taten im Zustand voller Zurechnungsfähigkeit durchge-
führt wurden, mithin keinerlei Exkulpationsgründe vorlagen, die eine Maßregel nahe-
gelegt hätten.

Das Böse als Ausdruck einer psychischen Störung
Unter welchen Umständen wird eine Tat „dämonisiert“ und mit der Härte des Geset-
zes bestraft und wann etwa wird eine „böse Handlung“ eher bagatellisiert oder als
Ergebnis einer psychischen Zwangslage verstanden, die Milderungsgründe nahelegt?

Mütter, die töten
Bis zur Strafrechtsreform 1998 war der Neonatizid, die Tötung eines Kindes inner-
halb der ersten 24 Stunden nach der Geburt, gegenüber anderen Tötungsdelikten pri-
vilegiert. Die Tötung eines nichtehelichen Kindes durch die Mutter während oder
unmittelbar nach der Geburt wurde im § 217 StGB alter Fassung seit dem 19. Jahr-
hundert speziell behandelt. Die Privilegierung bezog sich auf die Annahme einer psy-
chischen Zwangslage der unverheirateten Mutter, ein Kind unter den Umständen der
Nichtehelichkeit zu gebären. Die gesellschaftliche Entwicklung führte in den letzten
Jahrzehnten zu einer Normalisierung unehelicher Kinder; der Gesetzgeber sah die
Privilegierung als obsolet an. Heute kann eine psychische Zwangslage der Mutter al-
lenfalls als minder schwerer Fall von Totschlag angesehen werden.
Doch die Tötung eines Neugeborenen berührt ein zentrales Tabu. Es rührt an den fun-
damentalen Mythos naturgegebener, mütterlicher Liebe. Einer Mutter, die Leben
schenkt, unterstellt man (und das meist ein Leben lang), dass sie dem Kind wohlwol-
lend zugeneigt ist, besonders einem Neugeborenen. Die Tötung bedarf einer gutach-
terlichen Stellungnahme.
Neonatizid-Täterinnen14, die im Rahmen des Strafverfahrens psychologisch-psychia-
trisch untersucht wurden, wiesen überwiegend Persönlichkeitsstörungen bzw. -akzen-
tuierungen des ängstlich-vermeidenden Typus auf. Theresia Höynck von der Krimi-
nologischen Forschungsstelle Niedersachsen konstatierte, dass diese Frauen ohne
Begutachtung wohl kaum als auffällig bezeichnet worden wären. Oft gaben sie an,
von der Schwangerschaft nichts gewusst und erst im Augenblick der Geburt davon
14
     Höynck, T. (2011). Tötungsdelikte an Kindern – erste Ergebnisse einer bundesweiten Studie, insbeson-
     dere zu Neonatiziden. München.
120                                                                                     Franziska Lamott

überrascht worden zu sein. Schwangerschaften wurden verdrängt oder dissimuliert,
die Täterinnen wollten sie nicht wahrhaben. Erstaunlich ist, dass sie Partnern, der
nahen Umwelt und Ärzten verborgen bleiben konnten15.
Das bei der Entbindung sich bewegende Wesen scheint die Frauen in panische Angst
versetzt zu haben. Die forensische Gutachterin und Psychoanalytikerin Estela Well-
don16, gibt einen Hinweis darauf, dass Schwangerschaften auch zur Aufrechterhaltung
innerer Homöostase, gegen den Zusammenbruch des Selbst genutzt werden. Der in
ihnen gedeihende Fötus diene – wie eine Plombe – der Stabilisierung des Selbst und
schütze vor drohender Identitätsdiffusion.17 Mit der Geburt verlässt dieser „Teil“ ihren
Körper, gehört nicht mehr zu ihm und kann die Funktion der Selbststabilisierung nicht
mehr erfüllen. Angesichts der Lebendigkeit des neugeborenen Wesens erreicht die
Ausweglosigkeit der Situation offensichtlich einen Höhepunkt.
Was immer auch den Neonatizid motiviert haben mag, die psychopathologische
Reaktion auf die Geburt eines Kindes wird in den meisten Fällen als krankheitswertig
entschuldet. Denn das Versagen natürlicher Mutterliebe greift existenziell in die
Ordnung unserer Welt ein. Frauen, die ihr Kind getötet haben, werden daher im Ver-
gleich zu Frauen, die ihren Partner getötet haben, häufiger als schuldunfähig oder
vermindert schuldfähig dem Maßregelvollzug oder einer Sozialtherapeutischen An-
stalt überstellt18.

Sexualstraftäterinnen
Die Fassungslosigkeit angesichts des Mangels an „primärer Mütterlichkeit“ (Winni-
cott) erfasst die Öffentlichkeit nicht nur beim Neonatizid, sondern auch im Falle über-
griffiger, ihre Kinder missbrauchender Mütter. Bis vor einigen Jahren war es nahezu
unvorstellbar, dass Frauen sexuelle Straftaten begehen, sich an ihren Kindern vergrei-
fen und sexuelle Übergriffe ihrer Männer nicht bemerkt haben wollen. Auch in diesem
Fall schützen allgegenwärtige Ideale der fürsorgenden, desexualisierten Mutter, die
Sexualstraftäterinnen. Da Körperpflege und Fürsorge eine bedeutsame und weitge-
hend unangefochtene Domäne der Frauen sind, haben selbst Professionelle oft
Schwierigkeiten, Täterinnen des Missbrauchs zu überführen. Das zeigt sich in zögern-
dem Anzeigeverhalten, aber auch in der Zurückhaltung der Aufsichtsbehörden.19
Über Sexualstraftäterinnen gibt es wenige systematische Studien. 2019 hat Ulrike
Hunger, Juristin am Kriminologischen Institut der Universität Tübingen, eine empiri-
15
     Wille, R., Beier, K.M. (1994). Verdrängte Schwangerschaft und Kindstötung. Theorie-Forensik-Klinik.
     Sexuologie 2:75– 100.
16
     Welldon, E. (2003). Perversionen der Frau. Psychosozial-Verlag, Gießen.
17
     Wiese, A. (1996). Mütter, die töten. Psychoanalytische Erkenntnis und forensische Wahrheit. Fink Ver-
     lag, München.
18
     Lamott, F. (2013). Aspekte forensischer Psychotherapie. In Boothe, B., Riecher-Rössler, A., „Frauen in
     Psychotherapie“, Schattauer, Stuttgart, S. 220-229.
19
     Egli-Alge, M. (2019). Delinquenz ist männlich – ist Delinquenz männlich? In Ulrich Kobbé (Hrsg.),
     Lilith im Maßregelvollzug – ein frauenforensischer Praxisreader. Pabst, S. 61-67, hier S. 63.
Das weibliche Böse                                                                                  121

sche Arbeit über „Verurteilte Sexualstraftäterinnen“20vorgelegt. Auf der Suche nach
frauentypischen Merkmalen hat sie über hundert Strafakten von Frauen und Männern
verglichen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Hälfte der Sexualstraftäterinnen in
die Taten ihrer Männer durch „Nichtstun“, durch unterlassene Hilfeleistung, verwi-
ckelt waren. Die Frauen decken die Täter und machen sich dadurch strafbar. Anders
als männliche Sexualstraftäter verüben Frauen ihre Straftaten meist im familiären
Kontext. Hier sind sie enge Vertraute der Kinder und beteiligen sich als Mittäterinnen
an sexuellen Übergriffen und Gewalttaten ihrer Männer. In den meisten Verfahren
geben die Frauen an, nicht aus eigenen sexuellen Neigungen gehandelt zu haben.
Nach den in den Strafakten angegebenen Motiven der verurteilten Frauen ging es ih-
nen überwiegend „um die sexuelle Befriedigung ihres Mannes bzw. ihres Partners“,
da sie aus Angst „vor eigenen Misshandlungen oder aus Liebe, Hilflosigkeit oder Ab-
hängigkeit“21 gehandelt hätten.
Es sei hier kurz an den Sexualmord 2016 in Dessau erinnert: Eine chinesische Archi-
tekturstudentin der Bauhaus Universität wurde abends beim Joggen, ganz in der Nähe
ihrer Wohnung, von einer 20-jährigen jungen Frau angesprochen, mit der Bitte, ihr
dabei behilflich zu sein, einen schweren Gegenstand die Treppe hinaufzutragen. Der-
weil lauerte im Treppenhaus ihr gleichaltriger Partner, Vater ihres Kindes. Gemein-
sam überwältigten sie die junge Frau, schleppten sie in die Wohnung des nahezu leer-
stehenden Hauses und vergewaltigten das Opfer. Die Mittäterin beteiligte sich an der
Vergewaltigung, bevor sie den Täter mit dem Opfer allein ließ, um ihr Kind ins Bett
zu bringen. Als sie zum Tatort zurückkehrte, war das Opfer tot. Später bei der Ver-
nehmung wird sie sagen, dass ihr Lebensgefährte sie genötigt und bedroht habe, ihm
eine Frau zu besorgen, er wolle Sex zu dritt, sonst würde er sie verlassen.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der 20-jährige Täter, nach dem Erwachsenen-
strafrecht zu verurteilen sei, da keine Reifeverzögerung vorlag. Er wurde wegen Ver-
gewaltigung, Mord und Schwere der Schuld zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ver-
urteilt. Seiner ebenfalls 20-jährigen Partnerin wurde eine Reifeverzögerung attestiert.
Der Gutachter beschrieb sie als extrem unsichere Person mit massiven Verlustängsten
und einer ausgeprägten Fähigkeit, zu verdrängen. Sie sei „eine dependente Persön-
lichkeit… liefere sich den Wünschen ihres Partners aus und mache sie sich zu ei-
gen.“22 Das Gericht verurteilte sie wegen sexueller Nötigung nach dem Jugendstraf-
recht zu fünf Jahren und sechs Monaten. Sie wurde in eine sozialtherapeutische Ein-
richtung des Strafvollzugs überstellt.
Dass Störungsbilder geschlechtsspezifisch unterschiedlich gewichtet und bewertet
werden, zeigt sich in der bei Frauen eher seltenen Diagnose der Psychopathie. Diese
käme bei Frauen – so Lydia Benecke – weniger zur Anwendung, da Straftäterinnen
ihre psychopathischen Züge dadurch maskierten, dass sie nach einer vertrauten „Lo-

20
     Hunger, U. (2019). Verurteilte Sexualstraftäterinnen – Eine empirische Analyse sexueller Missbrauchs-
     und Gewaltdelikte. Duncker & Humblot, Berlin.
21
     Interview Frederike Pauli mit Ulrike Hunger, MDR Wissen, 20.8.2019.
22
     SZ, 6.9.2018 Auszug aus BGH-Urteil.
122                                                                                    Franziska Lamott

gik der typischen Vorstellungen von Weiblichkeit“23 handelten und manipulativ häufi-
ger den Eindruck vermittelten, verletzlich und schwach, oder auch besonders fürsorg-
lich und hilfsbereit zu sein. Es bleibt zu fragen, inwieweit die gutachterliche Stellung-
nahme eine Verstärkung des Selbstbildes der Täterin als Opfer, als eine von sexueller
Gewalt selbst Betroffene darstellt und ob so geschlechtsspezifische Rollenverteilun-
gen von Passivität und Aktivität bestätigt und fortgeschrieben werden.

Fazit
Wahrnehmung und moralische Beurteilung werden von Geschlechtermythen nach-
haltig geprägt. Sie liefern jene Vorlagen, nach der das weibliche Böse zwischen Dä-
monisierung und Verharmlosung bemessen wird. Es zeigten sich drei archetypische
Formationen:
(1) Frauen, die sich von den idealisierenden Weiblichkeitsbildern nicht bändigen las-
sen und das Rollenstereotyp der guten, reinen, desexualisierten Mutter sprengen. Ihre
offensiv gelebte Sexualität wird mit tödlichen Gefahren für andere assoziiert.
(2) Auch scheinbar selbstlose, aufopfernde Mütterlichkeit kann tödlich sein, wenn die
vermeintlich natürliche Disposition instrumentell eingesetzt wird. Im Schutz vorge-
täuschter Fürsorglichkeit kann sich das betrügerische, tödliche Spiel besonders gut
entfalten.
Beide Formen des weiblichen Bösen – sowohl die offensive Zurückweisung wie die
betrügerische Instrumentalisierung weiblicher Rollenstereotype – gehen mit einer Dä-
monisierung dieses Archetypus einher. Strafrechtlich dürften diese Straftäterinnen die
Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.
(3) Es gibt drittens „böse Handlungen“ von Frauen, die eher bagatellisiert und als
Folge einer psychischen Zwangslage verstanden werden, mithin Milderungsgründe
nahelegen. Zurückgegriffen wird dabei auf gängige weibliche Sozialcharaktere: ten-
denziell passive, dependente und sexuell unterwürfige Persönlichkeiten. Diagnosen
dieser Art bergen nicht nur die Gefahr, Täterinnen auf eine Opferrolle festzulegen,
sondern auch Straftaten zu verharmlosen.
Auch dies ein möglicher Hinweis auf die Fortschreibung altvertrauter Muster, die in
der Öffentlichkeit den Eindruck erhärten, dass Frauen zu bestimmten Taten nicht fä-
hig sind, sondern nur durch Männer dazu genötigt werden. Auch dies könnte auf kol-
lektive Formen der psychosozialen Abwehr des weiblichen Bösen hinweisen24.
Damit – so ließe sich sagen – lieferten diese auch einen Beitrag zu einer hartnäckigen
„gesellschaftlichen Verleugnungskultur“ 25, in der nicht sein kann, was nicht sein darf:
23
     Benecke, L. (2019) Weibliche Psychopathie im Spiegel der Wissenschaft. In U. Kobbé (Hrsg.), Lilith im
     Maßregelvollzug. Ein frauenforensischer Praxisreader. Lengerich, Pabst-Verlag, S. 87-105, hier S. 97.
24
     Mentzos, S. (1988). Interpersonale und institutionalisierte Abwehr. Frankfurt a.M., Suhrkamp.
25
     Tozdan, S. (2020). Sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen. In Forensische Psychiatrie und Psycho-
     therapie 2, S. 161-173, hier S. 168.
Das weibliche Böse                                                                       123

dass Frauen wie Männer gleichermaßen Gutes und Böses zum Ausdruck bringen –
und auch tun.

Literatur
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Benecke, L. (2019). Weibliche Psychopathie im Spiegel der Wissenschaft. In U. Kobbé (Hrsg.),
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