Den Code der Individualität geknackt: DNA-Analysen im Dienst von Selbst-erkenntnis und Polizeiarbeit - Kurzfassung der Studie "Neue Anwendungen ...

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Den Code der Individualität geknackt: DNA-Analysen im Dienst von Selbst-erkenntnis und Polizeiarbeit - Kurzfassung der Studie "Neue Anwendungen ...
Den Code der Individualität geknackt:
DNA-Analysen im Dienst von Selbst-
erkenntnis und Polizeiarbeit
Kurzfassung der Studie «Neue Anwendungen der DNA-Analyse: Chancen und Risiken»
Die Stiftung TA­SWISS, ein Kompetenzzentrum der        Neue Anwendungen der DNA-Analyse: Chancen
Akademien der Wissenschaften Schweiz, setzt sich       und Risiken – Interdisziplinäre Technikfolgen-
mit den Chancen und Risiken neuer Technologien         abschätzung
auseinander.
                                                       Alexander Lang, Brigitte Gschmeidler, Malte­C. Gruber,
Die hier vorliegende Kurzfassung basiert auf einer     Milena Wuketich, Elena Kinz, Vagias Karavas, Florian
wissenschaftlichen Studie, die im Auftrag von          Winkler, Simone Schumann, Nina Burri und Erich
TA­SWISS von einem interdisziplinären Projektteam      Griessler
unter der Leitung von Dr. Erich Griessler und Alex­
ander Lang vom Institut für Höhere Studien IHS in      TA­SWISS, Stiftung für Technologiefolgen­Abschätzung
Wien durchgeführt wurde. Beteiligt waren zudem         (Hrsg.).
der Verein Open Science in Wien sowie die Univer­      vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich, 2020.
sität Luzern. Die Kurzfassung stellt die wichtigsten
Resultate und Schlussfolgerungen in verdichteter       ISBN 978­3­7281­4037­1
Form dar und richtet sich an ein breites Publikum.
                                                       Die Studie steht als eBook zum freien Download
                                                       bereit: www.vdf.ch

                                                       Die vorliegende Kurzfassung ist ebenfalls online
                                                       verfügbar: www.ta­swiss.ch

                           www.ta-swiss.ch

                                                             Alexander Lang, Brigitte Gschmeidler, Malte-C. Gruber,
                                                             Milena Wuketich, Elena Kinz, Vagias Karavas, Florian Winkler,
                                                             Simone Schumann, Nina Burri und Erich Griessler

                                                             Neue Anwendungen
                                                             der DNA-Analyse:
                                                             Chancen und Risiken
                                                             Interdisziplinäre Technikfolgenabschätzung

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Neue Anwendungen der DNA-Analyse in aller Kürze                    4
Chancen                                                            4
Risiken                                                            4
Empfehlungen                                                       5

Menschenkenntnis dank Genetik                                       5
Sinkende Kosten, wachsender Kundenkreis                             5
In der rechtlichen Grauzone                                         6

Sinnsuche in den Buchstaben des genetischen Codes                   7
Das wissenschaftliche Fundament wird immer breiter                  7
Wegmarken in der Erbsubstanz                                        7
Trotz Genom offene Zukunft                                          7
Die Herkunft und das Selbst entschlüsseln                           8

Klettern im Geäst des Stammbaums                                    9
Die DNA als Reisekarte                                              9
Unerkannt verwandt                                                 10

Wenn die Gene den Lebensstil diktieren                             11
Neugierig auf sich selbst                                          11
Ernährung, Wellness, Sport                                         11
Wissenschaft im Dienst der Unterhaltung?                           12

Wer hat’s getan? Gentests in der polizeilichen Ermittlungsarbeit   13
Aufklärung ohne Vergleichsdaten                                    13
Abweichend treffsicher                                             13
DNA-Profile nur im Vergleich nutzbar                               13
Haltlosen Verdächtigungen vorbeugen                                14

Wenn sich die Datenspur verliert                                   15
Wer analysiert was auf welche Weise?                               15
Genetische Information ist kein Privateigentum                     15
Rohstoff für weitere Interpretationen                              15
Bei Unklarheiten und mit den Sorgen allein gelassen                16

Trennscharfe Gesetze – diffuse Realität                            17
Altes Gesetz, an neue Realität angepasst                           17
Diffuse Grenzen                                                    17
Datenschutz als Herausforderung                                    17

Umsichtiger Umgang mit genetischen Daten ist unabdingbar           19
Begleitforschung in die Wege leiten                                19
Der Intransparenz entgegenwirken                                   19
Keinen Blankoscheck für die Forschung ausstellen                   19
Ausnahmsweise Mitteilung von Ergebnissen zulassen                  19
Minderjährige und Drittpersonen schützen                           19
Schritt halten mit der wissen­schaft­lichen Entwicklung            20
Polizeiliche Ermittlungen verhält­nismässig gestalten              20

                                                                    3
Neue Anwendungen der DNA-Analyse in
aller Kürze

Bis vor wenigen Jahren standen genetische Analy-         Risiken
sen in erster Linie im Dienst von Forschung und
Medizin, um Diagnosen zu erhärten oder die Ver-          Gentest­Firmen arbeiten in der Regel mit einer Viel­
anlagung zu schweren Krankheiten abzuklären.             zahl von Partnern. Wer welche Analysen vornimmt
Heute vermag man aus der DNA auch körperliche            und wer Zugriff auf welche Daten hat, ist für die
Eigenschaften herauszulesen, die gesundheitlich          Kundschaft vielfach nicht ersichtlich, und auch über
nicht ins Gewicht fallen. Dank sinkender Preise          die Testgenauigkeit wird sie oft nicht sorgfältig auf­
erhält eine breitere Kundschaft Zugang zu Gentests.      geklärt – ebenso wenig über die Massnahmen, die
                                                         zum Schutz der Daten getroffen werden.
Die Erbsubstanz gibt Hinweise darauf, welche Nähr­
stoffe der Körper besonders gut verwertet – oder
im Gegenteil schlecht verträgt, wie es um die Stress­
resistenz eines Menschen steht oder woher dessen
Vorfahren stammen. Dies jedenfalls behaupten die
Anbieter genetischer Tests. Ihr Geschäftssitz befindet
sich in der Regel jenseits der Schweizer Grenze. Über
das Internet wenden sie sich mit Direct­to­Consumer­
Gentests (DTC­Gentests) aber auch an die hiesige
Kundschaft. Die Polizei wiederum nutzt die neuen
Erkenntnisse, um mittels genetischer Tatortspuren
den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen.

Chancen

Wer seine Erbsubstanz analysieren4 lässt, erfährt
etwas über sich selber. Dies kann entlasten – etwa,
wenn die getestete Person erfährt, dass ihr Über­
gewicht nicht einer Charakterschwäche anzulasten
ist, sondern mit einer Ausprägung des Gens zusam­
menhängt, das den Zuckerstoffwechsel im Fettge-
webe reguliert.

Indem die Polizei genetische Spuren vom Tatort
ausliest, um Körpermerkmale einer verdächtigen
Person abzuschätzen oder ihre Herkunft zu ermit­
teln, kann dies ganze Gruppen vom Tatverdacht
ausschliessen oder zu Unrecht Beschuldigte reha­
bilitieren.

Genomdaten sind für die Forschung ein wichtiger
Rohstoff. Das Geschäftsmodell vieler Gentest-Firmen
beruht darauf, die von ihnen analysierten Daten
an Forschungsinstitute oder an pharmazeutische
Unternehmen weiterzureichen. Diese können dar­
aus Einsichten gewinnen, die unter Umständen in
neue Therapien münden.

4
Anbietern von Gentests, die sich direkt an die Kund­     Herkunftsforschung sind unklar: Diese könnten
schaft wenden, ist es gesetzlich untersagt, Informa­     beispielsweise dazu beitragen, Vorurteile gegen
tionen bekanntzugeben, die sich auf die Gesundheit       bestimmte Personengruppen zu bekräftigen – oder
beziehen. In der Praxis lassen sich aber auch aus        aber darauf hinwirken, die Eigenverantwortung für
«gesundheitlich nicht relevanten» Aussagen, etwa         den Umgang mit individuellen Stärken und Schwä­
über den Stoffwechsel oder die Alterung der Zellen,      chen zu stärken. Daher sollten Nutzungspraxis
Rückschlüsse auf medizinische Sachverhalte ziehen.       und Auswirkungen solcher Gentests systematisch
                                                         erforscht werden.
Das aktuell gültige Gesetz über genetische Unter­
suchungen am Menschen GUMG gebietet, dass                Anbieter genetischer Analysen pflegen sich nicht
Personen, die sich einem genetischen Test im me­         zu vergewissern, ob eine eingesandte Probe auch
dizinischen Bereich unter­ziehen, beraten werden.        tatsächlich von der Person stammt, die den Test in
In vielen Fällen fehlt eine solche Beratung, wenn        Auftrag gibt. Als besonders kritisch zu werten sind
jemand über Internet einen Gentest bei einem aus­        verschleierte Elternschaftstests. Gentest-Anbieter
län­dischen Anbieter ein­kauft.                          müssen dazu angehalten werden, Vorkehrungen für
                                                         den Schutz von Drittpersonen, insbesondere von
                                                         Minderjährigen, zu treffen.
Empfehlungen
                                                         Gendaten sagen nicht nur etwas über das getestete
Ein transparenter Umgang mit Daten und die mög­          Individuum aus, sondern auch über seine Verwand­
lichst detaillierte Aufklärung der Kundinnen und Kun­    ten. Daher sind Regulierungsmodelle auszuarbeiten,
den sind zu fördern. Organisationen des Konsumen­        die auf die kollektive Dimension genetischer In­for­ma­
tenschutzes haben hier eine wichtige Rolle zu spielen.   tion zugeschnitten sind. So ist zu erwägen, ob Ange­
                                                         hörigen Mitbestimmungs- und Konsultations­rechte
Die individuellen und gesellschaftlichen Auswirkun­      einzuräumen wären, wenn Daten für die Forschung
gen von Gentests zur Lifestyle-Optimierung oder          bereitgestellt werden.

Menschenkenntnis dank Genetik

Genetische Tests waren bis vor einigen Jahren            Sinkende Kosten, wachsender
der Medizin vorbehalten: Im Genom zeigt sich             Kundenkreis
die Veranlagung für eine Reihe von Krankheiten,
noch bevor diese ausgebrochen sind. Mittlerweile         Das Ende der 1990er-Jahre lancierte Human
lassen sich auch Körpermerkmale aus der Erbsub-          Genome Project gab die Initialzündung zur gene­
stanz herauslesen, die vom Gesundheitszustand            tischen Kartierung des Menschen. Knapp drei
unabhängig sind. Dank der stark gefallenen Kos-          Milliarden US-Dollar flossen allein aus den USA in
ten für Gentests entstanden Angebote, die sich           das mehr als zehn Jahre dauernde, internationale
direkt an eine breite Kundschaft richten.                Forschungsvorhaben. Im Jahr 2006 beliefen sich
                                                         die Kosten für die Sequenzierung eines mensch­
Sich möglichst gut zu kennen und über die eigenen        lichen Genoms noch auf 14 Millionen US-Dollar.
Stärken, Schwächen und Veranlagungen Bescheid            Fortschritte im Analyseverfahren führten zu einem
zu wissen, kommt dem Bedürfnis entgegen, seine           weiteren Preiszerfall; musste an­fangs 2015 mit
eigene Individualität auszuloten. Lange waren es vor     Kosten von 4’000 US-Dollar für eine Genomanalyse
allem Psychologie und Philosophie, die Erhellendes       gerechnet werden, war ihr Preis Ende des gleichen
über die Persönlichkeit auszusagen wussten. In den       Jahres auf unter 1’500 US-Dollar gefallen. Sie rückte
letzten Jahren aber hat die Biologie Terrain gutge­      damit in Reichweite einer breite­ren Kundschaft,
macht.                                                   die – losgelöst von medizinischen Frage­stellungen
                                                         – mehr über die eigene körperliche Beschaffenheit
                                                         erfahren möchte.

                                                                                                                 5
In diese Nische sind verschiedene Anbieter geneti­      Das überarbeitete Gesetz sieht vor, medizinisch
scher Tests vorgestossen. Sie operieren mehrheitlich    angeordnete Gentests von solchen zur Ahnen­for­
vom Ausland aus, bieten ihre Dienste aber über          schung oder zur Optimierung des Lebensstils zu
Internet-Plattformen auch der Schweizer Kundschaft      unterscheiden; entsprechend sollen darauf abge­
an. Die Bestellung ist denkbar einfach: Wer einen       stimmte Regulierungsstufen festgelegt werden.
solchen Test ordert, erhält das Zubehör für einen
Wangenabstrich oder für eine Speichelprobe; die
                                                          Expertenstudie mit Selbstversuch
Proben werden anschliessend dem jeweiligen Unter­
nehmen zugestellt, das die Ergebnisse nach drei           Unter der Leitung von Alexander Lang und Erich
bis zehn Wochen vorlegt. Je nach Wunsch zielen die        Griessler (beide vom Institut für Höhere Studien,
Resultate der Genanalyse darauf ab, den Lebensstil        Wien) wandten die Autorinnen und Autoren der
zu optimieren oder mehr über die eigene Herkunft          Studie von TA-SWISS «Neue Anwendungen der
zu offenbaren.                                            DNA-Analyse: Chancen und Risiken – Interdis­
                                                          ziplinäre Technikfolgenabschätzung» verschie­
Auch die Polizei macht sich die neuen Analysemög­         dene Methoden an. Nebst Literaturrecherchen
lichkeiten zunutze. Etwa, um anhand genetischen           analysierten sie die Internet-Auftritte verschie­
Spurenmaterials mittels der sogenannten DNA-Phä­          dener Anbieter von Gentests. Zudem führten
notypisierung Hinweise auf das Erscheinungsbild           sie zahlreiche Gespräche mit Fachpersonen aus
von Unbekannten zu erhalten. Dabei werden aus der         der Genetik, der Ernährungswissenschaft, der
DNA bestimmte Merkmale wie Haar-, Augen- und              Genealo­gie, der Ethik und der Forensik. Schliess­
Hautfarbe herausgelesen. Die Studie von TA-SWISS          lich setzten sie sich in einem Selbstversuch ver­
befasst sich denn auch mit den drei Anwendungen           schiedenen Gentests aus.
von Gentests zur Herkunftsforschung, Lifestyle-Opti­
mierung und forensischen Nachforschung.
                                                          Die menschliche Erbsubstanz
                                                          Das Molekül Desoxyribonukleinsäure oder DNA
In der rechtlichen Grauzone                               besteht aus zwei langen, spiralförmig umeinan­
                                                          der gedrehten Strängen, die von chemischen
Das Gesetz über genetische Untersuchungen beim            Basenpaaren gebildet werden. Die Information
Menschen (GUMG) ist seit 2007 in Kraft und deckt          darin ist durch die Reihenfolge (Sequenz) der
– nebst der medizinischen Verwendung – auch eine          Basen verschlüsselt. Als Gen wird ein Abschnitt
allfällige Nutzung in der Arbeitswelt oder durch Ver­     der DNA bezeichnet, der die Bauanleitung für ein
sicherungen ab. Grossen Wert wird im Gesetz darauf        bestimmtes körpereigenes Eiweiss schreibt. In der
gelegt, dass die getestete Person in eine Genanalyse      Fachsprache heisst dies, dass das Gen «für ein
einwilligt. Ausserdem müssen genetische Untersu­          Protein codiert». Abweichungen im «Code» der
chungen von Ärzten veranlasst werden und dürfen           Basen können dazu führen, dass sich Menschen
nur in vom Bund anerkannten Labors ausgewertet            beispielsweise hinsichtlich ihres Stoffwechsels
werden.                                                   unterscheiden. DNA-Tests lesen die Information
                                                          der DNA und versuchen, sie zu interpretieren.
Wer also seine selbst entnommene Speichelprobe
eigenständig an eine Firma wie ProGenom, Gene­
Planet, MyHeritage oder 23andMe sendet und einen
Gentest in Auftrag gibt, bewegt sich genau genom­
men in einer rechtlichen Grauzone. Zumindest jetzt
noch: Denn eine revidierte Fassung des GUMG soll
im Jahr 2021 in Kraft treten. Die Gesetzeslücken
rund um kommerzielle Gentests, die direkt von der
Kundschaft bestellt werden, sollen damit geschlos­
sen werden.

6
Sinnsuche in den Buchstaben des
genetischen Codes

Die Forschung findet immer mehr genetische                sind das Ergebnis genomweiter Assoziationsstudien
Merkmale, die mit bestimmten Eigenschaften des            (GWAS). Dazu werden die geneti­schen Daten von
Körpers einhergehen. Das gestattet eine gezielte          mehreren Tausend Personen miteinander verglichen.
und damit auch kostengünstige Analyse der DNA.            Das Ergebnis: Zahlenverhältnisse, die beschreiben, ob
Die rechtliche Regulierung von Genanalysen                bestimmte genetische Ausprägungen systematisch
unterscheidet sich von Land zu Land.                      gemeinsam mit körperlichen Erscheinungsformen
                                                          auftreten. Das in diesen Datenbanken gespeicherte
Die Ähnlichkeit zwischen Familienmitgliedern faszi­       Wissen nutzen auch die Anbieter genetischer Tests.
niert die Wissenschaft seit je. Sir Francis Galton, ein
Arzt und Naturforscher und Vetter von Charles Dar­
win, begründete 1875 mit dem Werk «The History            Wegmarken in der Erbsubstanz
of Twins» die Zwillingsforschung, um der Vererbung
persönlicher Eigenschaften – insbesondere von             Heute ist einiges über die Variationen in der
Intelligenz und Talent – auf die Spur zu kommen.          mensch­lichen Erbsubstanz und ihre Auswirkungen
Aufgrund seiner eugenischen Schriften steht das           auf die äusserliche Erscheinung und auf gewisse
Wirken des britischen Gelehrten heute allerdings in       Stoffwechselprozesse bekannt. Daher braucht man
keinem guten Licht mehr.                                  nicht mehr das ganze Genom eines Individuums zu
                                                          sequen­zieren, um bestimmte Eigenschaften aufzu­
                                                          spüren: Die meisten kommerziellen Gentests kon­
Das wissenschaftliche Fundament wird                      zentrieren sich auf die Analyse sogenannter Marker.
immer breiter                                             Vor allem SNPs und Satelliten dienen als Wegmar­
                                                          ken in der Erbsubstanz.
Durch die Möglichkeiten der Genom-Sequenzierung
erhielt die Auseinandersetzung mit dem Einfluss           Mittlerweile existieren Verfahren, um gleichzeitig
der Gene auf die Merkmale von Körper und Verhal­          mehrere tausend bekannte Marker zu analysieren.
ten neuen und zusätzlichen Schub. Heute ist die           Da nur ein vergleichsweise kleiner Teil der ganzen
Reihenfolge sämtlicher Bausteine – das heisst aller       Erbsubstanz untersucht wird, können die Kosten
Basenpaare – des menschlichen Genoms bestimmt.            entsprechend tief gehalten werden – mit ein Grund
Datenbanken machen es möglich, die Merkmale der           für den kommerziellen Erfolg der Gentests, die
DNA mit individuellen Ausprägungen des Körpers            sich direkt an die Kundschaft richten (sogenannte
und teilweise des Verhaltens zu verknüpfen; die           Direct-to-Consumer- bzw DTC-Gentests). Doch ist
Wissenschaft spricht dabei vom Zusammenhang               absehbar, dass künftig auch die Sequenzierung
zwischen Genotyp und Phänotyp. Die Menge an               des ganzen Genoms günstiger und damit für breite
Sequenzierungsdaten nimmt rasant zu und verdop­           Kreise erschwinglich wird. Damit würden noch wei­
pelt sich gegenwärtig alle sieben Monate.                 tergehende Auswertungen möglich.

Zu rund 99,5 Prozent stimmt die Erbsubstanz ver­
schiedener Menschen überein. Angesichts der               Trotz Genom offene Zukunft
ins­gesamt mehr als drei Milliarden Basenpaare der
DNA ergeben sich allerdings bei 0,1 bis 0,4 Prozent       Bei der Auswertung der gewaltigen Mengen an
des Genoms trotzdem eine beträchtliche Menge –            Ge­nomdaten kommen statistische Methoden zum
konkret: mehrere Millionen – Unterschiede. Eine           Einsatz. Entsprechend wird bei genomweiten Assozia­
der grössten Datenbanken umfasst die Daten von            tionsstudien die Frage, ob ein Körpermerkmal mit
über 2’500 sequenzierten Genomen von Personen             bestimmten SNPs oder anderen genetischen Merk­
aus unterschiedlichen Ländern. In anderen Daten­­         malen zusammenhängt, mit Wahrscheinlichkeitsaus­
banken sind SNPs (ausgesprochen: Snips) vermerkt,         sagen beantwortet. Anders ausgedrückt: Analysen
die jeweils gemeinsam vererbt werden und mit              der Erbsubstanz lassen – von wenigen Krankheits­
bestimmten Merkmalen des Körpers oder Verhaltens          veranlagungen abgesehen – keine absolut sicheren
einhergehen. Die Einträge in solchen Datenbanken          Voraussagen zu.

                                                                                                               7
Das ist vor allem in der Forensik von Bedeutung.        die ihren Sitz im Ausland haben und mit lokalen
Denn heute können bloss einige äusserliche Merk­        Partnern zusammenarbeiten. Es dürften nicht
male wie Augen-, Haar- und Hautfarbe mit relativ        zu­letzt die hierzulande geltenden Vorschriften sein,
hoher Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden.           die einheimische Firmen davon abschrecken, sich
An der Bestimmung weiterer Eigenschaften wie            direkt an die Kundschaft zu wenden: Grundsätzlich
der Gesichtsform oder der Körpergrösse arbeitet         dürfen Lifestyle-Tests von Schweizer Anbietern nur
die Forschung mit Hochdruck. Doch selbst bei der        dann direkt vertrieben werden, wenn eine medizini­
Ausprägung eines einzigen Merkmals können Tests         sche Verwendung ausgeschlossen werden kann.
unterschiedlich genaue Ergebnisse bringen. Wäh­
rend beispielsweise braune Haare nur mit einer
74-prozentigen Wahrscheinlichkeit vorhergesagt             Vom Allel über das INDEL bis zum SNP
werden können, trifft der Test bei roten Haaren mit        Genetische Analysen decken nicht nur Verän­de­
93 Prozent ins Schwarze.                                   run­gen an den Genen auf, sondern auch DNA-­
                                                           Polymorphismen. Bei diesen handelt es sich
Hinzu kommt, dass sich die Wahrscheinlichkeit für          zum einen um unterschiedliche Allele, also um
das Auftreten eines bestimmten Merkmals auf eine           verschiedene Zustandsformen eines Gens. So
Gruppe von Individuen bezieht und nicht auf den            kann etwa die Gartennelke weiss, gelb oder hell-
Einzelfall. Selbst wenn also der Gentest einer Person      bis dunkelrot erblühen; das hängt von einem
eine erhöhte Wahrscheinlichkeit aufzeigt, Überge­          bestimmten Allel ab, dessen Sequenz je nach
wicht zu entwickeln, bedeutet dies keineswegs, dass        Farbe unterschiedlich ist. Zum anderen gibt es
sie zwangsläufig zu viele Kilos auf die Waage bringen      auch «INDELS» genannte Veränderungen, die
wird; denn auch Bewegung und Essgewohnheiten               durch die Einfügung oder Löschung kurzer Gense­
spielen eine wesentliche Rolle.                            quenzen zustande kommen. Dies kann die Genex­
                                                           pression – d.h. die Neubildung von Proteinen –
                                                           verringern oder erhöhen. Für genetische Analysen
Die Herkunft und das Selbst                                bedeutsam sind zudem Punktmutationen, die
entschlüsseln                                              sogenannten SNPs (sprich: Snips). Dieses Kürzel
                                                           für Single Nucleotide Polymorphism bezeich­
Anfang der 2000er-Jahre gingen in den USA die              net eine Variation eines einzelnen Basenpaars.
ersten DTC-Gentests über den virtuellen Ladentisch.        In der menschlichen Erbsubstanz stellen SNPs
Das Angebot umfasste nicht nur Herkunftsanalysen,          etwa 90 Prozent der genetischen Varianten dar.
sondern auch Abklärungen zu Krankheitsrisiken. Die         Schliesslich gibt es auch noch die Satelliten; das
Behörden untersagten aber schon bald den Direkt­           sind kurze Genabschnitte, die sich wiederholen,
verkauf medizinischer Gentests: Zu wenig valide            ohne dass sie für ein Protein codieren. Geneti­
seien die Ergebnisse, zu gross der Schaden, der bei        sche Analysen beruhen hauptsächlich auf einer
der verunsicherten Kundschaft entstehen könnte.            Untersuchung der SNPs und der Satelliten. Wenn
                                                           der Ort bestimmter SNPs bzw. Satelliten bekannt
Die Herkunftsanalysen indes erwiesen sich als Ren­         ist, werden diese als Marker bezeichnet.
ner. Denn im Einwanderungsland Amerika möchten
viele Genaueres über ihre Vorfahren aus dem alten
Kontinent erfahren. Im Jahr 2015 änderte sich die
rechtliche Situation: Seither können Privatpersonen
in den USA wieder gewisse medizinische DTC-Tests
zur vorausschauenden Ermittlung beispielsweise
des Alzheimer- und Parkinsonrisikos in Auftrag
geben, weil die Food and Drug Administration die
erforderlichen Regulierungen erlassen hat.

In Europa ist der Einsatz von DTC-Gentests unein­
heitlich geregelt. In manchen Ländern fehlen Gesetze
für den Umgang mit solchen Analysen, in anderen
ist die Beteiligung von medizinischem Fachpersonal
oder eine genetische Beratung vorgeschrieben. In
der Schweiz stammt das Angebot für DTC-Tests in
der Regel von internetbasierten Unternehmungen,

8
Klettern im Geäst des Stammbaums

In Fürstenhäusern war es üblich, Herrschafts-          land, fünf Prozent Belgien und drei Prozent Frank­
ansprüche mit der Herkunft zu legitimieren und         reich ergänzt. Der untersuchte Zeithorizont reicht je
diese entsprechend akribisch festzuhalten. Nach-       nach Anbieter von wenigen hundert Jahren bis in die
dem im späten 18. Jahrhundert Zivilstandsregister      Bronzezeit zurück; gewisse Tests bescheinigen ihren
eingeführt worden waren, begannen auch «ein-           Probanden gar wenige Prozente Neandertaler-Gene.
fache Leute», ihren Ahnen nachzuspüren. Heute
können sie sich hierfür der Genanalyse bedienen.       Die Anbieter bewerben ihre Herkunftstests damit,
                                                       dass sie eine spannende Reise in die familiäre Ver­
Über 100 Millionen Nutzerinnen und Nutzer welt­        gangenheit ermöglichen und zur Entdeckung der
weit zählt die 2003 in Israel gegründete Firma         eigenen Wurzeln beitragen würden. Aus wissen­
MyHeritage. Ihr Angebot: Eine Software, die es         schaftlicher Sicht sind dies fragwürdige Aussagen:
ermöglicht, aus einer Vielzahl an Dokumenten nach      Wenn beispielsweise ein Test der mütterlichen oder
Verwandten zu suchen. Seit dem Jahr 2016 bietet        väterlichen Abstammungslinie folgt, wird pro Gene­
MyHeritage zudem die Herkunftsforschung über           ration bloss ein Individuum identifiziert. Je weiter
einen Gentest an. Mit ähnlichen Leistungen werben      zurück die Analyse reicht, desto grösser wird der
auch andere Unternehmen wie FamilyTreeDNA,             Anteil der Vorfahren, die ausgeblendet bleiben. Die
23andMe oder 24Genetics. Das stösst auf Interesse:     Herkunft wird ohnehin desto vielfältiger, je weiter
Die MIT Technology Review ermittelte, dass von         zurück sie in die Vergangenheit reicht. Statt von «der
2012 bis zu Beginn des Jahres 2019 weltweit insge­     Herkunft» im Singular zu sprechen, würde die Idee
samt 26 Millionen Menschen einen kommerziellen         «vielfältiger Herkünfte» der Realität näherkommen.
Gentest in Anspruch genommen hatten, um ihrer
Herkunft auf den Grund zu gehen.                       Ein anderer Ansatz besteht darin, anhand bestimm­
                                                       ter Marker auf der geschlechtsunabhängigen, auto­
Im Juni 2019 existierten gemäss den Recherchen         somalen DNA zwar sämtliche Abstammungslinien zu
im Rahmen der Studie von TA-SWISS 14 Firmen,           berücksichtigen; die herkunftsspezifischen Marker
die über das Internet Gentests zur Herkunfts- und      werden dabei mit Datenbanken abgeglichen, die
Verwandtenforschung anbieten und in die Schweiz        mit Daten heutiger Populationen gespeist wurden.
liefern. Mittlerweile kann – zumindest in den Nach­    Der Pferdefuss bei dieser Methode: Sie geht von der
barländern der Schweiz – das Zubehör für Her­          Annahme aus, dass die Menschen, deren Daten in
kunftsgentests auch über Amazon bezogen werden;        die aktuelle Referenzdatenbank geflossen sind, seit
diese sind somit endgültig bei der netzaffinen Käu­    Generationen am gleichen Ort leben und daher die
ferschaft angekommen, für die der online-Handel        vergangene Population repräsentieren – eine ange­
zum Alltag gehört.                                     sichts der erwiesenen Wanderfreudigkeit von Homo
                                                       sapiens gewagte These.

Die DNA als Reisekarte                                 Fachleute für Geschichtswissenschaft und Ahnenfor­
                                                       schung geben zu bedenken, dass die biologisch her­
Die Resultate, die rund zwei Monaten nach dem          geleitete Abstammung zunehmend andere Konzepte
Einsenden der Probe eintreffen, erinnern an den        verdrängt, die von sozialer, kultureller oder religiö­
Erdkundeunterricht: Nebst diversen Diagrammen          ser Verwurzelung ausgehen. Auch sei unwahrschein­
umfasst die Dokumentation Welt- und Landeskar­         lich, dass eine historisch beschriebene Gruppe
ten, auf denen die Kontinente, Länder und Regionen     wie «die Wikinger» überhaupt einem einheitlichen
verschieden eingefärbt sind. Die Farben markieren      gene­ti­schen Mustersatz entsprächen. Schliesslich sei
den prozentualen Anteil der familiären Herkunft,       nicht einmal sicher, dass eine von Nachgeborenen
sagen also etwas darüber aus, woher wie viele der      im Rückblick als Stamm oder Volk wahrgenommene
eigenen Vorfahren angeblich stammen. Teilweise         Menschengruppe wie «die Kelten» sich selbst als
wird auch auf Gruppen verwiesen, die früher im         zusammengehörig verstanden habe.
jeweiligen Raum lebten; die mehrheitlich helvetische
Abstammung wird so unter Umständen durch ver­          Gewiss ist hingegen, dass Herkunftsanalysen den
schiedene Herkunftsanteile wie 20 Prozent Deutsch­     Anbietern Möglichkeiten für weitere Geschäfte eröff­

                                                                                                           9
nen: Einige von ihnen schlagen über Partnerfirmen         Hinzu kommt, dass die DNA eines Menschen unter
    der Kundschaft vor, gleich die passende Unterkunft        Umständen verwandten Dritten etwas über sich
    an den Herkunftsorten der Vorfahren zu buchen             offenbart, die sich gar nicht haben testen lassen
    und ihr materielles und kulturelles «Erbe» vor Ort        – und die von ihrer Veranlagung auch gar nichts
    kennenzulernen.                                           wissen möchten. Generell lassen sich Schlüsse über
                                                              ungetestete Drittpersonen ziehen. So sorgte vor
                                                              wenigen Jahren ein kriminalistischer Erfolg in den
    Unerkannt verwandt                                        USA für Schlagzeilen: Ein Serienmörder konnte nach
                                                              Jahrzehnten überführt werden, indem seine am
    Dank der umfassenden Datenbanken, auf welche              Tatort sichergestellte DNA­Spur mit den Daten aus
    die grossen Anbieter von Gentests zurückgreifen           einer Ahnenforschungsplattform abgeglichen wurde,
    können, ist es auch möglich, nach aktuell lebenden,       wo eine Cousine dritten Grades ihr genetisches
    aber unbekannten Verwandten zu suchen. Indem              Profil hochgeladen hatte. Nach aufwendigen Recher-
    analysierte DNA­Segmente mit den Daten in der             chen gelang es, den mittlerweile betagten Täter
    Referenzdatenbank abgeglichen werden, lässt sich          dingfest zu machen. Der Coup der Polizei sorgte
    die genetische Nähe oder Entfernung von Perso­            allerdings vielerorts für Empörung und datenschutz­
    nen ermitteln. Biologische Eltern, Geschwister oder       rechtliche Bedenken. Zugleich zeigt er, dass alle, die
    Kinder können ebenso identifiziert werden wie             ihre genetischen Daten offenlegen, zugleich auch
    Grosseltern, Tanten oder Cousins höheren Grades           ihre Familienangehörigen «outen».
    – wenngleich letztere mit abnehmender Treffsicher-
    heit. Dabei werden nur Personen identifiziert und
    kontaktiert, die ihre Einwilligung dazu erteilt haben.       Verschiedene genetische Suchpfade der
                                                                 Herkunftsforschung
    Beworben wird die Verwandtensuche mit dem                    Die Marker auf der autosomalen, d.h. geschlechts­
    Argument, es könnten unauffindbare Angehörige                unabhängigen DNA werden von beiden Elterntei­
    entdeckt werden. Im Fall einer Adoption wird der             len vererbt und lassen Schlüsse auf die geogra­
    Kontakt zu den unbekannten leiblichen Eltern oder            fische Herkunft der Vorfahren mütterlicher- und
    den verlorenen Kindern in Aussicht gestellt. Doch            väterlicherseits zu. Auf dem Y­Chromosom loka­
    die Konfrontation mit unbekannten Verwandten hat             lisierte Marker hingegen werden ausschliesslich
    – anders als es die Werbung suggeriert – nicht nur           vom Vater und einzig an die Söhne vererbt und
    positive Folgen: Wer beispielsweise erkennen muss,           geben Aufschluss auf die Herkunft der väterlichen,
    dass der Vater, der einen durch Kindheit und Jugend          männlichen Vorfahren. In den Mitochondrien
    begleitet hat, nicht der leibliche Erzeuger ist, könnte      verortete Marker wiederum werden nur von der
    in seinem Vertrauen auf die Verlässlichkeit familiä­         Mutter, aber an Söhne und Töchter gleichermas­
    rer Bindungen erschüttert werden.                            sen vererbt und lassen somit Rückschlüsse über
                                                                 die Herkunft der weiblichen Ahnen mütterlicher­
                                                                 seits zu.

0

    10
Wenn die Gene den Lebensstil diktieren

Wie wir Nährstoffe verwerten, den Stress ver-          zu Fragen rund um Ernährung und Gewicht. Auf
tragen oder im Marathonlauf abschneiden, wird          dieser Grundlage schlagen sie beispielsweise Speise­
durch die Gene mitbestimmt. Die Menge an Gen-          pläne vor, die auf die individuelle genetische Aus­
daten nimmt rasant zu, ebenso die Kenntnisse           stattung zugeschnitten sind. Sie analysieren dazu
über bestimmte genetische Ausprägungen und             Ausprägungen in den Genen des Stoffwechsels, die
damit zusammenhängende körperliche Merk-               Aufschluss darüber geben, wie der Körper Nähr­
ma­le. Auf diesem Wissen beruhen DTC-Gentests.         stof­fe verwertet. Das betrifft beispielsweise DNA-­
                                                       Variationen, die zu Schwierigkeiten beim Abbau von
Das Beste aus sich herausholen, sich näher kennen­     Milch­zucker führen; Blähungen und Bauchkrämpfe
lernen, sich um das eigene Wohlbefinden kümmern        sind typische Symptome für diese Laktoseintole­
– mit solchen Slogans bewerben die Anbieter von        ranz. Ein anderes Gen steht für die Verarbeitung von
Gentests ihr Produkt. Einer Schätzung zufolge wird     Zucker und Fett, das in einer besonderen Ausprä­
sich der weltweite Markt für DTC-Gentests bis zum      gung mit Übergewicht, erhöhtem Risiko für Diabetes
Jahr 2021 auf eine Milliarde US-Dollar belaufen. In    Typ II und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergehen
der Schweiz mit ihrer hohen Kaufkraft ist das Poten­   kann.
zial bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Rentabel
für die Gentest-Firmen ist zudem, dass sie die von     Wohlbefinden hängt nicht allein von der Ernährung
ihrer Kundschaft erhaltenen Daten weiterverkaufen      ab. In die Kategorie Wellness fallen Tests, die Rück­
können, etwa an Pharmafirmen, die sich sehr für        schlüsse auf die Entgiftungsfähigkeit des Körpers
den informativen Rohstoff interessieren.               zulassen. Je nach Genvariante stecken die Geteste­
                                                       ten Alkohol, Nikotin oder Umweltgifte wie Pestizide
                                                       und Insektensprays besser oder eben schlechter
Neugierig auf sich selbst                              weg. Bestimmte Gemütszustände können ebenfalls
                                                       unter dem Einfluss der DNA stehen: Die Variante
In einer Befragung unter Naturwissenschaftlern,        eines Gens, das auf die Ausschüttung des Glückhor­
die ihre Gene testen liessen, gab die Mehrheit an,     mons Dopamin einwirkt, wird mit Angst- und Stress­
die Neugier habe sie zu diesem Schritt bewogen.        zuständen und mit der Neigung zu Drogensucht
Als zweithäufigsten Grund erwähnten sie, mit ihren     und Alkoholismus in Zusammenhang gebracht. Ob
Daten die Forschung unterstützen zu wollen – eine      jemand darauf hoffen darf, bis ins hohe Alter fit und
Motivation, die mit ihrem beruflichen Hintergrund      vergleichsweise faltenfrei zu bleiben, wird anhand
zusammenhängen dürfte. Eine weitere Umfrage            von Genen geprüft, die den Umgang mit oxidativem
unter Studierenden zeigte, dass nebst der Unterstüt­   Stress regulieren und die Fähigkeit der Zellen, sich
zung der Forschung die Suche nach Krankheitsver­       selber zu erneuern. Schliesslich gibt die DNA sogar
anlagungen ebenfalls eine grössere Rolle spielt.       Hinweise darauf, ob jemand eher ein Morgenmuf­
                                                       fel ist oder lieber früh aus dem Bett flüchtet; die
Der Drang, mehr über sich selber und mögliche          Getesteten erhalten dann Tipps, wie sie ihren Alltag
Veranlagungen zu wissen, passt jedenfalls zu einem     am besten ihrem Biorhythmus anpassen und so ihr
Lebensstil, der sich neuer Technik gegenüber auf­      körperliches und mentales Wohlbefinden verbes­
geschlossen zeigt. Er schliesst Selbstvermessung       sern können.
mittels Tracker wie auch das ständige Streben nach
Leistungssteigerung ein und zieht Angebote vor, die    Zurzeit stehen mehr als 150 Gene im Verdacht, die
– zumindest rhetorisch – auf die individuelle Eigen­   sportliche Leistung – in erster Linie Muskelkraft und
art zugeschnitten sind.                                Ausdauer – zu beeinflussen. Allerdings vermoch­
                                                       ten die zahlreichen wissenschaftlichen Studien zu
                                                       diesem Thema nur wenige Zusammenhänge zwei­
Ernährung, Wellness, Sport                             felsfrei nach­zuweisen. Gene, die mit körperlichen
                                                       Wachstumsfaktoren und so mit einer rascheren Hei­
Im Rahmen der Studie von TA-SWISS wurden acht          lung von Verletzungen in Zusammenhang stehen,
Anbieter genetischer Tests zur Lifestyle-Optimierung   sind für Sport­treibende ebenfalls von Interesse. Es
untersucht. Mit einer Ausnahme geben alle Auskunft     dürften aber vor allem Exponentinnen und Exponen­

                                                                                                          11
ten aus dem Hochleistungssport einen wirklichen         Das Risiko ist nicht von der Hand zu weisen, dass die
     Nutzen aus Gentests ziehen: Im Wettkampf können         Ergebnisse von Gentests verstören und beunruhigen
     minimale Verbesserungen den Unterschied von             können. Etwa wie im Fall einer Kundin, die aufgrund
     Platz eins oder drei auf der Rangliste ausmachen.       einer nachträglichen Auswertung der ursprünglich für
                                                             nicht medizinische Zwecke erhobenen genetischen
                                                             Rohdaten der Familie bei ihrer Tochter die Veranla­
     Wissenschaft im Dienst der                              gung zu einer ungewöhnlichen Bindegewebsstörung
     Unterhaltung?                                           entdeckte. In der Folge liess sie am Mädchen fast
                                                             zwanzig medizinische Untersuchungen durchführen
     Fachleute aus dem Gesundheitswesen, die für die         – von denen keine den Verdacht auf das seltene Syn-
     Studie von TA­SWISS interviewt wurden, bewerten         drom bestätigte. Nebst der Verunsicherung ganzer
     Gentests, die sich direkt an die Kundschaft wenden,     Familien ziehen also DTC­Gentests unter Umständen
10   mehrheitlich als Spielerei – mit kritischem Unterton.   die unnötige Beanspruchung medizinischer Ressour­
     Einige Fachpersonen gestehen den Ernährungstipps        cen nach sich.
     aus Lifestyle­Gentests einen gewissen prophylakti­
     schen Wert zu. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass     Schliesslich können übertriebene Erwartungen der
     Information allein nicht reicht, um das Verhalten zu    Kundinnen und Kunden in Enttäuschung umschla­
     ändern; wer gern Milchschokolade nascht, wird kaum      gen, wenn diese erkennen, dass der Gentest ihnen
     damit aufhören, bloss weil ihm ein Gentest die Nei­     nicht viel mehr verraten hat, als sie ohnehin vermutet
     gung bescheinigt, in den Organen Fett anzureichern.     hatten. Auch wirken neben der DNA noch andere
                                                             Faktoren wie etwa die Umweltbedingungen auf die
     Einig sind sich alle befragten Expertinnen und Exper­   physische und psychische Befindlichkeit ein, sodass
     ten, dass keine Erkrankungsrisiken kommuniziert         letztlich die Aussagekraft dieser Art von Gentests
     werden dürfen. Genau hier werfen DTC­Gentests           beschränkt bleibt.
     Probleme auf – denn die Grenze zwischen Lifestyle-
     Analyse und medizinischem Test ist durchlässig. Ein
     schwerer Fall von Laktoseintoleranz bedarf medizi­
     nischer Beratung, und Gene, die auf die Erneuerungs­
     fähigkeit der Zellen und auf den Alterungsprozess
     einwirken, werden auch mit Krebserkrankungen in
     Zusammenhang gebracht.

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     12
Wer hat’s getan? Gentests in der polizeilichen
Ermittlungsarbeit

Seit gut dreissig Jahren werden zur Aufklärung von       Abweichend treffsicher
Verbrechen auch genetische Spuren ausgewertet.
Allerdings mussten diese bis vor Kurzem mit ge­ne­       Anders als die Darstellung kriminalistischer Arbeit
tischen Profilen aus eigens erstellten Datenbanken       in den Medien glauben macht, sind die Ergebnisse
abgeglichen werden. Die Phänotypisierung ermög-          der DNA-Phänotypisierung meist keineswegs ein­
licht es, aus der Genspur alleine bestimmte Merk-        deutig. Relativ sicher lässt sich bloss das biologische
male ihres Urhebers herauszulesen.                       Geschlecht bestimmen. Ob aber die Täterin blonde
                                                         oder braune Haare, der Täter helle oder dunkle Haut
Im Jahr 1985 entdeckte Alec Jeffreys, ein britischer     hat, ist – je nach Körpermerkmal und Ausprägung –
Genetiker, dass sich Sequenzen im menschlichen           nur mit mehr oder weniger grosser Wahrscheinlich­
Genom zur Identifizierung von Personen eignen. Er        keit herauszufinden.
nannte seine Methode «genetischer Fingerabdruck».
Implizit lehnt er sich dabei an den bereits erwähnten    Die Farbe der Iris ist von allen äusserlichen Körper­
Zwillingsforscher Galton an, der erkannt hatte, dass     merkmalen wissenschaftlich am besten ergründet.
die Rillen auf den Fingerbeeren jeder Person einzig­     IrisPlex, ein statistisches Modell zur Voraussage der
artig sind.                                              Augenfarbe, kann mit einer 95-prozentigen Wahr­
                                                         scheinlichkeit feststellen, ob eine Person blaue oder
Grossbritannien begann 1995, eine DNA-Profil-            braune Augen hat. Grüne oder graue Augen sind
Daten­­bank anzulegen, weitere Länder folgten. Das       schwerer zu erkennen, und die Wahrscheinlichkeit
aus TV-­Sendungen und Kriminalfilmen bekannte            einer korrekten Vorhersage ist entsprechend ge­­
Ver­fah­ren war geboren: Die Genspur vom Tatort          ringer.
– Haut­zel­len, Haare, Sperma, Speichel- oder Bluts­
tropfen – wird mit den DNA-Profilen in der Daten­        Die Pigmentierung von Haut und Haaren ist eben­
bank abgeglichen; mit dem Treffer klärt sich das         falls vergleichsweise gut erforscht. Die Wahrschein­
Verbrechen auf.                                          lichkeit für präzise Aussagen erstreckt sich über
                                                         die Bandbreite von 74 Prozent (braune Haare) über
                                                         76 Prozent (helle Haut) und 93 Prozent (rote Haare)
Aufklärung ohne Vergleichsdaten                          bis 99 Prozent (dunkle Haut).

Die Phänotypisierung führt die Forensik – die Rekon­     An weiteren genetischen Merkmalen wird intensiv
struktion krimineller Handlungen – einen Schritt wei­    geforscht, so etwa an der Beschaffenheit der Haare
ter. Denn die Information über die gesuchte Person       (lockig, kraus oder glatt), am Vorhandensein von
wird aus der DNA-Spur selber gewonnen. So können         Sommersprossen oder an der Neigung zu Kahlköp­
auch Genspuren der Ermittlungsarbeit dienen, bei         figkeit. Auch die Form der Ohrmuschel oder die
denen in der Vergleichsdatenbank kein übereinstim­       Körpergrösse haben die Fachleute der Genetik ins
mendes Profil gefunden wird. Das Verfahren wird          Visier genommen. Ein eigentliches «Phantombild»
angewandt, um etwa die Herkunft nicht identifizier­      lässt sich indes aufgrund genetischer Information
barer Opfer einzugrenzen oder um äusserliche Merk­       nicht erstellen.
male unbekannter Tatverdächtiger abzuschätzen.
Damit verändert sich die Rolle von Genanalysen in
der polizeilichen Tätigkeit grundlegend: Sie dienen      DNA-Profile nur im Vergleich nutzbar
nicht mehr nur dazu, Verdächtige mittels DNA-Ab­
gleich zu identifizieren oder auszuschliessen, sondern   Seit 2005 ist in der Schweiz das DNA-Profil-Gesetz
werden zum Ermittlungswerkzeug, um äusserliche           in Kraft. Es ist auf den Abgleich genetischer Spuren
Merkmale Unbekannter herauszufinden.                     mit Proben aus einer Datenbank ausgerichtet. In
                                                         der Praxis pflegen Ermittlerinnen und Ermittler,
                                                         eine Tatortspur mit der nationalen DNA-Datenbank
                                                         «CODIS» abzugleichen. Neben dem Vergleich der

                                                                                                              13
DNA­Sequenzen gestattet es das Gesetz einzig, das         bei schweren Untaten und erst dann angewandt,
     biologische Geschlecht festzustellen, und untersagt       wenn alle gängigen Ermittlungsmethoden versagt
     ausdrücklich, nach anderen persönlichen Eigen­            haben.
     schaften zu suchen. Eine Typisierung allein aufgrund
     eines DNA­Abstrichs ist somit nicht zulässig.             Für Zurückhaltung beim Einsatz der Phänotypisie­
                                                               rung sprechen verschiedene Gründe. So befürchtet
     Diesen Umstand rückte ein Verbrechen aus dem              man, es könnten auch Unschuldige unter General­
     Jahr 2015 ins öffentliche Bewusstsein: Eine junge         verdacht geraten, wenn sie bestimmte Merkmale
     Frau wurde an einem Sommerabend im luzerni­               – wie etwa rote Haare und blaue Augen – aufweisen,
     schen Emmen bei der Heimfahrt von ihrem Fahrrad           die gemäss einer Phänotypisierung dem Täter zuge­
     gerissen, vergewaltigt, verletzt liegengelassen und       schrieben werden. Gewarnt wird auch davor, dass
     ist seither querschnittgelähmt. Die sichergestellte       die Ermittlung biogeographischer Herkunft von Ver­
     DNA-Spur ergab in CODIS keinen Treffer, und auch          dächtigen dem Rassismus Vorschub leisten könnte.
     ein DNA­Massenscreening bei über 300 Männern              Andererseits kann die Phänotypisierung auch helfen,
     mit Bezug zum Tatort blieb ohne Erfolg. Der «Fall         zu Unrecht in Verdacht Geratene zu entlasten oder
     Emmen» brachte die Diskussion um die DNA­Phäno­           ganze Personengruppen vom Tatverdacht auszu­
     typisierung ins Rollen. Unter dem Titel «Kein Täter­      schliessen.
     schutz für Mörder und Vergewaltiger» reichte ein
     Nationalrat einen Vorstoss ein, der darauf abzielt, die   Schon die «herkömmliche» DNA­Analyse darf nur
     DNA­Analyse auf die weiteren persönlichkeitsprägen­       angeordnet werden, wenn ein hinreichender Tatver­
     den Merkmale von Augen­, Haar­ und Hautfarbe aus­         dacht besteht und die Identität der Täterschaft nicht
     zuweiten. Der Vorstoss wurde im Parlament gutge­          mit milderen Mitteln nachgewiesen werden kann.
     heissen, sodass der Bundesrat nun gehalten ist, das       Wird die DNA­Phänotypisierung als Zwangsmass­
     Gesetz entsprechend zu überarbeiten. Die Luzerner         nahme im Strafprozess angeordnet, muss sie diesen
     Staatsanwaltschaft hat bereits angekündigt, den Fall      Anforderungen ebenfalls entsprechen.
     wieder aufzurollen, sobald das überarbeitete Gesetz
     – voraussichtlich im Jahr 2022 – in Kraft tritt.
                                                                 DNA-Phänotypisierung: der Traum vom gene-
                                                                 tischen Phantombild
     Haltlosen Verdächtigungen vorbeugen                         Bei der DNA­Phänotypisierung werden aufgrund
                                                                 der DNA äusserliche Eigenschaften wie Augen­
     Der Titel des erwähnten politischen Vorstosses zeigt        oder Haarfarbe einer Person vorausgesagt. Die
     bereits an, dass die DNA­Phänotypisierung nur bei           Treffsicherheit ist je nach analysiertem Merkmal
     Verbrechen zum Einsatz kommen soll – also bei               unterschiedlich und Vorhersagen sind einzig in
     kriminellen Handlungen, die mit Freiheitsstrafen            Form von Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich.
     von mindestens drei Jahren bestraft werden. Auch            Anders als es fiktionale Filme darstellen, ist es also
     in Ländern, wo sich die Phänotypisierung in der Ver­        keinesfalls möglich, mit DNA­Phänotypisierung ein
     brechensaufklärung bereits etabliert hat, wird es nur       «biologisches Phantombild» zu zeichnen.

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Wenn sich die Datenspur verliert

Anbieter von DTC-Gentests arbeiten meist mit            Häufig ist auch nicht ersichtlich, dass in der Regel
einer Vielzahl von Partnern zusammen. Die Firma,        ein externes Labor und nicht der Anbieter von
die mit der Kundschaft in Verbindung steht, ist         DTC-Tests selber die Analysen durchführt. Die
nicht identisch mit den Labors, die die Genprobe        Autorinnen und Autoren der Studie von TA-SWISS
analysieren. Zudem beruht das Geschäftsmodell           bemängeln die komplexe Struktur mit Partnerun­
etlicher Anbieter darauf, die Proben weiter zu          ternehmen, die meist verschiedene Teile der Ana­
verwenden. Wer alles Zugriff auf welche Daten           lyse abdecken – ohne dass die Websites der Firmen
erhält, ist schwer zu durchschauen.                     transparent angeben, wo welche Analysen vorge­
                                                        nommen werden. Auch fehlen manchmal verständ­
Informationen aus der Erbsubstanz sind sensible         liche und umfassende Angaben zu Messgenauigkeit
persönliche Daten, die nur in vertrauenswürdige         und technischen Standards.
Hände geraten sollten. Der Datenschutz bereitet
etlichen Kundinnen und Kunden von DTC-Tests Sor­
gen: Über die Hälfte der Personen, die eine solche      Genetische Information ist kein
Analyse durchführen liessen, äusserten gemäss           Privateigentum
einer Befragung im Hinblick auf den Schutz von
Privatsphäre und Vertraulichkeit der Daten grosse       Daten über die erbliche Veranlagung verraten
oder zumindest einige Bedenken. Knapp ein Viertel       zwangs­läufig etwas über Blutsverwandte. Selbst
der Befragten sorgen sich zudem, Dritte könnten auf     wenn also eine Person der weiteren Verwendung
ihre Daten zugreifen.                                   ihrer Gendaten zustimmt, trifft dies nicht auf ihre
                                                        Familienangehörigen zu, die mit ihr viele erbliche
                                                        Merkmale teilen; die Fachwelt spricht in diesem
Wer analysiert was auf welche Weise?                    Zusammenhang von «biosozialen Schicksalsge­
                                                        meinschaften».
Wie etliche andere Firmen nutzt 23andMe die Gen­
daten ihrer Kundschaft für eigene Forschung, stellt     Zudem können Anbieter von Gentests nicht sicher
sie aber auch für die Zusammenarbeit mit Universi­      sein, dass die eingesandte Probe tatsächlich von
tätsinstituten und nicht profitorientierten Unterneh­   der jeweiligen Kundin oder dem Kunden stammt.
men zur Verfügung. Die umfangreichen Datensätze         Eltern könnten der Versuchung erliegen, die Gene
aus DTC-Gentests wecken zudem Begehrlichkeiten          ihrer Kinder auslesen zu lassen – ein klarer Verstoss
gewinnorientierter pharmazeutischer Unternehmen.        gegen die gesetzlichen Vorschriften (wie im Grunde
                                                        auch gegen die Nutzungsbedingungen der meisten
Seit in der Vergangenheit die Zusammenarbeit von        Firmen), die die Selbstbestimmung der Getesteten
DTC-Gentest-Unternehmen mit Pharma-Firmen               einfordern. Letztere müssen überdies ausführlich
Kritik hervorgerufen hat, weil die Kundschaft ihrer     informiert werden, bevor sie in eine Genanalyse
Meinung nach nicht angemessen über die Nutzung          ein­willigen. Bei Kindern kommt erschwerend hinzu,
ihrer Daten aufgeklärt wurde, geben die Anbieter        dass ihnen das Recht auf Nichtwissen genommen
von Tests an, wie sie welche Daten weiterverwen­        wird und sie damit der gänzlichen Offenheit ihrer
den. Die Nutzungsbedingungen und die Unterlagen         Zukunft beraubt werden.
zur Einwilligung in die Forschung an den persönli­
chen Daten weisen auf mögliche Risiken hin – auch
auf jene, die sich aus künftigen technischen Ent­       Rohstoff für weitere Interpretationen
wicklungen ergeben könnten. Dennoch bezweifeln
Fachleute, dass die Kundschaft tatsächlich eine         Liegen erst einmal sequenzierte Gendaten vor, sind
vollumfängliche «informierte Einwilligung» in die       die Kundinnen und Kunden nicht gezwungen, sich
Forschung mit eigenen Daten geben kann. Zudem           mit den vom Gesetz her zulässigen nichtmedizini­
ist es oft schwierig herauszufinden, wie man sich       schen Ergebnissen zufrieden zu geben. Vielmehr
mittels eines sogenannten opting out der Weiterver­     können sie – ohne einen weiteren Test durchführen
wendung seiner Daten verweigern kann.                   zu lassen – diese Gendaten durch Firmen oder auf

                                                                                                              15
Plattformen reinterpretieren lassen und so doch        Bei Unklarheiten und mit den Sorgen
gesundheitlich relevante Angaben erhalten. Damit       allein gelassen
verschwimmen die Grenzen zwischen Lifestyle­ oder
Herkunftsforschung und medizinischer Analyse.          Bei ärztlich angeordneten und somit nach dem
                                                       Gesetz durchgeführten Genanalysen ist sowohl vor
Sogar wer seinen Gentest nicht eigens medizinisch      als auch nach dem Test eine medizinische Beratung
auswerten lässt, ist nicht davor gefeit, durch seine   vorgeschrieben. Zwar geben die Anbieter von DTC­
Lifestyle­ oder Herkunftsanalyse mit medizinisch       Gentests verschiedene Kontaktmöglichkeiten an;
relevanter Information konfrontiert zu werden.         einige von ihnen unterhalten Foren, in denen sich
Denn die Medien berichten mittlerweile über SNPs       die Kundschaft austauschen und beraten kann.
und Gene mit potenziell krankmachender Wirkung,
sodass es auch medizinischen Laien auffallen kann,     Eine spezifische Schweizer Rufnummer für die
wenn in ihrem Genprofil eine Mutation bei einem die-   Beantwortung persönlicher Fragen unterhält aber
ser Gene auftaucht. Dass ein solches Ergebnis noch     keine der auf Herkunftsanalysen spezialisierten
keineswegs etwas über das tatsächliche Krankheits­     untersuchten Firmen – auch diejenigen nicht, die
risiko aussagt, weil dieses durch weitere genetische   Gentests in die Schweiz liefern. Etwas besser sieht es
Eigenschaften und die äusseren Lebensumstände          bei Anbietern von Lifestyle­Gentests aus, von denen
mitbestimmt wird, wäre der besorgten Kundin, dem       die meisten online­ oder telefonische Beratung zur
beklommenen Kunden, in der medizinischen Bera­         Verfügung stellen. Allerdings sind verschiedene
tung zu erklären.                                      Websites mit weiterführenden Angaben, auf die von
                                                       Anbieterseite verwiesen wird, ausschliesslich auf
                                                       Englisch. Hinzu kommt, dass sich die Beratung auf
                                                       nichtmedizinische Fragen beschränkt. Kundinnen
                                                       und Kunden, die ihre Daten reinterpretieren lassen,
                                                       um gesundheitsrelevante Angaben zu erhalten,
                                                       bleiben bei beunruhigenden Ergebnissen mit ihren
                                                       Sorgen alleine.

16
Trennscharfe Gesetze – diffuse Realität

DTC-Tests stehen im Kraftfeld verschiedener              sie mit entsprechenden Vorkehrungen sogar vor­
Gesetze. Zentral ist das Gesetz über genetische          beugen könnte, muss ihr diese Information vorent­
Untersuchungen beim Menschen GUMG. Der                   halten bleiben. Anders als medizinisch angezeigte
Umgang mit den erhobenen Daten wird durch das            DNA-Analysen dürfen schliesslich DTC-Tests aktiv
Bundesgesetz über den Datenschutz DSG geregelt.          beworben werden.
Für die Handhabung genetischer Tatortspuren ist
das DNA-Profil-Gesetz massgebend. Doch auch              Werden medizinische Tests durchgeführt, gelten
übergeordnete Gesetzestexte wie die Bundesver-           noch eine Reihe weiterer Vorgaben, die sich im Gros­
fassung mit ihren Aussagen über die Menschen-            sen und Ganzen mit denen aus dem «alten» Gesetz
würde gilt es zu berücksichtigen.                        decken. Solche Analysen müssen von einer Ärztin,
                                                         einem Arzt, in Auftrag gegeben werden, eine Bera­
Das im Jahr 2007 in Kraft getretene GUMG geht von        tung der Getesteten ist zwingend, und Arbeitgeber
medizinisch verordneten Gentests aus. Entsprechend       oder Versicherungen dürfen keinen Einblick in die
vermag es die kommerziellen DTC-Tests nicht ange­        Ergebnisse verlangen.
messen zu regulieren und wird derzeit überarbeitet.
Die neue Fassung wird voraussichtlich im Jahr 2021
in Kraft treten.                                         Diffuse Grenzen

                                                         Auch das revidierte Gesetz vermag ein Grundproblem
Altes Gesetz, an neue Realität                           nicht auszuräumen: Gendaten, die für die Optimie­
angepasst                                                rung des Lebensstils erhoben werden, können auch
                                                         gesundheitlich von Belang sein; denn medizinische
Zentrale Leitsätze des aktuellen Gesetzes behalten       und nichtmedizinische Information lassen sich nicht
auch in der neuen Fassung ihre Gültigkeit. So muss       klar trennen. Das Gesetz will dieser Schwierigkeit
die getestete Person der Analyse zustimmen, und          beikommen, indem es den Zweck der Untersuchung
zwar nach entsprechender Aufklärung: Gefordert           als Hilfskonstrukt einführt: Wird ein Gentest durch­
wird die sogenannte informierte Einwilligung. Und        geführt, um die Ernährung zu optimieren, betrachtet
während das GUMG das «Recht auf Nichtwissen»             man ihn als nichtmedizinisch. Wenn jedoch eine stark
hochhält, besteht der revidierte Gesetzestext zu­sätz­   übergewichtige Person getestet wird, um die geeig­
lich auch auf das «Recht auf Information».               ne­te Therapie festzulegen, gilt der gleiche Test als
                                                         medizinisch.
In einem eigenen, neuen Kapitel behandelt das
revidierte Gesetz die genetischen Untersuchungen         Die Abgrenzungsprobleme werden durch das Ver­
ausserhalb der Medizin. Hier werden die Eigen­           bot unterstrichen, den Getesteten gesundheitlich
schaften spezifiziert, die in den DTC-Tests ermittelt    relevante Überschussinformation mitzuteilen. Damit
werden dürfen. Mit Blick auf die erforderliche Auf­      gesteht der Gesetzgeber selber implizit zu, dass DTC-
klärung der Kundschaft fordert das Gesetz, es seien      Tests sehr wohl in das Feld medizinischer Sachver­
die Labors und ausländischen Firmen zu nennen,           halte hineinreichen. In der fehlenden Trennschärfe
die die Tests durchführten, und es müssten auch          zwischen medizinischen und nichtmedizini­schen
Kontaktdaten von Personen angegeben werden,              Anwendungen von DTC-Gentests dürfte im Hinblick
die Fragen beantworten könnten. Wenn die derzeit         auf die Umsetzung des revidierten Gesetzes die
aktiven Testanbieter dem Gesetz genügen wollen,          Hauptschwierigkeit liegen.
müssen sie sich also hinsichtlich ihrer Transparenz
und der Beratung verbessern. Festgehalten wird
zudem, dass der Kundschaft nur Informationen mit­        Datenschutz als Herausforderung
geteilt werden dürfen, auf die ein Test von vornher­
ein abzielt. Stellt sich also bei einem nichtmedizini­   Das derzeit gültige GUMG verweist mit Blick auf die
schen DTC-Test heraus, dass eine Person ein hohes        Bearbeitung genetischer Daten auf das Berufsge­
Risiko für eine therapierbare Krankheit trägt, der       heimnis und auf das Datenschutzgesetz.

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