Der Afghanistan-Konflikt - Bewährungsprobe für die Sicherheitspolitik von Barack Obama
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Nummer 6 2010 ISSN 1862-3581 Der Afghanistan-Konflikt – Bewährungsprobe für die Sicherheitspolitik von Barack Obama Melanie Hanif In den USA läuft der Wahlkampf für die Zwischenwahlen im November 2010 an. Der Afgha- nistan-Konflikt wird hierbei als eines der wenigen außenpolitischen Themen eine zentrale Rolle spielen. Die Demokraten in den USA hoffen, dass sich die Kabuler Afghanistan-Konfe- renz am 20. und 21. Juli 2010 positiv auf ihre Chancen im Wahlkampf auswirken wird. Analyse Die aktionistischen Jahre der Präsidentschaft von G. W. Bush waren von außenpolitischen Alleingängen, Missionen zur weltweiten Durchsetzung von Demokratie und militärischer Gewalt geprägt. Barack Obama tritt auf internationalem Parkett zurückhaltender auf und versucht, die amerikanischen Verpflichtungen zu reduzieren. Dabei steht der Afghanistan- Konflikt im Mittelpunkt. Am zügigen und reibungslosen Abzug der amerikanischen Trup- pen wird der außenpolitische Erfolg der Präsidentschaft von Obama gemessen werden. Barack Obama verzichtet auf die weltweit gefürchteten politischen und militärischen Alleingänge seines Vorgängers. Ein reduziertes amerikanisches Engagement sowie eine Politik der gerechteren Lastenverteilung innerhalb des transatlantischen Bünd- nisses führen jedoch unweigerlich zu neuen Konflikten. Für die außenpolitische Bilanz von Obama ist die Entwicklung in Afghanistan au- ßerordentlich wichtig, gerade weil symbolträchtige Projekte wie die Schließung des Gefangenenlagers auf Guantánamo und die Öffnung gegenüber Iran nur schlep- pend umgesetzt werden. Die Obama-Administration konzentrierte sich seit ihrem Amtsantritt auf Anpassungen der Afghanistan-Strategie, die bis zu den Zwischenwahlen 2010 erste Erfolge brin- gen sollen. Dabei setzt sie auf eine Truppenaufstockung und einen Wechsel zu einer Counterinsurgency-Strategie (COIN). Beide Elemente bergen Risiken und haben sich (noch) nicht bewährt. Von Obamas Plan, die amerikanische Afghanistan-Strategie in ein umfassendes poli- tisches Konzept für die gesamte Region einzubetten, ist wenig geblieben. Regierungs- lager und Aufständische in Afghanistan und den Nachbarregionen richten sich auf die Situation nach dem angekündigten Truppenabzug 2011 ein. Afghanistans Präsi- dent Hamid Karzai stellte auf der Kabul-Konferenz im Juli 2010 in Aussicht, dass af- ghanische Kräfte bis zum Jahr 2014 die Hauptverantwortung für die Sicherheit in ih- rem Land übernehmen könnten. Schlagwörter: US-Sicherheitspolitik, Barack Obama, Afghanistan-Konflikt www.giga-hamburg.de/giga-focus
Abkehr vom Erbe der Neocons ausgelegt, bis zu den Zwischenwahlen 2010 eine erste Erfolgsbilanz zu ermöglichen. Die Anzahl zi- Als Barack Obama im Januar 2009 sein Amt als Prä- viler Opfer bei Einsätzen der internationalen Trup- sident der Vereinigten Staaten von Amerika antrat, pen konnte im Jahr 2010 reduziert werden. Aller- war die Hoffnung auf einen politischen Neuanfang dings führten die eskalierende Gewalt in einigen weltweit groß. Sein Vorgänger, George W. Bush, afghanischen Provinzen ebenso wie die steigende und dessen republikanische Administration hatten Zahl gefallener Soldaten zu Zerwürfnissen inner- auf internationalem Parkett den Eindruck hinter- halb der US-Regierung sowie zwischen Regierung lassen, eine kleine Gruppe Neokonservativer hät- und Armeeführung. Der Wechsel in der Komman- te die amerikanische Exekutive gekapert, um ihre dospitze der in Afghanistan stationierten NATO- engstirnige Agenda durchzusetzen (Kagan 2008). und US-Truppen von Stanley McChrystal zu Da- Das oftmals unilaterale und teilweise gewaltsame vid Petraeus gilt als Versuch Obamas, im Vorfeld Vorgehen der Neocons hat traditionelle Bündnisse der Wahlen seine Führungsrolle als Oberbefehls- erschüttert und die USA in kostspielige Kriege ge- haber zu unterstreichen. Der Wechsel war im Juni trieben, die ihren Ruf schwer beschädigt haben. erfolgt, nachdem McChrystal sich in einem Inter- Entsprechend enthusiastisch feierten ein wirt- view abfällig über Obama und andere Mitglieder schaftlich und moralisch ausgelaugtes Amerika der demokratischen Administration geäußert hat- ebenso wie verprellte internationale Partner (vor te. Angesichts all dieser Schwierigkeiten hoffen allem im „alten“ Europa) Obama als neuen Hoff- die US-Demokraten, dass die Kabuler Konferenz nungsträger. Kaum war er im Rennen um das Prä- einen positiven Impuls in der amerikanischen Af- sidentenamt gestartet, wurde er bereits zum neu- ghanistan-Debatte setzen und die eigenen Chan- en „Kennedy“ stilisiert (Schneider 2006) und er- cen im Wahlkampf verbessern wird. Die Aussage hielt nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, af- den Friedensnobelpreis. Die Begeisterungswelle ghanische Kräfte könnten bis zum Jahr 2014 die für Obama bot zum einen die Chance auf einen Hauptverantwortung für die Sicherheit in ihrem politischen Neuanfang, barg aber auch die Gefahr, Land übernehmen, ist für die Obama-Administra- dass Obama zur Projektionsfläche für zahlreiche tion eine wichtige Erfolgsmeldung. Im Gegenzug widersprüchliche Wünsche nach Wandel wurde. verlangt Karzai jedoch ein größeres Mitbestim- Während er diese Wünsche mit seiner „Change“- mungsrecht über die Verwendung der internatio- Kampagne für seinen Wahlerfolg zu nutzen wuss- nalen Hilfsgelder für Afghanistan. te, bringen ihn die überzogenen Erwartungen jetzt in Bedrängnis. Angesichts hoher Arbeitslosen- Grundpfeiler der Außen- und Sicherheitspolitik zahlen und explodierender Staatsschulden sank von Barack Obama die Zustimmung für Obama während seines ers- ten Amtsjahres so stark, wie dies noch bei keinem Die Unterschiede zwischen Obamas Sicherheitspo- amerikanischen Präsidenten in den letzten fünfzig litik und derjenigen seines Amtsvorgängers betref- Jahren der Fall war. Für die im Herbst anstehen- fen zwei Grundfragen der außenpolitischen Orientie- den Zwischenwahlen droht den amerikanischen rung. Erstens: Sollen sich die USA aktiv in die interna- Demokraten der Verlust ihrer Mehrheit im Parla- tionale Politik einmischen oder sich vornehmlich auf ment (Cook 2010: 183-86). nationale Angelegenheiten konzentrieren? Zweitens: Traditionell spielt die Außenpolitik im Wahl- Soll das internationale Engagement der USA in erster kampf in den USA zwar eine geringere Rolle als Linie der Durchsetzung amerikanischer Interessen beispielsweise Wirtschaftsfragen. Dennoch zeich- auf der Basis nationaler Stärke dienen oder vielmehr net sich gegenwärtig der Afghanistan-Konflikt als mit und für die internationale Gemeinschaft wirken? zentrales sicherheitspolitisches Thema ab, an dem Idealtypisch kann man die verschiedenen au- der Erfolg Obamas gemessen wird. Obama selbst ßenpolitischen Schulen in den USA folgenderma- hat die Stabilisierung der Lage am Hindukusch ßen einordnen: zu einem Hauptanliegen seiner Präsidentschaft gemacht. Die von ihm vorgenommenen Anpas- Diese Typologie beruht auf einem dreidimensionalen Modell, das neben den Dimensionen Uni-/Multilateralismus und In- sungen der Afghanistan-Strategie – in erster Linie ternationalismus/Isolationismus auch Überzeugungen hin- eine Truppenaufstockung und der Wechsel zu einer sichtlich Militarismus beinhaltet (Chittik/Billingsley/Travis 1995: 313-14). Zur Geschichte dieser außenpolitischen Denk- Counterinsurgency-Strategie (COIN) – sind darauf schulen vgl. Hogan (1999: 356-62). GIGA Focus Global 6/2010 --
Isolationisten Internationalisten Obama sieht keinen direkten Zusammenhang Multilateralisten Demokraten Demokraten zwischen Regimetyp und verantwortungsbewuss- Republikaner Demokraten ter Außenpolitik. Seiner Ansicht nach dient ein Di- Unilateralisten Republikaner Republikaner alog mit Verbündeten und potentiellen Partnern den Sicherheitsinteressen der USA mehr als Inter- Die Anschläge vom 11. September 2001 wurden in ventionen in „moralischem Gewand“. Die USA den USA als elementare Bedrohung wahrgenom- seien grundsätzlich zu Gesprächen mit jedem men und mobilisierten die Anhänger einer Politik Staat bereit, unabhängig davon, ob dessen Macht- der Stärke. Sie ebneten den Weg für die unilate- haber demokratisch legitimiert sind oder nicht. ralen Interventionen der Bush-Administration im Diese Überzeugung schlägt sich in der Außenpo- Zuge des Krieges gegen den Terrorismus (War on litik konkret in Obamas Öffnungsangebot gegen- Terror). Doch während in der Begründung des Af- über Iran nieder, das er früh öffentlich kommu- ghanistan-Feldzuges noch realpolitische Elemente niziert hat. Obamas Versuche, die USA und Iran überwogen, gewannen bei der Rechtfertigung des nach Jahrzehnten der Entfremdung wieder einan- Irakkrieges idealistische Argumentationen an Be- der anzunähern, stehen aber vor einem Dilemma: deutung. Diese Mischung aus Realpolitik und vor- Selbst wenn diese Strategie langfristig erfolgreich dergründig moralischen Elementen, also „vorsorg wäre, weil sie das Verhältnis der USA zu Iran nor- liche“ Militärschläge und erzwungene Regime- malisieren und Teheran zu einem Teilhaber der wechsel als Mittel zur Demokratisierung ande- amerikanisch geprägten Sicherheitsarchitektur im rer Staaten, gilt als Quintessenz neokonservativer Nahen Osten würde, ist die Gefahr groß, dass sie Außenpolitik. Sie wird heute innerhalb wie außer- frühzeitig scheitern könnte. Innenpolitisch wird halb der USA weitgehend abgelehnt (Mead 2010; eine solche Strategie Obama eher als Schwäche Kagan 2008). angelastet und zudem vorgeworfen, dass er damit Obamas Versuch, internationale Verpflichtungen angesichts der Lage in Iran Menschenrechte kom- sowie politische und militärische Alleingänge der promittiert (Kupchan 2010: 130 f.). USA zu reduzieren, ordnet seine Politik einer Tra- Obamas Angebot an Teheran darf nicht als na- ditionslinie der „multilateralen Isolationisten“ iv bewertet werden. Genau wie seine Vorgänger zu. Hierzu passt seine Überzeugung, dass die de- arbeitet er an einem internationalen Konsens zur mokratische Idee in der Welt am besten geför- Unterstützung härterer Sanktionen. Dieser schei- dert werde, wenn die USA sie im eigenen Land terte bisher am Widerstand Russlands und vor vorbildlich praktizierten. Obama möchte im de- allem Chinas. Obamas Erfolgsbilanz fällt in die- mokratischen System der USA individuelle Frei- sem Punkt kaum schlechter aus als die seiner Vor- heiten und Bürgerrechte wiederherstellen, die in gänger. Die jüngst verschärften UN-Sanktionen den Jahren des War on Terror stark eingeschränkt gegenüber Iran bedeuten jedoch durchaus einen worden sind. Vor diesem Hintergrund ist auch Fortschritt. Dies zeigt, dass die Chancen auf einen sein Einsatz für die Schließung des Gefangenenla- internationalen Konsens in der Iranpolitik durch gers auf Guantánamo zu verstehen. Gerade hier- Obamas weniger konfrontatives Vorgehen gestie- bei zeigen sich beispielhaft die Schwierigkeiten gen sind. So dürften die führenden Staaten Euro- der Kurskorrektur, denn bislang wurde keine Lö- pas, die vor einigen Jahren ähnliche Versuche un- sung für das Guantánamo-Problem gefunden. Die ternommen haben, die neue Strategie ebenso be- Gratwanderung, die Obama vollziehen muss, of- grüßen wie die arabischen Staaten. Auch sie ste- fenbarte sich auch in seiner viel beachteten Kairo- hen einem iranischen Atomprogramm kritisch er Rede 2009 zur Verbesserung der Beziehungen gegenüber, mussten aber zu Zeiten der Bush-Re- zwischen den USA und der „muslimischen Welt“. gierung den Ruf fürchten, einen anti-islamischen Das Kairoer Publikum applaudierte Obama be- Kreuzzug der USA zu unterstützen (Brzeziński reits beim Stichwort „Demokratie“. Gegen Ende 2010: 23). seiner Rede betonte er, dass er diese Demokratie Prinzipiell unterscheidet sich Obamas Ansatz niemandem aufzwingen wolle. Dies weist darauf deutlich von dem seines Vorgängers und knüpft hin, dass Obamas zunehmender „Isolationskurs“ an tradierte Werte amerikanischer Außenpolitik die Menschen in der Region ebenso enttäuschen an. Weshalb wird er dennoch so stark kritisiert könnte wie Bushs Selbstgefälligkeit sie erzürnt hat und woran lässt sich der praktische Erfolg seiner (Packer 2010). Außenpolitik messen? Obamas Gegner führen an, GIGA Focus Global 6/2010 --
dass der Präsident die USA in eine Position der Juli 2011 ihren Abzug einzuleiten (D’Souza 2009). Schwäche manövriert habe, weil er die Möglich- Mit seiner West Point-Rede hat Obama hauptsäch- keit eines Militärschlages gegen Iran vorerst aus- lich auf Forderungen aus Kreisen der Militär- schließt (Kupchan 2010: 121). Bei dieser Kritik führung reagiert, die ohne Truppenaufstockung wird vergessen, dass die in Afghanistan und Irak und ohne den Übergang zur gezielten Bekämp- gebundenen US-Truppen unmittelbar Ziel eines fung von Aufständischen – COIN-Strategie – die Gegenschlags hätten werden können und ein An- Afghanistan-Mission als aussichtslos erachteten. griff auf Iran daher auch zu Zeiten Bushs kaum ei- Mit der Verkündung eines konkreten Datums für ne realistische Möglichkeit darstellte (Brzeziński den Abzug amerikanischer Truppen aus Afgha- 2010: 24). Selbst jenseits der militärischen Option nistan versucht Obama wiederum, den Wünschen war der offizielle harte Kurs gegenüber Iran be- kriegsmüder Amerikaner nach einer friedlicheren reits unter Bush gemildert worden. Ohne die Koo- Außenpolitik nachzukommen. Der Afghanistan- peration mit Iran ist das ohnehin gefährdete Ziel, Einsatz ist schon jetzt der längste Kriegseinsatz in die amerikanischen Truppen in absehbarer Zeit der Geschichte der USA. und ohne Gesichtsverlust aus Afghanistan abzu- Aufgrund der Kombination von intensivierter ziehen, praktisch unmöglich. Genau dies ist je- Militärkampagne und Abzugsplan handelte sich doch das Kernstück der außenpolitischen Agenda Obama den Vorwurf der Inkonsistenz ein. Aus von Barack Obama. seiner Perspektive fügt sich sein Vorgehen aber nahtlos an die Bemühungen an, das internationa- le Engagement der USA zurückzufahren. Darin Der Abzug amerikanischer Truppen aus Afghanistan sieht er das erklärte Ziel seiner Außenpolitik, wo- als sicherheitspolitische Priorität der USA hingegen eine kurzfristige Truppenaufstockung lediglich ein Mittel zur Erreichung dieses Zieles Die Mission in Afghanistan war aufgrund ihres in- sei. Im Blickwinkel der COIN-Strategie, die maß- ternationalen Mandats im Gegensatz zum Einsatz geblich vom entlassenen ISAF-Kommandeur Mc- im Irak aus Obamas Sicht eine richtige Entschei- Chrystal geprägt wurde, wirkt die Zeitvorgabe dung. Nach seinem Amtsantritt machte er die La- für den amerikanischen Truppenabzug bis 2011 in ge am Hindukusch zum außenpolitischen Haupt- der Tat sehr knapp. Die COIN-Strategie sieht vor, anliegen seiner Präsidentschaft. Im ersten Amts- die Sicherheit im gesamten Land sowie die Auto- jahr kündigte seine Administration sogleich zwei rität der Zentralregierung bis in die afghanischen Strategieanpassungen an. Im März 2009 wurde Provinzen durchzusetzen. Bei entsprechenden ein Weißpapier mit folgenden Kernpunkten ver- Einsätzen sollen zivile Opfer vermieden werden, öffentlicht: selbst wenn diese Vorgehensweise höhere Risiken für die Soldaten mit sich bringt. Angesichts der es- − die regionale Dimension des Konfliktes soll kalierenden Gewalt und der steigenden Verluste stärker beachtet und die Nachbarländer einbe- auf Seiten der Truppen könnten die entsprechend zogen werden; strengen Einsatzregeln unter dem neuen Komman- − künftig werden Terroristen mit globalen Ziel- deur Petraeus bald wieder gelockert werden. Ab- setzungen von solchen mit rein lokalen Ambi- gesehen davon wurde – wohl auch mit Blick auf tionen unterschieden; letzteren werden in ge- die anstehenden Zwischenwahlen in den USA – be- sprächsbereite und unversöhnliche Aufstän- tont, dass der Wechsel in der Kommandospitze kei- dische unterteilt. nen neuerlichen Strategiewandel bedeutet. Obama räumt der multilateralen Legitimie- Im Herbst 2009 erfolgte eine weitere Evaluierung rung der Afghanistan-Mission und der Abstim- der US-Strategie, deren Ergebnis Obama im De- mung mit den am Einsatz beteiligten Staaten ei- zember 2009 in der Militärakademie West Point nen hohen Stellenwert ein. Sein verstärkter Multi- verkündete. Zunächst würden die US-Truppen er- lateralismus bedeutet allerdings auch, dass NATO- neut um 30.000 Soldaten verstärkt, um dann im Partner mehr Verantwortung übernehmen müs- sen. In der anfänglichen Begeisterung für Oba- Vgl. http://www.whitehouse.gov/assets/documents/afghanis- ma wurde in Europa diese klare Forderung gern tan_pakistan_white_paper_final.pdf. überhört, obwohl er dies bereits während seines Obama hatte bereits nach seiner Amtseinführung eine Trup- Wahlkampfes angekündigt hatte, zum Beispiel penerhöhung um 21.000 Soldaten genehmigt. GIGA Focus Global 6/2010 --
in seiner umjubelten Rede in Berlin im Juli 2008. den politische Strategen in den USA nicht mehr Nach seinem Amtsantritt forderte Obama die zwischen good und bad governance, sondern zwi- NATO dementsprechend auf, im Jahr 2010 eben- schen „guten“ und „bösen“ Taliban. Die Karzai- falls 10.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan Regierung wird unterstützt, weil sie derzeit trotz zu entsenden. Mit der Perspektive des Truppenab- aller Schwächen die stabilste Option für einen zugs vor Augen wird es umso wichtiger, in Afgha- Abzug der internationalen Truppen bietet. Als nistan und seiner Nachbarschaft tragfähige Ver- Hauptfeind wurde das al-Qa’ida-Netzwerk aus- hältnisse zu schaffen. Innerhalb Afghanistans set- gemacht, wobei dessen Bekämpfung eine globa- zen die USA besonders auf einen beschleunigten le Herausforderung darstellt, die auch nach einer Aufbau der afghanischen Armee und Polizei. Truppenreduzierung in Afghanistan verfolgt wer- Durch intensivierte Ausbildungsmaßnahmen und den kann. Der lokale Aufstand in Afghanistan soll gemeinsamen Einsatz mit internationalen Sicher- zum einen durch die erhöhte Truppenstärke bin- heitskräften („Partnering“) sollen diese bis zum nen Jahresfrist gebrochen werden. Zum anderen Jahr 2014 in der Lage sein, selbst die Verantwor- will man weniger fundamentalistische Aufstän- tung für die Sicherheit in ihrem Land zu tragen dische in das Herrschaftsgefüge integrieren. An- (O’Hanlon 2010). Diese Erwartung mag nach Jah- gesichts der begrenzten Ressourcen kann ein der- ren relativ erfolgloser Bemühungen verfehlt er- artig schneller Aufbau der afghanischen Sicherheits- scheinen. Man kann daraus aber auch eine prag- kräfte zu einer Stärke von insgesamt über 300.000 matische Linie herauslesen, z.B. wenn zur Errei- Mann nur gelingen, wenn auch Stammesmilizen chung eines festgesetzten Umfanges des afgha- einbezogen werden (D’Souza 2009). Alles in allem nischen Sicherheitsapparates Abstriche bei dessen ist die neue Afghanistan-Strategie der USA vor- Qualität hingenommen werden. nehmlich am Kriterium der Effizienz ausgerichtet. Für die Einschätzung, die Obama-Administra- tion verfolge in Afghanistan einen äußerst prag- matischen Kurs, spricht ihr Umgang mit der Kar- Auswirkungen der amerikanischen Afghanistan- zai-Regierung. Während sich die USA im Vorfeld Strategie auf die Nachbarregionen Afghanistans der afghanischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 angesichts massiver Korruptionsvorwürfe Obama äußerte frühzeitig seine Überzeugung, von ihr distanziert hatten, findet derzeit eine Wie- dass der Afghanistan-Konflikt eng mit den Sicher- derannäherung statt. Die amerikanische Kehrt- heitsdynamiken in den umliegenden Regionen wende verwundert umso mehr angesichts der des Nahen Ostens, Zentralasiens und insbesonde- Tatsache, dass erhebliche Wahlfälschungen durch re Südasiens verwoben ist. Deshalb wollte er das das Karzai-Lager als erwiesen gelten. Zudem hat amerikanische Engagement in Afghanistan und sich der afghanische Präsident im letzten Jahr ver- in Südasien harmonisieren und einen Sonderbe- mehrt rhetorische Eskapaden gegenüber den USA auftragten für die gesamte Region ernennen. Di- erlaubt (indem er zum Beispiel behauptete, die in es scheiterte jedoch am Widerstand der indischen Afghanistan engagierte internationale Staatenge- Regierung. Neu Delhi lehnt eine internationa- meinschaft habe die Wahlen manipuliert). le Einmischung in die Auseinandersetzung mit Die Ziele des Einsatzes in Afghanistan sind Pakistan, insbesondere in den Kaschmirkonflikt, nach und nach auf einen dreiteiligen Minimal- strikt ab. Des Weiteren wollte Indien keinesfalls konsens reduziert worden: Extremisten besiegen, mit dem Problembereich Afghanistan-Pakistan as- selbsttragende Sicherheitsstrukturen schaffen und soziiert werden und setzte sich erfolgreich dafür eine funktionierende Regierung aufbauen. Nach- ein, aus dem Portfolio des US-Sonderbeauftragten dem sich die am Einsatz beteiligten Staaten längst für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, von der Vorstellung eines demokratischen und ausgespart zu werden. Entsprechend schwerwie- prosperierenden Rechtstaates in Afghanistan ver- gend war das diplomatische Debakel für Pakistan, abschiedet haben, werden nun die Minimalziele denn es wurde nicht nur öffentlich vom Verbün- so umdefiniert, dass sie als erfüllt gelten können, deten der USA zu einem problematischen Kli- wenn der Truppenabzug beginnt. So unterschei- Für eine ähnliche, wenn auch nicht deckungsgleiche Ein- Vgl. auch Entwurf des Abschlusskommuniques der Kabuler schätzung, vgl. Rudolf (2010: 13-23). Konferenz, derzeit veröffentlicht unter http://www.nytimes. Vgl. http://www.nytimes.com/2010/07/21/world/asia/21kabul com/2010/07/21/world/asia/21kabultext.html. text.html. GIGA Focus Global 6/2010 --
enten degradiert. Vielmehr machte Obamas neue ghanistan mit minimaler Sicherheitskomponente Strategie endgültig klar, dass Pakistan aus der nicht den gewünschten Erfolg bewirkt. Anschlä- Perspektive der USA nicht mehr auf einer Ebene ge auf indische Einrichtungen in Afghanistan neh- mit Indien steht. Jahrzehntelang war die Rede vom men zu, ohne dass die Regierung in Neu Delhi auf obligatorischen Bindestrich der amerikanischen Po- internationalem Parkett das erhoffte Mitsprache- litik gegenüber „Indien-Pakistan“. Pakistan hat- recht bezüglich der Entwicklungen des Landes te diese Verbindung begrüßt, Indien sie stets zu- eingeräumt wird. rückgewiesen. Nun war plötzlich „AfPak“ in al- Kurzfristige Effizienz ist demnach auch für die ler Munde und nicht mehr Kaschmir galt als ei- regionale Dimension der amerikanischen Afghanis ner der gefährlichsten Orte der Welt (wie noch un- tan-Strategie zum alles überwiegenden Kriterium ter Bill Clinton), sondern die von paschtunischen geworden. Obamas anfängliche Überlegungen hin- Stämmen dominierten Grenzregionen zwischen sichtlich eines ausgewogenen regionalen Ansatzes Pakistan und Afghanistan. Dass „AfPak“ für Pa- sind schrittweise einer pragmatischen, schnell um- kistan einen diplomatischen Affront bedeutet, ist setzbaren Lösung nach dem Prinzip gewichen: Wie mittlerweile auch in den USA bekannt. Das Akro- kann ein Maximum an Stabilität in kürzester Zeit nym wird daher kaum noch benutzt. erreicht werden? In der Region lösen diese Aus- Doch auch in Indien war die Freude über den sichten aus guten Gründen Besorgnis aus. Afgha- anfänglichen diplomatischen Erfolg gegenüber der nistan und Pakistan fürchten, erneut von den USA Obama-Administration bald verflogen. Die unter- im Stich gelassen zu werden. Auch in Indien sieht schiedlichen Interessen der USA und Indiens hin- man dem amerikanischen Truppenabzug mit Un- sichtlich des amerikanischen Engagements in der behagen entgegen. Dementsprechend richtet man Region wurden in Obamas West Point-Rede deut- sich in der Region auf die Zeit nach dem Rückzug lich. Aus indischer Sicht ist die Vorstellung, „gute“ der internationalen Truppen ein, denn die Taliban Taliban an der afghanischen Regierung zu betei- ließen bereits wissen: „Die Amerikaner haben die ligen, ebenso absurd wie die Ankündigung eines Uhren, wir haben Zeit“ (D’Souza 2009). konkreten Datums für den Truppenabzug zu Be- ginn einer COIN-Strategie. Die Extremisten wüss- ten jetzt genau, wie lange sie sich im Hintergrund Fazit halten müssen, um danach zu triumphieren. In- dien fühlt sich zudem in den internationalen Sta- Die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik bilisierungsbemühungen um Afghanistan margi- hat sich seit Obamas Amtsantritt gewandelt. Oba- nalisiert. Im Abschlusskommunique und der Er- mas Vorgehen steht in der Tradition der „multi- gebniserklärung der internationalen Londoner lateralen Isolationisten“ und damit in deutlichem Afghanistankonferenz vom Januar 2010 wird In- Kontrast zu den unilateralen Interventionen der dien nicht erwähnt, obwohl es mit Hilfsgeldern in Neocons. Die außenpolitischen Probleme der USA Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar unter den Staa- lassen sich jedoch nicht allein durch veränderte ten der benachbarten Regionen den größten finan- Positionen und Strategien bewältigen. Gerade in ziellen Beitrag zur Stabilisierung Afghanistans ge- Südasien verursachte Obamas Wahlsieg von An- leistet hat. Innerhalb der indischen Regierung fang an mehr Skepsis als Begeisterung. In Regie- setzt sich die Einsicht durch, dass der eigene Ein- rungskreisen wurde befürchtet, dass das Verhält- satz nicht ausreichend beachtet wird, weil Indien nis zu den USA nach seinem Amtsantritt schwie- keine Truppen in Afghanistan stationiert hat. Pa- riger würde, schließlich profitierte man auch von kistan hingegen wurde zwar als Teil des Konflikts Bushs Fixierung auf den War on Terror. So kann man benannt; da es jedoch auch als Schlüssel zu des- in Neu Delhi aufgrund des Nuklearabkommens sen Lösung gilt, kann es die Zukunft Afghanistans mit den USA, in Islamabad aufgrund von Blanko- weiterhin an prominenter Stelle mitbestimmen schecks im Kampf gegen al-Qa’ida nicht allzu un- (Rudolf 2010: 27-29). Offenbar hat die indische zufrieden mit der Bilanz der Bush-Jahre sein. Strategie eines starken humanitären Profils in Af- Obamas vorsichtige und pragmatische Außen- politik erinnert in einigen Zügen an einen klas- Vgl. http://www.whitehouse.gov/the-press-office/remarks- sisch realistischen Ansatz. In seiner Politik der Re- president-address-nation-way-forward-afghanistan-and- duzierung militärischer Verpflichtungen und dem pakistan. Abbau überholter diplomatischer Verhärtungen Vgl. http://afghanistan.hmg.gov.uk/en/conference. GIGA Focus Global 6/2010 --
kann man gar Parallelen zu Kissingers und Ni- Kupchan, Charles (2010), Enemies into Friends, xons Rückzug aus Vietnam und ihrer Öffnung ge- in: Foreign Affairs, 89, 2, 120-134. genüber China sehen. Allerdings bewiesen Kissin- Mead, Walter Russell (2010), The Carter Syndrome, ger und Nixons bei ihrem Öffnungsmanöver mehr in: Foreign Policy, 1, online: erst öffentlich machten, als ihnen der Erfolg sicher (24.05.2010). schien. Sie vermieden damit, unter dem Druck so- O’Hanlon, Michael (2010), The United States Should wohl konservativer als auch liberaler Kritik im ei- Engage More Afghan Actors, online: (26.05.2010). er dadurch, dass er dem Afghanistan-Konflikt Pri- Packer, George (2010), Rights and Wrongs, in: The orität eingeräumt hat, und durch sein frühes Ver- New Yorker, 17.05.2010, online: (26.05.2010). Mit seinem Einstieg in die COIN-Strategie seh- Rudolf, Peter (2010), Barack Obamas Afghanistan/ en Kritiker Obama in Afghanistan unterdessen ge- Pakistan-Strategie: Analyse und Bewertung, Ber- nau in die Falle laufen, die er durch seinen pragma- lin: Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP- tischen Ansatz hatte vermeiden wollen: in ein lang- Studie 10, online < http://www.swp-berlin.org/ wieriges Projekt des nation building verwickelt zu common/get_document.php?asset_id=7084> werden. Sollten die erhofften Erfolge binnen Jah- (28.05.2010). resfrist nicht erzielt werden, dürfte sich ein Trup- Schneider, Peter (2006), Sie nennen ihn Kennedy, in: penabbau nur schwer rechtfertigen lassen. Vor den Die Zeit, 2.11.2006, online: (27.05.2010). ministration jedoch kaum zu einer möglichen Ver- schiebung des Abzugdatums äußern wollen. Literatur Brzezinski, Zbigniew (2010), From Hope to Auda city: Appraising Obama’s Foreign Policy, in: For- eign Affairs, 89, 1, 16-30. Chittick, William, Keith Billingsley und Rick Trav- is (1995), A Three-Dimensional Model of Ameri- can Foreign Policy Beliefs, in: International Studies Quarterly, 39, 3, 313-331. Cook, Charles (2010), Preparing for the Worst: Democrats’ Fears of the 2010 Midterm Elections, in: The Washington Quarterly, 33, 2, 183-189. D’Souza, Shanthie Mariet (2009), Obama’s Afghan Strategy: Regional Perspectives, (28.05.2010). Hogan, Michael (1999), Partisan Politics and For- eign Policy in the American Century, in: Hogan, Michael (Hrsg.), The Ambiguous Legacy, U.S. For- eign Relations in the „American Century“, Cam- bridge: Cambridge University Press, 356-377. Kagan, Robert (2008), Neocon Nation: Neoconserva- tism, c. 1776, online: (25.05.2010). GIGA Focus Global 6/2010 --
Die Autorin Melanie Hanif, M.A., ist Mitarbeiterin im Regional Powers Network (RPN) am GIGA und Doktorandin an der Universität Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Theorien der Internationalen Bezie- hungen, regionale Führungsmächte sowie Sicherheit, Konflikte und US-Außenpolitik in Südasien. Derzeit ist sie Gastdoktorandin am Department of Politics and International Relations der Universität Oxford. Email: hanif@giga-hamburg.de, Website: http://staff.giga-hamburg.de/hanif GIGA-Forschung zum Thema Im Rahmen des Regional Powers Network (RPN) und das Graduiertenprogramms Regional Powers wer- den der Aufstieg regionaler Führungsmächte in Afrika, Asien, Lateinamerika und im Nahen Osten er- forscht. Die Mitarbeiter(innen) und Doktorand(inn)en befassen sich mit Interessen, Ressourcen und Stra- tegien von Regionalmächten und analysieren deren Interaktion mit etablierten Mächten, insbesondere in Europa und den USA. Beide Programme werden im Rahmen des Paktes für Forschung und Innovation finanziert (2008-2012). GIGA-Publikationen zum Thema Beck, Martin (2009), Nahostpolitiker wider Willen? Der israelisch-palästinensische Konflikt als Herausforderung für Barack Obama, GIGA Focus Nahost, 2, online: . Godehardt, Nadine, Melanie Hanif und Ryoma Sakaeda (2009), Sicherheitspolitische Herausforderungen der Regierung Obama in Asien, GIGA Focus Asien, 1, online . Hanif, Melanie (2009), Die regionale Dimension des Afghanistankonfliktes in Obamas „AfPak-Strategie“: Les- sons Learned?, GIGA Focus Global, 7, online: . Nolte, Detlef und Christina Stolte (2009), Ein Neuanfang in den Amerikas: Zur Lateinamerikapolitik der Regie- rung Obama, GIGA Focus Lateinamerika, 4, online . Van de Walle, Nicolas (2009), US-Afrikapolitik: Bushs Vermächtnis und die Regierung Obama, GIGA Focus Afrika, 5, online: . Der GIGA Focus ist eine Open-Access-Publikation. Sie kann kostenfrei im Netz gelesen und heruntergeladen werden unter und darf gemäß den Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz Attribution-No Derivative Works 3.0 frei vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies umfasst insbesondere: korrekte Angabe der Erstveröffentlichung als GIGA Focus, keine Bearbeitung oder Kürzung. Das GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg gibt Focus-Reihen zu Afrika, Asien, Lateinamerika, Nahost und zu globalen Fragen heraus, die jeweils monatlich erscheinen. Der GIGA Focus Global wird vom GIGA redaktionell gestaltet. Die vertretenen Auffassungen stellen die der Autoren und nicht unbedingt die des Instituts dar. Die Autoren sind für den Inhalt ihrer Beiträge verantwortlich. Irrtümer und Auslassungen bleiben vorbehalten. Das GIGA und die Autoren haften nicht für Richtigkeit und Vollständigkeit oder für Konsequenzen, die sich aus der Nutzung der bereitgestellten Informationen ergeben. Wurde in den Texten für Personen und Funktionen die männliche Form gewählt, ist die weibliche Form stets mitgedacht. Redaktion: Andreas Mehler; Gesamtverantwortliche der Reihe: Hanspeter Mattes und André Bank; Lektorat: Silvia Bücke; Kontakt: ; GIGA, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg www.giga-hamburg.de/giga-focus
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