NOTARIATS ZEITUNG ÖSTERREICHISCHE - DORDA Rechtsanwälte
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ÖSTERREICHISCHE NOTARIATS ZEITUNG 15 2. JAHRGANG 04 2020 MONATSSCHRIFT FÜR NOTARIAT UND VERFAHREN AUSSER STREITSACHEN Aus dem Inhalt: BEITRÄGE Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik: COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen Seite 121 Bernhard Rieder: Gesellschaftsrechtliche Aspekte der COVID-19-Gesetzgebung Seite 134 RECHTSPRECHUNG Zur Bindungswirkung einer im Vorprozess rechtskräftig festgestellten fideikommissarischen Substitution Seite 152 Rechtliches Interesse bei negativer Feststellungsklage Seite 158 REDAKTION: Ludwig Bittner, Elisabeth Lovrek, Peter G. Mayr, Christian Rabl, Alexander Schopper, Rudolf Welser, Alexander Winkler. BEIRAT: Gottfried Musger, Helmut Ofner, Hans Georg Ruppe, Karl Stöger, Wolfgang Zankl.
NZ04 Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik 2020 COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen NZ 2020/38 COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen Von Arbeitsrecht bis Zivilprozess Die COVID-19-Krise betrifft Unternehmen in vielfältiger Weise. Dieser Artikel gibt einen Überblick über einige für Unternehmen relevante rechtliche Themen und aktuelle gesetzliche Regelungen. Diese reichen von der Frage der Auswirkungen auf bestehende Verträge, über arbeits- und mietrechtliche Fragen bis zu den Aus- wirkungen auf Zivilprozesse und in letzter Konsequenz auf eine mögliche Insolvenzantragspflicht. Von Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik Inhaltsübersicht: 4. Anfechtungsausschluss für unbesicherte Überbrückungskredite A. Einleitung 5. Möglichkeit zur Stundung der Zahlungsplanraten B. Zivilrecht einschließlich Vertragsrecht 6. Ausnahme vom Eigenkapitalersatz-Gesetz 1. Allgemeine Auswirkungen von COVID-19 auf Verträge A. Einleitung a) Höhere Gewalt Der Gesetzgeber hat auf die Herausforderungen durch b) Wegfall der Geschäftsgrundlage die COVID-19-Pandemie mit einer Reihe von Sammelge- c) Rücktritt vom Vertrag setzen (den COVID-19-Gesetzen)1 reagiert. Diese enthal- d) Kündigung aus wichtigem Grund ten verschiedenste öffentlich-rechtliche (beispielsweise e) Rechtsfolgen für neu abgeschlossene Ausgangsbeschränkungen, Sperren von Geschäften Verträge und Versammlungsverbote) und zivilrechtliche Regelun- 2. Kreditverträge: Stundung von Kreditraten gen. Daneben sind auch diverse Förderungen und an- 3. Deckelung der Verzugszinsen dere Hilfsmaßnahmen für Unternehmen und Privatperso- 4. Ausschluss von Konventionalstrafen nen vorgesehen (zB die Kurzarbeitsregelungen oder der C. Mietrecht Härtefallfonds). Diese Maßnahmen sind weitestgehend 1. Mietzinsminderung für Geschäftsräumlichkeiten befristet. Um Details festzulegen, flexibel reagieren und 2. Räumungs- und Kündigungsschutz für insbesondere die Fristen erforderlichenfalls verlängern Wohnungen zu können, enthalten diese Gesetze auch umfangreiche D. Arbeitsrecht Verordnungsermächtigungen. Dieser Beitrag geht im 1. Corona-Kurzarbeit Folgenden auf ausgewählte zivil- und unternehmens- a) Allgemeines rechtliche Aspekte der COVID-19-Pandemie näher ein.2 b) Verbrauch von Zeitausgleich und Urlaub c) Nettoentgeltgarantie d) Kurzarbeitsbeihilfe B. Zivilrecht einschließlich Vertragsrecht e) Beendigung von Arbeitsverhältnissen und Der Gesetzgeber hat im 4. COVID-19-Gesetz punktuell Behaltefrist Einzelfragen von bestimmten Vertragsarten3 geregelt, f) Adressatenkreis auf Arbeitnehmerseite um Personen (teils nur Verbraucher, teils auch Unter- g) Adressatenkreis auf Arbeitgeberseite nehmer), die durch die COVID-19-Pandemie in ihrer 2. Homeoffice wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erheblich beein- 3. Verbrauch von Zeitguthaben, trächtigt sind, vorübergehend zu entlasten. insbesondere Urlaub 4. Sonderbetreuungszeit 1. Allgemeine Auswirkungen von E. Jahresabschlüsse COVID-19 auf Verträge F. Zivilprozesse und Außerstreitverfahren a) Höhere Gewalt 1. Parteienverkehr und Fristen Vorab ist anzumerken, dass das allgemeine Zivilrecht 2. Exekutionsverfahren kaum spezifische Regelungen für Krisenfälle enthält. 3. Grundbuchsverfahren G. Insolvenzverfahren 1. Prozessuale Fristen 1 COVID-19-Gesetz BGBl I 2020/12; 2. COVID-19-Gesetz BGBl I 2. Aussetzung von besonderen Zustellungen an 2020/16; 3. COVID-19-Gesetz BGBl I 2020/23; 4. COVID-19- Gesetz BGBl I 2020/24. Gläubiger 2 Zu gesellschaftsrechtlichen Aspekten s den Beitrag von Rieder 3. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei in diesem Heft S 134. Überschuldung 3 Zum Arbeits- und Liegenschaftsrecht s näher unten. NZ 04/2020 121
Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen Unter Rückgriff auf dessen Kategorien und Instrumente bare Instrument des Wegfalls der Geschäftsgrundlage lassen sich aber einige Grundsätze für die rechtlichen heran.5 Konsequenzen von Pandemien für Verträge herausar- Tatsächlich lassen sich dessen Voraussetzungen gut auf beiten: die derzeitige Situation einer Bedrohung durch COVID- Eine im Zuge der COVID-19-Krise zu großer Berühmt- 19 übertragen, da die Vertragsparteien den Fall der heit gelangte Entscheidung des OGH kann dabei als Pandemie zwar üblicherweise nicht geregelt haben, Ausgangspunkt genommen werden. Nach dieser steht vom Nichteintreten aber gleichzeitig häufig stillschwei- nämlich fest, dass im österreichischen Recht der Aus- gend ausgegangen sind.6 bruch von SARS als Fall höherer Gewalt galt.4 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage kann sowohl zur In Anlehnung an diese „SARS-Entscheidung“ wird man Anpassung als auch zur Aufhebung des Vertrags füh- dasselbe auch für den Ausbruch von COVID-19 behaup- ren. Was davon in Frage kommt, hängt von den Um- ten können. Als erstes Zwischenergebnis lässt sich des- ständen im Einzelfall ab und wird daher die nächsten halb festhalten: Beim Ausbruch von COVID-19 handelt Jahre voraussichtlich noch die österreichischen Ge- es sich um einen Fall höherer Gewalt, dessen Eintritt richte beschäftigen. Im Ausgangsfall der „SARS-Ent- niemandem vorzuwerfen ist. Dasselbe muss aber nicht scheidung“ wies der OGH darauf hin, dass jedenfalls zwingend auch für den Eintritt jeglicher vertraglichen bei Reiseverträgen regelmäßig die Anpassung (und Leistungsstörung während der Bedrohung durch CO- nicht die Aufhebung) anzustreben sei. Der OGH bejahte VID-19 gelten: die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage * Es wird wohl Fälle geben, in denen der Vertrag allein bei einer Reise, die wegen des damaligen SARS-Aus- wegen COVID-19 nicht erfüllt werden kann. Denkbar bruchs nicht wie geplant stattfinden konnte. Im konkre- sind hier sowohl Konstellationen der unmittelbaren ten Fall war das Ergebnis, dass der Kunde nicht deshalb (zB Erkrankung aller Mitarbeiter eines Produktions- von einer China-Rundreise zurücktreten konnte, weil betriebs) als auch der mittelbaren (zB rechtliches Be- der Reiseveranstalter Hongkong – das von SARS beson- tretungsverbot des Produktionsbetriebs) Wirkung ders betroffen war – als letzte Station der Reise, von der der Pandemie. auch der Rückflug erfolgte, durch Peking ersetzte. Diese Vertragsanpassung war aus Sicht des OGH auf- * Anderes kann aber gelten, wenn der Schuldner zwar grund höherer Gewalt zumutbar. von COVID-19 (entweder unmittelbar oder mittelbar) betroffen ist, die Leistungsstörung des Vertrags aber Auch sonst wird häufig – da keine Partei an der Pande- nicht unvermeidbare Folge gewesen wäre. Erkranken mie „schuld“ ist – die Vertragsanpassung sachgerechter zB nicht alle Mitarbeiter eines Produktionsbetriebs, sein als der komplette Wegfall des Vertrags. sondern nur einer von mehreren, kann es dem c) Rücktritt vom Vertrag Schuldner durchaus zumutbar sein, trotzdem noch Daneben erlaubt das Gesetz dem Gläubiger auch den ordnungsgemäß seine Leistung zu erbringen. Ein Vertragsrücktritt wegen Verzugs, wenn der Schuldner sorgfältiger Unternehmer muss wohl immer darauf nicht wie vereinbart leistet. Erfolgt die Leistung schuld- vorbereitet sein, dass ein gewisser Anteil seiner Mit- haft nicht, gebührt dem Gläubiger außerdem Schaden- arbeiter wegen Krankheit ausfällt (unabhängig von ersatz.7 einer Pandemie). Der Schuldner soll sich also dort nicht auf ein außergewöhnliches Ereignis ausreden Üblicherweise muss der Gläubiger dem säumigen können, wo er bereits unter ganz gewöhnlichen Um- Schuldner vor dem Rücktritt eine Nachfrist von „ange- ständen (Mitarbeiter werden der allgemeinen Le- messener“ Dauer setzen. Wie lange diese zu sein hat, ist benserfahrung nach auch ohne Pandemie krank) die wieder eine Frage des Einzelfalls.8 Sie kann aber jeden- versprochene Leistung nicht erbringen hätte können. falls für jenen Gläubiger zu lange sein, der möglichst Von der Einordnung in eine dieser beiden Kategorien werden dann auch die Rechtsfolgen bei leistungsge- 5 Grundlegend Bydlinski, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage störten Verträgen abhängen. Sehen weder Sonderge- im österreichischen Recht, ÖBA 1996, 499. Vgl auch Pletzer in setze (s gleich unten) noch der individuelle Vertrag eine Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 901 Rz 15 mwN. Vgl auch jüngst zum geschichtlichen Hintergrund Leitner, Die Corona- Regel vor, gilt allgemeines Zivilrecht. Dieses kennt eine krise und der abgesagte Krönungszug, Die Presse 2020/14/08. Reihe von im Einzelfall möglicherweise passenden We- Wohl eher für eine mögliche Anwendbarkeit („Ausgeschlossen gen, mit von COVID-19 „infizierten“ Verträgen umzuge- scheint dies nicht“) Tichy/Leissler, Wenn Verträge unerfüllbar hen. werden, Der Standard 2020/12/01. 6 Näher zu den Voraussetzungen Pletzer in Kletečka/Schauer, b) Wegfall der Geschäftsgrundlage ABGB-ON1.03 § 901 Rz 15. 7 Vgl allgemein nur Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 918 Der OGH zog in der oben zitierten „SARS-Entschei- Rz 11 ff mwN. Jüngst überblicksweise dazu auch Milchrahm/ dung“ das recht vielseitig – wenn auch selten – einsetz- Klicka, Bei Vertragsrücktritt größte Zurückhaltung geboten, Die Presse 2020/15/04. 8 Zur „Angemessenheit“ der Frist Reischauer in Rummel/Lukas, 4 OGH 14. 6. 2005, 4 Ob 103/05 h. ABGB4 § 918 Rz 16 ebenfalls mwN. 122 NZ 04/2020
NZ04 Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik 2020 COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen rasch (sofort) vom derzeitigen Vertrag zurücktreten will, 2. Kreditverträge: Stundung um einen neuen Vertrag mit einem Vertragspartner zu von Kreditraten schließen, der – noch – liefern kann. § 2 des 2. COVID-19-JuBG, das Teil des 4. COVID-19- In bestimmten Fällen entfällt allerdings die Pflicht zur Gesetzes(pakets) ist,12 sieht eine Stundung für Forde- Nachfrist ganz, so zum Beispiel bei dauerhafter Unmög- rungen gegen bestimmte Kreditnehmer vor, die auf- lichkeit.9 Fälle von dauerhafter Unmöglichkeit können grund der COVID-19-Pandemie in erhebliche wirt- gerade in Zeiten, in denen wegen COVID-19 der Groß- schaftliche Schwierigkeiten geraten sind. Die Regelung teil des öffentlichen Lebens pausiert wurde, auf den ers- gilt nur für Verbraucherkreditverträge, die vor dem ten Blick vielfältig sein. Es stellen sich aber im Detail 15. 3. 2020 von Unternehmern als Kreditgeber abge- schwierige Abgrenzungsfragen. Insbesondere wird schlossen wurden. man häufig darüber streiten können, ob die Vertragser- Der persönliche Anwendungsbereich auf Kreditnehmer- füllung tatsächlich „dauerhaft“ vereitelt ist oder nicht. seite erfasst daher Verbraucher, bezieht in Abs 7 aber Die wohl herrschende Lehre nimmt das nämlich (nur) auch Kleinstunternehmen13 (Unternehmen mit weniger dann an, wenn nach der Verkehrsauffassung mit an Si- als zehn beschäftigten Personen, deren Jahresumsatz cherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszu- bzw Jahresbilanz zwei Mio Euro nicht überschreitet) in gehen ist, dass die Leistung auch in Zukunft nicht mehr die Regelung ein. Der sachliche Anwendungsbereich er- erbracht werden kann.10 Das ist ein hoher Maßstab, der streckt sich auf Ansprüche des Kreditgebers aus Kredit- bei der – hoffentlich – bloß vorübergehenden Bedro- verträgen auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistun- hung durch COVID-19, wenn überhaupt, immer nur auf- gen, die zwischen 1. 4. 2020 und 30. 6. 2020 fällig grund der besonderen Umstände des Einzelfalls erfüllt werden. Andere Finanzierungsformen, zB Kreditierun- sein wird. gen des Kaufpreises im Versandhandel, werden nicht er- fasst.14 d) Kündigung aus wichtigem Grund Bei Dauerschuldverhältnissen, deren Fortführung unzu- Voraussetzung ist, dass der Kreditnehmer aufgrund der mutbar ist, steht außerdem die Möglichkeit der soforti- durch die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervor- gen Kündigung aus wichtigem Grund offen. Ob eine gerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einkom- solche Kündigung wegen des Ausbruchs von COVID-19 mensausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbrin- möglich und sinnvoll ist, wird wohl besonders darauf an- gung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist, ins- kommen, wie man die Unzumutbarkeit der Fortführung besondere, wenn sein angemessener Lebensunterhalt im Einzelfall argumentiert.11 oder der angemessene Lebensunterhalt seiner Unter- haltsberechtigten gefährdet ist. Nach Ansicht des Ge- e) Rechtsfolgen für neu setzgebers ist ein mittelbarer Zusammenhang zur Pan- abgeschlossene Verträge demie,15 der (bloß) mitkausal für die nicht zumutbare Die oben genannten Rechtsfolgen können jedenfalls für wirtschaftliche Beeinträchtigung war, ausreichend. Sind „Altverträge“ gelten, also solche, die geschlossen wur- die Voraussetzungen erfüllt, werden die fälligen Ansprü- den, als noch niemand vom Ausbruch von COVID-19 che des Kreditgebers gegen den Kreditnehmer auf wusste (oder deren Auswirkungen erfassen konnte). Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen aufgrund gesetzlicher Anordnung für die Dauer von jeweils drei Eine andere Beurteilung wird dann vorzunehmen sein, Monaten gestundet. Das heißt, dass für die später als wenn der Vertrag jetzt neu abgeschlossen wird oder zu vereinbarte Zahlung kein Verzug vorliegt und keine Ver- einem Zeitpunkt abgeschlossen wurde, zu dem die Aus- zugszinsen anfallen (§ 2 Abs 1). Die vereinbarte Regel- wirkungen der aktuellen Krise auf die Möglichkeit zur verzinsung bleibt davon somit unberührt. Leistungserbringung schon absehbar waren. Klärt ein Lieferant in „Neuverträgen“ nicht darüber auf, dass Der Zeitpunkt der Fälligkeit ist für den Beginn der Stun- die Erbringung der Leistung aufgrund der Bedrohung dung ausschlaggebend, sofern nicht eine abweichende durch COVID-19 (oder daran anknüpfende rechtliche Vereinbarung getroffen wurde (oder der Kreditnehmer Begleitmaßnahmen) nicht gesichert ist, wird er sich in vertragskonform Zahlung leistet, was ihm unbenommen der Regel nicht auf höhere Gewalt berufen können. bleibt). Eine Frist, die für die Inanspruchnahme von Si- cherheiten nach der letzten Fälligkeit vorgesehen ist, In „Neuverträgen“ wird daher besonderes Augenmerk verlängert sich entsprechend. darauf zu legen sein, in welchen Fällen die Verpflichtung zur Leistung entfallen und auch, wie lange sie hinausge- schoben werden kann. 12 2. Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, Art 37 (I. Hauptstück) 4. COVID-19-Gesetz BGBl I 2020/24. 9 Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 918 Rz 160. 13 Im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Europäischen Kom- 10 Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 918 Rz 5 mwN, mission vom 6. 5. 2003, ABl L 2003/124, 36. auch zur Abgrenzung zu anderen Leistungsstörungen. 14 Erläuterungen zum IA 403/A 27. GP 40. 11 15 Für die schillernde Rechtsprechung zur Frage der Unzumutbar- Beispiele in Erläuterungen zum IA 403/A 27. GP 38 (Punkt 2 zu keit vgl nur RIS-Justiz RS0027780. Art 37). NZ 04/2020 123
Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen Unklar ist weiters, wie das Vorliegen der Voraussetzun- des 2. COVID-19-JuBG eine Deckelung der Verzugs- gen geprüft werden soll; die bloße Nichtleistung wird zinsen auf 4% (pro Jahr) vor. Diese Deckelung ist an fol- jedenfalls nicht genügen. Vielmehr wird der Kreditge- gende Voraussetzungen geknüpft: ber entsprechende Nachweise verlangen können. Teil- * Der Vertrag muss vor dem 1. 4. 2020 geschlossen weise bleibt auch offen, zu welchem Zeitpunkt die Vo- worden sein. raussetzungen für die Stundung vorliegen müssen. Es * Die Zahlung muss zwischen dem 1. 4. 2020 und dem ist davon auszugehen, dass diese jeweils bei Fälligkeit 30. 6. 2020 fällig geworden sein oder fällig werden. einer Zahlung gesondert zu prüfen sind; daher könnte * Die Schuld wurde nicht oder nicht vollständig entrich- auch eine etwa erst im Mai oder Juni eingetretene wirt- tet, weil der Schuldner als Folge der COVID-19-Pan- schaftliche Verschlechterung zum Eingreifen der Rege- demie in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit lung führen. erheblich beeinträchtigt ist. Besondere Herausforderungen stellen sich in Fällen, in denen der Kreditnehmer Zahlungen auf mehrere Ver- Die Deckelung gilt nicht nur bei bestimmten Vertrags- braucherkredite, noch dazu an unterschiedliche Kredit- arten, sondern kommt für sämtliche Vertragsverhält- geber zu leisten hat und eine teilweise Zahlung weiter nisse zur Anwendung, und zwar sowohl bei Verbrau- möglich wäre: Sachgerecht erschiene hier eine anteilige cherverträgen als auch bei Unternehmerverträgen.17 Stundung (und nicht ein Abstellen darauf, welche For- Sie ist mit 30. 6. 2022 befristet (§ 17 Abs 2 des 2. CO- derung zuerst fällig wird).16 VID-19-JuBG). Ab dem darauffolgenden Tag gelten wieder die vereinbarten oder sonstigen gesetzlichen Bis zum Ablauf der Stundung ist eine Kündigung des Verzugszinsen.18 Wie der Gesetzgeber richtig ausge- Kreditvertrags wegen Zahlungsverzugs oder Ver- führt hat,19 ist die Deckelung vor allem dort relevant, schlechterung der Vermögensverhältnisse ausgeschlos- wo vertraglich höhere Verzugszinsen vereinbart wur- sen (Abs 4). Mangels Eintritt der Fälligkeit der gestun- den. Die gesetzlichen Verzugszinsen betragen nämlich deten Beträge kann sich die Bestimmung wohl nur auf auch sonst 4%, außer beim verschuldeten Verzug zwi- Rückstände beziehen, mit denen der Kreditnehmer schen Unternehmern – und ein Verschulden wird man schon vor dem 1. 4. 2020 in Verzug war. Allerdings gilt dem Unternehmer in „Corona-Zeiten“ nicht immer vor- das Kündigungsverbot nur für diejenigen Fälle, die auch werfen können. berechtigterweise eine Stundung in Anspruch nehmen können. Wenn die oben genannten Voraussetzungen vorliegen, Die Kreditgeber werden vom Gesetzgeber angehalten, muss der Schuldner dem Gläubiger auch keine Kosten mit den Kreditnehmern Gespräche (auch im Wege von für außergerichtliche Betreibungs- oder Einbrin- Fernkommunikationsmittel) über einvernehmliche Lö- gungsmaßnahmen ersetzen. Da das Gesetz jedoch sungen und mögliche Unterstützungsmaßnahmen anzu- nur eine Deckelung der Verzugszinsen vorsieht, aber bieten. Kommt eine einvernehmliche Regelung für den nicht verhindert, dass Schulden zum vereinbarten Ter- Zeitraum nach dem 30. 6. 2020 nicht zustande, so ver- min fällig werden, kann der Gläubiger weiterhin die fäl- längert sich die Vertragslaufzeit um drei Monate. Die lige Forderung einklagen und bei Obsiegen wie sonst jeweiligen Fälligkeiten der vom Kreditnehmer zu erbrin- auch Kostenersatz nach der ZPO verlangen. genden vertraglichen Leistungen wird um diesen Zeit- raum hinausgeschoben. Damit wird verhindert, dass 4. Ausschluss von Konventionalstrafen nach Ablauf der Stundung „doppelte“ Monatsraten an- Sowohl für verschuldensabhängige als auch für ver- fallen. schuldensunabhängige Konventionalstrafen (Vertrags- strafen) sieht § 4 des 2. COVID-19-JuBG eine Sonderre- 3. Deckelung der Verzugszinsen gel vor. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Konventio- Unternehmen, die keine Kleinstunternehmen sind, sind nalstrafe entfällt danach unter folgenden Vorausset- von den oben angeführten Maßnahmen nicht erfasst, zungen:20 können jedoch unter Umständen von einer Deckelung der Verzugszinsen profitieren. Grundsätzlich sind Schul- den auch in Zeiten einer Pandemie am Fälligkeitstag zu zahlen. Allerdings ist zu erwarten, dass vielen dafür der- 17 Lex non distinguit. So ausdrücklich der IA 403/A 27. GP 40. zeit die nötige Liquidität fehlt, zum Beispiel, weil der 18 Vgl für die gesetzlichen Zinsen § 1000 ABGB und § 459 UGB. 19 403/A 27. GP 40. eigene Betrieb von einer temporären Zwangsschlie- 20 Dass damit die „vertragliche Risikoverteilung ‚über den Hau- ßung betroffen ist. Verzugszinsen fallen trotzdem an. fen‘“ geworfen wird (Th. Rabl, COVID-19-Risiko im Vertrag: Zu Um diese Rechtsfolge etwas abzumildern, sieht § 3 „höherer Gewalt“, Geschäftsgrundlage und dem „eifrigen“ Ge- setzgeber, CuRe 2020/36), ist wohl zumindest begründungsbe- dürftig. Auf den ersten Blick scheint es doch eher so, dass der 16 Anzumerken ist, dass der administrative Aufwand für die Kredit- Gesetzgeber mit dem punktuellen Eingriff die von den Parteien geber schon ohne derartige Sonderkonstellationen durchaus vor dem Ausbruch von COVID-19 vereinbarte Äquivalenz ge- beträchtlich ist. rade (zumindest teilweise) wiederherstellt. 124 NZ 04/2020
NZ04 Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik 2020 COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen * Der Vertrag muss vor dem 1. 4. 2020 geschlossen keit sowie das Ausmaß des Verschuldens zu berücksich- worden sein. tigen sein sollen.23 Diese Kriterien könnten bei Konven- * Der Schuldner muss in Verzug geraten sein, weil er tionalstrafen, die anlässlich der COVID-19-Bedrohung entweder in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähig- fällig werden, aber aus formellen Gründen trotzdem keit erheblich beeinträchtigt ist oder die Leistung we- nicht unter die Erleichterung des § 4 des 2. COVID- gen der Beschränkungen des Erwerbslebens nicht er- 19-JuBG fallen, ausschlaggebend sein. bringen kann. Ob bei dem oben beschriebenen teilweisen Entfall der Im Unterschied zur Regelung über die Deckelung der Konventionalstrafe nach § 4 des 2. COVID-19-JuBG auf Verzugszinsen ist die Erleichterung bei Konventional- jenen Teil der Konventionalstrafe, der weiter zu zahlen strafen also nicht auf die Fälligkeit der Schuld im zwei- bleibt, zusätzlich noch das richterliche Mäßigungsrecht ten Quartal 2020 beschränkt. Spätestens ab 30. 6. zur Anwendung kommen kann (oder ob § 4 des 2. CO- 2022, wenn die Sonderbestimmung wieder außer Kraft VID-19-JuBG als die speziellere und spätere Bestim- tritt (§ 17 Abs 2 des 2.COVID-19-JuBG), können aber mung dem § 1336 Abs 2 ABGB vorgeht), wurde vom auch wieder Konventionalstrafen anfallen. Gesetzgeber soweit ersichtlich nicht ausdrücklich gere- gelt. Aus systematischen Gründen ist die gleichzeitige Außerdem sind die subjektiven Voraussetzungen im Un- Anwendung von § 4 des 2. COVID-19-JuBG und § 1336 terschied zur Bestimmung über die Verzugszinsen wei- Abs 2 ABGB aber zu bejahen. Die beiden Bestimmun- ter gesteckt: Es wird entweder auf die Beeinträchtigung gen haben nämlich einen ganz anderen Normzweck. der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder auf Be- Während § 4 des 2. COVID-19-JuBG die konkreten Fol- schränkungen des Erwerbslebens abgestellt. Der Ge- gen der COVID-19-Pandemie abzufedern versucht, setzgeber denkt dabei gemäß den Erläuterungen ent- strebt § 1336 ABGB allgemein nach der Vermeidung weder an rechtliche Einschränkungen (zB Quarantäne- von der Höhe nach „übermäßigen“ (§ 1336 Abs 2 maßnahmen in dem Ort, in dem sich die Baustelle be- ABGB) Konventionalstrafen. Da eine von § 4 des 2. CO- findet) oder faktische Einschränkungen (zB wegen des VID-19-JuBG erfasste Konventionalstrafe auch ganz all- – mittlerweile wohl weitgehend ohnehin auch rechtlich gemein „übermäßig“ sein kann, ist nicht einzusehen, gebotenen – „Social Distancing“). wieso der Schuldner nur deshalb nicht in den Genuss Ist die Nichterfüllung nur teilweise auf die COVID-19- des zwingenden Mäßigungsrechts kommen soll, weil Pandemie zurückzuführen, entfällt die Konventional- er ohnehin schon unter den Pandemie-Folgen leidet. strafe laut dem Gesetzgeber auch nur in jenem abzu- Im Ergebnis kann deshalb jener Teil der Konventional- grenzenden Teil.21 Der restliche Teilbetrag ist zu zahlen. strafe, der nicht schon aufgrund § 4 des 2. COVID-19- Selbst wenn der Vertrag also die oben genannten Vo- JuBG entfällt, zusätzlich auch noch vom Gericht nach raussetzungen erfüllt, heißt das noch nicht, dass dem § 1336 Abs 2 ABGB gemäßigt werden. Schuldner tatsächlich die volle Konventionalstrafe erlas- sen wird. Stattdessen wird im Einzelfall zu prüfen sein, C. Mietrecht wie stark die Pandemie überhaupt dazu beigetragen Auch aus mietrechtlicher Sicht stellen sich im Zusam- hat, dass er säumig wurde – und inwieweit er den Ver- menhang mit COVID-19 viele Fragen. Im Zentrum ste- trag auch ohne Pandemie niemals rechtzeitig erfüllen hen dabei: Entfällt die Mietzinszahlungsverpflichtung, hätte können und deshalb zumindest auch anteilig die wenn aufgrund einer Pandemie und/oder behördlicher vereinbarte Konventionalstrafe zahlen muss. Schließlich Anordnungen (Geschäfts-)Lokale und Beherbergungs- soll niemand anlässlich der Pandemie profitieren.22 betriebe zur Gänze schließen müssen? Können Mieter Jedenfalls gilt auch in „Pandemie-Zeiten“ weiterhin, derzeit aus ihren Wohnungen delogiert werden, wenn dass Konventionalstrafen dem – auch bei Unternehmer- sie den Mietzins nicht bezahlen (können)? Antworten verträgen – zwingenden richterlichen Mäßigungs- darauf gibt einerseits das 4. COVID-19-Gesetz, ande- recht unterliegen (§ 1336 Abs 2 ABGB). Das erlaubt rerseits auch schon das ABGB. es dem Gericht, eine zwischen den Parteien im Vorhi- nein vereinbarte Konventionalstrafe im Nachhinein, 1. Mietzinsminderung für das heißt nach Eintritt der Bedingungen für die Strafe, Geschäftsräumlichkeiten der Höhe nach zu mäßigen. Als Mäßigungskriterium Neben dem allgemeinen, verschuldensunabhängigen kommt vorrangig die im Verhältnis zur vereinbarten Mietzinsminderungsrecht nach § 1096 ABGB treffen Strafe geringfügige Schadenshöhe in Betracht. Dane- die §§ 1104 ff ABGB Sonderregelungen für den Fall ei- ben wird aber auch vertreten, dass zum Beispiel allge- nes außerordentlichen Zufalls: meine Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Billig- Kann eine in Bestand genommene Sache wegen außer- ordentlicher Zufälle gar nicht oder nur beschränkt be- 21 Das ergibt sich wohl auch schon aus dem Wortlaut der Bestim- nutzt werden, sehen §§ 1104 und 1105 ABGB vor, dass mung (arg: „Soweit [. . .] in Verzug gerät, weil er als Folge der COVID-19-Pandemie [. . .]“). 22 In diesem Sinn wohl auch 403/A 27. GP 42. 23 Näher Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1336 ABGB Rz 14. NZ 04/2020 125
Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen der Bestandgeber zur Wiederherstellung nicht ver- gerechtfertigt sein, da die Mietobjekte weiterhin ge- pflichtet ist, jedoch auch kein oder nur ein anteilig ge- wisse Zwecke erfüllen (Mindestbetrieb durch einzelne minderter Miet- oder Pachtzins zu entrichten ist.24 Au- Mitarbeiter, Lagerung der Betriebsmittel, externe Nut- ßerordentliche Zufälle iSd § 1104 ABGB sind elemen- zung von IT-Infrastruktur im Mietobjekt, zB Server etc). tare Ereignisse (Katastrophenfälle), die einen größeren Im Hinblick auf die Minderung von Betriebskosten im Personenkreis treffen und von Menschen nicht be- Rahmen von Mietzinsminderungsansprüchen nach herrschbar sind, sodass für deren Folgen im Allgemei- § 1105 ABGB liegt eine ältere Entscheidung des OGH nen von niemandem Ersatz erwartet werden kann.25 vor.26 Diese verneinte damals eine entsprechende Min- Aus heutiger Sicht ist davon auszugehen, dass die be- derung der Betriebskosten. In der Folge ging die Recht- hördlichen Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 sprechung – hingegen zur „klassischen“ Mietzinsminde- als außerordentlicher Zufall iSd §§ 1104 ff ABGB einzu- rungen nach § 1096 ABGB (wie Baulärm, Wasserscha- ordnen sind, der den Mieter zu Mietzinsminderung be- den etc) – davon aus, dass auch die Betriebskosten rechtigen kann, sofern die Nutzung seines Mietobjekts von der Minderung umfasst sind, dh, auch diese entfal- objektiv beeinträchtigt ist. len bzw sind nur anteilig zu tragen.27 Für Mietverträge über Büroräumlichkeiten stellen sich dabei besonders schwierige Abgrenzungsfragen dahin- Offen ist daher, ob auch im Zusammenhang mit Miet- gehend, ob und wie viel Mietzinsminderung Büromie- zinsminderungsansprüchen nach § 1105 ABGB eine tern zusteht. Hierbei stellt der Gesetzgeber gerade nicht Minderung der Betriebskosten zusteht.28 Für die ge- auf die subjektive, aus Sicht des Mieters bestehende nutzten Teile der Bestandobjekte (und daher wohl Nutzungsmöglichkeit ab, sondern vielmehr darauf, wel- auch anteilig für die Allgemeinflächen) sind aber wohl che objektive (Rest-)Nutzbarkeit dem Mietobjekt noch weiterhin Betriebskosten zu zahlen, auch ist bei der Be- zukommt. Freilich steht eine tatsächliche – über eine ob- urteilung zu berücksichtigen, zu welchem Zweck solche jektive Nutzbarkeit hinausgehende – tatsächliche Ver- Betriebskosten anfallen, denn zB Reinigung, Bewa- wendung des Mietgegenstands durch den Mieter einem chung und Besicherung dienen gerade auch während Mietzinsminderungsanspruch entgegen. Zeiten der Nichtanwesenheit des Mieters in Corona- Zeiten den Interessen des Mieters. Man muss hier uE auch zwischen Kunden- und Arbeits- bereichen unterscheiden: Solange für Kundenbereiche 2. Räumungs- und Kündigungsschutz von Dienstleistern (zB Empfangsbereiche, Bespre- für Wohnungen chungsbereiche für externe Kunden) ein Betretungsver- bot gilt, steht für diese Flächen wohl anteilig eine Miet- Da aus der aktuellen Corona-Situation keine Einschrän- zinsminderung zu. Hinsichtlich Arbeitsbereichen gilt, kung der Nutzung von Wohnungen folgt – die Men- dass die Arbeit möglichst von zuhause stattzufinden schen sollen ja gerade zuhause bleiben – besteht für hat (Stichwort: Homeoffice), dass aber die Nutzung zu Wohnungsmieter grundsätzlich keine Möglichkeit zur beruflichen Zwecken gerade auch erlaubt ist. Die Erfah- Minderung des Mietzinses. rung der letzten Wochen zeigt, dass Büromieter zumin- Mit dem 4. COVID-19-Gesetz wurde jedoch ein verstärk- dest einen Mindestbetrieb am Ort der Betriebsstätte ter Kündigungs- und Räumungsschutz zugunsten der führen und die Räumlichkeiten auch anderen Zwecken, Mieter beschlossen. Demnach kann ein Vermieter we- zB zur Bereitstellung der IT-Infrastruktur, weiterhin nut- gen eines Zahlungsrückstands des Mieters von Miet- zen. In diesem Ausmaß ist das Mietobjekt daher jeden- zinsforderungen, die im Zeitraum vom 1. 4. 2020 bis falls weiterhin objektiv nutzbar und ein Mietzinsminde- zum 30. 6. 2020 fällig wurden, den Mietvertrag weder rungsanspruch in diesem Umfang nicht gerechtfertigt. kündigen noch eine Aufhebung des Vertrages aus Da es allerdings wegen des bisher erfreulicherweise wichtigem Grund (§ 1118 ABGB) fordern, sofern der mangelnden Anwendungsbereichs iZm Seuchen kaum Zahlungsrückstand auf eine erhebliche Beeinträchti- Judikatur gibt, kann das tatsächliche Ausmaß der zuste- gung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mieters henden Mietzinsminderung derzeit nicht beurteilt wer- als Folge der COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. den. Eine Mietzinsminderung auf null wird uE kaum Der Zahlungsrückstand für den betroffenen Zeitraum kann frühestens ab 1. 1. 2021 gerichtlich eingefordert 24 Die scheinbare Doppelregelung der Bestandzinsminderung werden. Als Kündigungsgrund kann der Zahlungsrück- (§ 1096 ABG/§ 1104 ABGB) wird von der Lehre so aufgelöst, stand der Monate April, Mai und Juni 2020 erst ab dass die Bestimmungen des § 1104 ABGB im Spezialfall der Be- 1. 7. 2022 geltend gemacht werden, wenn bis dahin einträchtigung durch einen außerordentlichen Zufall gelten, während § 1096 ABGB bei sonstigen Gebrauchsbeeinträchti- nicht nachgezahlt wurde. Wesentlich ist auch, dass der gungen greift. Die gesetzliche Grundlage der Mietzinsminde- Vermieter auch die vom Mieter geleistete Kaution für rung ist daher eine andere; inhaltlich ergeben sich lt der Lehre jedoch keine Unterschiede oder Besonderheiten für Mietver- träge (für Pachtverträge jedoch schon) (vgl Riss in Kletečka/ 26 OGH 1 Ob 27/51. Schauer, ABGB-ON1.02 § 1105, Rz 1). 27 OGH 6 Ob 687/90; 7 Ob 90/10 a. 25 OGH 1 Ob 306/02 k MietSlg 39.144. 28 Vgl zB Riss, wobl 2010/136 (288). 126 NZ 04/2020
NZ04 Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik 2020 COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen den Zahlungsrückstand in diesen drei Monaten nicht ziert werden kann. Im gesamten Durchrechnungszeit- mit den fälligen Mietzinsforderungen aufrechnen darf. raum muss die gekürzte Arbeitszeit jedoch – durch- Die Mietzinsrückstände sind bis spätestens 31. 12. 2020 schnittlich – zumindest 10% betragen. nachzuzahlen. Die Fälligkeitstermine für den Mietzins Zur Vereinbarung von COVID-19-Kurzarbeit ist eine So- bleiben unverändert – auch während der Monate April, zialpartnervereinbarung erforderlich. In Betrieben mit Mai und Juni 2020; es sind jedoch höchstens die gesetz- Betriebsrat liegt dieser grundsätzlich eine entsprechen- lichen Verzugszinsen von 4% zu leisten. Mieter sind zu- de Betriebsvereinbarung zugrunde, während in be- dem nicht verpflichtet, die Kosten von außergerichtli- triebsratslosen Betrieben eine Einzelvereinbarung mit chen Betreibungsmaßnahmen zu ersetzen. den betroffenen Arbeitnehmern erforderlich ist. Diese besonderen Bestimmungen zum Kündigungs- b) Verbrauch von Zeitausgleich und Urlaub und Räumungsschutz gelten ausdrücklich nur für Woh- nungsmietverträge, laut 4. COVID-19-Gesetz aber ge- Bei Inanspruchnahme von Corona-Kurzarbeit ist zu be- rade nicht auch für Geschäftsraummieten oder Pacht- achten, dass (i) bestehende Zeitguthaben und (ii) Altur- verträge. laube tunlichst abzubauen sind, wobei der Abbau vor, aber auch während des Kurzarbeitszeitraums erfolgen kann. Da der Arbeitgeber den Verbrauch von Urlaub D. Arbeitsrecht und Zeitguthaben – außer bei Betrieben, die (noch) Im Mittelpunkt der arbeitsrechtlichen Maßnahmen rund von Betretungsverboten betroffen sind – grundsätzlich um die COVID-19-Pandemie stehen die Neuregelung nicht einseitig anordnen kann, hat er lediglich ein ernstli- der Kurzarbeit, Homeoffice, der Verbrauch von Zeitgut- ches Bemühen und keinen bestimmten Erfolg nachzu- haben und – wenngleich in der Beratungspraxis vermut- weisen. Kommt es etwa in Verhandlungen mit dem Be- lich von untergeordneter Bedeutung – die neu geschaf- triebsrat (oder mit den einzelnen Arbeitnehmern) zu kei- fene Sonderbetreuungszeit. Dazu im Detail: ner Einigung über den Abbau von Alturlauben (oder von Zeitguthaben), so schadet dies dem Arbeitgeber nicht. 1. Corona-Kurzarbeit Laufender Urlaub ist in den ersten drei Monaten grund- a) Allgemeines sätzlich nicht zu konsumieren; Abweichendes gilt für Unter Kurzarbeit versteht man grundsätzlich die vorü- solche Betriebe, die von Betretungsverboten betroffen bergehende, zeitlich absehbare Verkürzung der Nor- sind – hier kann der Arbeitgeber auch den Verbrauch malarbeitszeit (um mindestens 10% bis maximal 90%) von laufendem Urlaub anordnen, und zwar im Ausmaß bei gleichzeitiger Reduktion des Entgelts aufgrund von bis zu zwei Wochen. von wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers. c) Nettoentgeltgarantie Gewährt der Arbeitgeber den von Kurzarbeit betroffe- nen Arbeitnehmern einen Ersatz für das entfallende Für die im Rahmen der Kurzarbeit entfallene Normalar- Entgelt (die Nettoersatzrate), so kann er beim AMS eine beitszeit gebührt dem Arbeitnehmer eine Nettoent- entsprechende Förderung beantragen. geltgarantie, die vom Arbeitgeber zu leisten ist. Die konkrete Höhe ist vom Entgelt vor Kurzarbeit abhängig; Mit dem am 15. 3. 2020 beschlossenen COVID-19-Ge- insgesamt erhält der Arbeitnehmer während der Kurz- setz wurde ein spezifisches Modell der COVID-19-Kurz- arbeit in etwa zwischen 80 und 90% des Nettoentgelts arbeit („Corona-Kurzarbeit“) geschaffen und bereits vor Kurzarbeit. wenige Tage später – mit dem 2. COVID-19-Gesetz – um zusätzliche Regelungen erweitert, um auf die aktuel- Konkret kommt es zu folgender Staffelung: len Herausforderungen aufgrund der COVID-19-Pande- * Lehrlinge erhalten 100% des bisherigen Nettoent- mie reagieren zu können. Die wesentlichen Bestimmun- gelts; gen sind in der – ebenso laufend überarbeiteten – * bei einem Bruttoentgelt vor Kurzarbeit bis zu neuen Bundesrichtlinie Kurzarbeitsbeihilfe (KUA-CO- E 1.700,− erhält der Arbeitnehmer 90% des bisheri- VID-19) geregelt.29 gen Nettoentgelts; Im neuen § 37 b Abs 7 AMSG wird zunächst klargestellt, * bei einem Bruttoentgelt vor Kurzarbeit bis zu dass wirtschaftliche Schwierigkeiten als Auswirkungen E 2.685,− erhält der Arbeitnehmer 85% des bisheri- im Zusammenhang mit COVID-19 ausdrücklich als vor- gen Nettoentgelts; übergehende, nicht saisonbedingte wirtschaftliche * bei einem Bruttoentgelt vor Kurzarbeit bis zu Schwierigkeiten gelten, sodass betroffene Unterneh- E 5.370,− erhält der Arbeitnehmer 80% des bisheri- men Zugang zur Kurzarbeit erhalten können. gen Nettoentgelts. Eine Besonderheit dieser Kurzarbeit ist, dass die Ar- Als Entgelt (§ 49 ASVG) ist jenes heranzuziehen, das der beitszeit zeitweise auch auf bis zu null Stunden redu- Arbeitnehmer im letzten voll entlohnten Monat oder im Durchschnitt der letzten vier voll entlohnten Wochen 29 Bundesrichtlinie Kurzarbeit, AMF/2 – 2020, BGS/AMF/0702/ vor Einführung der Kurzarbeit brutto und arbeitslosen- 9988/2020. versicherungspflichtig bezogen hat. Gem § 49 ASVG NZ 04/2020 127
Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen sind auch alle jene Zuschläge und Zulagen hinzuzurech- Die Auszahlung der Kurzarbeitsbeihilfe erfolgt pro Ka- nen, die regelmäßige Lohn-/Gehaltsbestandteile dar- lendermonat nach Vorlage und Prüfung der Teil- bzw stellen. Endabrechnung. Die Auszahlung soll binnen 90 Tagen Liegt kein regelmäßiges Entgelt vor (zB Schichtbetrieb; ab Vorlage eines ordnungsgemäßen und vollständigen bei Zulagen nach geleisteten Arbeitsstunden), ist der Verwendungsnachweises erfolgen. Durchschnitt der letzten drei Monate (der letzten e) Beendigung von Arbeitsverhältnissen 13 Wochen) vor Kurzarbeit heranzuziehen. Überstun- und Behaltefrist denpauschalen, die widerruflich sind, sind dabei nicht Während der Kurzarbeit ist der Beschäftigtenstand zu berücksichtigen; All-in-Entgelte und unwiderrufliche grundsätzlich aufrecht zu halten, es sind also keine Kün- Überstundenpauschalen hingegen sehr wohl. digungen möglich. Darüber hinaus ist eine sogenannte d) Kurzarbeitsbeihilfe Behaltefrist zu beachten. Das ist jener Zeitraum, in dem Der Arbeitgeber erhält vom AMS – bei Vorliegen der – auch nach der Kurzarbeit – keine Kündigungen mög- sonstigen Voraussetzungen – die entstandenen Mehr- lich sind. Sie beträgt unabhängig von der Dauer der kosten für die Ausfallstunden aufgrund der COVID-19- Kurzarbeit einen Monat. Kurzarbeit gemäß den festgelegten Pauschalsätzen er- f) Adressatenkreis auf Arbeitnehmerseite setzt. In den Pauschalsätzen sind die anteiligen Sonder- Kurzarbeit ist für alle Arbeitnehmer möglich, und zwar zahlungen im Ausmaß eines Sechstels, die anteiligen (i) unabhängig von der Staatsangehörigkeit bzw allfälli- Beiträge zur Sozialversicherung (bezogen auf das Ent- gen Bewilligungen nach dem Ausländerbeschäftigungs- gelt vor Einführung der Kurzarbeit) und die sonstigen gesetz sowie (ii) unabhängig vom jeweiligen Beschäfti- lohnbezogenen Dienstgeberabgaben enthalten. Aus- gungsausmaß. Somit kommt Kurzarbeit auch für Perso- genommen von der Kurzarbeitsbeihilfe sind jedoch nen in Teilzeit (auch Eltern-, Alters-, Bildungs-, Pflege- Entgeltbestandteile über der Höchstbeitragsgrundlage und Wiedereingliederungsteilzeit) in Betracht. COVID- zur Sozialversicherung (also über brutto E 5.370,− mo- 19-Kurzarbeit kann auch für Lehrlinge beantragt wer- natlich). Für diese Einkommensanteile gebührt keine den, wenn diese im Betrieb keine oder keine geeignete Beihilfe. Im Rahmen der Nettoentgeltgarantie bei Kurz- Tätigkeit ausüben können. arbeit hat der Arbeitgeber aber auch diese Einkom- mensteile weiterhin an die Arbeitnehmer zu zahlen. Für Mitglieder des geschäftsführenden Organs (zB Ge- Kann er das nicht, so muss er eine entsprechende Be- schäftsführer), die nach dem ASVG versichert sind, ist grenzung eigens mit den betroffenen Arbeitnehmern Corona-Kurzarbeit ebenfalls möglich. vereinbaren. Für geringfügig Beschäftigte, Beamte und freie Dienst- Sozialversicherungsbeiträge fallen auf Basis des Ent- nehmer ist Corona-Kurzarbeit hingegen nicht möglich.30 gelts vor der Kurzarbeit an. Das AMS ersetzt dem Ar- beitgeber die Arbeitgeber-Beiträge ab dem 1. Kurzar- g) Adressatenkreis auf Arbeitgeberseite beitsmonat. Grundsätzlich ist Corona-Kurzarbeit für alle Arbeitgeber Die COVID-19-Kurzarbeitsbeihilfe kann vorerst für bis – unabhängig von Größe und Branche – möglich. Insbe- zu drei Monate gewährt werden; liegen die wirtschaft- sondere sind auch Unternehmen, die das Gewerbe der lichen Schwierigkeiten nach Ablauf dieses Zeitraums Arbeitskräfteüberlassung ausüben, förderbar. weiterhin vor, kann um eine Beihilfengewährungen für Nicht förderbar sind allerdings insolvente Unterneh- weitere drei Monate angesucht werden. men, die sich in einem Konkurs- oder Sanierungsverfah- Urlaubsentgelt während der Kurzarbeit berechnet sich ren befinden. auf Basis der Arbeitszeit vor der Kurzarbeitsvereinba- Schwierigkeiten bereitet auch die Situation von Arbeit- rung. Für diese Zeiten gewährt das AMS keine Kurzar- gebern im EU-Ausland mit Arbeitnehmern in Öster- beitsbeihilfe. reich. Nach den einschlägigen Informationen auf den Unterstützungsleistungen nach § 32 Epidemiegesetz Informationsseiten der WKÖ und des Bundesministe- (Verdienstentgang; also zB, wenn ein Arbeitnehmer ab- riums für Arbeit, Familie und Jugend sind nur jene Ar- gesondert wird oder an COVID-19 erkrankt ist) schlie- beitgeber förderbar, die auch tatsächlich einen Be- ßen Kurzarbeitsbeihilfe ebenfalls aus. triebssitz oder eine „personalführende Stelle“ in Öster- reich besitzen.31 Es bleibt abzuwarten, welche konkre- Während eines Krankenstands (oder eines allfälligen kollektivvertraglichen Krankengeldzuschusses) oder auch während einer Dienstverhinderung aufgrund der 30 Nach den auf der Homepage des Bundesministeriums für Ar- Betretungsverbote hat der Arbeitgeber weiter die Net- beit, Familie und Jugend veröffentlichten Informationen sollen toentgeltgarantie zu leisten. Vom AMS erhält der Ar- aber auch freie Dienstnehmer förderbar sein, wenn „eine mo- natliche Normalarbeitszeit dargestellt werden kann“ (www. beitgeber die Kurzarbeitsbeihilfe in jener Höhe, die bmafj.gv.at/Services/News/Coronavirus/FAQ- -Kurzarbeit.html). auch bei Zustandekommen der Arbeitsleistung ausbe- 31 https://www.wko.at/service/corona-kurzarbeit.html; www. zahlt worden wäre. bmafj.gv.at/Kurzarbeit-Infoseite.html 128 NZ 04/2020
NZ04 Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik 2020 COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen ten Anforderungen die höchstgerichtliche Rechtspre- überblickbar einhellige – Literatur lehnt einen solchen chung hier stellen wird. Ansatz bislang aber ab.33 Ungeachtet dessen kann Corona-Kurzarbeit auch nur 3. Verbrauch von Zeitguthaben, für einzelne Betriebsteile, bestimmte Gruppen von Be- insbesondere Urlaub schäftigten oder sogar einzelne Beschäftigte vereinbart werden. In der durch COVID-19 verursachten Situation bestehen wesentliche Ausnahmen von der allgemeinen Regel, Ausschlaggebend ist hier der jeweilige, in der Sozial- wonach der Arbeitgeber grundsätzlich weder Urlaub partnervereinbarung festgelegte Geltungsbereich. noch Zeitausgleich einseitig anordnen kann. „Normaler- Auch innerhalb eines Betriebsteils können wiederum weise“ bedürfen derartige Maßnahmen jedenfalls der bestimmte Gruppen von der Kurzarbeit ausgenommen Zustimmung jedes einzelnen Arbeitnehmers. werden. Sollte eine Gruppenabgrenzung aus prakti- In der aktuellen Situation gelten jedoch folgende Son- schen Erwägungen nicht möglich sein, so können auch derregelungen: mehrere Sozialpartner-Einzelvereinbarungen geschlos- Bei Inanspruchnahme von Corona-Kurzarbeit sind so- sen werden. Dabei kann für mehrere Personen oder Per- wohl Zeitguthaben als auch Alturlaube tunlichst zu ver- sonengruppen auch ein unterschiedliches (durch- brauchen. schnittliches) Beschäftigungsausmaß vereinbart wer- den. In Betrieben, die aktuell von einem Betretungsverbot betroffen sind, kann der Arbeitgeber den Verbrauch 2. Homeoffice von Urlaub und Zeitguthaben einseitig anordnen, und zwar in genau jener Zeit, in der die Dienstleistungen auf- Im Zuge der aktuellen COVID-19-Pandemie ist grund von Maßnahmen gemäß dem COVID-19-Gesetz „Homeoffice“ für viele Unternehmen zur (zwangsläufi- (BGBl I 2020/12) nicht zustande kommen. gen) Alternative geworden. Soll der Arbeitnehmer von zuhause aus arbeiten, so bedarf dies grundsätzlich im- Urlaubsansprüche aus dem laufenden Urlaubsjahr müs- mer einer Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und sen allerdings nur im Ausmaß von bis zu zwei Wochen Arbeitgeber. In einer solchen Vereinbarung sollten verbraucht werden. Weiters sind von der Verbrauchs- vor allem Themen rund um den Einsatz von Arbeits- pflicht solche Zeitguthaben ausgenommen, die auf mitteln, den Ersatz von Aufwendungen, Geheimhal- der durch kollektive Rechtsquellen geregelten Um- tung und Datenschutz, die Haftung im Fall von Schä- wandlung von Geldansprüchen beruhen. den sowie eine Beendigungsmöglichkeit (zB Wider- Insgesamt müssen vom Arbeitnehmer aber nicht mehr rufsmöglichkeit, Befristung oder Kündigungsmöglich- als acht Wochen an Urlaubs- und Zeitguthaben ver- keit) geregelt werden. braucht werden. Wenn es bereits eine grundlegende Vereinbarung gibt, In allen anderen Fällen kann der Arbeitgeber bloß an dann kann der Arbeitgeber das Arbeiten im Homeoffice die Treuepflicht der Arbeitnehmer appellieren. Gerade auch einseitig anordnen. Das kann auch dann der Fall in einer für alle herausfordernden Situation sprechen sein, wenn der Dienstvertrag eine allgemeine Verset- unseres Erachtens gute Gründe dafür, dass vor allem zungsklausel enthält, die so weit gefasst ist, dass auch eine Pflicht zum Abbau von Überstunden und unter Um- der Wohnort des Arbeitnehmers davon erfasst ist.32 ständen auch von Alturlauben besteht. Darüber hinaus ist Homeoffice auch dann möglich, 4. Sonderbetreuungszeit wenn der Arbeitnehmer zwar in Quarantäne, aber Im Fall der Schließung von „Einrichtungen“ (insbeson- selbst nicht erkrankt ist. dere Schulen, Kindergärten etc) kann mit Arbeitneh- Angesichts der im Rahmen der COVID-19-Pandemie mern, die Betreuungspflichten gegenüber Kindern un- dramatisch verschärften Situation und der ausdrückli- ter 14 Jahren haben, eine Sonderbetreuungszeit von chen, aber rechtlich nicht verbindlichen, Aufforderung bis zu drei Wochen vereinbart werden (§ 18 b AVRAG). der Regierung, dass alle Arbeiten, die im Homeoffice Dasselbe gilt für Eltern, die Betreuungspflichten gegen- verrichtet werden können, auch von zuhause aus zu über Menschen mit Behinderung (ohne Altersgrenze) verrichten sind, ist zwar denkbar, dass in dieser Aus- haben oder generell für Angehörige von pflegebedürf- nahmesituation (i) der Arbeitnehmer – aufgrund seiner tigen Menschen, deren Betreuungskraft oder persönli- Treuepflicht – verpflichtet ist, vom Homeoffice aus zu che Assistenz ausfällt. Die Sonderbetreuungszeit kann arbeiten, und umgekehrt auch (ii) der Arbeitgeber – auch nur tageweise vereinbart werden. aufgrund seiner Fürsorgepflicht – zu einer entspre- Ob eine solche Sonderbetreuungszeit vereinbart wird, chenden Anordnung verpflichtet ist. Die – soweit steht grundsätzlich dem Arbeitgeber frei. Im Fall ihrer 32 33 Vgl auch Stupar, Arbeitsrechtliche und gesundheitliche Fragen Vgl statt vieler zuletzt etwa Schrank, Arbeitsrechtlich Wichtiges und Antworten zum Thema „Coronavirus“, ARD 6698/5/2020. zur Corona-Krise, RdW_digitalOnly 2020/10. NZ 04/2020 129
Thomas Angermair, Stefan Artner, Magdalena Brandstetter, Benedikt Kessler, Lisa Kulmer, Herbert Pimmer, Christian Schöller und Andreas Zahradnik COVID-19-Gesetze: Ausgewählte für Unternehmen relevante Regelungen Vereinbarung hat der Arbeitgeber Anspruch auf Vergü- das zur Wahrung der Verfahrens- und Parteienrechte er- tung eines Drittels der Lohnkosten. Dieser Ersatz ist forderliche Ausmaß zu beschränken ist. Damit diese der Höhe nach mit der monatlichen Höchstbeitrags- Rechte in vollem Umfang wahrgenommen werden kön- grundlage zur Sozialversicherung, das sind brutto nen, hat die Dienststellenleitung die erforderlichen Vor- E 5.370,−, gedeckelt und muss binnen sechs Wochen kehrungen zu treffen und diese in geeigneter Form ab der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen gel- kundzumachen. Die Einschränkung des Parteienver- tend gemacht werden. Mit der Abwicklung ist die Buch- kehrs betrifft die Einlaufstelle allerdings nicht, sodass haltungsagentur des Bundes betraut. Eingaben weiterhin möglich sind. Durch die Einfügung eines Abs 3 a in § 54 Geo wurde ausdrücklich festgehal- E. Jahresabschlüsse ten, dass bei der Organisation und Abwicklung des Amtstags (§ 434 Abs 1 ZPO; § 10 Abs 1 AußStrG) Vo- Sind die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaf- ranmeldesysteme mit der Maßgabe eingesetzt werden ten, Genossenschaften und Vereine infolge der COVID- können, dass die Entgegennahme nicht dringlicher An- 19-Pandemie an der Aufstellung und Vorlage des Jah- bringen ohne entsprechende zeitgerechte Voranmel- resabschlusses an den Aufsichtsrat binnen fünf Mona- dung unterbleiben kann. Diese Regelungen, die flexible ten ab dem Bilanzstichtag gehindert, so kann diese Frist und den regionalen Verhältnissen Rechnung tragende um höchstens vier Monate (Aufstellung bei Bilanzstich- Maßnahmen ermöglichen, sind befristet und gelten tag 31. 12., somit bis spätestens 30. 9.) überschritten derzeit36 bis 30. 4. 2020. Danach treten die bisherigen werden. Nach § 277 UGB haben die gesetzlichen Ver- Bestimmungen in der letzten Fassung wieder in Kraft treter von Kapitalgesellschaften unter anderem den („Sunset Clause“). Jahresabschluss und den Lagebericht spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag beim Firmenbuch ein- Die für die Gerichte jeweils getroffenen Maßnahmen zureichen bzw zu veröffentlichen. Diese Fristen werden können auf www.justiz.gv.at eingesehen werden. In nun durch das 4. COVID Gesetz temporär (unabhängig der Regel ist die Anwesenheit im Gerichtsgebäude für von einem Hinderungsgrund) auf zwölf Monate verlän- externe Personen nur aufgrund von Ladungen und bei gert (Höchstausmaß gem Art 30 Bilanz-RL 2013/24/ vorweg telefonisch vereinbarten Terminen möglich. Im EU). Die Verlängerung der Aufstellungs- und der Offen- Handelsgericht Wien erfordern Auszüge aus dem Fir- legungsfrist gilt jedoch nur für Gesellschaften, deren menbuch etc entweder eine schriftliche (auch per Tele- Jahresabschlüsse nicht bereits zum 16. 3. 2020 (unter fax) oder telefonische Vorbestellung. Ein Formular kann Beachtung der bisher geltenden Aufstellungsfristen) zugesandt oder heruntergeladen werden.37 hätten aufgestellt werden müssen (was in Fällen abwei- Am 14. 4. 2020 teilte die Bundesministerin für Justiz chender Geschäftsjahre in Betracht kommt). mit, dass und in welcher Weise die Schutzmaßnahmen für den Notbetrieb an Gerichten verlängert werden.38 F. Zivilprozesse und Außerstreitverfahren Sie kündigte eine Ausweitung des internen Kanzleibe- 1. Parteienverkehr und Fristen triebs an, um ein weiteres Anwachsen des durch den Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch Notbetrieb entstandenen Aktenrückstands zu verhin- COVID-19 wirken sich auch auf den Gerichtsbetrieb dern. Der Parteienverkehr bleibt zumindest bis Ende aus. Die aktuellen Maßnahmen sind durchaus einschnei- April weiterhin stark eingeschränkt und vorerst „auf dend und betreffen besonders den Parteienverkehr die elementaren Verfahrens- und Parteienrechte be- und die Fristen in bürgerlichen Rechtssachen. Diese schränkt“. Akteneinsicht oder fristwahrende Anträge sind für Unternehmen einerseits relevant, weil sie die und Eingaben seien nach telefonischer Voranmeldung Durchsetzung von Ansprüchen verzögern, andererseits weiterhin möglich. Gerichtsverhandlungen sollen wei- bietet dies manchen Unternehmen auch eine Atem- terhin nur in besonders dringenden Ausnahmefällen pause. Jedenfalls sollen die Maßnahmen sicherstellen, stattfinden. dass alle Parteien und auch die Gerichte in der Lage Das 8. COVID-19-Gesetz, das in Art I eine Novelle des sind, Verfahren ordnungsgemäß zu führen. Es ist aller- 1. COVID-19-JuBG enthält, wurde in der Sitzung des dings auch Vorsicht geboten, da die Regelungen über Nationalrats am 28. 4. 2020 beschlossen. Kernstück Fristverlängerungen zum Teil recht komplex sind, was der Neuregelung ist der trotz massiver Bedenken aus das Risiko von Fristversäumnissen mit sich bringt. der Praxis ohne Begutachtungsverfahren auf Grund ei- Der Parteienverkehr bei den Gerichten wurde auf das nes am 22. 4. 2020 im Nationalrat eingebrachten Initia- unbedingt nötige Mindestmaß beschränkt. § 24 Geo34 tivantrags, 436/A 27. GP, eingeführte „Video-Prozess“. wurde mit Verordnung der Bundesministerin für Justiz35 Nach § 3 des 1. COVID-19-JuBG kann das Gericht nun- dahin geändert, dass der Parteienverkehr nunmehr auf 36 Nach der mit V BGBl II 2020/146 angeordneten Verlängerung. 34 Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz, BGBl 1951/ 37 Stand 14. 4. 2020. 264, zuletzt geändert durch V BGBl II 2018/141. 38 www.justiz.gv.at/home/aktuelles/schutzmassnahmen-fuer-not- 35 V BGBl II 2020/90. betrieb-an-gerichten-verlaengert 130 NZ 04/2020
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