3 WIE KÖNNEN BILDUNGSVERORDNUNGEN AKTUELL BLEIBEN? - EHB

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3         WIE KÖNNEN BILDUNGSVERORDNUNGEN
          AKTUELL BLEIBEN?
          Von Ines Trede & Isabelle Lüthi

                                                          Anpassungen durchlaufen verbund­
    • Der aktuelle Anpassungsprozess der beruflichen      partnerschaftlichen Prozess
      Grundbildungen an Neuerungen funktioniert gut,
      stösst aber aufgrund der Schnelligkeit des tech-    Ein stetiger Wandel geschieht insofern nicht erst seit der
      nologischen Wandels an Grenzen. Die Flexibilität    aktuellen Diskussion rund um die Digitalisierung. Damit
      im Berufsbildungssystem muss erhöht werden.         auf Veränderungsbedarf bei den nachgefragten Kom-
    • Zum einen kann die Berufsbildung durch eine         petenzen der einzelnen Berufe systematisch reagiert
      ­Reduktion der Anzahl Berufe weniger spezifisch     werden kann, ist im Schweizer Berufsbildungsgesetz
       und dadurch flexibler werden, was aber auch        ein verbundpartnerschaftlicher Prozess verankert, um
       Nach­teile hat.                                    Berufsprofile sowie Bildungsverordnungen und -pläne
    • Zum anderen kann die Berufsbildung über optio­      laufend anzupassen. Gemäss diesem Prozess sollten
       nale Ausbildungsteile und offener formulierte      die Grundbildungsberufe in einem 5-Jahres-Rhythmus
       Bildungspläne flexibilisiert werden.               überprüft werden.46 Jede berufliche Grundbildung ver-
    • Offenere Bildungspläne dürften den aktuellen        fügt dafür über eine Schweizerische Kommission für Be-
       Erfordernissen entgegenkommen, wenn sie durch      rufsentwicklung und Qualität (Kommission B&Q), in der
       Umsetzungshilfen und Unterstützungsangebote        die Organisationen der Arbeitswelt, Bund und Kantone
       für Organisationen der Arbeitswelt und Lernorte    sowie die Fachlehrerschaft des entsprechenden Berufs
       begleitet werden.                                  vertreten sind.47

                                                          Berufe und Berufslehren dienen in der Tradition der
                                                          Schweiz, Deutschlands und Österreichs nicht nur der
                                                          Sicherstellung des Fachkräftebedarfs, sondern auch der
Anforderungen an Berufe beziehungsweise an die damit      individuellen Bildung und Entwicklung sowie der Integ-
verbundenen Kompetenzen verändern sich kontinuier-        ration der Jugendlichen in die Gesellschaft. Sie dienen
lich. Dies zeigt sich anhand einer stetigen Veränderung   damit staatlichen, betrieblichen, gesellschaftlichen
der Tätigkeiten innerhalb von und Verschiebungen          und individuellen Interessen.48 Berufe und Berufslehren
zwischen Berufen. Zuweilen kommt es auch zur Aufhe-       besitzen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft
bung oder Neuschaffung von Berufen. Dazu ein jüngeres     der genannten Länder einen hohen Wert, weil sie von
Beispiel: In den letzten Jahren wurde der Umgang mit      Vertretern der Arbeitswelt – den Arbeitnehmenden und
neuen Informations- und Kommunikationstechnologi-         Arbeitgebenden – definiert werden, betriebsübergrei-
en für Hotelfachpersonen immer wichtiger. Sowohl die      fende Kompetenzen vermitteln und staatlich anerkannt
Administration und die Interaktion mit den Gästen als     sind.49 Der gesellschaftliche Wert der Berufsbildung ist
auch Reinigungsarbeiten und die Ausstattung in den        damit in diesen Ländern deutlich höher als im angel-
Zimmern wurden digitalisiert. Zudem nimmt die Inter-      sächsischen Raum, wo der Erwerb beruflicher Kom-
nationalität in der Hotelbranche zu. Deshalb wurde 2016   petenzen eher dezentral organisiert ist und vor allem
ein neuer Beruf «Hotelkommunikationsfachfrau/-mann        betriebsintern verwertbares Wissen sowie Fähigkeiten
EFZ» geschaffen, der besonders auf die neuen digitalen    für einzelne Tätigkeiten vermittelt. 50
Kompetenzen ausgerichtet ist.9 Im Gegensatz dazu gibt
es auch zahlreiche Beispiele für verschwundene Berufe.
Die Veränderung der Arbeitswelt hat Berufe hinterlas-     Berufsbildung muss flexibel sein und
sen, deren Wissen grösstenteils verloren gegangen ist,    den Absolvierenden Flexibilität bieten
wie Laternenanzünder, Schriftschneider, Lithograf oder
Fischbeinreisser.45                                       Das angelsächsische Modell hätte allerdings zweifellos
                                                          Vorteile gegenüber dem dualen Berufsbildungssystem,

                                                                                     OBS EHB Trendbericht 3       13
wenn man nur die flexible Anpassbarkeit der Lerninhalte     Welche Trends zeigen sich bezüglich Flexibilisierung
betrachtet, die angesichts des immer rascheren Tech-        und Verringerung der Berufe in der Schweiz? In den
nologiefortschritts erforderlich ist. Der zeitaufwendige    Bildungsverordnungen können verschiedene Organisa­
verbundpartnerschaftliche Anpassungsprozess der             tionsformen zur «Vermittlung des Stoffes» festgelegt
Berufsentwicklung in der Schweiz kann zu Verzögerun-        werden (vgl. Verordnung über die Berufsbildung,
gen führen, wenn neue Kompetenzanforderungen zuerst         Art. 12). 57 Dies geschieht durch die Bildung von Berufs-
auf Verordnungsebene verankert werden müssen. Hinzu         feldern mit mehreren eidgenössischen Fähigkeitszeug-
kommt, dass der strukturelle Wandel auch einen ständig      nissen (EFZ), die auch aufeinander aufbauen können.
zunehmenden Weiterqualifizierungsbedarf bei Arbeit-         Ausserdem können Fachrichtungen (unterschiedliche
nehmenden auslöst.                                          schulische und betriebliche Lernziele) und Schwerpunk-
                                                            te (gleiche schulische, unterschiedliche betriebliche
Diese Entwicklungen fordern die Berufsbildung in zwei-      Lernziele) definiert werden. 58 Diese Möglichkeiten wer-
erlei Hinsicht heraus: Erstens muss sie in der Lage sein,   den auch genutzt. Eine aktuelle Analyse von Schweizer
veränderte Kompetenzanforderungen zeitnah aufzu-            Bildungsverordnungen zeigt, dass sich mit Inkraftset-
greifen und an den Lernorten zu vermitteln, ohne den        zung des heutigen Berufsbildungsgesetzes der Anteil
verbundpartnerschaftlichen Konsensprozess zu schwä-         von Berufen mit Fachrichtungen oder Schwerpunkten
chen. 51,52 Zweitens muss die Berufsbildung in Zeiten       im Vergleich zu Berufen ohne solche Differenzierungen
des strukturellen Wandels Flexibilität für ihre Absolvie-   insgesamt erhöht hat. 59 Abbildung 3 zeigt, wie stark sich
renden ermöglichen. Daher ist bei der Entwicklung von       verschiedene Ausbildungsfelder vor und nach Inkrafttre-
Berufen zu gewährleisten, dass die erworbenen Kompe-        ten des Berufsbildungsgesetzes (BBG) 2004 mit Fach-
tenzen anschlussfähig sind, um den Absolvierenden die       richtungen oder Schwerpunkten differenziert haben.
Höher- oder Umqualifizierung für neue Anforderungen
zu ermöglichen.                                             Betrachtet man die jeweils letzten Reformen oder
                                                            Revisionen der aktuellen Berufe, zeichnet sich auch
                                                            ein Trend zur zunehmenden Schwerpunkt- und Fach-
Zunehmende Flexibilisierung durch                           richtungsbildung ab. Ein präziser Blick zeigt allerdings,
die Reduktion der Anzahl Berufe?                            dass Schwerpunkte und Fachrichtungen sehr heterogen
                                                            angewendet werden. Beispielsweise wandelte sich der
Als eine Möglichkeit, das Berufsbildungssystem und die      Beruf Informatiker/in EFZ von einem Einzelberuf zu ei-
Berufsentwicklung flexibler zu gestalten, wird bisweilen    nem Beruf mit drei Fachrichtungen. Dies dürfte mit dem
die radikale Verringerung der Anzahl Ausbildungsberufe      erhöhten und spezialisierten Qualifikationsbedarf in
gefordert: Nur so lasse sich die notwendige Flexibili-      dieser Branche zusammenhängen. Der Beruf Drucktech-
sierung und Anpassungsfähigkeit an eine unsichere           nologe/-login EFZ, der früher aus drei Einzelberufen be-
Zukunft bewältigen. 53 Hinter dieser Forderung steht die    stand – einer davon mit sieben Fachrichtungen –, wurde
Befürchtung, dass die Ausrichtung auf differenzierte        zu einem Beruf mit drei Schwerpunkten fusioniert. Im
Berufsprofile angesichts des raschen Strukturwandels        Beruf Polygraf/in EFZ wiederum fand eine Entwicklung
nicht mehr haltbar sei. 54 Das enge Berufsverständnis sei   von einem Einzelberuf (2002) zu einem Beruf mit zwei
zu erweitern und mehrere Berufe seien zusammenzufas-        Fachrichtungen (2006) und weiter zu einem Einzelberuf
sen. Dabei wird betont, dass im Prinzip an der Form der     mit zwei Schwerpunkten (2013) statt.
dualen Berufsbildung festzuhalten sei, sie aber gleich-
zeitig modernisiert und flexibilisiert werden müsse.48      Diese Veränderungen zeigen exemplarisch, dass die
Seit 1996 wurden dafür in Deutschland verschiedene          Massnahmen, mit denen ein Beruf an den strukturellen
Strukturierungsmodelle54 sowie moderate Formen der          Wandel angepasst wird, auf den spezifischen Kontext
Modularisierung55 entwickelt und umgesetzt. Eine klare      des Berufes ausgerichtet sein müssen, und dass sie in
Zusammenfassung von Berufen zu Berufsfeldern ist            vielfältiger Weise umgesetzt werden (vgl. Box Modulari-
dabei nicht zu erkennen. Eher zeigen sich Tendenzen         sierung). Inwieweit die genannten Anpassungen die Be-
einer stärkeren Differenzierung von ähnlichen Berufen       rufe tatsächlich flexibler und zukunftsfähiger machen,
durch unterschiedliche Fachrichtungen oder optionale        ist eine wichtige Frage, die näher untersucht werden
Zusatzmodule. 56                                            sollte.

14       OBS EHB Trendbericht 3
Informatik

                                       Verkauf

                           Dienstleistungen

               Architektur & Baugewerbe

                         Technische Berufe

                     Druck, Design & Kunst

               Büro & Informationswesen

                 Verarbeitendes Gewerbe

                                                  0%          20%           40%            60%           80%           100%

                                                    Vor BBG 2004            Nach BBG 2004

         Abb. 3: Horizontale Differenzierung: Anteil der Berufe mit Fachrichtungen oder Schwerpunkten pro Berufsfeld. 59
         (Grønning & Kriesi, 2018)

                                                                      bis dahin eigenständige Bauberufe (u. a. Dachdecker/
  Modularisierung                                                     in, Fassadenbauer/in) zu einem Berufsfeld Polybauer/in
                                                                      EFZ zusammengefasst. Die ursprünglichen Berufe waren
  Modularisierung ist – wie die Schwerpunkt- und                      zwar noch in mehreren Fachrichtungen enthalten; die
  Fachrichtungsbildung - ein weiteres mögliches                       Berufsbezeichnung war jedoch für alle dieselbe. Die-
  Gestaltungsmittel zur Flexibilisierung einer Berufs-                se Zusammenlegung wurde jedoch neun Jahre später
  ausbildung, das derzeit im Prozess Berufsbildung                    wieder aufgelöst: Seit 2016 gibt es fünf eigenständige
  20301 diskutiert wird. Organisationsformen wie                      Berufe.61 Dieser Schritt zurück zu Einzelberufen zeigt,
  Schwerpunkte oder Fachrichtungen und Modula-                        dass durch die Schaffung eines (zu) breit angelegten Be-
  risierung widersprechen sich nicht. Module sind                     rufsfeldes mit einem (zu) hohen Anteil an übergreifen-
  selbständige, in sich abgeschlossene Abschnitte                     dem und kontextunabhängigem Wissen offenbar auch
  eines Bildungsgangs.60 Die Vielfalt der Umsetzungs-                 Nachteile entstehen und Vorteile der klaren Berufspro-
  möglichkeiten ist allerdings ausserordentlich gross.                file verloren gehen können. Im Folgenden sind einige
  So werden beispielsweise in einer Vergleichsstudie                  dieser Vor- und Nachteile exemplarisch illustriert:
  die Modularisierungsmodelle der in ihrem Berufs-
  bildungssystem ähnlichen deutschsprachigen                          Klar abgegrenzte Berufsprofile dienen den Betrieben als
  Länder als «moderat» bis «traditionell» bezeichnet.                 Orientierungshilfe bei der Auswahl von Lernenden oder
  Dieselbe Studie bezeichnet dagegen die Modelle in                   künftigen Mitarbeitenden, weil Ausbildungsinhalte und
  Polen oder Ungarn als «radikaler». 55                               vermittelte Kompetenzen festgelegt sind. Es besteht
                                                                      eine gewisse Gefahr, dass diese Orientierungsmöglich-
                                                                      keit bei der Zusammenlegung von Berufen verloren
                                                                      geht, was die Chancen der Absolvierenden mindern
Negative Folgen der Zusammenlegung                                    könnte, im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Diese Gefahr
und Reduktion von Berufen                                             wurde beim oben beschriebenen Beispiel des Berufs­
                                                                      feldes Polybauer/in festgestellt.
Allerdings gibt es auch gegenläufige Tendenzen zur
Zusammenlegung und Reduktion von Berufen. In der                      Neben der Vorbereitung auf den Einsatz in der Arbeits­
Schweiz wurden beispielsweise im Jahr 2007 sieben                     welt hat die Berufsausbildung auch eine wichtige

                                                                                                      OBS EHB Trendbericht 3   15
Funktion für die Identitätsbildung der Jugendlichen.62,63   tenten (MTRA) im Zusammenhang mit den technischen
Einige Studien weisen darauf hin, dass diese identitäts-    Entwicklungen im Bereich der Computertomografie
stiftende Funktion bei der Zusammenlegung verschie-         umgesetzt.68,69
dener Berufe nicht ohne weiteres aufrechterhalten
werden kann. Beispielsweise zeigten sich nach einer         In Deutschland werden Berufsverordnungen ebenfalls
Zusammenlegung mehrerer Gesundheitsberufe in                technikoffen formuliert, was dort als eine wesentliche
Grossbritannien eine geringere Bindung an den Beruf         Voraussetzung nicht nur für die berufliche Flexibilität
und geringere Fähigkeiten zur zwischenberuflichen           der Arbeitnehmenden angesehen wird, sondern auch
Zusammenarbeit.64                                           für das Eingehen auf neue Entwicklungen und auf un-
                                                            terschiedliche betriebliche Ausbildungsmöglichkeiten.70
Bei der Zusammenlegung von Berufen könnte auch der          Dies zeigt sich beispielsweise in den neuen Ausbil-
hohe Anwendungsbezug verloren gehen, den die Be-            dungsordnungen der Metall- und E-Commerce-Beru-
rufsbildung intensiver als allgemeinbildende und voll-      fe.71,72 Insofern wäre zu diskutieren, welches Potenzial in
schulische Bildungsgänge herstellen kann. Der Anwen-        der Schweiz für technikoffen formulierte Bildungsver-
dungsbezug ist zentral: Es genügt nicht, übergreifende      ordnungen und -pläne besteht (vgl. Box Zahntechniker/
Kenntnisse zu erwerben, sondern es muss auch erlernt        innen).
werden, wie diese Kenntnisse in bestimmten Kontexten
und Arbeitsprozessen anzuwenden sind.65,66,67 Zu breite
Berufe könnten dies kaum mehr leisten. Orientierung,
Identitätsstiftung und Anwendungsbezug sind wich-
tige Attribute der dualen Berufsbildung im Sinne des
Leitbildes Berufsbildung 2030.1 Dies bedeutet, dass eine
signifikante Reduktion der Anzahl Ausbildungsberufe           Zahntechniker/innen:
das Risiko birgt, mehr Nach- als Vorteile mit sich zu         ein aktuelles Beispiel
bringen.
                                                              Zahntechniker/innen stellten Zahnprothesen bis
                                                              vor einigen Jahren ausschliesslich manuell her. So
Erhöhung von Flexibilität durch                               lautete beispielsweise ein Leistungsziel aus dem
offener formulierte Zielvorgaben                              Bildungsplan 2007: «Ich stelle Hybridprothesen
                                                              mit korrekter Verwendung von Konstruktions-
Wie kann nun die Berufsbildung mit dem Spannungs-             elementen unter Berücksichtigung der gängigen
feld zwischen höherem Flexibilitätsbedarf und An-             Aufstellmethoden und Systeme gemäss Auftrag des
spruch auf verbundpartnerschaftlich getragene,                Kunden fachgerecht und selbständig her.»
identitätsstiftende, arbeitsmarktnahe und kompeten-
zorientierte Berufe umgehen?                                  Heute werden Zahnprothesen in den meisten
                                                              Betrieben auf dem Bildschirm entworfen und
Eine weitere Möglichkeit zur Flexibilisierung könnte da-      maschinell aus einem Rohling ausgefräst. Die
rin bestehen, die Berufsorientierung mit Qualifikations-      Digitalisierung hat bei den Zahntechnikerinnen
profilen und Handlungskompetenzen der Berufsbilder            und Zahntechnikern also in Form von computer-­
beizubehalten, aber die Vorgaben (Bildungsverordnun-          aided design (CAD), computer-aided modeling
gen und Bildungspläne) in Bezug auf schnell wandel-           (CAM), Lasertechnik und 3D-Druck Einzug gehal-
bare Lerninhalte technologie-neutraler zu formulieren.        ten. Dieser Wandel wurde bei der letzten Revision
Dazu gehören beispielsweise spezifische Technologien,         des Bildungsplans berücksichtigt. Neu lautet das
Geräte oder Verfahren. Denn zu genaue Zielvorgaben,           entsprechende Leistungsziel: «Zahntechnikerinnen
die möglicherweise rasch überholt sind, erschweren            und Zahntechniker stellen Hybridprothesen analog
es insbesondere für die Lernorte Schule und über­             und/oder digital gemäss Arbeitsplanung her.» Dabei
betriebliche Kurse sowie beim Qualifikationsverfahren,        stellt die Formulierung «analog und/oder digital»
rasche Anpassungen an Veränderungen in der Arbeits-           eher eine Übergangslösung dar: Bis alle Betriebe
welt vorzunehmen. Die Idee, Zielvorgaben technikoffen         auf die digitalen Herstellungsprozesse umgestellt
zu formulieren – d. h. so, dass sie offen sind für neue       haben, lässt die Formulierung Freiraum für mehrere
Technologien, Geräte oder Verfahren – ist nicht neu. Sie      Technologien.73,74
wurde beispielsweise in den 1990er-Jahren bei den Me-
dizinisch-technischen Radiologieassistentinnen/-assis-

16       OBS EHB Trendbericht 3
Offenere Bildungspläne fordern                             schneller aufzunehmen, ohne durch den zeitaufwendi-
alle Lernorte heraus                                       gen verbundpartnerschaftlichen Berufsentwicklungs-
                                                           prozess gebremst zu werden.
Technikoffene Bildungspläne würden einerseits den
verbundpartnerschaftlichen Prozess vereinfachen.           Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die aktuelle Praxis
Andererseits müssten die Vergleichbarkeit der Lernbe-      optimiert werden kann, um die flexible Anpassungs-
dingungen und Abschlüsse sichergestellt werden und         fähigkeit der Berufsbildung an den technologischen
die spezifischen Qualifikationsprofile erhalten bleiben,   Wandel zu erhöhen. Eine Überprüfung, ob die Akteure –
um die Orientierungsfunktion der Berufsprofile für den     Verbundpartner und Lernorte – fit für die Zukunft sind,
Arbeitsmarkt nicht zu schwächen. Dazu sind verschiede-     wäre zur Beantwortung dieser Frage zu empfehlen. Im
ne Massnahmen denkbar. Erstens könnte eine gewisse         Aktionsplan Digitalisierung im BFI-Bereich 2019–2020
Vergleichbarkeit zum Teil durch zentrale Prüfungs-         wird insbesondere die Stärkung der Lehrpersonen und
verfahren hergestellt werden. Diese Massnahme kann         Schulleitungen anvisiert (Aktionsfeld 2).75 Viel Potenzial
jedoch den Nachteil haben, dass sich Bildungsprozesse      dürften die überbetrieblichen Kurse bieten, insbeson-
auf Prüfungen konzentrieren und nicht auf die berufli-     dere bei der zeitnahen Integration von technologischen
che Kompetenzentwicklung.                                  Neuerungen in die Ausbildung. Zudem können dort
                                                           betriebsübergreifende Kompetenzen mit neuen Techno-
Zweitens könnten – flankierend zu den offeneren            logien erworben werden, was kleinere Betriebe ent-
Bildungsplänen – Umsetzungsmittel und -hilfen wie          lasten würde. Und eine florierende Kooperation sowie
Rahmenlehrpläne, Schullehrpläne oder betriebliche          gegenseitiger Austausch zwischen den Lernorten dürfte
Bildungspläne erstellt werden. Das Ziel davon wäre,        es erleichtern, Neuerungen aus den Betrieben in die
vergleichbare Bedingungen und Abschlüsse sicher-           schulische Bildung und in die überbetrieblichen Kurse
zustellen, aber trotzdem Spielraum für regionale und       zu integrieren (und umgekehrt).
betriebliche Besonderheiten offenzulassen. Damit
könnte vermieden werden, dass offenere Bildungspläne       Nicht zuletzt ist zu fragen, ob der verbundpartnerschaft-
zu heterogen umgesetzt werden. Zugleich wäre gewähr-       liche Prozess in administrativer Hinsicht entschlackt
leistet, dass sich Betriebe bei der Personalrekrutierung   werden könnte. Hierfür sind bereits Vorarbeiten in Gan-
genügend an den Berufsprofilen orientieren können.         ge, etwa im Zusammenhang mit dem beschleunigten
Die Entwicklung nützlicher Umsetzungsmittel und guter      Verfahren für den Beruf Chemie- und Pharmapraktiker/
Lehrpläne erfordert allerdings einigen Aufwand.            in EBA, das derzeit von den Verbundpartnern ausge-
                                                           wertet wird.76 Dabei sollte das Konsensverfahren nicht
                                                           geschwächt werden, denn es gewährleistet, dass der
Fazit                                                      Bedarf der Arbeitswelt evident sein muss, bevor Neue-
                                                           rungen landesweit verordnet werden.
Prinzipiell verfügt die verbundpartnerschaftlich gesteu-
erte Berufsbildung über bewährte Möglichkeiten, Berufe     Mittelfristig besteht die Herausforderung für die Berufs-
an neue Anforderungen anzupassen. Es ist aber frag-        bildung darin, ihren Absolvierenden durch Weiter- und
lich, ob dies immer rechtzeitig geschieht. Grundsätz-      Höherqualifizierung zu ermöglichen, sich an neue Anfor-
lich sind durch verschiedene Organisationsformen der       derungen anzupassen. Das erfordert eine hohe Durch-
Ausbildung ausreichend Flexibilisierungsmöglichkeiten      lässigkeit im System. Diese kann nur erreicht werden,
gegeben. Es werden auch unterschiedliche Organisati-       wenn die Berufsentwicklung über den einzelnen Beruf
onsformen umgesetzt – allerdings sehr heterogen. Die       hinausgehend angelegt ist. Zudem müssen Überlegun-
Wirkung wäre zu überprüfen.                                gen betreffend des optimalen Anschlusses an die hö-
                                                           here Berufsbildung, Hochschulbildung sowie an andere
Weiter ist zu prüfen, welches Potenzial technikoffen       Weiterbildungen in die Revisions- und Reformprozesse
­formulierte Bildungsverordnungen und -pläne bieten,       einbezogen werden.
 um auf operativer Ausbildungsebene Innovationen

                                                                                      OBS EHB Trendbericht 3       17
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