Deponienachsorge in der Schweiz: Grundlagen und Praxisbeispiel
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Deponienachsorge in der Schweiz: Grundlagen und Praxisbeispiel Armin Bachofner 1 Abfallleitbild der Schweiz Mit dem Leitbild für die schweizerische Abfallwirtschaft von 1986 [1] wurden die Ziele und Grundsätze für die schweizerische Abfallpolitik grundlegend überarbeitet. Im darauf abge- stützten Abfallkonzept von 1992 [2] wurden folgende vier Strategien verfolgt: • Vermeiden von Abfällen • Vermindern von Schadstoffen bei Produktion und in Gütern • Vermindern von Abfällen durch Verwertung • Umweltverträgliche Behandlung der verbleibenden Abfälle In den letzten 20 Jahren wurden unter diesen Voraussetzungen die Rechtsgrundlagen um- fassend erweitert. Für Deponien – den Hauptaspekt des Referats – sind insbesondere fol- gende Gesetze und Verordnungen relevant (Aufzählung nicht abschliessend): • 1985 Umweltschutzgesetz (USG) • 1986 Verordnung über den Verkehr mit Sonderabfällen (VVS) • 1991 Technische Verordnung über Abfälle (TVA) • 1998 Altlastenverordnung (AltlV) • 1999 Gewässerschutzverordnung (GSchV) • 2006 Verordnung über den Verkehr mit Abfällen (VeVA) Einer der Leitgedanken war, dass aus zwangsläufig entstehenden Abfällen nur wiederver- wertbare oder endlagerfähige Stoffe entstehen. Dabei sollen die Abfallbehandlungsverfah- ren so konzipiert sein, dass umweltgefährdende Stoffe in möglichst konzentrierter Form und umweltverträgliche Stoffe in möglichst reiner, d.h. erdkrusteähnlicher Form anfallen. In der TVA wurden für die Ablagerung von endlagerfähigen Stoffen die Deponietypen der Inertstoff- und der Reststoffdeponie definiert. Da bei der Umsetzung ein schrittweises Vor- gehen vorgesehen war, wurde für Stoffe, welche mangels Behandlungsverfahren oder -ka- pazitäten noch chemisch reaktive Eigenschaften aufweisen, der Deponietyp der Reaktor- deponie geschaffen.
Deponietyp Definition Abfallarten Typische Abfallarten Inertstoff- gesteinsähnliche, schadstoffar- • Mineralische Bauabfälle deponie me Materialien, die beim Aus- • Leicht kontaminiertes Aushubmaterial waschen mit Wasser kaum • Nicht verwertbares Aushubmaterial Schadstoffe abgeben. • MBA-Rückstände Reststoff- schwermetallreiche Materialien • Rückstände Rauchgasreinigung deponie mit bekannter Zusammenset- • Verfestigte Filteraschen zung und mit nur geringen or- • Stark kontaminiertes Aushubmaterial ganischen Anteilen. Reaktor- übrige für die Ablagerung zuge- • Schlacke deponie lassene Abfälle. In der Deponie • Übrige Abfälle ist mit chemischen und biologi- • Kehricht schen Prozessen zu rechnen. Tabelle 1 Deponietypen und Abfallarten (kursiv = aktuell nicht mehr zulässige Abfallarten) Durch die Umsetzung des Multibarrierenprinzips sowie verschiedener weiterer Massnah- men wurde erreicht, dass sich die Deponietechnik und die Qualität der abgelagerten Abfäl- le massiv verbesserten und die abgelagerte Abfallmenge deutlich reduziert werden konnte. Folgende Massnahmen mit besonderer Wirkung auf die Verbesserung der Abfallqualität sind zu erwähnen: • Verwertungsanstrengungen bei Siedlungsabfällen: Durch die verstärkten Separatsammlungen bei Siedlungsabfällen konnte trotz stei- gender Gesamtmengen (1986: 3.5 Mio. t Æ 2006: 5.3 Mio. t) der brenn- bzw. depo- nierbare Anteil (rund 2.7 Mio. t) konstant gehalten werden. • Verbrennungspflicht für brennbare Abfälle (Art. 11 TVA): Das seit jeher bedeutende Standbein der Abfallverbrennung wurde durch die Ver- brennungspflicht für Siedlungsabfälle, Klärschlamm, brennbare Anteile von Bauab- fällen und andere brennbare Abfälle weiter gestärkt. • Ablagerungsverbot für brennbare Abfälle ab 2000 (TVA Art. 32): Durch das Ablagerungsverbot ab 2000 wurde erreicht, dass u.a. der Hauskehricht auf den wenigen verbliebenen Kehrichtdeponien nicht mehr abgelagert werden konnte. Zugleich wurde auch die Ablagerung von Klärschlamm sowie von brennba- ren Bauabfällen unterbunden. • Verwertungsmassnahmen und Abfalltrennung bei Bauabfällen: Bei den Bauabfällen wurde durch die Abfallsortierung, Aufbereitung und Herstellung
von Sekundärbaustoffen die Recyclingquote massiv gesteigert und die Qualität der nicht verwertbaren Bauabfälle verbessert. • Einschränkung für Ablagerung von Sonderabfällen: Durch Innovationen bei Behandlungsverfahren, den Einschränkungen zur Ablage- rung von Sonderabfällen usw. wurde das Schadstoffpotential von abgelagerten Ab- fällen deutlich reduziert. Die Auswirkungen der zwischenzeitlich umgesetzten Strategien und Massnahmen in der Abfallpolitik wurden in den letzten Jahren überprüft [3]. Dabei zeigte sich, dass von der heutigen Abfallwirtschaft im Vergleich zur Situation in den 80er Jahren nur noch geringe Umweltbelastungen ausgehen und sich ein gut funktionierendes Gesamtsystem etabliert hat. Die damals dringendsten ökologischen Probleme der Abfallwirtschaft konnten behoben werden, da der Fokus auf rasch wirksamen End-of-Pipe Massnahmen beruhte. Namhafte Erfolge sind auch im Bereich der Verwertung festzustellen. Summa summarum fällt die Bilanz sehr positiv aus. Die Massnahmen vermögen jedoch nur einen sehr beschränkten Beitrag zur heute angestrebten Reduktion des Ressourcenverbrauchs zu leisten. Nun steht die Erneuerung des Leitbildes von 1986 an. Das zukünftige Leitbild für die nächsten 15 bis 20 Jahre soll nicht nur auf Abfälle fokussieren, sondern mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung die Rohstoffnutzung umfassen. Die heutigen Lücken und Schwä- chen sollen dabei kontinuierlich behoben werden. 2 Anforderungen an Deponien und die Deponienachsorge Die umweltgerechte Ablagerung von Abfällen basiert vorsorglich auf dem Multibarrieren- prinzip, womit eine Gefährdung von Mensch und Umwelt verhindert werden soll. Darauf basierend wurden für alle Deponietypen umfangreiche Standortanforderungen definiert. Weiter werden ein fachtechnisch einwandfreier Deponiebau, ein geregelter Deponiebetrieb sowie der Einbau von endlagerfähigen Abfällen verlangt. Die Stoffeinträge von solchen Deponien in die Umwelt (Luft, Wasser, Boden) sollen sowohl kurz- als auch langfristig oh- ne Nachbehandlung umweltverträglich sein. Im Gegensatz zur deutschen Regelungsdichte umfasst die heute gültige TVA nur gerade 58 Artikel auf 22 A5-Seiten, behandelt darin aber fast alle Abfallarten und Entsorgungssys- teme. Die Anforderungen an Deponiestandorte, die Errichtungs- und Betriebsbewilligung sowie die Deponienachsorge sind in der TVA mit 15 Artikeln auf 7 A5-Seiten sowie zwei Anhängen im Umfang von insgesamt 12 A5-Seiten geregelt. Inhaltlich bestehen jedoch
ähnliche grundsätzliche Vorgaben wie in Deutschland. Durch die geringe Regelungsdichte besteht jedoch ein grösserer Spielraum in der Interpretation und der Umsetzung durch die Amtsstellen der 26 Kantone der Schweiz. Hinsichtlich Abschluss und Nachsorge der Deponien sind nachstehend die wichtigsten Ge- setztesartikel der TVA aufgeführt: 3 Abschluss 1 Werden keine Abfälle mehr abgelagert, ist die Oberfläche von Deponien und von allfälligen Etappen abzudecken. Die Oberfläche muss für die Entwässerung ein ausreichendes Gefälle aufweisen. 2 Muss wegen der Zusammensetzung des Abwassers verhindert werden, dass Niederschlagswasser in die Deponie einsickern kann, so ist die Oberfläche abzudichten, sobald sich der Deponieinhalt gesetzt hat. Die Oberflächenabdich- tung ist zudem mit einer geeigneten Entwässerungsschicht zu überdecken. 3 Sobald sich der Deponieinhalt gesetzt hat, ist die Oberfläche überdies mit einer rekultivierbaren Deckschicht zu versehen. Diese soll sicherstellen, dass die vorgesehene Nutzung die Oberflächenabdichtung auch langfristig nicht beschädigen kann. 4 Die Oberfläche von abgeschlossenen Deponien ist naturnah zu gestalten und, wenn sie nicht landwirtschaftlich genutzt wird, standortgerecht zu bepflanzen. Abbildung 1 Anforderungen an den Abschluss gemäss TVA Anhang 2 Art. 26 Gesuch für die Betriebsbewilligung 1 Das Gesuch für die Betriebsbewilligung muss enthalten: f. den Nachweis über die volle Deckung der Kosten für die Abschlussarbeiten und die erforderliche Nachsorge. Art. 28 Überwachung 2 Nach dem Abschluss von Deponien sorgt die Behörde dafür, dass die vorgeschriebenen Anlagen und das Grund- wasser, das Abwasser und die Deponiegase so lange kontrolliert werden, bis schädliche oder lästige Einwirkungen auf die Umwelt unwahrscheinlich erscheinen, mindestens aber während: a. 5 Jahren bei Inertstoffdeponien; b. 10 Jahren bei Reststoffdeponien; c. 15 Jahren bei Reaktordeponien. Abbildung 2 Anforderungen an die Nachsorge gemäss TVA Für die Durchführung der Nachsorgearbeiten sowie die Kostendeckung in der Nachsorge ist grundsätzlich der Deponiebetreiber verantwortlich. Die Behörden sorgen prioritär für die Sicherstellung dieser Kostendeckung in Form einer Sicherheitsleistung oder durch statua- rische Bestimmungen mit Kostentragungspflicht für Verbandsgemeinden bei öffentlich- rechtlich organisierten Deponien. Die Berechnung der ordentlichen Nachsorgekosten diffe- riert je nach Kanton (Umfang, Nachsorgedauer), die Kosten für einen allfälligen Störfall
(Störfallnachsorge) werden erst recht uneinheitlich bestimmt. Eine nationale Harmonisie- rung oder eine nationale Lösung für die Störfallnachsorge fehlt. Als Kriterium zur Entlassung aus der Nachsorge gilt für das Sickerwasser prioritär die Erfül- lung der Einleitbedingungen in den Vorfluter (Gewässer) gemäss GSchV. Hinsichtlich Be- urteilung von schädlichen oder lästigen Einwirkungen wird in Analogie zu Altablagerungen die Altlastenverordnung (AltlV) beigezogen, da alle in Betrieb stehenden Deponien sowie die Altablagerungen zumindest als mit Abfällen belastete Standorte gemäss AltlV klassiert sind. 3 Heutige Situation und Aussichten bei der Deponienachsorge Bei der Deponienachsorge wurde durch die Einführung der Inertstoff- und Reststoffdeponie als Endlagerstätten ein Meilenstein gesetzt. Bei neuen TVA-konformen Deponien zeigt sich, dass der nachsorgearme Zustand mehrheitlich erreicht werden kann, bei Inertstoffde- ponien oftmals bereits in der Betriebsphase. Durch die geringen organischen Inhaltsstoffe sind keine Gasemissionen feststellbar und die Einleitbedingungen in den Vorfluter (Ober- flächengewässer) gemäss GSchV werden beim Sickerwasser oftmals erfüllt. Als kritische Parameter zu erwähnen sind dabei die Grenzwerte für den Summenparameter DOC (10 mg C/l) und in Reststoffdeponien zusätzlich Ammonium (2 mg N/l). Die Grenzwerte für Schwermetalle werden wie erwünscht deutlich unterschritten. Weniger erfreulich ist die Situation bei Reaktordeponien, welche durchwegs deutlich höhe- re Emissionswerte wie die Endlagerdeponien (Inertstoff-/Reststoffdeponie) aufweisen. Da- bei kann differenziert werden zwischen den ehemaligen Kehrichtdeponien, den Schlacken- deponien sowie Reaktordeponien für die übrigen Reaktorstoffe. Bei ehemaligen Kehrichtdeponien ist die Problemstellung ähnlich wie in Deutschland. Die organischen Inhaltsstoffe führen zu bedeutenden Emissionen über den Gas- als auch Wasserpfad und es ist mit jahrzehntelangen Nachsorgedauern zu rechnen. Abgesehen von der Entgasung sind keine aktiven Massnahmen gesetzlich gefordert. Sie liegen aber viel- fach im Interesse des Deponiebetreibers hinsichtlich einer verkürzten Nachsorgedauer so- wie einer Reduktion des Schadstoffpotentials. Nähere Informationen dazu finden sich im Praxisbeispiel. Bei den Schlackendeponien zeigt sich grundsätzlich die gleiche Problemstellung. Bei den Gasemissionen ist die Problematik weniger ausgeprägt, abgesehen von den Wasserstoff-
emissionen aus der Aluminium-Hydratisierung sowie den neuerdings festgestellten damit verbundenen Ammoniakemissionen. Unschön ist die Tatsache, dass die bisher eingebau- ten Schlacken aus den Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) bzw. Kehrichtheizkraftwerken (KHK) zu Sickerwasserbelastungen führen, welche noch weit von der Einhaltung der Ein- leitbedingungen in ein Gewässer entfernt sind. Kritisch sind die Konzentrationen von DOC (10 bis 120 mg C/l), Ammonium (bis 25 mg N/l), einzelnen Schwermetallen (Cu bis 1 mg Cu/l) sowie die Salzfracht (Leitfähigkeit im Mittel bei 16'000 µS/cm, Chlorid bei rund 4'000 mg Cl/l). In den letzten 10 Jahren wurden etliche Massnahmen zur Verbesserung der Schlackenqualität umgesetzt, wie die Schlackenaufbereitung (Entschrottung, Buntmetall- abscheidung) sowie der Trockenaustrag in der KVA. Es besteht die Aussicht, dass zukünf- tig Schlackenfraktionen mit Inert- bzw. Reststoffqualität generiert werden können. Nichts- destotrotz ist bei den bestehenden Schlackendeponien mit einer jahrzehntelangen Nach- sorgedauer zu rechnen. Anlass zu kontroversen Diskussionen gibt der DOC-Grenzwert, welcher als Summenpara- meter keine Aussagen über die Toxizität bzw. organische Schadstoffe wie PCB, PAK, CKW etc. macht. Insbesondere bei Reaktordeponien zeigt sich, dass die im DOC ange- zeigte Organik vielfach schlecht biologisch abbaubar ist und zugleich eine geringe Toxizität bzw. Schadstoffkonzentrationen aufweist. Die meisten Deponien in der Schweiz waren schon vor dem Ablagerungsverbot im Jahr 2000 nicht auf die Kehrichtanlieferungsmengen angewiesen und hatten sich auf Schlacken, übrige Reaktorstoffe oder Inertstoffe fokussiert. Die Umsetzung des Abfallleitbildes führte deshalb meist nur zu kontinuierlichen und selten einschneidenden Veränderungen bei den Deponien. Durch die florierende Bauwirtschaft und die verstärkten Altlastensanierungen in Agglomerationsräumen profitierten die meisten Deponiebetreiber von einem günstigen wirt- schaftlichen Umfeld. Sie hatten in den letzten Jahren die Möglichkeit, die notwendigen Rückstellungen für den Abschluss und die Nachsorge fortlaufend zu äufnen. Hinsichtlich Nachsorgelösung ist die kantonale Lösung im Kanton Zürich besonders er- wähnenswert. Auf kantonaler Ebene wurde im Jahr 2000 die Verordnung über die Nach- sorge und die Sanierung von Deponien (DENAV) erlassen. Die DENAV verlangt, dass alle Deponiebetreiber im Kanton Zürich auf individueller, aber einheitlich berechneter Basis eine Abgabe in den Deponiefonds einzahlen. Die Kalkulationsdauer für die Nachsorge bei Reaktordeponien beträgt 50 Jahre. Nach Abschluss der Deponie und einer 5- bis 15jähri- gen Nachsorgedauer durch den Deponiebetreiber übernimmt der Kanton die Verantwor- tung für die restliche Dauer der ordentlichen Nachsorge sowie die Störfallnachsorge (direkt
nach Abschluss). Die Finanzierung erfolgt aus dem Deponiefonds. Für den Deponiebetrei- ber werden so die Nachsorgekosten besser kalkulierbar und der Kanton federt seine Risi- ken über den Risikoausgleich auf derzeit insgesamt 10 Deponien ab. Die Ausführungen in diesem Kapitel beziehen sich auf die TVA-konformen Deponien. Älte- re Deponien werden in der Schweiz als Altablagerungen im Altlastenrecht behandelt. Hier steht die Herkulesaufgabe an, die bis zu 4'000 belasteten Standorte mit Sanierungsbedarf (Betriebs-, Ablagerungs- und Unfallstandorte) innert einer Generation zu sanieren. Die Sa- nierungskosten belaufen sich gesamthaft auf rund 5 Milliarden Franken. 4 Praxisbeispiel für Altlastensanierung bzw. Nachsorgeoptimierung bei der Deponie Sass Grand in Bever Im nachfolgenden Praxisbeispiel soll aufgezeigt werden, wie bei einer ehemaligen Keh- richtdeponie in der Schweiz die Umweltemissionen mit aktiven Massnahmen reduziert werden. Betrachtet wird die Reaktordeponie Sass Grand in Bever, welche in einem ehemaligen Steinbruch erstellt wurde. Die Deponie wurde 1967 (Etappe 0) errichtet und in den Jahren 1979 (Etappe 1) und 1989 (Etappe 2) erweitert. Zwischen 1967 und 2000 wurden in der Deponie hauptsächlich Kehricht (ca. 75%), Mulden- und Sperrgut (ca. 15%) sowie Klär- schlamm abgelagert. Etappe 0 weist ein Deponievolumen von rund 300'000 m3 auf. Die Etappe 0 verfügt über keine Basisabdichtung, da die Deponie gemäss damals üblicher Praxis direkt auf der Abbausohle des Steinbruchs erstellt wurde. Das Sickerwasser aus dem Deponiekörper wird in diesem Bereich der Deponie nicht gefasst und entwässert di- rekt in den angrenzenden Grundwasserstrom sowie den Bach entlang des Deponiefusses. Aufgrund der Deponiegasemissionen sowie der Belastungen im Grund- und Bachwasser ordnete die kantonale Behörde die Sanierung der Altablagerung Etappe 0 gestützt auf die Altlastenverordnung an.
Grundwasserstrom Bach Sickerwasser Abbildung 3 Übersicht über die Deponie Sass Grand in Bever mit Etappe 0 (Aerobisierung), Grundwasserstrom, Bach und Sickerwasser-Austragspfad Das Sanierungsprojekt wurde anfangs 2006 genehmigt. Dieses sieht die Sanierung der Etappe 0 gemäss AltlV mittels einer aeroben Stabilisierung sowie die gleichzeitige Entga- sung der beiden Etappen 1 und 2 gemäss TVA vor. Mit der aeroben Stabilisierung nach dem patentierten Depo+-Verfahren wird das Ziel verfolgt, durch die aktive Behandlung des Deponiekörpers diesen in einen emissionsärmeren Zustand zu überführen. Die abbauba- ren organischen Inhaltsstoffe sollen über den Gaspfad entfernt werden. Dies führt zu einer
Mineralisierung und zu einer weitgehenden Inertisierung der ehemaligen Kehrichtdeponie sowie geringeren Emissionen über den Wasserpfad. Die spezifischen Sanierungsziele wurden für das Grundwasser im unmittelbaren Abstrombereich beim Deponiefuss, im wei- ter entfernten Abstrombereich sowie im Bach definiert. Im Jahr 2006 und 2007 wurden - über die Gesamtfläche der Deponie von rund 47’000 m2 verteilt - insgesamt fünf neue mehrstufige, tiefenverfilterte Saugpegel erstellt und die drei bestehenden vollverfilterte Gasdome mit einem Ausschäumungsverfahren zu tiefenverfil- terten Saugpegeln modifiziert. Zur Überwachung der Abbauvorgänge im Deponiekörper wurden acht mehrstufige Messpegel erstellt. Seit anfangs 2008 ist die Absauganlage in Betrieb und über die Aerobisierung der Etappe 0 lassen sich erste Erkenntnisse gewinnen. Seit Betriebsbeginn konnte die abgesaugte Menge an Aerobisierungsgas kontinuierlich gesteigert werden und lag 2009 bei rund 150'000 m3 pro Monat aus insgesamt drei Saug- pegeln (je 3-5 m Filterstrecke). Dies entspricht etwa 200 bis 250 m3 pro Betriebsstunde. Zusammensetzung Aerobisierungsgas 2008-2009 50 200'000 Absaugmenge 180'000 abgesaugte Gasmenge in m3/Mt. 40 160'000 Konzentration in Vol-% 140'000 30 120'000 O2 100'000 20 CO2 80'000 60'000 10 40'000 CH4 20'000 0 0 Mrz Mrz Mai Mai Nov Dez Nov Dez Jan Feb Apr Jun Jan Feb Apr Jun Okt Okt Aug Sep Aug Sep Jul Jul Abbildung 4 Absaugleistung und Zusammensetzung des Aerobisierungsgases 2008-2009 Die Zusammensetzung des Aerobisierungsgases verbesserte sich innert der ersten vier Monate deutlich, indem die Methankonzentration auf unter 10% sank. Ende 2009 lag die Methankonzentration schliesslich zwischen 2.5 und 3.5 Vol-%. Die Sauerstoffkonzentration liegt mit 5 bis 6% leicht über dem Zielwert von 5%. Dies bedeutet, dass rund ein Viertel des
Luft-Sauerstoffs, welcher über die angesaugte Aussenluft in den Deponiekörper eintritt, nicht umgesetzt wird. Diese Tatsache lässt den Schluss zu, dass grössere Bereiche der Deponie bereits aerobisiert werden und der Umfang der anaeroben Abbauprozesse bereits deutlich reduziert werden konnte. Aktuell werden über 85% der abgebauten Organik im Deponiekörper unter aeroben Bedingungen zu Kohlendioxid umgewandelt. Insgesamt wurde im Jahr 2008 eine Menge von knapp 100 t C über die Aerobisierung aus- getragen. 2009 konnte die Menge auf knapp 140 t C gesteigert werden. Kohlenstoffaustrag Aerobisierung 2008-2009 20 250 18 16 200 C-Austrag kumuliert in t C 14 C-Austrag in t C pro Mt. CO2 12 150 CH4 10 8 100 6 4 50 2 0 0 Feb Mrz Dez Feb Mrz Dez Mai Mai Nov Nov Jul Jul Apr Apr Jan Jun Aug Sep Jan Jun Aug Sep Okt Okt Abbildung 5 Kohlenstoffaustrag der Aerobisierung 2008-2009 Voraussetzung für diese erfreulichen Ergebnisse ist, dass die Temperatur im Deponiekör- per massiv erhöht werden konnte. Bei den Vorversuchen wurden Temperaturen im Depo- niegas von 7 bis 12 °C gemessen. Seit Beginn der Absaugung hat sich die Gastemperatur bei den Aerobisierungspegeln und damit der gesamte Deponiekörper der Etappe 0 auf 20 bis 35° C, die ideale Temperatur für die mesophilen Abbauprozesse, erwärmt. Die Erwär- mungsphase bis auf 30°C dauerte fast ein halbes Jahr, damit konnte jedoch das anschlies- sende Winterhalbjahr mit Tagesmitteltemperaturen zwischen -5°C und -20°C bestens ü- berstanden werden. Beim stark besaugten Saugpegel D3 konnte sogar eine Temperatur- erhöhung bis knapp 40°C verzeichnet werden. Auch ein Anlagenstillstand in der kältesten Periode dieses Winters hatte kaum einen Einfluss. Innert Stunden lag die Gastemperatur wieder beim Ausgangswert.
Temperaturen Saugpegel Aerobisierung Januar 2010 50 40 D3 30 Temperatur in °C 20 SP2 10 0 -10 -20 Aussentemperatur -30 400 Durchfluss in m3/h 300 200 100 0 01.01. 08.01. 15.01. 22.01. 29.01. Abbildung 6 Temperaturverlauf bei Saugpegeln SP2/D3 der Aerobisierung. Die Auswirkungen der kurzzeitigen Anlagenstillstände bei sehr tiefen Aussentemperaturen sind deutlich erkennbar. Die Absauganlage läuft vollautomatisch. Die Prozess- und Gasmesstechnik zeigt jedoch, dass sich die Prozesse im Deponiekörper vielfach leicht verändern und eine kontinuierliche Anpassung der Regelparameter via Fernwirkung zur Optimierung der Prozesse sinnvoll ist. Ausserdem lassen sich durch veränderte Druck- und Flussverhältnisse die Gasgängigkei- ten verändern. Dies zeigt sich in der untenstehenden Abbildung, wenn bei reduziertem Durchfluss die Methanwerte im Aerobisierungsgas deutlich ansteigen. Prozessmesswerte der Aerobisierungsanlage Januar 2010 30 900 25 750 reduzierte Absaugmenge Konzentration in Vol-% 20 600 Durchfluss in m3/h Sauerstoff Methan 15 450 10 300 5 150 0 0 01.01. 08.01. 15.01. 22.01. 29.01. Abbildung 7 Prozessmesswerte der Aerobisierungsanlage. Die Auswirkungen bei reduzierter Absaugmenge (Balken) auf Methan- und Sauerstoffwerte sind erkennbar.
Ähnliche Feststellungen können bei den Messpegeln im Deponiekörper getroffen werden. Bei einem kurzen Anlagenstillstand, dem damit einhergehenden Abbau des Unterdruckes im Deponiekörper sowie dem fehlenden Aussenlufteintrag steigt der Methangehalt beim MP 1 unten (Messbereich in 29-30 m unter OK Terrain) von 10% auf über 40% an. Der während der Absaugung vorhandene Sauerstoff von 1 bis 2% ist in kürzester Zeit elimi- niert. Bei Wiederinbetriebnahme der Absaugung wird innert Tagesfrist die vorgängige Gas- zusammensetzung wieder erreicht. Ziel der gesamten Massnahmen ist die langfristige Reduktion der Emissionen über den Wasserpfad. Hierzu lassen sich auf Grund der umfangreichen Grund- und Bachwasser- überwachungen noch keine eindeutigen Aussagen machen. Es ist aber die Tendenz er- kennbar, dass wie erwartet zu Beginn der Aerobisierung in Folge der intensivierten Abbau- prozesse die Konzentrationen von Salzen und Stickstoff in der Sickerwasserfahne im un- mittelbaren Abstrombereich ansteigen und sich die Redox-Verhältnisse verändern. Beim Stickstoff zeigt sich, dass sich das Verhältnis von Ammonium zu Nitrat verschiebt. Die Konzentrationen der untersuchten Schwermetalle (Arsen, Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer, Nickel und Zink) liegen mit wenigen Ausnahmen unter der Nachweisgrenze und vollum- fänglich weit unterhalb der Sanierungsziele. Veränderungen zum Ausgangszustand sind für die Schwermetalle nicht feststellbar. Grundwasserüberwachung bei KB 11A 2006-2009 400 Beginn Sanierungsbetrieb 350 300 Konzentration in mg/l 250 200 150 100 50 Sanierungsziel Nitrat Sanierungsziel Ammonium Sanierungsziel DOC 0 01.01.06 01.01.07 01.01.08 01.01.09 01.01.10 01.01.11 Ammonium Nitrat Chlorid DOC Abbildung 8 Verlauf der Ammonium-, Nitrat-, Chlorid- und DOC-Konzentrationen im unmittelba- ren Grundwasser-Abstrombereich am Deponiefuss bei KB 11A 2006-2009
Im Rahmen einer Zwischenbilanz lässt sich aus heutiger Sicht festhalten, dass sich die aeroben Abbauprozesse im Deponiekörper der Etappe 0 der Deponie Sass Grand in Bever auf gutem Niveau etabliert haben und ein nahezu ideales Aerobisierungsgas produziert wird. Beim Kohlenstoffaustrag ist noch ein Steigerungspotential vorhanden. Erste Auswir- kungen auf die Sickerwasseremissionen sind erkennbar. Der Betrieb der Aerobisierungs- anlage wird wie geplant noch einige Jahre fortgesetzt. 5 Quellenangaben [1] Leitbild für die schweizerische Abfallwirtschaft, BUWAL Bern, 1986 [2] Abfallkonzept für die Schweiz, BUWAL Bern, 1992 [3] Nachhaltige Rohstoffnutzung und Abfallentsorgung. Grundlagen für die Gestaltung der zukünftigen Politik des Bundes, BAFU Bern, 2006 Armin Bachofner Dipl. Umwelt-Ing. ETH Dplus AG Teufener Strasse 3 CH-9000 St.Gallen a.bachofner@dplus.ch www.dplus.ch
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