David Ricardo: Pessimistischer Liberalismus - A. Einleitende Bemerkungen I. Vom Optimismus von Adam Smith zum Pessimismus von Ricardo
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Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte David Ricardo: Pessimistischer Liberalismus A. Einleitende Bemerkungen I. Vom Optimismus von Adam Smith zum Pessimismus von Ricardo 1. Wieso war Adam Smith ein Optimist? Das System von Adam Smith ist eine Kombination der 'Theorie der moralischen Gefühle' und des 'Reichtums der Nationen'. Im ersteren Werk steht das 'soziale Mitgefühl' im Vordergrund, im zweiten das 'Eigeninteresse'. Die sozial angemessene oder natürliche Kombination der beiden stellt 'propriety' (Angemessenheit, Schicklichkeit) dar. Wenn alle Individuen gemäss den Regeln der 'propriety' handeln, dann ergibt sich ein soziales Optimum: Eine unsichtbare Hand bewirkt, dass das Verfolgen von Eigeninteresse nicht nur die Situation jedes einzelnen verbessert, sondern über den Tausch (Märkte) auch eine gesellschaftliche Besserstellung erreicht wird: Der Reichtum eines Landes ist maximal, ebenso die Wachstumsrate, mit der der Reichtum zunimmt. Dieses soziale Optimum impliziert ein ethisch-ökonomisches Gleichgewicht und stellt gleichzeitig ein System der natürlichen Freiheit dar, das den einzelnen Individuen maximale Freiheitsräume bietet. Das System der natürlichen Freiheit von Adam Smith kann als eine Reaktion gegen Absolutismus und Merkantilismus aufgefasst werden, vor allem gegen das Bestehen vererbbarer Privilegien für Adelige, hohe Geistlichkeit und eines Teils der Grossbürger: Landbesitz und damit verbundene Einkünfte, Handels- und Manufakturprivilegien, Steuereinziehung, richterliche Ämter. Auch die Zünfte sind mit Privilegien verbunden. Merkantilismus: - Handels- und Manufakturmonopole, Zölle, Streben nach Exportüberschuss > vermehrte wirtschaftliche Aktivität (Beschaffung von finanziellen Mitteln für den absoluten Staat). Mit seinem System der natürlichen Freiheit (und damit dem Ende der staatl. Bevormundung) versprach sich Adam Smith eine Zunahme der Freiheitsräume für alle Individuen und eine kontinuierliche materielle Besserstellung. Die mit der Veröffentlichung des 'Reichtums der Nationen' einsetzende industrielle Revolution verstärkte den Optimismus von Adam Smith. 1
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte 2. Der Pessimismus von Ricardo ergab sich aus den ersten negativen Auswirkungen der industriellen Revolution (Arbeitsbedingungen, inkl. Arbeitszeit; Druck auf die Löhne; Kinder- und Frauenarbeit). Der Hauptgrund für Ricardos Pessimismus war das unweigerliche langfristige Zustandekommen des stationären Zustandes, gekennzeichnet durch − Versiegen des technischen Fortschrittes (keine technischen Neuerungen mehr) − auch die Profite werden gleich Null sein > deshalb kein Wachstum und keine Verbesserung der materiellen Lage durch Kapitalakkumulation, − sehr ungleiche Einkommensverteilung: hohe Renten und niedriger - ev. minimaler - natürlicher Lohnsatz. Ricardo hatte sich damit abgefunden, dass langfristig Massenarmut ein natürliches Phänomen sei. Armut ist die Voraussetzung für das Bestehen wohlhabender Bevölkerungsschichten, die Staats- und Kulturträger sind. (Diese letzteren sind die eigentlichen Bürger, die Arbeiter - Lohnarbeiter - nehmen die Funktion der aristotelischen Sklaven ein.) II. Leben und Werk Ricardos David Ricardo wurde am 19. April 1772 in London geboren. Seine Familie war eine jüdische Kaufmannsfamilie (der Vater war aus Holland eingewandert; die Familie Ricardo war wahrscheinlich ursprünglich portugiesisch - um 1490 erfolgte die Vertreibung der Juden von der iberischen Halbinsel). Ricardos Vater war Börsenmakler und galt als einer der reichsten Männer Londons (und damit Englands und Europas). David Ricardo erhielt eine kaufmännische Ausbildung und trat bereits mit 14 Jahren ins Erwerbsleben ein, als Börsenmakler. Mit der Zeit wuchs der Gegensatz zwischen dem konservativ gesinnten Vater und dem liberalen und fortschrittlichen Sohn. Die endgültige Trennung von Vater und Sohn erfolgte 1793: D.R. tritt zum Christentum über und heiratet eine christliche Engländerin. Der Vater enterbt ihn, und damit ist D.R. mit 21 Jahren mittellos. 2
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Einige Freunde gewähren ihm jedoch Darlehen. Mit diesen erwirbt sich David Ricardo innerhalb weniger Jahre durch geschickte Börsenoperation ein immens grosses Vermögen (kleine Margen, grosse Volumen). Man sagte, dass er mit 25 Jahren reicher war als sein Vater. David Ricardo nutzte seine wirtschaftliche Unabhängigkeit, um sich von 'übermässiger Erwerbstätigkeit' zurückzuziehen. Im Jahre 1797, im Alter von 25 Jahren, trat er eine Art von 'Teilruhestand' ein. Ab 1798 wendet er sich den Naturwissenschaften zu (Mathematik, Physik, Mineralogie). 1799 - 27jährig - wird er mit dem Hauptwerk von Adam Smith - dem 'Reichtum der Nationen' (1776) - bekannt. Dieses Buch beeindruckte Ricardo so sehr, dass er sich von nun an nur noch mit Fragen der ökonomischen Theorie beschäftigte. Sukzessive wurde der Autodidakt Ricardo zum grössten reinen Theoretiker in der Geschichte der ökonomischen Theorie (neben ihm stehen Léon Walras, Piero Sraffa und Luigi Pasinetti). Während 10 Jahren (1799-1809) hat Ricardo nur gelesen und kritische Aufzeichnungen gemacht. Erst 1809 trat er mit einer Aufsehen erregenden Schrift an die Öffentlichkeit: "The high price of bullion, a proof of the depreciation of bank notes". Ricardo vertritt hier eine Geldtheorie, die man heute als monetaristisch bezeichnen würde: Mehr Banknoten führen zu höheren Preisen; das Volumen der wirtschaftlichen Aktivität ist gegeben. 1809 - 37j. - wird Ricardo zum Parlamentsabgeordneten gewählt. Er übte im Parlament einen sehr starken Einfluss zu wirtschaftlichen Sachfragen aus: Seine unvergleichlichen theoretischen Fähigkeiten erlaubten es ihm, die Probleme klar und einfach zu formulieren. So hat er das Terrain vorbereitet für die Abschaffung der Getreidezölle im Jahre 1846. 1815 folgt eine weitere grundlegende Schrift: "An essay on the influence of a low price of corn on the profits on stock". Hier legt er sein Weizenmodell der Verteilungstheorie dar. Auf diese einfachste Version der Verteilungstheorie werden wir ausführlich zu sprechen kommen. 1817 veröffentlichts Ricardo sein Hauptwerk: "On the Principles of Political Economy and Taxation" (3. Auf 1823). Dieses Werk machte Ricardo zum eigentlichen Begründer der theoretischen Nationalökonomie. Vor allem die klassische Theorie des Wertes und der Verteilung, aber auch die Außenhandelstheorie sind hier in einmalig klarer Art und Weise dargestellt. Die 'Principles' sind aus einer Kritik des 'Reichtums der Nationen' herausgewachsen. Ricardo schuf damit das erste widerspruchsfreie System der Politischen Ökonomie. 3
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte (Ricardo hätte es nicht gewagt, ein Buch zu schreiben. James Mill, der Vater von John Stuart Mill, hat ihn deshalb regelrecht gezwungen, die 'Principles' zu schreiben, indem er ihm 'Hausaufgaben' in der Form von Themen gab und diese sprachlich überarbeitete. Daraus sind die 31 Kapitel der 'Princples' entstanden. Damit hat Ricardo nicht eigentlich ein Buch, sondern eine Sammlung von Essays geschrieben.) Seine Theorie stellt den Brennpunkt in der Entwicklung der ökonomischen Theorie dar, wenn man den klassisch-keynesianischen Standpunkt einnimmt. Vom neoklassischen Standpunkt aus ist der Brennpunkt Walras (Schumpeter). Wegen der tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen politischen Ökonomen der klassisch-keynesianischen Tradition und neoklassischen Ökonomen ist auch Ricardo stark umstritten. Z.B. sagt Joseph Schumpeter: 'Ricardo hat die Theorie der Preisbestimmung durch Angebot und Nachfrage nie verstanden. Er ist deshalb als Theoretiker nicht wirklich ernst zu nehmen.' Heute erleben wir jedoch eine eigentliche Ricardo-Renaissance. Damit sind verbunden Sraffa, Pasinetti, die Post-Keynesianer und die politischen Ökonomen der klassisch-keynesianischen Schule. III. Der wirtschaftsgeschichtliche Hintergrund (siehe Wirtschaftsgeschichte) 1. Die industrielle Revolution: der Aufstieg England zur alles dominierenden Wirtschaftsmacht. 2. Die Lage der Arbeiterschaft, die nach 1815 und bis etwa 1848 besonders schlimm war. IV. Der geistige Rahmen Der geistige Führer der englischen Liberalen zu Beginn des 19. Jh. war Jeremy Bentham. Bentham und Ricardo waren beide Mitglieder der "Philosophical Radicals" (Philos. Radikalen; so genannt, weil einige ihrer Gedanken revolutionär waren: z.B. abnehmender Grenznutzen könnte Gleichheit der Einkommen implizieren). Mit der von dieser Schule vertretenen Sozialphilosophie des Utilitarismus waren auch bestimmte politische Implikationen verbunden (diese beiden Punkte kurz streifen). 4
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte 1. Der Utilitarismus Kann auf eine einfache Formel gebracht werden: Das grösste Glück der grössten Zahl. U = u(y) B = u(x1, x2, ...) B (U = gesellschaftlicher Gesamtnutzen, u = Nutzen eines einzelnen Individuums, abhängig vom Einkommen y, B = Bevölkerungszahl) Radikale Implikation dieser Doktrin: bei gegebener Bevölkerung maximiert eine Gleichverteilung des Volkseinkommens den gesellschaftlichen Gesamtnutzen U: alle Individuen sollten das gleiche Einkommen y erhalten. Dies wegen des Gesetzes des abnehmenden Grenznutzens. Der Utilitarismus beinhaltet eine Robinson Crusoe-Sicht des Menschen (soziale Beziehungen ausgeschlossen oder unwesentlich (extremer Individualismus). Wichtig sind eigentlich nicht das Prinzip der Nutzenmaximierung, sondern die materiellen und immateriellen Güter, die in die Nutzenfunktion eingehen. Dies ist ein ethisches Problem: Welche Güter bewirken eine permanente Steigerung des Wohlbefindens des Menschen? Welche materiellen und immateriellen Güter sind mit einem guten Leben verbunden? (Das heisst auch: Ausschalten von Gütern, die kurzfristig scheinbar Nutzen stiften, langfristig für den Menschen jedoch schädlich sind.) 2. Politische Implikationen des Systems der 'Philosophischen Radikalen' a) Vertreten eines extremen Laissez-Faire Phil. Rad. sind gegen die Fabrikgesetzgebung, die abzielt auf − Verbesserung der Arbeitsbedingungen − Einschränkung von Frauen- und Kinderarbeit Grund: Leiden und Übel gehören zum natürlichen Zustand (Arbeiterklasse muss einen Überschuss produzieren damit höheres politisches und kulturelles Leben möglich ist). Eingriffe in den natürlichen Zustand, z.B. durch Armengesetze, bringen ev. kurzfristige Verbesserungen, sind aber langfristig schädlich, vor allem weil weniger Mittel für die Kapitalakkumulation bereit stehen. 5
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte b) Demokratie und Meinungsfreiheit werden gefordert, wobei allerdings das aktive und passive Wahlrecht an ein bestimmtes Einkommen gebunden ist. Impliziert ein uneingeschränktes Vertrauen in die menschliche Erkenntnisfähigkeit. c) Erziehung und Bildung ist demnach für das Funktionieren der Demokratie wichtig. Allerdings sind die gesellschaftliche Oberschicht, inkl. die englische Hochkirche, und wissenschaftliche Vereinigungen vorwiegend gegen allgemeine Schulbildung für die Arbeiterklasse: Die Arbeiter würden sich Wissen, auch über soziale Zustände erwerben, und dann nicht mehr bereit sein, sich mit ihrem Schicksal abzufinden. B. Ricardos Theorie I. Einleitende Bemerkungen Das ökonomische Werk von David Ricardo ist aus seiner Kritik an Adam Smith herausgewachsen. Vor allem gab sich Ricardo nicht zufrieden mit der Bestimmung der Preiskomponenten durch vage und zum Teil widersprüchliche Angebots- und Nachfragefaktoren bei Adam Smith. So ist bei Adam Smith nicht klar ob der Wert bestimmt durch die bei der Produktion eingesetzte Arbeitsmenge oder durch Angebot und Nachfrage. Ricardo eliminierte die Widersprüche aus Adam Smiths System und stellte die Wert- und Verteilungstheorie auf eine sichere Grundlage. Er ging aus vom sozialen Produktionsprozess und hat die Arbeitswerttheorie und das Überschussprinzip der Verteilung herausgearbeitet. Er kann deshalb zusammen mit François Quesnay als einer der Mitbegründer der Politische Ökonomie betrachtet werden. Ricardo beschäftigte sich mit allen grossen Problemen der ökonomischen Theorie: Verteilung, Wert, Wachstum, Beschäftigung und Aussenhandel sowie mit Fragen der Besteuerung. Methodisch gesehen war Ricardo ein kompromissloser Realist. Er versuchte immer an das Wesen eines Sachverhaltes, z.B. Wert, heranzugehen, d.h. Prinzipien herauszudestillieren, reine Theorie zu erarbeiten. Er war konsequenterweise ein hervorragender Modellbauer: es ging ihm darum, komplexe Sachverhalte mit einem möglichst einfachen Modell zu erklären (ein kompliziertes Modell zu bauen ist keine Kunst, das ist ein Handwerk!). Ricardo ist wahrscheinlich der beste Theoretiker in der Geschichte der ökonomischen Theorie. 6
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte II. Die Verteilungstheorie 1. Allgemeines Ricardo geht das Verteilungsproblem vor dem Problem des Wertes an, weil die Regelung der Einkommensverteilung Vorbedingung ist für die Lösung des Wertproblems. (Bei Adam Smith und in der heutigen neoklassischen Theorie ist es gerade umgekehrt: Hier ist das Verteilungsproblem ein Anhang zur Werttheorie.) Die einfachste Version von Ricardos Verteilungstheorie ist im Essay von 1815 enthalten: Ein Essay über den Einfluss eines niedrigen Getreidepreises auf den Kapitalgewinn (An essay on the influence of the low price of corn on the profits on stock). Im Vorwort zu den 'Principles', seinem Hauptwerk, schreibt Ricardo: "Der Gesamtertrag der Erde, d.h. alles, was von ihrer Oberfläche durch vereinte Anwendung von Arbeit, Maschinen und Kapital gewonnen wird, verteilt sich unter drei Gesellschaftsklassen, nämlich der Grundeigentümer, die Besitzer ... des Kapitals, das zum Anbau des Bodens erforderlich ist, und diejenigen, durch deren Arbeit er bebaut wird. Doch pflegen auf den verschiedensten gesellschaftlichen Entwicklungsstufen die jeder dieser Klassen aus dem Gesamtertrage der Erde als Grundrente, Kapitalprofit und Arbeitslohn zufallenden Anteile insofern wesentlich verschieden zu sein, als sie hauptsächlich von der jeweiligen Fruchtbarkeit des Grund und Bodens, von der Anhäufung des Kapitals und der Bevölkerung, sowie auch von der im Ackerbau stattfindenden Anwendung von Geschicklichkeit, Talent und Werkzeugen abhängen. Die Gesetze aufzufinden, welche diese Verteilung bestimmen, ist das Hauptproblem der Volkswirtschaftslehre." Dieses grundlegende volkswirtschaftliche Problem, das Verteilungsproblem, kann nun anhand des Weizenmodells - enthalten im Essay von 1815 - am besten erklärt werden. Wir halten uns dabei an die sehr einfache graphische Darstellung dieses Modells, die der ungarisch-englische Ökonom Nicholas Kaldor 1956 in einem Artikel entwickelt hat. 2. Das Grundmodell der Einkommensverteilung (das Weizenmodell) Bei David Ricardo wird die Einkommensverteilung in demjenigen Sektor geregelt, der die lebensnotwendigen Konsumgüter herstellt. Dies ist der landwirtschaftliche Sektor; Weizen 7
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte steht stellvertretend für Nahrungsmittel sowie Rohstoffe, aus denen, mit Hilfe von Arbeit, andere lebensnotwendige Güter wie Häuser, Kleider und Schuhe hergestellt werden. Die Verteilung muss nach Ricardo im landwirtschaftlichen Sektor geregelt werden, weil der Reallohn notwendigerweise in lebensnotwendigen Gütern ausgedrückt ist (lebensnotwendige Gütermengen, die mit dem Geldlohn gekauft werden können). Renten und Profite ergeben sich dann als Restprodukt in diesem Sektor; beide, Profite und Renten, bilden den Überschuss, der im landwirtschaftlichen Sektor zustandekommt. Um das Weizen-Verteilungsmodell darzustellen, gehen wir aus von einer technischen Beziehung zwischen Input und Output. Der Input besteht aus Arbeit und Boden, der Output aus Weizen: QL dQL / dNL QL/NL NL Hinter dieser Darstellung steckt folgende Überlegung: Der landwirtschaftliche Boden in gleich grosse Parzellen eingeteilt. Diese werden nach ihrer Güte geordnet. Auf diesen Parzellen werden jeweils bestimmte gleich bleibende Arbeitsmengen eingesetzt. Zuerst werden die besten Böden bebaut, dann immer schlechtere. Der Output nimmt also immer zu, wenn auch in immer geringerem Masse. Er erreicht ein Maximum und kann sogar abnehmen, wenn die Ernte das Saatgut nicht mehr ersetzt (solche Böden werden natürlich nie angebaut). 8
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Mit dem Kaldor-Diagramm kann die einfachste Version der Verteilungstheorie von Ricardo festgehalten werden: QL/NL dQL/dNL P D C Renten B A Profite W K Löhne M O NL Das Gesamtprodukt ist: OMDC (Durchschnittsprodukt pro Arbeiter mal Arbeitseinsatz) oder OMAP (Summe der Grenzprodukte jeder Gruppe von Arbeitern) Zwei Prinzipien regulieren nun die Verteilung des Gesamtproduktes in der Landwirtschaft: das Marginalprinzip und das Überschussprinzip. − Das Marginalprinzip legt die Höhe der Bodenrente fest. Vereinfachende Annahme: Der schlechteste gerade noch bebaute Boden erhält keine Rente. Alle besseren Böden erhalten eine Differentialrente, die umso höher ist, je besser der Boden ist. Die Rente ist somit gegeben durch BAP oder BADC, (was impliziert, dass die von PC und DA ausgehenden segelförmigen Flächen gleich gross sein müssen). − Beim Überschussprinzip geht es um die Aufteilung des Restprodukts OMAB in Löhne und Profite. Bei der Bestimmung der Lohnsumme ist die Festlegung des natürlichen Lohnsatzes von zentraler Bedeutung. 9
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Der natürliche Lohnsatz soll den Unterhalt des Arbeiters und seiner Familie ermöglichen, wobei die Familiengröße so ist, dass die Bevölkerung konstant bleibt (2-3 Kinder, die die Eltern ersetzen; es sind etwas mehr als zwei Kinder erforderlich, weil einige Leute nicht heiraten). Der natürlich Lohnsatz hat eine bestimmte soziale Funktion: Er soll die langfristige Arbeitsfähigkeit und Reproduktion der Arbeiter garantieren. Entscheidend ist, dass der natürliche Lohnsatz nicht auf einem Faktormarkt bestimmt wird, sondern durch physiologische, soziale und politische Faktoren festgelegt wird. > Grundlegende und permanente gesellschaftliche Vorstellungen, was der natürliche Lohnsatz ist (Institutionen). Der natürliche Lohnsatz ist konstant oder er kann sich langsam verändern: − Er kann im Zeitablauf in einem Land variieren, z.B. zunehmen, wenn permanent vermehrt Kapital akkumuliert wird. − Er kann in einem bestimmten Zeitpunkt in verschiedenen Ländern und Regionen unterschiedlich sein. (In England > als in Frankreich > grösser als in Polen). In der Graphik ist der natürliche Lohnsatz gleich OW. Die Konkurrenz unter den Arbeitern bewirkt, dass dieser im Prinzip für alle Arbeiter gleich ist. Die Lohnsumme ist demnach OMKW. Sobald der natürliche Lohnsatz und die Lohnsumme bestimmt sind, sind die Profite eine Restgrösse, sozusagen ein Überschuss, der aus dem Produktionsprozess herauskommt. Daher auch der Name Überschussprinzip. Die Profite und die Profitrate werden auf dem schlechtesten Boden bestimmt. Die dort anfallenden Profite sind AK. Die Profitsumme ist WKAB. In diesem einfachen Modell ist der Kapitaleinsatz gegeben durch die Lohnsumme OMKW. Dieses Kapital ist eigentlich nur Umlaufskapital. Man kann aber Fixkapital auch hineinnehmen, indem die Arbeit als direkte und indirekte Arbeit auffasst (indirekte Arbeit produziert die Geräte, die im landwirtschaftlichen Sektor verwendet werden). Die Profitrate r ist das Verhältnis von Profiten zum Kapitaleinsatz: r = AK/KM oder r = WKAB / OMKW . 10
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die Konkurrenz bewirkt, dass auf allen Böden die gleiche Profitrate realisiert wird. Die landwirtschaftliche Profitrate ist r = rL. Diese Profitrate bestimmt nun auch die Profitrate in der Industrie rI. III. Probleme im Zusammenhang mit Verteilung und Wachstum 1. Der prinzipielle Zusammenhang zwischen Verteilung und Wachstum Für Ricardo haben die Profite eine bestimmte natürliche Funktion: Sie finanzieren die Investitionen, die unmittelbar mit dem Wachstum des landwirtschaftlichen Sektors und damit des Sozialprodukts verbunden sind. (Der landwirtschaftliche Sektor enthält auch Industrie und Handwerk, sofern sie Geräte und Maschinen für die Landw. produzieren: indirekte Arbeit!). Ricardo arbeitet mit folgenden Beziehungen: Die Lohnsumme W ist gleich dem Kapitalstock K: W = K. Die Profite werden voll investiert: P = I. Die Investitionen sind gleichbedeutend mit einer Ausweitung des Kapitalstocks: I = ∆K. Die Profitrate ist damit gleich der Wachstumsrate des Systems: r = P/W = P/K = I/K = ∆K/K = gK . Die Wachstumsrate des Kapitalstocks bestimmt auch die Wachstumsrate des Sozialprodukts und der Bevölkerung. Der Zusammenhang zwischen Profitrate und Wachstumsrate ist zentral für die klassische politische Ökonomie. Wichtig: Ricardo vertritt uneingeschränkt das Saysche Gesetz, das verschieden ausgedrückt werden kann: 11
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Allgemeine Überproduktion ist unmöglich; jedes Angebot schafft sich seine eigene Nachfrage; Geld ist nur ein Schleier (Einkommen werden entweder konsumiert oder gespart und investiert; niemand hält Geld, weil dies keinen Ertrag abwirft). 2. Wachstum, Landwirtschaft und Handelspolitik Kaldor-Diagramm QL/NL dQL/dNL P D C Renten Profite Renten B A W Profite K O NL M’ M Aus dem Kaldorschen Grunddiagramm für die Verteilungstheorie von Ricardo ergibt sich, dass ein relativ geringer Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft mit einer hohen Profitrate verbunden ist und umgekehrt. Dabei verändern sich die Wachstumsrate und die Profitrate in die gleiche Richtung. Ein rasch wachsender Kapitalstock impliziert nun, dass der Marktlohnsatz w den natürlichen Lohnsatz w* übersteigt: W = K + ∆K = K + P W / NL = w > w* Eine solche Situation würde nach Robert Malthus (Bevölkerungstheoretiker; Zeitgenosse und Freund Ricardos) zu einem raschen Bevölkerungswachstum führen, damit auch von NL, und somit würden die Profitrate und die Wachstumsrate in der Landwirtschaft wiederum sinken. Der Marktlohnsatz würde sich wiederum dem natürlichen Lohnsatz anpassen. 12
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Ricardo erhoffte sich dagegen, dass die rasche Akkumulation von Kapital langfristig zu einem Anstieg des natürlichen Lohnsatzes führen würde. Dies würde die Lage der Arbeiterschaft verbessern. (Obwohl gegen Armengesetze - die den Profit vermindern würden - war Ricardo überaus sozial gesinnt.) Deshalb die Anzahl der landwirtschaftlichen Arbeiter möglichst klein halten, d.h. nur die besten Böden anbauen. Rest der Arbeiter in Exportindustrien einsetzen: Industrie-Güter exportieren, vor allem Textilien! Im Gegenzug landwirtschaftliche Güter importieren. Diese Organisation der Wirtschaft impliziert die Abschaffung der Getreidezölle: Der Import billiger landwirtschaftlicher Produkte wird dann möglich. Ricardo hat im englischen Parlament immer die Abschaffung der Getreidezölle verfochten. Im Jahre 1846 - 23 Jahre nach Ricardos Tod - wurde seine Forderung realisiert. Mit seiner Theorie: hohe Profite, niedrige Renten, vertrat Ricardo die Interessen der Unternehmer, des neuen Industriebürgertums, gegen die Interessen der landbesitzenden Aristokratie, die natürlich an hohen Renten interessiert war. Robert Malthus, ein Freund und gleichzeitig wissenschaftlicher Gegner Ricardos, forderte dagegen hohe Renten und niedrige Profite (und vertrat so gewollt oder ungewollt die Interessen der Grundbesitzer). Malthus argumentierte wie folgt: − Hohe Profite und damit hohes Wachstum sind schlecht, weil ein zu grosser Kapitalstock aufgebaut wird und die damit verbundene Produktion nicht voll abgesetzt werden kann. − Deshalb sei es vernünftiger, die Nachfrage nach Konsumgütern im weitesten Sinn zu steigern. Das könne geschehen durch eine Erhöhung des Rentenanteils am Volkseinkommen, weil höhere Landrenten zu einer höheren Nachfrage nach Luxusgütern führe, für kulturelle Zwecke eingesetzt werden können oder zusätzliche Staatsausgaben finanzieren können. Malthus machte deshalb den antiliberalen Vorschlag, die Einfuhrzölle für Getreide beizubehalten und damit auch schlechtere landwirtschaftliche Böden zu bebauen. 13
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Mit seinen Vorschlägen wurde Malthus zu einem Vorläufer von Keynes. (Malthus wird übrigens von Keynes lobend erwähnt und als erster Cambridge-Ökonom bezeichnet - Malthus war Mitglied des Jesus College in Cambridge). Schliesslich unterlagen die Argumente von Malthus denjenigen Ricardos: − Allgemeine Überproduktion sei unmöglich. Das Angebot könne nie zu gross sein und seine Struktur spiele keine Rolle: mehr Konsumgüter oder mehr Investitionsgüter. − Ricardo stützte sich auf das Gesetz von Say: − Die Einkommen werden immer ausgegeben, um Konsum- und Investitionsgüter zu kaufen. P = S bestimmt I! 3. Verteilung und Wachstum im Zeitablauf Kaldor-Diagramm QL/NL dQL/dNL P D C Profite W Profite O NL M M’ Wenn aufgrund von Bevölkerungswachstum die Beschäftigung im landwirtschaftlichen Sektor zunimmt, verändert sich die Einkommensverteilung. Je nach Form der Produktionsfunktion bleibt die Rentenquote konstant oder nimmt zu auf Kosten der Profitquote, die schlussendlich gegen Null strebt. Die Lohnquote nimmt zu, wobei der natürliche Lohnsatz konstant bleibt oder langfristig auf das reine Existenzminimum absinken kann. 14
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die Entwicklung der Verteilungsquoten kann auch anhand der Preisgleichung für landwirtschaftliche Güter (Weizen) dargestellt werden: pL = wG nL (1 + r) nL = dNL / dQL Im Zeitablauf steigt der Weizenpreis pL, weil wegen der schlechter werdenden Böden immer mehr Arbeit eingesetzt werden muss, um eine bestimmte Weizenmenge zu produzieren: nL steigt. Wenn aber der Weizenpreis zunimmt, muss auch der Geldlohnsatz wG steigen, so dass der natürliche Lohnsatz w* erhalten bleibt (die Profitrate r muss sinken: siehe Kaldor-Diagramm). Mit steigendem Weizenpreis steigt die landwirtschaftliche Rente automatisch an (ein höherer Weizenpreis bewirkt eine steigende Rente). Dies kann auch graphisch dargestellt werden: PL R rwGnL wGnL NL 4. Das malthusianische Bevölkerungsgesetz und der stationäre Zustand Ricardos Freund, Robert Malthus, versuchte, die Gesetzmäßigkeiten der Bevölkerungsentwicklung zu bestimmen. Vereinfachend besagt dieses Gesetz, dass die Bevölkerung wächst, wenn der Marktlohnsatz den natürlichen Lohnsatz übersteigt. Der natürliche Lohnsatz würde nämlich die Bevölkerung gerade konstant halten (Familien mit 2 bis 3 Kindern). Ausgehend von der Proportionalität zwischen Arbeitsmenge und Bevölkerung kann das Wesentliche am malthusianische Bevölkerungsgesetz anhand einer einfachen Beziehung festgehalten werden: 15
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte ∆NL = c (w - w*) w* ist der natürliche Lohnsatz, w der Marktlohnsatz K / NL (K, das umlaufende Kapital ist gleich der Lohnsumme W, die wiederum gleich der Summe der in der Vergangenheit investierten Profite ist; NL ist die Beschäftigung in der Landwirtschaft). c ist ein Reaktionskoeffizient, der angibt, wie schnell sich Arbeitsmenge und Bevölkerung verändern, wenn der Marktlohnsatz vom natürlichen Lohnsatz abweicht. Das malthusianische Bevölkerungsgesetz besagt also, dass die Bevölkerung konstant bleibt, wenn der (laufende) Marktlohnsatz mit dem natürlichen Lohnsatz übereinstimmt. Die Bevölkerung nimmt zu, wenn der Marktlohnsatz über dem natürlichen Lohnsatz liegt und umgekehrt. Wenn nun die Unternehmer ihre Profite investieren, werden das Sozialprodukt, Bevölkerung und Arbeitsangebot zunehmen. Das impliziert, dass auch im landwirtschaftlichen Sektor der Arbeitseinsatz immer mehr zunehmen muss, damit die steigende Bevölkerung ernährt werden kann. Immer schlechtere Böden müssen bebaut werden. Grenzertrag und Durchschnittsertrag nehmen ab, bis der sogenannte stationäre Zustand erreicht wird. Dieser Vorgang kann anhand des grundlegenden Kaldor-Diagramms dargestellt werden: Renten W K Löhne O NL M 16
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Der stationäre Zustand ist gekennzeichnet durch 1) w = w*, wobei der natürliche Lohnsatz dem reinen Existenzminimum entsprechen kann (wegen des Bevölkerungsdrucks). 2) einen sehr hohen Rentenanteil; die Einkommensverteilung ist also äusserst ungleich. Dies impliziert: wenige Reiche, vorwiegend Grundbesitzer; der grösste Teil der Bevölkerung lebt in Armut (Ricardo und die Klassiker im allgemeinen betrachteten diesen Zustand als naturgegeben). 3) Die Profite sind null; es wird also nicht mehr investiert, was bedeutet, dass es kein Wachstum mehr geben kann. Der stationäre Zustand ist also kein erfreulicher Zustand. Weil die klassische politische Ökonomie, vor allem Ricardo und Malthus den stationären Zustand für unvermeidlich hielten, bezeichnete beispielsweise der englische Schriftsteller und Gesellschaftskritiker Thomas Carlyle die Politische Ökonomie als 'dismal science' (die unselige oder traurige Wissenschaft). Ricardo selber gilt wegen der Unvermeidlichkeit des stationären Zustandes als pessimistischer Liberaler. IV. Wert und Verteilung Einleitung Das Weizenmodell ist definitionsgemäss ein Eingut-Modell. Es braucht hier offensichtlich keine Werttheorie, die u.a. dazu dient, den Wert verschiedener Güter auf einen Nenner zu bringen, um den Reichtum, den Wohlstand, eines Landes messen zu können. Die Einkommensverteilung kann im Weizenmodell ohne jegliche Schwierigkeit studiert werden. Vor allem die Berechnung der Profitrate P/K ist problemlos, da sowohl P wie auch K = W in Weizen gemessen werden. Eine Werttheorie braucht es also nur, wenn verschiedene Güter vorhanden sind. Es geht darum, den Wert der Güter irgendwie zu messen, um sie vergleichbar zu machen, damit die Preise und der Reichtum eines Landes bestimmt werden können. 17
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Dabei genügt Messen mit Papiergeld nicht, denn Papiergeld hat selber keinen Wert und ist nur Stellvertreter von Wert (für Ricardo ist allerdings Geld = Gold, das alle Eigenschaften einer Ware hat). Eine objektive oder subjektive Werttheorie ist also erforderlich. Ricardo entwickelt nun eine objektive Werttheorie, die Arbeitswerttheorie, und verbindet diese mit dem Überschussprinzip der Einkommensverteilung. 1. Ricardos Arbeitswerttheorie Ausgangspunkt sind zwei Preisgleichungen in Landwirtschaft und Industrie: In der Landwirtschaft wird der (Weizen-)Preis auf dem schlechtesten Boden produziert; die Rente ist dort Null und tritt deshalb nicht als Preiskomponente auf: pL dQL = wG dNL (1 + r) : dQL pL = wG nL (1 + r) nL = dNL / dQL (Arbeitseinsatz pro Produkteinheit) (pL = Weizenpreis, QL = Weizenmenge, wG = Geldlohnsatz) In der Industrie wird ein nichtnotwendiges Luxusgut QI produziert: pI QI = wG NI (1 + r) : QI pI = wG nI (1 + r) nI = NI/QI (Arbeitseinsatz pro Produkteinheit) Die Produktionskoeffizienten nL und nI enthalten direkte und indirekte Arbeit. Der Produktionsprozess ist ein sozialer Prozess: Es besteht Arbeitsteilung, wobei Arbeit der grundlegende Produktionsfaktor ist, der an der Produktion beider Güter beteiligt ist. Das landwirtschaftliche Produkt Weizen ist ein Basisgut, das über die Löhne an der Produktion beider Güter beteiligt ist. Die Profitrate r ist die im landwirtschaftlichen Sektor bestimmte Profitrate. Das muss so sein, weil das landwirtschaftliche Gut das Lohngut ist. 18
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die landwirtschaftliche Profitrate bestimmt die Profitrate in der Industrie; dies geschieht über den Konkurrenzmechanismus: Wenn die industrielle Profitrate höher ist als die landwirtschaftliche fliesst Finanzkapital in die Industrie und umgekehrt. Der relative Preis ist demnach: wG nI (1 + r) pI / pL = ------------------------ = nI / nL = QL / QI wG nL (1 + r) Der Wert des Industrieproduktes wird in Einheiten des landwirtschaftlichen Produktes ausgedrückt. Der relative Preis entspricht dem Verhältnis der beiden Arbeitskoeffizienten. Die in der Produktion direkt und indirekt aufgewendete Arbeit bestimmt den Wert eines Produktes. Ricardos vertritt demnach eine objektive Werttheorie Ricardo meinte, dass im Zeitablauf nI sinkt (technischer Fortschritt) und nL steigt (wegen dem Ertragsgesetz; immer schlechtere Böden werden bebaut). Das heisst, landwirtschaftliche Produkte, inkl. Rohstoffe, werden im Verhältnis zu Industrieprodukten teurer. [Dies wird sehr wahrscheinlich irgendwann einmal der Fall sein. Gegenwärtig stimmt jedoch diese Aussage nicht: die Preise für Primärprodukte sinken. Gründe: − die Geldlöhne sind in der Industrie schneller gestiegen als in der Landwirtschaft. − der produktionstechnische Fortschritt in der Landwirtschaft war sehr intensiv − Industrieprodukte sind Flussgrössen, Rohstoffe sind Bestandesgrössen, die (fast) beliebig schnell gefördert werden können.] 2. Arbeitswerttheorie und Verteilung Problem: Wie wird die Verteilung im Falle mehrerer Güter geregelt? Es muss ein Wertmass gefunden werden, das es ermöglicht, den Wert der Güter auf einen gemeinsamen Nenner zu reduzieren. Dieses Wertmass ist Arbeit. 19
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte (Dieses Wertmass erlaubt es, die in die Definition der Profitrate r = P/K eingehenden Grössen, P und K (die unterschiedliche Güter sein können), auf den gleichen Nenner zu bringen und so die Berechnung von r zu ermöglichen.) Ausgangspunkt ist die Preisgleichung für das landwirtschaftliche Produkt Weizen: pL = wG nL (1 + r) nL = dNL / dQL Dividiert durch pL ergibt: 1 = w* nL (1 + r) Der Reallohnsatz wG/pL entspricht dem natürlichen Lohnsatz w*. Die landwirtschaftliche Profitrate ist dann gegeben durch die folgende Beziehung: 1 (dQL / dNL) - w* rL = ----------- - 1 = ------------------------- w* nL w* Um die Profitrate in der Industrie zu bestimmen, gehen wir aus von der entsprechenden Preisgleichung: pI = wG nI (1 + r) nI = NI/QI Da der Reallohnsatz in Weizen ausgedrückt ist, muss auf beiden Seiten dieser Beziehung durch pL dividiert werden; der relative Preis ist auch gleich dem Verhältnis der Arbeitskoeffizienten: pI nI ----- = w* nI (1 + r) = ----- = w*nL(1+r) pL nL (Hier kommt die Arbeitswerttheorie ins Spiel.) 20
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Aus der Beziehung rechts aussen, ergibt sich die obige Beziehung für die Profitrate: 1 (dQL / dNL) - w* rI = r L = -------- - 1 = ----------------------- w* nL w* Die Einkommensverteilung ist im demjenigen Sektor geregelt, in dem die notwendigen Konsumgüter produziert werden. Dieser Sektor - hier der Weizensektor - ist der Basisgütersektor. Das Basisgut ist also Weizen, das Nichtbasisgut das Industriegut. Das Basisgut ist preisbestimmend: die landwirtschaftliche Profitrate bestimmt die Profitrate in der Industrie. Damit ist der Preis des Nichtbasisgutes bestimmt. Dies ist ein grundlegendes Resultat, das sich aus der Wert- und Verteilungstheorie von Ricardo ergibt. 3. Die Bedeutung der Verteilungstheorie von Ricardo Diese kann am besten erfasst werden, wenn man sich vor Augen hält, dass die Arbeitswerttheorie untrennbar mit dem sozialen Produktionsprozess verbunden ist: Direkte und indirekte Arbeit und Basisgüter (Weizen) werden eingesetzt, um Basisgüter und Nichtbasisgüter zu produzieren. Weil nun die Produktion ein sozialer Prozess ist, muss die Verteilung ebenfalls ein sozialer Prozess sein. Dies ergibt sich aus den Grundgleichungen der Verteilungs- und Werttheorie von Ricardo (für den Zwei-Güter-Fall; bei mehr als zwei Gütern ist das Argument dasselbe): pL = wG nL (1 + r) nL = dNL / dQL pI = wG nI (1 + r) nI = NI/QI Wir haben hier ein System von zwei Gleichungen und vier Unbekannten: pL, pI, wG und r. Eine der Unbekannten kann eliminiert werden, indem relative Preise - hier nur ein relativer Preis gebildet werden. In beiden Gleichungen durch pL dividiert ergibt: 21
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte 1 = w* nL (1 + r) und pI ----- = w* nI (1 + r) pL Die drei Unbekannten sind: pI/pL, w* und r. Über die Beziehung pI/pL = nI/nL kann der relative Preis eliminiert werden, und es ergibt sich die grundlegende Beziehung zwischen Profitrate und natürlichem Lohnsatz in der Landwirtschaft (eine Gleichung, zwei Unbekannte: r und w): 1 (dQL / dNL) - w* rI = r L = -------- - 1 = ----------------------- w* nL w* Bei Ricardo ist der natürliche Lohnsatz w* durch physiologische, soziale und politische Faktoren festgelegt. Damit ist auch die Profitrate als Restgrösse bestimmt. Wichtig: Für Ricardo muss die Verteilung ein soziales (und ev. politisches) Problem sein (soziologische Verteilungstheorie), eben weil der Produktionsprozess ein sozialer Prozess ist. Es geht um das Verhältnis von Teilen (Löhnen, Profiten und Renten) zum Ganzen (Sozialprodukt). Ein gegebenes Sozialprodukt soll sozial akzeptabel verteilt werden (so gerecht wie möglich; soviel distributive Gerechtigkeit wie möglich). Die Verteilung des Sozialprodukts ist also kein Marktproblem (es gibt bei Ricardo keine Faktormärkte). 22
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte V. Modifizierte Arbeitswerttheorie und Verteilung 1. Einleitung Ricardo glaubte ursprünglich, dass er eine Theorie der Einkommensverteilung ohne Rückgriff auf die Werttheorie entwickeln könne: Das Weizenmodell der Einkommensverteilung ist ein Ein- Gut-Modell, und es braucht hier offensichtlich keine Werttheorie, weil kein Vergleich der Werte mehrerer Güter erforderlich ist. Auch kann im Weizenmodell die Profitrate problemlos berechnet werden, weil der Kapitaleinsatz und die Profitsumme in der gleichen Form - Weizen - anfallen. Es gelang Ricardo zu zeigen, dass sein einfaches Verteilungsmodell gültig bleibt, wenn mehrere Güter vorhanden sind, deren Austauschverhältnisse durch eine Arbeitswerttheorie bestimmt sind. Hier wird Weizen durch Arbeit ersetzt, um die Profitrate der verschiedenen Güter zu berechnen, und die Verteilung wird in demjenigen Sektor bestimmt, der das Basisgut - Weizen - herstellt. Bei der weiteren Ausarbeitung seiner Arbeitswerttheorie stellte Ricardo aber fest, dass diese nur unter bestimmten Annahmen gültig ist. Insbesondere hängen die relativen Preise von zwei Faktoren ab: 1) von den Proportionen, in denen die direkte und die indirekte Arbeit im sozialen Produktionsprozess eingesetzt werden. 2) von der Einkommensverteilung; konkret von der Profitrate und damit auch vom natürlichen Lohnsatz. Wegen der zunehmenden Bedeutung des Fixkapitals hat nun Ricardo begonnen, direkte und indirekte Arbeit zu trennen, vor allem Lohnkosten und Fixkapitalkosten. Dies führt zu einer Modifikation der Arbeitswerttheorie, die wir nun untersuchen wollen. 2. Die Grundgleichung der modifizierten Arbeitswerttheorie (Produktionspreise) Ausgangspunkt ist die Preisgleichung für ein bestimmtes Gut 1: (pK1 v1 + wG n1) (1 + r) = p1 23
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte vl = K1/x1 ist der Kapitaleinsatz pro Produkteinheit, pK1 der Preis eines Kapitalgutes K1, wG der Geldlohnsatz, n1 der Arbeitseinsatz pro Produkteinheit des Gutes 1 (direkte und indirekte A., indirekt im Zusammenhang mit Rohmaterialverbrauch) N1/q1, r die Profitrate und p1 der Produktpreis. Zur Vereinfachung sei angenommen, dass das im Sektor 1 eingesetzte Fixkapital nur durch Arbeit hergestellt wird: pK1 = wG nK1 (1 + r) nK1 = NK1/K1 Unter Berücksichtigung dieser Gleichung ergibt sich für die obige Preisgleichung des Gutes 1: wG [nK1 (1 + r) v1 + n1] (1 + r) = p1 Im Sinne von Ricardo nehmen wir weiter an, dass für ein Gut 2 genau die gleiche Produktionsstruktur besteht. (Dies impliziert einen Abschreibungssatz von 100% für das eingesetzte Fixkapital. Fixkapital unterscheidet sich vom Umlaufskapital nur dadurch, dass es in der Vorperiode produziert wird.) Damit haben wir zwei Gleichungen für zwei Produktionspreise. Daraus können wir eine Gleichung für den relativen Preis bilden; diese stellt die Grundgleichung für die modifizierte Arbeitswerttheorie dar: p2 nK2 v2 (1 + r) + n2 n2 [(1 + r) k2 + 1] ---- = --------------------------- = ----------------------- (x) p1 nK1 v1 (1 + r) + n1 n1 [(1 + r) k1 + 1] nK1 v1 (NK1/K1) (K1/q1) NK1 Hier ist k1 = --------- = ------------------------- = ------ n1 N1/q1 N1 24
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte das Verhältnis von indirekter, im Fixkapital verkörperter Arbeit, zu direkter Arbeit, eine Art von Kapitalausstattung pro Arbeiter oder Kapitalkoeffizient. Analoges gilt für k2. ki könnte auch definiert werden als das Verhältnis von vergangener Arbeit zu gegenwärtiger (direkter) Arbeit. Alle Grössen sind Durchschnittsgrössen, wenn es sich um Industriegüter handelt, Marginalgrössen, wenn landwirtschaftliche Produkte betrachtet werden. Die Frage ist nun, inwieweit die so bestimmten relativen Preise mit der Arbeitswerttheorie übereinstimmen. Ricardo ist auf diese Frage im 1. Kapitel seiner 'Principles of Political Economy and Taxation' explizit eingegangen. Auf seine Antwort gehen wir im nächsten Abschnitt kurz ein. 3. Produktionspreise und Arbeitswerttheorie Ricardo unterscheidet vier verschiedene Situationen. Diese können mit Hilfe der obigen Grundgleichung (x) analysiert werden. − in drei Fällen ergibt sich eine reine Arbeitswerttheorie: 1) Wenn kein Fixkapital eingesetzt (ki = 0) wird , haben wir: p2/p1 = n2/n1 2) Dieses Ergebnis gilt auch, wenn k1 = k2 ist. n1 und n2 werden mit einem gleich grossen Faktor (der in den eckigen Klammern steht) multipliziert; dieser repräsentiert den Fixkapitaleinsatz. Zu diesen beiden Fällen sagt Ricardo: 25
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte "Der Wert eines Gutes oder die Menge eines anderen, für welche jenes ausgetauscht wird, hängt von der zu seiner Produktion erforderlichen Arbeitsmenge ab und nicht von der grösseren und oder kleineren Vergütung, die für diese Arbeit gewährt wird." (Letzteres ist eine Kritik am 'labour commanded - Ansatz' von Adam Smith: (p1/wG = N1). Wenn Gut 1 ein Basisgut ist, wird der Geldlohnsatz ebenfalls sinken, wenn wegen einer technischen Verbesserung n1 und p1 sinken, und N1 bleibt u.U. konstant. Ist Gut 1 kein Basisgut, sinkt jedoch N1.bei technischem Fortschritt. Ricardo schliesst daraus, dass Smiths Wertmass falsch sei.) 3) Wenn die Profitrate r gleich Null ist, jedoch k2 und k1 ungleich sind, ergibt sich ebenfalls eine reine Arbeitswerttheorie: p2/p1 ist nun bestimmt durch das Verhältnis der Summe von direkter und indirekter Arbeit pro Produkteinheit: (Ni + NKi) / xi Ricardo sagt dazu: "Nicht bloss die unmittelbar auf die Güter verwendete Arbeit beeinflusst deren Wert, sondern auch die in den Geräten, Werkzeugen und Gebäuden, welche dieser Arbeit dienen, enthaltene." 4) In einem vierten Fall gilt die reine Arbeitswerttheorie nicht, nämlich wenn r > 0 und k1 ungleich k2 ist. Die relativen Preise sind also abhängig von zwei Faktoren: 1) den Produktionskoeffizienten ni und ki und 2) der Einkommensverteilung, repräsentiert durch die im landwirtschaftlichen Sektor bestimmte Profitrate r. Diese Produktionspreise stimmen nun nicht mehr mit den Arbeitswerten überein. Die Produktionspreise stellen eine modifizierte Arbeitwerttheorie dar, die nun von den Produktionsbedingungen und von der Einkommensverteilung (von der Profitrate r) abhängig 26
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte sind. Das Überschussprinzip der Verteilung bleibt damit erhalten: Der natürliche Lohnsatz ist ein soziales Datum (soziologische Verteilungstheorie). 4. Produktionspreise und Reichtum Wenn die einzelnen Produktionspreise von der Einkommensverteilung (r) abhängig sind, ist auch das Sozialprodukt von der Einkommensverteilung abhängig. Zur Erklärung ein ganz einfaches Beispiel: Das nominale Sozialprodukt Qn bestehe aus zwei Gütern: Qn = p1 q1 + p2 q2 Das reale Sozialprodukt Q kann in Einheiten des Gutes 1 (z.B. Weizen) gemessen werden. D.h., es muss auf beiden Seiten dieser Definitionsgleichung durch p1 dividiert werden: Qn/p1 = Q = q1 + (p2/p1) q2 Selbst wenn die Produktmengen konstant bleiben, ändert sich das reale Sozialprodukt Q, wenn sich die Einkommensverteilung ändert: eine Veränderung von r führt in der Regel zu einer Veränderung von p2/p1. Wenn beispielsweise r steigt, werden kapitalintensivere Güter teurer und umgekehrt. (Die Kapitalintensität wird durch ki (Definition oben) gemessen.) 5. Produktionspreise und Marktpreise Für Ricardo sind Werte und Produktionspreise grundlegend. Marktpreise sind dagegen sekundär und schwanken um die Produktionspreise, die 'Gravitationszentren' darstellen. Übersteigen die Marktpreise dauernd die Produktionspreise (die realisierten Profite übersteigen die normalen Profite), werden die Produktionskapazitäten ausgeweitet und umgekehrt. [Grafik] 27
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte VI. Beschäftigung Obwohl für Ricardo das Beschäftigungsproblem ganz im Sinne von Adam Smith nicht relevant ist, macht er dazu einige Bemerkungen, dies auf drei Ebenen: 1) betreffend die Unmöglichkeit allgemeiner Überproduktion (es wird von allen Gütern zuviel produziert) und damit die Unmöglichkeit von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit (das Gesetz von Say). 2) über das langfristige Beschäftigungsproblem im Zusammenhang mit dem Bevölkerungsgesetz von Robert Malthus. 3) betreffend mittelfristige Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit der Einführung von neuen Produktionstechniken (technologische Arbeitslosigkeit) 1. Unmöglichkeit allgemeiner Überproduktion: Das Saysche Gesetz Ricardo vertrat kompromisslos das Gesetz von Jean Baptiste Say, das unterschiedlich formuliert werden kann: 1) Allgemeine Überproduktion ist unmöglich, weil letztlich Güter gegen Güter getauscht werden; Geld ist nur ein Schleier, der die realen Vorgänge überdeckt. [Dies impliziert, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit ebenfalls nicht möglich ist.] Es kann nur relative Überproduktion geben: von einigen Gütern wird zuviel produziert, von andern zuwenig (dies führt zu struktureller Arbeitslosigkeit). 2) Jedes Angebot schafft sich seine eigene Nachfrage: die Einkommen, die aufgrund der Produktion von Gütern entstehen, dienen dazu, die Produktion aufzukaufen. 3) Das Sparen bestimmt das Investieren. Was nicht konsumiert wird, wird letztlich investiert, wobei ev. der Zinssatz diesen Prozess erleichtert und beschleunigt: Bei S > I sinkt der Zinssatz; I steigt bis S = I. Dies ist die Tugend des Sparens, von der vor allem Adam Smith gesprochen hat. Ricardo sagt explizit zum Sayschen Gesetz: "Niemand produziert anders, als in der Absicht zu konsumieren oder zu verkaufen, und er tut letzteres stets mit dem Wunsche, ein anderes gut zu erstehen, welches ihm unmittelbar nützlich ist oder das sich zur künftigen Produktion verwenden lässt. Daher wird er durch das Produzieren notwendigerweise entweder zum Konsumenten seiner eigenen waren, oder zum Käufer und Konsumenten der Güter einer anderen Person. ... Es kann also kein Kapitalbetrag in einem Lande angesammelt werden, der sich nicht produktiv anlegen liesse, bis die Löhne infolge des Steigens der Subsistenzmittel derartig in die Höhe gehen und 28
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte demnach für den Kapitalsprofit so wenig übrig bleibt, dass der Grund der Kapitalisierung unterbleibt. [Wenn auf der anderen Seite jemand ein Einkommen erhält, wird er dieses nicht horten, sondern den entsprechenden] Betrag selbst produktiv anlegen oder aber ihn zu dem Zwecke an jemand anderen ausleihen" (Prinzipien, Waentig-Ausgabe, 293-96). Keynes, in seiner 'Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes' (1936), war der erst Ökonom, der eine theoretisch einwandfreie Widerlegung des Sayschen Gesetzes geliefert hat. 2. Beschäftigung und das Malthusianische Bevölkerungsgesetz Langfristig wird das Beschäftigungsproblem über das malthusianische Bevölkerungsgesetz gelöst. Wenn die Wachstumsrate der Bevölkerung grösser ist als die Wachstumsrate der Kapitalakkumulation, wird der Marktlohnsatz sukzessive unter den natürlichen Lohnsatz sinken. Die fehlende Nahrungsmittelgrundlage wird zu Hungersnöten führen, die Bevölkerung wird zurückgehen. Bei jeweils gegebenem Lohnfonds wird sich wiederum der natürliche Lohnsatz einspielen. Wenn der Marktlohnsatz über den natürlichen Lohnsatz ansteigt (w > w*), vermindern sich kurzfristig die Profite (P) und Profitrate (r). Einerseits wird sich nun gemäss Malthus das Bevölkerungswachstum beschleunigen. Anderseits gehen gemäss Ricardo die Investitionen und die Wachstumsrate zurück. Die landwirtschaftliche Produktion wird also weniger schnell zunehmen. Einerseits nimmt also das Arbeitsangebot zu, anderseits nimmt die Nachfrage nach Arbeitskräften ab. Mit der Zeit wird der Marktlohnsatz unter den natürlichen Lohnsatz sinken. Dies wird die Lebenslage der Bevölkerung verschlechtern und diese dadurch reduzieren. Dieser Prozess dauert solange, bis der Marktlohnsatz wiederum mit dem natürlichen Lohnsatz übereinstimmt. Bei dieser Situation wird die Bevölkerung konstant bleiben. (Der natürliche Lohnsatz kann jedoch langfristig ansteigen, wenn Profitrate und Wachstumsrate permanent hoch sind und die Wachstumsrate der Bevölkerung übersteigen. Dies ist der Fall bei technischem Fortschritt (Grenz- und Durchschnittsproduktkurve im Kaldor-Diagramm verschieben sich nach oben) oder wenn nur die besten Böden angebaut werden. 3. Mittelfristige Arbeitslosigkeit (technologische Arbeitslosigkeit) Ricardo untersucht den Einfluss von technischem Fortschritt (Einführung von neuen und besseren Maschinen) in einem zusätzlichen Kapitel "On Machinery (Über das 29
Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Maschinenwesen)", das erstmals in der 3. Auflage der 'Principles' erschien. Er kommt hier zu einer auf den ersten Blick überraschenden Schlussfolgerung, nämlich dass technischer Fortschritt positive und negative volkswirtschaftliche Aspekte aufweist. Positiv ist, dass der technische Fortschritt zu einer Einsparung von (direkter und indirekter) Arbeit führt: bestimmte Produkte und Produktmengen erfordern insgesamt weniger Arbeit für ihre Herstellung. Diese Produkte werden dadurch billiger, wovon alle Bevölkerungsschichten (Arbeiter, Industrieunternehmer und Grundbesitzer) profitieren. Mit den gleichen Geldeinkommen können nun grössere Gütermengen gekauft werden. Der negative Effekt des technischen Fortschritts besteht in einer Freisetzung von Arbeitskräften, weil Bruttoeinkommen und Nettoeinkommen eventuell nicht im Gleichschritt zunehmen. Ricardo definiert das Sozialprodukt Q als Bruttoeinkommen (oder Roheinnkommen): Q= W + P + R. (W ist die Reallohnsumme, die mit der Geldlohnsumme gekauft werden kann; P und R: realen Profite &Renten.) Die realen Profite und Renten - der Überschuss - stellen das Nettoeinkommen (oder Reineinkommen) dar. Ricardo ging nämlich davon aus, dass die Löhne im Produktionsprozess aufgebraucht werden und somit Zwischenprodukte darstellen. Entscheidend ist nun, dass bei technischem Fortschritt das Reineinkommen zunehmen kann, während gleichzeitig das Bruttoeinkommen zurückgehen kann. Das heisst: Die Einführung von neuen und besseren Maschinen kann - vor allem - die Profite steigern, während gleichzeitig die Löhne sinken. Letzteres impliziert, dass auch weniger Arbeiter beschäftigt werden können. Arbeiter werden also durch technischen Fortschritt freigesetzt und werden somit arbeitslos. Der zentrale Grund für diesen Vorgang: Die neue Technik ist in der Regel "kapitalintensiver" als die alte; Maschinen ersetzen direkte Arbeit. Die Maschinen müssen zwar auch produziert werden und erfordern indirekte Arbeit. Jedoch ist in der Regel die Freisetzung von direkter Arbeit grösser als der Mehreinsatz von indirekter. Die Beschäftigung geht deshalb zurück. Nach Ricardo wird die neue Technik unwiderstehlich die alte ersetzen, weil bei konstantem natürlichem Lohnsatz die neue Technik mit einer viel höheren Profitrate verbunden ist als die alte. Die neue Technik wird somit aufgrund einzelwirtschaftlicher Rationalität gewählt und nicht aufgrund von sozialer oder gesamtwirtschaftlicher Rationalität. Die einzelwirtschaftliche Rationalität orientiert sich am Reineinkommen und - vor allem - an der Profitrate. Die gesamtwirtschaftliche Rationalität würde jedoch sich an der Entwicklung des Bruttoprodukts und der Arbeitsproduktivität orientieren. 30
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