Medienarchitektur im öffentlichen Raum: Fernseher oder Monumente?

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Medienarchitektur im öffentlichen
     Raum: Fernseher oder Monumente?

                              Oliver Schürer

Einführung
Im öffentlichen Raum werden Medieninhalte zunehmend digital wiedergege­
ben. Vor allem Bewegung zieht Aufmerksamkeit auf sich: einerlei ob Bild oder
Text, die Größe, Beschleunigung und Omnipräsenz von Medieninhalten trans­
formieren öffentliche Räume hin zu einer neuen Beschaffenheit. Der Scheitel­
punkt dieser Welle der Medialisierung des öffentlichen Raums scheint noch
nicht in Sicht – Medienkompetenz dafür kann noch nicht existieren und kann
wohl von der zeitgenössischen ersten Generation der Bürger/Nutzer auch
überhaupt nicht erwartet werden. Dennoch sind einige Konsequenzen für öf­
fentliche Räume bereits erkennbar: Verortung und Ortsbezogenheit genauso
wie Repräsentation und Funktionalität werden in neue Kontexte gestellt. Die
Gewichtungen von Lokalem und Globalem genauso wie von Privatheit und
Öffentlichkeit sind zumindest fürs Erste außer Kontrolle geraten. Die Folgen
sind radikale Umdeutungen von Kategorien, die heute noch als lokal spezi­
fisches Stadtbild, verständliche Raumstrukturen, tradierte Verhaltensweisen
oder nachvollziehbare Nutzungsparameter bezeichnet werden. Seien es öko­
nomische, soziale, kulturelle, geographische, architektonische oder stadtpla­
nerische Strukturen – unter medialem Einfluss transformieren sie zu neuen
Konstellationen. Medialisierte Bauteile von Gebäuden sprengen ursprüngli­
che Medienmaßstäbe, heterogene Medienbilder löschen einander beständig
aus, und ehemals passive Medienkonsumenten werden zu aktiven Benutzern
oder gar Koproduzenten. Dies alles sind Zutaten, die das fragile Amalgam der
öffentlichen Räume aus ihrer labilen Balance stoßen, anreichern, umdeuten
und veränderte soziokulturelle Wirkungen zeitigen. Somit zwingt das massi­
ve Auftreten von digitalen Medien im öffentlichen Raum den traditionellen
Strukturen von Stadt und Architektur eine Neudefinition auf.
    Diese Entwicklung ist nicht ohne Beispiel: Die Einführung künstlicher Be­
leuchtung in öffentlichen Räumen, schon bald begleitet von Werbung, führte
zur Entstehung des Icon der modernen Stadt. Weiter führte diese technologi­
sche Veränderung dazu, dass es neuen sozialen Gruppen möglich wurde, die
Stadt bei Dämmerung und Nacht zu beleben; neue urbane Verhaltensweisen
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wurden so ermöglicht, wie späte Theaterbesuche oder das Einkaufen nach
Einbruch der Dunkelheit.
    Die sich verändernden Qualitäten, Funktionen und Atmosphären des öf­
fentlichen Raumes, die veränderte Charakteristik seiner Bespielungen, wie
etwa neue Formen von Konsumismus, Events, Feste, Kundgebungen, Aktivis­
mus, Freizeitaktivitäten und Überwachung, verändern ihrerseits sowohl die
Konzepte von Architektur und Urbanismus als auch die Methoden, mit denen
sie entwickelt werden. Auf welche Weise geschieht dies und welche Alternati­
ven zu den tradierten Basiskonzepten können vorgeschlagen werden?

Medienarchitektur

Architektur wurde in vielen ihrer Ausprägungen um das Präfix Medien zur
Medienarchitektur erweitert. Generell wird darunter die Integration digitaler
Medienschnittstellen in Bauteile von Architekturobjekten verstanden.
    Eine der Möglichkeiten (Tomitsch/Tscherteu 2010: 9f.), den damit verbun­
denen Herausforderungen gerecht zu werden, ist jene, diese neue Architektur­
form als hybride Architektur zu verstehen. Das Hybride findet sich in Screens
und Leuchtelementen, die nicht nur einfach am Gebäude angebracht sind, son­
dern in die Architektur integriert werden. Doch scheint es schwierig zu zeigen,
was überhaupt an Architektur essentiell und wie diese Essenz in Folge hybrid
geworden ist. Lässt sich, nachdem es sich um ein rein technisches Argument
handelt, eine Technologie finden, die eine spezifische Architekturtechnologie
wäre? Gebäude sind technische Assemblagen aus einer Menge von Techno­
logien. Der Prozess der Integration von Leuchtelementen in Gebäuden unter­
scheidet sich nicht von der Integration der vielen Technologien, die im Laufe
der Architekturgeschichte ihre Funktion in Gebäuden erhielten. Der Begriff der
hybriden Architektur ist somit nicht geeignet, diese Umstände zu beschreiben.
    Dennoch ist die Begriffsbildung als Ausdruck der zeitgenössischen Über­
raschung verständlich. Aufgrund einer kaum bekannten Historie, die bis in die
1920er Jahre und teilweise sogar in die Frühphase der Elektrizität und ihrer Nut­
zung zurückreicht, erscheint das alles überraschend neu. Tatsächlich neu sind
‚lediglich’ das massenhafte Auftreten von Medienarchitektur, die Vielfalt ihrer
Artefakte und der Aspekt der digitalen Vernetzung mit den globalen Medienin­
frastrukturen. Deshalb gibt es in der zeitgenössischen, turbulenten Umbruchs­
phase noch kaum vereinheitlichte Begriffe, keine ausdifferenzierten Codes zur
Lösung bestimmter Planungs- und Entwurfsprobleme und auch kein etabliertes
Rezeptionsverhalten für die Bewertung von Medienarchitektur. Diskussionen
zum Thema sind gekennzeichnet von Brüchen, Dogmatik und Missverständnis­
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sen. Diese Konflikte sind unterschiedlicher Natur, sie umfassen Theorie sowie
Praxis, betreffen die Nutzung von Technologien, Stadtpolitik, Stadtplanung
und Stadtentwurf, Verkehrsplanung, Normen und gesetzliche Bestimmungen,
um nur einige Aspekte zu nennen. Nicht unerwähnt soll der Umstand bleiben,
dass die Entwicklung von Medienarchitektur nicht nur von Technologien rund
um das Gebäudeäußere (Fassaden, Licht- und Bewegtelemente) betroffen ist,
sondern dies auch im Gebäudeinneren (Unterhaltung, Komfort, Sicherheit) der
Fall ist. Noch beurteilen die Befürworter als ‚cool’, was schlicht neu ist, oder die
Gegner als schlecht, was Strom verbraucht. So zeigt sich die momentane Dis­
kurssituation polarisiert, ähnlich wie jene zum Anbruch der Moderne, etwa bei
der Einführung des Films oder der modernen Baumaterialien: Wechselseitig
überschlagen sich Hoffnungen, Ängste, Vorurteile und Träume.

Öffentlicher Raum

Im klassischen architektonischen Verständnis war der öffentliche Raum zent­
raler Ort der Begegnung einer bürgerlichen Gesellschaft, in dem Politik und
Wirtschaftsleben, Geselligkeit wie Debatte stattfanden. Materiell und räum­
lich aus repräsentativen Architektur-Ensembles und komplementär zum
Raum des Privaten konzipiert, war er ein zwischen Heim, Kirche, Rathaus und
Markt aufgespanntes Außen von Straßen und Plätzen. Die darin gebildete
Öffentlichkeit umfasst eine idealtypische Bürgergesellschaft auf dem Weg ei­
ner weiter fortschreitenden Aufklärung – eine europäische Idee, die gegen
das überkommene Feudalregime der Aristokratie entwickelt wurde. Doch
Gruppen wie etwa Frauen, Jugendliche, Arbeiter und Arme durften nur in be­
schränktem Ausmaß am öffentlichen Leben und seinem Raum teilhaben. All
dies geschah in verklärter Reminiszenz an die antike Agora.
    Aus dieser Vorstellung einer Gesellschaft mit relativ geringen Differenzen
entwickelte Jürgen Habermas (1962) erstmals einen Begriff von gesellschaft­
licher Öffentlichkeit und damit auch die bürgerlichen Konnotationen dieses
Idealbildes als bürgerliche Wertvorstellung. Allerlei Gegenkulturen wie Arbei­
terbewegung, Sozialreform, Jugendkultur und Frauenemanzipation sowie die
Entstehung der westlichen Konsum- und Freizeitgesellschaft veränderten die
problematischen Konnotationen. Heute wird der öffentliche Raum als einge­
schränkt von wirtschaftlichen Interessen, kommerzialisiert von der Eventkul­
tur und im Verschwinden begriffen wahrgenommen, unter anderem durch
die Verlagerung von manchen seiner Funktionen in digitale Medien. Nach
dem Architekt Rem Koolhaas verbleibt nur noch das Shopping als die letzte
Form öffentlicher Unternehmung (Chung et al. 2010: Einband innen).
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     Im Gegensatz dazu kann behauptet werden, dass die zeitgenössische Ent­
wicklung weniger ein Szenario des Verlusts als eines der Verschiebung von
Funktionen und Werten darstellt. Der Begriff vom Öffentlichen, ehemals ma­
nifest, ist zu einer prozessualen Form der sozialen Repräsentation geworden.
Die Kehrseite ist, dass viele der möglichen Kodierungen dieser Fragmente
auch dazu benutzt werden, Nutzungsüberlagerungen und Bottom-Up-Iden­
titätsbildung homogenisierend zu verhindern, um bestimmte attraktive Ni­
schen in diesen Räumen zu dominieren. Denn die Möglichkeit zur Vernetzung
ist längst keine Aufforderung oder gar ein Zwang.
     Was der Begriff öffentlicher Raum nicht ausdrückt, sind die Bedingungen
von Dominanz und Widerstand, die Ermöglichung des Zusammenhalts über
Brüche hinweg und die Wirkungsweisen von Vernetzungen mit anderen Räu­
men. Was der Begriff hingegen überdeutlich vermittelt, ist der sehr allgemei­
ne Dualismus zum Privaten – eine mittlerweile obsolete Gegenüberstellung
aufgrund der postmodernen Neukodierung des öffentlichen Raums durch
vielfältige Kulturen und Technologien (Kaschuba 2004: 43). Allerlei Identitäts­
vorstellungen machen sich den öffentlichen Raum zur Bühne, um ein wieder
erkennbares Bild spezifischer kultureller Zuschreibungen anzubieten: Diese
Bilder können auf vielerlei bezogen sein, etwa auf Werte, Lebensstile, Mentali­
täten oder Generationen. Der entstandene Raum der vielfältigen Zuschreibun­
gen und netzartigen Kommunikation ist damit nunmehr heterogen und frag­
mentiert. Statt von der einen Öffentlichkeit lässt sich nun wohl treffender von
vielen Öffentlichkeiten sprechen. Dort wo sich diese Öffentlichkeiten treffen
und ihre spezifischen Verhaltensweisen und Handlungen nebeneinander aus­
leben und mischen, lässt sich von vernetzten öffentlichen Räumen sprechen.

Medialisierte Architektur und Räume für
Öffentlichkeiten

Medieninhalte digitaler Schnittstellen im öffentlichen Raum sind kaum in
der Lage, die sozialräumlichen Widersprüche auszudrücken. Sie transportie­
ren die Botschaften der „Big Player“, die über entsprechende Kapitalmacht
für einen digitalen Öffentlichkeitsauftritt verfügen. Diese damit unsichtbar
gehaltenen Brüche werden noch immer mittels des traditionellen Diskurses
zu „Kunst im öffentlichen Raum“ erfolgreich kanalisiert und als Konfrontation
zwischen Werbung und Kunst gewichtet. Das führt jedoch direkt am Thema
vorbei. Ist keine andere Balance möglich als ‚Arts & Ads’?
    Diese Verschiebungen zählen zu den Gründen, warum der traditionelle Fokus
der Architektur auf Entwurf und Planung raumbildender Elemente und Reprä­
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sentation um die Gestaltung sozialer und öffentlicher Interaktion erweitert wur­
de. Welche Methoden und Möglichkeiten können Architekturschaffende dafür
zur Verfügung stellen, und wie lassen sich die existierenden weiterentwickeln?
    Interessant zu beobachten ist das Medialwerden einer Gruppe von Tech­
nologien. Dabei fusionieren und transformieren teils sehr junge und teils sehr
alte Technologien. Informationstechnologie und Bautechnologie verwandeln
sich zu einer neuen Art von Bautechnologie und zu Bauteilen der Medienar­
chitektur. Auch wenn Architekturschaffende Technologie nicht direkt entwi­
ckeln – wie können sie auf die Erneuerung der Technologie Einfluss nehmen?
    Mit Fragen nach der Stellung von Werbung, öffentlicher Interaktion und
Architekturkonstruktion werden im Folgenden einige zeitgenössische Dis­
kussionsstränge skizziert und verfolgt, die sich nur manchmal in eindeutiger
Oppositionsbildung gegenüber stehen; meistens liefern sie ineinander ver­
schlungene Argumentationslinien. Diese Vorstellungen von Architekturschaf­
fenden, Licht- und Mediendesignern, Stadtplanern und Kommunalbeamten
werden der Entwicklung der Charakteristika von Medien im öffentlichen
Raum gegenübergestellt. Um die auf diese Weise sichtbar gemachten Unzu­
länglichkeiten, Widersprüche und Brüche fruchtbar zu machen, wird schluss­
endlich ein Konzept formuliert.

Arts & Ads

Gängige Alltagspraxis ist es, bei der Zusammenstellung von Programmen
zum Bespielen von Urban Screens und Medienfassaden kommerzielle und
künstlerische Medieninhalte zu mischen. Besonders Feiern und Events wer­
den von der Zurschaustellung künstlerischer Arbeiten als öffentliches Spek­
takel begleitet. Für viele Kunstschaffende besteht der Reiz der Sache daraus,
eine Art öffentliches Fernsehen an anstatt in Gebäuden zeigen zu können.
Auf diese Weise, so das Argument, könne man den öffentlichen Raum gleich
dem privaten programmieren, um eine neue Art radikaler Innenräumlichkeit
zu erzeugen. Menschen wollen persönliche Erlebnisse im öffentlichen Raum,
was nun möglich ist, indem sie durch Instrumente wie Medienfassaden un­
terhalten und zur Interaktion aufgefordert werden. Folglich zeigt sich, dass
Medienfassaden den sozialen Raum des Urbanen bereichern.1

1    Die Argumente stammen aus mehreren Diskussionen, die der Autor als ein Kurator des
     Medienfassaden-Festivals Berlin 2008 mit verschiedenen KünstlerInnen und seinen
     KuratorenkollegInnen, führte (im Zuge des Festivals wurden fünf Berliner Medienfas­
     saden mit künstlerischen Arbeiten bespielt).
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    Als Einwand gegenüber diesem Argument ist auf den Umstand der zuneh­
menden visuellen Kontamination urbaner Räume hinzuweisen. Was aber wird
eigentlich erreicht, wenn dieselben Konzepte für Programme von Medieninhal­
ten im öffentlichen Raum herangezogen werden, die bereits den privaten Raum
durchdrungen haben? Bedeutet denn die Auflösung der Dualität ‚öffentlich/pri­
vat’ einfach nur, dass das Private nun öffentlich ist und umgekehrt? Das Problem
dabei ist nicht einfach der Umstand der Werbung. Die für das Fernsehen typi­
sche Erzeugung von kommunikativer Nähe zum Seher in einem Beinahe-Dialog
durch „Sprechende Köpfe“2 wird durch die Maßstabsverschiebung im öffent­
lichen Raum zum Kurzzeitmonument. Der Akt bleibt einseitig-kommunikativ,
wobei aus der intimen Beziehung zwischen Sprecher und Seher eine imperative
wird. Darüber hinaus werden künstlerische Arbeiten durch den Kontext zu trivi­
alen Gebrauchsgegenständen, die lediglich verwendet werden, um die Gesamt­
heit des medialen Programms zu befördern. Die Balance zwischen Werbung
und Kunst an öffentlichen Schnittstellen dient nicht einmal dazu, die Schnitt­
stellen kulturell akzeptabel zu machen. „Ein Massenmedium darf nicht heikel in
der Wahl der Mittel sein, mit denen es Aufmerksamkeit einfängt.“ (Franck 1998:
148) Kunst wird schlicht missbraucht als Methode, die individuellen Aufmerk­
samkeitsfilter, die eine Ökonomie der Aufmerksamkeit strukturieren, zu unter­
laufen. Medienkunst im öffentlichen Raum ist keine Balance zu Werbung oder
kommerziellen Inhalten, und sie hat auch keine distanzierte Beziehung dazu,
sondern ist schlicht Teil des globalen ökonomischen Stands der Dinge. Wenn
es zu einer Zunahme von großformatigen Medienschnittstellen im öffentlichen
Raum kommen sollte, werden Rufe nach Regelungen für die Programme laut
werden, die wahrscheinlich den Zugang für Nonprofit-Organisationen und In­
halte von erweitertem, öffentlichem Interesse einfordern werden.
    Wenn die Konzentration aber ausschließlich auf Architektur als Informa­
tions-Fläche liegt, gerät darüber in Vergessenheit, dass Architektur Botschaf­
ten und Narrationen nicht nur über ihre Flächen vermitteln kann, sondern vor
allem durch die spezifische Ausformung von Raumstrukturen. Der Architek­
turtheoretiker Gerd De Bruyn (2005) nennt das Beispiel der mittelalterlichen
Kathedrale, um das kommunikative Potential von Architektur zu beschreiben.
Die Kathedrale kommunizierte christliche Narrative nicht nur durch Bilder an
ihren Oberflächen, sondern auch durch das Raumprogramm und die räum­
liche Struktur. Modernistische Architektur kommuniziert in vergleichbarer

2     „Talking Heads“, ein Fachbegriff des Fernsehens: Am Bildschirm sind von einer Person
      nur Kopf und Schultern sichtbar, und außer dem Sprechen gibt es keine weitere Akti­
      on.
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Weise ihre Narrative (etwa Fortschritt, Technologie, Effizienz und Rationalität)
durch einfache geometrische Formen, durch rohe industrielle Oberflächen­
materialien in damals neuen Raumprogrammen und durch fließende, offene
Strukturen. Sogar der berühmte Slogan „Ornament gleich Verbrechen“ von
Adolf Loos wurde zu einem mächtigen Narrativ der modernen Architektur.
Der Philosoph und Architekturtheoretiker Kari Jormakka würde mit Verweis
auf die Verwendung von besonders texturierten Oberflächenmaterialien ar­
gumentieren, dass der gesamte Diskurs der modernen Architektur als Projekt
verstanden werden kann, das allein dazu dient, das Ornament zu rehabili­
tieren (Jormakka 2005). Damit wird auch ein für die Weiterentwicklung von
Medienarchitekturmethoden brauchbarer Anknüpfungspunkt ausgedrückt.
Was aber „sollen zeitgenössische ornamentale Inhalte ausdrücken? Vielleicht
News, Terrorwarnungen, Sportergebnisse, Umfragen, Verkehrshinweise, inf­
rastrukturelle Aktivitätsmuster, politische Beziehungen, visuelle Interaktionen
unter Passanten und wohl auch den unvermeidlichen Wetterbericht?
    Trotz aller Heterogenität in den Medienkünsten gibt es eine gemeinsame

     „[…] trajectory in 20th century art that runs from the dominance of a
     two-dimensional object placed on a wall, towards the use of the who­
     le 3–D space of a gallery. […] If we follow this logic, augmented space
     can be thought of as the next step in the trajectory from a flat wall to
     a 3–D space, which has animated modern art for the last hundred ye­
     ars. For a few decades now, artists have already dealt with the entire
     space of a gallery: rather than creating an object that a viewer would
     look at, they placed the viewer inside the object.” (Manovich 2006)

Auf eine gewisse Weise hat Medienkunst architektonische Mittel adaptiert
und sie vom Betrachten zum Erfahren radikalisiert. Damit vergleichbar ist der
Umstand, dass Medienarchitektur ihren Benutzer als eingebettet in einen aus
dynamischen, kontextualisierten Daten gebildeten urbanen Raum versteht, in
welchem er mit anderen gleichberechtigt interagiert. Gegen diese Sicht kann
angeführt werden, dass dieser Ort nicht der geschützte und auf Zeit statisch
gehaltene, halb-öffentliche Raum der Galerie oder des Kunstevents ist, son­
dern der in beständigem Wandel befindliche öffentliche Raum.
   Vermischen sich solche Argumente aus künstlerischen Diskussionen mit
Fragen nach der Bespielung des öffentlichen Raumes, führt dies nicht selten
zu eher fragwürdigen Konzepten. In demokratischen Gesellschaften stehen
Anliegen von allgemeiner Bedeutung in grundsätzlichem Widerspruch zu Klä­
rungsversuchen durch elitäre Diskurse. Mit der weiteren Ausbreitung der Me­
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dienschnittstellen wird es zunehmend wichtiger, einen breiten Konsens über
ihre Inhalte zu schaffen. Momentan sind aber die Selbstdarstellung und die
Erzeugung von Identität für Unternehmen und Marken im öffentlichen Raum
die vorherrschenden Antriebskräfte, wobei der anschlussfähige Kunstdiskurs
in diese Prozesse integriert ist. Öffentliche Rahmenbedingungen werden ad
hoc erzeugt auf der Basis von existierenden Regelwerken, die aber für deut­
lich kleinere Maßstäbe von Einwirkungen auf den öffentlichen Raum entstan­
den und deswegen erst einmal überfordert sind. Die Stadtentwicklung benö­
tigt Ideen für Regelwerke, die diese medialen Entwicklungen strukturieren,
und zwar auch für alltagspraktische Angelegenheiten wie visuelle Störungen,
Lichtverschmutzung, Verkehrsbeeinflussung und ähnliches.

Öffentliche Interaktion, Repräsentation von
Machtstrukturen und Präsenz

Architekturschaffende konzipieren öffentliche Räume primär als Mittel zum
Zweck der Repräsentation. Ohne den Willen zur Darstellung würden alle Städ­
te der Welt mehr oder weniger gleich uninteressant sein. Daraus ergäbe sich,
dass es sinnlos wäre, andere Städte zu besichtigen, da sie alle mehr oder weni­
ger gleich aussehen. Selbstdarstellung wird in diesem Kontext als grundlegen­
des menschliches Bedürfnis verstanden. Menschen und Institutionen wollen
sich unterscheiden und wollen diese Unterschiede kommunizieren, indem sie
Art, Bedeutung und Wichtigkeit anderen mitteilen. Dies ist nicht nur speziell
auf die Werbung zu übertragen, sondern ganz allgemein auf jede Äußerung
im öffentlichen Raum. In der heutigen (westlichen) Wissens- und Medienge­
sellschaft scheint es nur folgerichtig und gar natürlich, dies mittels neuester
Technologie zu tun. Folgt man diesem Ansatz im Kontext von Architektur,
dann sind Medienfassaden (Urban Screens) nur das nächste logische Mittel der
Repräsentation. So stellt die Adaption von Medienfassaden zum Zwecke der
Repräsentation eigentlich einen Segen für die Öffentlichkeit dar. Oder, wenn
das Argument umgedreht wird: Medienfassaden nur für Werbung einzuset­
zen, wäre ein wirkliches Problem. Mit diesen Mitteln können architektonische
Träume zur Auslösung sozialer Interaktion in der Öffentlichkeit wahr gemacht
werden. So können Besitzer und Bewohner eines medialisierten Gebäudes so­
wie die in der Umgebung lebende Gemeinschaft nun vermittels einer Medien­
schnittstelle eine gemeinsame Identität ausdrücken. Dies kann die Identität
eines bestimmten Gebietes oder eines bestimmten Lebensstils sein. 3

3     Die Argumente stammen aus Diskussionen, die der Autor als Kurator der Media Architec­
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    Aber zu behaupten, dass alle Städte gleich aussehen würden, wäre nur
die übliche Kritik am „International Style“ der Architektur. Ein Problem mit
dem Zugang ist, dass hier nicht die Interessen unterschiedlicher sozialer
Gruppen differenziert werden, die üblicherweise eben dazu tendieren, in
Konflikten aufeinander zu prallen. Im öffentlichen Raum stellt sich das als
Opposition von Kräften dar, die nicht gleich stark und einflussreich sind. Die
Konfliktentwicklung, hingegen nicht die durch Machtverhältnisse gesteuer­
te Konstruktion eines vorgeblich gemeinsamen Weltbildes, entscheidet über
die Möglichkeit des Einflusses. Menschliche Siedlungsgebiete sind auch das
Ergebnis von andauernden kompetitiven wie kollaborativen Prozessen ver­
schiedener Interessengruppen. Folglich beruht ihre Erscheinung nicht alleine
auf Selbstdarstellung. Doch die alleinige Durchsetzung der Selbstdarstellung
spezifischer Gruppen birgt die Gefahr, zu einer aufgeblasenen, irrationalen
Produktion von Raum zu führen. Viele Beispiele auch in europäischen Städten
zeigen öffentliche Räume, die nicht mehr im öffentlichen Sinn funktionieren,
sondern in „Gated Communities“ und halböffentliche Räume privatisiert sind,
die im höchsten Maße reguliert werden. Ebenso wichtig ist der Unterschied
zwischen Sichtbarkeit und Zugänglichkeit im öffentlichen Raum. Unterneh­
men tendieren dazu, in öffentliche Räume einzudringen und sie mit spezi­
ellen Werbemethoden zu vereinnahmen, gleichgültig welche Technologien
dabei zum Einsatz kommen. Mit dem wirkmächtigen Einsatz von Medienar­
chitektur wird also ein Bedarf nach klaren Regelungen entwickelt, damit öf­
fentlicher Raum in irgendeiner Weise öffentlich bleibt, anstatt lediglich den
Interessen privater „Big Player“ zu entsprechen. Es besteht ein grundlegender
Unterschied zwischen der Kommunikation von Machtstrukturen und der Er­
zeugung öffentlicher Präsenz, in diesem Fall in einer Ökonomie der Bilder.4
Werbung erzeugt Aufmerksamkeit für Produkte und Marken. Im Gegensatz
dazu wird eine öffentliche Präsenz durch kulturellen Aktivismus erzeugt, und
zwar durch das Involviertsein in soziale Anliegen wie die Fürsorge für Alte, Be­
hinderte, Wildtiere, Grünflächen oder zukünftige Energiequellen, um nur ei­
nige zu nennen. Wenn es das Ziel von Architektur ist, mit ihren Objekten und
Konzepten Bekanntheit für ihre Klienten zu erzeugen, dann muss sie Mittel
entwickeln, eine Balance zwischen der Kommunikation von Machtstrukturen
und der Erzeugung von öffentlicher Präsenz zu erreichen.

     ture Conference 2010 mit KünstlerInnen, ArchitektInnen, LichtplanerInnen führte.
4    Am New Yorker Times Square wurde von NASDAQ zur Anzeige von Wertpapierkursen
     1996 die erste digital gesteuerte Medienfassade (zehn Stockwerke hoch) eröffnet.
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Architektur: Konstruktion und Medieninhalte
Mit den fallenden Preisen für LED-Technologie werden zunehmend mehr Fas­
saden leuchten. Ihre maßgeschneiderten Bauteile werden mittels kreativer
Konzepte immer genauer bestimmte ökonomische Bedürfnisse befriedigen
können. Architektur erzeugt traditionellerweise Objekte und deren Bedeu­
tung, nicht aber die Bedeutung von deren Umgebungen. In ihren Entwurf­
sprozessen definieren Architekturschaffende Bedeutung auf symbolische
Art, um sie durch ein Architekturobjekt auszudrücken. Architekturschaffende
sind Entwerfer und Planer von Fassaden, auch von Medienfassaden. Hier aber
sind sie für den Medieninhalt nicht mehr zuständig und deshalb nicht ver­
antwortlich: Besitzer, Investoren, Mieter oder Entwickler entscheiden darüber.
Robert Venturi und Denise Scott-Brown (1998) haben bereits in den frühen
1990er Jahren so argumentiert. Architekturschaffende sind nur eine Gruppe
unter vielen Stakeholdern im Geschäft mit Medienfassaden, und es ist nicht
zwingend, dass eine Medienfassade überhaupt eine Architekturexpertise zu
ihrer Entwicklung braucht. Lichtplaner und Mediendesigner haben dies be­
reits unter Beweis gestellt. Indem Fassaden durch digitale Medien angerei­
chert werden, entsteht ein Problem für Architektur: Architekturschaffende
könnten in Zukunft nur noch als Experten für die Konstruktion, aber nicht
mehr für den bedeutungstragenden Inhalt zum Zug kommen. Dies würde
in Bezug auf den Ausdruck des Architekturobjekts oder der Medienfassade
zu einer Teilung von Konstruktion und Inhalt bzw. von Syntax und Semantik
eines klassischen Elements der Architektur führen. Der traditionelle Begriff
der architektonischen Repräsentation, welcher Bedeutung auf der Basis von
Erscheinung zu konstituieren pflegt, würde aufgelöst. Das Ergebnis dieser
Entwicklung könnte lauten, dass Architektur dem Mediendesign lediglich Ex­
pertisen für bestimmte dreidimensionale oder großmaßstäbliche Probleme
zur Verfügung stellt. Was Architektur dem gegenüberstellen könnte, wäre
eine kreative visuelle Sprache für den öffentlichen Raum, im nahtlosen Spiel
von flächigen wie raumstrukturellen Ausdrucksmitteln. Die Möglichkeit einer
spezifischen Ikonographie für diese bildgebenden Schnittstellen wird aber
erst seit kurzem thematisiert.5 Noch wurde nicht mit vielen Möglichkeiten für
Medieninhalte experimentiert, abgesehen von dem traditionellen ‚still image’
oder auch dem ‚moving image’, so wie es uns von den alten Medien in Druck,
Film und Video bekannt ist. Ein vielversprechender Weg liegt in der Produk­

5     Vgl. die Vorträge des Autors des vorliegenden Beitrags an der Kunstuniversität Linz
      2008 und bei der Medienfassadenkonferenz 2008 im Deutschen Architekturzentrum
      Berlin.
Medienarchitektur im öffentlichen Raum: Fernseher oder Monumente?   387

tion von Raum mittels räumlich geformter Bilder, Icons, Klischees, Metaphern
und Symbole, welche für eine Gesellschaft, für die entworfen werden soll, von
Bedeutung sind. Ein nächster Weg liegt in der Erweiterung der architektoni­
schen Entwurfsmethoden auf das Mediensubstrat selbst, in die Details der
Hard- und Software, gleichermaßen für die Konstruktion der raumbildenden
wie für die lichtgebenden Elemente.
    Von einem technologischen Geschichtspunkt aus werden Screens immer
wieder als neutrale Medien bezeichnet. Dieses Argument bezieht sich auf
den Umstand, dass übliche Screens im alltäglichen Gebrauch unbegrenzte
Möglichkeiten für ihre Bespielung und Programmierung mit beliebigen Me­
dieninhalten vorgaukeln. Diese Erwartung wird üblicherweise auch auf Urban
Screens und Medienfassaden angewandt. Sie seien neutrale Monitore, bzw.
für sie wird als Qualitätsmerkmal angenommen, dass sie neutrale Monitore zu
sein hätten. Natürlich ist die Möglichkeit, Inhalte dynamisch auszutauschen
und damit die Bedeutungen und Erscheinungsformen zu wechseln, gerade
der interessante Punkt. Aber inwiefern sind solche Bildgeber neutral, und was
soll dynamisch ausgedrückt werden? Die modernistische Doktrin verlangt,
dass eine Fassade entschleiert, was im Inneren eines Gebäudes vor sich geht.
Von einem neomodernistischen Standpunkt aus ließe sich argumentieren,
dass diese neuen Technologien den Entwerfern endlich die perfekten Mittel
in die Hand legen, dieser Forderung in völlig neuem Umfang gerecht zu wer­
den – indem Vorgänge und Funktionen des Inneren eben auf der Fassade ab­
gespielt werden. Weiter könnte dies in der modernistischen Argumentations­
linie dazu verwendet werden, die Demokratisierung des öffentlichen Raumes
zu unterstützen. Spinnt man die Idee noch weiter, könnte die Technologie
dazu verhelfen, die Ökonomie insgesamt mittels derjenigen Unternehmen,
die solche Technologien einsetzen, verstärkt zu demokratisieren. Dies wäre
dann ein mächtiges architektonisches Mittel, um Unternehmen zu verführen,
zur Gestaltung des öffentlichen Raums beizutragen. Von diesem Gesichts­
punkt her würden medialisierte Fassaden Interieurs radikal öffentlich machen
und so eine neue Art von Öffentlichkeit erzeugen. Sie würden die Wahrheit
dessen zeigen, was auch immer im Inneren verborgen sein mag, auf zeitlich
direkte Art und Weise. Natürlich ist diese Transparenz keine solche, die im Ge­
wand der modernistischen Glaswände à la Mies van der Rohe daherkommt,
sondern eine zeitgenössische Transparenz aus Medienbildern. Folglich muss
Architektur gegen Ansätze auftreten, die diese Bildgeber für neue Verschleie­
rungspraktiken und Schönfärbereien durch nichtkonstruktive Zusätze an Ar­
chitekturen einsetzen wollen.
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    In Opposition zur Doktrin der Moderne hat der Architekt Rem Koolhaas
(1994; ebenso Martin 2003) darauf hingewiesen, dass Fassaden im Allgemei­
nen nicht das Raumprogramm der Architektur dahinter ausdrücken, und noch
nicht einmal ihre Nutzung. Wenn modernistische Fassaden etwas darüber
aussagen, was sie verdecken, dann drücken sie die Interpretationen des Archi­
tekturschaffenden aus. Medienfassaden sind die Weiterführung einer langen
Tradition von symbolischem Ausdruck in der Architektur. Dies impliziert, dass
Fassaden als Teil des Gebäudes betrachtet werden müssen, und zwar bezogen
auf die physischen Umstände des technischen Objektes, aber auch auf das ar­
chitektonische Konzept. Was aber ist, wie Kari Jormakka in einer Podiumsdis­
kussion6 bemerkte, wenn die Fassade nicht als Teil des Gebäudes, sondern als
Teil der Straße konzipiert wird? Auf diese Weise verstanden, sollte die Fassade
nicht ausdrücken, was sie verbirgt, sondern reflektieren und zugänglich ma­
chen, was in den Straßen vor sich geht. Was auch immer der architektonische
Diskurs hervorbringen wird, es scheint, als ob schon der bloße Umstand von
Medienarchitektur die modernistische Doktrin zur Fassade auf den Kopf stellt.
Heute entschleiern Fassaden nichts über ihre Innenräume, Funktionen oder
Programme, sondern spiegeln den globalen ökonomischen Stand der Macht­
strukturen wider. Sie könnten aber die Öffentlichkeit der Straße reflektieren,
indem sie das Geschehen in den Straßen in einem maßgeschneiderten digita­
len Bildgeber strukturieren und vereinheitlichen. Anstatt passiver Empfänger
der globalen Infrastruktur zu sein, könnte diese Technologie Rückkopplungen
in die Infrastruktur einspeisen, als ein entstehendes Bündel von neuen Medi­
en, in Ablösung und Ergänzung der traditionellen Massenmedien.

rurbane7 massenmedien

Gesellschaften entwickeln seit jeher vergleichende, beobachtende und refle­
xive Elemente. Mit der aufkommenden Moderne wurden diese Elemente zu­
nehmend von Massenmedien übernommen. Sie erzeugen eine symbolische
Realität, die als gegebene Wirklichkeit auf Basis materieller Infrastrukturen
und Schnittstellen hingenommen wird. Spielarten von Medien-Schnittstellen
gibt es sehr viele: Eines ihrer wichtigsten Kriterien aus der Sicht der Planung ist

6     Jormakka führte dies bei einer Podiumsdiskussion zu ‚Systems and parametric Ar­
      chitecture’ am Mediendeck des Offenen Kulturhauses Linz am 13.12.2006 aus.
7     „rurban“ merriam-webster Definition: of, relating to, or constituting an area which is
      chiefly residential but where some farming is carried on. Origin of rurban: blend of
      rural and urban, First Known Use: 1918. www.merriam-webster.com/dictionary/rurban
      [16.2.2011]
Medienarchitektur im öffentlichen Raum: Fernseher oder Monumente?          389

ihre Maßstäblichkeit als ein typisches Architekturwerkzeug für den Größen­
bezug zu anderen Objekten, Menschen, Bauteilen und ähnlichem.
     Dem ‚Common Sense’ nach dienen Massenmedien der öffentlichen Mei­
nungsbildung und sind ein wichtiges Element zur Sicherung der Demokratie,
indem sie Kritik und Kontrolle erlauben. Dies wurde von vielen europäischen
Staaten als derart wichtig erachtet, dass der Bevölkerung ein Rechtsanspruch
auf mediale Grundversorgung vermittels öffentlich-rechtlicher Medien ohne
externe Einflussnahme garantiert wurde. Lexikalisch werden Massenmedien
auch als Medien der Massenkommunikation beschrieben. Der Begriff selbst
ist längst als unscharf und problematisch erkannt worden und

     „[…] unglücklich gewählt, da weder der Begriff ‚Masse’ die Grup­
     pe der Empfänger adäquat beschreibt noch ‚Kommunikation’ den
     Vorgang der Einweg-Verbreitung von Medienbotschaften ohne
     Rückkopplung”,8

wie auch der Brockhaus moniert. Darüber hinaus ist der Begriff ‚Masse’ mit
den problematischen Bedeutungen von Entfremdung und Auflösung der so­
zialen Gemeinschaft in einer Massenkultur assoziiert.
    Dem Begriff ‚Kommunikation’ haften wiederum ganz unterschiedliche und
widersprüchliche technische und kulturelle Inhalte an. Technisch wird damit
Steuerung ausgedrückt, die definierte Zustandsänderungen in einem System
herbeiführt oder darauf reagiert. Kulturell hingegen wird damit Verständi­
gung ausgedrückt. Die technischen Kommunikationswissenschaften mit den
aus ihren Konzepten entwickelten Artefakten und Verfahren befinden sich so­
mit in einem Gegensatz zur traditionellen Schriftkultur mit ihrer Bedeutungs­
ordnung. Ihre Konzepte sind in vielen Bereichen nicht komplementär, son­
dern erzeugen widersprüchliche Überschneidungen. Im technischen Bereich
ist ein Begriff von Kommunikation entstanden, der unabhängig von Sinn,
Bedeutung und menschlicher Verständigung funktioniert. Der Mathematiker
und Begründer der Informationstheorie Claude Shannon definierte 1948 für
die Entwicklungsrichtung des von ihm entwickelten Kommunikationsmodells:
„[…] semantic aspects of communication are irrelevant to the engineering
problem.“ (Shannon 1948) Im Gegensatz zum interpretierenden Verständnis
von Äußerungen in der hermeneutischen Vorstellung von Kommunikati­
on entwickelte sich eine nicht-hermeneutische Informationstheorie, die auf

8   Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, DVD-Version 2009, Stichwort „Massen­
    medium”.
390                             Oliver Schürer

Transmission und Selektion in Prozessen beruht. Obwohl das Shannon’sche
Kommunikationsmodell in sozialen Kommunikationsverhältnissen nach heu­
tigen Vorstellungen nicht unmittelbare Geltung beanspruchen kann, ver­
suchten die Human- und Sozialwissenschaften nach den Weltkriegen, ihre
Arbeiten damit naturwissenschaftlich legitimierbar zu machen: Einseitig line­
ar richtet sich ein Kommunikator via Kanal an einen Rezipienten, wobei der
Vorgang Störungen ausgesetzt ist, so dass es notwendig wird, das Signal zu
extrahieren. Tatsächlich ließen sich die Massenmedien des 20. Jahrhunderts
mit dem Modell auch so beschreiben: Zeitung, Radio und TV versorgen ein
passiv in Konsum versunkenes Publikum. Obwohl der Politikwissenschafter
Harold Lasswell an einer ganzheitlichen Sicht eines Kommunikationsprozes­
ses interessiert war, wurde seine Formel, die er in Reaktion auf Shannon 1948
veröffentlichte, für die Übertragung der ingenieurswissenschaftlichen in die
kulturwissenschaftliche Vorstellung von Kommunikation prägend: „Who says
what in which channel to whom with what effect?“ (Lasswell 1948) Doch im
soziokulturellen Bereich stimmt dieses Modell nur für Propaganda, eine Kom­
munikationsform, bei der versucht wird, mit Einzelmeinungen die öffentliche
Meinung zu beeinflussen. Doch im Unterschied zu technischen Kommuni­
kationsprozessen stehen sogar bei nicht-dialogischer Kommunikation unter
Menschen, etwa beim Lesen, die Bedeutungen von Äußerungen vorher nicht
zwingend fest. Bedeutungen werden wechselseitig und über die komplet­
te Dauer der Kommunikation hin hergestellt und ausgehandelt. Denn „[…]
menschliche Kommunikation besteht aus Rückkopplungsschleifen, nicht
aus Kausalketten.“ (Hartmann 2003: 59) In Reaktion auf die problematische
Übertragung des technischen Modells beschrieb der Philosoph Michel Serres
1964 menschliche Kommunikation nicht wie Shannon als Kanal, sondern als
Gewebe und prägte damit die Metapher vom Netz (Serres 1964). Hier wird
zwischen Sender und Empfänger nicht unterschieden, da Rückkopplung kein
Spezialfall, sondern Voraussetzung in dieser Interpretation von Kommuni­
kation ist. Obwohl die alten Massenmedien offensichtlich längst nicht mehr
nach linearen Modellen funktionieren (bedenkt man all die Live-Schaltungen,
Publikumsbefragungen und ähnliches), ist das einseitig lineare, technische
Kommunikationsmodell dennoch konzeptionelle Grundlage der Tätigkeit
von Architekten und Mediendesignern und wird mit der heute sehr populä­
ren Netzmetapher vermischt (Tomitsch/Tscherteu 2010: 9f.).
    Schon vor der Privatisierung und Vermassung des Internets konstatierte
Vilem Flusser (1985) eine Entwicklung hinsichtlich kultureller Kommunikatio­
nen, die sich von Massenmedien lösten und zu Netzdialogen hin tendierten.
Das Potential zur Vervielfältigung, Beschleunigung und Erhöhung der Reich­
Medienarchitektur im öffentlichen Raum: Fernseher oder Monumente?   391

weite wurde in der frühen Phase digitaler Medien sichtbar, als sich der Com­
puter vom Rechner zum Medium wandelte. Heute ist aus dem Abseits der zu­
nehmend um Bedeutung ringenden oder mit neuen Medien fusionierenden
alten Medien das Phänomen Massenmedium in ganz neuer Ausprägung zu­
rückgekehrt. Werden technische Modelle auf soziokulturelle Bereiche ange­
wandt, entstehen problematische mediale Konzepte. Im öffentlichen Raum ist
solch ein Konzept bereits verwirklicht mittels der neuen Medien Urban Screen
und Medienfassade. Selbstverständlich weisen diese große Unterschiede zu
ihren historischen Vorgängern auf: Strikt im öffentlichen Raum verortet, nut­
zen sie unverlangt eine ungewöhnlich kurze und geringe Aufmerksamkeits­
spanne ihrer Rezipienten. Anstatt einer kollektiven Erfahrung, die bei traditi­
onellen Massenmedien ein wahrnehmendes Subjekt mit wenigen Vertrauten
über eine gewisse Dauer in zumeist privater Umgebung teilt, stellt sich bei
diesen neuen Medien immer eine kollektive Erfahrung ein, die mit vielen Un­
bekannten geteilt wird. Es existiert kein öffentlich-rechtlicher Hintergrund wie
für die historisch gewachsenen Massenmedien, sondern die offiziellen Re­
gelwerke beschränken sich auf Lichtverschmutzung, Verkehrssicherheit und
technische Funktionalitäten. Betrieben werden die Medien fast ausschließlich
durch voneinander unabhängige Unternehmen, die neben ihren kommerzi­
ellen Interessen keinen inhärenten Anteil an sozialen und kulturellen Inhal­
ten und Themen haben. Selten kommt es vor, dass Medienunternehmen, die
beliebige Medieninhalte verkaufen, zugleich auch Betreiber sind. Eher han­
delt es sich um solche Unternehmen, die damit ihre eigene Repräsentation
mit einer neuen Form von Selbstdarstellung als Landmarke erreichen. Gleich
ihren massenmedialen Vorgängern ist diesen neuen Medien das zugrunde­
liegende lineare Kommunikationsmodell, nach welchem sie jetzt technisch
realisiert und im öffentlichen Raum implementiert werden. Deshalb streben
diese Medien in einem kulturellen Sinne nicht Verständigung an, sondern die
Propaganda von Bedeutungen, die ein Unternehmen für sich aus Gründen
der Marktdifferenzierung konstruiert.
    Die Wiederauferstehung des linearen Modells in neuen Medien bringt eine
spezifische Problematik mit sich – und zwar weniger dahingehend, inwiefern
es potentiell unterschiedliche Kommunikationssituationen adäquat abbildet,
sondern vielmehr deswegen, wie es als einschränkendes, reduktionistisches
Konzept neu zu gestaltende, künftige Kommunikationssituationen vorformt.
Chancen, Potentiale und Versprechen aus der Frühzeit der neuen Medien schei­
nen durch die zeitgenössische Entwicklung weiterer neuer Medien konterka­
riert und werden im öffentlichen Raum nicht genutzt. Handelt es sich dabei um
eine medial-kulturelle Gegenbewegung zu den Verheißungen dieser Potentia­
392                                     Oliver Schürer

le? Wird das Konzept eines neu erstehenden Massenmediums des öffentlichen
Raumes sichtbar, vergleichbar mit der massenhaften Verbreitung von Radio
und Fernseher?9 Oder stellt sich gegenwärtig eher die Frage, ob sich der tota­
litäre Traum von der totalen Propaganda aufgrund von Marktdifferenzierung
und Technologieentwicklung selbstständig verwirklicht? Solch eine späte Rea­
lisierung des Ideals der Kriegs- und Nachkriegspropaganda würde einhergehen
mit Entwicklungen hin zu einer neuen, diesmal digitalen Monumentalität und
einer anti-egalitären, anti-demokratischen Ästhetik des öffentlichen Raumes.
     Mit Urban Screens und Medienfassaden wurden zwei Formen neuer Medi­
en im öffentlichen Raum herausgegriffen, die dort durch ihr Aufmerksamkeit
heischendes Flackern besonders auffallen. Doch zwischen Screen und Fassa­
de hat sich längst eine Gradation von Größen entwickelt, die auf der einen
Seite der Skala von Riesenbildschirmen und auf ihrer anderen von kleineren
Fassaden(teilen) gestellt wird. Was sie zumindest aus architektonischer Sicht
unterscheidet, ist der Umstand, ob das bildgebende Element vorgefertigt ist
oder maßgeschneidert für eine Bauaufgabe entwickelt wurde. Maßgeschnei­
derte Bildgeber können auf verschiedenste Eigenschaften verzichten, die
für Screens charakteristisch sind, wie Ebenheit, Rahmung, Homogenität der
Auflösung, Tiefe des Bildgebers, Transparenz und Kohärenz der Fläche. Darü­
ber hinaus finden sich jeweils jenseits der Pole dieser neuen Medien weitere
Medien in allen menschlichen Maßstabsbezügen. Beim gesteigerten Maßstab
finden sich technisch ausgereifte Möglichkeiten wie etwa die international
längst geächtete Möglichkeit der Projektion auf Wolken; auch allerlei Flugob­
jekte könnten mit Bildgebern ausgestattet werden. Ein dahingehend interes­
santes Laborexperiment sind Mikro-Helikopter, die für sich jeweils ein Pixel
darstellen und massenhaft, in Formation geflogen via Schwarmsteuerung
räumliche Bilder erzeugen könnten.10 Ganz konkret wird etwa die Skyline an
Hongkongs Victoria Harbour unter dem Titel „Symphony of Lights“ synchro­
nisiert. Als „World’s Largest Permanent Light and Sound Show“ hat dieses
Konzept zur Vermeidung unerträglicher Lichtirritationen unter den visuell
hochgerüsteten Hochhäusern Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde gefun­
den. Wer auf den Bildgeber-Gradienten in Richtung Verkleinerung schaut, der
findet selbstredend die Masse der verschiedenen „Wearables“11, allen voran

9     Die massenhafte Verbreitung des Fernsehens in Europa wurde angetrieben u. a. durch
      die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 (Kerlen 2003: 249f.).
10    Projekt „Firefly“ des MIT SENSEable City Lab: http://senseable.mit.edu/flyfire (3.2.2011).
11    „Wearable computers are computers that are worn on the body. This type of wearable
      technology has been used in behavioral modeling, health monitoring systems.” Siehe
      http://en.wikipedia.org/wiki/Wearablecomputer (3.2.2011).
Medienarchitektur im öffentlichen Raum: Fernseher oder Monumente?        393

Mobiltelefone. Hochspezialisierte „Wearables“, wie etwa für diagnostische
Spezialmedien, setzen Mikro-Bildgeber bis zu einer Bildschirmdiagonale bei
LCD von 0,686 cm ein. Sie beziehen sich eben nicht auf einen verkapselten
privaten Raum im Öffentlichen, sondern auf den Körper. Im Alltag öffentlicher
Räume finden sich digitale Medien durchgängig über all jene Maßstabsbezü­
ge skaliert, die für Architektur und Urbanistik von Bedeutung sind.
    Die treibende digitale Medieninfrastruktur tritt im Unterschied zu den
klassischen alten Medien nicht mehr vermittels einer spezifisch zuordnungs­
fähigen Schnittstelle auf, die sie als Einzelmedium identifizierbar werden ließe,
so wie Radio, TV und Telefon spezifische Interfaces auf Basis spezifischer Infra­
strukturen für spezifischer Kommunikationsformen hervorbrachten. Stattdes­
sen werden vielerlei Interfaces auf der Grundlage digitaler Infrastruktur ent­
wickelt, welche die alten Infrastrukturen durch digitale Technologie vereinigt
und erweitert. Als urbanes Chamäleon betont dieser Medienbegriff weniger
die Einheitlichkeiten der Schnittstellen als die seiner Infrastruktur. Mensch-
Maschine-Schnittstellen entscheiden über die Akzeptanz eines Mediums,12
Infrastruktur hingegen über den Grad der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit.
    Zwar sind digitale Medien bereits ubiquitär, doch zeigt die individuelle
Alltagserfahrung, dass sie in unterschiedlich dichter Packung auftreten und
diese Dichte raschen Wandlungen unterzogen ist. Das rührt nicht nur vom
wechselnden Medienangebot an unterschiedlichen Orten her. Vielmehr ent­
faltet sich dieser Effekt aus dem Zusammenspiel individueller Mobilität, un­
terschiedlicher Tageszeiten, veränderter kommerzieller Interessen und vor al­
lem unsteter individueller Aufmerksamkeit und wankelmütiger Verwendung.
Mediendichte, hier als die Dichte der individuellen Nutzung verstanden, ist
deshalb nicht deckungsgleich mit urbaner Dichte. Vielmehr erstrecken sich
Zonen einer bestimmten Mediennutzungsdichte nahtlos über Grenzen ur­
baner Dichtezonen. Durch die Art der Benutzung sowie die Mobilität und
Flexibilität der Interfaces werden groß-, vor- und kleinstädtische, rurbane
genauso wie rurale Gebiete trotz unterschiedlicher Infrastrukturdichten auf
die gleiche Weise individuell augmentiert.13 Die ungewöhnlich fragmentier­
te Dorfstruktur der Tourismusgemeinde Bad Kleinkirchheim,14 eine malerisch

12   So Jens Geelhaar in einem Vortrag bei der „Media Architecture Conference 2010“
     8.10.2010.
13   „augmentiert“ (dt Ableitung vom englischen augmented: angereichert, vermehrt. Wie
     in „Augmented Reality“ Überlagerung der so genannten virtuellen und physischen Re­
     alitäten.)
14   „Kurgemeinde Bad Kleinkirchheim informiert topaktuell mit Überkopf Vollfarb-Led­
     anzeigen. Über W-LAN können sekundenschnell neue Infos, Sponsorenlogos, Veran­
394                                   Oliver Schürer

in den Nockbergen gelegene weitgezogene Streusiedlung ohne Kern und
Hauptplatz, hat eine auch für Fremde verständliche Identität. Sie ist an den
Hauptzufahrtsstraßen eingerahmt von vier dekonstruktivistischen Torbögen
mit integrierten Urban Screens.

Territorien

Architektonische Entwurfsmethoden basieren im weitesten Sinne auf visu­
ellen Darstellungen und deren Manipulation – Prozesse, die Architekturkon­
zepten anschließend zum Abheben verhelfen sollen. Der Architekt Stan Allen
folgerte 1997 daraus:

      „Traditionelle Repräsentationen gehen von der Grundannahme
      stabiler Objekte und fixierter Subjekte aus. Aber die zeitgenössi­
      sche Stadt lässt sich nicht auf ein Artefakt reduzieren. Die Stadt ist
      ein Ort, an dem sichtbare und unsichtbare Ströme von Information,
      Kapital und Subjekten in komplexen Formationen interagieren. Sie
      formen ein zerstreutes Feld, ein Netzwerk von Strömen. Um dieses
      neue Feld zu beschreiben oder in es zu intervenieren, brauchen
      wir Repräsentationstechniken, die die Zeit mit einbeziehen und
      verändern, während sie Maßstäbe, mobile Standpunkte und vie­
      lerlei Programme verschieben. […] Neue Karten und Diagramme
      könnten neue Arten des Arbeitens mit der komplexen Dynamik der
      zeitgenössischen Stadt nahelegen.“15

An adäquaten Repräsentationsmethoden zu diesen Fragen arbeitet die Archi­
tektur nun seit mehr als einem Jahrzehnt, verwendet dabei jedoch nach wie
vor den veralteten Begriff vom öffentlichen Raum (mit der Folge eines sich nur
unzureichenden Ergänzens).
   Um die verschiedenen Alternativen zur Betrachtung der Beziehungen zwi­
schen Architektur und ihrer Umgebung, die von der zweiten Generation der
Moderne hinterlassen wurden, zu einem dynamischen Feld zu erweitern, hat

      staltungshinweise, Werbeeinschaltungen, Straßeninfos, News für Skifahrer u.v.m. an
      die quer über die Straße montierten ACT-Videowalls gesendet werden. Unübersehbar
      informieren die in Summe 4 jeweils 8x1 m großen, doppelseitig montierten Videowän­
      de bereits aus großer Entfernung.” http://www.act-thielmann.at/Gallery-act-display­
      image-album-120 – pos-10.html (2.2.2011).
15    Vgl. Allen (1997); siehe auch http://www.prototypo.com/Essays/Essays2/0022.htm
      (3.2.2010).
Medienarchitektur im öffentlichen Raum: Fernseher oder Monumente?   395

der Urbanismus-Historiker David Gissen den geographischen Begriff des Terri­
toriums vorgeschlagen. In der Moderne wurde Architektur autonom gedacht,
und die Beziehungsparameter zur Umgebung wurden für die Handhabung
im Entwurf stark eingeengt. Gissen spricht zwar weder von Medienarchitektur
noch vom öffentlichen Raum. Doch die Situation des zeitgenössischen öffent­
lichen Raums, der stark fragmentierte Räume ausbildet, bevölkert von hetero­
genen Öffentlichkeiten und durchwachsen mit ganzen Bündeln von Medien
auf allen Maßstäben, lässt sich mit den klassischen Methoden der Architektur
nicht mehr adäquat repräsentieren oder konzeptualisieren.
     Traditionell beantwortet der Begriff des Territoriums Fragen nach Herr­
schaftsverhältnissen, Besitzstrukturen, Dominanz und Kontrolle, die einen
bestimmten Raum konfigurieren.
     Der territoriale Raum entsteht aus dem Vorhandensein von passiven Res­
sourcen, die es aktiv zu administrieren gilt, um sie zugänglich, messbar und
ausbeutbar zu machen. Er hat seine territorialen Grenzen dort, wo unter­
schiedliche Formen administrativer Interessen aufeinander treffen. Deshalb
können sich Territorien auch konfliktfrei überlagern. In einer Analyse aus der
Perspektive der Architekturgeschichte beschreibt der Architektur- und Tech­
nikhistoriker Antoine Picon (2010: 95f.) den Begriff ‚Territorium’ und dessen
Entwicklung von einem administrativen Begriff (in dessen Wirkungsfeld auch
die Ingenieurswissenschaften und die Architektur im modernen Sinne be­
gründet liegen) zu einem Begriff der Aufklärung. Im Zuge dieses Prozesses
wurde das administrative Ideal des vereinfachten Austausches von Menschen
und Gütern im Sinne von Ressourcen der Produktion nun um den Austausch
sozialer Modelle und intellektueller Herausforderungen erweitert. Soziale
Mobilität innerhalb der Schichten einer Gesellschaft und unter Gesellschaften
wurde zu einem der wichtigsten Aspekte des aufklärerischen Ideals; es hatte
seine Entsprechung in der durch die Ingenieurswissenschaften vereinfachten
physischen Erschließung eines Territoriums. Ein Territorium selbst wird somit
zu einer neuen Kategorie von Ressource im größeren Maßstab. Die Maßnah­
men zur vereinfachten Ausbeutung von Minen, Feldern, Menschen und deren
Fähigkeiten zeitigten als nächsten Entwicklungsschritt einen vereinheitlichten
Markt für Güter und Leistungen. Viele Wechselwirkungen zwischen Ressour­
cen, Administration und Markt entfalten mediale Wirkung auf der Basis ihrer
materiellen Bedingungen. Architektur lieferte spätestens ab Mitte des 19.
Jahrhunderts, so Manfredo Tafuri in seinem Werk „Architecture and Utopia“
(1976) (Picon 2010: 95f.), einen Teil der vielfältigen und nötigen Infrastrukturen
zur Aufrechterhaltung von administrativer Dominanz. Den Trend zur Rationa­
lisierung in der klassischen Avantgarde sowie bei ihren Vorläufern machte die
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