Deponienachsorge in der Schweiz: Grundlagen und Praxisbeispiel

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Deponienachsorge in der Schweiz: Grundlagen und Praxisbeispiel

                                     Armin Bachofner

1   Abfallleitbild der Schweiz
Mit dem Leitbild für die schweizerische Abfallwirtschaft von 1986 [1] wurden die Ziele und
Grundsätze für die schweizerische Abfallpolitik grundlegend überarbeitet. Im darauf abge-
stützten Abfallkonzept von 1992 [2] wurden folgende vier Strategien verfolgt:
    •   Vermeiden von Abfällen
    •   Vermindern von Schadstoffen bei Produktion und in Gütern
    •   Vermindern von Abfällen durch Verwertung
    •   Umweltverträgliche Behandlung der verbleibenden Abfälle

In den letzten 20 Jahren wurden unter diesen Voraussetzungen die Rechtsgrundlagen um-
fassend erweitert. Für Deponien – den Hauptaspekt des Referats – sind insbesondere fol-
gende Gesetze und Verordnungen relevant (Aufzählung nicht abschliessend):
    •   1985 Umweltschutzgesetz (USG)
    •   1986 Verordnung über den Verkehr mit Sonderabfällen (VVS)
    •   1991 Technische Verordnung über Abfälle (TVA)
    •   1998 Altlastenverordnung (AltlV)
    •   1999 Gewässerschutzverordnung (GSchV)
    •   2006 Verordnung über den Verkehr mit Abfällen (VeVA)

Einer der Leitgedanken war, dass aus zwangsläufig entstehenden Abfällen nur wiederver-
wertbare oder endlagerfähige Stoffe entstehen. Dabei sollen die Abfallbehandlungsverfah-
ren so konzipiert sein, dass umweltgefährdende Stoffe in möglichst konzentrierter Form
und umweltverträgliche Stoffe in möglichst reiner, d.h. erdkrusteähnlicher Form anfallen.

In der TVA wurden für die Ablagerung von endlagerfähigen Stoffen die Deponietypen der
Inertstoff- und der Reststoffdeponie definiert. Da bei der Umsetzung ein schrittweises Vor-
gehen vorgesehen war, wurde für Stoffe, welche mangels Behandlungsverfahren oder -ka-
pazitäten noch chemisch reaktive Eigenschaften aufweisen, der Deponietyp der Reaktor-
deponie geschaffen.
Deponietyp    Definition Abfallarten               Typische Abfallarten
Inertstoff-   gesteinsähnliche, schadstoffar- • Mineralische Bauabfälle
deponie       me Materialien, die beim Aus-        • Leicht kontaminiertes Aushubmaterial
              waschen mit Wasser kaum              • Nicht verwertbares Aushubmaterial
              Schadstoffe abgeben.                 • MBA-Rückstände
Reststoff-    schwermetallreiche Materialien       • Rückstände Rauchgasreinigung
deponie       mit bekannter Zusammenset-           • Verfestigte Filteraschen
              zung und mit nur geringen or-        • Stark kontaminiertes Aushubmaterial
              ganischen Anteilen.
Reaktor-      übrige für die Ablagerung zuge- • Schlacke
deponie       lassene Abfälle. In der Deponie • Übrige Abfälle
              ist mit chemischen und biologi-      • Kehricht
              schen Prozessen zu rechnen.
Tabelle 1     Deponietypen und Abfallarten (kursiv = aktuell nicht mehr zulässige Abfallarten)

Durch die Umsetzung des Multibarrierenprinzips sowie verschiedener weiterer Massnah-
men wurde erreicht, dass sich die Deponietechnik und die Qualität der abgelagerten Abfäl-
le massiv verbesserten und die abgelagerte Abfallmenge deutlich reduziert werden konnte.

Folgende Massnahmen mit besonderer Wirkung auf die Verbesserung der Abfallqualität
sind zu erwähnen:
   •   Verwertungsanstrengungen bei Siedlungsabfällen:
       Durch die verstärkten Separatsammlungen bei Siedlungsabfällen konnte trotz stei-
       gender Gesamtmengen (1986: 3.5 Mio. t Æ 2006: 5.3 Mio. t) der brenn- bzw. depo-
       nierbare Anteil (rund 2.7 Mio. t) konstant gehalten werden.
   •   Verbrennungspflicht für brennbare Abfälle (Art. 11 TVA):
       Das seit jeher bedeutende Standbein der Abfallverbrennung wurde durch die Ver-
       brennungspflicht für Siedlungsabfälle, Klärschlamm, brennbare Anteile von Bauab-
       fällen und andere brennbare Abfälle weiter gestärkt.
   •   Ablagerungsverbot für brennbare Abfälle ab 2000 (TVA Art. 32):
       Durch das Ablagerungsverbot ab 2000 wurde erreicht, dass u.a. der Hauskehricht
       auf den wenigen verbliebenen Kehrichtdeponien nicht mehr abgelagert werden
       konnte. Zugleich wurde auch die Ablagerung von Klärschlamm sowie von brennba-
       ren Bauabfällen unterbunden.
   •   Verwertungsmassnahmen und Abfalltrennung bei Bauabfällen:
       Bei den Bauabfällen wurde durch die Abfallsortierung, Aufbereitung und Herstellung
von Sekundärbaustoffen die Recyclingquote massiv gesteigert und die Qualität der
        nicht verwertbaren Bauabfälle verbessert.
    •   Einschränkung für Ablagerung von Sonderabfällen:
        Durch Innovationen bei Behandlungsverfahren, den Einschränkungen zur Ablage-
        rung von Sonderabfällen usw. wurde das Schadstoffpotential von abgelagerten Ab-
        fällen deutlich reduziert.

Die Auswirkungen der zwischenzeitlich umgesetzten Strategien und Massnahmen in der
Abfallpolitik wurden in den letzten Jahren überprüft [3]. Dabei zeigte sich, dass von der
heutigen Abfallwirtschaft im Vergleich zur Situation in den 80er Jahren nur noch geringe
Umweltbelastungen ausgehen und sich ein gut funktionierendes Gesamtsystem etabliert
hat. Die damals dringendsten ökologischen Probleme der Abfallwirtschaft konnten behoben
werden, da der Fokus auf rasch wirksamen End-of-Pipe Massnahmen beruhte. Namhafte
Erfolge sind auch im Bereich der Verwertung festzustellen. Summa summarum fällt die
Bilanz sehr positiv aus. Die Massnahmen vermögen jedoch nur einen sehr beschränkten
Beitrag zur heute angestrebten Reduktion des Ressourcenverbrauchs zu leisten.

Nun steht die Erneuerung des Leitbildes von 1986 an. Das zukünftige Leitbild für die
nächsten 15 bis 20 Jahre soll nicht nur auf Abfälle fokussieren, sondern mit Blick auf eine
nachhaltige Entwicklung die Rohstoffnutzung umfassen. Die heutigen Lücken und Schwä-
chen sollen dabei kontinuierlich behoben werden.

2   Anforderungen an Deponien und die Deponienachsorge
Die umweltgerechte Ablagerung von Abfällen basiert vorsorglich auf dem Multibarrieren-
prinzip, womit eine Gefährdung von Mensch und Umwelt verhindert werden soll. Darauf
basierend wurden für alle Deponietypen umfangreiche Standortanforderungen definiert.
Weiter werden ein fachtechnisch einwandfreier Deponiebau, ein geregelter Deponiebetrieb
sowie der Einbau von endlagerfähigen Abfällen verlangt. Die Stoffeinträge von solchen
Deponien in die Umwelt (Luft, Wasser, Boden) sollen sowohl kurz- als auch langfristig oh-
ne Nachbehandlung umweltverträglich sein.

Im Gegensatz zur deutschen Regelungsdichte umfasst die heute gültige TVA nur gerade
58 Artikel auf 22 A5-Seiten, behandelt darin aber fast alle Abfallarten und Entsorgungssys-
teme. Die Anforderungen an Deponiestandorte, die Errichtungs- und Betriebsbewilligung
sowie die Deponienachsorge sind in der TVA mit 15 Artikeln auf 7 A5-Seiten sowie zwei
Anhängen im Umfang von insgesamt 12 A5-Seiten geregelt. Inhaltlich bestehen jedoch
ähnliche grundsätzliche Vorgaben wie in Deutschland. Durch die geringe Regelungsdichte
besteht jedoch ein grösserer Spielraum in der Interpretation und der Umsetzung durch die
Amtsstellen der 26 Kantone der Schweiz.

Hinsichtlich Abschluss und Nachsorge der Deponien sind nachstehend die wichtigsten Ge-
setztesartikel der TVA aufgeführt:

 3 Abschluss

 1
  Werden keine Abfälle mehr abgelagert, ist die Oberfläche von Deponien und von allfälligen Etappen abzudecken.
 Die Oberfläche muss für die Entwässerung ein ausreichendes Gefälle aufweisen.

 2
   Muss wegen der Zusammensetzung des Abwassers verhindert werden, dass Niederschlagswasser in die Deponie
 einsickern kann, so ist die Oberfläche abzudichten, sobald sich der Deponieinhalt gesetzt hat. Die Oberflächenabdich-
 tung ist zudem mit einer geeigneten Entwässerungsschicht zu überdecken.

 3
  Sobald sich der Deponieinhalt gesetzt hat, ist die Oberfläche überdies mit einer rekultivierbaren Deckschicht zu
 versehen. Diese soll sicherstellen, dass die vorgesehene Nutzung die Oberflächenabdichtung auch langfristig nicht
 beschädigen kann.

 4
  Die Oberfläche von abgeschlossenen Deponien ist naturnah zu gestalten und, wenn sie nicht landwirtschaftlich
 genutzt wird, standortgerecht zu bepflanzen.

Abbildung 1       Anforderungen an den Abschluss gemäss TVA Anhang 2

 Art. 26 Gesuch für die Betriebsbewilligung

 1 Das Gesuch für die Betriebsbewilligung muss enthalten:

     f.   den Nachweis über die volle Deckung der Kosten für die Abschlussarbeiten und die erforderliche Nachsorge.

 Art. 28 Überwachung

 2
  Nach dem Abschluss von Deponien sorgt die Behörde dafür, dass die vorgeschriebenen Anlagen und das Grund-
 wasser, das Abwasser und die Deponiegase so lange kontrolliert werden, bis schädliche oder lästige Einwirkungen
 auf die Umwelt unwahrscheinlich erscheinen, mindestens aber während:

     a. 5 Jahren bei Inertstoffdeponien;
     b. 10 Jahren bei Reststoffdeponien;
     c. 15 Jahren bei Reaktordeponien.

Abbildung 2       Anforderungen an die Nachsorge gemäss TVA

Für die Durchführung der Nachsorgearbeiten sowie die Kostendeckung in der Nachsorge
ist grundsätzlich der Deponiebetreiber verantwortlich. Die Behörden sorgen prioritär für die
Sicherstellung dieser Kostendeckung in Form einer Sicherheitsleistung oder durch statua-
rische Bestimmungen mit Kostentragungspflicht für Verbandsgemeinden bei öffentlich-
rechtlich organisierten Deponien. Die Berechnung der ordentlichen Nachsorgekosten diffe-
riert je nach Kanton (Umfang, Nachsorgedauer), die Kosten für einen allfälligen Störfall
(Störfallnachsorge) werden erst recht uneinheitlich bestimmt. Eine nationale Harmonisie-
rung oder eine nationale Lösung für die Störfallnachsorge fehlt.

Als Kriterium zur Entlassung aus der Nachsorge gilt für das Sickerwasser prioritär die Erfül-
lung der Einleitbedingungen in den Vorfluter (Gewässer) gemäss GSchV. Hinsichtlich Be-
urteilung von schädlichen oder lästigen Einwirkungen wird in Analogie zu Altablagerungen
die Altlastenverordnung (AltlV) beigezogen, da alle in Betrieb stehenden Deponien sowie
die Altablagerungen zumindest als mit Abfällen belastete Standorte gemäss AltlV klassiert
sind.

3   Heutige Situation und Aussichten bei der Deponienachsorge
Bei der Deponienachsorge wurde durch die Einführung der Inertstoff- und Reststoffdeponie
als Endlagerstätten ein Meilenstein gesetzt. Bei neuen TVA-konformen Deponien zeigt
sich, dass der nachsorgearme Zustand mehrheitlich erreicht werden kann, bei Inertstoffde-
ponien oftmals bereits in der Betriebsphase. Durch die geringen organischen Inhaltsstoffe
sind keine Gasemissionen feststellbar und die Einleitbedingungen in den Vorfluter (Ober-
flächengewässer) gemäss GSchV werden beim Sickerwasser oftmals erfüllt. Als kritische
Parameter zu erwähnen sind dabei die Grenzwerte für den Summenparameter DOC
(10 mg C/l) und in Reststoffdeponien zusätzlich Ammonium (2 mg N/l). Die Grenzwerte für
Schwermetalle werden wie erwünscht deutlich unterschritten.

Weniger erfreulich ist die Situation bei Reaktordeponien, welche durchwegs deutlich höhe-
re Emissionswerte wie die Endlagerdeponien (Inertstoff-/Reststoffdeponie) aufweisen. Da-
bei kann differenziert werden zwischen den ehemaligen Kehrichtdeponien, den Schlacken-
deponien sowie Reaktordeponien für die übrigen Reaktorstoffe.

Bei ehemaligen Kehrichtdeponien ist die Problemstellung ähnlich wie in Deutschland. Die
organischen Inhaltsstoffe führen zu bedeutenden Emissionen über den Gas- als auch
Wasserpfad und es ist mit jahrzehntelangen Nachsorgedauern zu rechnen. Abgesehen von
der Entgasung sind keine aktiven Massnahmen gesetzlich gefordert. Sie liegen aber viel-
fach im Interesse des Deponiebetreibers hinsichtlich einer verkürzten Nachsorgedauer so-
wie einer Reduktion des Schadstoffpotentials. Nähere Informationen dazu finden sich im
Praxisbeispiel.

Bei den Schlackendeponien zeigt sich grundsätzlich die gleiche Problemstellung. Bei den
Gasemissionen ist die Problematik weniger ausgeprägt, abgesehen von den Wasserstoff-
emissionen aus der Aluminium-Hydratisierung sowie den neuerdings festgestellten damit
verbundenen Ammoniakemissionen. Unschön ist die Tatsache, dass die bisher eingebau-
ten Schlacken aus den Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) bzw. Kehrichtheizkraftwerken
(KHK) zu Sickerwasserbelastungen führen, welche noch weit von der Einhaltung der Ein-
leitbedingungen in ein Gewässer entfernt sind. Kritisch sind die Konzentrationen von DOC
(10 bis 120 mg C/l), Ammonium (bis 25 mg N/l), einzelnen Schwermetallen (Cu bis 1 mg
Cu/l) sowie die Salzfracht (Leitfähigkeit im Mittel bei 16'000 µS/cm, Chlorid bei rund
4'000 mg Cl/l). In den letzten 10 Jahren wurden etliche Massnahmen zur Verbesserung der
Schlackenqualität umgesetzt, wie die Schlackenaufbereitung (Entschrottung, Buntmetall-
abscheidung) sowie der Trockenaustrag in der KVA. Es besteht die Aussicht, dass zukünf-
tig Schlackenfraktionen mit Inert- bzw. Reststoffqualität generiert werden können. Nichts-
destotrotz ist bei den bestehenden Schlackendeponien mit einer jahrzehntelangen Nach-
sorgedauer zu rechnen.

Anlass zu kontroversen Diskussionen gibt der DOC-Grenzwert, welcher als Summenpara-
meter keine Aussagen über die Toxizität bzw. organische Schadstoffe wie PCB, PAK,
CKW etc. macht. Insbesondere bei Reaktordeponien zeigt sich, dass die im DOC ange-
zeigte Organik vielfach schlecht biologisch abbaubar ist und zugleich eine geringe Toxizität
bzw. Schadstoffkonzentrationen aufweist.

Die meisten Deponien in der Schweiz waren schon vor dem Ablagerungsverbot im Jahr
2000 nicht auf die Kehrichtanlieferungsmengen angewiesen und hatten sich auf Schlacken,
übrige Reaktorstoffe oder Inertstoffe fokussiert. Die Umsetzung des Abfallleitbildes führte
deshalb meist nur zu kontinuierlichen und selten einschneidenden Veränderungen bei den
Deponien. Durch die florierende Bauwirtschaft und die verstärkten Altlastensanierungen in
Agglomerationsräumen profitierten die meisten Deponiebetreiber von einem günstigen wirt-
schaftlichen Umfeld. Sie hatten in den letzten Jahren die Möglichkeit, die notwendigen
Rückstellungen für den Abschluss und die Nachsorge fortlaufend zu äufnen.

Hinsichtlich Nachsorgelösung ist die kantonale Lösung im Kanton Zürich besonders er-
wähnenswert. Auf kantonaler Ebene wurde im Jahr 2000 die Verordnung über die Nach-
sorge und die Sanierung von Deponien (DENAV) erlassen. Die DENAV verlangt, dass alle
Deponiebetreiber im Kanton Zürich auf individueller, aber einheitlich berechneter Basis
eine Abgabe in den Deponiefonds einzahlen. Die Kalkulationsdauer für die Nachsorge bei
Reaktordeponien beträgt 50 Jahre. Nach Abschluss der Deponie und einer 5- bis 15jähri-
gen Nachsorgedauer durch den Deponiebetreiber übernimmt der Kanton die Verantwor-
tung für die restliche Dauer der ordentlichen Nachsorge sowie die Störfallnachsorge (direkt
nach Abschluss). Die Finanzierung erfolgt aus dem Deponiefonds. Für den Deponiebetrei-
ber werden so die Nachsorgekosten besser kalkulierbar und der Kanton federt seine Risi-
ken über den Risikoausgleich auf derzeit insgesamt 10 Deponien ab.

Die Ausführungen in diesem Kapitel beziehen sich auf die TVA-konformen Deponien. Älte-
re Deponien werden in der Schweiz als Altablagerungen im Altlastenrecht behandelt. Hier
steht die Herkulesaufgabe an, die bis zu 4'000 belasteten Standorte mit Sanierungsbedarf
(Betriebs-, Ablagerungs- und Unfallstandorte) innert einer Generation zu sanieren. Die Sa-
nierungskosten belaufen sich gesamthaft auf rund 5 Milliarden Franken.

4   Praxisbeispiel für Altlastensanierung bzw. Nachsorgeoptimierung bei der
    Deponie Sass Grand in Bever
Im nachfolgenden Praxisbeispiel soll aufgezeigt werden, wie bei einer ehemaligen Keh-
richtdeponie in der Schweiz die Umweltemissionen mit aktiven Massnahmen reduziert
werden.

Betrachtet wird die Reaktordeponie Sass Grand in Bever, welche in einem ehemaligen
Steinbruch erstellt wurde. Die Deponie wurde 1967 (Etappe 0) errichtet und in den Jahren
1979 (Etappe 1) und 1989 (Etappe 2) erweitert. Zwischen 1967 und 2000 wurden in der
Deponie hauptsächlich Kehricht (ca. 75%), Mulden- und Sperrgut (ca. 15%) sowie Klär-
schlamm abgelagert. Etappe 0 weist ein Deponievolumen von rund 300'000 m3 auf.

Die Etappe 0 verfügt über keine Basisabdichtung, da die Deponie gemäss damals üblicher
Praxis direkt auf der Abbausohle des Steinbruchs erstellt wurde. Das Sickerwasser aus
dem Deponiekörper wird in diesem Bereich der Deponie nicht gefasst und entwässert di-
rekt in den angrenzenden Grundwasserstrom sowie den Bach entlang des Deponiefusses.

Aufgrund der Deponiegasemissionen sowie der Belastungen im Grund- und Bachwasser
ordnete die kantonale Behörde die Sanierung der Altablagerung Etappe 0 gestützt auf die
Altlastenverordnung an.
Grundwasserstrom

                                                 Bach                    Sickerwasser

Abbildung 3   Übersicht über die Deponie Sass Grand in Bever mit Etappe 0 (Aerobisierung),
              Grundwasserstrom, Bach und Sickerwasser-Austragspfad

Das Sanierungsprojekt wurde anfangs 2006 genehmigt. Dieses sieht die Sanierung der
Etappe 0 gemäss AltlV mittels einer aeroben Stabilisierung sowie die gleichzeitige Entga-
sung der beiden Etappen 1 und 2 gemäss TVA vor. Mit der aeroben Stabilisierung nach
dem patentierten Depo+-Verfahren wird das Ziel verfolgt, durch die aktive Behandlung des
Deponiekörpers diesen in einen emissionsärmeren Zustand zu überführen. Die abbauba-
ren organischen Inhaltsstoffe sollen über den Gaspfad entfernt werden. Dies führt zu einer
Mineralisierung und zu einer weitgehenden Inertisierung der ehemaligen Kehrichtdeponie
sowie geringeren Emissionen über den Wasserpfad. Die spezifischen Sanierungsziele
wurden für das Grundwasser im unmittelbaren Abstrombereich beim Deponiefuss, im wei-
ter entfernten Abstrombereich sowie im Bach definiert.

Im Jahr 2006 und 2007 wurden - über die Gesamtfläche der Deponie von rund 47’000 m2
verteilt - insgesamt fünf neue mehrstufige, tiefenverfilterte Saugpegel erstellt und die drei
bestehenden vollverfilterte Gasdome mit einem Ausschäumungsverfahren zu tiefenverfil-
terten Saugpegeln modifiziert. Zur Überwachung der Abbauvorgänge im Deponiekörper
wurden acht mehrstufige Messpegel erstellt.

Seit anfangs 2008 ist die Absauganlage in Betrieb und über die Aerobisierung der Etappe
0 lassen sich erste Erkenntnisse gewinnen.

Seit Betriebsbeginn konnte die abgesaugte Menge an Aerobisierungsgas kontinuierlich
gesteigert werden und lag 2009 bei rund 150'000 m3 pro Monat aus insgesamt drei Saug-
pegeln (je 3-5 m Filterstrecke). Dies entspricht etwa 200 bis 250 m3 pro Betriebsstunde.

Zusammensetzung Aerobisierungsgas                                                                                                                                            2008-2009

                          50                                                                                                                                                     200'000

                                                                                                                    Absaugmenge                                                  180'000

                                                                                                                                                                                           abgesaugte Gasmenge in m3/Mt.
                          40                                                                                                                                                     160'000
 Konzentration in Vol-%

                                                                                                                                                                                 140'000

                          30                                                                                                                                                     120'000
                                           O2
                                                                                                                                                                                 100'000

                          20               CO2                                                                                                                                   80'000

                                                                                                                                                                                 60'000

                          10                                                                                                                                                     40'000

                                           CH4                                                                                                                                   20'000

                           0                                                                                                                                                     0
                                            Mrz

                                                                                                                     Mrz
                                                        Mai

                                                                                                                                 Mai
                                                                                            Nov

                                                                                                  Dez

                                                                                                                                                                     Nov

                                                                                                                                                                           Dez
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                                                                                                              Feb

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                                                                          Aug

                                                                                Sep

                                                                                                                                                   Aug

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                                                                                                                                             Jul

Abbildung 4                                       Absaugleistung und Zusammensetzung des Aerobisierungsgases 2008-2009

Die Zusammensetzung des Aerobisierungsgases verbesserte sich innert der ersten vier
Monate deutlich, indem die Methankonzentration auf unter 10% sank. Ende 2009 lag die
Methankonzentration schliesslich zwischen 2.5 und 3.5 Vol-%. Die Sauerstoffkonzentration
liegt mit 5 bis 6% leicht über dem Zielwert von 5%. Dies bedeutet, dass rund ein Viertel des
Luft-Sauerstoffs, welcher über die angesaugte Aussenluft in den Deponiekörper eintritt,
nicht umgesetzt wird. Diese Tatsache lässt den Schluss zu, dass grössere Bereiche der
Deponie bereits aerobisiert werden und der Umfang der anaeroben Abbauprozesse bereits
deutlich reduziert werden konnte. Aktuell werden über 85% der abgebauten Organik im
Deponiekörper unter aeroben Bedingungen zu Kohlendioxid umgewandelt.

Insgesamt wurde im Jahr 2008 eine Menge von knapp 100 t C über die Aerobisierung aus-
getragen. 2009 konnte die Menge auf knapp 140 t C gesteigert werden.

Kohlenstoffaustrag Aerobisierung                                                                                                                                            2008-2009

                             20                                                                                                                                                   250

                             18

                             16                                                                                                                                                   200

                                                                                                                                                                                        C-Austrag kumuliert in t C
                             14
  C-Austrag in t C pro Mt.

                                         CO2
                             12                                                                                                                                                   150
                                         CH4
                             10

                             8                                                                                                                                                    100

                             6

                             4                                                                                                                                                    50

                             2

                             0                                                                                                                                                    0
                                        Feb

                                              Mrz

                                                                                                    Dez

                                                                                                                Feb

                                                                                                                      Mrz

                                                                                                                                                                            Dez
                                                          Mai

                                                                                                                                  Mai
                                                                                              Nov

                                                                                                                                                                      Nov
                                                                      Jul

                                                                                                                                              Jul
                                                    Apr

                                                                                                                            Apr
                                  Jan

                                                                Jun

                                                                            Aug

                                                                                  Sep

                                                                                                          Jan

                                                                                                                                        Jun

                                                                                                                                                    Aug

                                                                                                                                                          Sep
                                                                                        Okt

                                                                                                                                                                Okt

Abbildung 5                                   Kohlenstoffaustrag der Aerobisierung 2008-2009

Voraussetzung für diese erfreulichen Ergebnisse ist, dass die Temperatur im Deponiekör-
per massiv erhöht werden konnte. Bei den Vorversuchen wurden Temperaturen im Depo-
niegas von 7 bis 12 °C gemessen. Seit Beginn der Absaugung hat sich die Gastemperatur
bei den Aerobisierungspegeln und damit der gesamte Deponiekörper der Etappe 0 auf 20
bis 35° C, die ideale Temperatur für die mesophilen Abbauprozesse, erwärmt. Die Erwär-
mungsphase bis auf 30°C dauerte fast ein halbes Jahr, damit konnte jedoch das anschlies-
sende Winterhalbjahr mit Tagesmitteltemperaturen zwischen -5°C und -20°C bestens ü-
berstanden werden. Beim stark besaugten Saugpegel D3 konnte sogar eine Temperatur-
erhöhung bis knapp 40°C verzeichnet werden. Auch ein Anlagenstillstand in der kältesten
Periode dieses Winters hatte kaum einen Einfluss. Innert Stunden lag die Gastemperatur
wieder beim Ausgangswert.
Temperaturen Saugpegel Aerobisierung                                                                                Januar 2010

                              50
                              40
                                                                                                                                 D3
                              30
    Temperatur in °C

                              20                                                                                                SP2
                              10
                              0
                             -10
                             -20                                                                                    Aussentemperatur

                             -30

                             400
 Durchfluss in m3/h

                             300
                             200
                             100
                              0
                                  01.01.                  08.01.                       15.01.   22.01.              29.01.

Abbildung 6                                      Temperaturverlauf bei Saugpegeln SP2/D3 der Aerobisierung. Die Auswirkungen
                                                 der kurzzeitigen Anlagenstillstände bei sehr tiefen Aussentemperaturen sind deutlich
                                                 erkennbar.

Die Absauganlage läuft vollautomatisch. Die Prozess- und Gasmesstechnik zeigt jedoch,
dass sich die Prozesse im Deponiekörper vielfach leicht verändern und eine kontinuierliche
Anpassung der Regelparameter via Fernwirkung zur Optimierung der Prozesse sinnvoll ist.
Ausserdem lassen sich durch veränderte Druck- und Flussverhältnisse die Gasgängigkei-
ten verändern. Dies zeigt sich in der untenstehenden Abbildung, wenn bei reduziertem
Durchfluss die Methanwerte im Aerobisierungsgas deutlich ansteigen.

Prozessmesswerte der Aerobisierungsanlage                                                                           Januar 2010

                             30                                                                                                   900

                             25                                                                                                   750
                                                              reduzierte Absaugmenge
    Konzentration in Vol-%

                             20                                                                                                   600
                                                                                                                                        Durchfluss in m3/h

                                           Sauerstoff
                                             Methan
                             15                                                                                                   450

                             10                                                                                                   300

                              5                                                                                                   150

                              0                                                                                                   0

                                  01.01.                  08.01.                       15.01.   22.01.              29.01.

Abbildung 7                                      Prozessmesswerte der Aerobisierungsanlage. Die Auswirkungen bei reduzierter
                                                 Absaugmenge (Balken) auf Methan- und Sauerstoffwerte sind erkennbar.
Ähnliche Feststellungen können bei den Messpegeln im Deponiekörper getroffen werden.
Bei einem kurzen Anlagenstillstand, dem damit einhergehenden Abbau des Unterdruckes
im Deponiekörper sowie dem fehlenden Aussenlufteintrag steigt der Methangehalt beim
MP 1 unten (Messbereich in 29-30 m unter OK Terrain) von 10% auf über 40% an. Der
während der Absaugung vorhandene Sauerstoff von 1 bis 2% ist in kürzester Zeit elimi-
niert. Bei Wiederinbetriebnahme der Absaugung wird innert Tagesfrist die vorgängige Gas-
zusammensetzung wieder erreicht.

Ziel der gesamten Massnahmen ist die langfristige Reduktion der Emissionen über den
Wasserpfad. Hierzu lassen sich auf Grund der umfangreichen Grund- und Bachwasser-
überwachungen noch keine eindeutigen Aussagen machen. Es ist aber die Tendenz er-
kennbar, dass wie erwartet zu Beginn der Aerobisierung in Folge der intensivierten Abbau-
prozesse die Konzentrationen von Salzen und Stickstoff in der Sickerwasserfahne im un-
mittelbaren Abstrombereich ansteigen und sich die Redox-Verhältnisse verändern. Beim
Stickstoff zeigt sich, dass sich das Verhältnis von Ammonium zu Nitrat verschiebt. Die
Konzentrationen der untersuchten Schwermetalle (Arsen, Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer,
Nickel und Zink) liegen mit wenigen Ausnahmen unter der Nachweisgrenze und vollum-
fänglich weit unterhalb der Sanierungsziele. Veränderungen zum Ausgangszustand sind
für die Schwermetalle nicht feststellbar.

Grundwasserüberwachung bei KB 11A                                                                                                      2006-2009

                          400
                                                                              Beginn Sanierungsbetrieb

                          350

                          300
  Konzentration in mg/l

                          250

                          200

                          150

                          100

                          50                                                                                                      Sanierungsziel Nitrat
                                                                                                                                  Sanierungsziel Ammonium
                                                                                                                                  Sanierungsziel DOC
                           0
                                01.01.06

                                                   01.01.07

                                                                   01.01.08

                                                                                                  01.01.09

                                                                                                                       01.01.10

                                                                                                                                                    01.01.11

                                              Ammonium                   Nitrat                              Chlorid                  DOC

Abbildung 8                                Verlauf der Ammonium-, Nitrat-, Chlorid- und DOC-Konzentrationen im unmittelba-
                                           ren Grundwasser-Abstrombereich am Deponiefuss bei KB 11A 2006-2009
Im Rahmen einer Zwischenbilanz lässt sich aus heutiger Sicht festhalten, dass sich die
aeroben Abbauprozesse im Deponiekörper der Etappe 0 der Deponie Sass Grand in Bever
auf gutem Niveau etabliert haben und ein nahezu ideales Aerobisierungsgas produziert
wird. Beim Kohlenstoffaustrag ist noch ein Steigerungspotential vorhanden. Erste Auswir-
kungen auf die Sickerwasseremissionen sind erkennbar. Der Betrieb der Aerobisierungs-
anlage wird wie geplant noch einige Jahre fortgesetzt.

5     Quellenangaben
[1]   Leitbild für die schweizerische Abfallwirtschaft, BUWAL Bern, 1986
[2]   Abfallkonzept für die Schweiz, BUWAL Bern, 1992
[3]   Nachhaltige Rohstoffnutzung und Abfallentsorgung. Grundlagen für die Gestaltung
      der zukünftigen Politik des Bundes, BAFU Bern, 2006

Armin Bachofner
Dipl. Umwelt-Ing. ETH
Dplus AG
Teufener Strasse 3
CH-9000 St.Gallen
a.bachofner@dplus.ch
www.dplus.ch
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